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ISANG YUN ZUM HUNDERTSTEN 26. SEPTEMBER 2017 ELBPHILHARMONIE GROSSER SAAL

ISANG YUN ZUM HUNDERTSTEN - Elbphilharmonie · 2017-09-19 · Isang Yun über altkoreanische Musik DIE MUSIK. Yuns Töne werden lang gehalten, umspielt, verziert, sie können ins

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ISANG YUN ZUM HUNDERTSTEN

26. SEPTEMBER 2017ELBPHILHARMONIE GROSSER SAAL

Dienstag, 26. September 2017 | 20 Uhr | Elbphilharmonie Großer Saal

19 Uhr | Einführung im Großen Saal mit Heinz Holliger und Christian Strehk

ISANG YUN ZUM HUNDERTSTEN

TONGYEONG FESTIVAL ORCHESTRA CLARA-JUMI KANG VIOLINE DIRIGENT HEINZ HOLLIGER

Maurice Ravel (1875–1937)

Le tombeau de Couperin (1914 / 1919)

Prélude Forlane Menuet Rigaudon

ca. 15 Min.

Isang Yun (1917–1995)

Violinkonzert Nr. 3 (1992)

ca. 25 Min.

Pause

Isang Yun

Harmonia / für Bläser, Harfe und Schlagwerk (1974)

ca. 10 Min.

Maurice Ravel

Ma mère l’oye / Ballettmusik (1911) Prélude Danse du rouet et scène Pavane de la belle au bois dormant Les entretiens de la Belle et de la Bête Petit Poucet Laideronnette, impératrice des pagodes Le jardin féerique

ca. 30 Min.

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Vor fast auf den Tag genau 100 Jahren, am 17. September 1917 nämlich, wurde der Kom-ponist Isang Yun in der südkoreanischen Hafenstadt Tongyeong geboren. Ein guter Anlass für eine Wiederbegegnung, nicht nur vor dem Hintergrund der aktuellen weltpo-litischen Lage. Die bekam Yun einst selbst zu spüren, als er mitten in West-Berlin vom südkoreanischen Geheimdienst gekidnappt wurde – wegen eines früheren Besuchs in Nordkorea. Tatsächlich träumte der Kom-ponist Zeit seines Lebens vom Ausgleich zwischen Nord und Süd, zwischen Ost und West. Seine Musik verstand er als »Appell für mehr Menschlichkeit«. Sein Geburts-tagskonzert gestalten das Orchester aus seiner Heimatstadt und ein prominenter Weggefährte: der Komponist, Dirigent und Oboist Heinz Holliger, dem Yun einst eigene Werke geschrieben hatte.

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KOMPONIERTE REVERENZ

Maurice Ravel: Le tombeau de Couperin

Wenn ein Mensch stirbt, errichten die Hinterbliebenen ein Grab-mal. Wenn ein Komponist stirbt, komponieren die Hinterbliebe-nen ein Grabmal.

So plausibel diese Regel klingt – in der Musikgeschichte hat sie keine große Anwendung gefunden. Man denke nur an Mozart, der nach seinem Ableben weder mit musikalischen noch mit realen Marksteinen bedacht, sondern sang- und klang-los in einem Massengrab beigesetzt wurde. Nach Isang Yuns Tod 1995 wurde immerhin eine internationale Yun-Gesellschaft gegründet; der Komponist ruht in einem offiziellen Ehrengrab der Stadt Berlin. Und auch bei Claude Debussy sah die Sache schon anders aus: Zehn namhafte Kollegen ehrten ihn nach sei-nem Tod mit speziellen Widmungsstücken.

Überhaupt stellt diese »Tombeau« genannte Gattung ein typisch französisches Phänomen dar. Schon seit der Renais-sance drückten Komponisten (oder ihre Auftraggeber) so ihre Anteilnahme am Tod eines Kollegen oder Freundes aus. Tombe-aux – abgeleitet vom französischen Wort für Grabstein – bilde-ten damit den weltlichen Gegenpart zur Totenmesse. Dennoch handelt es sich dabei nicht notwendigerweise um Klagemusik in getragenem Tonfall. Oft setzten die Komponisten ihren Ehrgeiz darein, den Verstorbenen durch Anspielungen oder geschickte Stilimitationen zu ehren.

