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Zurück zu Autorität und Tradition Geistesgeschichtliche Hintergründe des Traditionalismus an den spätmittelalterlichen Universitäten MAARTEN J. E M. HOENEN (Leuven) 1. Die Geschichtswissenschaften betrachten eine historische Situation auf dem Hintergrund von deren Genese, um so die auf den ersten Blick zufällig erschei- nenden Fakten von ihren Ursachen her verstehen und sie im Rahmen der gefun- denen Entwicklungsstränge deuten zu können 1. Das gilt auch für die Philoso- phie, die sich schon früh für ihre Geschichte interessiert hat. Das Studium der Vorgänger diente Aristoteles als Spiegel und Mittel der Selbstvergewisserung. Er stellte die eigene Position als Folge und Korrektur der vorangehenden Denkwei- sen dar und begründete damit ihre Plausibilität 2 . Im fünfzehnten Jahrhundert nahm die Bezugnahme auf die Vergangenheit die Gestalt eines Streites an, der an den Universitäten Frankreichs und im Alten Reich ausgefochten wurde. Zur Diskussion stand dabei vor allem die Beziehung (connexio) von Philosophie und Theologie 3 . Bezugspunkt dieser Debatte war die Wende vom dreizehnten zum vierzehnten Jahrhundert. Diese Zeit hatte nach Ansicht der Kontrahenten eine Veränderung in der Philosophie gebracht, die in der Retrospektive von der einen Partei als neue Methode (modus quidam novus), von der anderen als perverse Streitsucht und Zerstörung der Einheit (rfyscolia) gedeutet wurde 4 . Letztere Partei vertrat deshalb die Rückkehr zu den Autoren des dreizehnten Jahrhunderts. Sie ließ sich in der Philosophie von dem durch 1 Interessante Überlegungen dazu bringt R G. Collingwood, An Autobiography, with a new intro- duction by S. Toulmin, Oxford 1978,29-43,53-88.- 2 De anima I, 2-5, 403b20-411b30 und Metaphysica I, 3-10, 983a24-993a27. 3 Z. Kaluza, Les etapes d'une controverse. Les nominalistes et les realistes parisiens de 1339 a 1482, in: A. Le Boulluec (ed.), La controverse religieuse et ses formes, Paris 1995,297-317, bes. 315, mit Verweisen auf Quellen und Literatur. 4 Stephan Hoest, Reden und Briefe. Quellen zur Geschichte der Scholastik und des Humanismus im 15. Jahrhundert, ed. F. Baron, München 1971, 164-178, bes. 176 (modus quidam novus), und A. G. Weiler, Un traite de Jean de Nova Domo sur les Universaux, in: Vivarium 6 (1968), 108- 154, bes. 137 (dyscolia). Zum geistigen Profil des Stephan Hoest, eines Vertreters der via modema, cf. die Einleitung von F. Baron in der genannten Ausgabe, 37 - 58. Der Terminus dyscolia gehörte zum gängigen Vokabular des mittelalterlichen Gelehrten. Er wird mit Verweis auf Aristoteles gedeutet in Thomas von Aquin, Summa theologiae, II - II, quaest. 116, art. 1 (dyscolus,litigiosus).

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Zurück zu Autorität und Tradition

Geistesgeschichtliche Hintergründe des Traditionalismus an den spätmittelalterlichen Universitäten

MAARTEN J. E M. HOENEN (Leuven)

1.

Die Geschichtswissenschaften betrachten eine historische Situation auf dem Hintergrund von deren Genese, um so die auf den ersten Blick zufällig erschei­nenden Fakten von ihren Ursachen her verstehen und sie im Rahmen der gefun­denen Entwicklungsstränge deuten zu können1. Das gilt auch für die Philoso­phie, die sich schon früh für ihre Geschichte interessiert hat. Das Studium der Vorgänger diente Aristoteles als Spiegel und Mittel der Selbstvergewisserung. Er stellte die eigene Position als Folge und Korrektur der vorangehenden Denkwei­sen dar und begründete damit ihre Plausibilität2 .

Im fünfzehnten Jahrhundert nahm die Bezugnahme auf die Vergangenheit die Gestalt eines Streites an, der an den Universitäten Frankreichs und im Alten Reich ausgefochten wurde. Zur Diskussion stand dabei vor allem die Beziehung (connexio) von Philosophie und Theologie3. Bezugspunkt dieser Debatte war die Wende vom dreizehnten zum vierzehnten Jahrhundert. Diese Zeit hatte nach Ansicht der Kontrahenten eine Veränderung in der Philosophie gebracht, die in der Retrospektive von der einen Partei als neue Methode (modus quidam novus), von der anderen als perverse Streitsucht und Zerstörung der Einheit (rfyscolia) gedeutet wurde4. Letztere Partei vertrat deshalb die Rückkehr zu den Autoren des dreizehnten Jahrhunderts. Sie ließ sich in der Philosophie von dem durch

1 Interessante Überlegungen dazu bringt R G. Collingwood, An Autobiography, with a new intro­duction by S. Toulmin, Oxford 1978,29-43,53-88.­

2 De anima I, 2-5, 403b20-411b30 und Metaphysica I, 3-10, 983a24-993a27. 3 Z. Kaluza, Les etapes d'une controverse. Les nominalistes et les realistes parisiens de 1339 a

1482, in: A. Le Boulluec (ed.), La controverse religieuse et ses formes, Paris 1995,297-317, bes. 315, mit Verweisen auf Quellen und Literatur.

4 Stephan Hoest, Reden und Briefe. Quellen zur Geschichte der Scholastik und des Humanismus im 15. Jahrhundert, ed. F. Baron, München 1971, 164-178, bes. 176 (modus quidam novus), und A. G. Weiler, Un traite de Jean de Nova Domo sur les Universaux, in: Vivarium 6 (1968), 108­154, bes. 137 (dyscolia). Zum geistigen Profil des Stephan Hoest, eines Vertreters der via modema, cf. die Einleitung von F. Baron in der genannten Ausgabe, 37 - 58. Der Terminus dyscolia gehörte zum gängigen Vokabular des mittelalterlichen Gelehrten. Er wird mit Verweis auf Aristoteles gedeutet in Thomas von Aquin, Summa theologiae, II - II, quaest. 116, art. 1 (dyscolus,litigiosus).

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134 Maarten J. F. M. Hoenen

die Theologie gesetzten Rahmen leiten und verteidigte die Anpassung der Philo­sophie an die Wahrheit des Glaubens (eotiformitas ad veritatem nostre religionis) 5. Die erste Gruppe dagegen kritisierte diese Mischung von Philosophie und Theolo­gie. Die Philosophie habe einen eigenen Geltungsanspruch, der zu Beginn des vierzehnten Jahrhunderts an den Tag gekommen sei. Dieser neuen Tradition gelte es zu folgen, sogar im Interesse der Theologie, denn sie schütze die Theo­logie vor dem Eindringen philosophischen Hochmuts (auetoritates philosophorum sunt argumenta quasi extranea doctrine sacre)6.

Dieser Rückblick auf die eigene Geschichte, der mit der Frage nach dem Auftrag der Philosophie an der Universität eng verbunden war, wurde durch die historischen Umstände provoziert. Hungersnöte und Pestausbrüche, der Hun­der~ährige Krieg und die Spaltung der Kirche hatten an der akademischen Sub­stanz gezehrt. Die Studentenzahlen sanken in manchen Jahren stark. Die Dokto­ren und Magister waren oft nicht am Platz. Sie übernahmen öffentliche Aufga­ben, verbrachten ihre Zeit als Ratgeber und Botschafter an päpstlichen Höfen und beteiligten sich an den Konzilien des beginnenden fünfzehn~en Jahrhun­derts. Die Zahl der Schriften, die dem Unterricht gewidmet waren, verringerte sich zugunsten von Werken, in denen aktuelle Fragen der weltlichen und kirchli­chen Politik aufgegriffen wurden7 .

