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Historische Blätter JAHRGANG 6 · AUSGABE NR. 49 · 2015 black cyan magenta yellow IZA Seite 22 Von Paul M. Ostberg Als wir in der Anato- miestraße beginnen, einen Rundgang durch die Altstadt - als erstes das „Rote Viertel“ - zu machen, fragt mich als einen Zeitzeugen der Nach- kriegszeit Frau Dr. Schöne- wald, die Leiterin des Stadt- museums: „Sagen Sie, wie haben eigentlich die Ameri- kaner gerochen?“ Sie mein- te damit, die ersten Ami- Truppen, die in Ingolstadt 1945 eingezogen sind und uns befreit haben. Und die- se Situation und die Gerüche nach Benzinschwaden, Ziga- retten, Kaugummi und Scho- kolade waren sofort wieder gegenwärtig. Die alten Bil- der und Erlebnisse standen schlagartig vor mir. Ich konn- te ziemlich genau beschrei- ben, was da so alles los war, welche Ereignisse und Erleb- nisse sich bei mir eingra- viert hatten. Und nach einen zweiten Zeitzeugen-Rund- gang kam die Idee auf, die- se Geschichtserlebnisse auf- zuschreiben und in einem Buch auch zu veröffentlichen. Erlebte Geschichte, darge- stellt in autobiografischen Geschichten. Es geht dabei um die letz- ten Tage im Luftschutzkeller des Scherbelbergs, Kinder- erlebnisse mit den Ame- rikanern, Entnazifizierung, gefährliche Spiel in Ruinen, Schwimmkurse im Alten Volksbad, Winter auf dem Künettegraben, Hamstern in der schlechten Zeit, Motorrad- rennen „Rund um die Schanz“ und die Fußball-Weltmeister- schaft, Volksfest, Zirkus und Angerer-Tanzkurse, Fasching und Ingolstädter Fußball, Eis- stoß auf der Donau – und noch vieles mehr. Dazu historische Fotografien aus dem Fun- dus des Stadtmuseums und meiner privaten Sammlung. Dazwischen bunte Zeichnun- gen aus meiner Schulzeit. Es ist so ein Buch entstan- den, das nicht nur für „Alte Ingolstädter“ interessant ist und Erinnerungen wach- ruft, für „Junge Ingolstädter“ Geschichte lebendig werden lässt, sondern auch für his- torisch Interessierte bisher Unbekanntes ans Tageslicht fördern kann. Die Leser können so ein- tauchen in die Ingolstädter Altstadtwelt zwischen 1945 und 1965. Und wenn Sie selbst Geschichten berichten können, oder sogar selbst schreiben, so sagen Sie uns das einfach. Ein weiteres Buch mit autobiografischen Geschichten und Geschichte ist geplant. Rund um den Scherbelberg Erlebte Geschichten aus Kin- dertagen und Jugendzeit 1945 - 1965 Herausgeber: Historischer Verein Ingolstadt e.V. Geschäftsstelle: Auf der Schanz 45 ISBN 978-3-932113-68-0 Preis: 9,90 € Erhältlich an der Museums- kasse des Stadtmuseums Ein autobiografisches Geschichts- und Geschichtenbuch entsteht Ingolstädter Geschichte 1945 -1965 Noch gegenwärtig in Ostbergs Erinnerungen ist das Eislaufen am Künettegraben. Foto:Stadtarchiv Eine Fotografie aus Paul M. Ostbergs Kinderzeit auf der Schanz. Foto: privat (Historische) Diskriminierung der Raucher Vierter Teil: Kapplers Klage über die Schlechtheit der Welt – vornehmlich jene, der Raucher – und die frühe Kunst der Skandalisierung Von Gerd Treffer Kappler beginnt seine Schrift mit einer drastischen Schilderung – so tief sei die Welt gesunken „da in unse- ren Tagen der Knabe schon eine Pfeife im Munde führet, der Jüngling seinen Stolz und sein Ansehen darein setzt…“ (S. 3). Und zunächst rätselhaft, fügt er hinzu: Da (in unsern Tagen…) „der Musensohn in Jena sich dieses rauchenden Instruments bei seiner Papst- wahl bedienet…“ Das bedarf der Erklärung: er habe, sagt Kappler „mit vieler Erbauung“ (was immer er damit sagen will) gesehen, wie die Musen- söhne (will heißen Studenten) in Jena (will heißen im Protes- tantenland) „bei ihren Saufge- lagen einen Papst wählen“. (S. 3). „Man stellt … einen Ses- sel auf die Tafel, auf welchen sich ein Saufbruder setzt. Die herumstehenden Brüder über- decken ihn mit einer großen Lacke, trinken und brüllen ihm so lange zu und blasen den Tabakdampf in so dicken Wolken unter das Tuch bis Sei- ne Heiligkeit ohnmächtig von ihrem Sitz herabfällt. Hiermit hat die Adoration ein Ende“ (S. 3). Kappler nennt dies „ein höchst unmoralisches Spiel“ (S. 3). Nicht nur Studenten, auch „der gestandene Mann und ehrwürdige Greis“ täte sich heutigentags