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Journal 3 Klima Aus dem Inhalt: Dagmar Wolsing: „Eine Frage der Haltung” Ortwin Renn: Klimawandel als systemisches Risiko Grüne Hauptstadt 2016: Aus dem Themenkatalog der Essener Klimawoche Informationen zum Klimaschutz in Essen Nur wer im Wohlstand lebt spart angenehm

Informationen zum Klimaschutz in Essen - uni-due.de · xible Mensch”, wie ihn der Soziologe Richard Sennett beschrieben hat, wartet dabei nicht unbedingt mit einer besseren Ökobilanz

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Journal3Klima

Aus dem Inhalt:

Dagmar Wolsing: „Eine Frage der Haltung”

Ortwin Renn: Klimawandel als systemisches Risiko

Grüne Hauptstadt 2016:Aus dem Themenkatalog derEssener Klimawoche

Informationen zumKlimaschutz in Essen

Nur wer im Wohlstand lebtspart angenehm

Ausgabe 3Expertise undErfahrung April 2016

Inhalt:

Seite 3: „Eine Frage der Haltung”.Gespräch mit der Leiterin der Essener Klimaagentur Dagmar Wolsing

Seite 10: Klimawandel als systemisches Risiko. Von Ortwin Renn

Seite 15: Aus dem Themenkatalog der Essener Klimawoche

Herausgeber:Institut für Stadtplanung+StädtebauUniversität Duisburg-EssenProf. Dr. J. Alexander Schmidt

Redaktion:Prof. Dr. Peter Ulrich Hein

[email protected]ätsstraße 1545141 Essen

Konzept und Gestaltung:RES. Agentur für kulturelle Forschungund visuelle Kommunikation GmbH, Kölnwww.res-agentur.de

Titelfoto: Peter Ulrich HeinAuflage: 800 Exemplare

Druck: Woeste Druck+Verlag, Essen

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Die Aufforderung, auch im alltäglichen Verhalten auf Klimaschutz

zu achten, ist nicht ungehört geblieben. Auch wenn es sich nicht

immer in konkreten Zahlen abbildet, die Erfolge der Essener Klimaini-

tiative und der klima|werk|stadt|essen sind beachtlich. Ein Netzwerk

von Initiativen und Kooperationen hat sich gebildet, bei dem es um

die Frage nach energiesparenden Alternativen geht. Mehr Achtsamkeit

beim Einkaufen, bei der Ernährung und bei der Wahl der Verkehrsmittel

gehört allem Anschein nach zunehmend zum guten Stil der Bürger. Der

Bürger? Bei der kollektiven Anstrengung, für die Politik und Wissen-

schaft werben, geraten die unterschiedlichen Voraussetzungen, unter

denen die Menschen ihren Alltag bewältigen müssen, oft in Verges-

senheit. Denn auch im so genannten Klimaverhalten hinterlässt soziale

Ungleichheit ihre Spuren. Einkommensstarke Haushalte und technisch-

kulturelle Eliten sind in der Regel besser informiert und können sich

leichter für die jeweils umweltfreundlichere Alternative entscheiden.

Regionale Küche mit regionalen Produkten, das Designerfahrrad und

vielleicht auch bald das Elektromobil, vom Car-Sharing ganz zu schwei-

gen, gehören gewissermaßen zum Lebensstil, welcher wiederum durch

eine flexiblere Arbeitsorganisation und die damit verbundene Vorstel-

lung ermöglicht wird, sich stets frei entscheiden zu können. Der „fle-

xible Mensch”, wie ihn der Soziologe Richard Sennett beschrieben hat,

wartet dabei nicht unbedingt mit einer besseren Ökobilanz auf. Je nach

Haushaltsgröße sind es nicht selten zwei Wohnungen und mehrere

Fahrzeuge, die bewirtschaftet werden wollen. Auch dürfte es recht

schwer fallen, den Kerosinverbrauch mehrerer Fernreisen daheim mit

dem Fahrradpedal zu kompensieren. Diese Feststellung soll keineswegs

schlechtes Gewissen erzeugen und zu einer resignativen Haltung zu-

rückführen, wonach im Kleinen nicht viel auszurichten sei. Auf lange

Sicht ist es aber doch wohl eine Illusion zu glauben, wir könnten das

quantitative Niveau unseres Konsums mit umweltfreundlichen Tech-

nologien sichern. Die Probleme des Klimawandels führen unweigerlich

zu gesellschaftlichen Fragestellungen auch im globalen Zusammen-

hang, was die uns gegenwärtig beschäftigenden Migrationsbewegun-

gen im übrigen mit einschließt.

Eine Vorstellung von den Dimensionen des Klimawandels als

systemisches, soziale Dynamiken einschließenden Risikos vermittelt

der in dieser Ausgabe enthaltene Beitrag des Soziologen und Risiko-

forschers Ortwin Renn. Ein Gespräch mit der Leiterin der Essener Kli-

maagentur Dagmar Wolsing zeigt indes, wie unverzichtbar und vor

allem wie ermutigend es ist, die Arbeit vor Ort voranzutreiben.

Prof. Dr.-Ing. Alexander Schmidt, Universität Duisburg-Essen, Institut für Stadtplanung+Städtebau

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Die Klimaagentur ist in zahlreicheAktivitäten eingebunden. Können

Sie mir erklären, wo im Geflecht mit derKlimawerkstatt die Kernaufgaben der Klimaagentur liegen?

Die Frage ist spannend, insofern als die Klima-werkstatt gestartet ist mit dem „tt“ am Ende,der Werkstattcharakter aber mittlerweile ver-ändert wurde durch ein „dt“ am Ende. Manch-mal sind auch Worte und Sprachbilder relevantfür den Inhalt und dafür, wie wir arbeiten. DieKlimaagentur hat als Kernaufgabe zum eineneine Drehscheibenfunktion. Insbesondere be-deutet das, dass wir alle Menschen, die in derStadt leben, arbeiten, im Klimaschutz aktiv odernoch nicht aktiv sind, zusammenbringen, ver-netzen, um einen Prozess anzuregen, so dass –und da kommt das „dt“ – einzelne Aktivitätenin der Stadt bereits sehr klimaschutzaffin, sehrgrün sind. Sie sehen es auch an unserem Logoder Klimawerkstatt. Das mobilisiert die einzel-nen Stadtteile oder auch Bereiche, Aktivitäten,Menschen, Quartiere, Nachbarschaften – dasist das „dt“, da wollen wir logischerweise grü-ner werden. Das andere ist das „tt“, die Werk -satt als solche, das ist die Klimaagentur, einStück weit auch ein Werkzeugkasten, in demdie Menschen Projekte anschieben können,Dinge aktiv ändern können. Eine Werkstatt hatMaterial, Werkzeuge und Menschen, die darinarbeiten, es gibt immer wieder neue Projekte,das hat dann eigentlich auch den Prozesscha-rakter, der in der Klimaagentur angelegt ist.Eine zweite Kernaufgabe ist, dass wir Motor derKlimawerkstatt Essen sind. Die Klimaagenturals Motor bedeutet, dass bei uns im Idealfalldie Aktivitäten und die Akteure zusammenkom-men und wir ein Stück weit die Funktion einer„Spinne im Netz“haben. Wenn es irgendwowackelt im Netz, kriegen wir das mit und kön-nen entsprechend reagieren.

Nun gibt es kaum Lebensbereiche, indenen der Begriff der Nachhaltigkeitkeine Rolle spielt. Sie haben ein ganzesSpektrum, wo Sie ansetzen könnten. Konzentrieren Sie sich eher auf die Ent-wicklung bzw. Neukonfigurierung vonMobilität oder auf die Gebäude -sanierung?

Die Klimaagentur selber ist ja aus dem Projekt„Energieeffiziente Stadt“ des Bundesministeri-ums für Bildung und Forschung finanziert unddas wiederum definiert bestimmte Kernaufga-ben der Klimaagentur. Daraus resultiert, dasswir im Team einen Klimaschutzmanager für den

Bereich Mobilität, einen Klimaschutzmanagerfür Gebäudesanierung, einen Klimaschutzma-nager für erneuerbare Energien, für das Veran-staltungsmanagement und für die Leitunghaben. Das war im Ursprung vordefiniert. Ichnenne es manchmal auch Sparten- oder auchSilodenken. Im Zuge unserer konkreten Arbeitorientieren wir uns als Team der Klimaagenturallerdings an den konkreten Bedürfnissen derMenschen, hier in unserer Stadt. Und die unter-scheiden eigentlich selten zwischen dem Be-reich Mobilität oder Gebäudemodernisierung,sondern hier geht es eher darum, integriert zudenken und eine integrierte Betrachtungsweisezu haben und z.B. im Ge bäudebereich nicht nuran den Austausch von Fenstern zu denken, son-dern das ganze Gebäude in Augenschein zunehmen und zu überlegen, welcher Moderni-sierungsfahrplan der sinnvollste sein könnte fürdieses konkrete Objekt. Wir wollen eigentlichauch integriert nicht nur zwischen Bereichenagieren, sondern auch zwischen Disziplinen,Technik, Soziologie und Ingenieurwesen. Men-schen mit unterschiedlichen Denkweisen, un-terschiedlichen Überlegungen zum Handeln zu- sammenbringen und die Menschen dort abho-len, wo Bedarf zum Klimaschutz besteht.

