117
Jakob Lorber Jenseits der Schwelle Sterbeszenen Buchdienst zum Leben

Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Jakob Lorber

Jenseits der SchwelleSterbeszenen

Buchdienst zum Leben

Page 2: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Stand: November 2017

Bearbeitung (Neue Rechtschreibung, Layout):Buchdienst zum LebenManfred BäseKirchweg 5D-88521 ErtingenTel: +49 (0) 7371 929 66 42E-Mail: [email protected]: www.drei-offenbarungen.net

Page 3: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

InhaltVorwort 4Ein Hinweis für den Leser 7Einleitung 8

I. SterbeszenenKapitel 1 — Ein Berühmter 10Kapitel 2 — Ein Gelehrter 14Kapitel 3 — Ein Reicher 24Kapitel 4 — Ein Stutzer 30Kapitel 5 — Eine Modenärrin 35Kapitel 6 — Ein Feldherr 39Kapitel 7 — Ein Papst 45Kapitel 8 — Ein Minister 49Kapitel 9 — Bischof Martin 55Kapitel 10 — Der Arme 67Kapitel 11 — Robert Blum 91

II. AnhangKapitel 12 — Das Wiedersehen im großen Jenseits 92Kapitel 13 — Ein Jenseitiger teilt sich mit 107Kapitel 14 — "Ewige Strafe" und "ewige Verdammnis" — gibt es nicht 115Kapitel 15 — Zurechnung 117

Page 4: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

VorwortDie im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-

liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben,Erwachen und Fortleben in einer jenseitigen Welt erscheinenheute nicht mehr so unwahrscheinlich wie noch zu der Zeit, alsdiese Mitteilungen ergangen sind. Inzwischen hat die parapsycho-logische Forschung viel dazu beigetragen, die Menschen vomFortleben nach dem Tode und der Weiterexistenz auf eineranderen Seinsebene zu überzeugen.

Über die jenseitigen Schicksale der Seelen ist jedoch nochimmer wenig bekannt, da ja auch jede Seele entsprechend ihremErdenleben zunächst eine andere, eben ihrem inneren Zustandentsprechende Welt erwartet. Man kann sagen: Der Baum liegt,wie er fällt! Die Seele ist drüben — an Gedanken, Gefühlen,Begierden, Trieben, Wissen und Vorstellungen — zunächst alleinauf das angewiesen, was sie von ihrem hinter ihr liegendenErdenleben her in sich hat.

"Diese innere Gedanken-, Gefühls- und Triebwelt der abge-schiedenen Seele gilt es auf der neuen Seinsstufe durch Belehrungund Erfahrung fortzubilden und im göttlichen Sinne zu klären undzu vervollkommnen. Dies ist die Aufgabe der Seele sowohl, wieder zu ihrer Weiterbildung berufenen geistigen Hilfsmächte —eigentlich kein neues Unternehmen, sondern nur die sinnvolleFortsetzung des bisherigen, irdischen Seelenbildungswerkes.

Damit enthüllt sich uns das 'Ruhen und Schlafen der Toten',wovon der Volksmund und die Schrift der Grabsteine sprechen, ineinem neuen Licht.

Der Zustand der hinübergegangenen, weltabgeschiedenen,ihrer fleischleiblichen Sinne beraubten Seelen kann in der Tat deräußeren Erscheinung nach als ein 'Ruhen' und 'Schlafen'

4

Page 5: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Vorwort

bezeichnet werden, und das erwähnte Gedanken-, Gefühls- undTriebleben entspricht vollkommen dem Phantasieleben unsererTräume. Wie bei unseren irdischen Schlafträumen unsere Seelemit ihrer Phantasiekraft sich die verschiedensten inneren und ofthöchst lebendigen Traumerlebnisse und Traumbilder schafft — sovermag und tut sie das nun auch in ihrem der fleischlichen Hülleentrückten , jenseitigen Zustand.

Aber nun ist wiederum höchst wesentlich und bedeutungs-voll: dieses jenseitige Phantasie- und Traumleben wird nicht derWillkür der Seelen überlassen, sondern von den leitendenGeistern und Engeln weise beeinflusst und zu einem regenInnenleben gestaltet, das mit seinen sinnvollen Geschehnissenund Eindrücken die Seele ganz ebenso wie das einstigeErdenleben von Erfahrung zu Erfahrung leitet und dem Lichtehöherer Erkenntnisse entgegenführt. Ähnliches erleben underfahren manche Menschen ja auch schon diesseits in den vonihren Schutzgeistern gewirkten Wahrträumen. Und auf solcheWeise — gleichsam durch ein verstärktes und andauerndesWahrträumen — sollen die Seelen jetzt auch in dieser neuen,jenseitigen Schule es lernen, die alte, böse Selbstherrlichkeit undSelbstsucht der gefallenen Wesenheit zu überwinden und dieGottes- und tätige Nächstenliebe sich zum Gebot und zurGrundlage des Lebens und der Seligkeit zu machen." (Dr. WalterLutz)

So darf also die Seele durch die erbarmende Liebe undWeisheit des himmlischen Vaters, während sie wie träumend inden unteren oder mittleren Regionen der geistigen Welt lebt,innere geistige Erlebnisse teils angenehmer, wonnig lockender,teils peinlich erschreckender Art erfahren, bis sie durch diesesgeistige "Fegefeuer" geläutert und aus ihrem Traumleben er-wachend, in die lichten, reinen Sphären der Seligen aufzusteigenberufen wird.

Die in dieser Schrift geschilderten jenseitigen Schauungenund Erlebnisse hinübergegangener Seelen sind also nicht "reale"

5

Page 6: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Vorwort

Wirklichkeit, sondern nur als geistige, von den Schutzmächtenbeeinflusste Traumerlebnisse zu verstehen. Nur der zum Schlussgeschilderte "arme Mann" darf als eine in Demut und Liebe schonauf Erden hochgereifte Seele unter der Führung des Herrn Selbstsogleich zur reinen Geister- und Himmelswelt durchdringen unddie selige Wirklichkeit des Himmels schauen und erleben.

Lorber-Verlag

6

Page 7: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Ein Hinweis für den LeserBei Niederschrift der "Sterbeszenen" (Geisterszenen) emp-

fing Lorber eine Zwischenkundgabe, die das Verständnis für dashier Mitgeteilte erleichtern soll und ihrer Wichtigkeit wegen denTexten vorangestellt sei. Auch will sie einer zuweilen erhobenenKritik begegnen, die gewisse szenische Erlebnisse undRedensarten für unvereinbar mit der göttlichen Inspiration dieserDiktate zu halten vermeint — ohne zu bedenken, dass die Seeleauch drüben vor ihrer Vereinigung mit dem Geiste nicht anders zudenken, reden und handeln vermag. Aus jener Kundgabe hier dieSätze: ..."Dass manche Szenen hier bildlich und wörtlich sowiedergegeben sind, wie sie in der Geisterwelt wirklich vor sichgehen, erfolgt deshalb, um dem Leser dieser Offenbarungen einenanschaulichen Beweis davon zu geben, dass der Mensch nachAblegen seines Erdenleibes ganz derselbe Mensch bleibt mit Hautund Haaren, mit seiner Sprache, seinen Ansichten, Gewohnheiten,Sitten, Gebräuchen, Neigungen und Leidenschaften. Ebenso seinedaraus hervorgehenden Handlungen, wie sie auf der Welt beiseinem Leibesleben stattfanden. Dies alles, solange er nicht dievöllige Wiedergeburt im Geiste erlangt hat. Deshalb heißt dieserZustand nach dem Übertritt die 'naturmäßige Geistigkeit',während ein voll wiedergeborener Geist sich im Zustande der'reinen Geistigkeit' befindet. Die Erscheinung der Örtlichkeit aberist stets ein Aushängeschild von dem, wie die Geister innerlichhauptsächlich beschaffen sind" ...

Möge dieser Hinweis namentlich dem neuen, mit dengeistigen Lehren noch weniger vertrauten Leser das Studium derdargestellten Jenseitszenen wie auch der großen Jenseitswerke,die ihres Umfangs wegen in gesonderten Bänden erschienen sind,erleichtern.

7

Page 8: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

EinleitungAm 27. Juli 1847

Der Bruder A. möchte wissen, wie sich der Übertritt aus demMateriellen ins geistige oder sogenannte jenseitige Leben ge-staltet, besonders bei den weltlich Großen.

Dieser Übertritt ist sehr leicht und ganz natürlich zubeschreiben.

Siehe, welchen Unterschied macht wohl das Wasser, soentweder ein großer oder ein armer, unbeachteter Mensch hineinf-ällt? Oder welchen Unterschied macht das Feuer? Höre, esverzehrt den Kaiser so gut wie den Bettler.

Wenn ein Bettler und ein Minister oder Kaiser von einemTurme fielen zur selben Zeit, so wird der eine so gut wie derandere seinen Tod finden durch den jähen Fall.

Welchen Unterschied wohl macht das Grab zwischen großund klein, zwischen reich und arm, zwischen schön und hässlichoder jung und alt? Siehe, gar keinen! Alles verwest und wird zumUnflate der Würmer und endlich zum nichtigsten Staub.

Wie es aber dem Leib im Reiche der sogenannten Natur-kräfte ergeht, ebenso ergeht es auch der Seele im Reiche derGeister. Ob sie auf der Welt Bettler oder Kaiser war, das ist imGeisterreich vollkommen gleich. Da wird niemandem eineExtrawurst gebraten, auf dass niemandes Eigendünkel genährtwerde und der Große nicht mehr von seiner Größe und der Armenicht mehr von dem Anspruch aufs Himmelreich — da er auf derWelt viel Not gelitten — und der Fromme nicht mehr von seinem"Verdienst ums Himmelreich" geblendet werde. Wie aber schonöfter gesagt, drüben — wohlverstanden! — drüben gilt nichts alsnur die reine Liebe.

8

Page 9: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Einleitung

Alles andere aber ist wie ins Meer geworfene Steine, wo derDiamant gleich dem gemeinen Sandstein in dem ewigen,stinkenden Schlamm versinkt. In sich bleiben sie zwar wohl, wassie sind und was sie waren außerhalb des Meeres — aber das Losbeider ist gleich, höchstens mit dem Unterschied, dass der Sand-stein eher aufgelöst wird als der Diamant.

Also ist es jenseits auch mit dem diesweltlichen Adel odermit der diesweltlichen Geringheit. Diese werden sich imMeeresschlamme der unerbittlichen Ewigkeit wohl in ihrerEinbildung noch lange als das dünken, was sie auf der Weltwaren. Der Kaiser wird dort sich noch als Kaiser dünken und derBettler — mit dem Anspruch auf Vergeltung — als Bettler. Aberdessenungeachtet werden in der großen Wirklichkeit dennochbeide miteinander im Meeresschlamme der Ewigkeit ein gleichesLos teilen. Nur dürfte der Arme eher in die Gärung kommen —und sein Wesen daher auch eher von den wahren, innerstenDemutsbläschen angefüllt werden, die ihn aus dem Schlammeziehen und hinauftragen zum ewigen Licht und Leben — als derKaiser oder ein sonstiger Weltgroßer.

Nach diesem Muster oder nach dieser Kardinalregel könntihr den Hintritt eines jeden Menschen genau beurteilen. Halteteuch daher an die Liebe, auf dass ihr dereinst nicht desallgemeinen Loses teilhaftig werdet! Amen, Amen, Amen.

9

Page 10: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

I. Sterbeszenen

Kapitel 1Ein Berühmter

28. Juli 1847

Gehen wir an das Krankenlager eines großen, äußerstberühmten Mannes der Welt — und zwar einige Stunden vor demHintritt in die Ewigkeit — und betrachten da sein Benehmendiesseits und seinen Eintritt ins Jenseits und wie sich da die zweiWelten begegnen und ineinander übergehen mit einem Blick, undes wird sich euch sogleich sonnenhell zeigen, wie so ganz und garvoll Wahrheit die vorhergehende Kardinalregel diese Sachedarstellt.

Seht, dieses Menschen Taten und Handlungen in der Weltwaren von solcher Art und wurden auf einem solchen Bodenausgeführt — von dem zumeist das räsonierende Echo die ganzeErde durchschwirrt wie ein zischender Meteor —, dass sie allerMenschen Augen auf sich zogen und wegen des starkenBodenwiderhalls an allen Punkten der Erde vernommen undweidlichst pro und kontra besprochen und beschrieben wurden,und zwar auf so viel Papier, dass man damit ganz Europaüberziehen könnte. Und nun liegt dieser große Mann, dieserPhilanthrop, dieser hitzige Scheinverfechter politischer undkirchlicher Interessen seiner Nation hingestreckt auf seinem Lagervoll Verzweiflung und Furcht ob der herbeigekommenen letzten

10

Page 11: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 1

Stunde, der zu entgehen sich für ihn auch nicht die leisesteHoffnung mehr herausstellt.

In einer Art dumpfer, schmerzlichster Verwirrung sieht er —als heimlicher Atheist — bald die ewige Vernichtung seinesDaseins, bald fühlt er wieder vermeintliche Schmerzen der Ver-wesung, darum er sich auch die Einbalsamierung testamentarischbedingt, — und dass er im Grabe nimmer erwache, müssen Herzund Eingeweide von seinem Leibe getrennt werden, und damitdiesen getrennten Teilen die Zeit nicht zu entsetzlich lang werde,müssen sie an solchen Orten beigesetzt werden, die nicht gar zuselten von Menschen besucht werden.

Aber mitten unter solche vernichtende Gedanken mischt sichauch der Katholizismus mit seinen scharfen Höllenandrohungen,über die der Mann bei sich freilich gelacht hatte, solange er nochhundert Jahre zu leben wähnte. Aber sie kehren nun wie leichtentflohene Furien zurück und peinigen das sich so manchergroßen Schuld bewusste Gemüt unseres Sterbenden ganz ent-setzlich, und es können sein Gemüt weder die Kommunion nochdie Ölung, noch die ununterbrochenen Gebete und vielen Messenund das starke Glockengeläut beschwichtigen. Nur stets gräss-licher und stets ewiger sieht seine Seele die Flamme des Pfuhlsemporschlagen.

Da entflieht all seine frühere Manneskraft und all seinePhilosophie ist rein am Hunde, und sein brechendes Herz sinktschon in die stets dichter und dichter werdende Nacht des Todes.Und die Seele, von allen Seiten von höchster Angst bedräut, suchtnoch in den letzten Atemzugsperioden ein Trostfünklein in denschon tot werdenden Furchen des Herzens, das einst sovielirdischen Mut hatte. Aber da ist es überall leer und statt desTrostes starrt ihr überall entweder die ewige Vernichtung oder dieHölle mit all ihren Schrecken entgegen.

Also sieht es diesseits aus; nun aber machen wir auch einenBlick ins Jenseits.

11

Page 12: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 1

Siehe, da stehen drei verhüllte Engel am entsprechend gleichaussehenden Lager unseres Sterbenden und betrachten unsernMann mit unverwandtem Blick.

Nun spricht A zu B: "Bruder, ich meine, für den ist es irdischvollbracht. Auf dieser Dornhecke werden irdisch wohl nimmerTrauben zum Vorschein kommen. Sieh, wie sich seine Seelekrümmt und windet und keinen Ausweg findet und wie gar soverkümmert der arme Geist in ihr aussieht! Daher greife du mitdeiner Hand in die schon starren Eingeweide und entwinde diesegar jämmerlich elende Seele aus ihrer Nacht, und ich werde sie indes Herrn Namen anhauchen und sie erwecken für diese Welt.Und du, Bruder C, führe sie dann des Herrn Wege ihremBestimmungsorte zu nach der Freiheit ihrer Liebe. — Esgeschehe!"

Nun greift der Engel B in die Eingeweide unseres Mannesund spricht: "Im Namen des Herrn — erwache und werde frei, duBruder, nach deiner Liebe. Es sei!"

Nun sinkt diesseits die sterbliche Hülle in den Staub, jenseitsaber erhebt sich eine blinde Seele!

Aber der Engel A tritt hinzu und spricht: "Bruder, warum bistdu blind?" Und der Neuerwachte spricht: "Ich bin blind. Machtmich sehend, so ihr könnt, auf dass ich erfahre, was da mit mirvorgegangen ist, da mich nun auf einmal all meine Schmerzenverlassen haben!"

Darauf behaucht A die Augen des Erwachten, und derErwachte öffnet sie und schaut ganz erstaunt um sich und siehtniemand außer den Engel C und fragt ihn: "Wer bist du? Und wobin ich? Und was ist mit mir vorgegangen?"

Antwortet der Engel: "Ich bin ein Bote Gottes, des HerrnJesu Christi, bestimmt dich zu führen, so du willst, des HerrnWege. Du aber bist nun für ewig gestorben für die äußere,materielle Welt körperlich und befindest dich nun in derGeisterwelt.

12

Page 13: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 1

Hier stehen dir zwei Wege offen: der Weg zum Herrn in denHimmeln oder der Weg zur Herrschaft der Hölle. Es kommt nunganz auf dich an, wie du wandeln wirst. Denn siehe, hier bist duvollkommen frei und kannst tun, was du willst. Willst du dichleiten lassen von mir und mir folgen, so wirst du wohl tun. Willstdu aber lieber dich selbst bestimmen, so steht es dir auch frei.Aber das wisse, dass es hier nur einen Gott, einen Herrn undeinen Richter gibt — und dieser ist Jesus, der in der WeltGekreuzigte! Auf Diesen allein halte, so wirst du zum wahrenLicht und Leben gelangen. Alles andere aber wird sein Trug undSchein deiner eigenen Phantasie, in der du nun lebst und von mirdieses vernimmst!"

Darauf spricht der Erwachte: "Das ist ja eine neue Lehre undist wider die Lehre Roms, also eine Ketzerei! Und du, der du siemir hier an einsamem Orte aufdrängen willst, scheinst eher einAbgesandter der Hölle als des Himmels zu sein; daher entfernedich von mir und versuche mich fürder nicht!"

Und der Engel C spricht: "Gut, deine Freiheit enthebt michin des Herrn Jesu Namen meiner Sorge um dich. Daher werde dirdein Licht; es sei!"

Darauf entschwindet der Engel C, und der Neuerwachte trittin seine naturmäßige Sphäre und ist so wie unter seinenBekannten in der Welt und erinnert sich kaum mehr, was da mitihm vorgefallen ist, und lebt nun — freilich schimärenhaft — wieauf der Welt, tut fort, was er auf der Welt tat, und kümmert sichwenig weder um den Himmel noch um die Hölle und nochweniger um Mich, den Herrn. Denn das alles sind bei ihm dreivage Lächerlichkeiten gleich einem Traumgebilde, und jeder ihndaran Erinnernde wird aus seiner Gesellschaft gewiesen.

Sehet, aus diesem ersten Exempel könnt ihr nun schonentnehmen, in welch ein "Wasser" unser großer, berühmter Manngefallen ist. Die ferneren Beispiele werden diese Sache aber nochheller erleuchten.

13

Page 14: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 2Ein Gelehrter

2. August 1847

Gehen wir an das Krankenlager eines Gelehrten, für dessenirdische Lebenserhaltung — wie ihr zu sagen pflegt — keinKräutlein mehr gewachsen ist, und betrachten diesen zweitenberühmten Mann, wie er sich in den letzten Stunden nochdiesseits befindet — und wie er drüben erwacht und welcheRichtung ihm seine Liebe gibt.