mit Tabak güt- lich – „ja selbst einige Husa- ren aus dem weiblichen Geschlecht“ – da muss man sich nicht wundern, dass das „gemeine Volk“ in all dem „eine Art von Rechtsprechung für das Tabakrauchen“ sieht. Kappler walzt als psycholo- gisch geschulter Religiöser die Schändlichkeit der Aktua- lität aus. Vielleicht ist er sich dessen nicht bewusst – aber diese Methode wird Schule machen – er wendet sich nicht an die Obrigkeit – er appel- liert an die Leute. Eigentlich ist das unerhört. In absolutis- tischer Zeit hatte man unter- tänigst remonstriert – da war aber die Revolution gewesen – und politisch aktiv war nun auch der individuelle Adres- sat zu bedrohen. So entstand auch die Methode der Skan- dalisierung. Kappler hat ihre Stufen vermutlich nicht in ihrer Tragweite erkannt, sie aber gleichwohl ausgetes- tet. Da ist erstens das Bejam- mern der aktuellen Zustän- de – o tempora, o mores. Es folgt die – Behauptung der Schädlich- keit des inkriminierten Ver- haltens – das macht den Han- delnden zum Beschuldigten. – Besagte Schädlichkeit beschädigt mithin den Beschuldigten zunächst als Person. Dann aber geht es um dessen Rolle als Schädi- ger seiner Umwelt. – Man ruft Gott und die Welt zum Zeugen, dass auch sie die Sündhaftigkeit solchen Tuns erkannt haben – und damit ist plötzlich der indi- viduell Handelnde (hier der Raucher) plötzlich ein (Volks-) Schädling. – Man fordert dann (impli- zit) die weltliche (man heißt das noch nicht staatliche, gesetzgeberische Macht auf, zu handeln („Was muss noch alles passieren, ehe es zum großen Unglück kommt…“ – eine Methodik, die zeitlos funktioniert: ein Totschlag- Argument, das immer wirkt, ist die medial verbreitete Äußerung junger Mütter, die einen Zebrastreifen vor der Haustür fordern und sagen: „muss erst ein Kind totge- fahren werden“). – Und so entwickelt sich gradu- ell ein individuelles Handeln (Rauchen) zu einem gesell- schaftlichen Handeln, das zu regulieren, Sache, ja Pflicht der Gemeinschaft (in Form gesetzgeberischer Normset- zung) ist. Und dass die Skandalisie- rung tatsächlich die Gemüter erregt, sagt der Skandalierer, im konkreten Fall Professor Kappler, nicht. Kein Wunder: Genau das hat er ja bewir- ken wollen. Und natürlich, sei es ihm fern – ja nachgera- de wesensfremd – den Leuten irgendeinen Spaß verderben zu wollen – besonders nicht den jungen Geistlichen, die er doch gerade auffordere, sich „unters Volk zu mischen“ und an seinen Freuden teilzuhaben – aber muss es denn gerade das Rauchen sein? Von Gerd Treffer Vor gut 400 Jahren, 1611 (ohne dass man Tag und Monat wüsste), kam Wil- helm Ludwig Benz (Bennz) in Kienzheim im Elsaß zur Welt. Später wird es heißen: „Das schöne Elsaß, das der Diöze- se des hl. Willibald ehedem in der Person des Cisterzienser- mönches Philipp von Rath- samshausen einen Bischof (1306 – 1322) geschenkt hat- te, gab derselben auch einen Weihbischof: Wilhelm Ludwig Benz“. Unter dem Datum des 8. November 1627 ist er als logicae studiosus in der Matri- kel der Universität Ingolstadt verzeichnet. Zu einem Studie- nabschluss ist nichts bekannt. Benz hatte jedenfalls keinen akademischen Grad vorzu- weisen, als er sich neun Jahre später in Ingolstadt als Lehrer bewarb. 1628 – 35 hatte er in Rom am Collegium Germanicum studiert (und wird deshalb auch in der von A. Hirschmann erstellten Serie „Eichstätt’s Germaniker“ im Pastoralblatt des Bistums Eichstätts, 43. Jg. / 1896, S. 126 f. aufgeführt). 1638 bewarb er sich von Konstanz aus um die „Cathed- ra theologiae polemicae“ und die damit verbundene „Par- ochia academica“ am Ingol- städter Münster. Um dieses Amt bemühte sich auch Georg Reißmiller, der Hofprediger in Eichstätt war. Benz, von den Jesuiten protegiert, trug den Sieg davon („Auf Empfehlung der theologischen Fakultät erhielt Bennz, welcher in Eile die philosophischen und theo- logischen Grade sich erwor- ben hatte, die beiden Ämter“ – heißt es in „Eichstätt’s Ger- maniker“). Am 4. November 1636 hielt er seine Antrittsvorle- sung, in der er das Thema „An plus utilitatis literarium bellum discordesque animi / an pax et quies literaria repu- blicae christianae parturiat?