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Interview Werner Gatzer in Costa Blanca Nachrichten

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Page 1: Interview Werner Gatzer in Costa Blanca Nachrichten

Costa Blanca4 Costa Blanca Costa Blanca Nachrichten I Nr. 1490, 06. Juli 2012

Mehr Politik wagenHaushaltsstaatssekretär Werner Gatzer über Sparmaßnahmen, europäischen Wachstumspakt und die Finanztransaktionssteuer

Michael AllhoffTorrevieja

Haushaltsstaatssekretär Werner

Gatzer besuchte am Wochenende

die Costa Blanca. Der Anlass war

ein Familientreffen. Bruder Günter

Gatzer feierte in Torrevieja seinen

65. Geburtstag. Volljurist Werner

Gatzer ist seit 1990 im Bundesmi-

nisterium der Finanzen tätig. Als

oberster Sparkommissar der Re-

gierung versteht sich der SPD-

Mann bestens mit seinem Chef, Fi-

nanzminister Wolfgang Schäuble

(CDU). Presseanfragen lehnt der

bewährte Spitzenbeamte meist ab,

für die Costa Blanca Nachrichten

machte er eine Ausnahme.

Sie sind einer der dienstältes-ten Staatssekretäre der Bun-desregierung.Das stimmt. Seit nunmehr über

sechseinhalb Jahren bin ich Staats-

sekretär im Bundesministerium der

Finanzen und gehöre damit zu den

dienstältesten Staatssekretären in-

nerhalb der Bundesregierung. Für

viele erscheint das vielleicht unge-

wöhnlich, da ich bekanntermaßen

Mitglied der SPD bin. Dies ist aber

weder für den Bundesfinanzminis-

ter noch für die Bundeskanzlerin

ein Problem. Unabhängig von Par-

teizugehörigkeiten verstehe ich

mich als finanzpolitischen Berater

und arbeite gern und loyal für die

Regierung.

Sehr bewährt, sehr solide, se-riös, so charakterisiert Sie Fi-nanzminister Schäuble...Das freut mich. Herr Schäuble und

ich kennen uns nun schon seit eini-

gen Jahren. Er war damals noch

Bundesinnenminister, und wir ha-

ben über viele Wochen hinweg ge-

meinsam auf der Arbeitgeberseite

Tarifverhandlungen für den öffent-

lichen Dienst mit der Gewerk-

schaft geführt. Bei den oft bis in

die Nacht gehenden Sitzungen und

zähen Verhandlungen boten sich

viele Gelegenheiten, sich näher

kennenzulernen.

Und wie gehen Ihre Parteige-nossen damit um?Ich hoffe, auch für meine eigene

Partei ist dies kein Problem. Der

Kontakt zu dem SPD-Parteivorsit-

zenden Gabriel steht nach wie vor,

und ich habe von vielen Seiten

positive Zustimmung erfahren,

dass weiterhin ein Sozialdemokrat

auf Bundesebene Mitglied der

Bundesregierung ist. Ich will aber

nicht ausschließen, dass es den-

noch vereinzelte Stimmen inner-

halb der SPD gibt, die mein Ver-

bleiben in dieser Regierung eher

kritisch sehen.

Wie sind Ihre Erfahrungen da-mit, unliebsame Sparvorlagenumzusetzen?Naturgemäß ist der Haushalts-

staatssekretär nicht der beliebteste

Staatssekretär innerhalb der Bun-

desregierung. Er ist schließlich

derjenige, der das Geld zusam-

menhalten soll und oft zusätzliche

Ausgabenwünsche ablehnen muss.

Im Grundsatz sind sich alle einig,

dass gespart werden muss. Wird es

konkret, ist der Haushaltsstaats-

sekretär gefordert, hier müssen un-

terschiedliche Interessen gegenei-

nander abgewogen werden Wich-

tig ist, dass der persönliche Um-

gang nicht darunter leidet, auch

wenn man in der Sache oft heftig

streitet.