Der Mann, den wir nun betrachten werden, war auf der Weltein Philosoph und zugleich ein Astronom "in optima forma"*, wieihr zu sagen pflegt.

* In bester Gestalt

Dieser Mann hat in seinem großen Eifer, die Sterne zumustern und zu berechnen, ein Alter von etlich siebzig Jahrenerreicht, hat sich aber bei einer anhaltenden Sternguckerei aneinem sehr kalten Winterabend dergestalt abgekühlt, dass man ihnbei seinem Tubus* beinahe ganz erstarrt angetroffen hatte, vonwo er dann von seinem Freunde sogleich in seine erwärmteWohnung gebracht und augenblicklich mit der bestmöglichenärztlichen Hilfe versehen ward, der zufolge er auch in der Zeitvon ein paar Stunden wieder soweit zurechtgebracht wurde, dasser seinen sogenannten letzten Willen seinen Freunden kundgebenkonnte, welcher also lautete:

* Fernrohr

"Im Namen der unerforschlichen Gottheit! Da man nichtwissen kann, wie lange das unerforschliche Geschick einemMenschen noch dies elende Leben belassen wird, und man auch

14

Page 15: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 2

nicht weiß, welch ein Ersatz einem dafür zuteil wird, so ist esmein Wille, dass ihr, meine lieben Freunde, zuerst meinenLeichnam — so ich sterben sollte — durch Einbalsamierung vorder Verwesung bewahret und ihn in einem wohlvermachtenKupfersarge in eine Gruft bringet, darin schon mehrere meinerwertesten Kollegen ruhen und gewisserart meiner harren. DasEingeweide aber, das da zuerst in Fäulnis übergeht, tuet in eineeigene Testinal-Urne unter Spiritus und setzet es in mein Museuman einen Ort, der jedermann sogleich in die Augen fällt, auf dassich wenigstens in der Erinnerung der Menschen fortlebe, so schonan kein anderes Fortleben nach dem Tode des Leibes zu denkenist.

Was mein Vermögen betrifft, so wisset ihr, meine Freunde, esohnehin, dass ein Gelehrter auf dieser Welt selten mehr besitzt,als er zu seinen täglichen geistigen und physischen Auslagenbenötigt, und so ist es denn auch bei mir jetzt, wie es allezeit war.Ich habe kein Geldvermögen je gehabt und kann daher auchkeines hinterlassen. Veräußert aber bald nach meinem Hintrittmeine hinterlassenen Effekten und besorget damit das, was ichgleich anfangs anbefohlen habe.

Meine drei noch lebenden Kinder, die alle gut versorgt sind,benachrichtiget, wenn ich nicht mehr bin, und der älteste Sohn,mein Liebling, der mein Fach gewählt hat, soll der Erbe meinersämtlichen Bücher und Schriften sein und soll ehestmöglichmeine noch unedierten Schriften zum Drucke befördern.

Damit sei mein Wille beschlossen für diese schöne Sternen-welt, die ich fürderhin nimmer schauen und berechnen werde!

Ach, was ist doch der Mensch für ein elend Wesen! Vollerhabener Ideen, voll überirdischer Hoffnungen, solange er nochgesund auf der Erde umherwandelt, — aber am Rande des Grabesschwinden sie alle dahin wie die Träume und Luftschlösser einesKindes und an ihre Stelle tritt die traurige Wirklichkeit, der Todals der letzte Moment unseres Daseins und mit ihm die Ver-nichtung, die keine Schranken hat!

15

Page 16: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 2

O Freunde! Es ist ein schwerer, schrecklicher Gedanke vom"Sein" bis zum "Nichtsein" für den, der — wie ich nun — amRande des Grabes steht! Mein Inneres ruft mir zu: 'Du stirbst, dustirbst jetzt! Nur wenige Minuten noch und über dein ganzesWesen hat sich die schwarze Nacht der ewigen, schrankenlosenVernichtung gesenkt!' O Freunde, dieser Zuruf ist erschrecklichfür den, der am Grabesrande steht, mit dem einen Auge noch dielieben schönen Sterne beschaut und mit dem andern die ewigetote Nacht, in der keine Idee die Moderasche durchweht, keinBewusstsein, keine Erinnerung!

Wohin, wohin wird dieser Staub in tausend Jahren verwehtwerden? Welcher Orkan wird ihn aus dem Grabe entwirren, undwelche Meereswoge wird ihn dann wieder verschlingen oderwelch anderes neues Grab?

O Freunde! Reicht mir einen Trank, denn ich bin ganzentsetzlich durstig! Einen Trost gebt mir zur Linderung meinergroßen Angst! Gebt mir den besten Wein — und viel, damit ichmich noch einmal erquicke und berausche und leichter denschrecklichen Tod erwarte!

O du furchtbarer Tod, du größte Schande für den erhabenenMenschengeist, der so Herrliches erschaffen hat und Ent-deckungen gemacht, die ihm zur größten Ehre gereichen! DieserGeist muss nun sterben, die größte Schande ist sein Lohn: derTod, die ewige Vernichtung!

O Fatum, o Gottheit, habt ihr ewige Sterne kreieren können,warum nicht auch einen Menschen, der nicht stürbe?! O du Toll-heit, wie groß musst du sein in der Gottheit, die ein Vergnügendaran hat, Erhabenstes zu erschaffen, um es dann wieder zuzerstören auf ewig oder zu bilden aus Menschen schändlichGewürm oder Infusorien!

Muss ich denn sterben? Warum muss ich denn sterben? Wastat ich, was taten Millionen, dass sie sterben müssen? Wahrlich,in einem Tollhause hätte eine bessere Schöpfungsnorm statuiert

16

Page 17: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 2

werden können, als diese sterbliche da ist, gestellt von einerhöchst weise sein sollenden Gottheit!"

Hier ermahnten die umstehenden Freunde und Ärzte unserenAstronomen zur Ruhe, die ihm not tue, so er wieder genesenwolle. Denn es stünde ja noch nirgends geschrieben, dass er nunwegen dieser freilich wohl sehr starken Verkühlung sterbenmüsse, wohl aber könnten ihm solche mächtigen Gemüts-aufregungen im Ernste das teure Leben kosten.

Diese Mahnung aber fruchtete bei unserem Astronomen sehrwenig, denn er fuhr darauf nur desto ärger auf und sprach ineinem höchst aufgeregten Ton: "Weg, weg mit eurer Hilfe! Wegmit diesem elenden verfluchten Leben! Wenn der Mensch nichtewig leben kann, dann ist das Leben die größte und schändlichstePrellerei und der Tod und das Nichtsein nur die Wahrheit!Schämen muss sich der Weise eines solchen Scheußlebens, dasnur von heute bis morgen dauert! Ich will daher auch nicht mehrleben! Mich ekelt nun dieses miserabelste Leben tausend Malmehr an als der elendeste Tod; daher gebt mir Gift, stärkstes Giftgebt mir, auf dass ich ehestens dieses Scheußlebens loswerde!Verflucht sei solch ein Leben, solch ein Mückenleben, und ewigeSchande der Urkraft oder Gottheit oder welch ein Kloakengeistsie sonst ist, die es nicht konnte oder nicht wollte, dem erhabenenMenschen ein Leben zu geben, das sich mit den Sternen auch derDauer nach messen könnte! Daher weg mit diesem Leben, wegmit dieser Gottheitsprellerei! Kann sie dem Menschen keinbesseres Leben geben, so soll ihr auch für das gepfiffen sein, dasmag sie für sich behalten! Lebt wohl, ihr meine lieben Freunde,ich sterbe, ich will sterben, ja ich muss sterben; denn nun könnteich als ein erhabenster Menschengeist nimmer die Schande diesesFopplebens ertragen!"

Hier ermahnen die Ärzte unseren Astronomen wieder zurRuhe. Aber er verstummt und gibt keinen Bescheid mehr. DieÄrzte reichen ihm Moschus, aber er schleudert ihn von sich. DieÄrzte bitten ihn, dass er Medizin nehmen solle, aber er wird stets

17

Page 18: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 2

stummer und fängt an zu röcheln. Man reibt ihn und sucht ihnwieder aus dieser Lethargie zu retten, allein es ist vergeblich.Nach einer Zeit von ein paar Stunden legt sich zwar das Röcheln,aber an seine Stelle tritt ein grelles Delirium — in der Welt alsoerscheinlich —, in welchem der Astronom folgendes mit einerhohlen Kreischstimme aussagt:

"Wo seid ihr denn, die ich so sehr liebte, ihr schönen Sterne?Schämt ihr euch meiner denn, weil ihr euer holdes Antlitz vor mirverberget? O schämt euch meiner nicht! Denn euer harret ja eingleiches Los, das mich nun getroffen. Ihr werdet auch sterben,wie ich nun gestorben bin! Aber grollet darum dem schwachenSchöpfer nicht, wie ich ihm gegrollt habe. Denn seht, er hattesicher wohl den besten Willen, aber zu wenig Weisheit und Kraft,darum alle seine Werke so hinfällig und vergänglich sind. Er hättefreilich wohl besser getan, wenn er nie etwas erschaffen hätte,wodurch er sich bei uns, seinen weisen Geschöpfen, nur blamierthat; denn ein unvollkommenes Werk lässt auf keinen vollkom-menen Meister schließen! Daher nicht mehr gegrollt dem armenHascher von einem Schöpfer, der am Ende zu tun haben wird,sich selbst über die schrankenlose Vergänglichkeit all seinerWerke hinaus zu erhalten.

O du armer Schöpfer du! Jetzt sehe ich es erst ein, dass duwohl ein recht gutes Wesen bist und selbst die größte Freudehättest, so dir deine Schöpfung besser gelungen wäre, aber: 'Ultraposse nemo tenetur'*. Ein Schelm, der's besser machen will, alser's kann. Du aber hast es nicht über dein Vermögen bessergemacht, daher bist du auch kein Schelm!

* 'Niemand vermag etwas über Vermögen'

O du armer guter Mensch Jesus, der du der Welt wohl dieweiseste Moral gegeben hast unter mehrfachen Scheinwundern!Du hast dich auch zu viel auf deinen vermeintlichen Gott-Vaterverlassen, der dich gerade dann ob seiner evidenten Schwäche imStiche ließ, als es gerade am meisten an der Zeit gewesen wäre,dich am mächtigsten mit einer Allkraft zu unterstützen, mit der du

18

Page 19: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 2

deine Feinde hättest wie Spreu verwehen können! Als du amSchandpfahle hingst, war es freilich wohl zu spät auszurufen:'Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!?' Dennsieh, dein Gott hat dich schon lange verlassen müssen, weil ihmfür deine wie nun für meine Erhaltung die Kraft ausgegangen ist!Er tat zwar, was er konnte, und hätte auch gern mehr getan, abersiehe, da gilt immer das 'ultra posse nemo tenetur'! –

Ah, das ist aber doch lächerlich! Jetzt bin ich gestorben undlebe aber dennoch — wie ein gefoppter Esel! Das Rarste bei derSache ist, dass es mir nun geradeso vorkommt, als wäre es diereinste Unmöglichkeit, je sterben zu können! — Wo aber nur dieErde hingerutscht ist, und meine guten Freunde? Ich sehe zwarnichts und höre auch nichts, außer mich allein nur, aber ich bindabei bei hellstem Bewusstsein, und meine Erinnerung erstrecktsich nun ganz klar bis tief und weit über den Mutterleibesstandzurück. Es ist wahrlich sonderbar! Sollte die Gottheit mir etwazeigen wollen, dass sie mehr vermag, als ich in dieser meinerletzten Zeit von ihr erwartet habe? Oder lebt noch mein Leib imallerletzten Vernichtungsmoment und mein nunmehriges Lebengleicht dem Nachglanz jener Sonnen, die vor Trillionen Jahrenerloschen sind und nur in der Emanation ihres Lichtes durch denunendlichen Raum fortleben?

Aber für solch ein Scheinleben, das — mathematisch richtig— wohl auch ewig dauern muss, weil der ausgehende Strahl niean eine endliche Grenze stoßen und somit nie völlig aufhörenkann, bin ich mir meiner selbst nun zu klar bewusst, ja tausendMal klarer als je irgendwann in meinem ganzen irdischen Leben.Nur, wie gesagt, dass ich nichts höre und sehe außer mich allein.— Aha, aha, still nun! Mir kommt es vor, als vernähme ich einleises Gemurmel, ein Geflüster! Auch will sich meiner wie einleiser, sehr süßer Schlaf bemächtigen. Und doch ist es keinSchlaf, — nein, nein, es ist nur, als ob ich von einem Schlafeerwachen sollte!? — Doch nun stille, stille; ich höre Stimmen aus

19

Page 20: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 2

der Ferne, bekannte Stimmen, sehr bekannte Stimmen! Stille, siekommen, sie kommen näher!"

Hier verstummte unser Astronom völlig und bewegte auchdie Lippen nicht mehr, woraus die ihn umstehenden Freunde undÄrzte schlossen, dass es nun mit ihm völlig aus sein werde, daohnehin die halbe Rede, die hier angeführt ist, von den Um-stehenden mehr als ein röchelndes Gekreische denn als ein artiku-lierter Ausdruck vermeintlicher innerer Phantasie des starrwerdenden Organismus vernommen ward.

Die Ärzte schritten zwar wohl noch zu den extremstenWiederbelebungsmitteln — aber sie waren nun fruchtlos — undließen dann den nach ihrer Meinung in die tiefste Lethargieversunkenen Astronomen ruhen und warteten ab, was die Naturvon selbst zum Vorschein bringen werde. Aber sie wartetenvergeblich, denn die Natur brachte da weiter nichts zumVorschein als den bald wirklich erfolgten Leibestod.

Wo aber für der Ärzte Natur die "ultima linea rerum"* erfolgtist, da empfehlen sie sich. Und wir empfehlen uns auch, abernicht wie die Ärzte, sondern wie Geister, die dem für dieser Erdegestorbenen Manne auch ins Jenseits folgen können undbeobachten, was er da beginnen wird und wohin sich wenden.

* "das letzte Ziel der Dinge"

Sehet, da ist er noch ganz wie auf der Welt auf seinem Lager— und daneben niemand außer die drei euch schon bekanntenEngel. Und dort hinter den drei Boten noch Jemand!

Hört, noch redet er und spricht: "Siehe, nun höre ich wiedernichts. Was waren denn das früher für akustische Täuschungen?Hm, hm, nun alles mäuschenstill. Bin ich denn noch, oder ist esaus mit mir? Oh, aus ist es auf keinen Fall, denn ich fühle michja, ich bin mir klarst bewusst ich denke, ich erinnere mich an alleshaarklein, was ich je verrichtet habe, — nur die Nacht, Nacht, dieverruchte Nacht, die will nicht weichen! Ich will einmal aus Spaßdoch zu rufen anfangen, und das so laut als möglich. Vielleichtwird mich per Spaß doch jemand vernehmen?! — Heda! —

20

Page 21: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 2

Niemand in meiner Nähe, der mir aus dieser Nacht hülfe?! ZuHilfe, so da jemand sich zufällig irgend in meiner Nähe befindet!"

Nun meldet sich der Bote A und spricht zu B: "Bruder, hebeihn aus seinem Grabe!" Und der Bote B beugt sich über denAstronomen und spricht: "Es geschehe dir, wie es der Herr allenLebens und Seins ewig gleich will, — erhebe dich aus deinemirdischen Grabe, du irdischer Bruder!"

Seht, nun erhebt sich im Augenblick der Astronom und seinLeib fällt wie ein aufgelöster Dunst zurück! Aber der Astronomruft: "Bruder, hast du mich aus dem Grabe gezogen, so ziehemich auch aus meiner Nacht!" Und der Bote C spricht: "Also istes von Ewigkeit des Herrn Wille, dass alle Seine Geschöpfe, undganz besonders Seine Kinder, Licht haben und im Lichtewohlsehend wandeln sollen. Sonach öffne deine unsterblichenAugen und sehe und schaue, was dir wohlgefällt. Es sei!"

Nun öffnet der Astronom in der geistigen Welt zum erstenMal seine Augen und sieht klar seine Umgebung und hat einerechte Freude, dass er — nach seiner Idee — nun wiederMenschen sieht und einen Boden, auf dem er fußt. Nun fragt eraber: "Liebe Freunde, wer seid ihr denn? Und wo bin ich? Dennmir kommt es hier zum Teil sehr heimelig und zum Teil dochwieder sehr fremd vor. Auch bin ich so leicht und ungewöhnlichgesund und begreife nicht so recht, wie ich hierher gekommen binund wie eurer Worte Kraft mich sehend gemacht hat. Denn ichwar im Ernste stockblind!"

Der Engel A spricht: "Du bist für die Welt dem Leibe nachgestorben und bist nun — für ewig lebend deiner Seele unddeinem Geiste nach — hier in der eigentlichen wahren Welt desLebens der Geister. Wir drei aber sind Engel des Herrn, zu dirgesandt, dich zu erwecken und zu führen den rechten Weg zumHerrn, deinem Gott und unserem Gott, zu deinem Vater vollLiebe, Geduld und Erbarmung, Der auch unser Vater ist, heilig,überheilig, Den du in deiner letzten Erdenstunde 'eine schwacheGottheit' nanntest, da du blind warst, Der dir aber auch alles

21

Page 22: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 2

verzieh, darum, weil du blind und schwach warst! Nun weißt dualles, tue nun danach und du wirst überselig sein gleich unsewig!"

Der Astronom spricht: "Brüder, Freunde Gottes, führt mich,wohin ihr wollt, ich folge euch! Aber wenn ich je der endlosenGnade sollte teilhaftig werden, zur Anschauung Gottes zugelangen, da stärket mich gewaltigst! Denn zu elend, schmachvollund unwert fühle ich mich für ewig, diesen heiligsten Anblick zuertragen! — Aber dort sehe ich ja noch jemanden, der uns gar sofreundlichst anblickt! Wer ist denn dieser Herrliche? Sicher auchein Bote der Himmel?"

Der Engel A spricht: "Ja, wohl ein Bote aller Himmel! Gehehin zu Ihm, der Weg ist kurz. Er Selbst wird es dir offenbaren."

Der Astronom geht hin, und der gewisse Jemand geht ihmentgegen und spricht: "Bruder, kennst du Mich denn nicht?" Undder Astronom antwortet: "Wie sollte ich dich kennen, sehe ichdich doch zum ersten Male?! Wer bist du aber, du lieber,herrlicher Bruder?"

Der Freundlichste spricht: "Siehe an Meine Wundmale!Siehe, Ich bin dein schwacher Jesus und komme dir entgegen, ummit Meiner Schwäche zu helfen deiner Schwäche; denn käme Ichmit Meiner Kraft dir entgegen, so hättest du kein Leben! Dennsiehe, jedes beginnende Leben ist eine zarte Pflanze, die ohneLuft nicht fortkommt, aber der Orkan tötet das Leben der Pflanze!Also bin Ich nun auch nur ein zartes Lüftchen, dir entgegen-kommend, um dich voll zu beleben, und kein Orkan, dich zuzerstören. Liebe Mich, wie Ich dich liebe von Ewigkeit, so wirstdu das wahre ewige Leben haben!"

