17
MATTHIAS GOERNE MARKUS WILLIAM KENTRIDGE WINTERREISEN HINTERHAUSER 1. MÄRZ 2018 ELBPHILHARMONIE GROSSER SAAL

WINTERREISEN MATTHIAS GOERNE MARKUS HINTERHAUSER … · In den vergangenen Jahren konzentrierte sich Markus Hinterhäuser auf die Interpretation zeitgenössischer Musik; insbesondere

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: WINTERREISEN MATTHIAS GOERNE MARKUS HINTERHAUSER … · In den vergangenen Jahren konzentrierte sich Markus Hinterhäuser auf die Interpretation zeitgenössischer Musik; insbesondere

MATTHIAS GOERNEMARKUS

WILLIAM KENTRIDGE

WINTERREISEN

HINTERHAUSER

1. MÄRZ 2018ELBPHILHARMONIEGROSSER SAAL

Page 2: WINTERREISEN MATTHIAS GOERNE MARKUS HINTERHAUSER … · In den vergangenen Jahren konzentrierte sich Markus Hinterhäuser auf die Interpretation zeitgenössischer Musik; insbesondere

Donnerstag, 1. März 2018 | 20 Uhr | Elbphilharmonie Großer Saal Liederabende | 3. Konzert

WINTERREISEN

MATTHIAS GOERNE BARITON MARKUS HINTERHÄUSER KLAVIER WILLIAM KENTRIDGE VISUALISIERUNG, REGIE SABINE THEUNISSEN BÜHNE

GRETA GOIRIS KOSTÜME HERMANN SORGELOOS LICHT

SNEZANA MAROVIC VIDEOMONTAGE

KIM GUNNING VIDEOPROJEKTION

Franz Schubert (1797–1828) Winterreise / Liederzyklus nach Gedichten von Wilhelm Müller D 911 (1827) Gute Nacht – Die Wetterfahne – Gefror’ne Tränen – Erstarrung – Der Lindenbaum – Wasserflut – Auf dem Flusse – Rückblick – Irrlicht – Rast – Frühlingstraum – Einsamkeit –Die Post – Der greise Kopf – Die Krähe – Letzte Hoffnung –Im Dorfe – Der stürmische Morgen – Täuschung – Der Wegweiser –Das Wirtshaus – Mut – Die Nebensonnen – Der Leiermann

Eine Produktion des Festival d’Aix-en-Provence

In Koproduktion mit den Wiener Festwochen, Holland Festival, Kunstfestspiele Herrenhausen / Niedersächsische Musiktage, Lincoln Center, Les Théâtres de la Ville de Luxembourg und Opéra de Lille

Keine Pause, Ende gegen 21:30 Uhr

Wir bitten Sie, zwischen den einzelnen Liedern nicht zu applaudieren.Es ist nicht gestattet, während des Konzerts zu filmen oder zu fotografieren.

7339 BMW Story_of_Luxury_7er HH Elbphil 148x210 Programmheft 20171109.indd 1 15.11.17 09:58

Page 3: WINTERREISEN MATTHIAS GOERNE MARKUS HINTERHAUSER … · In den vergangenen Jahren konzentrierte sich Markus Hinterhäuser auf die Interpretation zeitgenössischer Musik; insbesondere

Was haben uns die Lieder von Franz Schubert heute noch zu sagen? Welche überzeitlichen Wahrheiten lassen sich aus ihnen heraushören? Diesen Fragen geht die Elbphilharmonie-Serie Winterreisen nach, die mehrere Adaptionen von Schuberts wohl düsterstem und bedeutendstem Liederzyklus versammelt. Das heutige Konzert gestalten die begnadeten Schubert-Spezialisten Matthias Goerne und Markus Hinterhäuser im Verbund mit dem südafrikanischen Künstler Wil-liam Kentridge, dessen suggestive Bilder der Musik noch eine weitere Ebene hinzufügen.

Die Reihe »Winterreisen« wird gefördert durch

WILLKOMMEN

PRINCIPAL SPONSOR

Julius Bär ist Principal Sponsor der Elbphilharmonie Hamburg.

MODERNE KULTUR IN EINZIGARTIGER GESTALT.

WARUM NICHT GEMEINSAM DIE ZUKUNFT FORMEN?

juliusbaer.com

MODERNE KULTUR IN EINZIGARTIGER GESTALT.

WARUM NICHT GEMEINSAM

Julius Bär ist die führende Private-Banking-Gruppe der Schweiz und weltweit an rund 50 Standorten präsent. Von Dubai, Genf, Guernsey, Hamburg, Hongkong, London, Lugano, Monaco, Montevideo, Moskau, Mumbai, Nassau, Singapur bis Zürich (Hauptsitz).

Elbphilharmonie_DE-ElbphilharmonieAbendprogramme-148x210-16022018.indd 1 16.02.18 15:38

Page 4: WINTERREISEN MATTHIAS GOERNE MARKUS HINTERHAUSER … · In den vergangenen Jahren konzentrierte sich Markus Hinterhäuser auf die Interpretation zeitgenössischer Musik; insbesondere

Matthias Goerne zählt zu den weltweit gefragtesten Sängern seines Stimmfachs. Er ist regelmäßig zu Gast in den international renommierten Konzertsälen und an Opernhäusern wie der Wiener Staatsoper, der Metropolitan Opera in New York und der Mailänder Scala und hat mit nahezu allen namhaften Dirigenten und Orchestern in Europa, Amerika und Asien zusammengearbeitet. In der aktuellen Saison ist Goerne mit sieben Orchesterkonzerten und Liederabenden Residenz-künstler der Elbphilharmonie. Am 13. und 14. April gestaltet er hier im Großen Saal gemeinsam mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen Schubert-Lieder in Orchesterbearbeitungen.

Das Spektrum seiner Opernrollen reicht von großen Partien bei Wagner und Strauss bis zu den Titelpartien in Béla Bartóks Herzog Blaubarts Burg und Alban Bergs Wozzeck. Als Botschafter des deutschen Kunstlieds von Schubert über Brahms bis Alban Berg und Hanns Eisler hat sich Goerne international höchs-tes Ansehen erworben. Daneben widmet er sich auch Uraufführungen und Wiederentdeckungen bedeutender Werke der Neuen Musik von Karl Amadeus Hartmann und Hans Werner Henze bis zum österreichischen Gegenwartskom-ponisten Thomas Larcher.