“ behandelte. Sie wurde zum Auftakt einer knapp zwan- zigjährigen Lehrtätigkeit für Kontroverstheologie. Schon seit Juli diesen Jahres hatte er die seit der Gegenreformation mit dem Lehrstuhl der Kontro- versen verknüpfte Eichstätter Domherrenpraebende inne. „Seit Gründung der Univer- sität Ingolstadt 1472 wurde immer eine Eichstätter Dom- herrenpräbende einem der dortigen Theologieprofesso- ren verliehen. Seit der Gegen- reformation war es stets der Ordinarius für Kontrovers- theologie…“ (schreibt Hugo Braun in seinem Werk „Das Domkapitel zu Eichstätt von der Reformationszeit bis zur Säkularisation (1535 – 1806) – Verfassung und Personal- geschichte“, Stuttgart, 1991). Das Präsentationsrecht auf diese Pfründe hatte der Her- zog bzw. Kurfürst. Installati- on und Poseßgebung nahm das Domkapitel vor. Der Inha- ber war – anstelle der Dom- herrenresidenz – verpflichtet, an der Universität zu lehren. Er hatte kein Anrecht auf Sitz und Stimme im Kapitel und wurde von den übrigen Dom- herrn nicht als gleichberech- tigt anerkannt, sondern als Presbyteralkanoniker behan- delt . Bezeichnet wurde er meist als „der in Ingolstadt lehrende Theologus“ oder knapper noch als „Theolo- gus“. Erster auf dieser Profes- sorenpfründe war 1511 – 1543 Johannes Eck. Benz war neunmal Rek- tor der Universität, erstmals 1637, letztmals 1653. Unter seinem letzten Rektorat wur- de für alle Promovenden und Professoren die Pflicht ein- geführt, einen Eid auf die Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariens zu leis- ten. Die feierliche Eidesleis- tung fand am 8. Dezember statt. Anstelle des Fürstbi- schofs Marquard II. nahm der Abt Dominicus des Benedik- tinerstifts Plankstetten das Gelöbnis entgegen: Ego N.N. spondeo, voveo, ac juro, me juxta summorum pontificum Pauli V et Gregorii XV consti- tutiones, publice ac privatim velle pie tenere et assere- re: beatissimam Mariam Vir- ginem Dei genitricem abs- que originalis peccati macula conceptam esse, donec aliter a Sede Apostolica definitum fuerit. Sic me Deus adjuvet et haec sancta Die evangelia. Um Rangstreitigkeiten zu ver- meiden, nahm Benz als Rek- tor an dem Festmahle nicht theil, das auf kurfürstlichen Befehl der Stadtkommandant Franz Graf Fugger im Schlos- se veranstaltete (Mederer, Annal. ingolst. II, 334). Alle Promovenden und Professoren hatten von da ab den Eid auf die Lehre der unbefleckten Empfängnis Mariens zu leisten. Als der Eichstätter Weih- bischof Georg Rösch verstarb „fiel das Auge Marquards auf Bennz“ (Hirschmann). Am (30. oder ) 31. Januar 1656 wurde Benz durch (den Weihbischof) Kaspar Seiler von Augsburg zum Titularbischof von Darda- nia (in der seinerzeit „klein- asiatischen Provinz Lydien“; Hirschmann) und Weihbischof in Eichstätt ernannt. Im März verließ er die Universität. In Eichstätt war er Präsident des Geistlichen Rates. Benz lud zur Weihe sei- ne ehemaligen Kollegen aus der Ingolstädter Fakultät nach Eichstätt ein. Dieser „festliche Tag am fürstbischöflichen Hof fand… literarische Beachtung (schreibt Andreas Bauch unter der Überschrift „Bischof, Pro- fessoren und Studenten“ im Sammelblatt des Historischen Vereins Eichstätt 65/66 Jg. / 1972/73) Bernhard Lerchen- feld – der 1643 - 46 Professor in Ingolstadt und dann Rektor in Altötting war – überreichte dem neuen Weihbischof am 30. Mai 1656 ein „Horologium piarum actionum“. Benz lebte 27 Jahre lang als Weihbischof – bis 1683. 1660 – 1665 und 1667 – 1675 war er Offizial. 1660 – 1675 war er zudem Generalvikar und als Weihbi- schof auch Propst der verei- nigten Chorstifte St. Emmer- am und St. Nikolaus in Spalt. So mancher von Eichstätt aus geförderte Student hat seinen Mäzenen durch eine Buchwidmung gedankt. Dar- unter ist 1663 Johannes Hue- ber aus Wemding, der seine „Disputatio theologica“ über die Objekte des Glaubens mit einer Widmung an Weih- bischof Benz versieht. Bei Hirschmann heißt es: „27 Jah- re trug er ( Benz) die Insul mit Ehren“. Benz starb am 11. Februar 1683 und wurde in der Eich- stätter Dominikanerkirche bestattet. 20 Jahre Professor für Kontroverstheologie in Ingolstadt und später Weihbischof in Eichstätt Professor Wilhelm Ludwig Benz