Spricht der Astronom: "O du mein allergeliebtester Jesus! Dualso bist es, — der die herrlichste Lehre den Bewohnern der Erdegegeben und sie dich dafür gekreuzigt haben!? O lehre auch michden rechten Weg, der zu Gott führt, den du gelehrt hast; von mirsollst du dafür nie gekreuzigt werden! Aber, so es dir möglich,lasse mich dabei auch die große Schöpfung in ihrer Klarheit

22

Page 23: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 2

beschauen, die mich durch mein ganzes Leben so sehr beschäftigthat!"

Spricht Jesus: "Dein Weg zu Gott wird nicht weit sein, so duihn sogleich betreten willst; willst du aber zuvor deine Sternedurchmustern, dann wirst du einen langen Weg haben. Wählenun, was du lieber willst!"

Spricht der Astronom: "Mein geliebtester Jesus, siehe, fürGott bin ich noch lange nicht reif. Daher sei mir, so es dirmöglich ist, behilflich, dass ich in den Gestirnen reif werde."

Spricht der Herr: "Es geschehe dir nach deiner Liebe! Ausdiesen drei Engeln wähle dir einen, der dich führen wird und diram Ende deiner Reise zeigen, Wer dein vermeintlicher Jesus ist,Den du als einen Menschen kennst, der gekreuzigt ward!" –

Sehet nun wieder, wie dieser Astronom sein "Wasser" suchtund nur im selben Mir zuschwimmen will, nicht beachtend, dassIch schon bei ihm und er bei Mir war! Daher hütet euch vor demzu gelehrten Wasser der Sternkundigen und Geologen, denn es hatseinen Zug nicht nach Mir, sondern nach der Liebe des Ge-lehrtenfaches! — Zu diesem Zweck dies längere Exempel. —Amen.

23

Page 24: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 3Ein Reicher

3. August 1847

Da sind wir schon wieder am Sterbebett eines Mannes, dersehr reich war, seinen Reichtum rechtmäßig verwaltete, seineKinder möglichst wohlerzog und dabei die Armen stets bestensbedachte, — freilich mitunter auch manchmal für ein sogenanntesvergnügtes Stündchen jene armen, aber jungen Schwesterchen,die um einen Herzogspfennig (Dukaten) für allerlei lustige Dingezu haben sind. Daneben aber hielt er im Ernste große Stücke aufdie Heilige Schrift, las oft und fleißig darin und glaubte fest, dassJesus der eigentliche Jehova ist, denn er lernte solches ausSwedenborgs Werken, von denen er in seinen Musestunden bisauf einige kleine Werkchen alle gelesen hatte.

Solche seine Belesenheit aber machte ihn auch sehr auf-brausend, so er jemanden über Jesus gleichgültig oder garschmählich reden hörte, und befand sich irgend ein solcher"Antichrist" in seiner Gesellschaft, so musste dieser sich beizeitenaus dem Staube machen, ansonst er wohl die übelsten und sehrhandgreiflichen Folgen zu befürchten hatte. Kurz und gut, unserMann war ein vollkommener strenger Held fürs reineChristentum.

Dieser Mann erkrankte in seinem bedeutend vorgerücktenAlter, und zwar infolge einer großen Festtafel, bei der er desGuten schon ohnehin zuviel tat, und nach der Tafel besonders obdes — wegen des durch die vielen starken Weine zu sehraufgereizten Blutes — gepflogenen zweimaligen Beischlafes miteiner jungen, fleischlich sehr üppigen Schwester.

24

Page 25: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 3

Als unser Mann nach solcher Expedition nach Hause kam,empfand er einen leichten Schwindel, den er für ein "Räuschel"hielt. Aber er irrte sich. Kaum war er im Begriff ins Bett zusteigen, als ihm schon die Füße den Dienst versagten. Er stürztefür die Welt bewusstlos zusammen und war — wir ihr zu sagenpflegt — auch schon mausetot.

Dass die Seinigen — zutiefst erschreckt — augenblicklichalles aufboten, ihren Hausvater zu erwecken, versteht sich vonselbst. Aber es war vergebliche Mühe, — denn was einmal vonden Engelsgeistern geholt wird, das erwacht für diese Weltnimmer.

Es ist daher bei diesem Manne diesseits nicht viel mehr zubeschauen und zu behorchen, darum wollen wir uns aber auchsogleich in die Geisterwelt begeben und sehen, wie sich unserMann dort ausnimmt, was er beginnt und wohin er sich wendet.

Vor allem aber müsst ihr wissen, dass Menschen, die voneinem Totalschlag gerührt werden, durchaus nicht wissen undauch nicht im geringsten merken, dass und wie sie gestorben sind.Sie finden keine Veränderung — weder ihres Hauswesens, wie siees auf der Erde hatten, noch in ihrem Befinden, außer dass sieganz gesund sind, was sie aber gewöhnlich auf der Welt auchwaren. Desgleichen sehen sie auch keine Engel, obschon diesenahe bei ihnen sich befinden, und vernehmen auch nicht dasGeringste aus der Geisterwelt, in der sie sich doch vollkommenbefinden. Kurz und gut, sie sind in allem und jedem wie nochganz auf der Welt. Sie essen und trinken, sie leben in ihremwohlbekannten Ort, in ihrem Hause und vollends in ihremFamilienkreis, da ihnen sozusagen kein teures Haupt fehlt.

Also war und ist es auch mit unserem Manne der haargleicheFall, — seht, nun schon in der Geisterwelt! Er steigt ganz guterDinge in sein Bett in seinem wohlbekannten Schlafzimmer, dashier ganz auf ein Haar mit all dem eingerichtet ist wie das auf derErde. Seht, wie ganz gemächlich er sich im Bette ausstreckt undden Schlaf sucht und erwartet! Aber dieser einzige Umstand

25

Page 26: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 3

macht unseren Mann etwas stutzig, dass er diesmal zu keinemSchlafe kommt, — denn der Schlaf ist den Geistern fremd. Siehaben wohl auch einen entsprechenden Zustand, der dort Ruheheißt, aber im wesentlichen nicht die leiseste Ähnlichkeit mit demirdischen Schlafe hat.

Behorchen wir nun aber unseren Mann selbst und sehen, wieer sich in seinem neuen Zustande benimmt und wie er ihmvorkommt. Hört, was er nun im Bette spricht: "Du, Lini, schläfstdu?" Die Lini (sein Weib) richtet sich auf und fragt: "Was willstdu, lieber Leopold, fehlt dir etwas?" (NB. Weib und Kinder undsonstige zum Hause Gehörige werden durch eigens dazu be-orderte Geister wie verdeckt dargestellt.) Spricht der Mann:"Nein, mir fehlt gerade nichts, ich bin, Gott sei's gedankt, ganzkerngesund. Nur kein Schlaf, aber auch nicht die leisesteAnmahnung zum Schlafe will sich meiner bemächtigen. Geh undgib mir meine Schlafpillen, ich werde ein paar verschlucken,vielleicht wird sich's nachher tun."

Die Lini steht sogleich auf und erfüllt den Willen desMannes. Die Pillen sind nun "verschluckt", aber der Schlaf bleibtnoch immer aus."

Der Mann spricht nach einer Weile: "Lini, geh, gib mir nochein paar, denn sieh, mir kommt noch kein Schlaf, ich werde nurstets munterer statt schläfriger."

Lini spricht: "Geh, lass die Pillen, könntest dir damit nochden Magen verderben. Pflege dafür lieber mit mir einenBeischlaf, und du wirst dadurch vielleicht eher zu einem Schlafekommen, wenn du denn schon durchaus schlafen willst."

Spricht der Mann etwas betroffen: "Ja liebe Lini, mit demAkte wird's nun bei mir etwas hart hergehen; denn du weißt es jaschon aus langer Erfahrung, dass ich nach einem großenSchmause dazu nie disponiert bin. Denn da versagt mir die Naturallzeit den gewissen erforderlichen Dienst. Daher gib mir dochlieber noch ein paar Pillen!"

26

Page 27: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 3

Spricht das Weib: "Sonderbar, mein lieber Herr Gemahl!Man spricht aber doch, dass sich der reiche, gottesfürchtigeLeopold gewöhnlich nach solchen Festtafeln zu einer gewissenCilli begebe und dort seinen Mann derart stellen soll, dass sichdaran ein Jüngling ein Beispiel nehmen könnte. Aber so nachherdaheim die treue, freilich wohl schon etwas mehr bejahrte Linimerken lässt, dass sie des Leopolds Weib ist und manchmal ausgewissen Gründen auch zu keinem Schlafe kommen kann, da hatder Leopold dann allzeit tausend theosophische, philosophischeund Gott weiß was alles noch für Gründe, des Weibes billiges undohnehin sehr seltenes Verlangen zu beschwichtigen! SchauLeopold, du Freund der Wahrheit, wie kommt es dir denn sogeheim bei dir vor, so du mich, dein allzeit getreuestes Weib, soschnöde und wahrhaft scheinheilig anlügst? Wie oft hast du mirdie Schändlichkeit des Ehebruchs mit den grellsten Farbenausgemalt! Was sagst du aber nun zu dir selbst, so ich es dirsonnenklar bezeigen kann, dass du selbst ein Ehebrecher bist?!"

Spricht der Mann ganz verdutzt: "Lini, liebes Weib, woherweißt du denn solche Taten von mir? Wahrlich, so etwas könnteich nur in einem dicksten Rausche getan haben, — und habe ich'sgetan, so rechne ich darauf, dass du mit einer menschlichenSchwäche an mir auch eine christliche Geduld haben wirst undwirst davon weiter keinen unser ganzes Haus entehrendenGebrauch machen! Sei gescheit, liebes Weib, sei gescheit undrede nicht mehr davon; denn sieh, deswegen habe ich dichdennoch überaus lieb! — Sei nur wieder gut, sei gut, mein liebesWeiberl, ich werde so was in meinem ganzen Leben nimmer tun!"

Spricht die Lini: "Ich glaub's auch. Wenn man schon seinganzes hindurch so gelebt hat und sein treues Weib wenigstensalle vierzehn Tage einmal betrogen und ein paarmal sich sogareine abscheuliche Krankheit geholt hat, da wird es freilich wohlan der Zeit sein, von derlei Verrichtungen abzustehen, von denenin der Schrift geschrieben steht: 'Hurer und Ehebrecher werden indas Himmelreich nicht eingehen!' Sage mir du, mein in aller

27

Page 28: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 3

Gottesgelehrtheit wohlunterrichteter Mann! — was wohl würdestdu nun tun, so dich der Herr plötzlich abriefe? Wie sähe es da mitdeiner Seligkeit aus? Oder hast du es vom Herrn etwa schriftlich,dass Er dich so lange wird leben lassen, bis du dich bessern wirstaus deines Lebens Fundament? — Ich möchte aber noch wegender gewissen Schwester Cilli nichts sagen; aber die unver-kennbare sinnliche Neigung, die du zu unserer eigenen ältestenTochter, bevor sie heiratete, auf eine Weise kundgetan hast, diedir einen unvergänglichen Schandfleck vor Gott und allenMenschen, so sie es wüssten, auf deine gottesgelehrte Stirnegedrückt hat, — sage, was soll ich denn dazu sagen?! Oder waswird Gott dazu sagen?!"

Spricht der Mann noch viel mehr verdutzt: "O Weib, dufängst an, mich im Ernste zu quälen. Freilich, leider mit allemRecht, denn es wäre mehr als läppisch von mir, so ich es dirnegieren möchte. Aber weh tut es mir dennoch, und ich begreifeüberhaupt gar nicht, wie du, meines Wissens, durch unsere ganzeEhezeit nichts davon erwähntest und nun alle Schleusen aufeinmal öffnest und mich förmlich vernichten willst!?

Bedenke, dass wir Menschen alle schwach sind in unseremFleische, wenn wir auch den willigsten Geist haben, und du wirstmir alle meine Schwächen leicht verzeihen! Bedenke, dass derHerr die Ehebrecherin nicht gerichtet hat, so wird wohl auch einreuiger Ehebrecher bei Ihm Erbarmung finden! Und also richteauch du, liebes Weib, mich nicht; denn ich bekenne und bereue jameine große Schuld an dir samt dem leidigen Vergehen an unsererverheirateten Tochter! Der Herr Jesus vergebe es mir, wie du esmir vergibst!"

Das Scheinweib spricht: "Gut denn, so sei dir alles Ge-schehene vollends vergeben. Sieh aber zu, dass du in Zukunft vondeiner vorgeschützten Schwäche keinen Gebrauch mehr machst,sonst wirst du wenig Segen von dieser meiner vollsten Nachsichthaben! Ich werde dich daher noch eine Zeit ertragen — undsehen! — Aber schlafen wirst du nimmer, denn sieh und höre! Du

28

Page 29: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 3

bist nicht mehr auf der Erde, sondern hier in der Geisterwelt! UndIch, die du nun als dein oft berücktes Weib ansahst, bin nicht deinWeib, sondern — siehe her! — Ich bin dein Herr und dein Gott!Belasse dich aber, so du willst, wie du nun bist; willst du aberweiter, so folge Mir hinaus aus diesem deinem alten Schand-gemach!"

Der Mann erkennt Mich und fällt wortlos vor Mir auf seinAngesicht.

Ich aber sage zu ihm: "Richte dich empor; denn deine Liebeist größer denn deine Sünde, daher sei dir alles vergeben! Aberbei Mir kannst du noch nicht Wohnung nehmen, solange dir nochIrdisches anhängt. Siehe aber, dort stehen Engel in Bereitschaft,die werden dich führen die rechten Wege. Und wenn dein irdischHaus wird von diesen deinen Führern mit der Not und Armutgeschlagen sein, dann wirst du bei Mir ein neues Wohnhausfinden für ewig. Amen!"

Seht, das ist wieder ein anderes "Wasser". Manche verharrenlänger in dem Naturzustand, wie da der war dieses unseresExempel-Mannes; dieser aber war nur darum sehr kurz, weil erauf der Welt viel Liebe-Gutes tat, und weil er für sein Vergehensogleich ernstliche Reue bezeigte.

29

Page 30: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 4Ein Stutzer

5. August 1847

Hier die letzte Stunde und der frühe Tod eines Stutzers, deraußer Tabakrauchen, Spielen, Fressen, Saufen und Courmachenaller schöneren weiblichen Welt und vortrefflich Tanzen nebstWalzerspielen auf einem Flügel — eben dieser schönen Weltzuliebe — nicht viel kannte, obschon er fast seine ganze Zeit aufden Kollegien und Universitäten zugebracht hatte. Unser vorge-führtes Stück von einem Stutzer war der Sohn ziemlich reicherEltern, die diesen ihren hoffnungsvollen, über die Maßen ver-zärtelten Sohn natürlich nichts anderes als studieren ließen,sobald er nur das ABC aus der Hand gelegt hatte.

Damit es aber dem zarten Knäbchen beim schwerenStudieren der lateinischen Sprache ja doch nicht gar zu schwergeschehen solle, so ward er fürs erste in ein sehr gutes Kosthausgegeben, damit er gehörig zu essen haben und natürlich wachsensolle, aber freilich nicht an Weisheit und Gnade vor Gott und denMenschen, sondern nur am Leibe. Und dass ihm das angestrengteStudieren ja nicht etwa eine Abzehrung an den Hals zöge, sodurfte er jedes Jahr repetieren, falls er es nicht so weit bringenkonnte — natürlich mit der leichtesten Mühe —, eine Schule ineinem Jahre durchzumachen. Zu dem Behufe wurden auch dieProfessoren zu jeder Zeit, besonders in den unteren Schulen, aufsgehörige gespickt und für jeden Gegenstand ein sanftmütigsterInstruktor aufgenommen.

Auf diese Weise rutschte unser Student wohl mit genauerNot durch die unteren Schulen; nur in den Kopf ist ihm auf diese

30

Page 31: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 4

Art wenig oder nichts hineingerutscht. Die Folge davon war, dasser in den höheren Schulen dann fortwährend steckenblieb. Und daihn gewöhnlich das Studieren anekelte, so verlegte er sich danebsthauptsächlich auf die oben angeführten Freikünste, nämlich aufsTabakrauchen, Spielen, Fressen, Saufen etc.

Nach zurückgelegten Studien und überall mittelmäßiggemachten Prüfungen versuchte er sich in den Kanzleien zwar,aber diese Papier- und Tintenluft mundete ihm nicht; er bekamvon seiner Mutter ja stets soviel Geld, dass er sich auch ohneKanzlei ganz kavaliermäßig durchbringen konnte. Dabei machteer allen noblen Mädchen den Hof und einer nach der andernHeiratsanträge, wodurch es denn auch geschah, dass aus lauterHoffnungmacherei auf verheißene Heiraten recht viele von ihmangebetete Holde in die wirkliche "Hoffnung" ohne Heirat kamen.

Nebst diesen mit blinden und dadurch, wie bemerkt, sehr oftmit freilich unangenehmen, dafür aber lebendigen "Hoffnungen"dotierten Holden verlegte sich unser "Staatsmann" aber auch aufandere weibliche Wesen, die er, ohne ihnen zuvor das Heiraten zuversprechen und Hoffnung zu machen, allzeit um einen leichtenSold haben konnte und nicht zu fürchten hatte, dass diese Grazienvon ihm dadurch in eine gewisse andere "Hoffnung" gesetztwerden könnten.

Aber dabei geschah es denn auch nicht selten, dass er mit derSyphilis in allen Graden zu tun bekam und am Ende so stark, dassselbst die erfahrensten Ärzte auf diesem Felde ihm weder Ratnoch Hilfe schaffen konnten. Allgemeine Vertrocknung dernatürlichen Lebenssäfte war die Folge solch "schöner" stutze-rischer Lebensweise, für welches Übel Ich, der Herr, bei derWelterschaffung leider rein "vergessen" habe, ein "heilend Kräut-lein" zu erschaffen. Daher sich denn auch unser Stutzerchennolens volens zum Sterben bereitmachen musste. Freilich wohleine sehr unangenehme Erscheinung für einen die Welt mit ihrensüßen Venusfreuden überaus liebgewonnenen Fashionablen. Aberes ist schon einmal also, dass da alles den Weg des Fleisches

31

Page 32: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 4

wandeln muss. Und so musste am Ende auch dieser Stutzer, deram Fleische seine größte irdische Seligkeit hatte, ja um so mehrden so ganz eigentlichen "Weg des Fleisches" wandeln.

Seht aber nun hin auf sein stinkend Lager, wie er sichkrümmt und bäumt und nach Luft und Wasser lechzt; aber erbringt keines mehr in den Magen, da alle seine Schlundsehnenausgetrocknet sind und nicht mehr vermögen, auch nur einenWassertropfen in den Magen hinabzuziehen! Sein Atem ist kurzund sehr schmerzlich, da die Lunge schon nahe ganz vertrocknetist. Also ist auch seine Stimme ganz gebrochen; nur kurze,gelähmte Halbworte kann er noch unter großen Schmerzenausstoßen, und da gleicht der Ton dem eines schlechten Fagotts inden Händen eines Schülers. Er möchte wohl noch stutzerischfluchen und möchte am Ende wohl gar auch noch einige gelehrtePhrasen aus Voltaire oder Sir Walter Scott herstammeln; aber dieallgemeine Trocknis lässt so etwas nicht ausführen, und diestarken Schmerzen in allen Lebenswinkeln lassen ihm auch nichtZeit, seine Gedanken dazu noch einmal wie auf einen Punktzusammenzubringen. Daher liegt er stumm röchelnd da, nurmanchmal stößt er einen gellend schnarrenden Fagott-Ton ausseiner ganz vertrockneten Kehle.