Wie appellieren Sie an das Verhalten derLeute, welche – neudeutsch gespro-chen –„tools“wenden Sie an? Wo könnteman Ihrer Erfahrung nach besonders motivieren und vorankommen?

Der Bergriff „tools“ oder Methode mag viel-leicht gar nicht zutreffen. Ich beschreibe ein-fach, wie wir es tun. Zum einen haben wir langeüberlegt und gemeinsam mit einer Akteurin inder Klimawerkstatt den Begriff Klimakultur –entwickelt vom Kulturwissenschaftlichen Insti-tut – so kommuniziert, dass hierunter unsereAktivitäten laufen. Egal ob ich bei einem Ge-schäftsführer eines Unternehmens bin, in einemsoziokulturellen Zentrum oder in einem Kran-kenhaus, wenn es um Klimaschutzprojekte dortgeht, oder auch bei Verwaltungskollegen undbei Bürgervereinen, wenn es um das Thema Ge-bäudemodernisierung geht – das Dach, unterdas vieles passt, ist der Begriff „Klimakultur“.Es ist ein Stück weit eine Wertefrage, es ist eineFrage der Haltung. Da kommt das berühmte„Ich“ als eigene Person ins Spiel. Nicht nur, waskann die Stadt für uns tun, was kann mein Ar-beitgeber für uns tun, mein Vermieter ... nein:Die Frage ist, wie halte ich es als eigenständigekonkrete Person mit dem Klimaschutz, waskann ich tun, was kann ich anders machen,morgen im Vergleich zu heute, um den Klima-

schutz in meinem Leben weiterzubringen undgleichzeitig vielleicht noch mein Leben weiter-zubringen, zufriedener machen. Der BergriffNachhaltigkeit ist ein Stück weit in aller Munde.Klimaschutz allein ist nicht unbedingt der Mo-tivator, Verhalten zu ändern. Wenn ich abersage, ich verändere mein Heizverhalten, habedanach ein besseres Wohn- und Raumklima inmeinem Haus, fühle mich wohler und meinemGeldbeutel geht es auch noch besser, weil ichEnergiekosten dadurch gesenkt habe, dann istdas für die Stadt sehr spannend, Klimaschutz-ziele damit erreicht zu haben. Für den konkre-ten Menschen: Er hat schlicht damit seineLebensqualität erhöht. Das ist dann ein Beispieleiner gelebten Klimakultur. Bei einem anderenMenschen kann es sein, dass er sein Verhaltenin der Mobilität konkret ändert, Wege zu Fußzurücklegt, die er früher mit dem Auto gefahrenist, und feststellt, es ist schön, die Vögel singenzu hören und Wetter zu spüren, den Nachbarnkennenzulernen und auch andere Dinge zu er-fahren – es einfach ausprobiert. Insofern gibtes da nicht das Einzelne, sondern den Appell andas konkrete Ich. Ein Weiteres ist, dass wir imRahmen der Klimaagentur in ganz vielfältigerWeise Netzwerke aufgebaut haben, Vorbilderzeigen, die Wege gegangen sind, die anderevielleicht als zu schwierig und völlig unmöglichfür sich betrachten, und ich immer sage, ich alsLeiterin der Klimaagentur kann gut reden, aberhier ist ein Nachbar oder ein einzelner Unter-nehmer, der hat eine entsprechende Kraft-Wärme-Kopplungsanlage im Betrieb installiert,die funktioniert wunderbar. Sprechen Sie mitihm, dann sprechen Experten im Sinne von bestpractice untereinander. Und auch so können wirEinfluss nehmen. Letztlich schaffen wir einePlattform für Beteiligung, für Fragen, aber auchfür Aktive. Konkrete Beispiele in dem Zusam-menhang sind ganz frisch. Wir haben am 30.August den Hausbesichtigungstag in Essendurchgeführt. Das ist ein wunderbares Beispiel,weil engagierte private Hauseigentümer, die ihrGebäude modernisiert haben, es einer interes-sierten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen underzählen, welche Schwierigkeiten sie seinerzeitbei der Planung und Finanzierung zu überwin-den hatten und wie zufrieden sie mit ihrer um-gesetzten Maßnahme sind. Man kann es sichvor Ort anschauen und auch mit dem entspre-chenden Planer oder Handwerker sprechen. Wirhaben ein anderes Projekt im Mai umgesetzt,zusammen mit dem KulturwissenschaftlichenInstitut: „Stadtteilideen“. Da haben wir zueinem Wettbewerb aufgerufen, dass Menschenaus den Stadtteilen Ideen einreichen, gemein-sam in den Stadtteilen mehr Nachhaltigkeiten

Es ist ein Stück weit eine Wertefrage, es ist eine Frage der Haltung.

Seit mehr als drei Jahren leitet Dagmar Wolsing die Klimaagentur Essen, die zentrale Koordinationsstelle für alle Aktivitäten der weitgespannten Essener Klimainitiative. In einem Gespräch mit Peter Ulrich Hein im Septembervorigen Jahres gab sie Auskunft über Zielsetzungen, Verfahrenweisen und Ergebnisse des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundvorhabens.

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zu erreichen, und haben wunderbare Ergeb-nisse erzielt. Zum Beispiel gab es im Septemberin Frohnhausen – von Park Fiction – in dreiParks wunderbare gemeinschaftliche Dinge. Wirsind gespannt, was die Frohnhauser daraus ma-chen. In der Regel – das ist unsere Erfahrungaus zweieinhalb Jahren, die uns von einzelnenBürgern rückgemeldet wird – empfinden siesich oft als Objekte städtischer Planungen. Undgerade unter diesem angewandten Begriff „Kli-makultur“ verstehen wir als Team der Klimaa-gentur die Bürger eben als Subjekte. IhreSichtweisen, Interessen und Erfahrungen neh-men wir ernst und bringen sie dann explizit inunsere Arbeit ein.

Es ist sicher authentischer und überzeu-gender, wenn man mit demjenigen spre-chen kann, der von seinen Erfahrungen zuberichten weiß. Daran schließen sich zweiFragen an: Wie geht man erstens mit derunüberschaubaren Fülle von Informatio-nen um; und zweitens, gibt es neben derInformation, der vernunftbasierten undemotionalen Ansprache noch eine ArtWertaspekt? Gibt es außerhalb der vonIhnen gerade geschilderten eindrucksvol-len Aktionen ein weiteres Beispiel füreine besonders gute und wirksame Beratung?

Ich erzähle einfach mal von den Möglichkeiten,die wir haben, speziell im Themenfeld Gebäu-demodernisierung. Ja, Sie sprachen das richtigan, es gibt viele Informationen im Netz zu demThema Gebäudemodernisierung. Der entschei-dende Punkt ist allerdings, das einzelne undkonkrete Objekt. Dinge, die zum Beispiel beieinem Nachbarn möglich oder sinnvoll waren,müssen nicht unbedingt auch für das eigeneHaus sinnvoll und notwendig erscheinen. Alsodie Betrachtung des einzelnen konkreten Hau-ses steht im Vordergrund. Das versuchen wir,den Hauseigentümern auch sehr deutlich zumachen. Es gibt die Möglichkeit der kosten-