Maurice Ravel hatte bei der Komposition von Le tombeau de Couperin gleich mehrere erinnerungswürdige Menschen vor Augen und Ohren. Da wäre zunächst – der Titel verrät es – ein gewisser François Couperin. 1668 in einer Pariser Musiker- familie geboren, erarbeitete er sich rasch den Beinamen »Le Grand« sowie eine Stellung als Hofkomponist Ludwigs XIV. Neben seinem Amtsvorgänger Lully und neben Rameau gilt er bis heute als einer der wichtigsten Tonschöpfer des französi-schen Barock.

Maurice Ravel

François Couperin

Dass Ravel das Bedürfnis verspürte, ausgerechnet einen Kom-ponisten zu ehren, dessen Tod gut 200 Jahre zurücklag, erklärt sich aus den Entstehungsumständen des Werks: In Europa tobte der Erste Weltkrieg. In der allgemeinen patriotischen Begeis-terung hatte sich auch Ravel zum Militär gemeldet und wurde, obwohl bereits ausgemustert, schließlich als Lastwagenfahrer eingesetzt. Ravel weigerte sich zwar grundsätzlich, den politi-schen Krieg der Länder als geistigen Krieg der Künstler wei-terzufechten: »Mich kümmert es wenig«, bemerkte er einmal, »dass zum Beispiel Monsieur Schönberg Österreicher ist.« Der Glorifizierung nationaler Musikhistorie konnte er sich dennoch nicht gänzlich entziehen.

So adaptierte er in Le tombeau de Couperin überkommene Tanzformen wie das Menuett oder heutzutage völlig in Verges-senheit geratene Gattungen wie Forlane (ein erotisch ange-hauchter Paartanz im Dreiertakt) und Rigaudon (im schnellen Zweiertakt). Eingeleitet wird das Werk, wie es sich für eine baro-cke Suite gehörte, mit einem Prélude. In seiner grazilen, bei-nahe manieristischen Tonsprache ist das Werk deutlich an der höfischen Cembalo-Musik Couperins und seiner Zeitgenossen orientiert.

Konsequenterweise schrieb Ravel Le tombeau de Coupe-rin zunächst als Klavierstück; erst später arrangierte er das Werk für großes Orchester. Ravels Genialität in der Verwen-dung unterschiedlicher Instrumente – Streicher und Holzblä-ser stehen einander oft mit unterschiedlichen Motiven gegen-über, Hörner und Blech sorgen für pointierte Effekte – schlägt sich dabei in einer äußerst farbigen Partitur nieder. Gemeinsam mit der beweglichen Harmonik entsteht so das für Ravel typi-sche Klangbild.

Neben Couperin hatte Ravel aber noch weitere Widmungs-träger im Sinn. Die ursprüngliche Klavierfassung umfasst sechs Sätze; jeder einzelne ist einem Freund gewidmet, der im Ersten Weltkrieg sein Leben ließ. Dazu zählt ein Mitarbeiter von Ravels Verleger Durand ebenso wie Freunde aus der baskischen Hei-mat oder der Musikwissenschaftler Joseph de Marliave, dessen Witwe Marguerite Long die Klaviersuite Le tombeau de Couperin nach dem Ende des Krieges zur Uraufführung brachte. Auf die Kritik am insgesamt erstaunlich fröhlichen Charakter des Wer-kes reagierte Ravel gelassen: »Die Toten in ihrer ewigen Ruhe sind traurig genug.« CLEMENS MATUSCHEK

DIE MUSIK

DAS KREATIVE DRITTE

Die Musik des koreanisch-deutschen Komponisten Isang Yun

Entweder oder. Null oder eins. Ost versus West. Allen Formen eines binären Modells unvereinbarer Gegensätze setzte der koreanisch-deutsche Komponist Isang Yun seine Vision eines »kreativen Dritten« entgegen. Yuns Denken und seine Art, Musik zu machen, waren eine direkte Konsequenz seiner Lebens-erfahrungen. Was Trennung, Teilung, das gewaltsame Zerschneiden von Kon-tinuität bedeutet, hatte er schmerzhaft am eigenen Leib erfahren: Als Yun 1956 seine Heimat Korea verließ, war das Land komplett verwüstet von einem Krieg, in dem mehr Bomben gefallen waren als im gesamten Zweiten Weltkrieg. Korea war gespalten in zwei sich unversöhnlich gegenüberstehende Teil-Koreas in Nord und Süd.

