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Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen Musik Author(s): Heinrich Husmann Source: Acta Musicologica, Vol. 52, Fasc. 2 (Jul. - Dec., 1980), pp. 101-121 Published by: International Musicological Society Stable URL: http://www.jstor.org/stable/932488 . Accessed: 13/06/2014 17:58 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . International Musicological Society is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Acta Musicologica. http://www.jstor.org This content downloaded from 188.72.96.115 on Fri, 13 Jun 2014 17:58:14 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen Musik

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Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen MusikAuthor(s): Heinrich HusmannSource: Acta Musicologica, Vol. 52, Fasc. 2 (Jul. - Dec., 1980), pp. 101-121Published by: International Musicological SocietyStable URL: http://www.jstor.org/stable/932488 .

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V. Karbusicky und A. Schneider: Zur Grundlegung der Systematischen Musikwissenschaft 101

VI.2.3.2: Der Therapieplan. Spezifik der Behandlungsma1~nahmen. VI.2.3.3: Die Praxis der Musiktherapie. Fallstudien. VI.2.3.4: Ergebniskontrolle. VI.2.4: Disziplindire Verschrainkungen. VI.2.4.1: Musiktherapie und Sonderpdidagogik. VI.2.4.2: Musiktherapie und Musikpsychologie. VI.3: Instrumentenkunde. VI.3.1: ,Organon' und Musikinstrument. Einteilungskriterien. Systematiken der Musik-

instrumente. Klassifikation, empirische Typologie. Ergologische, morphologische, funktionale Merkmale.

VI.3.2: Die Signifikanz des Musikalischen. Instrument und Spieltechnik. Instrumenten- akustik. Die Ausdrucksm6glichkeit der Instrumente. Fragen der Instrumentierung und der Notierung. Partiturordnung.

VI.3.3: Soziologische Aspekte. Ensemblebildung und Besetzung. Typologie der Musiker. Das Problem der ,Volksmusikinstrumente'.

VI.3.4: Mechanische und elektronische Instrumente und Gerite. VI.3.4.1: Instrument und Musikautomat. VI.3.4.1.1: Mechanische Apparate. VI.3.4.1.2: Elektronische Gerite.

Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen Musik

HEINRICH HUSMANN (GOTTINGEN)

Der orientalische Musiker, der eine Melodie verziert, sagt, daf er sie interpretiert. Der europiische Komponist sucht in den Variationen die verschiedenen Seiten des Themas sichtbar werden zu lassen. Dieser allgemein iibliche Sprachgebrauch war auch der der nachbyzantinischen Ornamentisten des 17. bis 18. Jahrhunderts, -

,,nachbyzantinisch" bezeichnet den Zeitraum nach der byzantinischen Epoche, die mit dem Fall Konstantinopels 1453 endet. So ist das beriihmte, mit Ison oligon oxeia

beginnende Lehrgedicht des Johannes Koukouzeles von Petrus Lampadarius ornamentiert worden und diese Komposition trigt in der Handschrift Paris, Bibliotheque Nationale, Supplement grec 1046, fol. 1, den Titel To mega ison exege- then para Kyriou Petrou Lampadariou tas tou Christou megal~s ekklesias tou Peloponnesiou, -

exegesis, unser,,Exegese", = ,,Interpretation", ,,Auslegung" u. i. Mit der Umschrift der nachbyzantinischen Kompositionen in die neue Notation der ,,drei Lehrer" (treis didaskaloi) Erzbischof Chrysanthos von Madytos, Chourmou- zios Chartophylax und Gregorios Lampadarios vom zweiten Jahrzehnt des 19. Jahr- hunderts ab wird der Ausdruck doppeldeutig. Der Hymnus Akathistos wurde ebenfalls von Petrus Lampadarius ornamentiert, - die Handschrift Paris, Bibl. Nat., Suppl. grec 1333, fol. 55, trigt iiber dem den Zyklus eroffnenden Theos kyrios den Titel

Exg?gth? para Kyriou Petrou Lampadariou. Die Umschrift ,,nach der neuen

Methode der Musik", enthalten in Paris, Bibl. Nat., Suppl. grec 1138, pag. 309, hat iiber dem Theos kyrios die Uberschrift O akathistos ymnos melourgitheis para tois

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102 H. Husmann: Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen Musik

archaiois kai ex~geth? de para tbn nebn didaskalbn kata tan nean methodon

mousikes, - der Hymnus ist ,,von den Alten in Melodie gesetzt, aber von den neuen Lehrern interpretiert"; in Wirklichkeit aber handelt es sich nur um eine freilich after durch Melismen erweiterte Umschrift der ornamentierten Fassung. Auch auf vielen weiteren Titeln ist

exegesis gleich ,,Umschrift", ganz aihnlich wie ein ,,interpreter" ja ein reiner Obersetzer und kein paraphrasierender Exeget ist. Damit entsteht das grundlegende Problem, welches der Anteil der Transkriptoren und welches der der Ornamentisten ist; denn da, wo eine mittelalterliche Komposition, wie z.B. beim zitierten Ison des Koukouzeles, zugrundeliegt, gibt es nicht zwei, sondern drei verschiedene Fassungen: die originale, oft auch bereits stark ornamentale mittelby- zantinische Komposition, die im 17. bis 18. Jahrhundert von den Ornamentisten ausgezierte Fassung und endlich die im 19. Jahrhundert von den Transkriptoren der ,,neuen Methode" umgeschriebene und z. T. nochmals weiter verzierte Endform. Neben diesen sich immer mehr erweiternden Gestalten gehen verkiirzte Formen, die ,,Syntoma", her, - oft wirkliche Vereinfachungen zu einer ,,Urlinie", oft Neukom- positionen ohne jeden Zusammenhang mit den anderen Fassungen. Diese Kurzfor- men fallen nicht in den Rahmen der vorliegenden Studie.

Geschichtliches

Schon Chrysanthos hat in seinem TheZratikon mega tas mousikis 1832 den Unterschied zwischen der einfachen Melodieform, der ,,Metrophonie", und der verzierten Form, ,,Melos", - und der hier nicht interessierenden auf Solmisationssil- ben gesungenen einfachen Form, der ,,Parallage" - grundlegend dargestellt. Von ihm fiihrt der Weg zu K.Psachos, der in seiner Parasamantik tas byzantines mousikis 1917 eingehend darstellte, dati jedem Zeichen der alten Notation eine verzierte Version entspricht, die nunmehr wiederum exegesis genannt wird. Die Niederschrift der urspriinglichen Form, der ,,Metrophonie" des Chrysanthos, ist nach ihm nur ,,stenographisch" und mujR erst interpretiert werden, wobei er fiir eine ganze Reihe von Zeichen, die vorher als reine Vortragszeichen aufgefagt wurden, z.B. das Antikenoma, melismatische ,,Exegesen" gab. Diese Begriffsbestimmung will ich hier iibernehmen: mit ,,Interpretation" bezeichne ich entsprechend Psachos' ,,Exegese" ein Melisma, das als Ausdeutung einer einfacheren Notenfigur, ,,The- sis" in der jetzigen griechischen Theorie, etwa eines Thematismus, oder eines bisher als Vortragsanweisung angesehenen Zeichens anzusehen ist, mit ,,Ornamentation" eine frei erfundene Verzierung, die nicht woanders vorkommt, oder, wenn sie iibernommen wird, jedenfalls nicht gesetzmlitig stets nur fiir ein und dasselbe Zeichen der unverzierten Kompositionen, nach Psachos nur vereinfachten Aufzeich- nungen der stets beabsichtigten melismatischen Formen, eintritt. Die Grundfrage der oft mit Leidenschaft gefiihrten Diskussion ist also die, welche 6fter vorkommen- den Melismen, die ich als ,,Standardmelismen" bezeichnen will, als Interpretation einer ,,Thesis", welche als freie lZbernahme oder Anleihe, der keine GesetzmliBig- keit zugrunde liegt, anzusehen sind.