freien Orientierungsberatung bei uns in der Kli-maagentur, in der grundlegende Dinge zurenergetischen Gebäudemodernisierung beimkonkreten Objekt besprochen werden, wo auchgebeten wird, Unterlagen über das eigene Ob-jekt mitzubringen, um zu schauen, wie kann einentsprechender Modernisierungsweg ausse-hen. Das Entscheidende allerdings ist, dass wirdann darüber hinaus unser Essener Netzwerk„Gebäudemodernisierung“ ins Leben gerufenhaben. Das sind Architekten, Energieberater,Handwerker und Planer, die zum einen be-stimmte Qualifikationsnachweise beibringenmussten, um garantieren zu können, dass allesentsprechend dokumentiert wird und transpa-rent bleibt. Zum zweiten gilt für diese Personen,dass sie sich einem Energiecodex unterwerfenmussten, in dem sichergestellt ist, dass eben diegesamte ganzheitliche Betrachtung des Gebäu-des wichtig ist. Also der Fensterbauer oder derHeizungsbauer schaut sich nicht isoliert Fensteroder die Heizung an, sondern verweist im Zwei-felsfall auf einen Kollegen im Netzwerk, um einGesamtbild des Objektes geben zu können.Und wer bei uns in der Orientierungsberatungwar und konkretere weitere Fragen hat, kannhier bei uns einen Gutschein für die kostenfreieVor-Ort-Besichtigung seines Hauses durcheinen Experten aus dem Netzwerk bekommen.Also das ist ein Beispiel dafür, dass wir als Kli-maagentur sozusagen ein Bindeglied sind zwi-schen den Bürgern und ihren Fragen und denAnbietern, die hier vor Ort in Essen sind. Ähnli-ches haben wir ins Leben gerufen speziell auchfür Migranten, die in Essen leben oder Gebäudebesitzen. Wir haben festgestellt, dass wir sehrwenig Nachfrage aus diesem Bereich habenund in unseren Vorträgen in den Stadtteilensehr wenige Bürger erreichen können undhaben gemeinsam mit dem Dachverband Esse-ner Migranten und auch dem Zentrum für Tür-keistudien ein Projekt ins Leben gerufen: IKLIMKlimaschutz. Im November werden wir mit Un-terstützung der beiden Migrantenverbändedamit starten. Es gibt auch andere Dinge, wirsind dabei, auch mit anderen strategischen Ko-operationspartnern und Interessierten hier inder Stadt in einem Jahr zu versuchen, lokalesKapital für lokale Klimaschutzmaßnahmen ein-zusammeln, die normalerweise nicht „klas-sisch“ finanziert werden können über dievorhandenen Instrumente. Wir lassen das wei-terlaufen im Moment unter dem Arbeitstitel„Regionale Energieeffizienz-Genossenschaft“und ich bin gespannt, ob wir dann hier auch inEssen hinbekommen, eine entsprechende Effi-zienzgenossenschaft ins Leben zu rufen, umProjekte in Essen hieraus finanzieren zu kön-nen.

Ich erinnere mich an eines der erstenTreffen, wo jemand gesagt hat, für ihnwäre entscheidend, ob die Reduktion vonCO2 auch in Zahlen messbar erreichtwürde. Wie kann man denn den Erfolgder Klimaagentur noch auf andere Weisefeststellen? Wir haben schon gesprochenüber Klimakultur, wie kann man das defi-nieren?

Die CO2-Bilanz ist wichtig, aber sie lässt ebennur einen Teil des Bildes erkennen. Es gibt vieleDinge, wo es schwierig ist, sie in einem CO2-Äquivalent zu erfassen. Die Entscheidung einesHauseigentümers, der zum Beispiel erst in 2014bei uns in der Orientierungsberatung war, dersich weiter informiert, sich auch um seine Fi-nanzierung kümmert, Handwerker beauftragt,vielleicht zwei Jahre noch wartet, weil ein per-sönliches Ereignis noch ansteht – es mag sein,dass das Gebäude 2017/18 energetisch moder-nisiert ist, zurückzuführen auf einen Ursprung-simpuls einer Orientierungsberatung in derKlimaagentur – wird sich nicht in der CO2-Bi-lanz der Stadt von 2014 niederschlagen. Eineandere Messbarkeit ist, dass wir Menschen inder Stadt erreichen, die sich beteiligen an Pro-jekten, die sich bisher wenig um den Klima-schutz gekümmert haben, oder auch, dass wir

viel mehr Menschen aktivieren aus unterschied-lichsten Bereichen und Gruppierungen. Hier istes allerdings schwierig, den Erfolg zu messen.Also da ist eine der großen Schwierigkeiten. Ichkomme ja selber aus der mathematischen Ecke,ich bin Wirtschaftswissenschaftlerin, war jahre-lang Bänkerin, Frau der Zahlen. Ich sage immer,Zahlen verdichten einen Sachverhalt, aber hin-ter der Zahl steht ein Sachverhalt, und hinterdem Sachverhalt stecken Menschen. Die Kli-maagentur erreicht die Menschen, die durcheine Projektentwicklung oder durch eine Ver-haltensänderung etwas tun. Ich kann das nichtEins zu Eins immer so verdichten, wie ich esgerne hätte, in eine CO2-Zahl, um den Erfolgder Klimaagentur nachzuweisen.

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Das bringt mich auf die Frage nach derErfahrung mit der städtischen Politik. Wirhaben da häufig das Phänomen, dass –wie ich aus dem Bereich kultureller Bil-dung weiß – die Vetreter der Landesre-gierung ständig unterwegs sind unddafür plädieren, es müsse mehr kulturelleBildung geben; die selben Akteure aber,wenn sie im anderen System agieren,treffen Entscheidungen, die genau aufsGegenteil hinauslaufen. Das ist nichtimmer Doppelzüngigkeit, sondern imFunktionssystem selbst begründet. Wiesind Ihre Erfahrungen mit der Unterstüt-zung durch die städtische Politik?

Die Frage ist insofern spannend, als es die Poli-tik für mich nicht gibt. Es gibt die Politiker, undda bin ich wieder bei den einzelnen Menschen.Wenn wir als Klimaagentur einzelne Menschenansprechen, also in Ihrem FragezusammenhangPolitiker ansprechen, uns in ihrem Stadtteil zuunterstützen, dass wir für eine VeranstaltungRäume bekommen oder bei unserem Projekt„Stadtradeln“ Menschen ansprechen und fra-gen, radelt ihr mit, dann gibt es ein „Ja“, sobaldes terminlich möglich ist. Wir haben in 2015auch mehr Radler aus dem politischen Umfeldbegeistern können als in 2014. Also es wächst.Auf der anderen Seite gab es im Juni einen ein-stimmigen Ratsbeschluss über Klimaschutzstel-len, die über öffentliche Mittel weiter beantragtwerden sollen. In dem Zug wird auch entschie-den über die Fortführung der Klimaagentur.Also kann ich mich – Stand heute – nicht übereine fehlende Unterstützung hier in Essen zumThema beklagen. Das Thema „Grüne Haupt-stadt“ ist originär kein Thema der Klimaagenturgewesen, aber ohne breite Unterstützung derEssener Politik hätte Essen keine „GrüneHauptstadt Essen“ werden können. Auch dasist ein klares Signal, dass die Politik in Essendas Themenfeld Klimaschutz unterstützt. Undja, natürlich sind im Rahmen einer Kommune

unter Haushaltssicherung viele Überlegungendeutlich schwieriger. Da kann ich hier an derStelle nur für die Klimaagentur sprechen. Wirhaben viele Ideen entwickelt, wir haben Kon-zepte entwickelt und wir haben zumindest bis-her auch immer Unterstützung für unsereAktivitäten gefunden. Nehmen wir in dem Fallals konkretes Beispiel „Netzwerk Wirtschaft-Umwelt“. Hier haben wir gemeinsam mit derEssener Wirtschaftsförderungsgesellschaft undder Industrie- und Handlskammer hier in Essenund der Klimaagentur eingeladen, viermal imJahr zu ganz speziellen Schwerpunktthemen alsBetrieb zusammenzukommen in jeweiligen Be-trieben, die eine bestimmte Maßnahme umge-setzt haben, also aus der Praxis für die Praxis,im besten Sinne best practice. Wir hatten The-men wie Beleuchtung, Kraft-Wärme-Kopplung,wir hatten das Thema Energieeffizienz durchSpannungsreduktion. Wir hatten immer fünfzigbis sechzig Teilnehmer. Die Finanzierung all die-

ser Veranstaltungen erfolgt nicht über den kom-munalen Haushalt, sondern da bekommen wireine wunderbare Unterstützung der jeweilsgastgebenden Betriebe, für die ich mich hier ander Stelle auch einmal ausdrücklich bedankenmöchte.

Zum Abschluss noch eine Frage: Gibt esim Zusammenhang „Grüne Hauptstadt“ein Projekt, was Sie dann mit mehr Aus-sicht auf Erfolg auf den Weg bringen können, oder verbinden Sie mit diesemEtikett oder Prädikat ganz allgemeine Erwartungen? Welche wären das?

Wir sind ja gerade erst am 18. Juni „GrüneHauptstadt“ geworden. Das Projektteam ist be-stellt und arbeitet. Ich persönlich bin mir sicher,dass wir für das Themenfeld Klimaschutz einhöheres Maß an Aufmerksamkeit und politi-sches Gewicht erhalten können, und ich sehees insbesondere auch als eine Chance für Stadt-entwicklung und eine Umsetzung von Projek-

ten, die wir dadurch deutlich beschleunigenkönnen. Auf der einen Seite feiern wir bisherigeLeistungen und bringen aber auch verstärktund gerade gebündelt dann Neues auf denWeg. Und es wird ja nicht nur 2017 sein, son-dern wir haben vorher 2016, und wir werdenauch ein 2018 haben, in denen wir auch denganz langjährigen Weg des erfolgreichen Kli-maschutzes hier in Essen weitergehen werden.Die Klimaagentur selber als Thinktank undNetzwerk und Drehscheibe kann hier sicherlichauch einen wichtigen Beitrag leisten.

