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Inspiration – Bildung begegnet Politik in Kunst 5.-7. November 2010 im Deutschen Hygienemuseum Dresden Kooperationsveranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung, des deutschen Hygienemuseums Dresden und der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung Tagungsdokumentation Etwa 100 Lehrkräfte, Studierende, Professorinnen und Professoren sowie politische Bildnerinnen und Bildner, Künstler, Kunstpädagoginnen und –pädagogen trafen sich vom 5. bis 7. November 2010 in Dresden, um über die Wechselwirkungen von Kunst, Politik und Bildung zu diskutieren, nachzudenken und konkrete Projekte in diesem Bereich zu ersinnen. Ziel der Tagung war es, einen Raum zu schaffen, in dem Politik und Kunst bzw. politische und kulturelle Bildung voneinander lernen, sich aufeinander beziehen und sich in Frage stellen können. Prof. Anja Besand, die zusammen mit Prof. Marie-Luise Lange für die inhaltliche Ausgestaltung der Tagung maßgeblich verantwortlich war, verdeutlichte in ihrer Einführung ihren Wunsch, darüber nachzudenken, wie künftig politische Gegenstände mit Mitteln der Kunst betrachtet und verknüpft werden könnten und wie umgekehrt mehr politische Bildung in die Kunstpädagogik Einzug halten könne – wenn es passend und potenziell bereichernd sei. Zu Wort kamen Vertreter/ -innen aus den verschiedenen Bereichen, die zum Teil sehr heterogene Sichtweisen der Disziplinen zu den Fragen deutlich machten, ob und wie Kunst(-pädagogik) und politische Bildung einander befruchten und inspirieren können, oder ob sie einander möglicherweise eher missbrauchen. In Arbeitsgruppen wurde weiter gedacht und diskutiert, und einige konkrete Projektideen und Vorhaben wurden ersonnen. 1

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Inspiration – Bildung begegnet Politik in Kunst5.-7. November 2010 im Deutschen Hygienemuseum Dresden

Kooperationsveranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung, des deutschenHygienemuseums Dresden und der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung

Tagungsdokumentation

Etwa 100 Lehrkräfte, Studierende, Professorinnen und Professoren sowie politische Bildnerinnen undBildner, Künstler, Kunstpädagoginnen und –pädagogen trafen sich vom 5. bis 7. November 2010 inDresden, um über die Wechselwirkungen von Kunst, Politik und Bildung zu diskutieren, nachzudenkenund konkrete Projekte in diesem Bereich zu ersinnen.

Ziel der Tagung war es, einen Raum zu schaffen, in dem Politik und Kunst bzw. politische undkulturelle Bildung voneinander lernen, sich aufeinander beziehen und sich in Frage stellen können.Prof. Anja Besand, die zusammen mit Prof. Marie-Luise Lange für die inhaltliche Ausgestaltung derTagung maßgeblich verantwortlich war, verdeutlichte in ihrer Einführung ihren Wunsch, darübernachzudenken, wie künftig politische Gegenstände mit Mitteln der Kunst betrachtet und verknüpftwerden könnten und wie umgekehrt mehr politische Bildung in die Kunstpädagogik Einzug haltenkönne – wenn es passend und potenziell bereichernd sei.

Zu Wort kamen Vertreter/ -innen aus den verschiedenen Bereichen, die zum Teil sehr heterogeneSichtweisen der Disziplinen zu den Fragen deutlich machten, ob und wie Kunst(-pädagogik) undpolitische Bildung einander befruchten und inspirieren können, oder ob sie einander möglicherweiseeher missbrauchen. In Arbeitsgruppen wurde weiter gedacht und diskutiert, und einige konkreteProjektideen und Vorhaben wurden ersonnen.

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Marie-Luise Lange: Kunst als Denk- und Arbeitsstation

In ihrem einführenden Vortrag stellte Marie-Luise Lange, Professorin für Theorie künstlerischerGestaltung und Kunstpsychologie an der TU Dresden, Beziehungen von Ästhetik, Politik und Kunstanhand verschiedener Beispiele dar. Sie unterschied dabei nach Holger Kube Ventura in „Politik viaKunst“ und „Kunst mit politics“. Bei ersterem werde die Kunst instrumentalisiert und als Federschmuckverwendet, um einen möglichst positiven Imagetransfer auf die Politik(er) zu leisten. Bei Kunst mitpolitics gehe es um eine kritische Auseinandersetzung mit politischen Mächten, um Einsatz fürDemokratie, Gleichberechtigung und alternative Lebensformen im hierarchiefreien Raum. Langeführte einige Beispiele von Künstlern und Künstlergruppen an, die in ihrer Arbeit sehr politischeAnsätze verfolgen, etwa die Wiener Gruppe Wochenklausur oder die Hamburger Initiatoren von „ParkFiction“ um Christoph Schäfer und Cathy Skene, die an der Grenze von Sozial- bzw. Stadtteilarbeitund performativer Kunst arbeiten. Diese Künstlerinnen und Künstler wollen sich einmischen, dieöffentliche Kommunikation und Debatte mitgestalten. Sie fungierten somit als „Cultural Worker“. Auchdem kürzlich verstorbenen Christoph Schlingensief sei es u.a. um das In-Gang-Setzen vonDenkprozessen durch Regelverletzungen gegangen, er habe gegen das Diffuse in der Politikangekämpft. Dabei sei vielen dieser Künstlerinnen und Künstler klar, dass sie die Welt nichtverändern, dass die Kunst jedoch ihren eigenen bescheidenen Beitrag liefern könne.