Das alles führte zu einem Verlust an Einheit und Kohärenz. Die Pariser Uni­versität versuchte diesen Verlust auszugleichen, indem sie sich verstärkt als Hüte­rin der wahren philosophischen und theologischen Tradition profilierte, aber ohne Erfolg. Sie wurde zum Spielball politischer Mächte8. Die noch jungen Universitäten des Alten Reiches betrachteten Paris als exemplar und alma mater, waren aber gespalten über die Frage, an welcher Brust sie sich zu nähren hätten, der des alten oder der des neuen Weges, denn beide konnten sich auf eine ruhmvolle Pariser Vergangenheit berufen9 .

5 Johannes de Nova Domo, Tractatus de esse et essentia, ed. G. Meersseman, in: Meersseman, Geschichte des Albertismus, Heft I: Die Pariser Anfange des Kölner Albertismus, Paris 1933, 91-191, bes. 92.

6 So bereits hervorgehoben von Peter von Ailly, Tractatus ex parte universitatis studii Parisiensis pro causa Fidei contra quemdarn fratremJohannem de Montesono, in: Ch. du Plessis d'Argentre (ed.), Collecrio judiciorum de novis erroribus, voL 1/2, Paris 1728,75-129, bes. 117. Ähnliches später bei Johannes Gerson.

7 J. Verger, The University of Paris at the End of the Hundred Years' War, in: J. W Baldwin/R. A. Goldthwaite (eds.), Universities in Politics. Case Studies from the Late MiddJe Ages and Early Modern Period, Baltimore 1972, 47 - 78, und W J. Courtenay, Parisian Theology 1362­1377, in: M. J. F. M. Hoenen/p. Bakker (eds.), Philosophie und Theologie des ausgehenden Mit­telalters. Marsilius von Inghen und das Denken seiner Zeit, Leiden 2000, 3-19, bes. 13-14.

8 AufscWußreich ist eine Rede des Dekans der theologischen Fakultät (1387), ediert im Chartula­rium Universitatis Parisiensis, ed. H. Denifle/Ae. Chätelain, voL 3, Paris 1894, n. 1557, 487­489. Über die spätere Lage informiert Verger, The University of Paris (nt. 7).

9 Dazu die Dokumente gesammelt in F. Ehrle, Der Sentenzenkommentar des Peter von Candia des Pisaner Papstes Alexanders V Ein Beitrag zur Scheidung der Schulen in der Scholastik des vierzehnten Jahrhunderts und zur Geschichte des Wegestreits, Münster 1925, 281- 358, bes. 283 und 285.

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10 Z. Kaluza, La crise des ann J. F. M. Hoenen e. a. (eds.), 1995,293-327.

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12 Ehrle, Der Sentenzenkorr 13 Ehrle, Der Sentenzenkorr

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die Anpassung der Philo­tatem nostre religionis) 5. Die Philosophie und Theolo­>ruch, der zu Beginn des Dieser neuen Tradition

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Zurück zu Autorität und Tradition

Die auch an den Universitäten gespürte Bedrohung durch die Hussiten, die sich in Prag öffentlich zum alten Weg bekannt hatten, gab dieser zuerst rein akaden:lischen Frage eine Aktualität und Bedeutung, die den Raum der Universi­tät verließ und den Frieden im ganzen Reich betraflo. Immer stärker suchte man nach einer akaden:lischen Tradition, die den Verlust an Einheit und Prestige unter den wachsenden Bedrohungen aufhalten könnte. Diese Suche führte zur Etablierung von Autoritäten der Vergangenheit, die den Anspruch authentischer philosophischer Reflexion durch ihre Schriften de faeto erfüllt hatten.

Diese kurze Darstellung der geistesgeschichtlichen Umrisse des frühen fünf­zehnten Jahrhunderts läßt erkennen, unter welchen Bedingungen sich die Debat­ten an den Universitäten gestalteten. Dennoch sind die Parameter des Wegestrei­tes und der gesuchte Anschluß bei Autoritäten des dreizehnten oder vierzehnten Jahrhunderts nicht inuner leicht ersichtlich. So waren heide Wege auf der Suche nach einer eommunis opinio, die sich in einigen Punkten überschnitt, in anderen jedoch stark auseinanderging ll. Ebenso trat auf beiden Seiten die Sorge um die Rechtgläubigkeit der Studenten in den Vordergrund, die jedoch im Unterricht unterschiedlich Ausdruck fand 12. Auch möchte die eine Quelle den Wegestreit auf die Philosophie beschränken, die andere dagegen zeigen, daß die Debatte auch an der theologischen Fakultät geführt wurde13. Immer wieder jedoch ging es um den Aufbau eines Lehrplans, der den Studenten den Zugang zu Aristote­

10 Z. Kaluza, La crise des annees 1474-1482. L'interdiction du nominalisme par Louis XI, in: M. J. F. M. Hoenen e. a. (eds.), Philosophy and Learning. Universities in the Middle Ages, Leiden 1995,293-327.

11 Das Streben nach einer gemeinsamen Lehre war nicht auf das späte Mittelalter beschränkt. Bereits Bartholomaeus de Capua hob die in den Schriften des Thomas befindliche communilas als Argument für dessen Kanonisation hervor. Cf. Fontes vitae sancti Thomae Aquinatis, Processus Canonizationis S. Thomae Aquinatis Neapolitanus, ed. M.-H. Laurent, in: Revue Thomiste 38 (1933)/39 (1934), 267 - 407, bes. 370 - 391 (Bartholomaeus de Capua) und 384 (Zitat): ,,[ ...] in scriptis ipsius inveniunlur communis veritas, communis clarilas, communis illuminatio, communis ordo el doctrina [... ]." Dieses Argument spielte im fünfzehnten Jahrhundert noch immer eine Rolle. Johannes Gerson betrachtete die Theologie des Thomas von Aquin als beispielhaft gerade wegen der dort angestrebten Einheit. Thomas habe die Lehre seiner Vorgänger in einer einheitlichen und siche­ren theologischen Sprache zusammenzufassen versucht (reducendo doctores omnes priores ad unam securamque locutionis proprielalem), so schrieb er in seinem zweiten Brief an Bartolomaeus Clantier (1408), ediert in: Johannes Gerson, CEuvres comp](:tes, ed. Mgr. Glorieux, voL 2, Paris 1960, 97 -103, bes. 98. Auch bei den nominales läßt sich die Erwähnung einer eigenen communis opinio feststellen, die sich nach eigener Angabe der nominales gelegentlich auch mit der Lehre des Thomas von Aquino deckte. So bemerkte Bartholomaeus von Usingen in seinem "Exercitium de anima": "Opinio oclava esl beati Tbome el Egjdii, Gregorii Ariminensis el communis vie moderne, quod in uno composilo subslantiali sillamen [Iantum?] una forma subslantialis", zitiert nach W Urban, Die via moderna an der Universität Erfurt am Vorabend der Reformation, in: H. A. Oberman (ed.), Gregor von Rimini. Werk und Wirkung bis zur Reformation, Berlin 1981, 311 - 330, bes. 329 nt. 58. Zu Bartholomaeus von Usingen und seinem geistigen Umfeld cf. jetzt H. U. Wähler, Die Erfurter Quodlibet-Disputation des Jahres 1497, in: Bochumer Philosophisches Jahrbuch für Antike und Mittelalter 6 (2001), 137-195, bes. 138-150.