Ingolstädter Geschichte 1945 -1965 Blaetter 2015... · sel auf die Tafel, auf welchen sich ein Saufbruder setzt. Die herumstehenden Brüder über-decken ihn mit einer großen Lacke,

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Historische Blätter Jahrgang 6 · ausgabe nr . 49 · 2015

black cyan magenta yellowIZA Seite 22

Von Paul M. OstbergAls wir in der Anato-

miestraße beginnen, einen Rundgang durch die Altstadt - als erstes das „Rote Viertel“ - zu machen, fragt mich als einen Zeitzeugen der Nach-kriegszeit Frau Dr. Schöne-wald, die Leiterin des Stadt-museums: „Sagen Sie, wie haben eigentlich die Ameri-kaner gerochen?“ Sie mein-te damit, die ersten Ami-Truppen, die in Ingolstadt 1945 eingezogen sind und uns befreit haben. Und die-se Situation und die Gerüche nach Benzinschwaden, Ziga-retten, Kaugummi und Scho-kolade waren sofort wieder gegenwärtig. Die alten Bil-der und Erlebnisse standen schlagartig vor mir. Ich konn-te ziemlich genau beschrei-ben, was da so alles los war, welche Ereignisse und Erleb-nisse sich bei mir eingra-viert hatten. Und nach einen zweiten Zeitzeugen-Rund-gang kam die Idee auf, die-se Geschichtserlebnisse auf-zuschreiben und in einem Buch auch zu veröffentlichen. Erlebte Geschichte, darge-

stellt in autobiografischen Geschichten.

Es geht dabei um die letz-ten Tage im Luftschutzkeller des Scherbelbergs, Kinder-erlebnisse mit den Ame-rikanern, Entnazifizierung, gefährliche Spiel in Ruinen, Schwimmkurse im Alten Volksbad, Winter auf dem Künettegraben, Hamstern in der schlechten Zeit, Motorrad-rennen „Rund um die Schanz“ und die Fußball-Weltmeister-schaft, Volksfest, Zirkus und Angerer-Tanzkurse, Fasching und Ingolstädter Fußball, Eis-stoß auf der Donau – und noch vieles mehr. Dazu historische Fotografien aus dem Fun-dus des Stadtmuseums und meiner privaten Sammlung. Dazwischen bunte Zeichnun-gen aus meiner Schulzeit.