Das Dresdner Künstlerduo Reinigungsgesellschaft (Henrik Mayer und Martin Keil) arbeite ebenfalls ander Schnittstelle von Kunst zu anderen gesellschaftlichen Bereichen, dabei stets orts- undthemenbezogen. Die Kunst werde als ein Prozess gesehen, an dessen Ende jedoch auch stetsästhetische Produkte stehen, die ausgestellt werden können. Als Beispiel nannte Lange ein Projektder beiden im mecklenburgischen Ort Grambow, in dem die Künstler als Katalysatoren für einenProzess unter den Einwohnerinnen und Einwohnern fungierten, die sich mit der Zukunft ihres Ortesauseinandersetzten. Reinigungsgesellschaft erarbeitete aus den Gruppenprozessen neuartigeVerkehrsschilder als „Leitsystem zum Neuen“. Christian Jankowski ließ im Kunstmuseum Stuttgart für das Projekt „Dienstbesprechung“ dieMitarbeiter Berufe tauschen und sich so in die Rollen und Aufgaben der anderen hineinversetzen. DieGespräche der Kollegen, die sich gegenseitig in wenigen Sätzen ihre Aufgabenbereiche vorstellten,waren wichtiger Bestandteil. Ein nicht eingeweihter Regisseur drehte anschließend einenDokumentarfilm über das Museum. Die Rollentausch-Idee könne auch gut in anderenBildungskontexten eingesetzt werden, regte Lange an.

In der Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, ob nicht auch „Kunst mit politics“ Vereinnahmungenbeinhalte und die Aufteilung in die zwei Bereiche zu schwarz-weiß-malerisch sei, dass es also „gute“und „böse“ politische Kunst gebe. Auch stand die Frage im Raum, ob Kunst womöglich die besserePolitik mache?

Christine Hill: Setting up Shop

Die Künstlerin Christine Hill, auch Professorin für Mode an der Bauhaus Universität Weimar, stellte ihrProjekt Volksboutique vor, an und mit dem sie bereits seit fast 15 Jahren arbeitet. Ihrem Vortrag voranstellte sie das Statement, dass jeder Künstler ein Konzeptkünstler sei, weil es Kunst ohne Konzeptnicht geben könne.

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In ihrem Projekt Volksboutique, das seinen Anfang 1996 in Berlin nahm, gestaltet Christine Hill stetsLadensituationen, in denen Laden-, Atelier- und Galeriefunktion miteinander verschmolzen sind. Siesucht die Kommunikation mit den Besucherinnen und Besuchern und sieht ihre Arbeit als SozialeSkulptur. Alle Tätigkeiten, die im Laden ablaufen, seien Teil des Projektes. Sie stelle dabei Fragennach dem Wert von Arbeit, nach der Kunst als Dienstleistung, nach ökonomischen Zusammenhängenund nach dem Agieren von Menschen in Rollen je nach Kommunikationssituation. AuchStadtführungen in Manhattan, eine Talkshow, ein Apotheken-Raum oder eine Museumsshop-Situationin der Bauhaus-Ausstellung des Gropius-Baus in Berlin 2009 waren Teile von Volksboutique. Hillnennt ihre Form der Arbeit „organisational ventures“, die kleinen Unternehmen, deren Inhaberin oderGeschäftsführerin Hill ist, sind ihre Form von Kunst.

Bereits die Entscheidung, Künstler/-in zu sein, ist für Hill eine politische Aussage, somit seien für siealle Künstler/-innen per se politisch. Sich dem hohen ökonomischen Risiko auszusetzen und sich demKreislauf der Wirtschaft zu entziehen, sei eine deutliche Positionierung und die Entscheidung, einebestimmte Rolle in der Gesellschaft einzunehmen.

Christoph Bieber: Photoshop Democracy

Der Politikwissenschaftler Christoph Bieber beklagte den Mangel an Literatur und Forschung überBilder und Politik in seiner Fachrichtung. Es gebe keinen konsistenten Analyse-Apparat für denUmgang mit visuellen Komponenten politischer Kommunikation. Er bezieht sich auf einige wenigeForschungsarbeiten zum Thema wie von B. Drechsel, der ein Dreieck aus Blick, Träger undBedeutung aufmachte. Bieber konstatierte eine extreme Mobilität digitaler Bilder, die nicht mehr anihren Träger gebunden seien, sondern aus reiner Farbinformation bestünden.

Den Begriff „Photoshop Democracy“ entlehnt Bieber Henry Jerkins, der den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf analysierte und zeigte, dass sichgroße Bevölkerungsanteile an der Verbreitung von Bildmaterial, etwa Karikaturender Kandidaten, zum Beispiel via E-Mail oder in sozialen Netzwerken, beteiligten.Die Digitalisierung von Bildern führe zu einer größeren Reichweite und zueinfacher Bearbeitung – etwa im Vergleich zu bemalten und beklebtenWahlplakaten im Stadtraum. Als deutsches Beispiel führte Bieber einen

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Wettbewerb des Anbieters netzpolitik.org an, in dem Nutzerinnen und Nutzer aufgefordert wurden, einCDU-Wahlplakat mit Wolfgang Schäuble zu bearbeiten oder zu verfremden. Bieber thematisierte auch das Aufkommen von „fake“-Identities in sozialen Netzwerken wie facebookoder Studi-VZ oder bei twitter. Prominente Beispiele für gefälschte Identitäten seien FranzMüntefering, der Opfer von Blog-Fälschern wurde, oder Martina Gedeck, die vermeintlich aus derBundespräsidentenwahl heraus vorzeitig Ergebnistendenzen twitterte. Bieber stellte zur Debatte, obman hier von einer Form der Partizipation durch Pixel und einem aktivierten Publikum sprechenkönne. Neue Produktionsgemeinschaften verwischten die Grenzen von Produktion und Konsum,teilten Ideen und arbeiteten zusammen. Er sehe Möglichkeitsräume für politisches Handeln entstehen.Dabei sei digitale Bildbearbeitung nicht per se politisch, doch in bestimmten Kontexten gebe espotenzial zur Umwandlung in „politische Bildenergie“

In der anschließenden Diskussion kam die Frage auf, warum diePolitikwissenschaft noch immer so große Schwierigkeiten mit dervisuell-bildlichen Komponente von Politik habe. Mutmaßungen überdie Gründe hierfür waren, dass die Beschäftigung mit Bildernmöglicherweise nicht als sonderlich rational betrachtet würde, dasses keinen Ort innerhalb der Disziplin für diese Fragestellungengebe und dass die technischen Entwicklungen zu schnell gingen.Für den Schulunterricht könnte die Auseinandersetzung miterwähnten Projekten und Bildstrategien fruchtbar und konstruktivsein, so eine Wortmeldung.

Michael Wehner: Missbrauche mich! Wer missbraucht wen wozu und was ist dabei Kunst?