Der heutige Altmeister der stenographischen Theorie, S.Karas, schon 1933 mit seiner H byzantina mousika sameiographia der unmittelbare Nachfolger von

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K. Psachos, hat jiingstens seine Ansichten in einem Vortrag in London 1975 konzentriert dargestellt, der 1976 als Privatdruck mit dem Titel H byzantine mousik? palaiographik? ereyna en Elladi in Athen erschien. Hier bringt er auf den Tafeln 18a, 18b und 19 Beispiele von Exegesen, besonders anschaulich Tafel 19 mit einmal der Interpretation Karas' selbst, andererseits der Obertragung desselben Stiicks durch M. Dragoumis nach den Prinzipien der Monumenta Musicae Byzanti- nae. Karas' Deutung bringt Umspielungen, Mordente, also lauter ,,Manieren" nach Art unserer Barockpraxis. Es fehlen aber ,,Standardmelismen", wdihrend schon Psachos auf Tafel 14 (zwischen S.66 und 67) als 5.Beispiel ein Standardmelisma brachte, das er als eine der Exegesen des schwarzen Antikenoma auffiihrt und auf das ich im weiteren noch niher zu sprechen komme.

Der jiingste Vertreter der stenographischen Theorie, Gr. Stathis, hat in einer ganzen Reihe von Aufsditzen immer wieder die Richtigkeit dieser Theorie behauptet, aber immer nur - aihnlich Psachos - vereinzelte Beispiele gebracht, die nichts beweisen, da hierzu eine erschopfende Analyse der nachbyzantinischen Musik erforderlich ist, die allein eine einwandfreie Beurteilung des ganzen Fragenkomple- xes erm6glicht. Neuestens endlich hat er nun unter dem Titel H exegesis tes palaias

byzantines semeiographias, Heft 2 der Meletai des Idryma byzantines mousikolo- gias, Athen 1978, zwei Traktate herausgegeben, die er schon friiher als die

grundlegenden Beweise zitierte: eine anonyme Schrift, die in dem Manuskript Athos, Kloster Xeropotamou, Handschrift 357, vorliegt, und Teile einer Arbeit des A. Konstas Chios, die er in einer Abschrift des Athos-Klosters Docheiariou Ms. 389 benutzte. Der Traktat des xeropotamischen Anonymus, geschrieben nach Stathis 1820 oder kurz danach, hat den anspruchsvollen Titel Exegesis tin palaian charakt?- ron kai hypostasebn tou palaiou systematos, - sie will also eine Interpretation der Noten und ,,Vortragszeichen" (wenn man mir erlaubt, dies mangels Besserem als Obersetzung von ,,Hypostase" zu verwenden) der alten Notenschrift geben, ein Unternehmen, um das sich die Musikwissenschaft seitdem unablissig bemiiht, ohne in diesen einhundertundfiinfzig Jahren sich selbst iiber die primitivsten Grundlagen einigen zu konnen. Das Autograph der Mousik techn? des A. Konstas Chios ist Juni 1800 in Konstantinopel geschrieben. Wie Stathis gefunden hat, ist sie fiur weite Teile des Traktats des Xeropotamikus die Vorlage und insbesondere vom 26. ab sind alle Musikbeispiele des Xeropotamikus der Schrift des A. Konstas Chios entnommen. Da Konstas Chios in der alten Notation schreibt, der Xeropotamikus die Beispiele in die neue Notenschrift iibertrdigt, liifit sich zugleich priifen, wie weit er selbst bei der Transkribierung die Regeln beobachtet, die er glaubt aufgezeigt zu haben. Der begleitende Text Stathis' ist eine entscheidende, wenn auch nur begrenzte Abwendung von der ,,totalitiren" stenographischen Methode Psachos', die er nur noch fiir bestimmte Zeichen aufrecht erhilt. Er schrieb noch in I manoscritti e la tradizione musicale bizantino-sinaitica, in: Theologia 43 (1972), Sonderdruck S.27:

,,Dopo tutto questo esemplificato esame risulta, in primo luogo, che la vecchia notazione bizantina era stenografica e per conseguenza molto difficile ad impararsi. Si chiedeva una larga memoria per ricordare tutti i meli diversi dei segni nelle loro

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10o4 H. Husmann: Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen Musik

diverse funzioni,ed una frequenza di lunga durata presso un maestro tradizionalista. Poi, e questo e il gran guadagno della scoperta di questo manoscritto, si giustificano tutti gli sforzi per l'analisi e l'esegesi della notazione bizantina e si vede piui chiaro il

fatto stesso della riforma dei Tre Maestri nel 1814", - die Stathis unbekannte Notation dieses grundlegenden Manuskriptes Sinai grec 1477 ist die bekannte, in der Mitte des 17. Jahrhunderts in den russischen Kirchengesang eingefiihrte sogenannte Kiewer Notation, wie sie noch heute in den offiziellen Ausgaben der russischen orthodoxen Kirche verwendet wird. Wenn die von Stathis vorgeschlagene Datierung ,,circa 1720-1760" stimmt, ware dieses Manuskript allerdings, fiinfzig Jahre oder mehr vor den Umschriften der drei griechischen Lehrer, die fundamentale

Quelle fuir das Studium der nachbyzantinischen Ornamentik, - die von Stathis

mitgeteilten Musikbeispiele sind daher im folgenden jeweils beriicksichtigt; es sind Ouranisma, Thematismus, Nana-Intonation und Parakletike.

Ebenso sagt Stathis am Schlu19 von E palaia byzantine simeiographia kai to

problima metagraphis tis eis to pentagramma, in: Byzantina 7 (1975), S. 193-220, der erweiterten Form seines Referats auf dem Kopenhagener 11.Kongret der Internationalen Gesellschaft fiir Musikwissenschaft 1972, dag der Zweck seiner Studie erffillt sei, wenn man sich entschlbsse, die folgende Figur in der interpretier- ten Form zu singen, - es handelt sich um den Thematismus, den er nach dem

Beispiel 32a des Xeropotamikus, also einer Umschrift nach Konstas Chios, mitteilt. In E exgeisis gibt Stathis nun zum ersten Mal eine ganze Komposition im Original (leider ohne Angabe der Handschrift) und in einer Interpretation nach einer

Ausgabe von 1842. In der Besprechung dieses Beispiels sagt er S.112, dat mit

ganzen Melismen interpretiert werden: Kratemahyporrhoon, Parakalesma, Epe- germa, Kylisma, ,,spiter" Tromikon, Ekstrepton, Pelaston, Lygisma und Heteron, dag dagegen, ,,wie die jeweilige melodische Technik es will", also doch wohl ohne feststehende Formel, ausgestaltet sind: Homalon, Psephiston, Antikenoma (gerade einem Beispiel von Psachos, siehe oben), Bareia, Piasma und alle roten Zeichen. In der Tat sind Bareia, Psephiston, Homalon, Antikenoma, aber auch Heteron, gerade die Vortragszeichen, die die moderne Notation aus der alten iibernommen hat, wobei man wohlwollend annehmen kann, dat sie auch in ihrer alten Bedeutung ubernommen wurden: Bareia ein leichter Akzent, Psephiston ein Sforzato, Antike- noma ein decrescendo, bei l~ingerer erster Note mit einem Mordent auf dieser, das Heteron unser ligato. Bei diesen Zeichen nach melismatischen Interpretationen zu

suchen, hat daher von vornherein wenig Sinn, - es sei denn, man niihme an, dat die

Transkriptoren die iiblichen Interpretationen in diesen FRillen abgeschafft und durch die eben angefiihrten einfacheren Bedeutungen ersetzt hiitten. Ebenso bezeichnet Stathis ebenda S.206 als ,,Ekphrastika": Antikenoma, Homalon, Psephiston, Bareia, Kylisma, Lygisma ,,etc.".