Es ist so ein Buch entstan-den, das nicht nur für „Alte Ingolstädter“ interessant ist und Erinnerungen wach-ruft, für „Junge Ingolstädter“ Geschichte lebendig werden lässt, sondern auch für his-torisch Interessierte bisher Unbekanntes ans Tageslicht fördern kann.

Die Leser können so ein-tauchen in die Ingolstädter Altstadtwelt zwischen 1945 und 1965. Und wenn Sie selbst Geschichten berichten können, oder sogar selbst schreiben, so sagen Sie uns das einfach. Ein weiteres

Buch mit autobiografischen Geschichten und Geschichte ist geplant.

Rund um den ScherbelbergErlebte Geschichten aus Kin-dertagen und Jugendzeit 1945 - 1965

Herausgeber: Historischer Verein Ingolstadt e.V.Geschäftsstelle: Auf der Schanz 45ISBN 978-3-932113-68-0 Preis: 9,90 €Erhältlich an der Museums-kasse des Stadtmuseums

Ein autobiografisches Geschichts- und Geschichtenbuch entsteht

Ingolstädter Geschichte 1945 -1965

Noch gegenwärtig in Ostbergs Erinnerungen ist das Eislaufen am Künettegraben. Foto:Stadtarchiv

Eine Fotografie aus Paul M. Ostbergs Kinderzeit auf der Schanz. Foto: privat

(Historische) Diskriminierung der RaucherVierter Teil: Kapplers Klage über die Schlechtheit der Welt – vornehmlich jene, der Raucher – und die frühe Kunst der Skandalisierung

Von Gerd TrefferKappler beginnt seine

Schrift mit einer drastischen Schilderung – so tief sei die Welt gesunken „da in unse-ren Tagen der Knabe schon eine Pfeife im Munde führet, der Jüngling seinen Stolz und sein Ansehen darein setzt…“ (S. 3). Und zunächst rätselhaft, fügt er hinzu: Da (in unsern Tagen…) „der Musensohn in Jena sich dieses rauchenden Instruments bei seiner Papst-wahl bedienet…“ Das bedarf der Erklärung: er habe, sagt Kappler „mit vieler Erbauung“ (was immer er damit sagen will) gesehen, wie die Musen-

söhne (will heißen Studenten) in Jena (will heißen im Protes-tantenland) „bei ihren Saufge-lagen einen Papst wählen“. (S. 3). „Man stellt … einen Ses-sel auf die Tafel, auf welchen sich ein Saufbruder setzt. Die herumstehenden Brüder über-decken ihn mit einer großen Lacke, trinken und brüllen ihm so lange zu und blasen den Tabakdampf in so dicken Wolken unter das Tuch bis Sei-ne Heiligkeit ohnmächtig von ihrem Sitz herabfällt. Hiermit hat die Adoration ein Ende“ (S. 3). Kappler nennt dies „ein höchst unmoralisches Spiel“ (S. 3).

Nicht nur Studenten, auch „der gestandene Mann und ehrwürdige Greis“ täte sich heutigentags mit Tabak güt-lich – „ja selbst einige Husa-ren aus dem weiblichen Geschlecht“ – da muss man sich nicht wundern, dass das „gemeine Volk“ in all dem „eine Art von Rechtsprechung für das Tabakrauchen“ sieht. Kappler walzt als psycholo-gisch geschulter Religiöser die Schändlichkeit der Aktua-lität aus. Vielleicht ist er sich dessen nicht bewusst – aber diese Methode wird Schule machen – er wendet sich nicht an die Obrigkeit – er appel-

liert an die Leute. Eigentlich ist das unerhört. In absolutis-tischer Zeit hatte man unter-tänigst remonstriert – da war aber die Revolution gewesen – und politisch aktiv war nun auch der individuelle Adres-sat zu bedrohen. So entstand auch die Methode der Skan-dalisierung. Kappler hat ihre Stufen vermutlich nicht in ihrer Tragweite erkannt, sie aber gleichwohl ausgetes-tet. Da ist erstens das Bejam-mern der aktuellen Zustän-de – o tempora, o mores. Es folgt die – Behauptung der Schädlich-

keit des inkriminierten Ver-

haltens – das macht den Han-delnden zum Beschuldigten.

– Besagte Schädl ichkeit beschädigt mithin den Beschuldigten zunächst als Person. Dann aber geht es um dessen Rolle als Schädi-ger seiner Umwelt.