Michael Wehner, Referent der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg und Leiterder Außenstelle Freiburg, stellte das Verhältnis von Kunst und politischer Bildung aus seiner Sichtsehr pointiert und provokant dar. Für ihn sei klar, dass politische Bildung die Kunst instrumentalisierensolle, ja müsse, dabei jedoch stets die Oberhoheit behalten müsse. Vielleicht sei die Kunstpädagogikin vielen Dingen bereits viel weiter, und was in der politischen Bildung neu und innovativ erscheine, seifür die Kunstpädagogik bereits ein alter Hut. Aus seiner Sicht diene Kunst lediglich einer bürgerlichenSelbstvergewisserung, er sprach von „intellektueller Onanie und Egomanie“.

Anhand zahlreicher Bildbeispiele aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen und medialen Bereichenfragte Wehner, was eigentlich Kunst sei und erweiterte somit den Kunstbegriff für seinen Vortrag.Kunst habe eine gesellschaftspolitische Verpflichtung und einen Bildungsauftrag, so Wehner, nur dannkönne sie staatlich gefördert werden. Er fragte, ob Kunst immer links sei oder ob sie stets politischeMachthaber kritisiere. Wehner kritisierte, dass Kunst meist viel zu intellektuell und mehrdeutig sei,daher die Bürger gar nicht erreiche. DieAuseinandersetzung mit Kunst erfordere eineintellektuelle Deutungskraft, die bei den Betrachternoft gar nicht vorhanden sei. Somit hätten Kunst undpolitische Bildung ein gemeinsames Problem: Beideerreichten nicht das breite Publikum. Wehnerforderte mehr Volksnähe der Kunst, auch dieAuseinandersetzung mit Alltagsmedien und Kitsch.

Um Fördermittel zu erhalten, müsse politischeBildung künstlerisch wertvoll sein, ja Kunst sein. Ersprach von einem Kampf um Fördermittel undkritisierte die hohen staatlichen Ausgaben für Kunstim Gegensatz zu sehr niedrigen Investitionen in die politische Bildung.

Mit klassischen Angeboten erreiche politische Bildung bildungsferne Bürgerinnen und Bürger nicht, soWehner, man müsse schon zu ungewöhnlichen Mitteln an ungewöhnlichen Orten greifen. Er stelltedann einige Projekte vor, die von der baden-württembergischen Landeszentrale durchgeführt wurdenund die in den Grenzbereich von politischer Bildung und künstlerischer Aktion eingeordnet werdenkönnten. So zum Beispiel der „Bildungsüberfall“, bei dem in Regionalzügen Grundgesetze verteilt undDiskussionen angeregt wurden. Nächstes Beispiel war eine Straßenbahn mit der Linie 68, die durchFreiburg fuhr und mit einer Ausstellung zu Freiburger Fahrpreiskämpfen im Jahr 1968 ausgestattetwar. Ein Projekt zum Leben in der DDR fand im Jahr 2009 statt. In Klassenräumen wurde DDR-

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Unterricht zum „Miterleben“ nachgestellt. Ein sehr erfolgreiches innovatives Modell für die politischeBildung sei das Politiker-Speed-Dating, das inzwischen mehrfach kopiert wurde. Vor kurzem fandanlässlich des Tages der Deutschen Einheit eine Aktion in einer McDonalds-Filiale statt, bei der mitungewöhnlichen Methoden über das Leben in der DDR informiert wurde – so behaupteten dieAktivisten, nur SED-Mitglieder dürften die Terrasse betreten, oder es wurden Gespräche belauschtund die unbedarften Bürger später mit ihren eigenen Gesprächsinhalten konfrontiert.

Wehner schloss mit einem Plädoyer dafür, die politische Bildung gegen den Strich zu bürsten, auchMut zu Vielfalt und Mehrdeutigkeit zu beweisen und nannte sich selbst nach Karl Valentin einen„Queren“.

In der Diskussion wurden weitere Gemeinsamkeiten von Kunst und politischer Bildung benannt – sowollten beide mündige Bürger erziehen, meinte Marie-Luise Lange. Kunst eigne sich sehr gut fürBildungsprozesse, da sie nicht vereinfachen, sondern irritieren solle. Michael Wehner setzte dementgegen, dass es einen Wunsch nach Orientierung gebe und dass die Bildung Standpunkte beziehenmüsse. Er sei ein Fürsprecher der repräsentativen Demokratie, die ihre Institutionen brauche.Politische Bildung sei ein Mittel, diese zu legitimieren.

Andreas Klee: Denkwerk – Graffiti im Politikunterricht

Der Politikwissenschaftler Andreas Klee stellte ein Projekt vor, das er mit Studierenden undSchülerinnen und Schülern in Bremen 2008 durchgeführt hat. Es ging dabei um Kommunikation imöffentlichen Raum, genauer, um Graffiti im Bremer Stadtraum. Die Ursprungsidee des Projektes war,Schriftzüge an Wänden etc. im öffentlichen Raum ausfindig zu machen, zu katalogisieren undkategorisieren und möglichst Bezüge zur Umgebung herzustellen, in der sie angebracht wurden. Esging dem Projektteam dabei weniger um die künstlerische Gestaltung der Graffiti als mehr um dereninhaltliche Dimension. Das Projekt wurde disziplinübergreifend geplant, mit einer soziologischen, einergeographischen und einer politikwissenschaftlichen Komponente. Für die Politikwissenschaft stand imZentrum des Interesses die Entwicklung eines Kodierungssystems. Es sollte mit einer Mischung ausProjektmethode und forschendem Lernen gearbeitet werden.

Die Schülerinnen und Schüler durchkämmten in Kleingruppen bestimmte Gebiete der Stadt undsammelten Graffiti, die sie finden konnten, fotografiertendiese und bestimmten ihren Ort mittels eines GPS-Gerätes. Die Fragestellungen des Projektleitungs-Teams,nämlich ob etwa die Inhalte der Schriftzüge inZusammenhang mit dem Stadtviertel und den dortwohnenden Bevölkerungsschichten stehen, waren dabeifür die Schülerinnen und Schüler allerdings nicht sointeressant.