I. Nicht ornamentierte Zeichen in ornamentalen Fassungen

1. An bestimmte Tonfolgen gebundene Zeichen

Betrachtet man zuerst den Traktat des Konstas Chios, bei Stathis, Exegesis, die Tafeln 14-32 auf den Seiten 134-152, so bringt er fiir die folgenden ,,aphonen"

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H. Husmann: Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen Musik 105

Zeichen, d.h. die, die keine Tonschritte, Spriinge etc. bedeuten (phan =

Tonschritt), Musikbeispiele: f.32v. Antikenoma, f.33v. Homalon, f.34 Psephiston, f. 35 Bareia, f. 36 Mise bareia (die ,,halbe" kleine rote Bareia) als erste Klasse dieser Zeichen, f.37 Tromikon und Ekstrepton, f.37v. Piasma, f.38 Antikenokylisma, f. 38v. Kylisma, f. 38v. Heteron als zweite Klasse, f. 40 Parakletike, f. 40v. Lygisma, f. 41 Epegerma, f. 41v. Stauros als dritte Klasse , wobei die letzten beiden Beispiele zum gr6ilten Teil identisch sind, endlich ab f. 43v. die Musikbeispiele fiir Tromikon- synagma usw., die der Anonymus Xeropotamou iibernommen hat. Die erste Gruppe enthilt gerade wieder von der Reform der drei Lehrer beibehaltene Zeichen (mit Ausnahme der halben Bareia, die ausgeschieden wurde); aus der zweiten Klasse blieb das Heteron erhalten. Es ist kaum wahrscheinlich, dafi die anderen Zeichen der zweiten Klasse einen fundamental anderen (naimlich ,,exegetischen") Charakter haben als das Heteron und ebensowenig liift sich einsehen, warum die dritte Serie prinzipiell verschieden von den beiden vorigen sein sollte. DaB die Musikbeispiele Interpretationen der betreffenden Zeichen sind, ist gdinzlich ausge- schlossen: sie sind frei erfundene Melodien, die haiufige Beispiele fiir die Ver- wendung der Zeichen bringen. Ich teile hier den Anfang des Musterstiicks des Antikenoma mit, im 4. Plagalton auf cl; A bezeichnet ,,Antikenoma", G ,,Gorgon" (fiir kiirzere Notendauer), wobei ich die Buchstabennotation verwende, wie J.Raasted sie vorschlug und anwendet. Der Bindebogen steht ffir Apostroph- Elaphron.

A GA G A A A A c1 c1 c1 d' c1 d' c1 d' e1 d' e1 d1'c d1'cho c1'hOa ho c1

an- ti- ke- e- e- e- e- e- e- no- o-ma- a-cha- a- a-

Diese Phrase kann keine Interpretation des Antikenoma sein; denn dann miifte man jedes Antikenoma, das erscheint, durch die ganze Phrase ersetzen und die dann (im Quadrat 6 x 6) vorkommenden Antikenomata nochmals und so fort in infinitum. Eine Interpretation kann eben nicht ihr zu interpretierendes eigenes Zeichen enthalten. Aber das Beispiel ist sehr lehrreich: es sagt zwar nichts iiber die Natur (decrescendo) des Zeichens aus, zeigt dieses Zeichen aber immer nur unter einer absteigenden Sekunde. Im weiteren Verlauf des Beispiels erscheint das Zeichen auch unter zwei einander folgenden absteigenden Sekunden, einmal auch unter der Gruppe gf1Feld', wobei fraglich bleibt, ob auch jede folgende Note wiederum

schwicher sein soll als die jeweils vorhergehende. Jedenfalls ist ersichtlich, daB ein bestimmtes Zeichen an eine bestimmte Tonfolge gebunden sein kann: ein decre- scendo macht man nur iiber absteigenden Sekunden, nicht bei Spriingen und nicht aufwdirts, - infall es hierfiir nicht andere Zeichen gibt, die ein decrescendo in diesen Fallen andeuten. Aber die Tonfolge, unter der sich das Zeichen findet, ist keinesfalls die melodische Interpretation dieses Zeichens. Freilich kann es sein, daf in einer vorangehenden archaischen Notation, etwa bei Theta, ein solches Zeichen einen melodischen Sinn hatte und da1t man, als man die Tonfolge in ihre Teile zerlegt schrieb, man das Zeichen beibehielt, obwohl es nun iiberfliissig war.

Als solche an bestimmte Tonfolgen gebundene Zeichen nennt der Traktat des

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Konstas Chios - Stathis, Exegesis, S. 63 -: Kylisma: zwei Schritte abwdrts, einen aufwdirts, einen abwirts; Antikenokylisma: einen abwirts, einen aufwirts, zwei

abwirts; Heteron: aufwairts und abwirts. Entsprechend zeigt das Kylisma- Melodiebeispiel f. 38v. das Kylisma unter Gruppen der Form f'e1 d' e'1 dl, gl f e1 fP e usw., das Antikenokylisma-Beispiel f.38 das Antikenokylisma unter Figuren der Art f lelfled' u.ii., das Heteron-Beispiel f.38v./39 sein Zeichen bei Figuren wie f' e1 d', f' el, f' g1 f', aber auch a' g f' gl f, wo ein Kylisma stehen mii1fte. Im Sticheron Sbtarian, das Stathis, Exegesis mitteilt (siehe oben), steht ein Kylisma richtig bei

g1 fl e1 fl el, das andere dagegen bei g' fP fP e1 d'. Vergleicht man weitere Literatur, so findet man das Kylisma dagegen auch sehr hiufig bei aufsteigenden Gruppen, so z.B. im Doxastikon der Kassiane iiber der Folge dl'ef', - das hat schon der

Anonymus Xeropotamou bemerkt, der eine solche Gruppe anfiihrt, Beispiel 18d bei Stathis, Exegesis, S. 65. Man sieht deutlich, da1f diese Figuren nicht so eindeutig an bestimmte Tonfolgen gebunden sind wie das Antikenoma, zugleich, da1f die Literaturkenntnis des Konstas Chios nicht so umfassend war, wie es fiir seine Arbeit n6tig gewesen wire.

Der Xeropotamikus hat das Antikenoma nicht aufgenommen; das Antikenoky- lisma hat er im Beispiel 17, Stathis, Exegesis, S.64, das erste Mal unverziert, das zweite Mal mit der Verzierung e f1 gl f e statt e1 dargestellt. Beim Kylisma bringt er Standardmelismen, die ich weiter unten bespreche.

Psachos hat auf Tafel 11 (zwischen S. 54 und 55) fiir das Antikenoma unter den Tonen g' f1 den Triller g' a1 g' a1 als ,,exegesis" von g' angegeben und dariiber hinaus als

,,Exegesis in die heutige Schrift" hierfiir wieder g a1 gl f a (im langsamen

Rhythmus 3/4 1/4 1/4 1/4 1/2). Auf der Tafel 14 (siehe oben) hat er fiinf verschiedene

,,Exegesen" aus den Umschriften in die neue Notation fiir das schwarze Antike- noma, darunter die ,,Exegese in die heutige Schrift" der Tafel 11 an zweiter Stelle, weitere fiinf nochmals verschiedene fiir das rote Antikenoma, darunter den Triller der Tafel 11 an vierter Stelle, angegeben. Alle zehn ,,Exegesen" sind verschieden. Das zeigt auf das klarste, da1f Psachos das Wort ,,stenographisch" nicht im modernen Sinn, wo einem Zeichen der Stenographie nur eine einzige Auflisung entspricht, verwendet, sondern da1f er nur meint, da1f die Vortragszeichen Anwei-

sungen zu einer an dieser Stelle vorzunehmenden freien Verzierung sind, also nach der oben angegebenen Begriffsfestlegung gerade nicht zu einer Exegese = Interpretation, sondern zu einer Ornamentation.