Alles, was ich bis jetzt von Ihnen gehörthabe, rechtfertigt große Hoffnungen. Ichwünsche Ihnen Erfolg bei der Umsetzungihrer Ziele. Dankeschön.

Danke für die guten Wünsche. Allerdings nochmal ausdrücklich: Die fünf Mitglieder der Kli-maagentur, die berühmte Hand voll, brauchtUnterstützer. Alles, was ich Ihnen hier beschrie-ben habe, wäre auch bis heute niemals möglichgewesen ohne die breite Unterstützung derMenschen, der Akteure, der Aktiven, die wir an-gefragt haben, uns bei der konkreten Projekt-umsetzung zu unterstützen.

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✮✮✮ Dagmar Wolsing leitet seit 2013 die

Klimaagentur der Stadt Essen. Sie ist Spar-

kassenbetriebswirtin und Wirtschaftswis-

senschaftlerin mit 30jähriger Erfahrung in

der Beratung von Ministerien, Kommunen,

Institutionen und Betrieben, davon 10 Jahre

als selb ständige Unternehmerin. ✮✮✮ Seit

2005 arbeitet sie an der Konzeptionierung

und Umsetzung von komplexen Klima-

schutzprojekten, insbesondere an der

Schnittstelle von öffentlicher Verwaltung

und betrieblicher Praxis. Ihr Engagement gilt

hierbei insbondere dem Aufbau von Netz-

werken, welche alle Akteure in Politik, Wirt-

schaft, Zivilgesellschaft und Kirchen mit

einschließen. ✮✮✮

Kümmern Sie sich u Über sinnvolle Gebäudesanierung inf

m Ihre eigene Wand formiert Sie die Klimaagentur Essen.

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Klimawandel als systemisches Risikovon Ortwin Renn

Die Klimainitiative der Stadt Essen hat viele Menschen mobilisiert,die mit ihren Projekten und einer veränderten individuellen Nutzung von Energieeinen aktiven Beitrag zum Klimaschutz leisten. Damit zeigt sich, dass verantwortungsvolles Handeln keineswegs vor den komplexen Bedingungen des Klimawandels resignieren muss. Wie weit diese Verzweigungenreichen und welche Rolle in der Klimadebatte kaum wahrgenommenegesellschaftliche und politische Indikatoren spielen, zeigt der bekannteSoziologe und Risikoforscher Ortwin Renn, wissenschaftlicher Direktor am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam. Die vollständige Fassung des hier gekürzt abgedruckten Aufsatzes steht zur Verfügung unter www.uni-due.de/staedtebau/

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Das steht auf dem Spiel? Systemische Risi-ken sind Bedrohungen, die wegen ihres

globalen und vernetzten Charakters zu multi-plen Kaskaden von Auswirkungen führen kön-nen, die grenz- und funktionsübergreifendSchäden hervorrufen. Wenn wir es beispiels-weise nicht schaffen, die menschlich ausgelös-ten Emissionen von Treibhausgasen effektiv zubegrenzen, kommt es mit großer Wahrschein-lichkeit zu erheblichen Verschiebungen der Kli-mazonen auf der Welt. Dies wird wiederumErnährungsengpässe, Ausbreitung neuer Krank-heiten und Migrationsbewegungen in großemAusmaß nach sich ziehen. Ganze Inselkettenkönnten im Meer versinken und Völkerwande-rungen im großen Stil verursachen. Eine Reihevon sekundären Effekten sind zu erwarten, dieüber die Vernetzungen der Auswirkungskettennegative Rückwirkungen auf das Gesamtsys-tem auslösen können. Dazu gehören durch Mi-gration und Entwurzelung ausgelöste Ver -sorgungsengpässe, durch Frustration über man-gelnde Handlungsfähigkeit der reichen Natio-nen ausgelöste Aggressionen in Form vonfundamentalistischen Strömungen und terroris-tischen Anschlägen, durch mangelnde Ernäh-rungsgrundlagen ausgelöste Anomie mitent sprechenden Folgen für Kriminalität undVerarmung und die durch die unterschiedlicheBetroffenheit durch den Klimawandel indu-zierte Ungleichheit der Lebenschancen. Im Rah-men der sozialen und kulturellen Risiken führtdie zunehmende Unzufriedenheit mit ungerech-ten Vermögens- und Machtverhältnissen zu so-zialer Unzufriedenheit bis hin zu aggressivenHandlungen, wie sozialem Aufruhr, Fanatismusund Terrorismus. Dass dies alles ohne schwer-wiegende Erschütterungen in Bezug auf dieLeistungsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeitpolitischer und wirtschaftlicher Ordnungssys-teme erfolgen wird, glauben nicht einmal dieOptimisten.

Klimaschutz als Paradebeispiel für systemische RisikenDie Klimarisiken sind erstens globaler Natur:Gleichgültig wo die Emissionen stattfinden, dieAuswirkungen sind weltweit spürbar. Jede ein-zelne trägt nur marginal zu der Emission vonklimaschädlichen Gasen bei, aber insgesamt istder Ausstoß so hoch, dass er die Senkenkapa-zität der Natur bei weitem übersteigt .Die Klimarisiken sind zweitens eng mit anderenwirtschaftlichen und sozialen Krisenerscheinun-gen vernetzt. Sie verstärken auftretende Dürrenund Hungersnöte, führen zu mehr extremenWetterereignissen und bedrohen wegen desansteigenden Meeresspiegels tief liegendeSiedlungen. Aufgrund dieser Zunahme von se-

kundären Lebensrisiken kommt es zu neuenWanderungsbewegungen, zur Entstehung vonsozialen Unruhen und zur Entwicklung neuerfundamentalistischer Strömungen, die wie-derum terroristische Angriffe nach sich ziehenkönnen. Fundamentalistische Bauernfänger fin-den immer dort großes Gehör, wo die Situationals ungerecht empfunden wird und man sonstkeinen Weg mehr sieht, an diesem Missstandetwas ändern zu können. Diese Voraussetzungliegt beim Klimawandel vor. Am meisten leidendie Menschen, die zur Entstehung des Klima-wandels wenig oder gar nichts beigetragenhaben.Die Klimarisiken sind drittens exemplarisch fürdie schon mehrfach beschriebenen stochasti-schen und nichtlinearen Wirkungsketten. Da dieAtmosphäre wesentlich komplexer reagiert alsdas Treibhaus im Garten, gibt es eine Menge anintervenierenden, d.h. die Kausalkette beein-flussenden Variablen, die den Klimaeffekt ent-weder verstärken oder abschwächen. Der grundlegende Charakter von systemischenRisiken, komplex, unsicher und ambivalent zusein, ändert sich auch nicht, wenn die Wissen-schaftler mehr Klimaforschung betreiben. DieGesellschaft wird mit einem Rest an Unsicher-heit und einem hohen Maß an Ungewissheitüber plötzliche Kippeffekte im Klimabereichleben müssen. Gewissheiten wird es hier niegeben. Diese Tatsache wird gerne von den Kli-maskeptikern als Beweis dafür gesehen, dassdie These vom anthropogen veränderten Klima-wandel auf tönernen Füßen steht. Diese Be-hauptung ist jedoch wenig überzeugend. Immerdann, wenn Forschungen auf komplexe undnichtlineare Systeme ausgerichtet sind, wird es,gleichgültig wie viel Geld und wissenschaftli-chen Sachverstand man auch investieren mag,immer zu Aussagen mit entsprechenden Unsi-cherheitsräumen und mehrdeutigen Interpreta-tionsmöglichkeiten kommen. Dies führt michzum vierten und letzten und für meine Argu-mentation wichtigsten Merkmal: der Unter-schätzung der mit dem Klimawandel verbun-denen Risiken.