Vielmehr stellte sich im Laufe des Projektes heraus, dassdie Schülerinnen und Schüler sich eher für dieästhetische Dimension der Graffti interessierten und stetsdie Frage stellten: Wer hat sie gemacht? Und: Wie machtman das? Für Klee wurde während des Projektesdeutlich, dass ein „Trittbrettfahrer“-Konzept nicht tragfähigsei, dass es also keinen Sinn mache, sich an eineKunstform (hier: Graffiti) anzulehnen bzw. diese nur zuinstrumentalisieren. Die Wissenschaftler hatten denästhetischen Zugang, der für die Kinder und Jugendlichenviel spannender war, einfach ausgeblendet und Kleebedauerte es sehr, nicht von Anfang an Kunstpädagogenmit eingebunden zu haben. Gleichzeitig stelle er sich eingemeinsames Projekt von Politikwissenschaft und

Kunstpädagogik jedoch auch schwierig vor, da wahrscheinlich die sozialwissenschaftlicheKomponente gegenüber der ästhetischen untergehen würde. Er sehe das Projekt als gescheitert an indem Sinne, dass die Ausgangsfragestellungen nicht beantwortet wurden und dass keine belastbarenwissenschaftlichen Daten herausgekommen seien. Die ästhetisch-künstlerische Dimension könne alsAnreiz fungieren, als eine Art Lockvogel. Man müsse dann erst diese Dimension „abarbeiten“, um zurnächsten, der inhaltlichen, zu kommen.

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Bettina Uhlig: „Reclaim the urban space“ - Urban Art als (politische) Kunst im öffentlichenRaum

Bettina Uhlig, Professorin für Kunst an der PH Ludwigsburg, stellte in ihrem Vortrag Urban Art alskünstlerische Eingriffe in den öffentlichen Raum vor, die den Stadtraum anders als gewohnt sichtbarmachten. Der Ursprung von Urban Art sei in der US-amerikanischen Graffiti-Szene zu sehen, die inden 1970er-Jahren in New York ihren Anfang nahm. Es gehe bei Urban Art stets um eine eigeneSprache und Lesart des öffentlichen Raums.

Uhlig stellte zwei Thesen zur Begründung der Existenz von Urban Art vor: 1. die anthropologischeVariante: Menschen haben von jeher den Drang, Spuren zu hinterlassen, sich im öffentlichen Raumsichtbar zu machen. Bilder verweisen dabei auf Anwesenheit und Zugehörigkeiten. Die Markierungund Aneignung von Orten könne dabei als existentielle Geste gelesen werden. Besonders attraktiv fürUrban Art seien die großen Metropolen. Es komme so zu einer globalen Bildkultur, da Künstlerinnenund Künstler der Urban Art sich gegenseitig beeinflussten. 2. die stadtsoziologische Variante: UrbanArt als Reaktion auf die Verdrängung von Menschen aus seinen Lebenswelten, dieAuseinandersetzung der Rolle des Menschen im öffentlichen Raum. Es gehe dabei häufig um die Be-und Ausgrenzung bestimmter Gruppen, um Formen sozialerSegregation. So gebe es in jeder Stadt Gebiete, in denen sich sozialeProbleme häufen sowie gesteuerte Gentrification. Die kulturelleAneignung des städtischen Raumes, z.B. durch Urban Art, könne,kritisch betrachtet, auch Zeichen beginnender Segretation sein undVerdrängungsmechanismen Vorschub leisten.

Uhlig beschrieb anhand einiger Beispiele den Kampf von Kommunengegen Graffiti als einen Kampf um künstlerisches Territorium, aberauch als einen Ausdruck des Ringens um Vorherrschaft im öffentlichenRaum. Eine zentrale Fragestellung sei hier: Wem gehört eigentlich deröffentliche Raum? Und: Was ist der öffentliche Raum? Dieser sei zumeinen durch Besitzverhältnisse geprägt, aber eben auch eine Sphäre,ein Raum, der Potenziale biete, sich zu widersetzen. Uhlig bezeichnete Urban Art als Statements imöffentlichen Diskursraum (angelehnt an Habermas). Sie stellte dann ein Projekt vor, das sie mitStudierenden an der Uni Ludwigsburg im Rahmen eines künstlerischen Seminars zum Thema „UrbanArt“ durchgeführt hat. Es entstanden mobile Figuren zur temporären Installation im öffentlichen Raum– hier zunächst im Hochschulgebäude. Selbst dort gab es Konflikte mit Vertretern derHausverwaltung, die eine Beschädigung der Bausubstanz befürchtete.

In der Diskussion ging es um die Frage, ob Graffiti wirklich als Form von Argumenten in einem Diskursgelten könnten. Dies wurde einerseits bezweifelt, da Aussagen erst politisch seien, wenn sieobjektivierbar seien, es also eine eindeutige Bedeutung gebe, was bei Kunst nicht der Fall sei. Eineandere Meinung war, dass die Besetzung von öffentlichen Flächen durch Urban Art bereits einepolitische Aussage sei, im Sinne eines Widerstands gegen die kommerzielle Besetzung desöffentlichen Raums durch Werbung. Auch stellte sich die Frage, wie eine Didaktisierung von Urban Artaussehen könnte, ohne die Kunst zähmen zu müssen.

Alf Thum: Von Äpfeln und Birnen – Die Strategie des Fake

Alf Thum, Aktionskünstler und politischer Bildner, stellte die Gruppe „Front deutscher Äpfel“ vor, dieseit 2004 auf vielen Demonstrationen und Veranstaltungen auf künstlerisch-satirische Weise mitSymbolen und Auftreten von Nationalsozialisten spielt. In schwarzen Anzügen mit rot-weiß-schwarzenArmbinden und Fahnen, auf denen Äpfel abgebildet sind, fallen sie auf und sorgen für Amüsementund Unterhaltung bei Demonstrationen gegen Rechtsextreme. Dabei gehe es zum Beispiel darum,durch die Übernahme von Codes der alten Nazis die neuen äußerlichen Codes der Neo-Nazisaufzudecken, die keineswegs mehr nur an Glatzen und Bomberjacken erkennbar seien.