2. Rote und schwarze Zeichen

Vergleicht man die zehn Ornamentationen des schwarzen und roten Antikenoma bei Psachos, so sieht man nicht, worin der Unterschied zwischen einem roten und einem schwarzen Zeichen eigentlich bestehen soill. Dariiber hat sich bereits Konstas Chios bei der ersten Zeichenklasse - Antikenoma, Homalon, Psephiston, Bareia - Gedanken gemacht und gemeint, die roten Zeichen hitten nur die halbe ,,Energie" der schwarzen Zeichen. ,,Energie" ist der Sinn des Zeichens, - nach der heutigen Auffassung bezeichnete das rote Antikenoma also ein schwlicheres Decrescendo als das schwarze. Ich glaube, da1 ein weiterer rein palhiographischer Grund zu

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beriicksichtigen ist. Der Schreiber selbst oder ein davon verschiedener Rubrikator begann sein Werk erst, nachdem das schwarze Manuskript schon fertig war, wobei er oft auch Varianten einer zweiten Vorlage in rot mitteilte. Dabei trug er dann vom schwarzen Schreiber vergessene oder aus der zweiten Vorlage stammende Zeichen in rot nach. Auch sonst gibt es Stellen, wo es scheint, als ob schwarzes und rotes Zeichen gleiche Bedeutung haben: so steht z.B. im Polyeleos des Daniel Protopsal- tes in der Handschrift Suppl. grec 1333, f.77v., der Bibl. Nat. Paris mit alter Notation iiber en oikb ein rotes Psephiston, in der Umschrift der schon zitierten Handschrift Suppl. grec 1138, pag. 104, dagegen ein schwarzes.

3. Nicht ornamentierte Zeichen in ornamentierten Fassungen Die Ansicht Psachos', daf die Vortragszeichen Anweisungen einer vorzunehmen-

den Ornamentation seien, l~it sich leicht durch Vergleich einer unverzierten Fassung mit ihrer verzierten Form priifen. So ist z.B. die Originalform des Ison des Koukouzeles in der Handschrift Sinai gr. 1323 iiberliefert, eine von Petrus Lampadarius vorgenommene ,,Exegese" (siehe oben ihren Titel) in der Handschrift Paris, Bibl. Nat., Suppl. grec 1046 (siehe ebenda). In der ornamentierten Fassung der Handschrift Suppl. grec 1046 in alter Notation sind die folgenden Vortragszei- chen nicht ornamentiert: Tromikon, Thes kai apothes, Ouranisma, Seisma, Anatrichisma, Psephistokatabasma, Parakalesma, Tromikoparakalesma, Antikyn- tisma, Bareia, Piasma, die Intonation ,,Barys", die Schlu~Bformel ,,Barys tetraph6- nos", das Epegerma. Dabei kinnen wohl Erweiterungsphrasen vorangehen oder nachfolgen. Die angefiihrten Stellen sind diejenigen, an denen der Name des Zeichens im Text erscheint. Auferdem gibt es im Ison des Koukouzeles Stellen, wo bei der Nennung eines Zeichens in der Melodie nicht nur dieses selbst illustriert wird, sondern auch noch weitere Zeichen erscheinen, die in die verzierte Fassung unverziert iibernommen worden sind. So werden folgende Zeichen des Originals ohne Ornamentierung unverindert in der bearbeiteten Fassung beibehalten: Psephiston iiber dem Textwort Oxeia, Bareia iiber Antike-(nokylisma), der Thema- tismus am Ende des Kolaphismus, Seisma iiber Choreuma, Psephiston iiber omoion und synthesis, Piasma fiber amphotera, Bareia iiber barys, Kratema iiber (s?meron) kai und tessares. Petrus Lampadarius lieB das Ouranisma unverziert, den Thema- tismus verzierte er einmal, daB andere Mal lieB er ihn unberiihrt, - Petrus Lampadarius war jedenfalls nicht der Meinung, daB man diese Zeichen jedesmal ornamentieren miif~te, wie es die Vertreter der stenographischen Theorie mochten, - siehe oben den Thematismus als Musterbeispiel von Stathis in E palaia byzantine s?- meiographia, S. 220, ebenso I manoscritti (siehe oben), Sonderdruck, S. 25, wo Stathis von den gro1~en Hypostasen sagt: I pizu rappresentativi di essi sono l'Ouranisma e il Thematism6s, und ornamentierte Beispiele aus dem Manuskript mit Kiewer Notation bringt, die ,,Analyse und Exegese" dieser Zeichen sein sollen (siehe das oben mitgeteilte Zitat), - schon Chrysanthos sprach von ,,analytisch" und ,,synoptisch".

Faft man die Ison-Komposition des Petrus Lampadarius nicht als Ornamentie- rung, sondern als Interpretation (= Analyse und Exegese) auf, so ger~it man in

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dieselbe Schwierigkeit, die schon am Antikenoma-Beispiel des Konstas Chios entwickelt wurde: eine interpretierende Fassung, die die ,,synoptischen" Zeichen

,,analytisch" auflast, kann nicht noch einmal diese selben Zeichen enthalten; denn das wiirde wieder eine erneute ,,Auflbsung" von ihnen bedingen. Die ornamentale Version des Ison enthilt aber die folgenden Vortragszeichen: Antikenoma schwarz und rot viele Male, Homalon hiufig, z.B. schwarz iiber Kratema, rot iiber Oligon, Psephiston schwarz oftmals, auch an der zitierten Stelle, wo es aus der Originalfas- sung stammt, rot iiber Antikyntisma, grofe schwarze und ,,halbe" rote Bareia beide sehr hdiufig, Kratema und Kratemahyporrhoon beide schwarz haiufig, Tromikon schwarz hdiufig, oft mit folgendem schwarzem Ekstrepton (rot sehr selten, nicht im Ison, aber im Doxastikon der Kassiane, Suppl. grec 1333, fiber (ta pl-e-) th), Tromikon mit Heteron, beide schwarz, als Tromikoparakalesma aus dem Original, gefolgt von Ekstrepton mit Heteron, Piasma schwarz iiber Strangismata, rot ebenfalls haiufig, Antikenokylisma rot in Synagma, tatsdichlich unter der charakteri- stischen Figur g' f g'f e des Konstas Chios, Kylisma rot unter der aufsteigenden Figur mehrmals im Doxastikon der Kassiane, wieder im Ison rotes Heteron sehr

hiufig - das Heteron (eteron = ,,anderes") in friihen Neumentabellen hinter Parakalesma als eteron, ndimlich Parakalesma, dessen Figur es auch ihnelt -, schwarzes Parakalesma aus dem Original (siehe oben), rote Paraklitike bfter, rotes

Lygisma sehr hiufig, rotes Epegerma aus dem Original, rotes Psephistosynagma im Doxastikon der Kassiane, schwarzes Xeronklasma im Ison iiber amphotera aus dem

Original, rotes Argosyntheton aus dem Original, rotes Ouranisma aus dem

Original, roter Thematismus mehrmals, darunter auch aus dem Original, endlich rotes Thes kai apothes aus dem Original. In allen diesen Fallen sind die Zeichen also

Vortragsanweisungen wie z.B. beim Psephiston (sforzato) oder bereits analytische

Aufl6sungen, denen ihr Zeichen pleonastisch hinzugefiigt wurde wie bei - wiirde ich denken - Thes kai apothes, Ouranisma, Tromikon, Parakalesma, Thematismus,

Epegerma, Stauros, Tromikoparakalesma, da in diesen Fallen der Ornamentator nicht nur das Zeichen, sondern auch die ganze melodische Figur aus dem Original iibernahm.

4. Identische Ornamentation fiir verschiedene Zeichen

Mit einer Deutung der Beispiele des Konstas Chios als Interpretationen unver-

traiglich ist weiter die Tatsache, daf in einigen Fallen dasselbe Beispiel fiir verschiedene Zeichen benutzt wird. So sind die Beispiele fuir Hemiphonon und

Hemiphthoron identisch, ebenso die fiir Epegerma und Stauros zum gri6feren Teil. Im zweiten Fall enthilt das Epegerma-Beispiel am Schlufg die Wendungen b' c2 al b und f'g' e' , die der Floskel b'c2a'b' des Epegerma im Ison des Koukouzeles

entspricht. Der Stauros folgt auch im ornamentierten Ison dem Epegerma mit fast derselben Formel b' c2 ab2c2c2, aber der Stauros fehlt in Handschriften des

originalen Ison, z.B. Sinai gr. 1323, und ist anscheinend eine spitere Interpolation, fiir die man einfach das vorangehende Melisma nochmals benutzte. Um die

Identitit zu vermeiden, hat der Xeropotamikus in seiner Transkription dieselbe Melodielinie des Anfangs d'e' fg a verschieden ornamentiert, wie es schon

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H. Husmann: Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen Musik lo9

Konstas Chios im erklirenden Textteil angedeutet hat, wobei seine Epegerma- Formel, etwa e' g1 g1 f', aber von der Formel des Ison des Koukouzeles, die in seinem eigenen Musikbeispiel erscheint, verschieden ist.