Goernes erfolgreiche künstlerische Tätigkeit ist in zahlreichen Aufnahmen dokumentiert, die teils mehrfach preisgekrönt wurden, unter anderem mit dem Grammy Award, Echo Klassik (»Sänger des Jahres« 2017), Preis der Deutschen Schallplattenkritik, BBC Music Award, Gramophone Award und Diapason d’Or. Nach seinen frühen Aufnahmen mit Vladimir Ashkenazy und Alfred Brendel hat Goerne eine Serie mit ausgewählten Liedern von Franz Schubert auf zwölf CDs eingespielt, am Klavier begleitet unter anderen von Christoph Eschenbach und Elisabeth Leonskaja. Kürzlich erschienen Aufnahmen mit Bach-Kantaten, Schu-mann-Liedern (mit Markus Hinterhäuser) sowie Szenen aus Wagner-Opern.

Matthias Goerne studierte bei Hans-Joachim Beyer, Elisabeth Schwarzkopf und Dietrich Fischer-Dieskau. Von 2001 bis 2005 unterrichtete der gebürtige Weimarer als Honorarprofessor für Liedgestaltung an der Musikhochschule Düssel dorf. Er ist Ehrenmitglied der Royal Academy of Music in London. Zu seinen jüngsten Höhepunkten zählen Konzerte mit führenden amerikanischen Orchestern sowie mit der Staats kapelle Berlin, Orchestre de Paris und London Philharmonic. Liederabende gibt er mit herausragenden Pianisten wie Leif Ove Andsnes, Christoph Eschenbach und Daniil Trifonov.

Im August 2017 sang Matthias Goerne bei den Salzburger Festspielen die Titelpartie von Bergs Oper Wozzeck in einer Neuproduktion von William Ken-tridge, anschließend den Wolfram in Tannhäuser bei einem Japan-Gastspiel der Bayerischen Staatsoper unter Kirill Petrenko in Tokio. Für die Saison 2018/19 wurde er vom New York Philharmonic als Artist in Residence zu zehn Konzer-ten eingeladen.

MATTHIAS GOERNE BARITON

DIE KÜNSTLER

Page 5: WINTERREISEN MATTHIAS GOERNE MARKUS HINTERHAUSER … · In den vergangenen Jahren konzentrierte sich Markus Hinterhäuser auf die Interpretation zeitgenössischer Musik; insbesondere

Markus Hinterhäuser wurde in La Spezia im Nordwesten Italiens geboren. Er studierte Klavier an der Wiener Musikhochschule, am Mozarteum in Salzburg sowie in Meisterkursen bei Elisabeth Leonskaja und Oleg Maisenberg.

Als Pianist trat Markus Hinterhäuser sowohl solistisch als auch in Kammer-konzerten in den bedeutendsten Konzertsälen und bei den international renom-mierten Festivals auf, darunter in der Carnegie Hall, im Wiener Musikverein und in der Mailänder Scala. Er gastierte zudem beim Lucerne Festival, bei Wien Modern und den Berliner Festspielen. Im Bereich Liedinterpretation ist beson-ders seine langjährige Zusammenarbeit mit Brigitte Fassbaender hervorzuheben. Mit Matthias Goerne und Schuberts Winterreise ist Markus Hinterhäuser bereits seit zwei Jahren auf Welttournee. Unter anderem traten sie beim Sydney Festival, an der San Francisco Opera, in der Cité de la Musique in Paris, in Amsterdam, Aix-en-Provence, New York und Moskau auf.

In den vergangenen Jahren konzentrierte sich Markus Hinterhäuser auf die Interpretation zeitgenössischer Musik; insbesondere engagierte er sich für das Werk von Luigi Nono, Karlheinz Stockhausen, Morton Feldman und György Ligeti. Neben zahlreichen Rundfunk- und Fernsehaufnahmen spielte er das gesamte Klavierwerk von Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton von Webern sowie Kompositionen von Morton Feldman, Luigi Nono, Giacinto Scelsi, Galina Ustwols-kaja und John Cage auf CD ein. Zudem wirkte er an Musiktheaterproduktionen von Christoph Marthaler, Johan Simons und Klaus Michael Grüber mit.

Internationales Renommee im Kulturmanagement errang Markus Hinter-häuser als Mitbegründer und Künstlerischer Leiter der Konzertreihe Zeitfluss (gemeinsam mit Tomas Zierhofer-Kin), die von 1993 bis 2001 im Rahmen der Salz-burger Festspiele stattfand. Bei den Wiener Festwochen begründete und leitete er die Reihe Zeit-Zone, die von 2002 bis 2004 Teil des Programms war. Von 2006 bis 2010 verantwortete er das gesamte Konzertprogramm der Salzburger Fest-spiele, in der Saison 2011 als Intendant. Von 2014 bis 2016 war er Intendant der Wiener Festwochen; im Oktober 2016 übernahm er erneut als Intendant die Lei-tung der Salzburger Festspiele.

MARKUS HINTERHÄUSER KLAVIER

DIE KÜNSTLER

Page 6: WINTERREISEN MATTHIAS GOERNE MARKUS HINTERHAUSER … · In den vergangenen Jahren konzentrierte sich Markus Hinterhäuser auf die Interpretation zeitgenössischer Musik; insbesondere

DIE KÜNSTLER

Der Südafrikaner William Kentridge gehört zu den international bedeutendsten zeitgenössischen Künstlern. Er ist nicht nur Bildender Künstler, sondern auch Filmemacher, Schauspieler und Regisseur. Seit mittlerweile mehr als drei Jahr-zehnten bewegt sich sein umfassendes Schaffen durch unterschiedliche künst-lerische Disziplinen.

Berühmt für seine ausdrucksstarken, gestischen Illustrationen in Kohle und Tusche sowie für seine Trickfilm-Zeichnungen, beschäftigt sich William Ken-tridge in seinen Arbeiten immer wieder mit der Geschichte und dem Leben in seinem Heimatland in den Jahren vor und nach dem Ende der Apartheid, indem er ernüchternde politische Ereignisse in starke poetische Allegorien verwandelt. Oft arbeitet er nur mit dem Zeichenstift und dem Radiergummi. Durch stetiges Ausradieren und Neuzeichnen entwickelt er die Geschichte; die Spuren der wie-derholten Eingriffe bleiben sichtbar und werden zum konstitutiven Bestandteil der Handlung.