12 Ehrle, Der Sentenzenkommentar (Anhang von Aktenstücken) (nt. 9), 282, 291, 326, 334. 13 Ehrle, Der Sentenzenkommentar (Anhang von Aktenstücken) (nt. 9), 327.

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les erlauben sollte, ohne den Häresien der Zeit zum Opfer zu fallen. Autoritäten der Vergangenheit wurden als Vorbild gesucht und akademische Verurteilungen als Warnung eingesetzt.

In unserem Beitrag möchten wir nun diesen komplizierten Sachverhalt unter­suchen und der Frage nachgehen, welche Bedeutung die Frage der Tradition an den Universitäten hatte.

H.

Die Beweggründe der Verteidiger des alten Weges, sich den Autoren des dreizehnten Jahrhunderts zuzuwenden, sind auf den ersten Blick überraschend. Die Philosophie habe sich der Lehre der Kirche anzuschließen, denn die Kirche sei die beste Garantie und Schutz der Wahrheit, nach der die Philosophie ihrer Natur nach auf der Suche sei. Dieses Argument wurde in verschiedenster Gestalt immer wieder vorgetragen. Hinzugefügt wurde meistens noch ein Verweis auf die geistige Würde und den kirchlichen Status der Vertreter dieser Auffassung. Es seien die alten Gelehrten der Bettelorden, die diese Haltung praktiziert hätten und deren Lehre durch die Kirche facta et opere approbiert worden sei. Deren Haltung zu kritisieren oder nicht zu befolgen, sei gleichbedeutend damit, sich von der universalis ecclesia abzuwenden und sich als Abtrünniger zu profilieren, der mit dieser auch von den Universitäten gewahrten Tradition brechen möchte.

Hier wird eine Haltung gegenüber der Philosophie vertreten, wie sie im drei­zehnten Jahrhundert Albertus Magnus und Thomas von Aquin im Unterricht an den dominikanischen studia eingenommen hatten. Die Philosophie habe einen eigenen Bereich und eine eigene Methode, die unbedingt zu respektieren seien, wenn man die Lehren der Philosophen oder die philosophia gentilium verstehen wolle. Aber man könne den heidnischen Philosophen nur das als sichere Wahr­heit entnehmen, was der Offenbarung nicht widerstreite, wenn auch dort anders zum Ausdruck gebracht14.

Bereits die frühesten Dokumente des Wegestreites bezeugen, daß genau die­ses Verständnis der Philosophie in den Mittelpunkt der spätrnittelalterlichen Auseinandersetzungen gerückt war. Johannes de Nova Domo, der als Magister an der Pariser Artesfakultät tätig war, setzte an den Anfang seiner Schrift "De esse et essentia" eine protestatio, in der er zum Ausdruck brachte, wie die Texte

14 Zu Albert cf. die Quellenverweise in: M. Schooyans, La distinction entre philosophie et theologie d'apres les cornmentaires aristoteliciens de saint Albert le Grand, in: Revista da Universidade Cat6lica de Säo Paulo 18 (1959), 255-279, und A. Zimmermann, Albertus Magnus und der lateinische Averroismus, in: G. Meyer/A. Zimmermann (eds.), Albertus Magnus Doctor Univer­salis 1280/1980, Mainz 1980,465-493, bes. 473-482. Thomas äußert sich über die Beziehung von menschlicher Vernunft und göttlicher Offenbarung in den Anfangskapiteln seiner "Summa contra Gentiles". Hinweise zur Wirkung dieser Haltung von Albert und Thomas im Bereich des Unterrichts der Philosophie im Orden gibt M. M. Mulchahey, First the Bow is Bent in Study. Dominican Education before 1350, Toronto 1998, bes. 252-277.

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15 Johannes de Nova Domo 16 Johannes de Nova Domo

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17 Weiler, Un traite de Jean 18 Ehrle, Der Sentenzenkor

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Zurück zu Autorität und Tradition

des Aristoteles zu studieren seien. Die programmatische Bedeutung seiner Worte wurde dadurch hervorgehoben, daß er von einer regula sprach, die bei der Lek­türe philosophischer Werke immer befolgt werden solle. Es handelte sich also um eine Grundsatzerklärung des alten Weges. Diese regula lautet15:

"Quilibet [... ] ehristianus, desiderans philosophari in philosophia gentilium, hoe observabit pro regula quod ubieumque verba sanetorum patrum non eotifOrmant se omnino verbis philosophorum, debet i110rum dietorum philosophorum verba moderare ad eonformitatem verborum sanetorum, ipsaque tenere in propria forma sine quaeumque moderatione. "

Als Gewährsmann dieser regula zitierte Johannes Albertus Magnus, den er als den besten expositor Aristotelis überhaupt erachtete, als besser noch als Thomas von Aquin, und den er deshalb auch als doetor meus bezeichnete. Albertus habe die Schriften der Philosophen nach ihren eigenen Grundsätzen studiert und kommentiert, aber immer darauf geachtet, sich im Konfliktfall der Lehre der Heiligen (veritas sanetorum) anzuschließen16.

Diese Stellungnahme samt ihrem Bezug auf die philosophische Tradition der Bettelorden ist bei Johannes de Nova Domo keine Ausnahme und auch kein Pariser Sonderfall. Setzte Johannes sich in seiner Schrift "De esse et essentia" vor allem mit der Aristotelesdeutung des Thomas von Aquin auseinander, sind in anderen Schriften die nominales oder Verteidiger der via moderna seine Gegner. In diesem Zusammenhang wird nicht nur die veritas sanetorum als Norm in An­schlag gebracht, sondern auch die auetoritas apostoliea und die auctoritas romane eeclesie 17. Ähnlich wird auch in dem bekannten Antwortschreiben der Kölner Universität an die Kurfürsten aus dem Jahre 1425 argumentiert: Der alte Weg sei durch die romana ecclesia approbiert worden, indem sie die Schriften dieses Weges benutzt und zur Bestätigung ihrer Lehre angeführt habe18. Zudem dürfe man die doetores der Orden, die sich als ausgezeichnete Theologen bewährt und die vielen wertvollen Bücher geschrieben hätten, den Vertretern der via moderna, die lediglich simpliees magistri artium seien, nicht unterordnen und mit dem Bann belegen19.

Diese Verbindung von Philosophie und Theologie ist auch kennzeichnend für die Rede, die Stephan Hoest bei der Verleihung der Lizenz an die Kandidaten der via antiqua im Jahre 1468 an der Heidelberger Artesfakultät gehalten hat. Die

15 Johannes de Nova Domo, Tractatus de esse et essentia (nt. 5), 92. "16 Johannes de Nova Domo, Tractatus de esse et essentia (nt. 5), 91-92 und 108 (doctor meus). Zu

den sancti und philosophi bei Albertus cf. H. Anzulewicz, Anthropologie des Albertus Magnus als Ort des Dialogs zwischen den sancti und philosophi, in: F. Prcela (ed.), Dialog. Auf dem Weg zur Wahrheit und zum Glauben. Festschrift für A. Pavlovic OP, Zagreb - Mainz 1996, 47 - 53.

17 Weiler, Un traite de Jean de Nova Domo sur les Universaux (nt. 4), 128. 18 Ehrle, Der Sentenzenkommentar (Anhang von Aktenstücken) (nt. 9), 284sq.: ,,[ ...] Romana et

universalis Ecclesia Doctores prenominatos [sc. Thomas, Albertus] facta et opere habet approbatos, eorum libns et scriptis utendo et allegantkJ [...]."