Seht, so gestaltet sich häufig das Ende solcher Wüstlingediesseits! Da wir aber bei diesem Stutzer diesseits auch nichtsmehr zu betrachten haben, da ihm, wie ihr zu sagen pflegt, derTod schon für die nächste Minute auf der Zunge sitzt, so wollenwir uns sogleich nach jenseits wenden und sehen, wie da unser"Mann" einrücken wird.

Sehet, da ist sein Lager gleichwie das auf der Welt! Nochliegt er gleichgestaltig auf demselben. Aber zugleich ersehet ihran seinem Lager nur einen Engel mit einer Brandfackel in derHand, um mit deren geistiger Flamme des Stutzers letzte Lebens-safttropfen zu vernichten!

Bei solchen Menschen erscheint darum nur ein Engel, weil inihnen Seele und Geist völlig wie tot sind. Nur der Würgengel, der

32

Page 33: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 4

über das Fleisch und über den Nervengeist gesetzt ist, hat hier daszu tun, dass er nämlich das Fleisch und den Nervengeistmöglichst stark peinige und brenne, auf dass er dadurch diezerfetzten Seelenreste und in diesen den ebenso zersplittertenGeist in den Nervengeist zurücktreibe — und auf diese Art denalso sterbenden Menschen vor dem ewigen Tod verwahre!

Er (der Engel) wird bei diesem Menschen auch nichts reden,sondern wird ihn lediglich mit seiner Fackel aus der naturmäßigenin diese Geisterwelt herüberbrennen, was gewöhnlich mit solchenMenschen zu geschehen pflegt und auch geschehen muss, weil sieohne solche letzte Gnadenmanipulation um das ganze Daseinkämen.

Dieser Akt ist gleich dem entstellten heidnischen in der Sagedes Prometheus. Denn die geistigeren Urmenschen sahen derleiVerrichtungen in der Geisterwelt, die damals aber freilich unaus-sprechlich viel seltener vorkamen als in dieser weit über Sodomund Gomorra sinnlichen Zeit. So erhielten sich davon denn auchnoch Sagen, aber nach ein paar tausend Jahren über die Maßenentstellt.

Hier aber stellt sich auch wieder derselbe Prometheus vor —in seinem eigentlichen, unentstellten Wirken. — Aber sehet, nunhat der einsame Engel sein Werk gut beendet; das Fleisch unseresStutzers ist hier ersichtlich durch und durch zu Asche verbrannt,und seht, aus der Asche erhebt sich ganz langsam und träge —nicht etwa ein herrlicher, verjüngter Vogel Phönix, o nein,sondern — seht — nur ein dummer Affe, aussehend wie ein alter,dekrepiter* Pavian! Er ist ganz stumm, nur etwas sehen kann er.

* heruntergekommen, verlebt

Die Tiergestalt hat darin ihren Grund, weil solche Menschenihr wüstes Leben hindurch die feineren Menschenseelen-Spezi-fikalpartikel völlig vergeuden durch ihre Wollust und nur diegröberen tierischen in resto behalten. — Bei diesem ist doch nochwenigstens die Affenseele geblieben. Aber da gibt es andere, diebis zu den scheußlichsten Amphibien sich ganz verpfuschen!

33

Page 34: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 4

Bei diesem Menschen lässt sich nun das "Wasser seinesLebens" auch noch nicht bestimmen; denn der muss jetzt, wie ihrzu sagen pflegt, auf die Halt und wird Geistern übergeben, dieüber solche entartete Tierseelen gesetzt sind. Vielleicht bewirkensie mit allem Fleiße in hundert Jahren, dass diese Seele wiederzur menschlichen Gestalt kommt.

Mehr lässt sich nun von dieser Seele nicht beschreiben;daher nächstens ein anderes Exempel.

34

Page 35: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 5Eine Modenärrin

6. August 1847

Hier folgt noch ein früher Tod, der einer jungen Modeheldin,die sich bei einem Ball zu sehr dem Tanze hingab, um sich irgendeinen jungen und reichen Bräutigam zu ertanzen, sich statt dessenaber nur den frühen Tod ertanzt hat.

Ein junges, dem Leibe nach überaus gefällig gestaltetesMädchen von neunzehn Jahren wurde auf einen noblen Gesell-schaftsball geladen, welche Einladung sie natürlich mit Ein-willigung ihrer Eltern bereitwilligst annahm. Alsogleich wurdendie Modekaufläden durchmustert, die zum Glück unter tausendArtikeln doch einen besaßen, der da unserer geladenen Holdenanständig* war. Nun ging's zum ersten Modeschneider und zwarmit dem Bedeuten, das Kleid nicht nur nach der letzten Pariseroder Londoner, sondern womöglich nach der letzten Madrideroder New Yorker Mode zu verfertigen, damit man auf einem soglänzenden Ball doch mit etwas Außerordentlichem erscheinenkönne, um dadurch das größte Aufsehen zu erregen und auch alseine außerordentliche Erscheinung betrachtet zu werden!

* genehm

Der Schneider hatte keine kleine Angst ob solchen Auftrags,indem er seine Kundschaft schon kannte, mit wie viel DutzendKapricen sie bei solchen Gelegenheiten gesalbt war. Er nahm sichdaher kreuzmöglichst zusammen und verfertigte wirklich einMeisterstück von einem Ballkleid zur vollen Zufriedenheit seinerKundschaft; denn das Kleid konnte ohne Schnürmieder ange-zogen werden und ob der vielen feinsten elastischen Bänder aber

35

Page 36: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 5

den Leib dennoch so eng zusammenziehen, dass unsere Heldinum die Leibesmitte dünner war als um ihren runden Hals.

Dieses New Yorker Modekleid aber war auch so ganz eigent-lich die Ursache ihres frühen und nahe plötzlichen Todes; denn dasie auf dem Ball die Königin der Schönheit und Grazie war, sotanzte sie auch mit einem jungen, reichen Affen, der ihr sehrbedeutend in die Augen stach, so wütend viel, dass sie sichdadurch in der zu sehr gepressten Lunge ein großes Blutgefäßsprengte und ob des dadurch gar starken Blutverlustes in wenigenMinuten eine Leiche war.

Als sie auf dem Tanzboden zusammenbrach und aus ihremRosenmund ein Blutstrom sich ergoss — zum Schauder allerzahlreich eben auch nicht zu locker geschnürten Mädchen undDamen —, da stürzten freilich wohl ihre Eltern, Verwandte undÄrzte herbei, rissen ihr die Kleider vom Leib und begossen siemit eiskaltem Wasser und gaben ihr Medikamente, die sie aber,als schon vollkommen tot, natürlich nicht mehr einnehmenkonnte.

Alles weinte und klagte laut. Die Eltern und der ritterlicheAffe von einem Liebhaber rissen sich aus Verzweiflung die Haarevom Kopfe. Andere fluchten solch einem Geschick, wiederandere bedauerten die Unglückliche. Viele verließen den Tanzsaalund trugen ein Notabene mit nach Hause, aber natürlich um nichtviel besser als die Sperlinge, die ein Schuss vom Dache vertrieb.

Hier, bei diesem Falle, werden wir in der Geisterwelt ebennicht viel von Belang zu sehen bekommen; aber dessenungeachtetsollt ihr es sehen, wie sich derlei Übersiedlungen in der Geister-welt ausnehmen.

Sehet, da liegt unsere Heldin noch zusammengekauert ammit ersichtlichem Blute besudelten Boden, und dort in einigerFerne erseht ihr einen Engelsgeist mit über Kreuz geschlagenenArmen stehen! Sein Antlitz verrät Trübsinn, d.i. eine Art Wehmut,die ein solcher Schutzgeist bei solchen Fällen der krassesten

36

Page 37: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 5

Narrheit der Menschen empfindet, so er ihnen mit all seiner Sorgenicht zu helfen vermag.

Was aber wird nun dieser trauernde Engel hier tun? Seht, ernaht sich dem auch in der Geisterwelt als Leiche ersichtlichenMädchen! Nun ist er bei ihr und spricht: "O du unsinniges Wesen!Was soll ich nun erwecken bei dir, da alles tot ist an dir, dahin ichnur mein Auge wende?! O Herr, sieh gnädig herab! Hier langt dieKraft nicht aus, die Du mir verliehen; daher strecke Du Deineallmächtige Hand aus und tue mit dieser Törin nach DeinemWohlgefallen!"

Nun seht, dort kommt schon ein anderer, ganz feurigerEngel! Nun ist er da, und seht, sein Feuer ergreift die Tote undverzehrt sie im Augenblick zu Asche. (In der Naturwelt kann dasnicht bemerkt werden, weil dieser Akt nur den seelischen Leibbetrifft.) Nun fängt in der Asche sich etwas zu rühren an. DerEngel betet über diese Asche. Seines Gebetes letzte Worte sind:"Herr, Dein Wille geschehe!"

Darauf verlässt der zweite Engel die sich stets mehr rührendeAsche; aber der erste Engel bleibt. Dieses Rühren aber ist nichtsanderes als ein neues Zusammenordnen der ganz zerstörten,zerstreuten und höchst zerrütteten Seelenspezifikalpartikel, wasnun unmittelbar durch Meine Kraft geschieht. Nun aber wird sichauch sogleich zeigen, wie viel und was von dieser Mädchenseelenoch übriggeblieben ist!

Seht, nun erhebt sich ein dunkelgraues Wölkchen! DasWölkchen prägt sich stets mehr aus. — Und nun seht, da habenwir schon eine Gestalt! Ihr könnt sie wohl mit nichts Ähnlichemauf der Erde vergleichen! Der Kopf gleich dem einer Fledermaus,der Leib gleich dem einer Riesenheuschrecke, die Hände wieGänsefüße, und die Füße gleich denen eines Storches! — Wiegefällt euch diese Mode nun als die Frucht jener weltlichen? —An der Mode aber läge so viel Außerordentliches nicht; aber dassdiese Törin, als quasi Selbstmörderin, schwerlich je des HimmelsLichtgefilde betreten wird, das ist etwas anderes!

37

Page 38: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 5

Es werden wohl einige hundert Jahre vergehen, bis diese zurmenschlichen Gestalt kommen wird, und das nur auf sehrschmerzliche Art! Nachher aber wird sie im Geisterreiche sein,was die Albinos auf der Erde sind, nämlich lichtscheu.

Weiter ist bei dieser nichts mehr zu sehen und zu lernen,darum nächstens ein anderes Exempel.

38

Page 39: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 6Ein Feldherr

10. August 1847

Seht, wir befinden uns in einem königlichen Prachtgemach.Hier strotzt alles von Gold und Silber und von den kostbarstenEdelsteinen und — für die Welt — von den wertvollsten Ge-mälden. Der Boden des Gemachs ist mit den feinsten asiatischenTeppichen belegt, und die großen Spiegelglasfenster sind mitGardinen behangen, von denen eine soviel kostet, dass davontausend Arme einen ganzen Monat zu essen hätten. Kästen,Tische, Sofas, Stühle und noch eine Menge königlicher Ein-richtungsstücke von großem Wert zieren es und allerlei Wohl-gerüche durchduften das Krankengemach, und die berühmtestenÄrzte umgeben das reich mit Gold verzierte Bett, in welchem derirdisch hohe Kranke vergeblich der Genesung harrt.

Es wird ein Konsilium über das andere gehalten, und dieMedikamente werden alle Stunde gewechselt. Im angrenzendenGemach beten aus lateinischen, rot und schwarz gedrucktenBüchern abwechselnd in einem fort zwei Mönche und wo nur einBethaus oder irgend eine Kapelle steht, wird für die Wieder-genesung unseres großen Feldherrn eine feierliche Messegehalten. Aber das nützt alles nichts. Denn für diese Feldherrn-krankheit gibt es weder in der Apotheke noch im Breviarium undebensowenig im Messbuche irgendeine Hilfe mehr, sondern daheißt es einmal: "Komm und lass sehen, wie deine Werkebeschaffen sind!".

Seht nun den Kranken an, wie tapfer er sich hält! Aber dieseTapferkeit ist nur ein Schein, denn innerlich möchte unser Held

39

Page 40: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 6

vergehen vor Angst und Verzweiflung und verflucht dabei diestark schmerzende Krankheit wie ein Husar sein Pferd, das ihmkeinen Gehorsam leisten will. — Die Geschichte geht hübschzusammen: Dort beten die Mönche — freilich wohl mit einerAndacht, die ihresgleichen sucht, mit der heimlich auch noch einganz entgegengesetzter Wunsch vereinigt ist propter certumquoniam —, aber rar ist das immer, so der, für den wenigstens"aufs Aug" gebetet wird, flucht, dass es eine barste Schande ist!

Nun aber wird sein Schmerz stets ärger, ja beinahe un-erträglich, und unser Patient, darob vor Grimm entbrannt, fährtnun zum Erstaunen seiner Umgebung ganz wütend auf undschreit aus vollem Halse: "O du verfluchtes Hurenleben! Kannstdu, Schöpfer, so du irgend einer bist, es mir denn nicht auf eineschmerzlosere Art nehmen?! Auf ein solches Hurenleben sollenalle Teufel, so sie irgend sind, scheißen; und ich möchte es selbst,so ich's nur vermöchte! He, ihr dümmsten Viecher von Ärzten,die ihr alle zusammen keinen Schuss Pulver wert seid, gebt mireine scharf geladene Pistole her, auf dass ich selbst für diesHunde- und Hurenleben mir eine Medizin durchs Hirnverschreibe, die dasselbe auf einen Knall von jeder fernem Martersicher befreien solle!"

Ein Protomedikus naht sich dem Krankenbett und will denPuls fühlen und bittet den Patienten um Ruhe. Aber der hohePatient richtet sich auf und spricht: "Komm nur her, du Luder, duschlechter Hund von einem Arzte, damit ich an dir meine gerechteWut kühlen kann! Fahr zu allen Teufeln, du dummes Luder!Möchtest mich nicht wieder mit Opium martern?! Schau, — wiegescheit diese Kanaillen sind; so sie nichts mehr wissen, dakommen sie sogleich mit Opium, auf dass der Kranke danneinschlafe und sie sich dadurch mehrere Stunden des gerechtenVorwurfs, den sie überaus wohl verdienen, entledigen und sichdabei brav ins Fäustchen lachen und schon Rechnung machen,wieviel da nach meinem Tode ein jeder für sich in der drittenVergleichungsstufe wird verlangen können! Hahaha, gelt, ich

40

Page 41: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 6

durchschaue eure Pläne! Weg daher mit euch, ihr bösen Hunde,sonst bringe ich euch noch mit diesen meinen letzten Kräften umeuer scheußliches Luderleben! — He, was sehe ich denn dort imNebengemache für zwei schwarze Kanaillen?! Was tun denndiese Luder? — Ich glaube gar, sie beten für meine Seele? Werhat sie denn dazu berufen?! — Hinaus mit ihnen, sonst stehe ichauf und schieße sie wie Hunde zusammen!" –

Seht, auf diese gewaltige oberfeldherrliche Detonationmachen sich die Mönche recht behende aus dem Staube; dieÄrzte zucken stets greller mit den Achseln, und der Patientverstummt und fängt unter den horrendesten Verzerrungen desGesichts zu röcheln an. Wir aber begeben uns nun, da es hier andem Patienten nichts mehr zu beobachten gibt, sogleich in dieGeisterwelt und werden ganz kurz unsere Beobachtung machen,wie unser Held in die Geisterwelt eintreten wird. –

Seht, wir sind schon da, und dort auf gleichem Lager liegtder Patient in einem ganz gleich aussehenden Gemach. Nochröchelt er, wie ihr es leicht merken könnt, unter ganz entsetzlichschweren Atemzügen und zerbeißt sich die Zunge vor heimlicherWut seiner ergrimmten Seele.

Dort aber, seht, ist schon der alleinige Würgengel in derBereitschaft, die ergrimmte Seele unseres Helden von ihremüberstolzen und hochmütigsten Aristokratenfleische loszu-machen. Mit einem flammenden Schwert ist der Engel bewaffnet— zum Zeichen seiner großen, ihm von Mir verliehenen Kraftund zum Zeichen seines Mutes und seiner gänzlichen Furcht-losigkeit vor solchen Großhelden der Erde wie vor der ganzenHölle.

Sehet, nun ist in der Zeiturne das letzte Sandkörnchen fürdiesen Helden gefallen, und der Engel rührt ihn mit seinemFlammenschwerte an und spricht: "Erhebe dich, du matte Seele,und du, stolzer Staub, falle in das Meer deiner bodenlosenNichtigkeit zurück!"

41

Page 42: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 6

Seht, nun verschwindet der Leib, und nicht mehr zu sehen istdas Lager und das Gemach voll irdischer Pracht. Dafür erhebtsich eine, wie ihr es leicht merken könnt, ganz dunkelaschgraue,schmählichst verkümmerte Seele, stehend auf lockerem Sande,der sie zu verschlingen droht. Zornig, wirr und scheu blickt sieum sich — und erschaut nichts als sich selbst. Aber sie sieht sichganz anders, als wir sie sehen, — sie ersieht sich noch als einenFeldherrn mit all ihren Orden und mit einem Degen geziert.

"Wo bin ich denn?" spricht nun der Held. "Welcher Teufelhat mich denn hierher gebracht? Nichts, und abermals nichts!Wohin ich schaue, ist überall nichts. Da seht, auch unter mir istnichts!

Bin ich denn ein Nachtwandler — oder träume ich? — odersollte ich denn wirklich gestorben sein? Ah, das ist ja doch einverflucht dummer Zustand! Ich bin zwar recht gesund nun undfühle keinen Schmerz, erinnere mich an jede Kleinigkeit meinesganzen Lebens, — ich war ja höchst krank; ich habe die dummenÄrzte gemustert, die zwei Heuchler zum Teufel verscheucht undhabe auch, natürlich ob des zu starken, unerträglichen Schmerzes,dem Schöpfer einige derbe Grobheiten in meiner Aufwallung insGesicht gesagt, — alles dessen erinnere ich mich sehr wohl! Auchweiß ich, dass ich sehr zornig war und hätte alles zerreißenkönnen vor Wut. Aber nun ist mir alles vergangen. Es wäre allesrecht, wenn ich nur wüsste, wo ich so ganz eigentlich bin und wasda mit mir vorgegangen ist?!

Es ist wohl etwas licht um mich; aber je weiter hinaus ichmeine Blicke richte, desto finsterer wird es, und ich sehe nichts,nichts, nichts und abermals nichts! Das ist doch verflucht!Wahrlich, wer da nicht des Teufels wird, der wird es in Ewigkeitnimmer!

Sonderbar, sonderbar, ich werde stets munterer, stets leben-diger, — aber auch stets leerer wird es um mich. Ich muss michsicher in so einer Art Lethargie befinden? Aber die, so davonbefallen, sollen alles hören und sehen, was um sie geschieht, —

42

Page 43: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 6

ich aber höre und sehe nichts außer mich, also kann das keineLethargie sein.