5. Angeblich identische Interpretation verschiedener Komponisten Endlich ist auf Eigenheiten der Tradition einzugehen, die Stathis als Beweis ffir

die Eindeutigkeit der Analyse eines synoptischen Zeichens vorgebracht hat. In dem schon zitierten Aufsatz in Byzantina 7 (1975) hat er auf Tafel 20 den Anfang eines Stiickes von Theodoulos Monachos, sieben ,,Exegesen" in der alten Notation und eine Umschrift in die neue Notierung mitgeteilt. Von den sieben angeblichen Interpretationen sind zwei anonym, die iibrigen fiinf werden jeweils einem anderen

Komponisten zugeschrieben; dabei sind aber alle sieben Fassungen sich sehr Thnlich. Ich setze hier Interpretation (oben) und Original (unten) zum Vergleich iibereinander, wobei ich als Interpretation die des Petrus Peloponnesius wihle.

Interpret. c' c1d' eld' e'f'e'f'dld' d' fP e f fielfielel d'

Orig. a aao ef ee e fP d' Al- le- lu- i-

Sehr merkwiirdig ist, da13 alle Interpretationen am Anfang mit c1 statt mit ao beginnen; moglicherweise liegt ihnen ein Original mit dem Anfang c' zugrunde, - die Interpretation von ao durch c' oder c' d' ist mir nicht begegnet und anscheinend undenkbar, zumindest am Anfang eines Stiickes (Oberleitungen im Innern eines Stiickes sind als Ornament in dieser Form m6glich). Stathis erklirt die Sachlage so, dafB die Regeln der ,,Analyse" so eindeutig waren, dafB alle fiinf Komponisten in absolut derselben Weise analysierten, weil eben einem Zeichen nur eine einzige Ausdeutung entspricht. Aber das Beispiel ist nicht schliissig: selbst von der merkwiirdigen Abweichung am Anfang abgesehen, ist die iiber e'e' stehende ,,Analyse" nicht eindeutig, da ein Unisonus in sehr viel anderen Weisen in den Kompositionen umspielt wird, - ich zitiere aus dem von eben demselben Petrus Peloponnesius verzierten Ison die ersten Verzierungen eines Einzeltones der Reihe nach: f'eP statt fP, a1h1alh' statt a', g'f'g9lah' statt g1, fuir einen Unisonus g9 g g' f1 g f1 e' d' e'fiir e'e'. Die richtige Erklairung kann daher nur sein, da13 die sieben Versionen nicht voneinander unabhdingig sind, sondern auf eine einzige Komposition zuriickgehen, die spdter unter den Namen verschiedener Komponisten in Umlauf war. Gerade Stathis selbst hat ja in seinem Aufsatz E sygxys tan trian Petrbn, in: Byzantina 3 (1971), S. 213-251, Licht in die unendliche Verwirrung zu bringen versucht, die in der Oberlieferung der Werke der drei Petrusse Bereketis, Peloponnesius und Byzantius besteht.

6. Verschiedene Ornamentierung ein und desselben Zeichens und Mehrdeutig- keiten von Figuren

Unvertr~iglich ist weiter der umgekehrte Fall, daB ein ,,cheironomisches", eine Melodieformel bedeuten sollendes Zeichen in zwei verschiedenen ,,Interpretatio- nen" vorkommt, die deshalb nur ,,Ornamentationen" sein konnen. Das findet sich

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110 H. Husmann: Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen Musik

ausgerechnet beim Thema haploun, das nur eine Abart des Thematismus, des Hauptvertreters der angeblich ,,stenographisch" zu deutenden Zeichen, ist. Im Ison des Koukouzeles tritt es als letztes Zeichen vor der Schlu1~kadenz des 2. Plagaltons auf, erscheint aber vorher bereits als Verlhingerung des Ouranisma auf dessen

Schlu1~silbe -ma (so in Sinai gr. 1323). An der Ouranisma-Stelle sieht der Vergleich mit dem Original so aus (B = Bareia, TH = Thema haploun, Kr = Kratema:

B Kr HR AR

g9g alh' chl1c2hlalc2 C2C2 h1'halg'f' a'a' Suppl. gr. 1046 ni- sma

g9g a1 c2 h' a'a' TH

Sinai gr. 1323 ni- sma Dabei steht in der ornamentalen Fassung unter c2h' a' c2 ein rotes Heteron (HR),

darauf folgend unter c2c2 ein rotes Antikenoma (AR), das wie normal (siehe oben) im Sekundschritt abwirts nach h' fiihrt.

An der zweiten Stelle benutzt Petrus Peloponnesius die folgende Auszierung fiir die Originalfigur des Theta haploun bei Koukouzeles:

B B B blc2al1bc2 c2blc2b1laalal blalb'd2d2e2d2 d2c2blblc2b1lalbc2

Suppl. gr. 1046 the- ne-

blblalblc2 bla1 b1c2 XK P TH

Sinai gr. 1323 the-

c2bI alblalbla 9 g' alb' b'd2d2 ne- ma a- ploun

bl a' g1 alb' b'd2d2 ma a- ploun

Unter der Anfangsfigur b' b' a' b' c2 hat Sinai gr. 1323 ein Xeronklasma (XK), das die Handschrift auch mit dem Choreuma (siehe unten) verbindet, iiber ihr eine Parakletike (P); das Theta haploun steht unter der Figur (a') bx c2 bx a' g, die also die Notenfolge ist, an die sich das Theta haploun anschlie1ft und die wohl seine

,,Analyse" ist. In der Ouranisma-Verlingerung war es die Figur a' c2 h' a' a', unter der es auftrat, die dieselbe Aufl6sung wie der Thematismus ist. Die Bareiai geben in der heutigen Auffassung einen leichten Akzent oder in sequenzierenden Motivfol-

gen iiberhaupt nur die Gliederung; in dieser zweiten Funktion gehen sie an der ersten und zweiten Stelle der Tonfolge c2b' c2b a' voraus, die nichts anderes ist als die Melodiefigur, der sich das Antikenokylisma anschlie1ft wie (siehe oben) in den

Musikbeispielen des Konstas Chios, das tatsdichlich an der zweiten Stelle ihr auch in rot untergeschrieben ist. In dem von Stathis (siehe oben) mitgeteilten Alleluia-

Beispiel haben die beiden anonymen Versionen anstelle von f'e'f' d' d' die Folge f e' f' e' d', also ebenfalls ein Antikenokylisma, das der zweite Anonymus aber als f' plus ex f'ex d' aufgefaft hat, die letzte Gruppe dabei als Tromikon, das er unter sie gesetzt hat. Solche Figuren sind also sogar mehrdeutig, was wiederum zeigt, da1 sie nicht noch einmal analysiert werden miissen, da sie bereits analytisch zerlegt sind. Betrachtet man als Erginzung das von Petrus Lampadarius ornamentierte Doxasti-

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H. Husmann: Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen Musik 111

kon der Kassiane (siehe oben) - in seinem Akathistos finden sich nur Kylismata, aber kein Antikenokylisma -, so findet man ein Antikenokylisma wieder unter derselben Figur f 'e'f'e'd. Was nun das Thema haploun selbst anbetrifft, das also nur am Ende des Textwortes erscheint und mit dem diese vorangehenden Ornamentationen, Antikenokylisma bzw. Xeronklasma, nichts zu tun haben, so ist es beide Male verziert, beide Male aber verschieden: in der ersten Stelle ist die

Spitzennote c2 mit dem Antikenokylisma c2h c2h'a' mit Riickkehr zu c2 verziert, die

folgende Note h' gefolgt von a1 erweitert zu h' a' g' fl a1, wieder einer Standardfigur, dem Seisma. Das ist hier besonders wirkungsvoll gemacht, da das Seisma selbst unmittelbar mit der selben Figur beginnend folgt. An der zweiten Stelle ist das c2 des Xeronklasma durch dasselbe Antikenokylisma erweitert; das schlie1~ende a' bildet zugleich die Anfangsnote des Thema haploun. Dessen erste Note a' ist durch eine grofte Koloratur ersetzt, die ich im Moment nicht woanders nachweisen kann, sein zweites b' durch einen Triller blalblalb1. Textverschiebungen wie hier sind

hiufig, - sie finden sich auch im lateinischen und volkssprachigen Gesang des Mittelalters. Man kann sie auch als Vorausnahmen oder Nachholungen erkldiren. Sehr hiufig sind Verzierungen wie hl'a' g oder a' gl anstelle von im Original die Silbe beginnendem gl, wobei hl'a' oder a' aus der vorigen Silbe stammen k6nnen (aber nicht brauchen).