Geboren wurde William Kentridge 1955 in Johannesburg als Sohn zweier Rechtsanwälte, die die Rechte von Schwarzen in Apartheid-Prozessen vertraten. Seine Erfahrungen zwischen beiden Welten waren für seine Persönlichkeit prä-gend. Nach Abschluss der Highschool studierte er von 1973 bis 1976 in Johannes-burg Politik und Afrikanistik. Zugleich entdeckte er seine Leidenschaft für Kunst und Theater, so dass er ein zweijähriges Kunststudium an der Johannesburg Art Foundation anschloss. Zudem ließ er sich in Paris zum Pantomimen ausbilden.

Von der internationalen Presse wurde der Künstler für die Kurzfilmserie Drawings for Projection (1989–2003) gelobt. Viele Museen haben ihm Einzelaus-stellungen gewidmet, darunter das Museum of Modern Art in New York, das San Francisco Museum of Modern Art, das Philadelphia Museum of Art und die Alber-tina in Wien. Auch auf der documenta war er mehrfach zu Gast.

Von 2005 bis 2007 hatte er die erste Max-Beckmann-Stiftungsprofessur in Frankfurt inne. Unter dem Ausstellungstitel William Kentridge: Five Themes zeigte er 2010 im New Yorker Museum of Modern Art gut 120 Arbeiten. Parallel insze-nierte er an der dortigen Metropolitan Opera Dmitri Schostakowitschs Oper Die Nase. In weitere Regiearbeiten widmete er sich Mozarts Zauberflöte sowie Alban Bergs Lulu und Wozzeck, zu erleben an Häusern wie der Mailänder Scala, der English National Opera in London und bei den Salzburger Festspielen.

Sein nächstes Projekt ist The Head & the Load, eine große Produktion, die in der Park Avenue Armory in New York und in der Turbinenhalle der Tate Modern in London gezeigt wird.

WILLIAM KENTRIDGE VISUALISIERUNG, REGIE

Page 7: WINTERREISEN MATTHIAS GOERNE MARKUS HINTERHAUSER … · In den vergangenen Jahren konzentrierte sich Markus Hinterhäuser auf die Interpretation zeitgenössischer Musik; insbesondere

EINE LANDSCHAFT AUS BILDERN

William Kentridge über das Winterreise-Projekt

Johannesburg, Südafrika, 1960er Jahre. Sonntagnachmittag nach dem Essen. Das Rauschen der Nadel auf dem Grammophon, wie das Einatmen des Sän-gers vor dem Einsatz. Mein Vater liegend auf dem harten Sofa, ein Kissen unter dem Kopf, den Text auf der Plattenhülle lesend. Das gelbe Label der Deutschen Grammophon Gesellschaft. Die Stimme von Dietrich Fischer-Dieskau, dazu das Klavierspiel von Gerald Moore. Eine englisch-deutsche Feierstunde, wie um zu zeigen, dass der Krieg wirklich vorbei war.

Damals stand es für meine Familie außer Frage, jemals ein deutsches Auto zu kaufen oder gar nach Deutschland oder Österreich in den Urlaub zu fahren. Manchmal war meine Mutter im Raum, aber meistens ging sie schnell hinaus, wenn die Musik einsetzte. Sie mochte Kunstlieder als solche nicht besonders; sie tolerierte sie mit Rücksicht auf meinen Vater. Aber als sie 50 wurde, forderte sie das Recht ein, niemals mehr zu einem Liederabend oder einer Wagner-Oper gehen zu müssen.

Die Idee

Warum die Winterreise? Das Projekt begann als Idee, einen Zyklus von Filmen zu machen – wie einen Liederzyklus. Ich dachte zunächst an die Musik von Erik Satie oder einem anderen Komponisten aus dem frühen 20. Jahrhundert. Pro-behalber schaute ich mir Ausschnitte früherer Filme von mir an und hörte dazu unterschiedliche Musikstücke. Eines davon war Schuberts Winterreise, mir aus meiner Kindheit vage vertraut. Die Wechselwirkung von Film und Liedern war so stark, dass ich diesen Weg weiterverfolgte. Gemeinsam mit Markus Hinterhäu-ser hörte ich zwei Tage lang nur Winterreise-Lieder, sichtete dazu Filmmaterial aus den vergangenen 25 Jahren und entdeckte zahlreiche Gemeinsamkeiten: Stimmungen, Rhythmen, ähnliche ausgelöste Assoziationen.

Zeichnung von William Kentridge auf einer historischen Gehaltstabelle für Minenarbeiter

Tatsächlich gibt es (im Rückblick ziemlich offensichtliche) Parallelen zwischen einem Kunstlied etwa von Schubert und den Animationsfilmen, die ich gemacht habe. Oft gibt es die Andeutung einer Botschaft, aber keine offensichtlich vor-gegebene Richtung. Filme und Lieder schwanken zwischen persönlichen und allgemeinen Blickwinkeln, zwischen Zivilisation und Natur. In meinen Filmen entdecke ich sogar viele thematische Elemente der Lieder wieder: ein Wande-rer, eine Landschaft, eine Reflektion über die Fragilität emotionaler Bindungen.

All diese Gemeinsamkeiten ließen das Projekt möglich erscheinen. Die Arbeit bestand nun darin, für die 24 Lieder der Winterreise 24 Filme zu finden oder neu zu produzieren. Ein Großteil des Projekts fand folglich im Schnittraum statt, gemeinsam mit meiner Redakteurin Snezana Marovic. Der ganze Korpus von Filmen, die ich je gemacht hatte – all die Fragmente, kompletten Filme, Hinter-grundprojektionen für Theaterinszenierungen, Demonstrationen für Vorträge, all die Schnipsel, die es nie in einen Film geschafft hatten – all das lag wie eine Landschaft vor uns, durch die wir unseren Weg finden mussten.

DAS PROJEKT

Page 8: WINTERREISEN MATTHIAS GOERNE MARKUS HINTERHAUSER … · In den vergangenen Jahren konzentrierte sich Markus Hinterhäuser auf die Interpretation zeitgenössischer Musik; insbesondere

Bäume. Tuschezeichnungen von William Kentridge

Die Bilder

Das erste Material, das ich für die Filme erstellte, war gestelzt, gespreizt, gefesselt durch die Gedichtzeilen der Lieder. Ich fühlte mich irgendwie verpflichtet, ein Stadttor zu zeichnen, eine Wetterfahne, Schnee. (In den 60 Jahren, die ich in Johannes-burg wohne, hat es nur fünf Mal geschneit. Wer bin ich, der ich Schnee zeichne?!)