Es ist hier weder kalt noch warm, noch völlig finster,obschon einen das Licht wahrlich nicht blendet! Ich bin, was mirunbegreiflich ist, in diesem Solozustand dazu noch sehr heiterund aufgeräumt, dass ich darob einen Bajazzo abgeben könnte, —und doch, wie Figura zeigt, bin ich sicher im Mutterleibe nichtgesellschaftsloser gewesen als hier! Wahrlich, wenn ich hier einDingsda, eh, so ein Dings — nun, so ein Dings — ja, ja, so recht— so ich so ein 'Menschchen' bei mir hätte, wahrhaftig, ichkönnte mich sogar vergessen, dass ich — doch hol's der Kuckuck,den Feldherrn samt seinen fünf Dutzend Großahnen! Wahrlich,für ein 'Menschchen' gemeinsten Standes wäre mir nun schonalles feil!

Wenn ich aber nur erfahren könnte, wo ich denn so ganzeigentlich bin?! Wenn die Sache noch lange dauern sollte, dadürfte einem dieser Zustand so hübsch verdammt langweiligwerden! Hab' ja einmal von einem Gott etwas gehört, — willmich doch einmal ernstlich an ihn wenden. Hab' freilich ehedemmich etwas barsch benommen gegen ihn; aber er wird mir das, soer irgend einer ist, ja nicht so übel anrechnen. — Heda, meinGott, mein Herr! So du irgend bist, hilf mir aus dieser sonderbarfatalen Lage!"

Nun seht, sogleich kommt ein Engel herbei und spricht:"Freund, in dieser Lage wirst du so lange verbleiben, bis der letzteTropfen deines Hochmutes aus dir hinausgeschafft sein wird unddadurch bezahlt der letzte Blutstropfen von dem Blute, das du anvielen Tausenden deiner Brüder vergossen hast! Wirf all deinefeldherrlichen Insignien von dir, und du wirst dann Boden undmehr Licht und auch Gesellschaft finden, — aber hüte dich vordeinesgleichen, sonst bist du verloren! Vor allem aber wende dichan den Herrn, so wird dein Weg kurz und leicht sein, Amen."

43

Page 44: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 6

Seht, diesen Rat befolgt aber unser Held jetzt noch nicht.Daher verlässt ihn der Engel, und er wird noch einige hundertJahre in solcher Schwebe verbleiben. –

Daraus könnt ihr schon sein "Wasser" merken, darum nichtsweiter nun von ihm.

44

Page 45: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 7Ein Papst

11. August 1847

Bei diesem Exempel wollen wir sogleich beim Jenseitsbeginnen und einen Mann betrachten, der in der Welt eine sehrgroße Rolle gespielt hat und am Ende der Meinung war, die Weltsei bloß seinetwegen da und er könne mit ihr machen, was erwolle, da er sich die förmliche Stellvertreterschaft Gottes an-maßte, mehr noch als so mancher andere seines Gelichters. Aberer musste dessenungeachtet dennoch "ins Gras beißen", und esschützte ihn davor weder seine angemaßte Großmacht noch dieWelt und ebenso wenig die Gottesstellvertreterschaft.

Dort, seht hin, stark gegen Mitternacht wandelt langsamenSchrittes eine überaus hagere Mannesgestalt von sehr dunklerFarbe, blickt forschend um sich und späht bald dahin und baldwieder dorthin!

In seiner Gesellschaft seht ihr ein Männlein, gleich einemkohlschwarzen Affen, das sich um unsern Mann sehr geschäftigherumtummelt und tut, als hätte es mit diesem Manne gar überauswichtige Sachen abzumachen. — Treten wir aber nur näher, damitihr vernehmen könnt, was dieser Mann, der seinen Gesellschaftersowenig wie uns sieht, mit sich für sonderbare Gespräche führt.

Da sind wir schon in rechter Nähe; nun horcht, er spricht:"Alles Lüge, alles Trug, und der Betrogenste ist der Glücklichste;aber unglücklich der Betrüger, so er wissentlich ein Betrüger ist!Ist er aber unwissentlich ein Betrüger und lügt und betrügt, ohnezu wissen, dass er lügt und betrügt, da ist ihm zu gratulieren; dennda zieht ein Esel den andern, und beide sind mit dem

45

Page 46: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 7

schlechtesten Futter zufrieden. — Aber ich, was bin denn ich? —Ich war ein Oberhaupt, alle mussten glauben und tun, was ichanordnete; ich aber tat, was ich wollte, da ich die Schlüssel derMacht in meinen Händen hatte als einer, der sie nimmt ohne zufragen, ob er sie wohl zu nehmen berechtigt ist. Ich wusste alles;ich wusste, dass da alles nur Lüge und Trug ist, und dennochdrang ich Lüge und Trug jedermann bei strenger Ahndung auf, deres nicht annehme und glaube, dass da alles, was von mir ausgeht,ob geschrieben oder nicht, als volle Wahrheit anzunehmen ist.

Ich meinte aber auf der Welt: Des Leibes Tod ist das Ulti-matum allen Seins. Das war mein heimlicher, fester Glaube, undalle Weisheit der Welt hätte mir keinen andern Glauben gebenkönnen! Dies einzige hielt ich für Wahrheit, und sieh, auch das istLüge; denn ich lebe fort, obschon ich gestorben bin dem Leibenach.

Himmel, Fegfeuer und Hölle ließ ich predigen auf vielentausend Kanzeln, erteilte Ablässe und sprach eine MengeVerstorbener heilig und gebot Fasten, Gebet, Beichte undKommunion, — und nun stehe ich selbst da und weiß nicht, woaus und wo ein! Gäbe es ein Gericht, dann wäre ich schongerichtet. Gäbe es einen Himmel, da hätte ich doch das ersteAnrecht darauf, denn fürs erste musste ich doch durch den WillenGottes Statthalter der Kirche Christi werden; und was ich dann alssolcher tat, war sicher auch nur ein allerhöchstes oberstes Wollen,denn ohne ein solches kann laut der Schrift ja kein Haar amKopfe gekrümmt werden und kein Sperling vom Dache fliegen.

Also beichtete und kommunizierte ich auch nach der altenVorschrift, obschon ich mich davon gar leicht hätte exemtierenkönnen, indem ich die Macht hatte, die Beichte samt der strengenKommunion für jedermann auf ewige Zeiten aufzuheben, was ichaber dennoch aus politischen Rücksichten nicht tun konnte undwollte. — Gäbe es eine Hölle, so wäre auch Grund genugvorhanden, mich darinnen zu befinden; denn vor Gott ist ein jederMensch ein Totschläger! — Wenigstens sollte ich mich im

46

Page 47: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 7

Fegefeuer befinden; denn das soll doch jedermann wenigstens aufdrei Tage zuteil werden! Aber weder das eine noch das anderewird mir zuteil, — darum ist Gott, Christus, Maria, Himmel,Fegfeuer und Hölle nichts als Lug und Trug! Der Mensch aberlebt nur aus den Kräften der Natur und denkt und fühlt nur nachder eigenen Konzentration der verschiedenen Naturkräfte in ihm,die sich da wahrscheinlich zu einem ewig unzerstörbaren Einsverbinden und verknüpfen. Meine Aufgabe wird daher nun sein,diese Kräfte näher zu erforschen und mir dann mittels dergenauesten Bekanntschaft mit ihnen einen Himmel zu gründen.

Aber ich merke fortwährend ein gewisses Zupfen an meinerToga pontificalis! Was sollte denn das sein, ist denn etwa dochirgend ein unsichtbarer Geist in meiner Nähe, oder tut so etwasetwa irgend ein Wind? Es ist im Ernste sonderbar in dieserunendlichen Wüste, denn man kann schon gehen, wohin manwill, so bleibt man aber dennoch ewig ganz allein. Man kannrufen, schreien, schimpfen, schelten und fluchen — oder beten,zu wem man will, so rührt sich dennoch nichts und man bleibtvor- wie nachher ganz allein! Es mögen doch schon einige Jahresein, da ich auf der Erde gestorben bin, und das auf eine sehrschmerzliche, höchst fatale Weise, — und ich bin dito allein,nichts als die ganz kahle Wüste unter den Füßen! Platz habe ichda wohl, das ist wieder eine Wahrheit, aber wo ich bin, was fürdie Zukunft aus mir werden soll — werde ich also ewig fortlebenoder doch etwa einmal ganz vergehen —, das ist ein unauf-lösliches Rätsel.

Also nur frisch an die Erforschung der Naturkräfte in mir,und es soll sich durch ihre nähere Bekanntschaft bald entwickeln,was da aus mir werden soll!"

Habt ihr ihn nun gehört, wie er räsoniert, er, der StellvertreterGottes auf Erden? Oh, er wird noch lange also solo räsonieren,wie es ihm sein unsichtbarer Begleiter einhaucht; denn solcherauf Erden höchstgestellter Menschen Los ist stets das gleiche,

47

Page 48: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 7

nämlich das Alleinsein, indem sie sich auf der Erde auch überalles hinaus isoliert haben.

Diese Isolierung ist aber dennoch eine große Gnade für sie;denn nur dadurch ist es möglich, sie wieder auf den rechten Wegzu bringen. Aber es geht das sehr lange; sie müssen in sich alleGrade der Nacht und Finsternis, der Not, auch des Schmerzes,wie er in der Hölle zu Hause ist, durchmachen.

Hat ein solcher Zelot diese Solo-Tour durchgemacht — etwain fünfhundert bis tausend, auch zehntausend Jahren —, dann erstkommt er in die Gesellschaft von strengen Geistern. Folgt erdiesen nicht, so wird er wieder verlassen und ganz allein gestellt,wo ihm dann aber alle Gräueltaten vorgeführt werden, die ent-weder unter ihm oder unter seinen Vorgängern verübt wordensind, bei welcher Gelegenheit er aber auch alle Schmerzenverkosten muss, die alle Verfolgten unter ihm oder unter seinenVorgängern verkostet haben. Bringt ihn diese Kur noch nichtzurecht, so wird er belassen, wie er ist; bloß der Hunger wird ihmzur Begleitung gegeben und der Durst, welche zwei Hofmeistermit seltenster Ausnahme fast jeden mit der Zeit zurechtbringen. –

Da habt ihr nun wieder ein Bild, aus dem ihr das Jenseitsnäher kennenlernen möget — und das "Wasser", das ein solcherHäuptling zu durchschwimmen hat, bis er ans Ufer der Demut,Wahrheit und Liebe gelangt. Daher nun nichts mehr weiter vondiesem Manne.

48

Page 49: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 8Ein Minister

12. August 1847

Da denn auch die großen Herren der Welt sterben müssen,gegen welche für sie höchst fatale Lebenseigentümlichkeit sienoch immer keinen Assekuranz-Verein* haben aufstellen können,da sie es mit all ihrer Politik und Diplomatie noch nicht soweitgebracht haben, so musste denn auch unser Minister sich endlicheinmal anschicken, das Zeitliche mit dem Ewigen zu vertauschen.

* Versicherung

Das Sterben ist für solche Menschen freilich wohl dieunangenehmste Erscheinung von der Welt, aber das kümmert denWürgengel wenig. Bei dem er das wohlzimentierte* Maß vollfindet, den nimmt er ohne Gnade und Pardon!

* geeichte Gefäße prüfen

Unser Minister, ein Mann, dem alle Welt huldigte ob seinerWeltklugheit, wurde in seinem bedeutenden Alter von einemgichtischen Katarrhfieber aufs Krankenlager geworfen, das ihneinen halben Monat folterte, und das desto ärger, je mehrArzneien er zur Behebung dieses Übels einnahm. Gegen das Endehin ward er voll Unwillen und drohte den Ärzten mit dem Arrest,so sie ihn nicht bald wiederherstellen möchten oder könnten.

Aber statt seine Drohung auszuführen, versank er am sech-zehnten Tage seiner Krankheit in eine Betäubung, aus der er aufdieser Welt nicht mehr erwachte, außer auf eine Stunde knapp vorseinem Ende, in welcher Stunde er noch ein kurzes Vermächtnismachte, was da mit seiner mächtigen Habe geschehen solle,wobei aber der Armen, wie meistens bei solchen Menschen, nur

49

Page 50: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 8

sehr spärlich Bedacht genommen ward; denn was sind wohl einpaar tausend Gulden gegen mehrere hinterlassene Millionen?!

Also ward der Kirche pro forma auch mit einer Stiftunggedacht, aber nicht aus irgendeinem blinden Glauben — dennGlauben hat so ein Mensch entweder nur selten oder gar keinen,und alles, was er tut, ist reine Politik —, sondern nur, wie gesagt,weil so etwas der politische Gebrauch erfordert.

Nach dieser letzten Willenskundgabe sank er auf sein Lagerzurück und war tot, ohne zuvor gebeichtet und kommuniziert zuhaben, auf welchen Akt er — bei sich zwar — ohnehin nichtshielt. Damit war's mit ihm für diese Welt aber auch für ewigabgeschlossen; darum wollen auch wir nicht länger bei seinerLeiche verharren, sondern uns sogleich nach "drüben" begebenund sehen, was unser überstolzer aristokratischer Mann dort fürein Gesicht macht. –

Seht, da sind wir schon, und unser Mann steht schon inseinem kompletten Staatskleide vor uns und vor vier verhülltenEngelsgeistern, wobei er aber nur die letzteren sieht. Der Ort stelltgenau sein Staatskabinett vor, in welchem er noch Wichtiges zubesorgen und zurechtzubringen sich vorgenommen hatte.

Er ersieht nun genau die vier in seinem Geheimkabinett undkann sich vor Ärger kaum fassen über die entsetzliche Keckheitdieser vier "Gauner" nach seiner Ansicht. Er springt auf undergreift die Klingel und will läuten, aber die Klingel gibt keinenTon.

"Verrat! Hochverrat!" Schreit er aus vollem Halse. "Wiekamt ihr elenden Wichte in dies nur mir allein zugänglicheGemach, in welchem des Staates geheimste und heiligste Mys-terien bearbeitet und aufbewahrt sind?! Wißt ihr, dass auf solcheinen Hochverrat der Tod gesetzt ist?! Wer von euch hat dieseKlingel entschwengelt, dass sie nun in diesem entscheidendstenMoment keinen Schall von sich geben kann? Bekennet es, ihrVerruchten, wer von euch war der Rädelsführer?!"

50

Page 51: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 8

Der erste Engel spricht: "Höre in Geduld tiefst aufmerksam,was ich dir nun künden werde! Wohl weiß ich die gute Ordnung,derzufolge auf der Welt kein Mensch, außer dem König nur, indies Gemach treten darf. Wärest du noch auf der Welt, da hättestdu uns auch nicht an dieser Stelle erblickt. Aber siehe, du bist nundem Leibe nach gestorben und bist jetzt in der Geisterwelt, wo esnur einen Herrn gibt, während alle andern Geister Brüder sind,gute und schlechte, je nachdem sie auf der Erde gehandelt habenentweder gut oder böse. Also haben wir auch vom Herrn das stetsliebepflichtige Recht, jedermann zu besuchen und ihm unsereDienste anzubieten, wenn er, wie du, für uns noch zugänglich ist.

Darin aber besteht eben auch des einigen Herrn Auftrag andich durch uns, dass wir dir eben solches künden sollen und aucheröffnen, dass hier in dieser ewigen Welt für dich alle weltlicheEhre und Stellung aufgehört hat samt aller Politik; und diesGemach, dein Kleid und alle diese deine vermeintlichenwichtigsten Staatspapiere sind nur Trug und Ausgeburt deinernoch überstark an der Welt hängenden Phantasie und werdenverschwinden, sobald du uns folgen wirst. — Wirst du uns folgen,da wirst du einen leichten Weg in das wahre, ewige Lebensreichhaben, alldort es Seligkeiten gibt ohne Maß und Zahl; wirst duuns aber nicht folgen, da wirst du einen überharten Stand haben,zum Gottes-Lebensreiche zu gelangen! Denn siehe, du warst aufder Welt wohl mit Gottes Zulassung ein großer Mann und hattesteine große Macht; durch diese Macht ist aber bei dir auch garmächtigst die Herrschliebe erwacht, die dich zu manchem geführthat, das da nicht gegründet war in der göttlichen Ordnung. Auchhat dir diese Weltgewalt als Herrschlust auch den Glauben an denHerrn und vielfach die Liebe zum Nächsten genommen und hatdich fürs Reich Gottes völlig untauglich gemacht.

Aber siehe, der Herr weiß es, welch schwere Bürde du zutragen hattest, und hat große Erbarmung mit dir. Darum sandte Eruns zu dir, auf dass du gerettet werden sollest und erhoben undnicht untergehen durch deine noch mit herübergebrachte große

51

Page 52: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 8

Weltbürde. Denke hier nicht an ein Gericht; denn im Reiche derFreiheit des Geistes gibt es kein Gericht und keinen Richter,außer den eigenen freien Willen jedes Menschen! Denke auchnicht an die Hölle. Diese ist nirgends, außer in jedem Menschenselbst, so er diese in sich durch sein Böses — eben in sich — ersterschafft. Also denke aber auch an keinen Himmel als ver-heißenen Lohn für gute Werke; sondern des Herrn Jesu Wort seidein Wille, durch dieses suche Ihn allein! Hast du Ihn, dann hastdu alle Himmel und eine ganz andere Macht aus der Liebe, als dusie gehabt hast auf der Welt aus deiner Weltklugheit und hohenStellung. Nun weißt du alles; tue, was dir dein freier Wille zuläßtim Namen des Herrn Jesus. Amen."

Der Minister spricht: "Wahrlich, eure Rede ist weise undbürgt mir, dass da alles so ist, wie ihr es mir nun gekündet habt.Auch bin ich nun völlig klar, dass ich leiblich gestorben bin. Aberdass da der gewisse Jude Jesus der alleinige Gott und Herr seinsoll, das fasse ich nicht! Was ist dann der "Vater" und der "HeiligeGeist"? Seht, das stimmt mit der eigenen Lehre Jesu nichtzusammen, der doch der erste war, der eine göttliche Dreiheitallenthalben lehrte! Darum verzeiht mir, dass ich euch darumschon nicht so schnell folgen kann, wie ihr es wünscht, — außerihr überzeugt mich dessen schnell!"

Spricht der Engel: "Bruder, das geht so geschwind nicht, wiedu meinst. Lege vorerst dein Staatskleid ab und ziehe ein anderesder Demut und völligen Selbstverleugnung an, dann wirst dualsbald die vollste Überzeugung davon bekommen, das dir jetztnoch als unfasslich erscheint."

Der Minister antwortet: "Wohl denn, so übernehmet michund bringt mich zurecht, und schabet sorglich alles Weltliche vonmeiner Seele, dann wird es sich zeigen, wie es mit eurer Aussageaussieht."

Nun treten die drei anderen Engel hinzu, ziehen dem Mannedie Staatskleider aus und ziehen ihm dafür aschgraue, sehrzerlumpte und ziemlich schmutzige an. Und der zweite Engel

52

Page 53: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 8

spricht nun zu ihm: "Nun bist du mit dem Kleide der Demutangetan. Aber das allein genügt noch nicht, sondern du musstauch in der Tat demütig sein. Darum folge uns!"