II. Standardmelismen bei Ornamentisten und Transkriptoren

1. Das Kylisma-Tromikon-Universalmelisma a) Seisma-Choreuma Die verzierte Fassung des Seisma fiihrt nun mitten in die Erscheinung der

Standardmelismen. Das Seisma des Ison des Koukouzeles und seine Verzierung durch Petrus Peloponnesius lauten folgendermaf~en, wobei S das Seisma-Zeichen andeutet: B

ala1hlhlalglflalal c2hlc2h1d2e2d2c2c2hlc2h1 alglalal Suppl. gr. 1046 seis-

S a1 h1 [a 1gl] a1

Sinai gr. 1323 seis- B

h'a'h' gig1 alglalglfle1 ma

g1 a1 glfl ma

Hierin ist hlalg lal die normale Seisma-Aufl6sung, wie ich sie fuir das Seisma- Zeichen in Sinai gr. 1323 eingesetzt habe; die Aufl6sung in Suppl. gr. 1046 ist hieraus durch Erweiterung um fl entstanden. Das hierauf von Petrus Peloponnesius angefiigte Melisma von c2h'C2h' bis hlalg'lala1 erscheint in der Ornamentierung des Ison nun noch einmal - eine Quarte haher transponiert - am Anfang der Schlu1silbe -ma des Choreuma und entspricht hier der Folge e2d2d2 mit Seisma des Originals, woraus hervorgeht, da1 der Schlu1 e2d2 c2d2d2 das originale Seisma darstellt. In der originalen Seisma-Stelle (siehe das Musikbeispiel) erscheint das

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112 H. Husmann: Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen Musik

Seisma in der Ornamentierung also zweimal, im Anfang h' h' a' g f' a1 a' und im

Schlu1f h a'gl'a a des Melismas. Das Seisma mit f' findet sich im Ison nochmals als Verzierung iiber dem zweiten (apo-)rrho-(?). Das Melisma mit Seisma-Schlu13 treffen wir nun noch einmal im Akathistos gleich am Anfang des Kontakions Te

hypermacho iiber per-ma-, - in der Handschrift Suppl. gr. 1333 in alter Notation, ebenso im Suppl. gr. 1139 f. 71 in alter Notation. Aber dies Melisma ist ebenso

dasjenige, das Psachos (siehe oben) als fiinfte seiner Antikenoma-Exegesen abgedruckt hat, allerdings in der neuen Notation. Auch Stathis hat in seinem neuen Buch die Melismen des Xeropotamikus in unendlich sorgfdiltiger bewundernswiirdi-

ger Griindlichkeit in anderen Kompositionen nachgewiesen, - aber er benutzt auch nur gedruckte Ausgaben der ,,Neuen Methode". Das erweckt den Eindruck, als ob Psachos wie Stathis meinten, da13 die Transkriptoren auch die ,,Exegeten" der neuen Methode sind, wdihrend, wie ich glaube (siehe oben), exagesis

in den Titeln dieser

Ausgaben nur als ,,Transkription", allerdings zum Teil nochmals ornamentierende, aufzufassen ist. Denn ein Beispiel wie dieses zeigt unwiderleglich, daf bereits Ornamentisten wie Petrus Peloponnesius iiber Standardmelismen verfiigten, die sie, wie dieser das Seisma-Melisma, mehrmals in einer Komposition benutzten und in andere Kompositionen iibernahmen.

b) Kylisma I - Tromikon

Dasselbe Melisma erscheint nun aber auch in-dem von Stathis in seinem Buch

mitgeteilten Sticheron Sbtarian. Wdihrend er in Byzantina 7, S. 206 (siehe oben), das

Kylisma zu den Ekphrastika, den Ausdruckszeichen, rechnete, faft er es hier wieder als ,,cheironomisch", eine ,,Analyse" anweisend auf. Im Original dieses Stiickes

gibt es zwei Kylismata, die in der folgenden Weise in der transkribierten Fassung erscheinen (K1 = Klasma zur Lingung, Ky = Kylisma):

KI Ky eir- ga-

the -

the-

S6

.

"&

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H. Husmann: Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen Musik 113

o the - os

os

Man sieht sofort, dai der SchluB dieser angeblichen Kylisma-Analyse ab f' e' f' das eben behandelte Standardmelisma mit dem Seisma-SchluiB ist. Es ist bedauer- lich, daig die ornamentale Fassung nicht zum Vergleich in alter Notation zur Verfiigung steht. Aber hier hilft die Beobachtung, daig das Melisma - wenn ich recht sehe, bisher unbemerkt - noch einmal in dieser Komposition und zwar am Schlu1B des Wortes Sbterian erscheint. Das sieht so aus (Tr = Tromikon):

-1- so- Tr

[-i-] so-

te- ri- an Tr

tE ri- an

Hier steht also das Melisma bereits in dem Original, - oder vielleicht in der ,,ornamentierten Fassung", infall diesem von Stathis angegebenen ,,Original" ein noch einfacheres wirkliches Original zugrunde liegt, von dem dieses eine Ornamen- tierung ist. Das lii~t sich nur einwandfrei beurteilen, wenn alle Quellen zur Verfiigung stehen und verglichen werden kinnen, - und das ist im Augenblick uns

Westeuropaiem ja nur unter besonderen Umstainden m6glich. An diesem letzten Beispiel ist weiter entscheidend wichtig, daig seine Melodielinie

eine originale ,,stilkritische" Deutung erfiihrt: sie wird aufgefa1gt als Verbindung der beiden Tromika c' d' c' ho und el g1 f e. Dazu tritt als Anhang die im Ison (siehe oben) als Seisma betrachtete Gruppe e d'c d', die hier als Verzierung von d' erscheint. Das ganze Standardmelisma zerlegt sich hier also in drei Gruppen, die normale ,,analytische" Zeichen, Tromikon und Seisma, sind, -,,analytisch" hier wie immer im Sinne von C. Floros' ,,analytischem Thematismos".