Yuns zweite Heimat wurde Deutschland, genauer: das entlang der Ost-West-Bruchlinie geteilte Berlin. Aus West-Berlin wurde der Komponist 1967 vom süd-koreanischen Geheimdienst entführt und nach Seoul verschleppt. Dort machte man ihm den Prozess. Anklagepunkt war eine Reise in den kommunistischen

Norden, die er einige Jahre zuvor unternommen hatte. Nach südkoreanischem Recht war dies eine Straftat. Yun wurde erst zum Tode verurteilt; später milderten seine Richter das Urteil zu fünfzehn, dann zu zehn Jahren Haft. 1969 kam er vorzeitig frei, kehrte nach Deutschland zurück und wurde deutscher Staats-bürger. Doch Yuns große Hoffnung blieb die Wiedervereinigung seiner (ersten) Heimat. Seine Kantate Mein Land, mein Volk sollte – so wünschte es sich der Komponist – bei einem Versöh-nungskonzert am 38. Breitengrad aufgeführt werden, wo sich die Machtblöcke bis an die Zähne bewaffnet gegenüberstehen. Damals wie heute eine absolut utopische Vorstellung.

Gerade weil ihm die Konsequenzen von Trennung und Tei-lung so direkt trafen, wurden »Einheit« und »Kontinuität« zu den zentralen Kategorien in Isang Yuns Weltdeutung und in seiner Kunst. Sein Wirken galt dem Vermitteln und Verbinden im Span-nungsfeld (vermeintlicher) Gegensätze. Ab den späten 1950er-Jahren entwickelte Yun einen musikalischen Stil, in dem die Klangerfahrungen und das Zeitempfinden der alten koreani-schen Hofmusik mit westlichen Instrumenten und den Mitteln der damaligen Avantgarde neu formuliert werden. Alt trifft neu, Ost trifft West, könnte man sagen.

Doch der bekennende Taoist Yun mochte gar nicht in Gegen-sätzen denken und formulierte sein künstlerisches Credo so: »Es ergeben sich so viele Probleme, wenn man davon ausgeht, dass es entweder Tradition oder Moderne, entweder Ost oder West sein soll; wenn man Elemente einfach dualistisch gegen-überstellt. Die beiden Kräfte sollten weder einfach oberfläch-lich harmonisiert noch in die Alternative gesetzt werden. Der extreme Gesichtspunkt, dass Ost genau wie West sein könnte, oder der entgegengesetzte Standpunkt, dass die beiden Wel-ten nicht miteinander verbunden werden könnten, verhindert die Entstehung des kreativen Dritten. Wie es die Elemente Yin und Yang voneinander gegenseitig erfordern, lassen sich in mei-ner Musik Relativität und Einklang verbinden, sodass sie östlich wie westlich und nicht-östlich wie nicht-westlich sein können.«

Die zentrale Idee von Yuns Musik ist dabei das »Fortleben des Tones«. Ein Ton, so pflegte der Komponist zu sagen, »ringt um sein Überleben«. Der ursprüngliche Impuls darf nicht vergehen.

» Die ausdrucksvolle Artikulation des einzelnen Tones steht im Vordergrund. Er löst sich aus einer anfänglichen linearen Starrheit; die Stimme geht in ein kunstvolles Tremolo über, das Schwankungen bis zu einer großen Sekunde erreicht. Die Zeit ist unendlich. Der Gesang ist in jedem Augenblick vollkommen in sich. Nichts drängt oder eilt zu einem dramatischen Ende.«

Isang Yun über altkoreanische Musik

DIE MUSIK

Yuns Töne werden lang gehalten, umspielt, verziert, sie können ins Gleiten kommen, bis jeder Sinn für fest definierte Tonhöhen verloren geht, nur ganz abreißen darf der klingende Strom nie. Seine Werke der 1950er- und 60er-Jahre sind beherrscht von sol-chen »Haupttönen« oder komplexen »Hauptklängen«, aus deren nahtloser Abfolge Yun seine Musik gestaltete und deren Tonvor-rat er nach Arnold Schönbergs Vorbild zwölftönig organsierte.