Die Gruppe Front deutscher Äpfel (FDÄ) gründete sich als Reaktion auf den Einzug der NPD in densächsischen Landtag und protestierte regelmäßig bei Aufmärschen von Rechtsextremen in Leipzig.Die FDÄ grenze sich stark gegen die militante antifaschistische Bewegung ab, betonte Thum, denn

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Proteste gegen Rechts könnten nur erfolgreich sein,wenn sie von einem breiten zivilgesellschaftlichenKonsens getragen würden. Dabei dürfe der Spaßnicht zu kurz kommen – auch mit der Presse und derPolizei. Inzwischen gebe es in vielen Städten eigeneApfelfront-Gruppen, die Aktionen planten unddurchführten, so Thum. Dabei würden bestehendeElemente übernommen, es gebe jedoch stets auchneue kreative Erweiterungen. Die Aktionen würdenstets auch für die Medien durchgeführt und es geheihm immer wieder darum, starke Bilder zu schaffen,„Propaganda zu machen“ – wie etwa bei einer Aktion

vor dem Kanzleramt und dem Brandenburger Tor, die von einem Fernsehteam dokumentiert wurde.Dabei sei die Front deutscher Äpfel bewusst kein Verein und keine Organisation, sondern eine freieKunstgruppe, die inzwischen schon einige Preise für ihre innovativen Anti-Rechts-Projekte erhaltenhabe. Auch Irritationen von politisch linker Seite seien durchaus gewollt – häufig werde die Fragegestellt: „Darf man das?“

Diese Thematik wurde auch in der Diskussion aufgegriffen, in der Frage, welche Mittel legitim seienum zu Partizipation anzuregen. Ein Teilnehmer sprach vom „Feindbild Aktionismus“, das es in derpolitischen Bildung gebe, denn Leute dürften nicht unaufgeklärt zurückgelassen werden. Nurnachhaltige Aktionen seien sinnvoll.Auf die Frage, ob es sich bei der Apfelfront um künstlerische oder politische Aktionen handeleantwortete Thum, dass ihm diese Unterscheidung nicht wichtig sei. Für ihn sei Kunst ein Schutzraum.Er sehe die FDÄ vor allem als politische Aktion, aber mit ganz neuartigen Mitteln, als einen Hybrid ausbeiden Bereichen. Sie nähmen sich aus beiden Bereichen das beste heraus, „auch die Ausreden“.

Auf die Frage, ob es sich bei der FDÄ um politische Bildung handele,erklärte Thum, dass die Apfelfront zunächst als Einzelaktion geplantgewesen sei. Er sei selbst überrascht gewesen, wie starkanschließend der Zulauf zur Gruppe gerade von 17-21jährigengewesen sei. Diese seien meist gut gebildet und hätten in der Frontdeutscher Äpfel eine Form der Auseinandersetzung mitRechtsextremismus gesehen, die sie angesprochen habe – imGegensatz zur schulischen politischen Bildung, die oft zu moralischsei. Die Apfelfront schließe hier eine Lücke, da es ihr nicht darumginge zu dämonisieren, sondern sich zu amüsieren. Die Antwort aufNaziparolen sei: „Wir lachen Euch tot!“ – denn Nazis seien einfachnicht ernst zu nehmen, man müsse die Neonaziszene unter derPerspektive der Lächerlichkeit betrachten. Somit erfülle dieApfelfront durchaus Funktionen der politischen Bildung, etwa, den„Gegner“ durch eine andere Perspektive zu betrachten. Es gältenzudem stets die Prinzipien von Selbstermächtigung undPartizipation. Thum sieht die Front deutscher Äpfel als eine sinnvolleErgänzung im Mix der politischen Bildung.

Sara Burkhardt: Dürfen die das?

Sara Burkhardt, Juniorprofessorin für Kunst und ihre Didaktik an der TU Dresden, stellte dasKünstlerduo „Yes Men“ ins Zentrum ihres Vortrags. Die Yes Men arbeiten mit der Strategie des Fake –

sie ahmen Firmen- und Institutionen-Websites nach, füllen diese mitanderen Inhalten und stellen sich als Ansprechpartner vor. So kam es,dass sie mehrfach als Repräsentanten der Welthandelsorganisation(WTO) zu Kongressen eingeladen wurden, wo sie irritierende Vorträgehielten mit Inhalten, die die Ziele und Handlungsweisen der WTOkarikierten bzw. diesen sogar widersprachen. Als sich zeigte, dass dasPublikum sich einiges gefallen ließ und den Fake nicht bemerkte,wurden die Auftritte noch überspitzter.

Ziel der Künstler ist, eine größtmögliche Aufmerksamkeit zu erreichenund die Funktionsweisen des globalen Mediensystems offen zu legen.

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Burkhardt sprach von „Identitätskorrektur durch Imagesabotage“. – Die Yes Men wollen mit Mitteln derFiktion, wie die Mächtigen sie nutzen, deren Strategien verdeutlichen. Am Beispiel eines TV-Interviews, in dem einer der Yes Men sich als Vertreter der Chemiefirma Dow bei den Opfern desBhopal-Chemieunfalls entschuldigte und millionenhohe Entschädigungen versprach, zeigte Burkhardtjedoch die ethisch bedenklichen Seiten der Arbeit der Yes Men auf.

Die Yes Men seien eine Form von Kommunikationsguerilla, so Sara Burkhardt. Man könne auch von„Cultural Hacking“ sprechen, einer Strategie, bei der kulturelle Codes verfremdet bzw. umkodiert undAlltagsgegenstände zweckentfremdet würden. Es gebe verschiedene Möglichkeiten, mit solchenFormen des kulturellen Hacking in der Schule umzugehen – man könne selbst Fakes erstellen odersich mit den Yes Men beschäftigen, die auf ihrer Homepage sogar Unterrichtsmaterialien undAnleitungen für Lehrkräfte bereitstellten. Es könne aber auch eher um die Vermittlung einerbestimmten Haltung gehen, etwa darum, alltägliche Routinen zu untersuchen, wie bereits inverschiedenen Unterrichtsprojekten geschehen. Störungen solcher Alltagsroutinen könnten Anlass zuReflexionen bieten, etwa über bestehende Machtverhältnisse im direkten persönlichen Umfeld.

Die Künstlergruppe “AKKU – Arbeiten mit Alltag“ begleitete die Tagung mit irritierenden Aktionen (u. re.: Tagungsteilnehmerinnen, die zum Mitmachen angestiftet wurden).