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114 H. Husmann: Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen Musik

c) Kylisma II Wenden wir uns nun der Behandlung der 2. Form des Kylisma durch die

Transkriptoren zu, so kommen im Polyeleos des Petrus Peloponnesius in der

Originalfassung der Handschrift Suppl. gr. 1333 im Abschnitt Apo anthropou ein

Kylisma der merkwiirdig abweichenden Form cl d f' e d' vor, das als d e fl e' d' fast unverindert transkribiert ist, im Abschnitt Kai apekteine eins der Form g' a' h' c2 g g1, das schon starker verziert als g a' g' a' h' c2 h a g' g' erscheint, - zur letzten

Verzierungsfigur h' a' g' siehe oben. Im Doxa dagegen tritt das eben behandelte

Doppeltromikon-Seisma-Melisma als Ersatz auf:

chi- y -

chi-

per- ar- chi- os

Ky

os

Diese abweichende Kylisma-Figur (siehe schon oben) erscheint nun mit eben

diesem Standardmelisma als Ornamentierung keineswegs nur an dieser Stelle,

sondern in anderen Transkriptionen, so in der (immer nach der von mir zugrunde

gelegten Handschrift Suppl. gr. 1138, siehe oben, die eine der friihesten Handschrif-

ten nach der neuen Methode ist) des Doxastikons der Kassiane gleich an drei

Stellen, wobei in der einen, iiber oimoi, der Schlu1R des Melismas leicht abweicht:

f' e' d' e' f'e', da auch im Original das ,,Kylisma" schon mit e' schlieMt, und der

Seisma-Schlu1B folgerichtig fehlt:

oi- moi

Ky

oi- moi

Auch im Ison des Koukouzeles findet sich in der ornamentierten Fassung des

Petrus Peloponnesius eine Verzierung des Kylisma. Leider gibt sie keine endgiiltige Antwort auf die, wie mir scheint, noch einmal naiher zu untersuchende Frage, wie

das Kylisma der mittelbyzantinischen Notation zu lesen ist, - hier in der Tonlage

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H. Husmann: Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen Musik 115

e' f' e'c'd', wie die Monumenta Musicae Byzantinae iibertragen wiirden, oder el fl e f' d, wie mir nach vorliufigen paliographischen Studien auch moglich erscheint und wie mir hier fast naiherzuliegen scheint.

Tr Tr Suppl. gr. 1046 c1c' deldlcldlelflgl' fgfgleldlelfle'

d' c'c'

Sinai gr. 1323 c'c' d'd' e'f' e'f' d' cic'

(synag)-ma ky- li-

d) Tromikon - Tromikosynagma Der Nachweis der Herkunft von Standardmelismen der drei groien Lehrer der 1.

Hilfte des 19. Jahrhunderts aus dem Repertoire der Ornamentisten des 17. bis 18. Jahrhunderts lait sich auch ffir das Tromikon fiihren. So stehen im Kontakion Th

ypermachb in der Ornamentierung des Petrus Lampadarius in der Handschrift Suppl. gr. 1333 f.57 und in der (Obertragung in die ,,Neue Methode" in der Handschrift Suppl. gr. 1138 pag. 313 iiber (strat?-)gb ta folgende Melismen (B = Bareia, G = Gorgon, Tr = Tromikon):

- g6 ta GTr

- go ta

Genau dieselbe Fassung der Transkription findet sich auch in dem dem Akathistos vorausgehenden Theos kyrios iiber (kyri-)os. Die Auszierung des Tromikon d'e1fl f e' d1 e d' anstelle von d'f'e'd' oder ihnlich ist ganz normal in vielen anderen Stellen; das vorausgehende Melisma f'eld' (siehe vorher schon mehrmals als markierter Silbenbeginn, hier anstelle von d') e f' g' a' g' f' e' f e' d' ist also als eine grofte freie Verzierung des Anfangs-d' aufzufassen. Dabei gehort (vgl. oben) der Anfang fP el in anderen Kompositionen, z.B. im selben Theos kyrios iiber ?min eu- noch zur vorigen Silbe -min, so datf das Melisma hier sofort ohne Verzierung mit d' beginnt. So gehort das Melisma aber nun wieder zum Bestand des ornamentalen Repertoires und bildet als solches z.B. den Schlutg der 1.Zeile des Kontakions T? ypermachb, der in den Handschriften Suppl. gr. 1333 (alt) und 1138 (neu) so lautet (K1 = Klasma-Lingung):

G-ri- ta ni-

G K G G

- ri- ta ni-

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116 H. Husmann: Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen Musik

kE- te- ri- a

KI KI G

ke- te- ri- a

Der SchluIg ist hier wieder wie im obigen schon 6fter, durch das Seisma erweitert.

Die Gruppe fPeldle dlel, die fast nur eine Wiederholung der vorangehenden fele'dl ist, fehlt an einer zweiten Stelle, an der das ganze Melisma mit anschliefgendem Tromikon und Seisma nochmals erscheint, wieder im Akathistos, jetzt iiber (kyri-)os kai des Theos kyrios.

Das Anfangsmelisma tritt in der rhythmisch geschdirften Form mit einem anderen Schlu~B nochmals an zwei anderen Stellen des Akathistos in der Transkrip- tion nach der neuen Methode auf, diesmal im To prostachthen mystikos, dem zweiten Stiick des Zyklus nach dem Theos kyrios und vor dem Kontakion 7e ypermachb, an den Stellen matra sou und (a-)nympheute. Die erste Stelle lautet wieder nach Suppl. gr. 1333 (alt) und 1138 (neu) so:

me - tra sou GTr

mi - tra sou

G G 1) Tr 2) Tr m J .ir 1 1l ..- Hier hat der Transkriptor dieses Melisma fibernommen, um das Tromikon des

ornamentierten Originals zu ,,interpretieren", wobei er das Ende der Phrase leicht

ainderte, um sie besser anzupassen; denn das Melisma stimmt bis auf a g f'fP anstatt f e d e 1'e ff mit dem beginnenden Melisma des vorigen Beispiels fiberein, wo es bereits im Original steht. Die rhythmischen Abweichungen spielen dabei keine Rolle: die Transkriptoren kannten den urspriinglichen Rhythmus der nachbyzantinischen Kompositionen nur noch diugerst schwach. Ihre fibliche Umschrift des Tromikons mit Gorgon (fiir kiirzeren Notenwert) fiir das Original des letzten Notenbeispiels ist in langsamem Tempo die unter I angegebene, im normalen Tempo die unter 2 angegebene. Man sieht, datf sie das Melisma ohne Riicksicht auf den rhythmischen Charakter des Originals substituierten. Auf weitere rhythmische Details will ich in dieser Studie, die sich mit Problemen der Melodik beschliftigt,

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H. Husmann: Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen Musik 117

nicht eingehen, - eine ganz ausgezeichnete Studie fiber die rhythmische Transkrip- tionspraxis des einen der drei Lehrer, Chourmouzios, hat M. Dragoumis auf dem zitierten Kopenhagener KongreI gegeben, von der der KongreIgbericht eine sehr

praizise Zusammenfassung bringt. Der von den Transkriptoren im vorigen Beispiel rhythmisch gedinderte Schlugi

findet sich nun aber ebenso wieder als SchluIg des rhythmisch ungeTinderten Anfangsmelismas der betrachteten Gruppe, etwa im Doxastikon der Kassiane iiber

legousa in der folgenden Gestalt:

le- gou- (tou-) le- gou- sa KI

le- gou- sa

Hier hat der Transkriptor das Melisma anstelle der einfachen Tonfolge e1 d'cl eingesetzt, die nichts mit dem Tromikon zu tun hat. In derselben Form oder am

Anfang mit vorangesetztem c1 und dann leicht veraindert erscheint das Melisma an mehreren weiteren Stellen des Doxastikons der Kassiane.

Betrachtet man noch einmal das ganze Melisma, wie es im Original fiber dem Schlug des Kontakions e ypermachb steht, so haben die Transkriptoren also sowohl die erste H~ilfte - wie iiber m-tra sou - wie die zweite - so iiber (strate-)go ta - als Ornamentierung eines zugrundeliegenden Tromikons aufgefaIt und ange- wendet.