Ich hörte also auf, in dieser Richtung zu denken, und schaute, was ich in den vergangenen Jahren gezeichnet hatte, ohne an die Winterreise auch nur zu denken. Zum Beispiel eine Serie von sich drehenden, sich verändernden Skulpturen, die sich bald in die Wetterfahne verwandelten. Oder schwarzes Konfetti, wie ich es in früheren Filmen verwendet hatte: Schnee. In einem anderen Projekt hatte ich die gelochte Papierrolle eines Piano-las gezeigt, nun wurde sie zu den langsam fallenden Gefror’nen Tränen.

Auch eine Serie von Zeichnungen kam mir in den Sinn. Auf die Seiten einer historischen Enzyklopädie aus dem Jahr 1830, deren Papier genau die richtige Oberfläche und Saugfähigkeit für Tusche aufwies, zeichnete ich Bäume. Und genauso, wie ein Baum in mir eine ganze Kette von Assozationen und Erinnerun-gen auslöst – der Baum in meinem Garten, Rinde sieht aus wie alte Haut, mein Enkel auf einer Schaukel, Sterblichkeit –, so überlagern sich hier mehrere Sinn-Ebenen.

Kurz: Diese vorgefundenen alten Bilder erwiesen sich fast immer als stärker als alles, was ich eigens für dieses Projekt neu zeichnete.

Bald wurde mir noch ein anderer Aspekt bewusst: Musikpar-tituren – sagen wir, die Klavierstimme der Lieder – haben ihrer Daseinsform nach ganz offensichtliche Ähnlichkeiten mit Film. Zeit wird zu erlebbarem Material; hier die Noten auf dem Papier, dort die Einzelbilder (Frames) des Films. Besonders plastisch vor Augen führt das der Daumenkino-Effekt, den manche mei-ner Winterreise-Filme nutzen. Genau wie beim Klavier braucht es die Finger eines Spielers, um sie zum Leben zu erwecken.

Es war ein Schock, festzustellen, dass sich über all die Jahre eine Winterreise in mir befunden hatte – als hätte ich an dem Projekt schon seit 20 Jahren gearbeitet.

ÜBERSETZUNG: CLEMENS MATUSCHEK

DAS PROJEKT

StockhausenMetropolis

J. Dvořák: FrankensteinSciarrino: Lohengrin

Beethoven: Missa solemnisLa Scala: Verdi-Requiem

David Bowie: BlackstarWeill: Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny

Britten: The Rape of Lucretiau.v.m.

www.musikfest-hamburg.de

UTOPIE

27Apr—30Mai

Ermöglicht durch

Page 9: WINTERREISEN MATTHIAS GOERNE MARKUS HINTERHAUSER … · In den vergangenen Jahren konzentrierte sich Markus Hinterhäuser auf die Interpretation zeitgenössischer Musik; insbesondere

SCHAUERLICHE SCHMERZENSLIEDER

Franz Schubert: Winterreise

»Die Korrektur der zweiten Abteilung der Winterreise waren die letzten Feder-striche des vor Kurzem verblichenen Schubert.« Mit diesem Hinweis kündigte der Wiener Verleger Tobias Haslinger im Dezember 1828 die erste Druckausgabe der Winterreise an – und trug damit erheblich zu einer Legendenbildung bei, die auch absatzfördernd gewirkt haben dürfte. Es passt ja auch alles so schön zusammen: Franz Schubert, der unglückliche Künstler, zu seinen Lebzeiten von der Außenwelt nicht gewürdigt, komponiert verzweifelt gegen das Ticken seiner Lebensuhr an und entreißt dem Tod mit letzter Kraft den düstersten Liedzyklus, den die Welt je gesehen hat, den Soundtrack zu seinem eigenen Lebensende.

Franz Schubert

Doch Vorsicht: Genausowenig wie die berühmte h-Moll-Sinfonie durch Schu-berts tragisch frühen Tod eine »Unvollendete« blieb (denn in Wahrheit brach er die Arbeit daran schon sechs Jahre vor seinem Tod ab), stellt die Winterreise im biografischen Sinne eine Endzeitkomposition dar. Einen kleinen Hinweis liefert Haslinger ja selbst, wenn er von der »zweiten Abteilung« spricht. Tatsächlich schrieb Schubert die ersten zwölf Lieder bereits im Februar 1827 – gut andert-halb Jahre vor seinem Tod. Sie basieren auf Gedichten von Wilhelm Müller, die Schubert in der Zeitschrift Urania entdeckt hatte. Kurz darauf fielen ihm weitere zwölf Müller-Gedichte in die Hände, die er prompt ebenfalls vertonte.

Der Autor war für Schubert kein Unbekannter. Schon sein Liederzyklus Die schöne Müllerin beruhte auf Gedichten des Dessauer Lateinlehrers und Brockhaus-Redakteurs. Persönlich getroffen haben sich die beiden aber nie. Ver-mutlich ahnte Müller nicht einmal, dass ein Komponist im entfernten Wien seine Gedichte in Musik setzte. Er starb im Oktober 1827, ähnlich jung wie Schubert, und durfte nicht mehr miterleben, wie Schuberts Musik im Verbund mit seiner Lyrik ein ganz neues, eigenständiges Genre etablierte: das Kunstlied.

Geschichte ohne Handlung

Die beiden Zyklen unterscheiden sich allerdings in einer Hinsicht gravierend. Die schöne Müllerin erzählt mit Liedern die Geschichte eines Müllerburschen auf der Wanderung. In der Winterreise dagegen ist die Handlung schon vor dem ersten Lied abgeschlossen: die Liebe ist zerbrochen, das Glück dahin. Die folgenden Lieder stellen nun keine fortschreitende Entwicklung dar, sondern eine Art per-manenten Zirkelschluss. Die Gedanken des Wanderers kreisen unaufhörlich um dieselben Gefühle, um Liebeskummer, Schmerz, Wut, Hoffnung und Resigna-tion. Zwar ändern sich von Lied zu Lied die Metaphern, die den Gemütszustand des Protagonisten in Analogie zu den Stationen seiner Reise beschreiben. Doch inhaltlich geht der Wanderer nur im Kreis herum. Wo sollte der Weg auch hin-führen? Ins Wirtshaus, das in Wahrheit der Friedhof ist? Selbst dort findet sich kein Platz für den Herumirrenden.