Sie arbeiten in Ihrem Amt mitunvorstellbar hohen SummenGeld...Wir haben in der letzten Woche im

Bundeskabinett den Haushaltsent-

wurf für 2013 verabschiedet. Die-

ser sieht Ausgaben von etwa 300

Milliarden Euro vor und eine Neu-

verschuldung von rund 19 Milliar-

den Euro. Auch bei den europäi-

schen Rettungsschirmen reden wir

von Milliardenbeträgen, wenn-

gleich es sich hierbei in erster Li-

nie um Bürgschaften handelt. Für

viele klingt das immens und sicher

nur schwer fassbar. Herunterge-

brochen auf den Einzelnen, klingt

es schon greifbarer. Die Ausgaben

pro Kopf belaufen sich auf etwa

3.800 Euro und die Neuverschul-

dung auf etwa 240 Euro. Wichtiger

als die Beträge sind aber die Ziele

und den Nutzen der einzelnen

Maßnahmen zu verdeutlichen. Es

gilt darum zu erklären, wofür die

300 Milliarden Euro tatsächlich

benötigt werden und warum die

Maßnahmen des europäischen Sta-

bilitätsmechanismus mit hohen

Bürgschaftssummen notwendig

und wichtig sind für die Stabilität

in der Eurozone.

Kann man die Kontrolle einesStaatshaushalts irgendwie ver-gleichen mit der Führung einesFamilienhaushalts?Oftmals wird behauptet, dass man

dieses nicht vergleichen könne,

und einige Unterschiede wird es

auch immer geben. Aber während

man früher davon ausging, dass

Staatsverschuldung durchaus ak-

Besuch aus Berlin zum Familienfest in Torrevieja (von links): Edeltraut und Geburtstagskind Günter Gatzer, Mutter Erna Gatzer und Staatssekretär Werner Gatzer mit Ehe-

frau Renate feierten an der Costa Blanca den 65. Geburtstag des ältesten Sohnes. Fotos: Michael Allhoff

Ein Wochenende in Spanien: Ehepaar Werner und Renate Gatzer.

Page 2: Interview Werner Gatzer in Costa Blanca Nachrichten

zeptabel sei, stellt man aufgrundder Erfahrungen der letzten Jahrenunmehr fest, dass eine zu hoheStaatsverschuldung zur Hand-lungsunfähigkeit von Staaten füh-ren kann. Am Schluss werdenauch Staaten nicht daran vorbei-kommen, ihre Haushalte so aufzu-stellen, dass sie mit dem Geld, dassie einnehmen, alle ihre Ausgabentätigen können. Denn die jüngsteVergangenheit hat ja gezeigt, dassdie Abhängigkeit von Finanzmärk-ten zu Problemen führen kann. Mitder Einführung von strengerenSchuldenregeln hat man den erstenSchritt getan.

Während Deutschland spart,fragt Südeuropa um finanzielleHilfen an. Sind wir auf dem Wegzu einer Transferunion?Nein, das glaube ich nicht. EinigeLänder der Eurozone sind in einerKrise, die es nun gemeinsam zu lö-sen gilt. Ich glaube nicht, dass dieEntscheidungen, die auf europäi-scher Ebene bisher getroffen wor-den sind, die Schlussfolgerung zu-lassen, dass wir eine Transferunionhaben. Der Europäische Stabili-tätsmechanismus beispielsweisesoll den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets Stabilitätshilfezur Verfügung stellen können,wenn es zur Wahrung der Finanz-stabilität des Euro-Währungsge-biets insgesamt und seiner Mit-gliedstaaten unabdingbar ist. DieGewährung von Finanzhilfen istdabei eng mit dem Fiskalvertragverknüpft worden. Wer künftigHilfen aus dem ESM in Anspruchnehmen will, muss den Fiskalver-trag bis zum 1. März 2013 ratifi-ziert haben und spätestens ein Jahrnach seinem Inkrafttreten nationaleSchuldenregeln umsetzen. EineTransferunion sollte auch nicht an-gestrebt werden, denn damit wür-den Fehlanreize geschaffen hin-sichtlich des politischen Handelns.Es hat sich immer bewährt, dassdiejenigen, die politische Entschei-dungen tragen, auch hierfür die fi-nanzielle Verantwortung überneh-men müssen.