19 Ehrle, Der Sentenzenkommentar (Anhang von Aktenstücken) (nt. 9), 285: "Eya, quomodo dictat alicujus recta conscientia, quod ubi [...] Bundanus, Marcilius et alii simplices Magistri Artium sunt accepti, ibi tam insignes sam Theologie Professores proscribantur?"

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erworbene Lehre des alten Weges sei zum Verständnis der Heiligen Schrift nütz­lich und sollte deshalb weiter tradiert werden, so hielt er den Studenten vor Augen2o• Auch forderte er sie auf, durch eine unverdorbene Lehre (sana doetrina) in den Seelen (in mentibus) der Zuhörer einen Wohnplatz für den kommenden Christus vorzubereiten21. Die Philosophie wurde also als Instrument der Theo­logie betrachtet. Sie ist auf die Theologie ausgelegt und hat sich deren Ziel zu fügen. Daß es sich hier um eine difftrentia speciftea des alten Weges handelt, geht auch daraus hervor, daß Stephan Hoest in einer ähnlichen Festrede, die er einige Monate später für die Studenten der via moderna hält, die Schrift, den Glauben oder die Theologie mit keinem Wort erwähnt22•

Am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts ist der Ton noch immer derselbe. Die Kirche und die Orden werden eingesetzt, um das Prestige des alten Weges' zu sichern. Es sei doch kaum denkbar, so wurde an der Ingolstädter Universität. behauptet, daß die doctores der Orden, deren Lehre in der Kirche die höchste Autorität zuerkannt worden sei, sich geirrt hätten. Eher noch seien die nominales verblendet, denn ihre Lehrer hätten kein Ansehen erworben (nomine et auetontate inglonz) 23. In diesem Sinne hatte der Ingolstädter Johann von Adorf eine Liste mit nominalistischen Thesen zusammengetragen, die von der Lehre der saneti patres und der ecclesia eatholiea abwichen, wie er am Anfang der Liste ausdrücklich hervorhob24.

Johann von Adorf war Theologe und hatte sich mit der nominalistischen Theologie auseinandergesetzt. Aber auch an der Artesfakultät galt die doetrina ftdei als Norm bei der Beurteilung von Lehren. Aufschlußreich ist ein Schrift­stück der Artesfakultät, in dem die Lehren der realiste und moderni einander ge­genübergestellt wurden. Gegenstand waren die Logik und Naturphilosophie.

20 Stephan Hoest, Reden und Briefe (nt. 4), 146-162, bes. 154: ,,[...] vos precepta philosophie ad intelligenciam sacrarum litterarum profIllure aliis quoque discere volenliblls nunc deinceps traderelis. "

21 Stephan Hoest, Reden und Briefe (nt. 4), 158: "Per sanam igitur doctrinam in menlibus auditorum venluro Christo habitaculum preparate!"

22 Stephan Hoest, Reden und Briefe (nt. 4), 164-178. 23 Ehrle, Der Sentenzenkommentar .(Anhang von Aktenstücken) (nt. 9), 329: "Si beatus Thomas,

Albertus Magnus [...] el alii Realium doctores erran!, erramlls, imo lolus Predicalorum et Minorum ordo, eorum imitalores. Sed non esl credibile prediclos gloriosos doclores, quorum doctrina semper sana el secura comperta es!, errare, quorum eliam lanla in ecclesia aucloritas esl [... ]. Presumendum polius es!, Marsilium, Wuridanum [...], el nomine el auclorilale inglorios, errasse et non modo ipsos sed el eorum sequaces, quos Nominales seu Terminislas vocant." Zur dieser Quelle, die leider jetzt verloren ist, cf. Ehrle, Der Sentenzenkommentar (Anhang von Aktenstücken) (nt. 9),326-331. Weitere Informationen und Dokumente 2um Wegestreit in logoistadt geben K. von Prant!, Geschichte der Ludwig-Maximi­lians-Universität in logoistadt, Landshut, München, vol. 2, München 1872, Nachdruck Aalen 1968, und A. Seifert (ed.), Die Universität logoistadt im 15. und 16. Jahrhundert. Texte und Regesten (Ludovico Maximilianea 1), Berlin 1973, 45-48 (n. 7) and 67-70 (n. 10). Beide Wege (beder weghalben) waren in logoistadt durch eigene Bursen vertreten. Das obige Zitat gehört dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts an, als die via moderna in Iogo1stadt vorherrschend war.

24 Ehrle, Der Sentenzenkommentar (Anhang von Aktenstücken) (nt.9), 338-342. Johann von Adorf tritt in den Dokumenten der Universität immer wieder hervor. Cf. Seifert (ed.), Die Universität Ingolstadt (nt. 23), 35 - 55, bes. 45 und 53.

Der anonyme Verfasser, c ges war, begann seine Da die Beurteilung der nachl der genannten protestatio , hier nicht Albert, sonden

"Prenotandum est quod dicit tione doctorum [doctrinarum sacre scripture tam in se qua regula et exemplar, cui se aA sit impertinens ad religionem

Es folgt nun eine langt richtsstoff der Artesfakul

26gezogen :

"Doctrina realium conformio

Und erneut werden d ihrer Lehrer hervorgehol

"Doctrina realium deffendit1. diffusa est. Doctrina autem ­

Der Traktat "Oe exan prenotandum entnommen schrieben28. Es handelt: phie, wie sie an der Artt wird die darin formulier Philosophie angewendet gesehen. Auch er überm Ordensausbildung von;' einer Welt entstammte, «

ginn des fünfzehnten Jal Es mußte zu einer er

Art und Weise, die Schri: Gegnern als eine Vorgel Standard nicht mehr ent die Geburtsstunde der v ren erste Vertreter auf d die ihrer Methode der ;. in die Vergangenheit un

25 Ehrle, Der Sentenzenkorr 26 Ehrle, Der Sentenzenkorr 27 Ehrle, Der Sentenzenkorr 2ll Der Traktat ist ediert in:

1973, 456-475, bes. 465 nach ibid., xiv, o. 456.

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der Heiligen Schrift nütz­elt er den Studenten vor rbene Lehre (sana doetiina) olatz für den kommenden als Instrument der Theo­ld hat sich deren Ziel zu uten Weges handelt, geht len Festrede, die er einige die Schrift, den Glauben

III noch immer derselbe. Prestige des alten Weges r Ingolstädter Universität der Kirche die höchste

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ut der nominalistischen fakultät galt die doctnna tlußreich ist ein Schrift­nd moderni einander ge­und Naturphilosophie.

,[...J vos preeepla philosophie ad une deineeps !raderetis. " ioctrinam in mentibus audilorum

t. 9), 329: "Si-beatus Thomas, Prediealorum el Minorum ordo, , doelrina semper sana el seeura rumendum potius esl, Marsilium, )SOS sed el eorum sequaees, quos verloren ist, cf. Ehrle, Der

. Weitere Informationen und chichte der Ludwig-Maximi_ ten 1872, Nachdruck Aalen 16. Jahrhundert. Texte und 67 - 70 (n. 10). Beide Wege

Das obige Zitat gehärt dem 'tadt vorherrschend war. . 9), 338-342. Johann von '!Vor. Cf. Seifert (ed.), Die

Zurück zu Autorität und Tradition

Der anonyme Verfasser, der ohne Zweifel Realist und Verteidiger des alten We­ges war, begann seine Darstellung mit einem prenotandum, das den Leitfaden für die Beurteilung der nachfolgenden Lehren abgeben sollte. Die Ähnlichkeit mit der genannten protestatio von Johannes de Nova Domo ist auffallend, nur wird hier nicht Albert, sondern Gerson als Autorität angeführt25:

"Prenotandum est quod dicit Johannes de Gerson, cancellarius Parisiensis in tractatu De examina­tione doetorum [doctrinarum ?): Attendendum est primo et principaliter, si doctrina sit conformis sacre scripture tam in se quam in modo traditionis. [... ) Est igitur ipsa [sc. sacra scriptura) ars, regula et exemplar, cui se alia doctrina non conformans, vel abicienda vel heretica aut suspecta vel sit impertinens ad religionem prorsus habenda est. "

Es folgt nun eine lange Liste mit Thesen, die sich auf fast den ganzen Unter­richtsstoff der Artesfakultät beziehen. Am Ende der Liste wird folgender ScWuß gezogen26:

"Doctrina realium conformior est doctrine jidei et sacre scripture quam doctrina aliorum. "

Und erneut werden die Orden erwähnt, wird die allgemeine Anerkennung illrer Lehrer hervorgehoben und ebenso die Mißbilligung der nominales 27:

"Doctrina realium defftnditur a tribus ordinibus religiosorum [... ) et per totius orbis universitales diffusa est. Doctrina autem Marsilii et Dinkelspuchels inter duas continetur. "

Der Traktat "De exanlinatione doctrinarum", dem der anonyme Autor sein prenotandum entnommen hatte, wurde von Gerson im Jallte 1423 zu Lyon ge­schrieben28. Es handelt sich um eine theologische Schrift, die mit der Philoso­phie, wie sie an der Artesfakultät gelehrt wurde, nichts zu tun hatte. Dennoch wird die darin formulierte Regel im prenotandum des anonymen Autors auf die Philosophie angewendet. Ähnliches hatten wir bei Johannes de Nova Domo gesehen. Auch er übernahm eine regula für die Philosophie, die im Rahmen der Ordensausbildung von Albertus zum Ausdruck gebracht worden war und somit einer Welt entstammte, die dem Unterricht an der Pariser Artesfakultät zu Be­ginn des fürlfzehnten Jahrhunderts fremd war.

Es mußte zu einer entsprechenden Reaktion kommen. In der Tat war diese Art und Weise, die Schriften des Aristoteles zu kommentieren, bei den frühesten Gegnern als eitle Vorgehensweise (modus exponendz) verpönt, die dem damaligen Standard nicht mehr entsprach; und sie wurde in diesem Sinne kritisiert. Es war die Geburtsstunde der via moderna als einer philosophischen Gegenrichturig, de­ren erste Vertreter auf den Druck der antiqui hirl nach den Autoritäten suchten, die illrer Methode der Auslegung Gewicht verleillen konnten. Auch sie blickten itl die Vergangenheit und fanden illre Gewährsmänner.

25 Ehrle, Der Sentenzenkommentar (Anhang von Aktenstücken) (m. 9), 334. 26 Ehrle, Der Sentenzenkommentar (Anhang von Aktenstücken) (nt. 9), 338. 27 Ehrle, Der Sentenzenkommentar (Anhang von Aktenstücken) (nt. 9), 338. 28 Der Traktat ist ediert in: ]ohannes Gerson, CEuvres completes, ed. Mgr. Glorieux, vol. 9, Paris

1973, 456-475, bes. 465 (die im prenotandum zitierte Stelle). Die Datierung des Werkes ist nach ibid., xiv; n. 456.

139

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_

140 Maarten J. F. M. Hoenen

IIr.

Betrachten wir also jetzt die Debatte aus der Perspektive der via moderna. Die Vertreter dieser Richtung reagierten auf den Übergriff der Theologie auf die Philosophie und deuteten ihn als Anstotelem catholicum facere 29. Albertus Magnus und Thomas von Aquin wurden als antiqui alti sermonis doctores bezeichnet, um damit die Verbindung ihrer Auslegung des Aristoteles mit der Theologie (sermo altus) hervorzuheben30.

Der konkrete Anlaß für diese Reaktion auf die theologische Aristotelesdeu­tung waren die sich in Prag ausbreitenden Lehren des Wyclif, die bereits mehr­mals als ketzerisch verurteilt worden waren31 . Wyclif und seine Nachfolger hät­ten sich durch die Deutung des Aristoteles, wie sie von den antiqui verteidigt wurde, in die Irre führen lassen. Deren Deutung sei schwer zugänglich und könne leicht zu Irrlehren führen. Sie belaste die Philosophie mit einer Begriff­lichkeit, die ihr fremd sei, und übersteige die geistigen Fähigkeiten der jungen Studenten. Die thomistische und albertistische Auslegung des Aristoteles sei somit für den Unterricht an der Artesfakultät ungeeignet. Sie treibe die Studen­ten in das Lager der Wyclifisten und Hussiten und gefahrde den Frieden an der Universität32. Der Lehrplan solle sich stattdessen auf einen Aristoteles stützen, der vom alten Rost (rubigo vetustatis) gereinigt sei, damit die Studenten durch einen direkten und kurzen Kommentar zur Erkenntt1is der Wahrheit geführt werden könnten33. Ockham habe mit dieser Reinigung begonnen und Johannes Buridan und Marsilius von Inghen hätten diese Methode des leichteren Stiles (stilus levior) zu hohem Ansehen gebracht und durch die Befestigung von Statu­ten und die Abfassung von Quästionen, die diesem Stil entsprächen, zum allge­meinen Nutzen der Universitäten beigetragen34.

Was sich damit aus den Quellen ergibt, ist ein Bild der via moderna als einer Rückbesinnung der Philosophie auf ihre Methode und die Prinzipien, die dieser

29 Dieser Begriff wurde zuerst von Petrus de Candia verwendet. Die Stelle ist zitiert in Ehrle, Der Sentenzenkommentar (nt. 9), 66. Beispiele des fünfzehnten Jahrhunderts mit Literaturverweisen gibt die Einleitung zu E. Acampora-Michel (ed.), Liber de pomojBuch vom Apfel, Frankfurt a.M. 2001, 54sq. und 179-189.

30 So die Wiedergabe der Meinung der Kurfürsten im Antwortschreiben der Universität Köln aus dem Jahre 1425, ediert in: Ehrle, Der Sentenzenkommentar (Anhang von Aktenstücken) (nt. 9), 282.

31 Das geht klar aus der deutschen Fassung des Mahnschreibens der Kurfürsten hervor. Cf. Ehrle, Der Sentenzenkommentar (Anhang von Aktenstücken) (nt. 9), 356-358, bes. 357. Ähnliches bereits im Protokoll der Kölner Artesfakultät aus dem Jahre 1414, ediert in: A. G. Weiler, Hein­rich von Gorkum (t 1431). Seine Stellung in der Philosophie und der Theologie des Spätmittel­alters, Hilversum 1962, 57 - 58.

32 Mahnschreiben der Kurfürsten in: Ehrle, Der Sentenzenkommentar (Anhang von Aktenstücken) (nt. 9), 282 und 357.

33 So Stephan Hoest in seiner Verteidigung der via moderna in: id., Reden und Briefe (nt. 4), 176. 34 Stephan Hoest, Reden und Briefe (nt. 4), 176. Der Begriff des stilus levior entspricht dem Begriff

des stilus humilior im Mahnschreiben der Kurfürsten.

Methode zugrunde liegen. auf Wahrheit und besitze im Bereich der Philosopl diesen Worten stellte der 1 .ooerna in den Mittelpunk winterlichen via antiqua, di p sei, vertreibe und ver &nge, neue Früchte zu w

Einige der genannten I seien nicht in der Theolo! F:drultät. Exemplarisch da gplex bezeichnet, was je< Yierter Theologe der Heic des vierzehnten Jahrhund den, waren berühmte Th< öch von 'Oyta, Peter von hervorgehobene Trennunl ..Jerna in Frage zu stellet sein?