Psychologische und soziologische Gründefür die Unterschätzung der Klimarisikenin der ÖffentlichkeitWarum werden die Risiken des Klimawandelsin der Öffentlichkeit unterschätzt? Warum un-terbleiben wirklich effektive Maßnahmen zurBegrenzung der Kohlendioxidausstoßes? Wa-rum nehmen die Bürgerinnen und Bürger inDeutschland und in den meisten anderen Län-dern die Warnungen vor einem Klimawandel sowenig ernst, dass die meisten jede Effizienzver-besserung gleich in mehr Energiekonsum um-

setzen? Dafür lassen sich vor allem vier Gründeanführen.Zum Ersten sind Klimarisiken schleichenderNatur, d.h. Menschen nehmen die Auswirkun-gen nur als marginale Veränderungen ihrer Um-welt war. Die Mechanismen der intuitivenWahrnehmung sind darauf ausgerichtet, plötz-lichen Veränderungen und Ereignissen hoheAufmerksamkeit zu schenken, wohingegen kon-tinuierliche Verschlechterungen kaum bemerktwerden. Diese Tendenz zur Unterbewertungkontinuierlich wirkender Risikoquellen wirdnoch dadurch unterstützt, dass plötzlich auf-tretende Katastrophen immer mehr persönlicheund soziale Resonanz erzeugen als kontinuier-liche Schadensfälle, selbst wenn die Zahl derOpfer absolut identisch ist. Da die meistenMenschen die Veränderungen durch den Klima-wandel in unseren Breiten, wenn überhaupt,nur schleichend wahrnehmen, wird psycholo-gisch auch kein Alarm ausgelöst. Man findetzudem kaum griffige Anhaltspunkte, die einemdie Dramatik der Veränderungen anschaulichvor Augen führen würden. Dies wird durch die öffentliche Berichterstat-tung noch verstärkt: Medien nehmen aufgrundihrer spezifischen Selektionsmechanismen dieUrteile aller Mitwirkenden in der Klimadebattein ihre Berichterstattung auf, d.h. Klimaskepti-ker erhalten ungefähr die gleiche mediale Auf-merksamkeit wie Wissenschaftler, die betontauf die Gefahren des Klimawandels hinweisen.Sieht man sich dagegen die wissenschaftlichenPublikationen an, ist der Anteil klimaskeptischerArtikel verschwindend gering. Nach wissen-schaftlichen Analysen stellen von den 2.142wissenschaftlichen Artikeln, die zum Thema Kli-mawandel in Fachzeitschriften publiziert wur-den, lediglich 39 den Einfluss anthropogenerVerursachung dieses Wandels infrage. Also 39gegenüber 2.142! Hier wird also mit Nachdruckdeutlich, wie gering die Anhängerschaft der so-genannten Klimaskeptiker in der Fachwelt istund auf welch breiten Konsens die These vomanthropogen verursachten Klimawandel trifft.

Zum Zweiten sind systemische Risiken durchkomplexe Strukturen miteinander vernetzt, sodass scheinbar nicht zusammenhängende Le-bensbereiche über die komplexen Ursache-Wir-kungsbeziehungen an irgendeinem Glied derlangen Kette aufeinander einwirken. Die intui-tiven kausalen Denkformen der Menschen sindnur ungenügend auf die Analyse komplexer Ur-sache-Wirkungsketten ausgerichtet. Gerade da-durch, dass systemische Risiken oft örtlich undzeitlich weit voneinander entfernt auftreten, er-scheint für das menschliche Wahrnehmungsbe-wusstsein eine solche Verbindung als wenigplausibel. Wenn irgendwo in Mozambique die

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Naturkatastrophen zunehmen, ist es schwer,dies auf den heimischen Energiekonsum mit zu-rückzuführen.Zum Dritten eignen sich viele der systemischenRisiken nicht für eine aufrüttelnde und emotio-nal ansprechende Berichterstattung in denMassenmedien. Dadurch, dass sich die Verän-derungen nur marginal abzeichnen, fehlt der at-traktive Nachrichtenwert. Nur wenn es großeKonferenzen über den Klimawandel gibt, wirddarüber mehr oder weniger ausführlich berich-tet. Auch hier sticht der Klimaschutz besonders

hervor. Im Mittelpunkt der Berichterstattungstehen aber dabei fast immer Berichte überKonflikte zwischen den Teilnehmern und zwi-schen den staatlichen Akteuren, der Wirtschaftund Vertreter der Zivilgesellschaft, vor allem derUmweltverbände. Hier können die Medien wie-der die typischen Muster des Dramas einbrin-gen. Oft genug wird darüber der eigentlicheAnlass, die Risiken des Klimawandels, verges-sen.Zum Vierten spielen auch die Entwicklungsli-nien des technischen und sozialen Wandels einewichtige Rolle. Globale Vernetzung, Unüber-sichtlichkeit der kausalen Zusammenhänge,Pluralisierung von Meinungen und Bewertun-gen sowie ein Vertrauensverlust in Expertenund Entscheidungsträger sind die entscheiden-den Stichworte zur Charakterisierung der mo-dernen Gesellschaft. Das hat Auswirkungen aufdie Wahrnehmung des Klimawandels. Die Be-ziehungen zwischen Energieverbrauch und Kli-mawandel sind nicht sinnlich wahrnehmbarund können nur durch wissenschaftliche Exper-tisen in das Bewusstsein der Menschen ge-bracht werden. Wegen der Angewiesenheit aufandere spielt bei der Beurteilung dieser Risiken

das Vertrauen in die Expertisen eine entschei-dende Rolle. Da niemand nachprüfen kann, obder Klimawandel wirklich aufgrund der Emis-sionen von klimaschädlichen Gasen erfolgt, istman darauf angewiesen, in der Debatte dereinen oder der anderen Seite Vertrauen zuschenken. Die Frage, wie stark der Klimawandeldie Menschheit bedroht, lässt sich nicht aus ei-gener Anschauung und aus eigener Erfahrungbeantworten. In einer Gesellschaft, in der aberwissenschaftliche Evidenz zunehmend als Aus-druck pluraler Interessenvertretung und persön-

licher oder sozialer Überzeugungen gesehenwird, finden sich immer genügend Stimmen, diediese systemischen Risiken verharmlosen, wäh-rend andere versuchen, sie offensiv in die Öf-fentlichkeit zu bringen .In diesem Konzert der verstärkenden und ver-harmlosenden Kommentare von echten odervermeintlichen Experten neigen die meistenMenschen dazu, eine Strategie des „Sowohl-als-auch“ einzunehmen. Wenn es darum geht,über die Unfähigkeit der Politik und über dieRaffgier der Wirtschaft zu klagen, dann wähltman gerne die Botschaften aus, die von einemhohen Bedrohungspotenzial des Klimawandelsausgehen. Wenn aber die Implikationen solcherBotschaften Rückwirkungen auf die Gestaltungdes eigenen Lebens haben, dann sind eher dieExperten gefragt, die stets beteuern, dass allediese Bedrohungen rein theoretischer Naturseien und man besser abwarten solle, ob sichdie langfristig befürchteten Klimakonsequenzenauch wirklich einstellen. Auf diese Weise kannjeder und jede mit gutem Gewissen auf die Un-fähigkeit der anderen verweisen und gleichzei-tig unbeschwert so leben, wie man das immerschon getan hat. Das bedeutet: Es ist mental

einfach, die Dramatik des Klimawandels alsabstrakte Bedrohung aufzugreifen, wenn manauf die Versäumnisse der anderen hinweisenwill, und diese Besorgnisse dann schnell zu re-lativieren, wenn es um das eigene Verhaltengeht . Insofern ist es auch nicht verwunderlich,dass trotz eines hohen Bekanntheitsgrads undeines hohen Problembewusstseins wirkungs-volle Handlungsweisen zur Eindämmung derklimaschädlichen Gase selten anzutreffen sind. Diese intuitiven Prozesse der Aufnahme von In-formationen führen also zu einer sehr ambiva-lenten Sichtweise von systemischen Risiken wiedem Klimawandel in der Gesellschaft. Sie wer-den nicht grundsätzlich verharmlost, aber dieuns angebotenen Deutungsmuster erzeugenkeine oder nur geringe Handlungsrelevanz. DieKommunikation über diese Risiken bleibt weit-gehend wirkungslos. Einschneidende Verhal-tensänderungen sind kaum zu erwarten undder Druck auf effektive Risikoregulierungendurch die Politik bleibt in engen Grenzen.

Politische Reaktionen auf das systemi-sche Risiko KlimawandelAuf diese systemischen Bedrohungen unsererWelt reagieren wir häufig mit zwei Mustern:zum einen mit einer oft bis zur Groteske sichsteigernden Katastrophenrhetorik und zum an-dern mit einem Achselzucken über die Unver-meidbarkeit von komplexen Risiken, an denenman selbst wenig ändern könne. Beide Reakti-onsmuster führen zur Lähmung und zu einerKapitulation vor diesen Risiken. Wenn wir unserVerhalten umstellen müssen, nehmen wir lieberdie Strategie des Achselzuckens und bedauern„zähneknirschend“, dass wir als Individuen andiesen globalen Bedrohungen einfach nichtsEntscheidendes ändern können. Gelingt es unsdagegen, die Schuld auf andere abzuschiebenoder suchen wir einen geeigneten Sündenbockfür die sich bereits abzeichnenden Symptomedieser Risiken, dann ist uns keine apokalypti-sche Vision schrecklich genug, um die drohen-den Katastrophen zu beschreiben. Beide Mustersind den systemischen Risiken nicht angemes-sen. Vielmehr noch: Sie sind direkt kontrapro-duktiv. Sie tragen dazu bei, dass wir nichts tun.Bleiben wir zunächst bei der ersten Reaktions-form, der zumindest rhetorisch überhöhten Be-schwörung von Katastrophen apo ka lyptischenAusmaßes.