Wie gefährdet sehen Sie die La-ge im Euro-Raum angesichtsder Finanzkrise?Richtig ist, dass in Europa nicht al-le Länder wirtschaftlich gleich gutaufgestellt sind und in ihren Re-formprozessen unterschiedlichweit vorangeschritten sind. Ichdenke, dass wir in Deutschland inder Vergangenheit einiges richtiggemacht haben, was auch dazubeigetragen hat, dass Deutschlandbesser aus der Wirtschaftskrise he-rausgekommen ist als andere Län-der. Mit der Entscheidung für ei-nen europäischen Stabilitätsme-chanismus glaube ich, dass es eingeeignetes Instrument gibt, die Fi-nanzkrise zu beherrschen. Ebensowichtig ist aber auch, die notwen-digen Reformschritte einzuleiten,um die Länder für die Zukunftwettbewerbsfähig zu machen. Aneiner Konsolidierung der Haushal-

te wird auf Dauer kein Land vor-beikommen. Letztendlich werdenwir in Europa aber nur alle ge-meinsam die anhaltende Finanzkri-se bewältigen können.

In Spanien scheint sich Bun-deskanzlerin Angela Merkel zu-nehmend unbeliebt zu machen,weil sie als verantwortlich fürden harten Sparkurs der EU ge-sehen wird...Deutschland hat in den letzten Jah-ren immer wieder deutlich ge-macht, wie wichtig Europa und dieEurozone sind. Andererseits gehörtes zu solidarischem Verhaltenauch, auf bestehende Problemehinzuweisen. Ich denke, dass die

Probleme in Spanien anders sindals in Griechenland oder anderenStaaten in der Eurozone, sodassdie Lösungsansätze auch unter-schiedlich sein müssen. Wichtig istaber, auch für Spanien, dass dienotwendigen Reformen ergriffenwerden und die Haushaltskonsoli-dierung weiter vorangetriebenwird. Denn Solidarität und Solidi-tät sind zwei Seiten ein und dersel-ben Medaille. Auf dem EU-GipfelEnde Juni sind dazu ja wichtigeEntscheidungen getroffen worden.

Glauben Sie, dass der Europäi-sche Stabilitätsmechanismusausreichend ist, oder bedarf esweiterer Hilfen?

Der Europäische Stabilitätsmecha-nismus ist ein wichtiges Instru-ment zur Stabilisierung der Märk-te. Er setzt mit 500 MilliardenEuro ein wichtiges Zeichen. Ichdenke, es wäre verfehlt, jetzt überweitergehende Instrumente zu spe-kulieren. Natürlich kenne ich auchdie Diskussionen zum Beispielüber Eurobonds. In Deutschlandsteht man diesem Instrument eherkritisch gegenüber, da es eine Ver-gemeinschaftung von Schuldenbedeuten würde. Daher bedarf esaus meiner Sicht noch einer Viel-zahl vorgeschalteter Schritte, wiezum Beispiel einer klar abge-stimmten Haushalts- und Wirt-schaftspolitik in Europa, bevor

man einer Überlegung derartigerInstrumente überhaupt näher tritt.

Viele Bürger können sich desEindrucks nicht erwehren, dassdie viel zitierten „Märkte“ pro-fitorientierten Zockern gleichdie Politik vor sich her treiben.Ich habe Verständnis für die vielenMenschen in Europa, die sich kri-tisch mit den sogenannten Märktenauseinandersetzen. Manche Kritik-punkte sind auch durchaus zutref-fend und machen einen nachdenk-lich. Ich bin der festen Überzeu-gung, dass die Politik Vertrauenzurückgewinnen kann, wenn sieentschieden genug auftritt undauch entsprechende gesetzgeberi-sche Maßnahmen beschließt, umden Märkten klar die Schrankenaufzuzeigen. Hierzu gehören Re-gulierungsmaßnahmen genausowie auch eine schlagkräftige Auf-sicht der Finanzmärkte. Ansonstenwird die Akzeptanz für unser ge-sellschaftliches System immermehr schwinden und aus der Fi-nanzkrise eine gesellschaftspoliti-sche Krise wachsen.