Doch nach seiner Entführung und Rückkehr nach Deutsch-land wandelte sich sein Stil grundlegend. Nun kam es den Kom-ponisten verstärkt darauf an, mit seiner Musik auch eine exis-tentielle Botschaft zu transportieren. Und dafür suchte er eine Musiksprache, die »mehr Humanität hat«. Dafür orientierte Yun sich immer stärker an den Traditionen der europäischen Kunst-musik. Statt lang gehaltener Haupttöne beherrschen nun lange melodische Züge seine Musik, statt atonaler Hauptklänge sind nun auch vertrautere Akkorde zu hören. Konzerte, Sinfonien, Streichquartette, also die repräsentativen Formen des klas-sisch-romantischen Erbes, stehen ab den 1980ern im Zentrum seiner Arbeit.

Doch die Verkleidung im europäisch-traditionellen Gewand konnte (und sollte) nie verbergen, dass Yuns Musikdenken sei-nem Wesen nach asiatisch blieb. Auch dort, wo er nach klassi-schem Muster komponierte, ging es ihm immer noch um das Strömen der Musik. Tatsächlich komponierte er selbst kom-plexe Orchestermusik ohne Skizzen direkt in die Partitur. Yuns Musik ist nicht gebaut und geplant, sondern innerhalb eines klar definierten formalen Rahmens quasi improvisiert. Jeden Arbeitstag setzte der Komponist sich an seine Partitur und ließ seinen Klangstrom wieder eine Weile weitermäandern. Die gro-ßen Linien und der formale Umriss eines Stückes sind gerade in den späteren Werken meist gut auszumachen; das Dickicht der Details in dieser überbordenden Musik aber erhellt auch keine Analyse. Dem Meister war eben in diesem Moment danach, es so und nicht anders zu machen.

Ein Paradebeispiel für Yuns Spätstil ist sein drittes Konzert für Violine und Orchester, das heute vor der Pause erklingt. Wie in der Tradition üblich, spielt Yun in seinen Konzerten das

Verhältnis von Einzelnem und Kollektiv in immer neuen Varianten durch. Formal ist das Konzert zwar einsätzig; doch schimmert die gute alte Dreisätzigkeit nach dem Mus-ter schnell-langsam-schnell noch deutlich durch. Solo-Kadenzen gehören natürlich auch zu einem Konzert. Yun nutzt sie, um am Ende eines jeden Formabschnitts den Übergang zum nächsten Teil zu markieren.

Innerhalb dieses konventionellen Rahmens aber geht die Musik ganz eigene Wege. Die Töne sind überwuchert mit Trille-ren, Verzierungen, Vorschlägen. Das gerade für die Holzbläser so herausforderne Glissando, das Gleiten der Tonhöhe, unter-wandert die uns so vertraute Ordnung von zwölf säuberlich getrennten Halbtönen. Alles Starre wird verflüssigt. Es ergibt sich ein Strom aus Musik, der mal schneller und dichter, mal langsamer und generöser fließt, und in dessen Wandlungen, Verdichtungen und Steigerungen wir das existentielle Drama ahnen.

Der Titel Harmonia könnte geradezu als Motto über Yuns gesamtem Werk stehen. Eben auf Harmonie, verstanden als die Balance der Gegensätze, kam es ihm in der Kunst und im Leben an. Wer musikhistorisch denkt, mag in dem Titel außer-dem eine Anspielung an die »Harmoniemusik« sehen; so nannte man zu Mozarts Zeiten in Wien die Musik für Bläserensembles. In der Musik kündigt sich der neue Stil, den Yun Anfang der 70er-Jahre entwickelte, schon deutlich an. Wie ein neuer Tag dämmert diese Musik am Anfang aus dunklen Tiefen heran, um in ein erstes »Vogelkonzert« solistischer Bläser zu müden. Eine Szenerie, die Yun offenbar besonders liebte.

