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Jan Holthoff Vom Möglichen zum Wirklichen

Jan Holthoff€¦ · Cage, dem man beim besten Willen nicht nachsagen kann, seine Musik sei leichte Kost, einen Einblick in seine Kompositionsmethode. Zufälligkeit, dieser Begriff

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Page 1: Jan Holthoff€¦ · Cage, dem man beim besten Willen nicht nachsagen kann, seine Musik sei leichte Kost, einen Einblick in seine Kompositionsmethode. Zufälligkeit, dieser Begriff

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Jan Holthoff Vom Möglichen zum Wirklichen

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„Jeder Augenblick zeigt, was geschieht. Ich entwickle die Kompositionsmethode durch das Lo-sen mit Münzen aus der Methode, die im Buch der Wandlungen verwendet wird. Man mag einwenden, dass von diesem Standpunkt aus alles geht. Tatsächlich geht auch alles, aber nur, wenn nichts zur Grundlage genommen wird. In einer völligen Leere kann alles stattfinden. Und unnötig es zu sagen, jeder Klang ist einmalig (kam zufällig vor, während gespielt wurde) und ist nicht informiert über europäische Geschichte und Theorie: Hält man den Verstand auf die Lee-re gerichtet, auf den Raum, kann man sehen, es kann alles darin sein, ist tatsächlich darin.“

(John Cage, Silence. Frankfurt a.M. 1995, S. 123f.. Amerikanisches Original aus dem Jahre 1961)

Vom Möglichen zum Wirklichen

„In einer völligen Leere kann alles stattfinden.“ In seinem Werk Silence gewährt John Cage, dem man beim besten Willen nicht nachsagen kann, seine Musik sei leichte Kost, einen Einblick in seine Kompositionsmethode. Zufälligkeit, dieser Begriff wird seiner Musik oft zugeschrieben. Doch wenn man genauer hinsieht, stellt man fest, dass dieser Begriff, gerade in seiner alltäglichen Bedeutung, in die Irre führt. Denn genau genom-men ist es nicht Zufall, ob etwas geschieht, denn der Klang geschieht, „während gespielt wurde“. Demnach steht am Anfang aller Werke eine Entscheidung: zu spielen oder eben nicht.1 Alles Weitere ist ein Prozess, es geschieht, so oder anders. Mit anderen Worten: auch wenn es so geschieht und ist, alles hat das Diktum eingeschrieben, dass es auch anders sein könnte. Kontingenz ist der Begriff, der dies beschreibt. Er gibt der Folge von Klängen ihren (einmaligen Sinn).

Diese Kontingenz, dass alles anders sein könnte, bestimmt auch die Werkgrup-pe „Frozen Gestures“ von Jan Holthoff. Und wie der einmalige Sinn Cage Klangfol-gen vom reinen Getöse und Geklimper unterscheiden, unterscheiden sich Holt-hoffs Werke durch ihren einmaligen, subjektiven Sinn vom reinen „Gepinsel“. Holthoffs Gemälde ereignen sich, sie entstehen im Raum des Möglichen – hin zum Wirklichen. Sie entstehen im Prozess des Malens. Dieser Prozess ist den Wer-ken eingeschrieben, ihn gilt es daher zu rekonstruieren. „Draw a Distinction“ – diese Prämisse von George Spencer-Brown für die Notwendigkeit des Prozesses der Erkenntnis könnte man für den Prozess der Entstehung eines Gemäldes umformen in: Triff eine Entscheidung! Der erste Strich durchbricht die Leere. Unterliegt der zweite Strich nun einer Kausalität? Ist er zwingend? Wie ist er auf den ersten bezogen?

1 Dass diese Entscheidung auch die Entscheidung zum Nicht-Spielen beinhaltet zeigt die am 5. September 2001 begonnene Aufführung des 625 Jahre andauernden Orgelstücks „As slow as possible“ in Halberstadt. Es begann mit einer Pause von ein-einhalb Jahren, der erste Orgelton war erst am 5. Februar 2003 zu hören.

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Wenn man mit Jan Holthoff über seinen Malprozess spricht, bezeichnet er diese Phase, den zweiten und die folgenden Striche, als die schwierigste, als durchaus quälend. Es ist die Phase, die er auch körperlich stark erfahren kann; als Spannung im Körper, als Ziehen im Bauch, als generelle Anspannung. Er sitzt in seinem „Cockpit“, wie er selbst die Ausbreitung der Farben und Pinsel auf dem Boden seines Ateliers bezeichnet, und lenkt den Flug über die geschlossene Wolkendecke. Der Blindflug21 findet im Vertrau-en auf die Instrumente und die eigene Technik und Fähigkeiten statt: die Ausrichtung auf das All-Over, den Einpinselstrich, die Selbstähnlichkeit und die Orientierung am Fraktalen. Im Verlauf entscheidet sich, ob und wie ein Werk Form bekommt. Subjektive Entscheidungen sind die auf den ersten Strich folgenden Striche, einer nach dem an-deren. Bis die Frage nach der nächsten Entscheidung verschwindet und das Bild selbst diese Entscheidung trifft. Es zieht förmlich die folgenden Pinselzüge an, leitet selbst den Prozess. Die Finalität bestimmt den weiteren Entstehungsprozess des Bildes. Das Wirkliche schält sich aus dem Möglichen heraus. Das Wirkliche bekommt gesteigert zwingenden Charakter, es verdichtet sich.