– Man ruft Gott und die Welt zum Zeugen, dass auch sie die Sündhaftigkeit solchen Tuns erkannt haben – und damit ist plötzlich der indi-viduell Handelnde (hier der Raucher) plötzlich ein (Volks-)Schädling.

– Man fordert dann (impli-zit) die weltliche (man heißt das noch nicht staatliche,

gesetzgeberische Macht auf, zu handeln („Was muss noch alles passieren, ehe es zum großen Unglück kommt…“ – eine Methodik, die zeitlos funktioniert: ein Totschlag-Argument, das immer wirkt, ist die medial verbreitete Äußerung junger Mütter, die einen Zebrastreifen vor der Haustür fordern und sagen: „muss erst ein Kind totge-fahren werden“).

– Und so entwickelt sich gradu-ell ein individuelles Handeln (Rauchen) zu einem gesell-schaftlichen Handeln, das zu regulieren, Sache, ja Pflicht der Gemeinschaft (in Form

gesetzgeberischer Normset-zung) ist.

Und dass die Skandalisie-rung tatsächlich die Gemüter erregt, sagt der Skandalierer, im konkreten Fall Professor Kappler, nicht. Kein Wunder: Genau das hat er ja bewir-ken wollen. Und natürlich, sei es ihm fern – ja nachgera-de wesensfremd – den Leuten irgendeinen Spaß verderben zu wollen – besonders nicht den jungen Geistlichen, die er doch gerade auffordere, sich „unters Volk zu mischen“ und an seinen Freuden teilzuhaben – aber muss es denn gerade das Rauchen sein?

Von Gerd TrefferVor gut 400 Jahren, 1611

(ohne dass man Tag und Monat wüsste), kam Wil-helm Ludwig Benz (Bennz) in Kienzheim im Elsaß zur Welt. Später wird es heißen: „Das schöne Elsaß, das der Diöze-se des hl. Willibald ehedem in der Person des Cisterzienser-mönches Philipp von Rath-samshausen einen Bischof (1306 – 1322) geschenkt hat-te, gab derselben auch einen Weihbischof: Wilhelm Ludwig Benz“. Unter dem Datum des 8. November 1627 ist er als logicae studiosus in der Matri-kel der Universität Ingolstadt verzeichnet. Zu einem Studie-nabschluss ist nichts bekannt. Benz hatte jedenfalls keinen akademischen Grad vorzu-weisen, als er sich neun Jahre später in Ingolstadt als Lehrer bewarb.

1628 – 35 hatte er in Rom am Collegium Germanicum studiert (und wird deshalb

auch in der von A. Hirschmann erstellten Serie „Eichstätt’s Germaniker“ im Pastoralblatt des Bistums Eichstätts, 43. Jg. / 1896, S. 126 f. aufgeführt).

1638 bewarb er sich von Konstanz aus um die „Cathed-ra theologiae polemicae“ und die damit verbundene „Par-ochia academica“ am Ingol-städter Münster. Um dieses Amt bemühte sich auch Georg Reißmiller, der Hofprediger in Eichstätt war. Benz, von den Jesuiten protegiert, trug den Sieg davon („Auf Empfehlung der theologischen Fakultät erhielt Bennz, welcher in Eile die philosophischen und theo-logischen Grade sich erwor-ben hatte, die beiden Ämter“ – heißt es in „Eichstätt’s Ger-maniker“).

Am 4. November 1636 hielt er seine Antrittsvorle-sung, in der er das Thema „An plus utilitatis literarium bellum discordesque animi / an pax et quies literaria repu-

blicae christianae parturiat?“ behandelte. Sie wurde zum Auftakt einer knapp zwan-zigjährigen Lehrtätigkeit für Kontroverstheologie. Schon seit Juli diesen Jahres hatte er die seit der Gegenreformation mit dem Lehrstuhl der Kontro-versen verknüpfte Eichstätter Domherrenpraebende inne. „Seit Gründung der Univer-sität Ingolstadt 1472 wurde immer eine Eichstätter Dom-herrenpräbende einem der dortigen Theologieprofesso-ren verliehen. Seit der Gegen-reformation war es stets der Ordinarius für Kontrovers-theologie…“ (schreibt Hugo Braun in seinem Werk „Das Domkapitel zu Eichstätt von der Reformationszeit bis zur Säkularisation (1535 – 1806) – Verfassung und Personal-geschichte“, Stuttgart, 1991). Das Präsentationsrecht auf diese Pfründe hatte der Her-zog bzw. Kurfürst. Installati-on und Poseßgebung nahm