ILJA STEPHAN

Isang Yun 1972 in Berlin bei der Arbeit an seiner Oper Sim Tjong für die Olympischen Spiele in München

»Ich musste mich sozusagen künstlerisch auf Leben und Tod auseinandersetzen mit der gesamten westlichen Kultur und westlichen Musik. Das geht nicht so, als ob man nur westliche Kompositionstechnik zu lernen brauchte und schon wäre man ein westlicher Komponist. Man muss zunächst seine eigene Herkunft vergessen und tabula rasa sein für das Neue und Fremde.«

Isang Yun über seine Begegnung mit der westlichen Moderne

DIE MUSIK

MUSIKALISCHE MÄRCHEN

Maurice Ravel: Ma mère l’oye

Der Abschluss des Konzerts schlägt den Bogen zurück zum Beginn, zu Ravel – und zurück in friedlichere, unschuldigere Zeiten. Noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, dessen Opfer er in Le tombeau le Couperin gedenken sollte, komponierte Ravel die Suite Ma mère l’oye (»Meine Mutter, die Gans«) für Klavier zu vier Händen. Der Titel bezieht sich auf die gleichnamige fran-zösische Märchensammlung aus dem Jahr 1697, zusammenge-stellt von Charles Perrault, der den Brüdern Grimm damit gut 100 Jahre voraus war.

Diese Vorlage ist kein Zufall, denn Ravel schrieb das Werk für die Kinder eines Freundes. Und man kann sich die Begeisterung der jungen Widmungsträger Mimi und Jean ausmalen, dass der berühmte Komponist eigens für sie ihre Lieblingsgeschichten in Musik setzte. Lange bitten mussten sie ihn vermutlich nicht: Ravel war nicht nur ein Menschenfreund, sondern hatte auch ein Faible für das Kindliche, Grazile, Artifizielle, für Miniaturen, Figürchen, Spieluhren, kleine Porzellanteller und Bonsaibäume. (Er selbst war übrigens auch nur 1,60 m groß.)

Die Musik von Ma mère l’oye lebt einerseits von bewusster Schlichtheit, die die Klaviersuite auch für Kinder spielbar macht. Andererseits von der genialen Instrumentation, die Ravel später für die heute Abend erklingende Ballettfassung vornahm. Und natürlich von den Melodien und Klangeffekten, mit denen er die Märchenfiguren nachzeichnet.

Das Ballett beginnt mit einer samtigen Einleitung, quasi dem musikalischen Pendant zur Phrase »Es war einmal …«. Kleine Motivsplitter – ein dezentes Hornsignal etwa oder ein Solo der Fagotte – lassen schon erahnen, was noch kommen könnte.

Mit einem großen Fortissimo-Schlag des gesamten Orches-ters öffnet sich der Vorhang und gibt den Blick auf die erste Szene frei: das sich drehende Spinnrad, das abwechselnd von Streichern und Bläsern in Schwung gehalten wird. Nach eini-gen Minuten verdüstert sich die Musik, wenn das unglückselige Dornröschen hinzutritt und sich prompt an der Spindel sticht. Sofort sinkt das Orchester in einen tiefen Schlaf; nur noch das – pardon – Schnarchen der Kontrabässe bleibt übrig.

Titelbild von Charles Perraults Märchensammlung »Contes de ma mère l’oye« aus dem Jahr 1697.

Der folgende Satz mit seiner trägen Flötenmelodie beschreibt Dornröschen im Tiefschlaf (»die Schöne im schlafenden Wald«). Immerhin ist die böse Fee so freundlich, mit einem schrillen Pfiff zwei Wächter für die schlafende Prinzessin herbeizurufen. Es folgen weitere Märchenszenen, die Ravel jeweils mit Über-blendungen voneinander absetzt; die akustische Chiffre dafür ist das Klappern der Streicherbögen und große Glissandi.

Zunächst: »die Schöne und das Biest«. Darin wird die Schöne von der Klari-nette verkörpert, die einen zierlichen Walzer tanzt. Das Biest dagegen spricht aus dem brummenden Kontrafagott. Doch die beiden nähern sich an, der Fluch wird durch ein Harfenglissando gebrochen, und das Fagottbiest verwandelt sich in einen adretten Geigenprinzen. – Zu endlosen Achtelketten der Streicher durchwandert anschließend der »Kleine Däumling« in Form eines Oboensolos die Welt, wobei er unterwegs einige Vögel aufschreckt. – Fernöstliche Klänge mit Schellen, Glocken und Flöten, wie sie seit der Pariser Weltausstellung von 1889 en vogue waren, porträtieren die »Kaiserin der Pagoden«.