Der Mann folgt, und seht, sie kommen bei einem Bauernhofean und sagen zu ihm: "Siehe, hier wohnt ein schroffer Mann undhat große Schweineherden. Bei diesem sollst du dienen und mitallem zufrieden sein, was er dir zum Lohne geben dürfte; undwird er hart und ungerecht sein gegen dich, so sollst du alles mitGeduld ertragen und dir bloß in des Herrn Gnade und ErbarmungRecht schaffen.

Wird er dich schlagen, da schlage nicht zurück; sondern wieein Sklave halte ihm den Rücken dar, so wie du auf der Erde —zufolge der militärischen Subordination — es oft gesehen hast,wie sich ein armer Soldat ganz willenlos auf die Bank legenmusste und aushalten die harte, oft höchst ungerechte Strafe!Wirst du das alles in rechter Geduld ertragen, dann soll dir einbesseres Los zuteil werden!"

Darauf spricht der Mann: "Ich bedanke mich gehorsamst fürdiese Führung! Gebt mir nur mein Staatskleid wieder, ihrBetrüger; ich werde schon selbst mir die Wege bahnen! Daschaut's die Lumpen an; aus unsereinem, der wenigstens zwanzigAhnen zählt, wollen sie so mir nichts, dir nichts einen Sauhaltermachen! O wäre ich noch auf der Welt, ich wollte euch dafürzahlen, dass ihr es euch merken solltet! Diese Vagabunden gebensich noch für Gottes Boten aus! Nein wartet, diese Gottes-botenschaft soll euch noch teuer zu stehen kommen!"

Sehet, die Engel geben ihm sein Staatskleid wieder undsagen: "Wie du willst. Da ist dein irdisch Kleid! Willst du dieWege des Lebens nicht wandeln, so wandle deine eigenen; unserDienst bei dir aber ist zu Ende."

Nun sehet, in welch ein "Wasser" unser Mann sich begibt; dawird er lange zu schwimmen haben, bis er auf des verlorenenSohnes Rückweg zum Vater gelangen wird.

53

Page 54: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 8

Hüte sich darum ein jeder vor der Herrschlust; denn diese hatstets die gleichen Folgen. — Nächstens ein anderes Exempel.

54

Page 55: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 9Bischof Martin

13. August 1847

Ein Bischof, der auf seine Würde große Stücke hielt undebensoviel auf seine Satzungen, ward zum letzten Male krank.

Er, der selbst noch als ein untergebener Priester des HimmelsFreuden mit den wunderlichsten Farben ausmalte — er, der sichgar oft völlig erschöpfte in der Darstellung der Wonne undSeligkeit im Reiche der Engel, daneben aber freilich auch dieHölle und das leidige Fegefeuer nicht vergaß, hatte nun — alsselbst schon beinahe achtzigjähriger Greis — noch immer keinenWunsch, von seinem oft gepriesenen Himmel Besitz zu nehmen;ihm wären noch tausend Jahre Erdenleben lieber gewesen als einzukünftiger Himmel mit allen seinen Wonnen und Seligkeiten.

Daher denn unser erkrankter Bischof auch alles anwandte,um nur wieder irdisch gesund zu werden. Die besten Ärztemussten stets um ihn sein; in allen Kirchen seiner Diözesemussten Kraftmessen gelesen werden; alle seine Schafe wurdenaufgefordert, für seine Erhaltung zu beten und für ihn frommeGelübde gegen Gewinnung eines vollkommenen Ablasses zumachen und auch zu halten. In seinem Krankengemach ward einAltar aufgerichtet, bei dem vormittags drei Messen zurWiedergewinnung der Gesundheit mussten gelesen werden;nachmittags aber mussten bei stets ausgesetztem Sanktissimum*die drei frömmsten Mönche in einem fort das Breviarium **beten.

* Allerheiligste, geweihte Hostie** Gebetsbuch der katholischen Geistlichen

55

Page 56: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 9

Er selbst rief zu öfteren Malen aus: "O Herr, erbarme Dichmeiner! Heilige Maria, du liebe Mutter, hilf mir, erbarme dichmeiner fürstbischöflichen Würden und Gnaden, die ich trage zudeiner Ehre und zur Ehre deines Sohnes! O verlasse deinengetreuesten Diener nicht, du alleinige Helferin aus jeder Not, dueinzige Stütze aller Leidenden!"

Aber es half alles nichts; unser Mann verfiel in einen rechttiefen Schlaf, aus dem er diesseits nicht mehr erwachte.

Was auf Erden mit dem Leichnam eines Bischofs alles für"hochwichtige" Zeremonien geschehen, das wisset ihr, und wirbrauchen uns dabei nicht länger aufzuhalten; dafür wollen wirsogleich in der Geisterwelt uns umsehen, was unser Mann dortbeginnen wird!

Seht, da sind wir schon — und seht, da liegt auch noch unserMann auf seinem Lager; denn solange noch eine Wärme imHerzen ist, löst der Engel die Seele nicht vom Leibe. DieseWärme ist der Nervengeist, der zuvor von der Seele ganzaufgenommen werden muss, bis die volle Löse vorgenommenwerden kann.

Aber nun hat dieses Mannes Seele schon völlig denNervengeist in sich aufgenommen, und der Engel löst sie soebenvom Leibe mit den Worten: "Epheta", d.h. "Tue dich auf, duSeele; du Staub aber sinke zurück in deine Verwesung zur Lösedurch das Reich der Würmer und des Moders. Amen."

Nun seht, schon erhebt sich unser Bischof, ganz wie er gelebthatte, in seinem vollen Bischofsornate und öffnet die Augen. Erschaut erstaunt um sich und sieht außer sich niemanden, auch denEngel nicht, der ihn geweckt hat. Die Gegend ist nur in sehrmattem Lichte gleich einer ziemlich späten Abenddämmerung,und der Boden gleicht dürrem Alpenmoose.

Unser Mann erstaunt nicht wenig über diese sonderbareBescherung und spricht nun zu sich: "Was ist denn das? Wo binich denn? Lebe ich noch oder bin ich gestorben? Denn ich warwohl sehr krank und es kann leicht möglich sein, dass ich mich

56

Page 57: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 9

nun schon unter den Abgeschiedenen befinde! — Ja, ja, umGotteswillen, es wird schon so sein! — O heilige Maria, heiligerJoseph, heilige Anna, ihr meine drei mächtigsten Stützen:kommet und helft mir in das Reich der Himmel!"

Er harrt eine Zeitlang, sorglich um sich spähend, von welcherSeite die drei kommen würden; aber sie kommen nicht.

Er wiederholt den Ruf kräftiger und harrt; aber es kommtimmer noch niemand!

Noch kräftiger wird derselbe Ruf zum drittenmal wiederholt,— aber auch diesmal vergeblich!

Darob wird unserem Manne überaus bange. Er fängt an,etwas zu verzweifeln und spricht in seiner stets verzweifelterwerdenden Lage: "Oh, um Gotteswillen, Herr, steh mir bei! (Dasist aber nur sein angewöhntes Sprichwort.) — Was ist denn das?Dreimal habe ich gerufen, — und umsonst!

Bin ich denn verdammt? Das kann nicht sein, denn ich sehekein Feuer und keine Gottstehunsbei*!

* Verhüllt für Teufel

Hahahaaaaa (zitternd) — es ist wahrhaft schrecklich! — Soallein! O Gott, wenn jetzt so ein Gottstehunsbei herkäme, und ich— keinen Weihbrunn, dreimal consekriert*, kein Kruzifix, — waswerde ich tun?!

* geweiht, eingesegnet

Und auf einen Bischof soll der Gottstehunsbei eine ganzbesondere Passion haben! — Oh, oh, oh (bebend vor Angst), dasist ja eine ganz verzweifelte Geschichte! Ich glaube gar, es stelltsich bei mir schon Heulen und Zähneklappern ein?

Ich werde dies mein Bischofsgewand ablegen, da wirdGottstehunsbei mich nicht erkennen! Aber damit hätte Gott-stehunsbei vielleicht noch mehr Gewalt über unsereinen?! — Oweh, o weh, was ist der Tod doch für ein schreckliches Ding!

57

Page 58: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 9

Ja, wenn ich nur ganz tot wäre, da hätte ich auch keineFurcht; aber eben dieses Lebendigsein nach dem Tode, das ist es!O Gott, steh mir bei!

Was etwa geschähe, so ich mich weiterbegäbe? Nein, nein,ich bleibe! Denn was hier ist, das weiß ich nun aus der kurzenErfahrung; welche Folgen aber nur ein rätselhafter Tritt weitervor- oder rückwärts hätte, das wird allein Gott wissen! Daher willich in Gottes Namen und im Namen der seligsten Jungfrau Marialieber bis auf den Jüngsten Tag hier verharren, als mich nur umein Haarbreit vor- oder rückwärts bewegen!"

Die weiteren Begebenheiten und die Führung dieses inseiner Art recht frommen Mannes werden weiter gezeigt werden.

Vorstehende Sterbeszene ist das Anfangskapitel desJenseitsbandes "Bischof Martin", der die Jenseitsführung einesBischofs von dessen Übertritt in die jenseitige Welt bis zu seinerhimmlischen Vollendung schildert.

Was geschah nun nach diesen ersten nach seinem Tode inder jenseitigen Welt gemachten Erfahrungen mit dem Bischof? —Es begann ihn immer mehr zu langweilen, ihm schien inzwischeneine ganze Ewigkeit vergangen, und er war froh, als er endlichGesellschaft bekam in Petrus, der sein geistiger Führer war undden er zunächst für einen Amtsbruder hielt. Petrus belehrteMartin, gab ihm Ratschläge aus dem Evangelium und hielt ihnzum Dienen an, wobei jeder Dienst so gestellt war, dass Marindaran seine alten, aus dem irdischen Leben mit herüber-gebrachten Schwächen überwinden sollte. Dann verließ ihn derFührer, damit Martin in seinen Entscheidungen unbeeinflusstbleibe.

Martin aber wähnt sich mit der Länge der Zeit von seinemFührer schmählich im Stich gelassen und gerät darüber in immergrößeren Zorn. Statt in aller Demut den ihm vom Führergewiesenen "Weg im Namen des Herrn" zu wandeln, wendet er

58

Page 59: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 9

sich dem "Abend" zu und gerät da, in der Nähe der"Mitternacht", in immer größere Nacht und Finsternis. SeinSeelenzustand lässt ihn durch eine sumpfige Gegend irren, bis erschließlich im Gefühl tiefster Verlorenheit an ein Meer kommt,wo es für ihn kein Vor- und kein Rückwärts mehr gibt. In dieserAusweglosigkeit kommt ihm der Herr Selbst in der Gestalt einesfreundlichen Schiffsmannes zu Hilfe und nimmt ihn in seinrettendes Schifflein auf.

Es entwickelt sich ein Gespräch, das Martins innerenSeelenzustand enthüllt und ihn zur reuigen Selbsterkenntnis undUmkehr führt.

Nachfolgend der Dialog im Auszug, Kapitel 2:

(Der Herr als der Schiffsmann antwortet Martin, der sichbittewrlich über die Ungerechttigkeit seines Schicksals beklagt:)

"Es mag wohl recht misslich sein, sich lange dauernd alleinzu befinden; aber ein solch länger andauerndes Alleinsein hatdoch wieder sehr viel Gutes! Denn man gewinnt da Zeit, über somanche Torheiten nachzudenken, sie zu verabscheuen und ganzabzulegen und aus sich hinauszubannen. (...) Daher war deingegenwärtiger Zustand für dein Gefühl wohl ein sehr misslicher,aber für dein Wesen keineswegs ein unglücklicher. Denn siehe,der Herr aller Wesen sorgte dennoch für dich, sättigte dich nachMaß und Ziel und hatte mit dir eine große Geduld!

du warst auf der Welt ein römischer Bischof, was ich wohlweiß, und verrichtetest dein heidnisches Götzenamt zwar demBuchstaben nach wohl sehr strenge, obschon du innerlich nichtsdarauf hieltest; aber so etwas kann doch deiner eigenenBeurteilung nach bei Gott, der allein auf das Herz und dessenWerke sieht, unmöglich einen Wert haben! Zudem warst du sehrstolz und herrschsüchtig und liebtest trotz deines geschworenenZölibates das Fleisch der Weiber über die Maßen! Meinst duwohl, dies könnten gottwohlgefällige Werke sein? (...)

59

Page 60: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 9

Hast du je gesagt in deinem Herzen: Lasset die Kleinen zumir kommen!? — O siehe, nur die Großen hatten bei dir einenWert!

Oder hast du je ein armes Kind in Meinem Namenaufgenommen und hast es bekleidet, gespeist und getränkt? Wieviel Nackte hast du wohl bekleidet, wie viel Hungrige gesättigt,wie viel Gefangene frei gemacht? — O sieh, Ich kenneniemanden davon; wohl aber hast du Tausende in ihrem Geiste zuharten Gefangenen gemacht und hast der Armut nicht selten durchdein Verfluchen und Verdammen die tiefsten Wunden geschlagen,während du den Großen und Reichen Dispense über Dispense*erteiltest — natürlich für Geld, nur manchmal bei sehr großenWeltherren aus einer Art großimponierender Weltfreundschaftumsonst! Meinst du wohl im Ernste, dass Gott derlei Werkeangenehm und wohlgefällig sein könnten und du darum sogleichnach deines Leibes Tode hättest sollen von Mund auf in denHimmel aufgenommen werden?

* Befreiung über Befreiung

Ich, dein Rettmann, sage dir das aber nicht, um dich zurichten, sondern darum nur, um dir zu zeigen, dass der Herr an dirkein Unrecht tat, so Er dich hier scheinbar ein wenig im Sticheließ; und dass Er dir sehr gnädig war, darum Er nicht zuließ, dassdu sogleich nach deinem Absterben vor Gott wohlverdienter-maßen zur Hölle hinabgefahren wärest!

Bedenke das und schmähe nicht mehr deinen Führer, sonderndenke in aller Demut, dass du von Gott aus nicht der geringstenGnade wert bist, so kannst du sie wieder finden! Denn so sich diegetreuesten Knechte als schlecht und unnütz betrachten sollen,um wie viel mehr du, der du noch nie etwas dem Willen GottesGemäßes getan hast!"

Spricht darauf der Bischof: "... Es ist alles buchstäblich wahr.Aber was lässt sich nun tun? Ich fühle nun sicher die tiefste Reueüber all das Begangene; aber mit aller meiner Reue lässt sich dasGeschehene nimmer ungeschehen machen, und somit bleibt auch

60

Page 61: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 9

die Schuld und die Sünde unverrückbar, die da ist der Same unddie Wurzel des Todes. Wie aber lässt sich in der Sünde des HerrnGnade finden? — Siehe, das scheint mir ein völlig unmöglichDing zu sein.

Darum meine ich also, indem ich nun vollkommen einsehe,dass ich sogestaltig ganz für die Hölle reif bin: Die Sache lässtsich auf keine andere Weise ändern, außer ich würde durch eineallmächtige Zulassung Gottes mit meinem gegenwärtigen Gefühlnun noch einmal auf die Erde gesetzt, um daselbst so viel alsmöglich meine Fehler wieder gutzumachen. Oder — da ich vorder Hölle denn doch eine zu entsetzliche Furcht habe — der Herrmöchte mich für die ganze Ewigkeit als ein allergeringstes Wesenin irgendeinen Winkel stecken, wo ich als ein allergeringsterLandmann mir auf einem mageren Boden den nötigsten Unterhaltmit meiner Hände Arbeit erwerben könnte. Dabei leistete ich javon ganzem Herzen gerne Verzicht auf irgendeine höhereBeseligung, indem ich mich selbst für den allergeringsten Graddes Himmels bei weitem zu unwert halte.

Das ist so mein Gefühl; denn meine Meinung kann ich'sdarum nicht nennen, weil ich's empfinde, dass das nun derinnerste Anspruch meines Lebens ist. Es ist auf der über Hals undKopf vernagelten Welt wohl auch nichts mehr zu machen; dennder allgemeine Zug des Stromes ist nun durch und durch schlecht,so dass es beinahe zur Unmöglichkeit wird, gut zu sein als einSchwimmer wider den Strom.

Ich meine nicht, als sollte Er mir meine große Schuld darumfür geringer ansetzen, als sie in Wirklichkeit ist, sondern eineBerücksichtigung möchte ich darum, weil die Welt wirklich Weltist, mit der selbst beim besten Willen nichts zu machen ist; undweil man am Ende auch den guten Willen verlieren muss, ihr zuhelfen, da man zu klar einsieht, dass man ihr gar nicht helfenkann.

Mein geliebtester Retter, sei mir darob nicht gram; denn ichredete nun, wie ich's bisher verstand und einsah. Du wirst es

61

Page 62: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 9

sicher besser verstehen und wirst mich darüber belehren; denn ichhabe aus deinen Worten entnommen, dass du voll wahrer,göttlicher Weisheit bist und mir eine rechte Auskunft geben wirst,was ich zu machen habe, um wenigstens nur der Hölle zuentgehen.

Dazu gebe ich dir auch noch die Versicherung, dass ichdeinem Wunsche nach meinem früheren Führer von ganzemHerzen vergebe! Denn ich war ja auch nur darum ärgerlich aufihn, da ich bis jetzt noch nicht innewerden kann, was er mit mirfür einen eigentlichen Plan hatte! Er ließ es zwar wohl sehrunbestimmt durchleuchten, was er mit mir vorhaben könnte; aberdieses überlange Verlassen meiner Person von seiner Seite musstemich am Ende über ihn doch ärgerlich machen! Aber nun ist allesvorbei, und so er jetzt herkäme, würde ich ihm deinetwegenaugenblicklich um den Hals fallen und ihn abküssen wie ein Sohnseinen lange nicht gesehenen Vater!"

Der Herr als der Schiffsmann: "Höre mich nun an und merkegenau, was Ich dir sagen werde!

Siehe, wohl weiß Ich, wie die Welt beschaffen ist, weil Ich esauch weiß, wie sie zu allen Zeiten beschaffen war. Denn wäre dieWelt nicht arg oder wenigstens nur manchmal besser als einanderes Mal, so hätte sie den Herrn der Herrlichkeit nichtgekreuzigt! Da ihr großböser Mutwille aber schon solches tat amgrünen Holze, um wie viel weniger wird er des dürren Reisigsschonen! Daher gilt für die Welt ein für alle Male das, was ausdem Munde des Herrn im Evangelium geschrieben steht undlautet:

In diesen Tagen — d.h. in der Zeit der Welt — braucht dasHimmelreich Gewalt; nur die werden es besitzen, die es mitGewalt an sich reißen! Eine solche moralische Gewalt aber,Freund, hast du dem Himmelreiche wohl nie angetan. Darumdarfst du die Welt eben auch nicht zu sehr anklagen, indemMeines höchst klaren Wissens du es zu allen Zeiten bei weitemlieber mit der Welt als irgend mit dem Geiste gehalten hast! Denn

62

Page 63: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 9

in diesem Punkte warst du eben einer der Hauptgegner allergeistigen Aufklärung, ein Feind der Protestanten und verfolgtestsie ob der vermeintlichen Ketzerei mit Hass und bitterstemIngrimm! (...)