das Domkapitel vor. Der Inha-ber war – anstelle der Dom-herrenresidenz – verpflichtet, an der Universität zu lehren. Er hatte kein Anrecht auf Sitz und Stimme im Kapitel und wurde von den übrigen Dom-herrn nicht als gleichberech-tigt anerkannt, sondern als Presbyteralkanoniker behan-delt . Bezeichnet wurde er meist als „der in Ingolstadt lehrende Theologus“ oder knapper noch als „Theolo-gus“. Erster auf dieser Profes-sorenpfründe war 1511 – 1543 Johannes Eck.

Benz war neunmal Rek-tor der Universität, erstmals 1637, letztmals 1653. Unter seinem letzten Rektorat wur-de für alle Promovenden und Professoren die Pflicht ein-geführt, einen Eid auf die Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariens zu leis-ten. Die feierliche Eidesleis-tung fand am 8. Dezember statt. Anstelle des Fürstbi-

schofs Marquard II. nahm der Abt Dominicus des Benedik-tinerstifts Plankstetten das Gelöbnis entgegen: Ego N.N. spondeo, voveo, ac juro, me juxta summorum pontificum Pauli V et Gregorii XV consti-tutiones, publice ac privatim velle pie tenere et assere-re: beatissimam Mariam Vir-ginem Dei genitricem abs-que originalis peccati macula conceptam esse, donec aliter a Sede Apostolica definitum fuerit. Sic me Deus adjuvet et haec sancta Die evangelia. Um Rangstreitigkeiten zu ver-meiden, nahm Benz als Rek-tor an dem Festmahle nicht theil, das auf kurfürstlichen Befehl der Stadtkommandant Franz Graf Fugger im Schlos-se veranstaltete (Mederer, Annal. ingolst. II, 334).

Alle Promovenden und Professoren hatten von da ab den Eid auf die Lehre der unbefleckten Empfängnis Mariens zu leisten.

Als der Eichstätter Weih-bischof Georg Rösch verstarb „fiel das Auge Marquards auf Bennz“ (Hirschmann). Am (30. oder ) 31. Januar 1656 wurde Benz durch (den Weihbischof) Kaspar Seiler von Augsburg zum Titularbischof von Darda-nia (in der seinerzeit „klein-asiatischen Provinz Lydien“; Hirschmann) und Weihbischof in Eichstätt ernannt.

Im März verließ er die Universität. In Eichstätt war er Präsident des Geistlichen Rates. Benz lud zur Weihe sei-ne ehemaligen Kollegen aus der Ingolstädter Fakultät nach Eichstätt ein. Dieser „festliche Tag am fürstbischöflichen Hof fand… literarische Beachtung (schreibt Andreas Bauch unter der Überschrift „Bischof, Pro-fessoren und Studenten“ im Sammelblatt des Historischen Vereins Eichstätt 65/66 Jg. / 1972/73) Bernhard Lerchen-feld – der 1643 - 46 Professor in Ingolstadt und dann Rektor

in Altötting war – überreichte dem neuen Weihbischof am 30. Mai 1656 ein „Horologium piarum actionum“. Benz lebte 27 Jahre lang als Weihbischof – bis 1683. 1660 – 1665 und 1667 – 1675 war er Offizial.

1660 – 1675 war er zudem Generalvikar und als Weihbi-schof auch Propst der verei-nigten Chorstifte St. Emmer-am und St. Nikolaus in Spalt. So mancher von Eichstätt aus geförderte Student hat seinen Mäzenen durch eine Buchwidmung gedankt. Dar-unter ist 1663 Johannes Hue-ber aus Wemding, der seine „Disputatio theologica“ über die Objekte des Glaubens mit einer Widmung an Weih-bischof Benz versieht. Bei Hirschmann heißt es: „27 Jah-re trug er ( Benz) die Insul mit Ehren“.

Benz starb am 11. Februar 1683 und wurde in der Eich-stätter Dominikanerkirche bestattet.

20 Jahre Professor für Kontroverstheologie in Ingolstadt und später Weihbischof in Eichstätt

Professor Wilhelm Ludwig Benz