Mythos: ApokalypseSolche apokalyptischen Visionen kommen meistin drei Varianten in der öffentlichen Diskussionzum Tragen. Die erste Variante lautet: Die Inter-ventionen des Menschen in den Naturhaushalthätten ein solches Ausmaß erreicht, dass die

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langfristige Überlebensfähigkeit der Natur in-frage gestellt sei. Diese These wird in vielfacherWeise durch Appelle wie „Rettet die Natur“ indie Öffentlichkeit getragen. Selbst der schon er-wähnte Brundtland Bericht ist von dieser Rhe-torik nicht ganz frei, wie das folgende Zitatzeigt: „Wir haben heute viele dieser Schwellen-werte fast erreicht; daher müssen wir uns dasRisiko vor Augen halten, dass wir das Überle-ben des Lebens auf der ganzen Welt ge - fährden.“ Ganze Umweltinitiativen haben sichdieser Aufgabe des Überlebenskampfes ver-schrieben. Obwohl sie wahrscheinlich das Rich-tige im Sinn haben, verkennt die These von derGefährdung der Natur die Grundlagen unsererExistenz innerhalb der Natur. Nicht die Natur istgefährdet, sondern, wenn überhaupt, derMensch sowie die Elemente, die Menschen inder Natur schätzen und benötigen. Selbst dergrößte atomare Vernichtungskrieg wird es nichtschaffen, die lebende Natur, d.h. die Fortset-zung von Leben auf der Erde (in welcher Formauch immer) auszulöschen. Die Natur hat schonwesentlich schlimmere Katastrophen überlebtals die „Dummheit“ der Menschen. Denn dieMenschheit wird wesentlich früher aussterben,als es ihr gelingen mag, die Natur zu zerstören.Die Notwendigkeit einer ökologischen Wendekann also nicht durch einen drohenden Kollapsder Natur begründet werden. Die Natur wirdweiter existieren, möglicherweise in einer an-deren Form – mit oder ohne Menschen. Das In-teresse der Menschen an der Vielfalt der Natur,am Fortbestand natürlicher Kreisläufe, am Er-halt bestimmter Natur- und Landschaftsformenist nicht aus einer der Natur innewohnendenLogik abzuleiten. Dieses Interesse speist sichvielmehr aus kulturell bestimmten Nutzungsan-sprüchen, aus unseren kulturell vermitteltenWertvorstellungen und ästhetischen Prinzipien.Die historische Umweltforschung hat uns deut-lich gezeigt, dass die kulturellen Zuschreibun-gen zu Objekten in der Natur, also die Be-stimmung der natürlichen Elemente, die in derNatur als erhaltenswert und wertvoll gelten sol-len, über die Jahrhunderte stetigen Schwankun-gen unterlagen. So wurden viele Kräuter, diewir heute achtlos als "Unkraut" ausreißen, inmittelalterlichen Klostergärten wegen ihresDuftes oder anderer bevorzugten Eigenschaftenliebevoll gepflegt. Selbstverständlich kann dasInteresse an bestimmten Elementen der Naturaus der (naturwissenschaftlich erworbenen) Er-kenntnis über den potenziellen Beitrag zum Er-halt natürlicher Kreisläufe genährt werden, esgibt aber keine naturwissenschaftlich begrün-dete oder begründbare Lehre vom Erhalt derNatur. Was erhaltenswert ist, lässt sich nurdurch ein kulturalistisches, d.h. von unseren

Deutungsmustern her bestimmtes Verständnisvon menschlichen Werten und Normen inBezug auf Natur und Umwelt erschließen. Damit komme ich zur zweiten Variante der apo-kalyptischen Visionen. Diese lautete: Mit derGefährdung der Natur geht eine Gefährdungder Menschheit einher. Nachhaltige Politikheißt, die Überlebensfähigkeit und damit dieZukunftsfähigkeit der Menschheit zum Angel-punkt des politischen Handelns zu machen.Auch hier ist wieder Vorsicht angebracht. Alsich noch in den USA das Institut für Friedens-und Konfliktforschung leitete, musste ich michintensiv mit Horrorszenarien einer atomarenKatastrophe auseinandersetzen. Diese Szena-rien gehen von einem völlig ungehemmten undentfesselten Atomkrieg aus. Selbst unter diesenapokalyptischen Bedingungen gibt es nur we-nige Szenarien, bei denen die Menschheit alsSpezies komplett ausgelöscht würde. Zwar er-folgt eine drastische Reduzierung der Mensch-heit und die natürlichen Lebensgrundlagenwürden durch atomare Verseuchung und Zer-störung weitgehend vernichtet, dies erfolgtaber nicht in dem Ausmaß, dass Menschen undTiere keine Nahrung mehr finden könnten. Diese Einsicht gilt erst Recht für schleichendeKatstrophen, wie etwa den Klimawandel, Fi-nanzkrisen und Identitätsverluste. Die Mensch-heit als Ganzes steht hier nicht auf dem Spiel.Und für Deutschland sind alle diese systemi-schen Risiken nicht existenzbedrohend. Sie wer-den, falls es zu den mit den Risiken verbun-denen Krisen kommt, unsere Lebensqualitätstark beeinträchtigen und möglicherweisesogar den Trend zur höheren Lebenserwartungdurchbrechen. Aber sie werden nicht das ganzeLand in Elend und Not stürzen. Das sollte vonuns nicht als Beruhigungsmedizin verstandenwerden, sondern im Gegenteil als eine Ermun-terung, etwas zu tun, denn die Aufgaben, diewir zu bewältigen haben, sind nicht unlösbarund der Preis des Scheiterns überschaubar. Dass Menschen auch die schlimmsten systemi-schen Risiken überstehen können, ist aber nichtmein wesentliches Argument. Mein Problemmit dieser Vision der Apokalypse rührt daher,dass die vermeintliche Überlebensfähigkeit desMenschen in den Mittelpunkt der Betrachtun-gen um den Umgang mit systemischen Risikengestellt wird, anstatt die Qualität des Überle-bens zum Angelpunkt zu machen. Wenn mansich um das Überleben der Menschheit Sorgenmacht, dann sind letztlich alle Mittel, die wirzur Abwendung dieser Katastrophe zur Verfü-gung haben, moralisch gerechtfertigt. Dannsind wir allzu schnell bei der Ökodiktatur. Ausdiesen Überlegungen folgt, dass wir uns nichtvon der Sorge um die Überlebensfähigkeit der

✮✮✮ Ortwin Renn ist Ordinarius für Um-

welt- und Techniksoziologie an der Univer-

sität Stuttgart und wissenschaftlicher

Direktor am Institute for Advanced Sustai-

nability Studies (IASS) in Potsdam. Von 1992

bis 2003 gehörte er dem Vorstand der Aka-

demie für Technikfolgenabschätzung in

Baden-Würtemberg an und war zuletzt

deren Direktor. ✮✮✮ Zu seinen zahlreichen

wissenschaftlichen Funktionen zählen die

Leitung des Nachhaltigkeitsbeirats des Lan-

des Baden-Württemberg (2006 bis 2012)

und die Mitgliedschaft in der von Bundes-

kanzlerin Angela Merkel berufenen Ethik-

kommission „Zukunft der Energie versor-

gung“. Von 2103 bis 2014 gehörte er dem

„Science and Technology Advisory Council“

an, einem Beraterstab für EU-Kommissions-

präsident Jose Manuel Barroso. 2013 wurde

er für ein Jahr zum Präsidenten der Interna-

tionalen Gesellschaft für Risikoanalyse (SRA)