Günter Kracht: Alles nur schöner Schein? Über das Politische hinter dem Ästhetischen

Der Kulturwissenschaftler Günter Kracht legte die aus seiner Sicht kulturwissenschaftliche Sichtweisedes Zusammenspiels von Kunst und Politik dar. Kultur definierte er zunächst als Praxis derWeltauslegung, als eine Art unsichtbaren Algorithmus zur Organisation des Handelns. Kultur bedürfeder Visualisierung und Vergegenständlichung, so Kracht. Auch Macht müsse sich stets

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vergegenständlichen und jede Macht sei eine Ordnung der Sichtbarkeit. So organisiere jede Macht dieStrategien ihrer Sichtbarmachung, und dies sei nichts Äußerliches, sondern ein systemischerZusammenhang.

Kracht verdeutlichte anhand eines historischen Exkurses, dass zu anderen Zeiten Kulturen Formen-Körper als Inkarnation der politischen Macht hatten – etwa Ludwig XIV., vor dessen Porträt dieHöflinge sogar einen Hofknicks machen mussten. In der heutigen demokratisch verfasstenGesellschaft sei die Ästhetik und der politische Körper verloren gegangen. Es gebe keinen Körper, derdas Demokratische visualisieren könne, so Kracht. Die dramatische Reduktion auf eine einzigePerson sei nicht mehr möglich. Es sei aber der Wunsch der Menschen, ein System in eine einzigePerson hineinzuprojizieren, im Falle Deutschlands sei dies meist der Kanzler / die Kanzlerin unddessen / deren Körper. Dies helfe uns jedoch nicht weiter, es sei sehr schwer, die politische Kulturunseres Landes zu symbolisieren, so Kracht.

Am Beispiel von Fotografien des ehemaligen russischen Präsidenten Putin verdeutlichte Kracht, dassin anderen Staaten eine solche Reduktion der Macht auf einen Körper sehr wohl noch möglich sei, eshandele sich hier jedoch um eine „gelenkte Demokratie“. Die bürgerliche Politik des 19. und 20.Jahrhunderts sei zunehmend bildfern und bildfeindlich geworden, es sei nur um Worte, um dieDebatte gegangen – Ausnahme: die politische Instrumentalisierung von Bildern unter denNationalsozialisten. Andere politische Kulturen hätten ein ästhetisches Programm (gehabt) – dieseshabe die Demokratie nicht, daher könne ihre Visualisierung nicht funktionieren. Kulturen existiertennur, indem sie erzeugt werden und dies geschehe heute durch Medien, so Kracht.

Vorschläge aus dem Publikum für Beispiele zur Visualisierung unserer Demokratie waren etwaArchitektur – ob nicht gläserne Bauten oder die Reichstagskuppel als Symbol für Transparenz undVolksnähe der Demokratie gelten könnten.

Anja Besand: zum Verhältnis von ästhetischer und politischer Bildung

Anja Besand, Professorin für Didaktik der politischen Bildung an der TU Dresden, resümierte dieTagung und gab Ausblicke, wie es weitergehen könnte. Was hatte man sich von der Tagung erhofft? Die Tagung sollte Zeit und Raum bieten, miteinander zureden und voneinander zu lernen. Es gab die Erwartung, dass es etwas Gewinnbringendes gebenkönnte zwischen ästhetisch-kultureller und politischer Bildung. Nun gebe es den Wunsch, Wirkungenzu entfalten, dass die Tagung ein Anstoß sein könne, in Bildungskontexten etwas anzufangen.Siehoffe, dass aus der Tagung Projekte und Ideen entspringen, die in der Zukunft wachsen, so Besand.Man wolle sich in einiger Zeit wieder treffen und sich austauschen darüber, was passiert sei.

Das Resümee der Tagung machte Besand an einigen Schlagworten und Begriffspaaren fest.Zunächst rekapitulierte sie die Frage, an welchen Stellen genau sich politische Bildung und Kunstwohl helfen könnten und wer hier möglicherweise wen missbrauche.

Man könne nicht verhehlen, dass die politische Bildung hoffe, dass Kunst helfen könne, ihrenGegenstand zu verpacken, ihn attraktiver zu machen für bestimmte Zielgruppen, und neue

Fördertöpfe zu erschließen. Und sei es nicht umgekehrt möglicherweiseauch so, dass die Kunst politische Inhalte gern als Stichwortgebernutze? Anja Besand fragte, ob es das sein könne – Kunst als Form undPolitik als Inhalt? – So einfach sei das wohl nicht. Es könne nicht darumgehen, Bildungsprozesse mit Aspekten des anderen nur aufzupeppen.Die Frage gehe wohl tiefer, möglicherweise bis in das Selbstverständnisder jeweiligen Disziplin hinein. Aus Sicht der politischen Bildung könntensolche Fragestellungen sein: Wie ist unser Gegenstand eigentlichverfasst? Ist Politik etwas, das man nur rational bearbeiten kann? WelcheFormen sind angemessen? Wie finden politische Diskurse statt? Könnendiese auch ästhetisch ausgetragen werden? Müssten dann nicht auch inder politischen Bildung Bildkompetenzen entwickelt werden?

Die Kunstpädagogik oder kulturelle Bildung könne bzw. müsse sichfragen, ob es ihr auch um politische Fragen gehe. Oder ob sie sich aufrein formalästhetische Fragestellungen einlassen wolle (wovon sie

zumindest bei den Tagungsteilnehmenden nicht ausgehe).

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Besand sprach sich gegen eine Einteilung in Kunst via Politik auf der einen und Kunst mit politics aufder anderen Seite (in Bezug auf Marie Luise Lange bzw. Holger Kube Ventura) aus, dies implizieregute und schlechte Bewertungen. Vereinfacht würde diese Einteilung bedeuten, dass es eine Kunstgebe, die für die Mächtigen sei und eine, die für Demokratie und Teilhabe für Partizipation sei. Vieleder während der Tagung vorgestellten Künstlerinnen und Künstler ließen sich nicht eindeutig dereinen oder anderen Kategorie zuordnen, etwa die Yes Men oder Christoph Schlingensief. Besondersinteressant seien schließlich oft die Dinge, die nicht in eine bestimmte Schublade passten – geradedie Uneindeutigkeit und Vielfalt der Deutungsmöglichkeiten machten sie aus. Anja Besand sprachsich für Kontroversität aus, einem gerade für politische Bildner zentralen Begriff.