Zum Schluss kündigt sich mit Hornrufen sogar ein Prinz an, der das schla-fende Dornröschen wachzuküssen gedenkt. Auch hier zeigt ein Harfenglissando an, dass der böse Zauber überwunden ist. Mit einem Geigensolo schlägt die Prinzessin die Augen auf, und der schlafende Wald weicht einem idyllischen Feengarten – ein Happy End wie im Märchen.

CLEMENS MATUSCHEK

Maurice Ravel

DIE MUSIK

CLARA-JUMI KANG VIOLINE

Geboren in Mannheim als Kind südkoreanischer Eltern, begann Clara-Jumi Kang schon mit drei Jahren, Geige zu spielen. Auf-grund ihres außerordentlichen Talents wurde sie bereits mit fünf Jahren an der Musikhochschule Mannheim unterrichtet; zwei Jahre später erhielt sie ein Stipendium der Juilliard School in New York. Weitere Stationen ihres Studiums waren die Seoul National University of Arts und die Musikhochschule in Mün-chen. Zu ihren Lehrern zählten Zakhar Bron, Dorothy Delay, Nam-Yun Kim und Christoph Poppen.

Bereits als Fünf- und Sechsjährige spielte Clara-Jumi Kang mit zahlreichen Sinfonieorchestern: den Hamburger Sympho-nikern, dem Gewandhausorchester Leipzig, dem Atlanta Sym-phony und mit dem KBS Symphony Orchestra in Seoul. In ers-ten Aufnahmen ist sie in Beethovens Tripelkonzert und einem Solorezital zu hören.

Während ihrer Studienzeit gewann Clara-Jumi Kang bedeu-tende internationale Wettbewerbe, darunter die Tibor Varga Vio-lin Competition, die Seoul Violin Competition, den Joseph-Joa-chim-Violinwettbewerb in Hannover (2. Preis), die Sendai Violin Competition sowie die International Violin Competition of India- napolis (Gold Medal und fünf Sonderpreise).

2011 erschien ihre erstes Soloalbum Modern Solo – eine Sammlung virtuoser Violinwerke –, gefolgt von einem Duo- album mit der Pianistin Yeol Eum Son (Schumann und Brahms).

Im Laufe ihrer Solokarriere ist Clara-Jumi Kang mit allen wichtigen Orchestern Koreas und Japans aufgetreten, zudem mit dem Orchester des Mariinsky-Theaters, den Philharmoni-schen Orchestern von St. Petersburg und Moskau, Rotterdam Philharmonic, Orchestre de la Suisse Romande, Kremerata Bal-tica, Wiener Kammerorchester und vielen anderen. Dabei arbei-tete sie mit renommierten Dirigenten und Solisten wie Myung-Whun Chung, Valery Gergiev, Vladimir Spivakov, Yuri Temirkanov, Gidon Kremer, Lionel Bringuier und Andrey Boreyko zusammen.

Clara-Jumi Kang spielt auf der Stradivari »ex-Strauss« von 1708, einer Leihgabe der Samsung Cultural Foundation Korea.

DIE KÜNSTLER

Heinz Holliger gehört zu den vielseitigsten und außergewöhnlichsten Musiker-persönlichkeiten unserer Zeit. Geboren in Langenthal auf halber Strecke zwi-schen Bern und Zürich, studierte er in Bern, Paris und Basel Oboe (bei Emile Cassagnaud und Pierre Pierlot), Klavier (bei Sava Savoff und Yvonne Lefébure) und Komposition (bei Sándor Veress und Pierre Boulez).

Nach ersten Preisen bei den internationalen Wettbewerben von Genf und München begann seine einzigartige Karriere als Oboist. Zeitgenössische Kom-ponisten wie Henze, Berio, Stockhausen, Ligeti und Isang Yun widmeten ihm ihre Werke. Zugleich erweiterte er Spieltechnik und Ausdruckmöglichkeiten seines Instruments und setzte sich auch für wenig bekannte und einseitig interpre-tierte Komponisten ein.