ernannt. Renn ist Mitglied im Präsidium der

Deutschen Akademie für Technikwissen-

schaften (Acatech) und im Senat der Berlin-

Brandenburger Akademie der Wissenschaf-

ten (BBAW). ✮✮✮ Renn studierte Volkswirt-

schaftslehre, Soziologie und Journalistik an

der Universität zu Köln und promovierte im

Fach Sozialpsychologie an der dortigen

WISO-Fakultät. Als Wissenschaftler und

Hochschullehrer arbeitete er in Deutsch land,

den USA, der Schweiz und in China. Renn er-

hielt viele Auszeichnungen, darunter den Eh-

rendoktor der ETH Zürich, die Ehrenpro-

fessur der Technischen Universität München

sowie den „Distinguished Achievement

Award“ der Internationalen Gesellschaft für

Risikoanalyse (Society for Risk Analysis). Seit

2007 ist Renn außerdem Honorarprofessor

der Universität von Stavanger für „Integra-

ted Risk Research“, seit 2009 Gastprofessor

an der Normal University in Peking und seit

2011 Ehrenprofessor an der Technischen

Universität München. ✮✮✮ Zu den Publika-

tionen von Ortwin Renn gehören über 30

Monografien und editierte Sammelbände

sowie mehr als 250 wissenschaftliche Publi-

kationen. Besonders hervorzuheben sind

sein 2014 erschienenes Buch „Das Risikopa-

radox. Warum wir uns vor dem Falschen

fürchten“ (Fischer: Frankfurt am Main) sowie

sein 2008 erschienenes Werk: Risk Gover-

nance" (Earthscan: London). ✮✮✮

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Menschheit leiten lassen sollten. Diese ist ers-tens kaum in Gefahr und sie verdeckt zweitensdie im Postulat der Nachhaltigkeit enthalteneAufgabe, künftigen Generationen nicht nur das Überleben, sondern vor allem ein Leben unterhumanen menschenwürdigen Bedingungen zugewähren. Diese humanen Bedingungen imEinzelnen festzulegen, ist wiederum eine be-sondere Kulturleistung, in der wissenschaftlicheForschung und praktische Ethik Hand in Handgehen müssen.Allerdings mehren sich die Anzeichen dafür,dass trotz beschleunigter Innovationen zur An-passung der Produktionsbedingungen an dieMenschheitsentwicklung die globale Trageka-pazität nicht mehr mit dem Wachstum derMenschheit weltweit und dem steigenden Kon-sumniveau Schritt halten kann. Bevölkerungs-wachstum und Konsumhunger übersteigen dieFähigkeit der menschlichen Kultur, die Fort-schritte bei den Produktionsbedingungen mitden zunehmenden Nutzungsansprüchen derMenschheit an die Natur in Einklang zu brin-gen. In den Entwicklungsländern wächst dieBevölkerung, in den entwickelten Ländern derKonsumhunger schneller als die durch techni-schen Fortschritt und Organisationswandel aus-gelöste Erhöhung der Produktivität. Zurzeit istdie notwendige Balance, das erforderlicheGleichgewicht zwischen Nutzungsrate und Nut-zeneffizienz, gestört. Dies ist das Grunddi-lemma der heutigen Umweltsituation. Bevöl-kerung und Konsumhunger wachsen erstensschneller, als wir Verfahren und Vorsorgemaß-nahmen entwickeln und einsetzen können, umdie damit einhergehende Beanspruchung dernatürlichen Umwelt auszugleichen. Die syste-mischen Risiken sind zweitens globaler Naturund bedrohen aufgrund der vielfältigen Vernet-zungen potenziell alle Menschen. Die Auswir-kungen menschlicher Eingriffe greifen drittenstiefer in die natürlichen Kreisläufe ein als in derVergangenheit, und diese Eingriffe erfolgenviertens im Zeitraffereffekt . Die ökologische Bedrohung ist also real. Andersals die apokalyptische Variante dieser Vision na-helegt, können wir aber viel zur Verbesserungder Lage beitragen. Wir sind nicht darauf ange-wiesen, uns auf Verteilungskriege einzustellenund unseren Besitzstand zu wahren. Wir kön-nen zum einen die Ansprüche an die Naturnut-zung herabschrauben (durch Maßnahmen derfreiwilligen Bevölkerungskontrolle und durchReduktion des individuellen Konsums), zum an-deren aber die Produktivität der Umweltnut-zung weiter verbessern, um durch Maßnahmender Effizienzsteigerung und durch technischebzw. organisatorische Innovationen den Nutzenpro Einheit "Umwelt" stetig zu erhöhen. Die

Reduzierung der Ansprüche bei den reichenLändern und die Verbesserung der Ökoeffizienzsind zwei gleichzeitig zu verfolgende Strate-gien. Mit ihrer Hilfe kann man dem heutigen Di-lemma der begrenzten Ressourcen beigleichzeitigem Wachstum der Bevölkerung unddes individuellen Anspruchsniveaus entkom-men und auch unter der Bedingung der heuti-gen Bevölkerungsdichte das Ziel einerEntwicklung zu einer dauerhaft produktivenWirtschaftsstruktur und zu konstanten huma-nen Lebensverhältnissen für alle beibehalten.Dabei muss man sich aber im Klaren sein, dassdiese Doppelstrategie ein ordnungspolitischerSpagat darstellt: Ökoeffizienz heißt mehrMarktwirtschaft unter Einbeziehung der Um-weltkosten, Reduktion des Konsums, mehr öf-fentliche Steuerung. Mehr Effizienz bedeutetbessere Nutzung der Naturreserven, sie bedeu-tet aber auch weniger Resilienz gegenüber an-deren systemischen Risiken. Kurzum: Die These, wir liefen ungebremst einerKatastrophe apokalyptischen Ausmaßes entge-gen, entbehrt jeder sachlichen Fundierung.Wenn überhaupt Apokalypse angesagt ist, dannwäre es die Kollision eines großen Meteoritenmit der Erde. Diese Bedrohung ist leider wahr-scheinlicher, als wir es gern wahrhaben wollen.Aber alles, was Menschen heute an Zerstörungund systemischen Risiken auslösen können,wird weder die Natur als Ganzes gefährden,noch die Menschheit ausrotten und auch nichtdie Handlungsfähigkeit der Weltgemeinschaftaußer Kraft setzen. Die Bedrohungen durch sys-temische Risiken sind real, aber nicht überwäl-tigend.

Mythos: HandlungsunfähigkeitDie trügerische Hoffnung, dass sich schon imLauf der Zeit von alleine eine Lösung findenwerde und dass die durch die systemischen Ri-siken ausgelösten Krisen weniger krisenhaftausfallen werden als heute vermutet, ist nichtnur blauäugig, sondern verfehlt auch die grund-sätzliche Erkenntnis, dass systemische Risikenkeine unabwendbaren Schicksalsschläge sind,sondern Folgen von menschlichen Handlungen,von Entscheidungen einzelner Menschen wievon den Steuerungsbeschlüssen der Wirtschaftund Politik. Leider neigen wir dazu, diese Be-drohungen, wenn sie uns nicht passen, aus un-serem Sichtfeld zu verbannen. Dass uns das sogut gelingt, hängt von vier kollektiven Verhal-tensmustern ab, mit denen wir systemische Ri-siken wahrnehmen, bewerten und steuern. Essind die Allmende Falle, die Effizienzfalle, dieHybris Falle und die Autonomie Falle.Da viele der systemischen Risiken auf Güter be-zogen sind, die nicht privat durch die Wirtschaft

bereit gestellt, sondern das öffentliche Wohlinsgesamt betreffen, wie gute Umweltqualität,Funktionsfähigkeit der wirtschaftlichen und po-litischen Abläufe, öffentliche Sicherheit, Steue-rungsfähigkeit kollektiver Prozesse und Ver-trauen in die Leistungsfähigkeit gesellschaftli-cher Institutionen, treten alle Probleme, die mitöffentlichen Gütern verbunden sind, auch beiden systemischen Risiken zutage. ÖffentlicheGüter, die von allen genutzt werden können,ohne dass diese selbst dazu einen Beitrag leis-ten müssen, werden entweder übernutzt odererst gar nicht angeboten, weil jeder daraufhofft, dass der jeweils andere dafür zahlenwird. Im Endeffekt tut es dann keiner. Möglich-keiten, um das Dilemma öffentlicher Güter zuüberwinden, bestehen darin, mithilfe von Ei-gentumsrechten Verantwortlichkeiten zu schaf-fen, globale Regeln der Zuständigkeiten undVerantwortlichkeiten festzulegen und/oder imRahmen kooperativer Entscheidungsfindung zufreiwilligen Selbstverpflichtungen zu kommen.Jeder Einzelne hat auch das Gefühl, nur margi-nal zu den Risiken beizutragen, was wiederumdie Motivation zum Handeln erlahmen lässt.Auf kollektiver Ebene der Staaten kommt keineVereinbarung zustande, weil jeder hofft, alsFreifahrer in die Vorzüge der ausgehandeltenBestimmungen zu kommen, ohne sich selbst anden Kosten zu beteiligen. So entsteht ein Teu-felskreis von strategischem Handeln und ge-genseitiger Lähmung. Die Wirksamkeit dieses Teufelskreises wirddurch die anderen Fallen unterstützt. Mit zu-nehmender Effizienzausrichtung steigt die Ver-wundbarkeit unserer Institutionen und Infra-strukturen, weil große zentrale Einrichtungenmit entsprechend hoher Vernetzungsdichte inder Regel kostengünstiger Leistungen anbietenkönnen als viele dezentrale, autonome Einhei-ten. Diese Entwicklung geht aber auf Kostenhöherer Verwundbarkeit, so dass im Krisenfalleine Kaskade von Schäden zu erwarten ist . DieFinanzkrise ist dafür ein passendes Beispiel .Verstärkt wird diese Verwundbarkeit durch dieHybris Falle, die uns mehr Zuversicht in die Leis-tungsfähigkeit unseres Wissens, unserer Technikund unserer Organisationsformen verspricht,als wir dies realistisch erwarten dürfen. Schließ-lich sorgt die Autonomie Falle dafür, dass wir injedem der Funktionsbereiche Industrie, Finan-zen, Umwelt oder soziale Absicherung die je-weils partielle Leistung zu optimieren versu-chen. Dabei verlieren wir aus den Augen, dassmit jeder einseitigen Optimierung Folgekostenin anderen Funktionsbereichen anfallen, die inder Regel nicht bedacht oder auch unterschätztwerden. So kann es, wie der Soziologe UlrichBeck an vielen Beispielen nachgewiesen hat,

dazu kommen, dass im Rahmen eines Funkti-onsbereiches sinnvolle und wirksame Maßnah-men zu vielen und schwerwiegenden negativenNebenfolgen in anderen Bereichen führen, dieden erwünschten Haupteffekt bei weitem über-decken.