Ein weiterer wichtiger Bergriff sei der der Überwältigung. Während der Tagung sei mehrfach die Frageaufgekommen, welche Formen zur Vermittlung politischer Bildung angemessen seien (etwa anlässlichAlf Thums Präsentation der Apfelfront). Der Beutelsbacher Konsens verbiete Formen derÜberwältigung oder Überrumpelung, die an eindeutige politische Stellungnahmen geknüpft seien.Doch provozieren, herausfordern und dringlich sein – das dürfe die politische Bildung - aber ebennicht im Dienste einer erwünschten Meinung. Vieldeutigkeit müsse Eindeutigkeit vorgezogen werden.

Ein weiteres Thema, über das es weiter nachzudenken gelte, sei die Frage der Vereinfachung – wiesimpel dürfe politische Bildung gemacht werden, auch im Hinblick auf Zielgruppen, die bisher nichterreicht werden? Besands Plädoyer: Simpel, aber nicht einfach. Gerade Einstiege in Fragestellungendürften nicht zu hochschwellig sein. Gute Beispiele seien die Front deutscher Äpfel oder auch derverhüllte Reichstag von Christo und Jeanne Claude – beides sei simpel, aber nicht einfach.

Ein weiteres Begriffspaar, das Anja Besand einführte, war „enthüllen – verhüllen“, wobei Enthüllen fürden Blick hinter die Oberflächen stehe und Verhüllen dafür, sich auch auf die Oberflächeneinzulassen. Beim Graffiti-Projekt von Andreas Klee etwa hätten die Oberflächen den Zugang zu denInhalten erschwert. Bettina Uhlig hingegen habe sich auf Oberflächen eingelassen und sei am Endebei der Politik gelandet (im Konflikt mit dem Gebäudeschutz). Besand sprach sich dafür aus, dieGegenstände der politischen Bildung auch einmal zu verhüllen, damit man sie sich neu aneignenkönne.

Es sei während der Tagung deutlich geworden, dass die Engführung der politischen Bildung und ihrerInhalte und Formen „nicht besonders sexy“ sei. So werde nicht sichtbar, welche gesellschaftlichrelevanten Dinge die Jugendlichen umtreibt. Besand fragte, ob es in der politischen Bildung eigentlich

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um Aktion oder um Reaktion gehe. Mit Aktion habe man oft Schwierigkeiten, denn da mache man sichleicht die Finger dreckig. Das „Feindbild Aktionismus“ stellte Besand in Frage und zitierte Alf Thum,der gesagt hatte „Wenn man nichts falsch machen will, kann man nur Bücher schreiben“.

Eine weitere zentrale Frage, die die Tagung aufgeworfen habe sei, wie nüchtern oder ernst mit demGegenstand der politischen Bildung umgegangen werden müsse. Mit der Front deutscher Äpfel oderauch dem Beispiel des Auschwitz-Überlebenden Adam Kohn, der gemeinsam mit seiner Tochter undseinen Enkeln in dem Video „Dancing Auschwitz“ zu dem Lied „I will survive“ vor Konzentrationslagerntanze gebe es – durchaus kontrovers zu diskutierende – Beispiele, unernste Zugänge zur politischenBildung aufzutun.

In einem Ausblick auf die Zukunft stellte Besand noch einige Ideen, Visionen und Projekte vor, diegute Beispiele dafür sein könnten, wie eine politische Bildung aussehen könnte, die von derDiskussion gelernt habe, die sich also an der Schnittstelle von politischer und kultureller Bildungbewegen. So etwa das bekannte „Stolpersteine“-Projekt, bei dem stilisierte Pflastersteine mit Namenvon Holocaust-Opfern vor deren ehemaligen Wohnhäusern verlegt werden. Stolperstein sei aber aucheine gute Metapher für das, was neue Ideen in der Zukunft sein könnten, dass man es sich nicht zueinfach machen sollte. Ein weiteres spannendes Projekt sei „Farben der Erinnerung“ der AktionZivilcourage in Pirna, wo durch immer wieder neu aufgefrischte farbig aufgetragene Kreuze anEuthanasie-Opfer erinnert werde. Auch Projekte im Sinne von Service Learning, bei denenJugendliche in Altersheimen Erinnerungen sammeln und anschließend ästhetisch ansprechendaufbereiten, seien wertvoll und spannend, oder auch Guerilla Gardening als eine Art der Aneignungvon Stadträumen.

Schließlich präsentierte Anja Besand noch ihre persönliche Vision – sie wünsche sich ein Museum /Labor, in dem politische, gesellschaftliche und soziale Fragen im Mittelpunkt stehen nach dem Vorbildder Science Center, die sich allerdings fast ausnahmslos mit Naturwissenschaften beschäftigten(Ausnahme: das Hygiene-Museum als kulturwissenschaftlich orientiert). Einige möglicheAusstellungsobjekte für dieses Museum hatte sie auch schon parat: etwa „Instant Democracy“ vonPeter Sloterdijk, die Idee, ein aufblasbares Parlament zu entwickeln, was aus dem Flugzeug überjedem beliebigen Staat abgeworfen werden könne, um dort die Demokratie zu installieren, oder„Distributive Justice“ – ein Computerspiel-Projekt, in dem es um Verteilungsgerechtigkeit gehe, oder„Pindices“ von Lucy Kimbell und Andrew Berry (ZKM 2005), eine Arbeit, bei der es darum ging,politische Aktivität und bürgerschaftliches Engagement sichtbar zu machen. Ausstellungsbesucherkonnten sich Buttons mit Bekenntnissen aussuchen und anpinnen, somit Ihr Engagement oder ihrepolitische Aktivität sichtbar machen – gleichzeitig zeigte die unterschiedlich hohe Nachfrage nach denunterschiedlichen Buttons, welche Statements die meisten Besucher teilten, wie hoch also diepolitische Aktivität der Gesamtbesucher war.Sie hoffe, dass alle viel aus der Tagung mit nach Hause nähmen, schloss Anja Besand ihren Vortrag.