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Yl Zu ihm cf. mein Marsilius < the History of Christian Th

w Z. Kaluza, Les querelles d< du XV" siecles, Bergamo l' Brief von Guillaume Euvrie l2C (Anhang von Aktenstüci J2hre 1474).

:. Wertvolle Informationen gi liste nominalistischer positit Ak:tenstücken) (nt. 9), 338­-tIerni im Sentenzenkommi in diesem Band.

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ektive der via moderna. Die 'iff der Theologie auf die facere 29. Albertus Magnus nis doctores bezeichnet, um : mit der Theologie (sermo

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eden und Briefe (nt. 4), 176. {s levior entspricht dem Begriff

Zurück zu Autorität und Tradition

Methode zugrunde liegen. Die Philosophie habe einen authentischen Anspruch auf Wahrheit und besitze das Maß einer klaren Erkenntnis. Denn sie bestimme im Bereich der Philosophie die Grenzen der mannigfaltigen Wahrheiten. Mit diesen Worten stellte der bereits genannte Stephan Hoest die Bedeutung der via moderna in den Mittelpunkt. Sie sei der Frühling, der die todbringende Kälte der winterlichen via antiqua, die bis in das innerste Mark der Philosophie eingedrun­gen sei, vertreibe und vernichte, damit die Philosophie wieder wachse und an­fange, neue Früchte zu tragen35.

Einige der genannten Dokumente stellen die moderni als simplices dar, denn sie seien nicht in der Theologie ausgebildet und lehrten nicht an der theologischen Fakultät. Exemplarisch dafür war Johannes Buridan36. Auch Marsilius wurde als simplex bezeichnet, was jedoch verwunderlich ist, denn er war als erster promo­vierter Theologe der Heidelberger Universität bekannt37• Auch andere Autoren des vierzehnten Jallrhunderts, die als antesignani der via moderna angeführt wur­den, waren berühmte Theologen: Adam Wodeham, Gregor von Rimini, Hein­rich von -Oyta, Peter von Ailly38. Diese Gegebenheit scheint die in den Quellen hervorgehobene Trennung von Philosophie und Theologie als Merkmal der via moderna in Frage zu stellen. Konnte man als Theologe Vertreter der via moderna sein?

Diese Frage wurde im fünfzehnten Jahrhundert gestellt und die Antworten waren nicht einheitlich. Gehen wir zuerst auf die Antwort der Realisten ein. Nach den Realisten gab es in der Tat eine Theologie im Sinne der via moderna. Sie kennzeichne sich durch die Anwendung philosophischer Lehren in der Theologie, die durch die nonlinalistische Auslegung des Aristoteles geprägt wa­ren. Dabei wurden die Auffassungen über Relation (Trinität), Kategorien (Sakra­mente) und Supposition (Christologie) als die markantesten Lehren genannt, in denen sich die neue von der alten Theologie unterscheide39. Natürlich wurde diese Anwendung nonlinalistischer Lehren von den Realisten kritisiert. Sie sei

35 Stephan Hoest, Reden und Briefe (nt. 4), 164-170 (mit Zitaten aus Vergil). 36 Johannes Buridan galt nach dem alten ,,Magnurn chronicon Belgicum" als Erfinder der via

moderna. CE J. Pistorius, Rerurn germanicarurn veteres primurn publicati scriptores VI, Frankfurt a. M. 1653, 293: "Item. Astronomi hoc te1J1pore [anno dtimini 1323] maximi juerunt Parisiis, videficet Iohannes de Ligneus, Iohannes de Saxonia, Ioannes de Muris, et Buridanus maximus Phifosophus, qui invenit viam modernam. "

37 Zu ihm cf. mein Marsilius of Inghen, Divine Knowledge in Late Medieval Thought (Studies in the History of Christian Thought 50), Leiden 1993.

38 Z. Kaluza, Les querelIes doctrinales a Paris. Nominalistes et Realistes aux confins du XIV" et du XV" siecles, Bergamo 1988, 16 (Adam Wodeham, Gregor von Rimini, Heinrich von Oyta: Brief von Guillaurne Euvrie an Gerson aus dem Jahre 1402), und Ehrle, Der Sentenzenkommen­tar (Anhang von Aktenstücken) (nt. 9),313 (peter von Ailly: Verordnung Ludwigs XI. aus dem Jahre 1474).

39 Wertvolle Informationen gibt die vom Ingolstädter Theologen Johann von Adorf angefertigte Liste nominalistischer positiones et dicta, ediert in: Ehrle, Der Sentenzenkommentar (Anhang von Aktenstücken) (nt. 9), 338-342. Aufschlußreich sind auch die Verweise auf die Lehren der moderni im Sentenzenkommentar des Johannes Capreolus. CE dazu den Beitrag von Sigrid Müller in diesem Band.

141

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142 Maarten J. F. M. Hoenen

ungewohnt und der Theologie nicht würdig. Johannes Ryppe de Alen, der sich als modernus an einer theologischen Disputation zu Köln beteiligt hatte, wurde von seinen thomistischen und albertistischen Kollegen derart gescholten, daß in einem Bericht über die Auseinandersetzung festgehalten wurde: "Posuit Colonie inconsueta et bene scobatus fuit. "40

Wie haben nun die Theologen, die von den Realisten als moderni oder nominales bezeichnet wurden, sich über die Beziehung von Philosophie und Theologie geäußert? Einige verneinten die Existenz einer eigenen Theologie, die sich von der realistischen als Sonderweg unterscheide. So wurde als Position der theologi moderni der Ingolstädter Universität festgehalten: ,,Adiungunt et dicunt in superioribus facultatibus non esse differentias viarum."41 Andere trennten die philosophische von der theologischen Betrachtungsweise. Philosophie und Theologie hatten ihrer Ansicht nach nicht die gleiche Methode. Die Philosophie stütze sich auf Sinnes­daten und principia per se nota und argumentiere nach den Regeln der Logik. Die Theologie jedoch habe die Schrift und die Tradition zum Ausgangspunkt. Diese verwendeten eine andere Logik, nicht die der Philosophie, sondern der Rheto­rik42. Zudem sei ihr modus loquendi dem konstruierten Vokabular der Philosophie entgegengesetzt. Die Sprache der Schrift und Tradition sei der täglichen Sprache der communiter intelligentes verwandt43. Die Theologen hätten diesem Sachverhalt Rechnung zu tragen. Sie sollten nicht eigensinnig auf einer philosophischen Deutung der Quellen beharren, auch wenn sie den Regeln der Logik entspreche, sondern sich dem traditionellen Sprachgebrauch anpassen und bei der Ausle­gung des Textes auf die intentio auctoris und den intellectus ecclesie achten44.

Bereits bevor der Streit sich im fünfzehnten Jahrhundert als Wegestreit profi­lierte, stand die Frage nach dem Unterschied zwischen Philosophie und Theolo­gie auf der Tagesordnung. John Kenningharn kritisierte um 1372 die Theologie des John Wyclif mit dem Argument, sie weiche von der Tradition ab: "Nec usus nec auctoritas probat quod hec positio sit vera." 45 Dieser trage in die Theologie eine Logik und eine Redensart hinein, die, obwohl sie gründlich und genau sei, keinen Nutzen habe und von der Kirche in ihrer Auslegung der Schrift auch niemals verwendet worden sei: "Quamvis subtilis, non tamen fructuosus, immo quem ecclesia

40 G. M. Löhr, Die theologischen Disputationen und Promotionen an der Universität Köln im ausgehenden 15. Jahrhundert, Leipzig 1926, 61.