Dasselbe Melisma ist nun mit leichten Varianten noch an anderen Stellen benutzt worden, die bekannteste im Doxastikon der Kassiane iiber labousa taxin (vgl. Gr. Stathis, Exegesis, S.107), wo die Transkriptoren es ffir das Tromikosynagma eingesetzt haben. Jedoch stammt das Melisma auch in dieser Variation noch aus der

dilteren Zeit, da es bei Konstas Chios, ebenfalls schon als Beispiel ffir das Tromikosynagma, in alter Notation iiberliefert ist. Ich setze iibereinander von unten nach oben die Fassung des Konstas Chios nach der Handschrift Athos, Docheiariou 389, f. 43v., bei G. Stathis, Exegesis, Faksimile 21, S. 141, die ornamentale Original- fassung des Doxastikons fiber labousa taxin (TrS = Tromikosynagma) nach Suppl. gr. 1333, die Transkription nach Suppl. gr. 1138, zum Vergleich die ornamentale und die transkribierte Fassung der Stelle -nin theotita ebenfalls aus dem Doxastikon der Kassiane (Ps = Psephiston).

r It -nen the- o- t -

Ps

-nan the- o- te-

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118 H. Husmann: Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen Musik

-la- bou- sa ta- TrS

-la- bou- sa ta-

Krathyp G G G

Tro- mi- kon- syn-

ta

xin

xin

G KI G

ag- ma

Mit leichter Kiirzung am Anfang d'c' statt d' e'd'e' f steht dasselbe Standard- melisma nochmals im Doxastikon iiber sou abyssou.

e) Thematismus

Mit wieder nur leichten rhythmischen Varianten ist das Kylisma-Standardme- lisma nun aber bereits bei den Ornamentisten in Gebrauch zum Ersatz eines noch wieder anderen Zeichens, des analytischen Thematismus. Ein solcher steht im Ison am Ende des Kolaphismus und auch Petrus Peloponnesius (siehe oben) hat ihn unverziert in seine ornamentierte Fassung fibernommen. Der Kolaphismus kommt nun aber auch - vgl. schon Gr.Stathis, Exegesis, S.95 mit Anmerkung 6 - im Doxastikon der Kassiane fiber plhthi vor und hier hat die Transkription eben das leicht abweichende Kylisma-Standardmelisma eingesetzt. Ich bringe iibereinander noch einmal Original und Ornamentation der Form beim Kylisma (siehe oben) und Original und Transkribierung beim Thematismus des Kolaphismus (Th = Thema- tismus, Ky = Kylisma).

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H. Husmann: Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen Musik 119

Kassiane 1138 - [ F" [the]

Th Ison 1323-1046 ,

Transkribierungf

Kylisma Ky eir- ga-

Original

so

so

Im Ison steht iiber dem Textwort Thematismos dagegen in der ornamentierten Fassung ein anderes Melisma, das ebenfalls im Doxastikon der Kassiane - und zwar iiber deilinon - in der Transkription erscheint (die * bezeichnen die fiinf Noten des Thematismus des Originals; Tr = Tromikon):

Kassiane 1138 FO . I

S* * Tr Ison 1046 O

*F *

Auch beim Thematismus gibt es also verschiedene Omamentierungen und keine eindeutigen Interpretationen, - abgesehen davon, daig er auch unverziert bleiben kann; und umgekehrt erscheint bei ihm ein Standardmelisma, das auch zur Ornamentierung anderer Zeichen dient.

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120 H. Husmann: Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen Musik

2. Parakletike

Gr. Stathis hat in I manoscritti e la tradizione ... (siehe oben), Sonderdruck S. 26/27, auch ein ,,melos", also eine ,,Exegese" oder ,,Analyse", fiir die Parakletike im melismatischen Stil mitgeteilt. Aber die Parakletike (siehe oben) geh6rt zu den Zeichen, die auch in den ornamentierten Fassungen erscheinen und daher als bereits

analysiert aufzufassen sind. Im originalen Ison des Koukouzeles stehen iiber dem Textwort Parakletike Gruppen der Form c2 d2 c2 und h1 c2h1, die in der ornamentalen

Fassung das erste Mal als c2 d2f2e2e2f2e2d21 c2d22 bzw. h'a'h' c2d2 e2d2 c2 c 2 h c2hhh' erscheinen, das zweite Mal dagegen als c2h' I d2 d2 e2

e2d2e2d21 c2d2c2 bzw. h'a I c2h'h1c2d2e2d2c2c2 2 h'a'h'; nicht einmal unmittelbar

nacheinander sind also die Ornamentierungen gleich. Das von Stathis angefiihrte Melisma aus dem Sinai gr. 1477 in Kiewer Notation (Faksimile S.40 des

Sonderdrucks) findet sich nun aber bereits ebenfalls wieder als Standardmelisma bei den Ornamentisten des 17. bis 18.Jahrhunderts. So steht es gleich im Theos

kyrios des Akathistos-Zyklus iiber (epipha-)nen imin. Ich setze im folgenden Notenbeispiel iibereinander die ornamentierte Fassung des Petrus Lampadarius, die transkribierte Form nach Suppl. gr. 1138 und das Melisma des Sinai gr. 1477.

Sinai gr. 1477 wpm I s Oi-

Akathistos 1138

Inen] e-

KI KI G Akathistos 1333

nen

8

min

K1 KI G any-

R --

3. Die Nana-Intonation

Endlich hat Stathis, I manoscritti, Sonderdruck S. 26, auch die Nana-Intonation als zu interpretierende ,,Thesis" hingestellt. Ich iibertrage die Transkription in moderne Notation und setze das Original, wie es mir zu passen scheint, darunter

(X = Xeronklasma, L = Lygisma):

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H. Husmann: Interpretation und Ornamentierung in der nachbyzantinischen Musik 121

8 1X L

Auf dem letzten c2 setzt zugleich schon der folgende Thematismus ein. Das

beginnende g c2 ist die Nana-Intonation, das, wie man sieht, in meiner Verteilung unverindert in die ornamentierte Fassung iibernommen wurde. Es folgt dann anstelle des einzigen c2 mit Xeronklasma die dreimal wiederholte, jedesmal verschieden rhythmisierte Figur c2 d2 e2d2 c2, und vergleicht man dazu das Ison des Koukouzeles, so steht es dort unter den Tonfolgen c2 c2 e2 d2e2 c2 und d2e2f2 e2d2, die letzte genau dieselbe Intervallfolge wie hier. Es ist also klar, daig es sich hier nicht um eine Interpretation des Nana handelt, sondern um die Einsetzung der Tonfolgen, denen das Xeronklasma sich unterlegt, und daB nur die Anfangsgruppe das - demnach unverzierte - Nana ist.

Es gibt aber auch verzierte Nana-Intonationen. So steht im Ison des Koukouzeles iiber den Schluigsilben -mata von strangismata das Nana gl glC2 C2C2, gefolgt von der riickwirkenden Signatur nn. Die ornamentierte Fassung des Petrus Peloponne- sius hat daffiir eingesetzt: g a g gl al c2h1 al g1 c2c2. Eine andere verzierte Form hat Konstas Chios von irgendwoher gesammelt und mitgeteilt, - Faksimile 31 von Stathis, Exegesis, S.151, f.46, Zeile 2 von unten. Seine Ornamentierung lautet

g1 c2d d2 c2hh d22 und weiter nochmals eine Quart tiefer transponiert: g'lalgl

fP P a1 1, - einer Figur, die im ornamentierten Ison iiber seirma vorkommt, als

g9 glh a'hh c2a' fiber ex autan. Es gibt also unverzierte und jeweils untereinander wieder verschieden verzierte Nana-Intonationen in den ornamentierten Fassungen. Das ist aber zum Teil schon linger bekannt. In den praktischen Lehrbiichern des modernen nachbyzantinischen Kirchengesanges, etwa in D.G.Panagiotopoulos, Thebria kai praxis tis byzantines ekklesiastikis mousik-s, Athen 1947 (u. 6.), findet man fiir die Intonation aller acht Kirchent6ne sowohl einfache ,,moderne" wie verzierte ,,alte" Fassungen, bei Panagiotopoulos, S.190, Anm.3, fiir das Nana des 3. Tons die verzierte Formel c1 P P g g

1 P e1 fl, die der des Konstas Chios entspricht. So hat man im Nachbyzantinischen bei den Ornamentisten die unverinderte

Olbernahme melodischer Figuren und Partien einerseits, die freie Verzierung und die Verwendung von Standardmelismen andererseits, wobei diese fir verschiedene Figuren eingesetzt werden k6nnen, bei den Transkriptoren die Ausschreibung von Mordenten usw. in syllabischen Partien, wozu M.Dragoumis' oben zitierter Aufsatz grundlegend ist, die Umschreibung der Standardmelismen in die neue Schrift und iiberdies die freie Einsetzung der Standardmelismen zur melodischen Erweiterung einer Komposition.

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