DIE MUSIK

Page 10: WINTERREISEN MATTHIAS GOERNE MARKUS HINTERHAUSER … · In den vergangenen Jahren konzentrierte sich Markus Hinterhäuser auf die Interpretation zeitgenössischer Musik; insbesondere

Wilhelm Müller

Ablesen lässt sich die notorische Verwei-gerung einer Handlung auch daran, dass Müller seine neueren Gedichte zwischen die alten sortierte, während Schubert sie einfach hinten an den bereits vollendeten ersten Teil anhängte, ohne dass es des-halb zu inhaltlichen Brüchen käme. Die Dramaturgie übernimmt die Musik, die Müllers Dichtung eine atemberaubende emotionale Tiefe verleiht.

Gut zu beobachten ist das gleich im ersten Lied, Gute Nacht: Nach drei Stro-phen in Moll wechselt die vierte plötzlich in zärtliches Dur – das sich aber bald als Illusion entpuppt und in die triste Moll-Sphäre zurückfällt. Auch im Lindenbaum wendet Schubert diesen Kunstgriff an und trübt die selige Dur-Stimmung zwi-schenzeitlich in Moll ein. Zudem hält der Klavierpart etliche Imitationseffekte bereit, die weit über eine bloße Begleitung hinausgehen: das dumpfe Knarzen der Wetterfahne im Bass oder das Tropfen der Gefror’nen Tränen. Im Frühlingstraum krähen im Diskant sehr überzeugend die Hähne, in Die Post erklingt die Posthorn-Fanfare über Pferdegetrappel. Für den aufmerksamen Hörer gibt es unendlich viele Details zu entdecken.

Subversive politische Botschaften

Neben der emotionalen und der musikalischen existiert allerdings noch eine politische Deutungsebene. Müller schrieb seine Gedichte in der rückwärtsge-wandten Epoche der Restauration. Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege ordnete der Wiener Kongress um Fürst von Metternich 1815 die politische Land-schaft Europas neu. Um potenziellen Revoluzzern von vornherein das Leben schwer zu machen, erließen die meisten Staaten drakonische Zensurgesetze. Künstlern und Studenten, die der autoritären geistigen Enge entkommen woll-ten, blieb oft nur die Flucht ins Häusliche (Biedermeier) – oder in subversive Metaphern. Besonders gut nachvollziehen lässt sich das anhand der Gedichte Letzte Hoffnung, das freiheitliche Hoffnungsträger als einzelne »bunte Blätter« codiert, und Im Dorfe, wo (menschliche) Kettenhunde den Künstler verbellen.

Nicht zufällig war die Zeitschrift Urania, in der Müllers Gedichte zuerst erschienen, von den Behörden verboten.

Gegen Ende des Zyklus scheint sich der Protagonist in Mut noch einmal aufzuraffen, doch schon in den Nebensonnen, das auf ein reales physikalisches Phänomen atmosphärischer Licht-brechung anspielt, ist sein Tatendrang einer bleiernen Lethar-gie gewichen. Nachdem zwei Sonnen (die Augen der Geliebten) verschwunden seien, sehnt der Protagonist auch den Untergang der dritten (seiner Liebe – oder sogar seiner selbst) herbei. Die Ausweglosigkeit wird zusammengefasst im Bild des Leiermanns. Auf ewig muss er seine Leier drehen, wie eine Schallplatte, die einen Sprung hat. Völlig sinnlos, denn niemand hört ihm zu. Es bleibt offen, ob der Leiermann mit seinen hohlen Quinten der Tod ist oder ein Bild für den Komponisten.

Mit dem Protagonisten jedenfalls konnte sich Franz Schu-bert bestimmt sehr gut identifizieren. Sein Erfolg bei den Frauen dürfte sich in Grenzen gehalten haben: nur 1,57 Meter groß, Spitzname »Schwammerl«, zudem mit Syphilis infiziert. »Stark angegriffen« habe ihn die Komposition der »schauerli-chen Lieder«, berichtete er seinem Freund Joseph von Spaun. Und schon früher hatte er in seinem Tagebuch notiert: »Meine Erzeugnisse sind durch meinen Verstand für Musik und durch meinen Schmerz entstanden. Und jene, die der Schmerz allein erzeugt hat, scheinen die Welt am wenigsten zu erfreuen.«

Diese Einschätzung bestätigte sich, als Schubert seinen Freunden die Winterreise im Herbst 1827 zum ersten Mal vorsang und -spielte. Gastgeber Spaun reagierte bestürzt und konnte einzig dem Lindenbaum etwas Positives abgewinnen. Erst spä-ter, nachdem Schuberts Lieblingssänger Johann Michael Vogl mehrfach mit der Winterreise geglänzt hatte, änderte Spaun seine Meinung: »Bald waren wir begeistert von diesen wehmüti-gen Liedern, die Vogl unübertrefflich vortrug.« Zahlreiche Bear-beitungen bis hin zu John Neumeiers Hamburger Ballettfassung oder eben William Kentridges Projektionen zeigen: Bis heute gehört Schuberts Winterreise zu den erschütterndsten Werken der Musikgeschichte – auch ohne Todesmythos.

CLEMENS MATUSCHEK

DIE MUSIK

Page 11: WINTERREISEN MATTHIAS GOERNE MARKUS HINTERHAUSER … · In den vergangenen Jahren konzentrierte sich Markus Hinterhäuser auf die Interpretation zeitgenössischer Musik; insbesondere

ERSTARRUNG

Ich such’ im Schnee vergebensNach ihrer Tritte Spur,Wo sie an meinem ArmeDurchstrich die grüne Flur.

Ich will den Boden küssen,Durchdringen Eis und SchneeMit meinen heißen Tränen,Bis ich die Erde seh’.

Wo find’ ich eine Blüte,Wo find’ ich grünes Gras?Die Blumen sind erstorben,Der Rasen sieht so blass.

Soll denn kein AngedenkenIch nehmen mit von hier?Wenn meine Schmerzen schweigen,Wer sagt mir dann von ihr?

Mein Herz ist wie erstorben,Kalt starrt ihr Bild darin;Schmilzt je das Herz mir wieder,Fließt auch ihr Bild dahin!

GUTE NACHT

Fremd bin ich eingezogen,Fremd zieh’ ich wieder aus.Der Mai war mir gewogenMit manchem Blumenstrauß.Das Mädchen sprach von Liebe,Die Mutter gar von Eh’,Nun ist die Welt so trübe,Der Weg gehüllt in Schnee.