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Ergebnisse der Arbeitsgruppen

In den Arbeitsgruppen am Samstag wurde über vielfältige Themen und Thesen diskutiert, einigeGruppen erarbeiteten auch Skizzen für konkrete Projekte – Die Ergebnisse der 100-Sekunden-Präsentationen werden hier stichwortartig festgehalten:

AG 1: Darstellung der intensiven theoretischen Diskussion – Was ist Politik – Was ist Kunst? Waskann das für Unterricht bedeuten? Interessante Erkenntnis: Viele Kunstlehrer könnten sich vorstellenPolitik zu unterrichten, aber nicht umgekehrt. Möglicherweise gebe es grundsätzlich andereHerangehensweisen an Gegenstände - Kunst versuche ein relativ breites Spektrum an Inhalten undBedeutungen abzubilden und Politiker wollten auf den Punkt kommen, eine Lösung haben. Idee: einneues Fach entwickeln „Polykunstik oder Punst und Kolitik“ - Kunstlehrer sollten z.B. Politikunterrichten und umgekehrt.

AG 2: Thema: Sichtbare Stellungnahme im öffentlichen Raum, etwa durch Buttons, Mode etc –Zugehörigkeit zu einer Gruppe, Jugendkulturen – Schnittstelle ästhetische und politische Bildung: InUnterrichtsprojekt Symbole hinterfragen, Buttons analysieren und selber machen. Klischeeshinterfragen – sind Jugendkultur-Moden kommerzialisiert und somit entpolitisiert?

AG 3: Unterricht soll „gehirngerecht“ ablaufen, Schüler künstlerisch undpolitisch ansprechen, es müsse eine Vermischung von Kunst und Politikgeben, nicht nur Kunst als Form und Politik als Inhalt. Weg von Input-gesteuertem Wissen (wie bei Politikwissenschaft leider oft der Fall), esmüsse eine Prozessorientierung stattfinden, wie sie in der Kunst üblichsei.

AG 4: „Anschauung ohne Begriffe ist blind, Begriffe ohne Anschauungsind leer“. Interdependenz von Verstand und Sinnlichkeit. Was tun in derSchule? Schnittmengen Kunst und Politik sind da! Wichtiger Punkt:Medienkompetenz – Was kann die Kunst als ästhetische, sinnlicheWahrnehmung für politische Bildung bringen? Bildgebrauch kann zurweiteren Reflexion anbieten, Kunst kann eine weitergehendeBeschäftigung mit Gegenständen auslösen. Oberflächengestaltung alsStichwort.

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AG 5: Runder Tisch als öffentlicher Diskurs-Raum, etwaauf dem Schulhof oder im Stadtraum – Einbindung desPublikums, Diskussion von Fragen, Bearbeitung desTisches, Ergebnisse, Einigung, Uneinigkeit, Anregung zuGesprächen. Offene Fragen: Wie bekommen wir Leute anden Tisch, woher kommen die Inhalte? Wie kannErgebnissicherung aussehen?

AG 6: ausgehend von realer Problemlage in Radebeulnahe Dresden – Jugendverein ohne Jugend undJugendliche ohne Anlaufstelle / Ort. Jugendliche lungern vor dem Supermarkt herum, brauchenAnreize zur Partizipation. Idee: Ästhetische Störung, Besetzende Strategie des Raums, „Telefonzelledes Wunsches“, in der Wünsche anonym abgegeben werden können – oder ein Container mitFreizeitangeboten, z.B. Kicker aufstellen als Anreiz, um die Jugendlichen anzulocken und dann mitihnen ins Gespräch zu kommen.

AG 7: Wohin mit den Alten? Künstlerische Performancezum Zusammenleben von Alt und Jung, über Austauschund Kommunikation. Generationenkonflikt. ÄsthetischeStrategie als Startpunkt, eigene Assoziationen auszulösenund neue Horizonte zu erweitern.

AG 9 (AG 8 gibt es nicht): Sender-Empfänger-Problemetwa bei Konflikten um Urban Art. Ziel: Verständnis. RosaLaterne als Symbol, auf dem Schulgelände, daraus kannein Diskurs entstehen mit bildlichen und anderen Mitteln,dann Projektunterricht, Politik und Kunst zusammen, 4

Std. pro Woche, Ergebnis möglicherweise Internetseite „Rosa Laterne“ als Forum für die Schule.

AG 10: Schnittstellen Kunst und Politik, Verbindung in projektorientiertem Unterricht; Fragestellung:„Mit neuen Medien über soziale Netzwerke nachdenken“Dient das soziale Netzwerk als politischer Lernort? - Projekt zu Inszenierung / Positionierung;Schülerinnen und Schüler sollen Medienkompetenz als Produzenten und Konsumenten erlangen.Projektorientierter Unterricht: Was ist Inszenierung, was ist Positionierung, kann politisch oder auchkünstlerisch sein Projekt etwa eigenen Avatar entwickeln, zu politischen Faces und Fakes in sozialenNetzwerken in Beziehung setzen.

Die Präsentation zeigte mehrere Bezüge und Gemeinsamkeiten zwischen den Projekten auf. Beivielen Gruppen waren die Aspekte Ort und Kommunikation von zentraler Bedeutung - sich anbieten,auch im öffentlichen Raum; auch Visualisierung war ein zentraler Aspekt vieler Präsentationen.

Einige Gruppen bekundeten ihren festen Willen, ihre Ideen weiterauszuarbeiten und die Projekte durchzuführen. Andere wollen demTagungsthema auf anderen Wegen treu bleiben, an den Fragestellungenweiterarbeiten: Was kann die politische Bildung von der Kunst, was dieKunst von der politischen Bildung lernen? Wo können sie sich gegenseitiggut tun? Wie können gemeinsame Projekte von Kunstpädagogen undpolitischen Bildnern, von Künstlern und Politikwissenschaftlern aussehen?Wie können Bildungsprozesse aussehen, die ein gleichberechtigtesGemeinsames von beiden Bereichen sind, wo die Kunst nicht nurFederschmuck, Lockvogel oder Form für politische Inhalte ist?

Einig waren sich die Tagungsteilnehmerinnen und –teilnehmer,Referentinnen und Referenten darin, dass dies noch nicht das Ende derDiskussion und des Weges war, politische Bildung und Kunst zusammenzu denken und gemeinsame Projekte zu entwickeln, sondern erst derAnfang.

Text: Katharina Reinhold, Fotos: Christin Lübke (Ausnahme: Bild S. 5 von K. Reinhold)

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