Das Bild bekommt so durchaus eine Art „Offenbarungscharakter“, es erscheint – im Prozess. Wirklichkeit verwirklicht sich. Im Malprozess wird nicht allein Farbe auf die Leinwand gebracht; im Modus des Malens verdeutlicht sich die Spur des malenden Subjekts. Das vollendete Werk wird zu einer Daseinsregung. Der Künstler ist zwar kein „creatio ex nihilo“, aber durchaus ein „creator“ - ein Schöpfer in und aus der Leere. Es bedarf in diesem Prozess, wie noch in den älteren Werkserien von Jan Holthoff verwendet, keiner Vorlagen, keiner Photos mehr. Der Malprozess wird zum Ausdruck einer primären Wirklichkeitserfahrung, die sich in Rudimenten verdichtet zeigt. So ist der Bildzyklus allgemein der Frage der Wahrnehmung und Wirklichkeitserfahrung ver-pflichtet.

Betrachtet man die Bilder von Jan Holthoff, kann man diesen Prozess im Werk aufspüren und erkennen. Der Entstehungsprozess hinterlässt seine Spuren.

2 Die Ähnlichkeit mit dem von Niklas Luhmann benutzten Bild zur Beschrei-bung seiner Theorieanlage ist weder zufällig noch unbeabsichtigt: vgl. Niklas Luhmann, Vorwort Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M. 1984, S. 12f.: „Diese Theorieanlage erzwingt eine Darstellung in ungewöhnlicher Abstraktionsla-ge. Der Flug muss über den Wolken stattfinden, und es ist mit einer ziemlich geschlos-senen Wolkendecke zu rechnen. Man muss sich auf die eigenen Instrumente verlassen. Gelegentlich sind Durchblicke nach unten möglich – ein Blick auf Gelände mit Wegen, Siedlungen, Flüssen oder Küstenstreifen, die an Vertrautes erinnern; oder auch ein Blick auf ein größeres Stück Landschaft mit den erloschenen Vulkanen des Marxismus. Aber niemand sollte der Illusion zum Opfer fallen, daß diese wenigen Anhaltspunkte genügen,

um den Flug zu steuern.“ 3

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Und durch dieses Erkennen der Spuren entsteht eine Form der Wirklichkeitserschlie-ßung durch das betrachtende Subjekt. Deutlich merkt man den neuen Bildern der Werkgruppe eine Ordnung um die Mitte an. Interessanterweise wechseln diese Ord-nungen mit den Formaten: die kleineren Formate scheinen einen Prozess vollzogen zu haben, der aus der Mitte heraus entstanden ist, aber auch wiederum in dieses Zentrum zurückkehrt. Die Bewegung ist somit letztlich zentripetal. Bei den größeren Formaten hingegen wirkt die Bewegungsdynamik eher zentrifugal, aus dem Bild herausdrängend. Das Auge wandert über die Oberfläche und betritt einen Assoziationsraum, der sich – vergleichbar dem Malprozess – im Prozess des Betrachtens verdichtet. Dem Erkennen eines Pinselstrichs und einer Form folgt das Wiedererkennen eben dieses Striches und dieser Form und Farbe im Bild, an anderen Stellen. Der betrachtende Blick wird ge-leitet, von der Finalität zurück in den Prozess, jedoch ohne einen erkennbaren Anfang markieren zu können. Dies macht die Dynamik aus, in die man beim Betrachten der Bilder eintritt. Denn die Bilder von Jan Holthoff entziehen sich letzten Endes dann doch ihrer eigenen Geschichte des Entstehens: die Spuren seh ich wohl, allein mir fehlt der Anfang!

Ralph Güth

(Der Text ist entstanden auf der Grundlage eines Gesprächs mit Jan Holthoff bei einem Atelierbesuch am 7. März 2015)

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No. 105 Acryl auf Leinwand, 190 x 150 cm, 2014

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No. 106 Acryl auf Leinwand, 190 x 150 cm, 2014

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No. 107 Acryl auf Leinwand, 190 x 150 cm, 2014

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No. 108 Acryl auf Leinwand, 190 x 150 cm, 2014

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No. 109 Acryl auf Leinwand, 190 x 150 cm, 2014

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No. 110 Acryl auf Leinwand, 190 x 150 cm, 2014

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No. 111 Acryl auf Leinwand, 190 x 150 cm, 2014

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No. 112 Acryl auf Leinwand, 190 x 150 cm, 2015

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No. 113 Acryl auf Leinwand, 190 x 150 cm, 2015

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No. 114 Acryl auf Leinwand, 190 x 150 cm, 2015

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No. 115 Acryl auf Leinwand, 190 x 150 cm, 2015

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No. 116 Acryl auf Leinwand, 190 x 150 cm, 2015

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No. 117 Acryl auf Leinwand, 190 x 150 cm, 2015

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No. 118 Acryl auf Leinwand, 190 x 150 cm, 2015

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No. 119 Acryl auf Leinwand, 190 x 150 cm, 2015

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No. 120 Acryl auf Leinwand, 190 x 150 cm, 2015

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Der Ausstellungskatalog erscheint anlässlich der Ausstellung Jan Holthoff – Vom Möglichen zum Wirklichen in der Galerie RaumSechs in Düsseldorf.

Biographie

2002-2008Studium der Freien Kunst an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf bei den Pro-fessoren Gerhard Merz, Helmut Federle und Herbert Brandl. Abschluß mit dem Akade-miebrief (Diplom) und Ernennung zum Meisterschüler durch Herbert Brandl.

2011-2013Atelier in Brooklyn, New York City

2013Auszeichnung mit dem Douglas Swan Förderpreis, Bonn

Jan Holthoff lebt und arbeitet in Düsseldorf.

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