Heute ist Heinz Holliger selbst einer der gefragtesten Komponisten weltweit, dessen Werke exklusiv von Schott Musik International verlegt werden. Seine am Zürcher Opernhaus uraufgeführte Oper Schneewittchen nach Robert Walser erhielt große internationale Anerkennung. Zu seinen Hauptwerken zählen zudem der Scardanelli-Zyklus und das Violinkonzert.

Als Dirigent arbeitet Heinz Holliger seit vielen Jahren mit weltweit führenden Orchestern und Ensembles zusammen, darunter die Berliner Philharmoniker, Wiener Philharmoniker, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Tonhalle-Orchester Zürich, Concertgebouw Orchestra Amsterdam, Cleveland Orchestra und viele andere. Er ist Träger zahlreicher Auszeichnungen und Preise (unter anderem den Ernst-von-Siemens-Musikpreis, Musikpreis der Stadt Frank-furt, Zürcher Festspielpreis, Rheingau-Musikpreis und die Ehrendoktorwürde der Universität Zürich) und Schallplattenauszeichnungen (Diapason d’Or, Midem Classical Award, Edison-Award, Grand Prix du Disque, mehrere Deutsche Schall-plattenpreise). 2017 erhielt Holliger zudem den Robert-Schumann-Preis der Stadt Zwickau.

DIRIGENT HEINZ HOLLIGER

DIE KÜNSTLER

Nach dem Vorbild des Schweizer Lucerne Festival Orchestra wurde 2011 das Tongyeong Festival Orchestra gegründet, um das musikalische Spektrum des internationalen Musikfestivals von Tongyeong zu vertiefen und als künstlerischer Botschafter der Stadt im In- und Ausland zu dienen. Die Hafenstadt Tongyeong, Geburtsstadt von Isang Yun, liegt an der Südküste Südkoreas, hat etwa 150.000 Einwohner und eine bewegte Geschichte. Sie wurde von der UNESCO zur »Creative City of Music« erklärt. Hier findet auch alljährlich der renommierte Isang-Yun-Wett-bewerb statt, im Wechsel für Violine, Cello und Klavier.

Bereits seit 2002 hat Tongyeong mit dem auf zeitgenössische Musik spezialisierten Ensemble TIMF einen eigenen Klangkör-per. In Kooperation mit dem Münchner Kammerorchester wurde dann 2011 von Alexander Liebreich ein internationales Festival-Orchester gegründet, das seither jedes Jahr für Konzerte im In- und Ausland neu zusammengestellt wird.

Die Musiker des Ensembles stammen aus renommierten Orchestern wie den Münchner Philharmonikern, dem NDR Elb-philharmonie Orchester, dem Mozarteum-Orchester Salzburg, dem Royal Scottish National Orchestra, der Kremerata Baltica, dem National Symphony Orchestra Washington, dem Sydney Symphony Orchestra und vielen anderen. Zu den Dirigenten des Orchesters zählen Christoph Poppen, Michael Sanderling, Christoph Eschenbach, Stefan Soltesz, Ken-David Masur und Stefan Asbury.

Zum Festival-Thema Voyages ging das Tongyeong Festival Orchester 2015 eine Partnerschaft mit der Hong Kong Sinfoni-etta und Orchestra Ensemble Kanazawa ein. Musiker aus Korea, Japan und China kamen auf diese Weise zu einer Asientournee zusammen und bildeten eine musikalische Brücke zwischen den drei Ländern.

TONGYEONG FESTIVAL ORCHESTRA

DIE KÜNSTLER

VIOLINE ISreten Krstic (Konzertmeister)Eunsol YounJiyeon RyuYounjung RoBranislava TaticYoungjoon KimZydre OvsiukaiteJae Jun Park