Ich kann zu meiner ReisenNicht wählen mit der Zeit,Muss selbst den Weg mir weisenIn dieser Dunkelheit.Es zieht ein MondenschattenAls mein Gefährte mit,Und auf den weißen MattenSuch’ ich des Wildes Tritt.

Was soll ich länger weilen,Dass man mich trieb hinaus?Lass irre Hunde heulenVor ihres Herren Haus.Die Liebe liebt das Wandern,Gott hat sie so gemacht,Von einem zu dem andern.Fein Liebchen, gute Nacht!

Will dich im Traum nicht stören,Wär’ schad’ um deine Ruh’.Sollst meinen Tritt nicht hören.Sacht, sacht die Türe zu!Schreib’ im VorübergehenAns Tor dir: Gute Nacht!Damit du mögest sehen,An dich hab’ ich gedacht.

DER LINDENBAUM

Am Brunnen vor dem ToreDa steht ein Lindenbaum;Ich träumt’ in seinem SchattenSo manchen süßen Traum.Ich schnitt in seine RindeSo manches liebe Wort;Es zog in Freud’ und LeideZu ihm mich immer fort.

Ich musst’ auch heute wandernVorbei in tiefer Nacht,Da hab’ ich noch im DunkelnDie Augen zugemacht.Und seine Zweige rauschten,Als riefen sie mir zu:Komm her zu mir, Geselle,Hier find’st du deine Ruh’!

Die kalten Winde bliesenMir grad’ ins Angesicht;Der Hut flog mir vom Kopfe,Ich wendete mich nicht.

Nun bin ich manche StundeEntfernt von jenem Ort,Und immer hör’ ich’s rauschen:Du fändest Ruhe dort!

DIE WETTERFAHNE

Der Wind spielt mit der WetterfahneAuf meines schönen Liebchens Haus.Da dacht’ ich schon in meinem Wahne,Sie pfiff den armen Flüchtling aus.

Er hätt’ es eher bemerken sollen,Des Hauses aufgestecktes Schild,So hätt’ er nimmer suchen wollenIm Haus ein treues Frauenbild.

Der Wind spielt drinnen mit den HerzenWie auf dem Dach, nur nicht so laut.Was fragen sie nach meinen Schmerzen?Ihr Kind ist eine reiche Braut.

GEFROR’NE TRÄNEN

Gefror’ne Tropfen fallenVon meinen Wangen ab:Ob es mir denn entgangen,Dass ich geweinet hab’?

Ei Tränen, meine Tränen,Und seid ihr gar so lau,Dass ihr erstarrt zu EiseWie kühler Morgentau?

Und dringt doch aus der QuelleDer Brust so glühend heiß,Als wolltet ihr zerschmelzenDes ganzen Winters Eis!

GESANGSTEXTE

Page 12: WINTERREISEN MATTHIAS GOERNE MARKUS HINTERHAUSER … · In den vergangenen Jahren konzentrierte sich Markus Hinterhäuser auf die Interpretation zeitgenössischer Musik; insbesondere

WASSERFLUT

Manche Trän’ aus meinen AugenIst gefallen in den Schnee;Seine kalten Flocken saugenDurstig ein das heiße Weh.

Wenn die Gräser sprossen wollenWeht daher ein lauer Wind,Und das Eis zerspringt in SchollenUnd der weiche Schnee zerrinnt.

Schnee, du weißt von meinem Sehnen,Sag’, wohin doch geht dein Lauf?Folge nach nur meinen Tränen,Nimmt dich bald das Bächlein auf.

Wirst mit ihm die Stadt durchziehen,Muntre Straßen ein und aus;Fühlst du meine Tränen glühen,Da ist meiner Liebsten Haus.

AUF DEM FLUSSE

Der du so lustig rauschtest,Du heller, wilder Fluss,Wie still bist du geworden,Gibst keinen Scheidegruß.

Mit harter, starrer RindeHast du dich überdeckt,Liegst kalt und unbeweglichIm Sande ausgestreckt.

In deine Decke grab’ ichMit einem spitzen SteinDen Namen meiner LiebstenUnd Stund’ und Tag hinein.

Den Tag des ersten Grußes,Den Tag, an dem ich ging;Um Nam’ und Zahlen windetSich ein zerbroch’ner Ring.

Mein Herz, in diesem BacheErkennst du nun dein Bild?Ob’s unter seiner RindeWohl auch so reißend schwillt?

RÜCKBLICK

Es brennt mir unter beiden Sohlen,Tret’ ich auch schon auf Eis und Schnee,Ich möcht’ nicht wieder Atem holen,Bis ich nicht mehr die Türme seh’.

Hab’ mich an jedem Stein gestoßen,So eilt’ ich zu der Stadt hinaus;Die Krähen warfen Bäll’ und SchloßenAuf meinen Hut von jedem Haus.

Wie anders hast du mich empfangen,Du Stadt der Unbeständigkeit!An deinen blanken Fenstern sangenDie Lerch’ und Nachtigall im Streit.

Die runden Lindenbäume blühten,Die klaren Rinnen rauschten hell,Und ach, zwei Mädchenaugen glühten.Da war’s gescheh’n um dich, Gesell!

Kommt mir der Tag in die Gedanken,Möcht’ ich noch einmal rückwärts seh’n.Möcht’ ich zurücke wieder wanken,Vor ihrem Hause stille steh’n.

IRRLICHT

In die tiefsten FelsengründeLockte mich ein Irrlicht hin;Wie ich einen Ausgang finde,Liegt nicht schwer mir in dem Sinn.

Bin gewohnt das Irregehen,’s führt ja jeder Weg zum Ziel;Uns’re Freuden, uns’re Wehen,Alles eines Irrlichts Spiel!

Durch des Bergstroms trockne RinnenWind’ ich ruhig mich hinab,Jeder Strom wird’s Meer gewinnen,Jedes Leiden auch sein Grab.

RAST

Nun merk’ ich erst wie müd’ ich bin,Da ich zur Ruh’ mich lege;Das Wandern hielt mich munter hinAuf unwirtbarem Wege.

Die Füße frugen nicht nach Rast,Es war zu kalt zum Stehen;Der Rücken fühlte keine Last,Der Sturm half fort mich wehen.

In eines Köhlers engem HausHab’ Obdach ich gefunden.Doch meine Glieder ruh’n nicht aus:So brennen ihre Wunden.

Auch du, mein Herz, in Kampf und SturmSo wild und so verwegen,Fühlst in der Still’ erst deinen WurmMit heißem Stich sich regen!