41 Ehrle, Der Sentenzenkornrnentar (Anhang von Aktenstücken) (m. 9), 327. 42 Programmatisch für diese Sicht war die Schrift "De duplici logica" des Johannes Gerson, ent­

standen im Jahre 1402. Cf. Johannes Gerson, CEuvres completes, ed. Mgr. Glorieux, vol. 3, Paris 1960,57-63, bes. 58.

43 So argumentierte John Kenningharn gegen John Wyclif. Cf. Ingressus, Acta et Determinationes contra Wyclif, in: Fasciculi zizaniorurn Magistri Johannis Wyclif cum tritico, ed. W W Shirley, London 1858 (RoUs Series), 57 - 59.

44 Ibid. Ähnliches auch bei Marsilius von Inghen. Cf. dazu meinen Beitrag Marsilius von 'lnghen in der Geistesgeschichte des 14. und 15. Jahrhunderts, in: Hoenen/Bakker (eds.), Philosophie und Theologie des ausgehenden Mittelalters (nt. 7), 21-45.

45 Fasciculi zizaniorurn (nt. 43), 62.

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Ähnliches sehen wir ] "WOn Inghen, die in ihren den Lehren der sancti p. seinem Sentenzenkomme &ssungen des Aristoteles ses nicht zu vereinbaren Fehe Weise die Anwer mstotelische Lehre in d Kiche für die Theologie 'IJittio non est sufficiens prot Sduitt weiter und hob iJ w:reinbarkeit von Theo1c tIem die natürliche Verm iLer der Theologie gege Iogie hätten ihre je eigene tI.og der Philosophie vo • Theologie fernzuhalt ~ es in seinen Kom Diese Überzeugung der 1 .lIII!eprägter. In seinem

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Beitrag Marsilius von Inghen ien/Bakker (eds.), Philosophie

Zurück zu Autorität und Tradition

penitus non observat."46 Bedeutend ist hier die Tatsache, daß der Gegenstand der Diskussion die Universalien, die Formaldistinktion und die ontologische Natur der göttlichen Ideen waren, also genau die Themen, an denen sich im fünfzehn­ten Jahrhundert der Wegestreit entfachen sollte. Dennoch erwähnten Kenning­harn und Wyclif den Wegestreit mit keinem Wort. Sie verstanden sich nicht als Vertreter zweier verschiedener Richtungen in der Theologie. Das Feuer war noch nicht entzündet, aber man sägte und stapelte schon das Holz.

Ähnliches sehen wir bei Gregor von Rimini, Peter von Ailly und Marsilius von Inghen, die in ihren Werken die Ergebnisse der aristotelischen Philosophie den Lehren der sancti patres gegenüberstellten47. Gregor von Rimini hatte in seinem Sentenzenkommentar an mehreren Stellen hervorgehoben, daß die Auf­fassungen des Aristoteles und Averroes mit dem Inhalt des Glaubensbekenntrlis­ses nicht zu vereinbaren seien. Peter von Ailly kritisierte einige Zeit später auf gleiche Weise die Anwendung des Aristoteles in der Theologie. Wenn auch die aristotelische Lehre in der Philosophie vertretbar sei, so argumentierte er, sie reiche für die Theologie nicht aus: "Quidquid sit de opinione Aristotelis, tamen eius opinio non est sufftciens probatio in theologia." Marsilius von Inghen ging noch einen Schritt weiter und hob in seinem Sentenzenkommentar die grundsätzliche Un­vereinbarkeit von Theologie und Philosophie hervor. Nicht nur Aristoteles, son­dern die natürliche Vernunft überhaupt komme in mehreren Purlkten zu gegen­über der Theologie gegensätzlichen Schlußfolgerungen. Philosophie und Theo­logie hätten ihre je eigene Methode. Die Theologie solle deshalb bei der Anwen­dung der Philosophie vorsichtig sein. Umgekehrt habe die Philosophie sich von der Theologie fernzuhalten und nur ihre eigene Methode aflZuwenden, wie Mar­silius es in seinen Kommentaren zu Aristoteles auch tatsächlich praktizierte. Diese Überzeugung der Unvereinbarkeit wurde bei Marsilius inlmer stärker und ausgeprägter. In seinem Kommentar zur Metaphysik, den er am Ende seines Lebens in Heidelberg fertigsteIlte, kritisierte er den Philosophen Buridan, der trotz ähnlicher Überzeugung nicht gaflZ konsequent sei. Buridan habe sich näm­lich in der Akzidenzienlehre der communis opinio theologomm angeschlossen, so Marsilius, obwohl man doch auch hier philosophisch (magis metapf!ysicaliter) argu­mentieren sollte48.

Obwohl die von diesen Theologen verteidigte Position die thomistische Har­monie von Philosophie und Theologie in Frage stellte - Peter von Ailly richtet sich sogar expressis verbis gegen Thomas -, betrachtet keiner der genannten Theologen sich als Vertreter oder Sprecher einer neuen Richtung, die gegen die

46 Ibid. 47 Zum Nachfolgenden cf. die Quellenangaben in Hoenen, Marsilius von Inghen (nt. 44), bes.

34-42, und Peter von Ailly, Tractatus (nt. 6), 10l. 48 Dazu mit einer kritischen Edition der betreffenden TextsteIlen P. J. J. M. Bakker, Inherence,

univocite et separabilite des accidents eucharistiques. Observations sur les rapports entre meta­physique et theologique au XIV" siede, in: J.-L. Solere/Z. Kaluza (eds.), La servante et la conso­latrice. La philosophie dans ses rapports avec la theologie au Moyen Age, Paris 2002, 193-245, bes.236.

143

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j

144 Maarten J. F. M. Hoenen

alte von Thomisten behütete connexio von Philosophie und Theologie zu Felde zog. Aber wie der Fall von Marsilius zeigt und die frühen Schriften des Gerson weiter belegen, wuchs die Sensibilität für den Gegensatz von Philosophie und Theologie um die Jahrhundertwende. Als dann die Prager Realisten sich auf den als häretisch verurteilten Wyclif stützten und ihn als evangelicus und catholicus doctor feierten, suchten die Gegner nach einem antidotum, das der Ausbreitung der Realisten auf andere Universitäten Einhalt bieten konnte49. Die von Gregor von Rimini, Peter von Ailly und Marsilius von Inghen verteidigte Trennung von Philosophie und Theologie konnte hier Schutz gewähren. Die Logik und Meta­physik des Wyclif durften nicht durch das Tor der artes in die Theologie geraten. " Theologia suam habetpropriam logicam", so begründete Gerson in einer Ansprache am 21. Juli 1415 die Verurteilung der Prager Realisten 50. Die Suche nach den Vorbildern, die diesen Schutz garantieren konnten, begann. Bald darauf wurden in den Dokumenten neben Philosophen auch Theologen als Fahnenträger der via moderna genannt. Gregor von Rimini, Peter von Ailly und Marsilius von Inghen standen mit Ockham und Adam Wodeham oben auf der Liste. Die via moderna hatte nun auch ihre theologischen Wegbereiter.

IV.

Fassen wir die Ergebnisse in einigen Thesen zusammen: 1. Zentrales Thema des Wegestreites war die Beziehung zwischen Philosophie

und Theologie. Der Rückgriff auf die Vergangenheit diente als Sicherung der eigenen Position und als Mittel der Selbstvergewisserung. Für die antiqui konnten die sermones philosophorum nur im Rahmen einer connexio artium cum theologie facultate den Studenten gelehrt werden51 . Dieses Ideal sahen die antiqui in den Schriften des Albertus Magnus und Thomas von Aquin verwirklicht. Der Unterricht in der Philosophie, wie er im dreizehnten Jahrhundert an den dominikanischen studia logicalia und studia artium erteilt wurde, galt als bestes Modell für den Lehr­gang an den Universitäten des fünfzehnten Jahrhunderts. Die moderni dagegen spiegelten sich an den Autoritäten des vierzehnten Jahrhunderts, die auf den Unterschied zwischen natürlicher Einsicht und übernatürlichem Glauben hinge­wiesen und in ihrer Auslegung des Aristoteles nicht versucht hatten, das lumen naturale dem canon biblie oder der veritas fidei anzupassen.