Du wirst nun hoffentlich einsehen, dass hier, wo nichts alsdie reinste Wahrheit, mit der ewigen Liebe geeint, nur gilt, mit alldeinen Entschuldigungen nichts erreicht wird — außer mit deralleinigen Mea quam maxima culpa*! Das ist allein recht, allesandere gilt vor dem Herrn nichts! Denn das wirst du wohlzugeben, dass Gott die Welt in ihren kleinsten Fibern besser kenntvon Ewigkeit her, als du sie je erkennen wirst. Darum wäre esauch der größte Unsinn, so du Gott dem Herrn zu deinerEntschuldigung beschreiben wolltest, wie sie ist; obschon dusagst, dass du das nicht zu deiner Entschuldigung sagst, sondernnur, dass der Herr mit dir eine Rücksicht nehmen solle — ohnedabei im geringsten zu bedenken, dass du selbst ein Hauptwelt-schlechtermacher warst!

* meine sehr große Schuld

Inwieweit du als ein Weltgefangener Rücksicht verdienst,wird sie dir nicht um ein Haar entzogen werden; aber in allemdem, was du ihr nun anwirfst, nicht die allergeringste! Was dieWelt dir schuldet vor Gott, das wird mit einer kleinen Rechnungabgetan sein. Aber deine Schuld wird so kurz nicht ablaufen,außer du bekennst sie selbst reumütigst und bekennst auch, dassnie du — der du allzeit schlecht bist und warst —, sondern alleinnur der Herr alles wieder gutmachen und dir vergeben kann deineSchuld.

Du hast wohl eine große Furcht vor der Hölle, weil du dichin deinem Gewissen ihrer wert fühlst und meinst, Gott werde dichda hineinwerfen wie einen Stein in einen Abgrund. Du bedenkstaber nicht, dass du nur deine eingebildete Hölle fürchtest, aber ander wirklichen ein großes Wohlgefallen hast und nicht herauswillst in der Fülle!

63

Page 64: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 9

Siehe, alles, was du bisher noch gedacht hast, war mehr oderweniger Hölle im eigentlichsten Sinn! Denn wo nur noch einFünklein Selbstsucht herausschaut und Eigendünkel und Be-schuldigung anderer, da ist Hölle; wo der fleischliche Sinn nochnicht freiwillig verbannt wurde, da ist noch Hölle! Bei dir aberhaftet das alles noch; somit bist du noch sehr stark in der Hölle!— Siehe, wie eitel da deine Furcht ist!

Der Herr aber, der Sich aller Wesen erbarmt, will dich darauserretten — und nicht nach deiner römischen Maxime noch tieferhineinverdammen! Daher sage fürder auch nicht vom Herrn, dassEr den durchaus in die Hölle Fahrenwollenden sage: 'So du denndurchaus zur Hölle willst, so sei's!'

Siehe, das ist eine sehr frevelnde Behauptung von dir! Dubist eben einer, der schon gar lange der Hölle nicht entsagen will;wann aber hast du von seiten des Herrn ein solches Gericht überdich vernommen?

Bedenke diese Meine Worte wohl und kehre dich danach indir, so will Ich dies Schifflein also lenken, dass es dich aus deinerHölle in das Reich des Lebens bringen soll. Es sei!"

Spricht nun unser Mann: "O lieber Freund, ich muss es dirleider offen gestehen, dass es mit mir gerade so steht, wie du esmir nun ohne Vorenthalt meiner Sünden kundgetan hast. Und ichsehe es ein, dass ich dagegen auch nicht die geringste Ent-schuldigung vorbringen kann; denn alles trifft mich rein ganzallein! Aber nur das möchte ich noch von dir erfahren, wohin dumich nun bringen wirst, und was wird mein ewiges Los sein?"

Spricht der Schiffsmann: "Frage dein Herz, deine Liebe! Wassagt diese? Was ist ihre Sehnsucht? Hat dir diese aus deinemLeben heraus ganz bestimmt geantwortet, so hast du dann schonin dir selbst dein Los entschieden, denn jeder wird von seinereigenen Liebe gerichtet!"

Spricht der Bischof: "O Freund, so ich nach meiner Liebegerichtet würde, da käme ich Gott weiß wohin! Denn in mir gehtes noch gerade so zu wie im Gemüte eines modesüchtigen

64

Page 65: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 9

Weibes, das da in einem irdischen Modeverkaufsgewölbe vor sichhundert Modestoffe hin und her mustert und am Ende nicht weiß,was es nehmen soll! Meinem innersten Gefühle nach möchte ichbei Gott, meinem Schöpfer sein. Aber da treten mir meine vielenund großen Sünden in den Weg, und ich sehe dann die Reali-sierung solches meines Wunsches für rein unmöglich an!

Darauf denke ich wieder an jene schon diesweltlichenabenteuerlichen Schafe und Lämmer (die jungen Frauen seinesersten jenseitigen Prüfungserlebnisses); mit einem solchen Schafewäre es gerade auch nicht unangenehm in Ewigkeit zu leben!Aber da sagt mir wieder ein innerer Mensch: So etwas wird dichGott ewig nie näherbringen, sondern dich stets mehr nur von Ihmentfernen!, — und damit sinkt auch dieser mein Lieblingsgedankeins Grundlose dieses Meeres!

Wieder kommt mir der Gedanke, irgendwo in einem Winkeldieser ewigen Geisterwelt als ein schlichtester Landmann zuleben und nur wenigstens einmal die Gnade zu besitzen, Jesus zusehen, wenn auch nur auf einige wenige Augenblicke! Aber daermahnt mich wieder mein loses Gewissen und spricht: 'Dessenbist du ewig nicht wert!', — und ich sinke wieder zurück in meinmit allen Sünden behaftetes Nichts vor Ihm, dem Allerheiligsten!

Nur ein Gedanke kommt mir am wenigsten schwer undunmöglich zu realisieren vor, und ich muss gestehen, dass dasnun meine Lieblingsidee ist: nämlich bei dir, wo du auch seinmagst, die ganze Ewigkeit zu sein und zuzubringen! Obschon ichauf der Welt diejenigen am wenigsten leiden konnte, die eswagten, mir die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, so habe ich aberdich eben dadurch nun über alles liebgewonnen, weil du mir dieWahrheit wie ein allerweisester, aber auch wie ein allersanftesterRichter offen ins Gesicht gesagt hast. Bei dieser Lieblingsideeaber werde ich auch verbleiben in Ewigkeit!"

Spreche Ich: "Nun gut, wenn das deine Hauptliebe ist, vonder du dich in der Folge aber noch tiefer überzeugen musst, sokann sie sogleich ausgeführt werden! Siehe, wir sind nun nicht

65

Page 66: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 9

mehr fern von einem Ufer und ebensowenig ferne von MeinerWohnhütte. Mein Geschäft kennst du nun schon, dass ich einLotse bin im vollsten Sinne des Worts?! Du wirst nun diesGeschäft mit Mir teilen; den Lohn für unsere Bemühungen wirduns unser Grundstückchen bringen, das wir in geschäftsfreienAugenblicken nach Möglichkeit emsig bearbeiten wollen. Undsieh dich um, neben dir wirst du noch jemanden finden, der dagetreu mit uns halten wird!"

Der Bischof sieht sich auf dieser Seefahrt zum ersten Mal umund erkennt sogleich den Engel Petrus (seinen vermisstenFührer); er fällt ihm um den Hals und bittet ihn um Vergebung obder angetanen Schmähungen. Petrus erwidert die gleiche Liebeund preist den Bischof glücklich, dass sein Herz diese Wahlgetroffen hat aus seinem innersten Herzengrunde.

Das Schiffchen stößt nun ans Ufer, wo es an einem Stockbefestigt wird, und wir alle drei gehen in die Hütte.

Bisher aber war es gleich stets mehr dunkel als hell. In derHütte fing die Dunkelheit jedoch mehr und mehr an sich zuverlieren, und eine wohltuende Dämmerung verscheuchte nachund nach stets mehr die frühere Nacht — natürlich vor den Augendes Bischofs nur, denn vor Meinen (des Herrn) und des EngelsPetrus Augen war es stets der allerhellste, ewige, unvergänglicheund unveränderliche Tag!

Dass es aber nun auch vor den Augen des Bischofs zudämmern anfing, geschah aus dem Grunde, weil in seinemInnersten die Liebe aufzutauchen begann, nachdem durch MeineGnade der Bischof eine große Menge irdischen Unflates freiwilligaus sich hinausgeschafft hatte und noch fortschafft.

(Das Weitere ist nachzulesen im Buch "Bischof Martin —seine Führung im Jenseits".)

66

Page 67: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10Der Arme

16. Oktober 1848

Hier folgt als weitere kurzgefasste Szene aus demGeisterreich der Tod oder eigentlich Austritt aus diesem irdischenPrüfungsleben in das wahre ewige Geistesleben eines armenTagwerkers, desgleichen Menschen die Großen der Welt nun"Luder", "Kanaille" und "elendes Lumpengesindel" nennen.

Da gehet mit Mir in ein ärmstes Stübchen, das mehr demLoch eines Bären als einem für Menschen bewohnbaren Zimmergleicht. Kaum zwei Kubikklafter beträgt der innere Raum. Einestark schadhafte Tür führt in dieses Loch, das über der Tür einezwei Spannen lange und eine Spanne hohe Öffnung hat, durch dieein von einer schmutzigen Stallmauer eines nachbarlichenReichen sehr gebrochenes und geschwächtes Licht fällt und desLoches innere Räumlichkeit gerade soviel erleuchtet, dass sichdessen sieben Bewohner nicht die Augen gegenseitig verletzenmögen. Dieses Prachtstück von einem Wohnzimmer hat wederOfen noch Herd; des letzteren Stelle vertritt in einem Winkel einschmutzigster, unbehauener, kaum ein Fuß hoher Kalkstein, aufdem die armen Bewohner dieses wahren "Bärengrabes" sich einspärliches Mahl kochen, so sie so glücklich sind, sich dazu durchArbeit und Betteln das nötige Material zu verschaffen.

Notabene: Für diese "herrliche" Wohnung müssen dieseArmen einem reichen Hausherrn monatlich 1 fl. 30 kr. Mietebezahlen und sind damit sogar noch sehr zufrieden, weil ihrHausherr sie wenigstens nicht zu sehr betreibt, so sie denMietzins nicht sogleich am Ersten des Monats bezahlen können,

67

Page 68: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

sondern ihnen oft sogar vierzehn Tage zuwartet. Ja ihr Hausherrist sogar "so gut", dass er ihnen wegen der Erkrankung ihresarmen, siebzig Jahre alten Vaters 30 Pfund schimmeligesRoggenstroh um 20 Kreuzer hat zukommen lassen und hat auf dieBezahlung ebenfalls zehn volle Tage gewartet! Wahrlich, so ein"herzensguter" und "geduldiger" Hausherr wird doch einst auchbei Mir, dem Herrn, auf Erbarmung und Geduld Ansprucherheben können!?

Nun sehet, dort in dieses Loches finsterstem Winkel liegt aufdem "frischen" 20-Kreuzer-Stroh eben unser armer Tagwerks-mann. Bei einer schweren Bauarbeit fiel er vor einigen Jahren voneinem schlechten Gerüst und brach sich zwei Rippen und einenArm. Er wurde wohl in ein Armenspital gebracht, dort aberärztlich ein halbes Jahr tyrannisiert und darauf, höchst schlechtgeheilt, unter ärztlichem Parere* als Genesener entlassen.

* Gutachten

Von da an siech, schwach und somit zu keiner schwerenArbeit mehr fähig, behalf er sich mit seinem ebenfalls krankenund schwachen Weibe und mit fünf weiblichen Kindern, darunterdas älteste vierzehn Jahre zählt, durch allerlei kleine Arbeiten, dieseinen Kräften angemessen waren, und manchmal wohl auchdurch irgendeine milde Spende, die entweder sein Weib oderseine Kinder dann und wann von einem seltenen weicherenHerzen erbettelten. Alter, Schwäche, Kälte und schlechteste Kost,wie eine zurückgebliebene krebsartige Rippenwunde warfen ihnnun auf dieses elendeste Krankenlager, auf dem wir ihnbesuchend nun ersehen.

Abgemagert wie eine ägyptische Mumie aus der Zeit derPharaonen, voller Schmerzen am ganzen Leibe, dessen Hüfte,Steißbein und wenigstens um einen Zoll hervorragendes Rückgratganz wund sind von dem harten Lager, dazu noch mit demleersten, aller Speise entblödeten Magen, — so voll brennendenHungers spricht er mit sehr gebrochener Stimme zu seinemWeibe: "Mütterchen, hast du gar nichts mehr? Kein Stückchen

68

Page 69: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

Brot? Keine warme Brühe? Keine gekochten Erdäpfel? — OGott, o Gott! Wie bin ich doch gar so entsetzlich hungrig! VorSchmerzen kann ich mich nimmer rühren, und dazu noch solchein Hunger! O mein Gott, mein Gott! Erlöse mich doch endlicheinmal von dieser Qual!"

Spricht das Weib, das vor Mattigkeit und Hunger auch kaummehr zu stehen vermag: "O du mein armer, liebster Mann! Schonum sechs Uhr heute morgen sind die drei ältesten Kinderausgegangen, bei guten, mitleidigen Menschen etwas zu erbitten,und nun ist's schon drei Uhr nachmittags und noch kommt keineszurück! Ich zittere am ganzen Leibe vor Furcht und Angst, dassihnen etwas Übles begegnet ist. O Jesus und Maria! Wenn sievielleicht gar ins Wasser oder in die unbarmherzigen Hände derPolizei geraten sind!? Ich zittre an Händen und Füßen! — Jesusstärke dich unterdessen; ich will mit Gottes Hilfe alle meineKräfte zusammenraffen und gerade zur Polizei gehen und danachfragen, ob sie dort nicht wissen, wohin etwa doch unserearmen Kinder gekommen sind!"

Spricht der Kranke: "Ja, ja, liebe Mutter, gehe, gehe, — mirist auch schon über alle Maßen angst und bange! Aber bleibe janicht lange aus, und bringe mir etwas zu Essen mit, sonst sterbeich vor Hunger! Bedenke, — schon zwei volle Tage sind es, wowir alle nichts gegessen haben. Wenn die drei armen Mädel nuretwa nicht vor Mattigkeit irgendwo liegengeblieben sind!? — Omein Gott, o mein Gott, so muss doch alles Elend über michkommen!"

Das Weib geht fort, und wie sie kaum auf die Gasse kommt,da ersieht sie auch schon einen Amtsschergen, der die drei Kindervor sich hertreibt. Die Mutter, solches ersehend, macht einenSchrei des Entsetzens und spricht, die Hände übers Haupterhebend: "Gerechter Gott! O Jesus! Das sind ja meine armenKinder!"

Die Kinder keuchen der Mutter ganz verweint zu: "O Mutter,Mutter! Dieser wilde Mensch hat uns in einer Gasse, wo wir

69

Page 70: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

einen Menschen um ein Almosen für unsern sterbenskrankenVater anbettelten, abgefangen, hat uns dann in ein finsteresZimmer eingesperrt, und weil er uns schon öfter betteln gesehenhabe, so kam er dann mit einem noch abscheulicheren Menschen,der wie ein Herr ausschaute; der ließ uns dann, trotzdem wir ihnauf Knien baten, so mit Ruten hauen, dass wir am Hinterleibeganz blutig sind! Darauf fragte er uns hart, wo wir wohnten, undals wir ihm vor Schmerz kaum unsere Wohnung angebenkonnten, da gebot er dann diesem wilden Menschen, der uns soschrecklich geschlagen hat, dass er uns nach Hause bringen solle.— O Mutter, Mutter, das tut erschrecklich weh!"

Die Mutter, kaum der Sprache mächtig, seufzt tief zu Mirauf, sagend: "O Herr, Du gerechtester Gott! Wenn Du lebst, wiekannst Du solche Gräuel ansehen und sie ungestraft geschehenlassen? O mein Gott, mein Gott, wie kannst Du solch ein Elendüber uns kommen lassen!?" Darauf weint sie bitterlich. DerPolizeimann aber verweist der Mutter, also auf der Gasse zuräsonieren, um die Vorübergehenden auf sich aufmerksam zumachen, und gebietet ihr, sich sogleich in ihre Wohnungzurückzuziehen.

Die Mutter entschuldigt sich als Mutter und spricht weinend:"O Herr, kann ich wohl anders als weinen? Mein siebzigjähriger,auf den Tod kranker Mann liegt überhungrig auf purem Stroh; wiralle haben zwei Tage nichts gegessen. Diese Spätherbstzeit ist naßund schon sehr kalt, und wir haben kein Spänchen Holz, um unsunsere feuchte und kalte Wohnung zu erwärmen. Ich selbst binschwach und krank. Diese drei Mädchen waren unsere einzigeStütze, und diese habt ihr uns zu Krüppeln geschlagen! O Gott!Wie sollte ich dazu schweigen können? Wie könnt ihr mir dasgerechte Weinen verbieten? Seid ihr denn kein Mensch, keinChrist?!"

Hier will der Polizeimann sie zurückschieben; aber hintereiner Ecke springt ein herzhafter Mann hervor und schreit zumPolizeimann: "Halt Freund! Bis hierher und nicht um ein Haar

70

Page 71: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

mehr weiter! — Hier hast du arme Mutter 30 fl.; verpflege dichdamit so gut als du magst. Du gefühllosester Henkersknecht aberentferne dich sogleich von dannen, sonst treibe ich ein paarKugeln durch deinen Tigerschädel!"

Der Polizeimann will den Wohltäter für diese Drohungarretieren; aber der Fremde zieht sogleich eine scharf geladenePistole aus der Brusttasche seines Rockes und hält sie demSchergen entgegen, der es nun freilich für rätlicher hält, sichschleunigst zu entfernen, als sich von diesem nun ganz entsetzlichernst aussehenden Manne etwas vorschießen zu lassen.

Nachdem der Polizeischerge aus dem Gesichte ist, geht auchdieser Mann ganz still und gelassen seinen Weg weiter. DieMutter und die drei Kinder werfen ihm noch weit ihreDankesküsse nach. Und die Mutter, von ihren drei geschlagenenTöchtern, die ihren Schmerz ob dieses Wohltäters völligvergessen haben, unterstützt, eilt sogleich in die nächste Schenkeund kauft Brot, etwas Wein und Fleisch. Der Kellner machtfreilich eine etwas bedenkliche Miene, als er von diesem armenGesindel eine 10 fl.-Banknote zu wechseln bekommt. Aber erdenkt sich: Geld ist Geld, ob gestohlen oder auf eine ehrliche Arterworben, wechselt der Armen die Banknote und verabreicht ihrdas Verlangte.

Damit nach Hause eilend, finden sie den armen Mannweinend vor Schmerz und Hunger. Die Mutter gibt ihm sogleichetwas Brot und Wein, und die älteste Tochter springt zu einemnächsten Kreisler* und kauft um ein paar Groschen Holz, Feuer-zeug und auch ein halbes Pfund Kerzen.