Viele Spanier verstehen nicht,dass Brüssel mit Milliarden dieBanken rettet, während Sozial-leistungen gekürzt werden. DieSympathien mit Protestinitiati-ven wie Occupy steigen.Die Motive, die von der Occupy-Bewegung ausgehen, unterstützeich und kann ich auch nachvollzie-hen. Dennoch wird man dabeinicht übersehen dürfen, dass Ban-ken unabdingbar für eine funktio-nierende Volkswirtschaft sind.Fällt das Bankensystem aus, fehltes an den notwendigen Finanzmit-teln, um Investitionen anzustoßenund Wachstum zu fördern. Denndies ist wiederum Voraussetzungdafür, dass ein Staat handlungsfä-hig bleibt und auch zukünftig so-ziale Leistungen tätigen kann.Wichtig dabei ist aber auch, dassdie Konsolidierung der öffentli-chen Haushalte nicht nur durchKürzungen bei Sozialleistungengeschieht, sondern eben auchdurch eine Beteiligung des Finanz-sektors an den Kosten.

Die Märkte sollen nun beteiligtwerden an den Kosten der Kri-se. Wird die Finanztransakti-onssteuer eingeführt?Ich hoffe, dass wir es zumindest inEuropa schaffen, eine Beteiligungdes Finanzmarktes an den Kostender Krise herbeizuführen. Anderer-seits wissen wir, dass ein Allein-gang eines Landes wenig Erfolgversprechend ist. Umso wichtigerist es, Partner zu finden und dafürzu überzeugen. Am besten wäre es,die ganze Welt würde mitmachen,um jegliche Ausweichmöglichkei-ten zu verschließen. Aber viel-leicht muss man auch mal den Muthaben, zunächst allein den erstenSchritt zu wagen. Ich begrüße es,dass ein weiterer richtiger Schrittauf dem Weg zurr Finanzmarktbe-steuerung gemacht wurde.

Hält den Bundeshaushalt zusammen: Staatssekretär Werner Gatzer. Foto: BMF

Costa Blanca 5Nr. 1490, 06. Juli 2012 I Costa Blanca Nachrichten

Werner Gatzer, geboren am 4.November 1958 in BergischGladbach, ist verheiratet undhat vier Kinder. Er studierteRechtswissenschaft in Köln undarbeitete von 1987 bis 1990 inden OberfinanzdirektionenNürnberg und Köln. 1990 trater in das Bundesministeriumder Finanzen ein und war bis1998 in verschiedenen Refera-

Sparkommissar der RegierungSPD-Mann in der Koalition: Haushaltsstaatssekretär Werner Gatzer

ten der Haushaltsabteilung tätig. Erführte den Leitungsstab des Refe-rates für Parlament- und Kabinett-angelegenheiten, eine strategischeSchlüsselstellung.

Von 2002 bis 2005 stand derRheinländer dem Leitungsstab desBundesministeriums der Finanzenvor. Er war 2005 tätig als Ge-schäftsführer der Bundesschulden-agentur „Bundesrepublik Deutsch-

land – Finanzagentur GmbH“.Am 1. Dezember 2005 holteihn Peer Steinbrück als Haus-haltsstaatssekretär zurück. Alseiner der dienstältesten Staats-sekretäre war Werner Gatzerbereits unter den MinisternTheo Waigel (CSU), Oskar La-fontaine (SPD) und Hans Ei-chel in Schlüsselstellungen desFinanzministeriums tätig.