FRÜHLINGSTRAUM

Ich träumte von bunten Blumen,So wie sie wohl blühen im Mai;Ich träumte von grünen Wiesen,Von lustigem Vogelgeschrei.

Und als die Hähne krähten,Da ward mein Auge wach;Da war es kalt und finster,Es schrien die Raben vom Dach.

Doch an den Fensterscheiben,Wer malte die Blätter da?Ihr lacht wohl über den Träumer,Der Blumen im Winter sah?

Ich träumte von Lieb um Liebe,Von einer schönen Maid,Von Herzen und von Küssen,Von Wonne und Seligkeit.

Und als die Hähne krähten,Da ward mein Herze wach;Nun sitz’ ich hier alleineUnd denke dem Traume nach.

Die Augen schließ’ ich wieder,Noch schlägt das Herz so warm.Wann grünt ihr Blätter am Fenster?Wann halt’ ich mein Liebchen im Arm?

GESANGSTEXTE

Page 13: WINTERREISEN MATTHIAS GOERNE MARKUS HINTERHAUSER … · In den vergangenen Jahren konzentrierte sich Markus Hinterhäuser auf die Interpretation zeitgenössischer Musik; insbesondere

EINSAMKEIT

Wie eine trübe WolkeDurch heit’re Lüfte geht,Wenn in der Tanne WipfelEin mattes Lüftchen weht.

So zieh ich meine StraßeDahin mit trägem Fuß,Durch helles, frohes LebenEinsam und ohne Gruß.

Ach, dass die Luft so ruhig!Ach, dass die Welt so licht!Als noch die Stürme tobten,War ich so elend nicht.

DIE POST

Von der Straße her ein Posthorn klingt.Was hat es, dass es so hoch aufspringt,Mein Herz?

Die Post bringt keinen Brief für dich.Was drängst du denn so wunderlich,Mein Herz?

Nun ja, die Post kommt aus der Stadt,Wo ich ein liebes Liebchen hatt’,Mein Herz!

Willst wohl einmal hinüberseh’nUnd fragen, wie es dort mag geh’n,Mein Herz?

DER GREISE KOPF

Der Reif hatt’ einen weißen ScheinMir übers Haar gestreuet;Da glaubt’ ich schon ein Greis zu seinUnd hab’ mich sehr gefreuet.

Doch bald ist er hinweggetaut,Hab’ wieder schwarze Haare,Dass mir’s vor meiner Jugend graut –Wie weit noch bis zur Bahre!

Vom Abendrot zum MorgenlichtWard mancher Kopf zum Greise.Wer glaubt’s? Und meiner ward es nichtAuf dieser ganzen Reise!

DIE KRÄHE

Eine Krähe war mit mirAus der Stadt gezogen,Ist bis heute für und fürUm mein Haupt geflogen.

Krähe, wunderliches Tier,Willst mich nicht verlassen?Meinst wohl, bald als Beute hierMeinen Leib zu fassen?

Nun, es wird nicht weit mehr geh’nAn dem Wanderstabe.Krähe, lass mich endlich seh’nTreue bis zum Grabe!

LETZTE HOFFNUNG

Hie und da ist an den BäumenManches bunte Blatt zu seh’n,Und ich bleibe vor den BäumenOftmals in Gedanken steh’n.

Schaue nach dem einen Blatte,Hänge meine Hoffnung dran;Spielt der Wind mit meinem Blatte,Zittr’ ich, was ich zittern kann.

Ach, und fällt das Blatt zu Boden,Fällt mit ihm die Hoffnung ab;Fall’ ich selber mit zu Boden,Wein’ auf meiner Hoffnung Grab.

IM DORFE

Es bellen die Hunde, es rasseln die Ketten;Es schlafen die Menschen in ihren Betten,Träumen sich manches, was sie nicht haben,Tun sich im Guten und Argen erlaben;

Und morgen früh ist alles zerflossen.Je nun, sie haben ihr Teil genossenUnd hoffen, was sie noch übrig ließen,Doch wieder zu finden auf ihren Kissen.

Bellt mich nur fort, ihr wachen Hunde,Lasst mich nicht ruh’n in der Schlummerstunde!Ich bin zu Ende mit allen Träumen.Was will ich unter den Schläfern säumen?

DER STÜRMISCHE MORGEN

Wie hat der Sturm zerrissenDes Himmels graues Kleid!Die Wolkenfetzen flatternUmher im matten Streit.

Und rote FeuerflammenZieh’n zwischen ihnen hin;Das nenn’ ich einen MorgenSo recht nach meinem Sinn!

Mein Herz sieht an dem HimmelGemalt sein eig’nes BildEs ist nichts als der Winter,Der Winter kalt und wild!

TÄUSCHUNG

Ein Licht tanzt freundlich vor mir her,Ich folg’ ihm nach die Kreuz und Quer;Ich folg’ ihm gern und seh’s ihm an,Dass es verlockt den Wandersmann.

Ach! Wer wie ich so elend ist,Gibt gern sich hin der bunten List,Die hinter Eis und Nacht und Graus,Ihm weist ein helles, warmes Haus.Und eine liebe Seele drin.Nur Täuschung ist für mich Gewinn!

GESANGSTEXTE

Page 14: WINTERREISEN MATTHIAS GOERNE MARKUS HINTERHAUSER … · In den vergangenen Jahren konzentrierte sich Markus Hinterhäuser auf die Interpretation zeitgenössischer Musik; insbesondere

DER WEGWEISER

Was vermeid’ ich denn die Wege,Wo die ander’n Wand’rer geh’n,Suche mir versteckte Stege,Durch verschneite Felsenhöh’n?

Habe ja doch nichts begangen,Dass ich Menschen sollte scheu’n,Welch ein törichtes VerlangenTreibt mich in die Wüstenei’n?

Weiser stehen auf den Straßen,Weisen auf die Städte zu.Und ich wand’re sonder MaßenOhne Ruh’ und suche Ruh’.

Einen Weiser seh’ ich stehenUnverrückt vor meinem Blick;Eine Straße muss ich gehen,Die noch keiner ging zurück.

DAS WIRTSHAUS

Auf einen TotenackerHat mich mein Weg gebracht;Allhier will ich einkehren,Hab ich bei mir gedacht.

Ihr grünen TotenkränzeKönnt wohl die Zeichen sein,Die müde Wand’rer ladenIns kühle Wirtshaus ein.