AusblickDas systemische Risiko Klimawandel ist dieSpeerspitze unter den ökologischen Bedrohun-gen der Menschheit. Es ist keineswegs so, dassbereits heute dieses Risiko hohe Verluste imSinne von Menschenleben fordern würde. Hiersind andere ökologische Probleme, wie etwaverschmutztes Trinkwasser oder mangelnde Hy-giene wesentlich dramatischer in ihren Schad-wirkungen. Die Zahl der heute schon zubeklagenden Opfer des Klimawandels ist auchnicht der entscheidende Grund für die Bedroh-lichkeit dieses systemischen Risikos. Der Klima-wandel ist schleichend, viele der Effekte tretenaufgrund der Vernetzungen dort auf, wo mansie nicht erwartet, d.h. sie entziehen sich zumgroßen Teil unserer Aufmerksamkeit. Was genaumit was kausal zusammenhängt, bleibt der Sin-neswahrnehmung weitgehend verschlossen.Zudem erfordert der globale Klimawandel vielGeld für die Vermeidung, ohne dass man denErfolg direkt sehen kann, und er kann wie beimKippeffekt eines Sees zu plötzlichen katastro-phalen Ereignissen führen, die man aufgrundder nur langsam voranschreitenden Verände-rungen so gar nicht vermutet hätte . Gerade weil die Gesellschaft mit nichtlinearen,überraschenden Reaktionen rechnen muss, ver-sagen die intuitiven Faustregeln und Wahrneh-mungsmuster, die auf diese Art von Bedro-hungen nicht ausgerichtet sind. Umso wichtigerist es deshalb, die Schwächen der eigenenWahrnehmung und Bewertung genau zu ken-nen und sich vor allem deren Grenzen bewusstzu machen. Für eine effektive Risikoreduktionbei systemischen Risiken wie dem Klimawandelbenötigen Politiker wie Bürger einen kühlenKopf, eine gute Selbsterkenntnis und den Mut,auch dann einschneidende Maßnahmen zu for-dern bzw. zu tolerieren, wenn es noch nicht zuschweren Krisen gekommen ist.

Essener Klimawocheaus dem Themenkatalog:

Weltweit längstes Supraleiterkabel in Essen zu besichtigen 18/04 10.00 -16.00 Uhr Umspannanlage, Herkulesstr. 32 Fördermöglichkeiten bei derenergetischen Sanierung 18/04 17.00 Uhr Energiefabrik Essen, HinsbeckerLöh 46 Regenwasser: Kosten sparen durch Versickerung 18/04 16.00 -18.30 Uhr BEW - Das Bildungszentrum fur die Ver- und Entsorgungswirt-schaft GmbH, Wimberstr. 1 Kompetenz im Verbund – Planen, Bauen, Mo-dernisieren 19/04 9 - 16.00 Uhr Firmengebäude Kompetenz im Verbund,Lahnbeckestr. 2 Frischluft im Emscher Landschaftspark Am Mechtenberg19/04 10.00 - 16.00 Uhr Am Mechtenberg/Dickmannsweg Essen im Wan-del - Aktionen mit Transition Town Essen 19/04 18.15 - 20.30 Uhr Volks-hochschule, Burgplatz 1 Tag der offenen Tur Energiefabrik-Essen 20/0410.00 - 18.00 Uhr Energiefabrik Essen, Hinsbecker Löh 46 Über den Dä-chern von Essen 20/04 15.00 - 18.00 Uhr E.ON-Gebäude Brusseler Platz 1„Mach was draus“ Upcycling fur Kinder 20/04 15.00 - 19.00 Uhr Natur-schutzjugend Essen/Mulheim e.V., Möllhoven 62 KWK KONKRET! - Einsatzvon Blockheizkraftwerken im Hotel-und Gaststättengewerbe 20/04 16.00- 18.30 Uhr Hotel Böll Essen, Altenessener Straße 311 Heizsysteme mitZukunft - Vortrag in der Energiefabrik Essen 21/04 18.00 - 20.30 Uhr Ener-giefabrik Essen, Hinsbecker Löh 46 Mit Gemeinschaftsgärten zur „Ess-baren Stadt“ 20/04 19.00 - 21.30 Uhr Volkshochschule, Burgplatz 1Schnippeldisco 21/04 11.00 - 15.00 Uhr Café des Studierendenzentrumsdie BRÜCKE, Campus Essen, Universitätsstraße 19 Dann kommen wir haltzu Dir – Klimaschutz in Essen, der Grunen Hauptstadt Europas 2017 21/0412.00 - 18.30 Uhr Marktplatz Holsterhausen, Gemarkenstraße Klimabraucht Handwerk - Aktive Unternehmen präsentieren sich 21/04 14.00- 18.30 Uhr Handwerkszentrum Ruhr, Mulheimer Straße 6, 46049 Ober-hausen „Mach was draus“ Upcycling fur Kinder 1/04 14.00 - 18.30 UhrNaturschutzjugend Essen/Mulheim e.V., Möllhoven 62 Naturlinie 105 –Stadtnatur in Essen mit der Straßenbahn entdecken 21/04 15.00 - 18.00Naturschutzjugend Essen/ Mulheim e.V. Möllhoven 62 EcoCockpit – Ein-stieg CO2-Bilanzierung fur Pragmatiker 21/04 15.00 - 18.00 Uhr Industrie-und Handelskammer, Am Waldthausenpark 2 Stadtgezwitscher - Vorträgefur mehr Lebensqualität im Klimaschutz 21/04 18.30 - 22.00 Uhr Volks-hochschule Essen, Burgplatz 1 Klima- und Umweltschutz im Islam 22/0413.00 - 15.00 Uhr Schalker Str. 23 - 25 Is(s) wat!? Klimafreundlicher Koch-abend 22/04 18.00 - 21.00 Uhr Naturschutzjugend Essen /Mulheim e.V.,Möllhoven 62 BAU-TAGE des Essener Handwerks KreishandwerkerschaftEssen 22/04 10.00 - 18.00 Uhr 23/04 10.00 - 16.00 UhrKatzenbruchstr. 71Dann kommen wir halt zu Dir - Klimaschutz in Essen 23/04 08.00 - 14.00Uhr, Ruttenscheider Platz Cyclehack Essen – auf dem Weg zur Fahrrad-stadt Essen 22/04 10.00 - 17.00 Uhr Café des Studierendenzentrums dieBRÜCKE, Universitätsstraße 19 Radtour zur Klimawoche Ruhr 2022 23/0411.00 Uhr City-Nord Park im Universitätsviertel Klima- und Umweltschutzauf dem UNESCO-Welterbe Zollverein – eine Fahrradexkursion 23/04 11.00- 14.00 Uhr Zollverein, Ehrenhof ausgebuxt & eingefangen 23/04 11.00 -16.00 Uhr Naturschutzjugend Essen/Mulheim e.V., Möllhoven 62 Schnup-pernachmittag im Gemeinschaftsgarten im Siepental 23/04 15.00 - 18.00Uhr Siepenstraße /Ahrfeldstraße 3. Hausbesichtigungstag 24/04 verschie-dene Standorte im Stadtgebiet Essen, Klimaagentur Essen, Allbau AGMeins & Deins/Kleidertauschtag 24/04 15.00 - 18.00 Uhr Naturschutzju-gend Essen/Mulheim e.V., Möllhoven 62 Radtour zur Abschlussveran-staltung Stadt-Rad-Kanal 24/04 10.00 - 18.00 Uhr Rheinische Str. 56

Informationen unter: www.klimawerkstadtessen.de

Journal3Klima

Informationen zumKlimaschutz in Essen

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: P.U

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Nur wer im Wohlstand lebtspart angenehm