VIOLINE IIJiyun KimEva BindereHyun OhMigle SerapinaiteKyung Hwa ParkJi Yeon Lee

VIOLAGyozo MateJin Ah ImNataliia PoludennaHa Ram Choi

VIOLONCELLOZoltan OnczayChul HurYoonji TackSehwa Kang

KONTRABASSPeter SchmidtKitae Bae

FLÖTEOry SchneorYeong In Kwon

OBOESamuel BastosMin Kyung ChunKeiko Yamazaki

KLARINETTEOliver KlenkMaximilian BreinichEszter Király

FAGOTTJohannes StefaniakJi Eun HurSena Jo

HORNSeok Jun LeeHubert RennerJung Min OhByoung Woo Lee

TROMPETEShane HootonChohee Lee

HARFEJi In Kim

PAUKE, SCHLAGWERKThomas O’KellyEun Hye KimJune Moon Kyung HahnYeongeun Shin

FESTIVAL GREATEST HITSWenn Ihnen die Musik von Isang Yun gefallen hat oder Sie sich grundsätzlich für aktuelle Musik interessieren, dann sollten Sie sich das erste November-Wochenende vormerken. Dann näm-lich bietet das Festival »Greatest Hits« wieder faszinierende, unerwartete Hörerlebnisse. Im Fokus stehen diesmal Saariahos Lehrer Gérard Grisey, der ungarische Komponist Peter Eötvös und der amerikanische Maverick Harry Partch, der Mitte des 20. Jahrhunderts eigene Instrumente baute, die mal wie ein Baum voller Kuhglocken, mal wie ein Weinregal aussehen. Drei Tage lang erklingen die Greatest Hits auf Kampnagel, zum Abschluss dann in der Elbphilharmonie.

1.–4. November 2017 www.greatest-hits-hamburg.de

Die Aufzeichnung des Konzerts in Ton, Bild oder Film ist nicht gestattet.

IMPRESSUMHerausgeber: HamburgMusik gGmbHGeneralintendanz: Christoph Lieben-SeutterGeschäftsführung: Jack F. KurfessRedaktion: Clemens Matuschek, Simon ChlostaGestaltung und Satz: breeder typo – alatur, musialczyk, reitemeyerDruck: Flyer-Druck.de

Anzeigenvertretung: Antje Sievert, +49 40 450 698 03, [email protected]

BILDNACHWEISMaurice Ravel (unbezeichnete Fotografie, 1925); François Couperin: Stich von Jean-Jacques Flipart (1735); Isang Yun (Hans Pölkow für Boosey & Hawkes / Bote & Bock Berlin); Isang Yun (Keystone Pictures); Charles Perrault: Contes de ma mère l’oye (Titelbild der Erstausgabe, 1697); Maurice Ravel (unbezeichnete Fotografie, 1930); Clara Jumi Kang (Marco Borggreve); Heinz Holliger (Daniel Vass); Tongyeong Festival Orchestra (Tongyeong International Music Foundation); Harry-Partch-Instrument (Steven Severinghaus)

BESETZUNG VORSCHAU

WIR DANKEN UNSEREN PARTNERN

PRINCIPAL SPONSORSBMWMontblancSAP

FÖRDERSTIFTUNGENStiftung ElbphilharmonieKlaus-Michael Kühne StiftungKörber-StiftungHans-Otto und Engelke Schümann StiftungHaspa Musik StiftungHubertus Wald StiftungErnst von Siemens MusikstiftungCyril & Jutta A. Palmer StiftungMara & Holger Cassens StiftungHonorarkonsulat der Tschechischen Republik Hamburg

Freundeskreis Elbphilharmonie + Laeiszhalle e.V.

MEDIENPARTNERNDRDer SpiegelByte FMVAN MagazinNDR Kultur

PRODUCT SPONSORSCoca-ColaHaweskoLavazzaMeßmerRuinartStörtebeker

CLASSIC SPONSORSAurubisBankhaus BerenbergCommerzbank AGDG HYPGALENpharmaHamburger FeuerkasseHamburger SparkasseHamburger VolksbankHanseMerkur Versicherungs-gruppeHSH NordbankJyske Bank A/SKRAVAG-VersicherungenM.M.Warburg & CO

sowie die Mitglieder desElbphilharmonie Circle

ALS OFFIZIELLER WEINPARTNER DER ELBPHILHARMONIE BEGRÜSSEN WIR HAMBURGS NEUES WAHRZEICHEN FÜR KULTUR.

ES IST DAS BESONDERE, DAS WELLEN SCHLÄGT.

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