Sind denn in diesem HauseDie Kammern all’ besetzt?Bin matt zum Niedersinken,Bin tödlich schwer verletzt.

O unbarmherz’ge Schenke,Doch weisest du mich ab?Nun weiter denn, nur weiter,Mein treuer Wanderstab!

MUT

Fliegt der Schnee mir ins Gesicht,Schüttl’ ich ihn herunter.Wenn mein Herz im Busen spricht,Sing’ ich hell und munter.

Höre nicht, was es mir sagt,Habe keine Ohren;Fühle nicht, was es mir klagt,Klagen ist für Toren.

Lustig in die Welt hineinGegen Wind und Wetter!Will kein Gott auf Erden sein,Sind wir selber Götter!

DIE NEBENSONNEN

Drei Sonnen sah ich am Himmel steh’n,Hab’ lang und fest sie angeseh’n;Und sie auch standen da so stier,Als wollten sie nicht weg von mir.

Ach, meine Sonnen seid ihr nicht!Schaut ander’n doch ins Angesicht!Ja, neulich hatt’ ich auch wohl drei;Nun sind hinab die besten zwei.

Ging nur die dritt’ erst hinterdrein!Im Dunkel wird mir wohler sein.

DER LEIERMANN

Drüben hinterm DorfeSteht ein LeiermannUnd mit starren FingernDreht er was er kann.

Barfuß auf dem EiseWankt er hin und herUnd sein kleiner TellerBleibt ihm immer leer.

Keiner mag ihn hören,Keiner sieht ihn an,Und die Hunde knurrenUm den alten Mann.

Und er lässt es gehen,Alles wie es will,Dreht, und seine LeierSteht ihm nimmer still.

Wunderlicher Alter!Soll ich mit dir geh’n?Willst zu meinen LiedernDeine Leier dreh’n?

GESANGSTEXTE

Page 15: WINTERREISEN MATTHIAS GOERNE MARKUS HINTERHAUSER … · In den vergangenen Jahren konzentrierte sich Markus Hinterhäuser auf die Interpretation zeitgenössischer Musik; insbesondere

IMPRESSUMHerausgeber: HamburgMusik gGmbHGeschäftsführung: Christoph Lieben-Seutter (Generalintendant), Jack F. Kurfess, Jochen MargedantRedaktion: Clemens Matuschek, Simon ChlostaGestaltung und Satz: breeder typo – alatur, musialczyk, reitemeyerAnzeigenvertretung: Antje Sievert, +49 40 450 698 03, [email protected]

BILDNACHWEISMatthias Goerne (Caroline De Bon); Markus Hinterhäuser (Luigi Caputo); William Kentridge (Stella Olivier); Zeichnungen von William Kentridge (W.K.); Franz Schubert: Porträt von Wilhelm August Rieder (1825); Wilhelm Müller: Stich von Weger und Singer (1830)

DIE WEITEREN »WINTERREISEN«

18.03.2018 CHOR ZUR WELT & ENSEMBLE RESONANZ Der interkulturelle Chor der Elbphilharmonie singt Lieder zum Thema »Heimat« und Auszüge aus der Winterreise

24.03.2018 IAN BOSTRIDGE IM GESPRÄCH Im Rahmen von Elbphilharmonie+

26.03.2018 IAN BOSTRIDGE & REMIX ENSEMBLE Fassung für Kammerorchester von Hans Zender

Details & Tickets (soweit erhältlich) unter www.elbphilharmonie.de

VORSCHAU

Machen Sie Ihre Immobilien zukunftsfähig – mit der innovativen LoRaWAN™ basierten Lösung Minol Connect. Vernetzen Sie bereits heute intelligente Sensorik über das Internet. Mehr Transparenz, Effizienz und Flexibilität sind keine Zukunftsmusik. Heute für Ihre Immobilien. Morgen für alles, was für Sie zählt.

minol.de/connect

Für aktuelle Anforderungenan die Wohnungswirtschaft.

Minol Messtechnik W. Lehmann GmbH & Co. KGNiederlassung Hamburg | Spaldingstraße 64 | 20097 Hamburg | Tel.: +49 40 25 40 33-0 | [email protected]

Minol Connect orchestriertalle digitalen Ströme eines Gebäudes.

Bild

: pow

ell8

3

Anzeigen_ElbPhilharmonie_17_18_final.indd 1 26.10.2017 12:32:42

Page 16: WINTERREISEN MATTHIAS GOERNE MARKUS HINTERHAUSER … · In den vergangenen Jahren konzentrierte sich Markus Hinterhäuser auf die Interpretation zeitgenössischer Musik; insbesondere

WIR DANKEN UNSEREN PARTNERN

PRINCIPAL SPONSORSBMWMontblancSAPJulius Bär

FÖRDERSTIFTUNGENKlaus-Michael Kühne StiftungKörber-StiftungHans-Otto und Engelke Schümann StiftungHaspa Musik StiftungHubertus Wald StiftungErnst von Siemens MusikstiftungCyril & Jutta A. Palmer StiftungMara & Holger Cassens Stiftung

Stiftung Elbphilharmonie

Freundeskreis Elbphilharmonie + Laeiszhalle e.V.

MEDIENPARTNERNDRDer SpiegelByte FMVAN MagazinNDR Kultur

PRODUCT SPONSORSCoca-ColaHaweskoLavazzaMeßmerRicolaRuinartStörtebeker

CLASSIC SPONSORSAurubisBankhaus BerenbergCommerzbank AGDG HYPGALENpharmaHamburger FeuerkasseHamburger SparkasseHamburger VolksbankHanseMerkur VersicherungsgruppeHSH NordbankJyske Bank A/SKRAVAG-VersicherungenM.M.Warburg & CO

ELBPHILHARMONIE CIRCLE

ALS OFFIZIELLER WEINPARTNER DER ELBPHILHARMONIE BEGRÜSSEN WIR HAMBURGS NEUES WAHRZEICHEN FÜR KULTUR.

ES IST DAS BESONDERE, DAS WELLEN SCHLÄGT.

AZ_A5__Laeisz_Elbphilharmonie_Hawesko_Image_AZ_2016_148x210mm_RZ.indd 1 17.11.16 15:29

Page 17: WINTERREISEN MATTHIAS GOERNE MARKUS HINTERHAUSER … · In den vergangenen Jahren konzentrierte sich Markus Hinterhäuser auf die Interpretation zeitgenössischer Musik; insbesondere

W W W. E L B P H I L H A R M O N I E . D E