49 Historisch dokumentiert ist dieser Gegensatz durch die Akten des Wiener Prozesses gegen Hieronymus von Prag. Cf. Processus iudiciarius contra Jeronimum de Praga habitus Viennae a. 1410-1412, ed. L. Klicman, Prague 1898, bes. 15 und 17.

50 Johannes Gerson, Prosperum iter (In recessu Regis Romanorum), in: CEuvres completes, ed. Mgr. Glorieux, vol. 5, Paris 1962,471-480, bes. 476-477.

51 Cf. Johannes de Nova Domo, Tractatus de esse et essentia (nt. 5), 141 (sermones philosopho­rum).

2. Die Sicherung des gen als wichtigstes Anlie gen seien. Lehrreich sir jeweils anderen philosof selbst nicht zur Diskussi Jacobus Hoeck über sei und Formalismus zum ~

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Zurück zu Autorität und Tradition

2. Die Sicherung des Glaubens, das bonum ftdei salvare, galt für beide Richtun­gen als wichtigstes Anliegen bei der Entscheidung, welche Autoritäten zu befol­gen seien. Lehrreich sind in dieser Hinsicht die Berichte von Übertritten zur jeweils anderen philosophischen Richtung. Sie bestätigen auch, daß der Glaube selbst nicht zur Diskussion stand. Wessel Gansfort berichtete in einem Brief an Jacobus Hoeck über seinen akademischen Werdegang, wie er vom Realismus und Formalismus zum Nominalismus gewechselt habe. Die Lehren der Realisten und Formalisten seien dem Glauben entgegengesetzt, so habe er herausgefun­den. Darum sei er zum Nominalismus übergegangen. Stellten die Auffassungen der nominales sich jedoch als Abweichung vom Glauben heraus, so kehre er unverzüglich zum Realismus oder Formalismus zurück: "Si quid ftdei contranum putaTem [Sc. in sententiis nominalium], hodie paratus [sum] remeare vel ad formales vel reales." 52 Ähnliche Gründe führte Dionysius der Kartäuser für seinen Wechsel vom Thomismus zum Albertismus an53.

3. Die Debatte entzündete sich zu Beginn des fünfzehnten Jalrrhunderts an der Frage nach der Natur der Universalien. Die Prager Realisten hatten die theologische Relevanz dieser Problematik hervorgehoben, deren ursprünglicher Ort die logica vetus war, und insistierten damit auf einer Verbindung von Philoso­phie und Theologie, die sich auf andere Gebiete erstreckte54. Nicht die hervor­gebrachten Argumente waren neu, sondern das geschichtliche Umfeld, das alte und bewährte Antworten in ein negatives Licht rückte: hereticus et sane ftdei contra­nus, mit diesem Urteil konnte jetzt ein Artist rechnen. Die Kategorie des Häre­sieverdachts trat in die philosophische Diskussion, belastete die Argumente und Quellen und gab ihnen eine theologische Bedeutung, die sie ursprünglich nicht hatten.

4. Bei der Suche nach einer Antwort auf diese Herausforderung richteten die Gelehrten den Blick auf die Vergangenheit, die aus einer doppelten Perspektive

52 WesseI Gansfort, Opera, Facsimile of the Edition Groningen 1614 (Monumenta Humanistica Belgica 1), Nieuwkoop 1966, 876-912 (Epistola ad M. Jacobum Hoeck), bes. 877.

53 Dazu noch immer grundlegend P. Teeuwen, Dionysius de Kartuizer en de philosophisch-theolo­gische stroomingen aan de Keulsche Universiteit, Brussel 1938, 60-65 und 83-88. Cf. jetzt auch K. Emery Jr, Denys the Carthusian and the Doxography of Scholasric Theology, in: id., Monastic, Scholastic and Mystical Theologies from the Later Middle Ages, Aldershot 1996, 327-359.

54 Beispielhaft für die Verbindung mit der Theologie ist die "Positio reverendi magistri Stephani de Palecz de universalibus", ediert in: R. Palacz, La Positio de universalibus d'Etienne de Palecz, in: Mediaevalia Philosophica Polonorum 14 (1970), 113-129, bes. 129: "Sed quod dixi universalia non cedere in commodum debet intelligi de commodo temporali. Nam notitia universalium est maxime utilis, quia nos inducit ad cognoscendum benedictam Trinitatem et ad intelligendum sacram scripturam." Die Quelle ist mit Sicherheit: John Wyclif, Tractatus de universalibus, ed. 1. J. Müller, Oxford 1985, 104, 175, 194-197,217 und 357. Exemplarisch sind auch die Quästionen abgehandelt in: Johannes Hus, Quodlibeta. Disputationis de Quolibet Pragae in Facultate artium mense Ianuario anni 1411 habitae Enchiridion, ed. B. Ryba, Prag 1948. Zur Wirkung der Universalienlehre in der Ethik cf. V. Herold, Wyclif und Hieronymus von Prag. Zum Versuch einer ,praktischen' Umdeu­tung der Metaphysik in der spätmittelalterlichen Ideenlehre, in: R. Tyärinoja e. a. (eds.), Knowl­edge and the Sciences in Medieval Philosophy, voL 3, Helsinki 1990, 212-223.

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betrachtet wurde. Man suchte nach dem Wendepunkt, der die damalige Lage eingeleitet hatte, und orientierte sich gleichzeitig an Vorbildern, die den eigenen Begriff von Philosophie und Theologie repräsentierten. Das fünfzehnte Jahr­hundert entwickelte so eine besondere Historiographie der Scholastik, die den Streit zwischen Realisten und Nominalisten in den Mittelpunkt stellte und das dreizehnte Jahrhundert dem Realismus, das vierzehnte Jahrhundert dem Nomi­nalismus zuordnete. Die Schulbildung an den Universitäten war die institutio­nelle Folge dieser historiographischen Betrachtung. Der Streit über die Bedeu­tung der Vergangenheit in einer Angelegenheit, die den Aufbau der Universität und die Zuordnung ihrer Fakultäten betraf, nagte zwangsläufig an den Wurzeln des Bildungssystems. Dieser Verlust der Selbständigkeit gab der Debatte einen Zuwachs an symbolischer Kraft, die sich in den Autoritäten der Vergangenheit kristallisierte. Die Autoritäten sollten für das angebliche Wesen der nominalisti­schen und realistischen Position bürgen und gaben damit der Vergangenheit im Rückblick eine Transparenz, die sie in Wirklichkeit nicht hatte 55. Durch die Debatten und Streitigkeiten der Schulen wurde diese ideelle Geschichte materiell und hat prägend auf die Institutionen des ausgehenden Mittelalters wirken kön­nen.

55 Eine solche historische Lage vom Verlust des eigenen Lebens und Zuwachs des Symbolischen ist treffend dargestellt in E. Jünger, Historia in Nuce. Der Verlorene Posten, in: Das Abenteuer­liche Herz. Figuren und Capriccios, Auswahl aus dem Werk in fünf Bänden, vol. 4, Stuttgart 1994,90-93. - Für ihre Hinweise und Anregungen danke ich Sigrid Müller und Guy Gulden­tops.

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1 For instance, the Anglo-< in 1438-1440. L. Moulii