* Händler

Als sie damit nach Hause kommt, findet sie zu ihremEntsetzen zwei Polizeischergen vor der Tür des Armen, die nuneiligst zurückgekehrt sind, den wohltätigen Mann entweder nochhier zu treffen oder, im entgegengesetzten Falle, sich bei demarmen Weibe möglicherweise von dem Stande und der Wohnung

71

Page 72: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

dieses Mannes in Kenntnis zu setzen. Und würde das Weib nichtRede und Antwort geben, so solle sie arretiert werden.

Mit diesem "löblichen" Vorhaben, vom Polizeiamt dahinbeordert, treten sie mit dem armen Mädchen in die finstere Stube,sogleich ein Licht verlangend und das Weib bedrohend, überjenen Mann volle Auskunft zu geben, widrigenfalls sie mit ihnenauf das Polizeiamt gehen müsse. Das arme Weib, solches ver-nehmend, sinkt vor Angst zusammen. Die älteste Tochter, auchbebend vor Angst, macht das verlangte Licht, und die zweiSchergen, den Kranken auf dem Boden nahezu nackt, nur mitdürftigsten Lumpen teilweise bedeckt ersehend, schaudernanfangs wohl etwas zurück, ermannen sich aber bald und fragendas halbtote Weib um des bewussten Mannes Stand und Wohnort.

Das Weib bebt und ist keiner Antwort fähig. Die beidenSchergen halten diesen Zustand für Tücke, reißen das Weib vomBoden und wollen es sogleich einführen. Der kranke Mann unddie fünf Kinder bitten um Gnade und Erbarmen, aber die beidenhandeln stumm ihr "schönes" Amt.

Aber im Augenblick, als die zwei Schergen das Weib schonan der Türschwelle halten, kommt unser Mann mit noch dreikräftigen Gehilfen. Sie entwinden zuerst das vor Angst halbtoteWeib den Händen dieser zwei Schergen und hauen diese dannganz weich durch, so dass sie kaum gehen können, und bedrohensie, wie ihr ganzes Amt darauf, sagend: "Im Namen Gottes! So ihrelenden Bestien es noch einmal waget, diese heilige Stätte zubetreten, in der Gottes Engel wohnen, da erwartet von uns diefürchterlichste Rache! Wir sind nicht Menschen und Wesen dieserWelt, sondern wir sind Schutzgeister dieser Engel, die hier dieProbe des Fleisches durchmachen!"

Darauf verschwinden die vier Helfer. Die zwei Schergen aberziehen auch, nun ganz nüchtern, von dannen, um nicht wieder-zukommen.

Das Weib erholt sich darauf bald und sorgt nun — Mir fürdiese Rettung dankend —, dass der dem Ende sehr nahe Mann

72

Page 73: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

eine warme Suppe bekomme. Die Suppe ist bald fertig und wirddem alten Manne unter tausend Segnungen dargereicht, der sie,Mir und den Seinen dankend, mit großem Appetit verzehrt.

Dadurch etwas gestärkt, spricht er zum Weibe und zu seinenKindern: "Du, mein teures Weib, und ihr, meine geliebtestenKinder, habt nun meinetwegen viel ausgestanden. Aber ihr habteuch dabei auch sichtbar überzeugt, dass des Herrn Hand für euchstritt und eure Feinde wie einen schlechten Spukgeist von dannentrieb. Vertrauet also fortan auf den Herrn; Er wird euch dann amnächsten sein, wenn eure Not am höchsten sein wird! — Vergebetallen, die gegen uns und besonders gegen euch hart waren; siesind maschinenmäßige Werkzeuge einer blinden, herrsch-süchtigen Polizeiamtsherrschaft und tun, ohne zu forschen und zuwissen, was sie tun. Der Herr allein soll ihr Richter sein!

Ertraget euer Kreuz mit Geduld und sucht nie ein Glückdieser Welt; denn Glückskinder dieser Welt sind keineGotteskinder. Was da herrlich ist in dieser Welt, das ist vor Gottein Gräuel! Fürchtet euch vor nichts so sehr wie vor demWeltglücke, denn dieses ist das größte Unglück für den Geist.

Sehet, was hätte oder was möchte es mir nun genützt haben,so ich einer der reichsten Erdenbürger wäre? Nun am Randemeiner irdischen Laufbahn hätte ich nichts als den sicherenewigen Tod vor mir. — Aber wie ganz anders steht es nun mitmir! Der Tod hat seine Schrecken vollends ausgezogen; für michgibt es keinen Tod mehr! Schon bin ich erlöst von allen meinenirdischen Leiden, und vor mir steht schon weit geöffnet dieherrliche Pforte in das Reich Gottes!

Sehet, mein Leib, dieser abgenützte Sattel der Seele zurTragung des Gotteskreuzes, liegt nun schon kalt und tot auf demharten Strohlager. Aber ich, Seele und Geist, der ich diesen nuntoten, von mir abgefallenen Leib siebzig Jahre lang bewohnte, binnun frei, lebe schon ein ewiges Leben und habe des Leibes Todweder gesehen noch gefühlt; denn in einem mir kaum bewusstenwunderbaren Augenblick bin ich von meiner beschwerlichen Last

73

Page 74: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

freigemacht worden. Befühlet den Leib und überzeugt euch, dasser schon völlig tot ist. (Das Weib und die Kinder befühlen denLeib und finden ihn kalt und hart und tot.) Und seht, ich lebedennoch und rede mit euch nun viel vollkommener, als ich jegeredet habe!

Der Grund von dem aber ist, dass ich stets an Jesus, denGekreuzigten, geglaubt und soviel es mir möglich war, nachSeinen Geboten gehandelt habe. Wie Er aber gelehrt hat imTempel — nämlich, dass die den Tod nicht sehen und schmeckenwerden, die Sein Wort annehmen und danach leben, so hat sichdas an mir nun auch als ewig wahr bestätigt, denn ich habe denLeib abgelegt, ohne gefühlt zu haben, wie und wann.

Kein Vermögen hinterließ ich euch, meine große irdischeArmut ist euer aller Erbe! Aber freuet euch darob; wüssten dieblinden Reichen der Erde, welch ein Reichtum für den Geist dieirdische Armut ist, sie flöhen ihre Geldsäcke wie die Pest! Aberihre große Blindheit hält das für einen Gewinn, was sie für ewigtötet. So lassen wir sie denn auch wandeln den Weg desVerderbens. Wollt ihr aber am Ende eurer irdischen Reise auch soglücklich sein, wie ich es nun bin, so fliehet das Weltglück undsuchet es nimmer!

Glaubet es mir, der ich nun schon vom Jenseits herüber miteuch rede: Je größer jemandes Kreuz ist und je schwerer zutragen, desto leichter und unfühlbarer wird sein Übertritt vondieser Welt der Materie in die des Geistes sein. Denn alles, wasChristus nachfolgt, muss den Weg des Fleisches wandeln. Allesmuss in Christus gekreuzigt werden und in Ihm sterben, ansonstes in Ihm und durch Ihn ewig zu keiner Erweckung undAuferstehung gelangen kann!

Durch Armut, Not und andere Lebensbeschwernisse aberwird das Fleisch schon in Christus gekreuzigt und getötet; daherwird denn auch ein jeder, der so lebt, wie wir gelebt haben und ihrnoch lebet, da, wo die Reichen am Ende ihres Erdenglücks ganzeigentlich sterben, — erweckt und wird am scheinbaren Sterbe-

74

Page 75: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

lager die schon volle Auferstehung zum ewigen Leben ernten!Denn der in den Willen des Herrn ergebene Arme stirbt beständig,und wenn sein Ziel vollendet ist, da ist er auch schon mit allemTode fertig und kann daher nicht mehr sterben, sondern nurauferstehen in Christus. — Aber ganz anders ist es bei jenemMenschen, der in einem fort seinen Gelüsten gelebt hat. Solch einMensch stirbt am Ziele seines Fleisches wirklich undvollkommen und kann jenseits nur schwer — auch wohl gar nichtund nimmer — erweckt werden.

Das alles behaltet in euren Herzen und seid voll Freude, soeuch die Welt verachtet und euch mit schimpflichen Namenbelegt und euch verfolgt mit allerlei Waffen ihres argen, hartenHerzens. Denn der Herr beobachtet die "Arge" allzeit und kenntihre Pläne! Ich sage euch: Wenn ihr erstehen werdet, da wird siezugrunde gehen. Darum suchet vor allem nur das Reich Gottesund seine Gerechtigkeit; alles andere wird euch umsonsthinzugegeben werden.

Freuet euch daher nie über die Reichen dieser Welt, sondernbedauert sie vielmehr; denn sie alle sind überarm im Geiste. Aberdesto mehr freuet euch derjenigen, die wie ihr in allerlei Kreuzund Nöten sich befinden! Denn solche sterben täglich Christus,um dann am Ende nicht mehr zu sterben, sondern aufzuerstehenzum ewigen Leben in Christus.

Diese meine letzten Worte auf dieser Welt seien euer großerReichtum, den ich euch hinterlasse; von diesem Erbe werdet ihrkeine Steuern zu entrichten haben! — Diesen meinen Leib aberschaffet bald aus dem Zimmer; denn er ist vollkommen tot.Machet aber ja keine Zeremonien dabei, denn alle solcheZeremonien sind vor Gott ein Gräuel. Also dürft ihr auch keineMesse zahlen; denn Gott den Herrn ekelt es vor einem bezahltenGebet. Alles aber, was ihr tut, das sei ein lebendiges Lob demHerrn, darum Er mir eine so große Gnade hat erweisen wollen.Ihm allein sei alle Ehre, alles Lob und alle unsere Liebe ewig.Amen."

75

Page 76: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

Mit diesen Worten verstummt er für diese Welt und ist schonfrüher dem Leibe nach vollkommen tot. –

Alsogleich ersieht er neben sich drei überaus freundlicheMänner in weißer Faltenkleidung stehen, die ihn gar lieblichbegrüßen und ihm die Hände zum ewigen Bruderbunde reichen.Gern und selig und aller irdischen Leiden vergessend reicht erihnen auch die seinigen hin, sich noch über seinem irdischenLeibe wie aufrecht sitzend befindend und sagend: "O ihr lieben,mir noch völlig unbekannten Freunde des Herrn Jesu Christi, wasihr sicher seid! Volle sieben Dezennien, die ich auf der hartenErde verlebte, habe ich wohl — irdisch genommen — weniggute, aber dafür desto mehr kummervolle Tage erlebt, und dieletzten waren wohl die bittersten. Denn in diesen regnete es nurso von Schmerzen und tiefster Not über meine arme sündigeHaut. Aber dem Herrn sei alles aufgeopfert und Ihm allein allesLob und alle meine Liebe ewig dafür! Denn obschon ich wahrlichviel gelitten habe, so hat es aber dennoch nie an zeitweiligenTröstungen gemangelt, die mich wieder im Herzen ganz aufge-richtet und all die körperlich tödlich-bittersten, grässlichenSchmerzen und Wunden des Leibes im Namen des Herrnverachten gelehrt haben. Und nun habe ich mit der großen Gnade,Hilfe und Erbarmung Gottes, des Herrn Jesus Christus, allesüberstanden und erwarte eben in der Geduld, die mir auf Erden sooft alle Leiden milderte, was des Herrn heiligster Wille über michverfügen wird. Ihm allein sei alle meine Liebe, all mein Lob undmeine Anbetung gereicht, — Sein allein heiliger Wille geschehe!"

Spricht einer der drei weißgekleideten Männer: "LieberFreund, was würdest du aber tun, so dich der Herr um Seinergroßen Heiligkeit willen und deiner lässlichen Sünden wegen —und das nach deinem Glaubensbekenntnis — ins Fegefeuer so aufetwa eine unbestimmte Zeit beheißen würde, wo du übergroßeSchmerzen leiden müsstest? Könntest du da auch unter dengrößten Feuerschmerzen den Herrn noch loben und preisen? Undkönntest du Ihn noch lieben?"

76

Page 77: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

Spricht der Arme: "O du lieber Freund! Des Herrn endloseHeiligkeit fordert wohl die größte Reinheit jener Seele, die SeinerAnschauung würdig werden sollte; aber Seine ebenso unendlicheWeisheit und Güte weiß es ja auch, wie viel Schmerz eine armeSeele ertragen kann, und wird sie daher nicht überbürden! —Fordert aber Seine Gerechtigkeit Seiner unendlichen Heiligkeitwegen solches von mir, so geschehe auch da Sein heiliger Wille!Denn ich ersehe auch darin noch Seine große Liebe, die nurdarum solche Reinigung der Seele verordnet, damit diese würdigwerden möchte, zur Anschauung Gottes aufgenommen zuwerden!

Ich sage, der Herr ist allzeit die reinste Liebe, somit endlosgut, und alles, was Er tut, ist gut. Daher geschehe nur ganz alleinSein allerheiligster Wille! Denn so ich auch um Schonung undErbarmung flehen würde, so wäre das sicher nie so gut für mich,als was des Herrn höchste Weisheit und Liebe über michverordnet und bestimmt. Darum sage ich ein für alle ewigenMale: Gelobt sei der Herr Jesus Christus, der da als einiger Herr-Gott mit dem Vater und Heiligen Geiste herrschet und regieretvon Ewigkeit zu Ewigkeit! Sein allerheiligster Name werdegepriesen, und Sein allein heiliger Wille geschehe!"

Spricht der Weißgekleidete: "Da hast du nun vollkommenrecht und wahr gesprochen. Aber bedenke, dass du ohne Beichteund Kommunion gestorben bist; könnte es nicht leicht sein, dass,so du nun vor Christi Richterstuhl hintreten müsstest, eineTodsünde an dir gefunden würde und du im Stande der Ungnade— nach der Lehre deiner Kirche — in die Hölle auf ewig fahrenmüsstest? Wie würdest du da den Herrn loben und preisen?"

Spricht der Arme: "Freunde, was ich tun konnte, das habe ichsicher getan. Dass ich am Ende nicht beichten konnte, war janicht meine Schuld. Und vor drei Wochen habe ich ohnehingebeichtet, wo mir der Beichtvater versicherte, dass ich nun langenicht mehr der Beichte bedürfe. — O Freunde, so ich aberdennoch irgend eine mir unbewusste Todsünde an mir haben

77

Page 78: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

sollte, da wohl bittet den Herrn für mich armen Sünder, dass Ermir gnädig und barmherzig sein möge! Denn in die Hölle zukommen auf ein leidenvolles irdisches Leben, wäre wohl dasAllerschrecklichste! O Herr, Dein Wille wohl geschehe, aber seimir armen sündigen Seele dennoch gnädig und barmherzig!"

Spricht der weiße Mann wieder: "Ja — lieber Freund, mitunserer Fürbitte, im Falle du eine Todsünde an dir hättest, würdesich's vielleicht doch nicht tun. Denn du weißt es ja aus der Lehredeiner Kirche, dass bei Gott nach dem Tode keine Erbarmungstattfinden kann wegen Seiner allervollkommenst strengsten undunwandelbarsten Gerechtigkeit. Zudem hast du auf der Welt jaohnehin nie auf die Fürbitte der Heiligen und auf das Meßopferstets wenig und am Ende sozusagen gar nichts mehr gehalten,wodurch du gegen deine Kirche ohne alle Widerrede als Ketzerdich benommen hast und in ihrem Angesichte zu einem größtenSünder wurdest. Wenn wir da nun auch bei Gott für dich bittenwürden, meinst du wohl, dass dir unsere Fürbitte etwas nützenmöchte? — Warum hast du denn auf die Litaneien der Kirche undauf ihre Seelenmessen — deinem eigenen letzten Bekenntnissenach — nichts gehalten, da du deinen Hinterlassenen die Lehregabst, dass bezahlte Gebete vor Gott ein Gräuel sind, darum siefür dich ja keine Messe zahlen sollen? Da sich aber dies alles beidir doch also verhält, wie sollen wir für dich bei Gott bitten? Wasmeinst du nun in dieser Hinsicht? Wird oder kann dir das wohletwas nützen bei Gott?"

Spricht der Arme voll Geist und voll tiefer Fassung:"Freunde, wer ihr auch sein möget, das ist mir gleich; mehr alsGottes Geschöpfe seid ihr nicht, und das — Gott dem Herrn ewigDank und Liebe! — bin ich auch und glaube, mit euch ebenso freireden zu dürfen, wie ihr mit mir redet.

Ich war auf der Welt wohl sehr arm und elend; aber ichkonnte lesen, etwas schreiben und ziemlich gut rechnen. Sonn-und Feiertage habe ich meistens mit dem aufmerksamsten Lesenund Betrachten der Heiligen Schrift zugebracht. Je mehr ich mich

78

Page 79: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

darin zurechtfand, desto klarer wurde es mir, dass die römisch-katholische Kirche gerade das schroffste Gegenteil von all demtut und getan haben will, was Christus und die Apostel laut denvier Evangelien und den Briefen der Apostel gelehrt und selbstgetan haben. — In einem Brief des Apostels Paulus fand ich sogardie Donnerstelle: 'Und so ein Engel aus den Himmeln käme undlehrte euch ein anderes Evangelium, als das ich euch künde,nämlich von Jesus dem Gekreuzigten, der sei verflucht!' (Gal.1,8)

Diese Sentenz fuhr mir wie tausend Blitze durch die ganzeSeele, und ich dachte und fragte mich: Wie steht es denn beisogestalteten Worten des Apostels mit der Lehre Roms, die dasWort Gottes nicht nur nicht lehrt und es allen Laien verbietet zulesen, sondern lehrt ganz andere Dinge, die ganz dem finsterstenHeidentume gleichen? Wem soll ich nun glauben?

Eine innerste Stimme sprach nahe ganz laut zu mir: 'Glaubedem Worte Gottes!' Und ich tat, wie die innerste Stimmegesprochen hatte.

Mir wurde von Tag zu Tag klarer, dass ich recht tat. Denn ichbegriff es im Herzen und war im Geiste und in der Wahrheit vonallem überzeugt, was ich treu glaubte und tat, — dass die LehreChristi reines und allein wahrstes Wort Gottes ist, in der alleinalles Heil und das ewige Leben zu suchen und zu finden ist!

Gott ist unveränderlich. Wie Er war, so wird Er auch bleibender eine endlos vollkommenste ewige Geist der reinsten Liebe.Wie könnte Er die Kirche in Rom gegründet haben, die nichts alsHaß und Verfolgung, Verderben, Tod und Hölle predigt?* 'Nein,ewig nein!', sprach es in mir, 'wer da richtet und verdammt seineBrüder, der ist selbst gerichtet und verdammt! — Richte undverdamme aber auch du niemanden in deinem Herzen, so wirstauch du nicht gerichtet werden!' — So vernahm ich's, und sohandelte ich auch. Wohl sah ich stets heller, wie Roms Pfaffen mitdem Herrn im Geiste es noch tausend Mal ärger trieben als jene,die Ihn einst wirklich dem Leibe nach kreuzigten; aber ichrichtete sie dennoch nie, sondern sprach allzeit in meinem

79

Page 80: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

Herzen: Herr, vergib ihnen, denn sie alle sind stockblind undwissen nicht, was sie tun!

* Sieh hierzu auch Das große Evangelium Johannis Band 5, Kap. 9

Ich sah und begriff des Herrn endlose Liebe stets mehr undmehr. Daher wuchs aber auch meine Liebe zu Ihm so mächtig inmir, dass alle meine irdischen Leiden sie nicht im geringsten zuschmälern vermochten, sondern stärkten sie nur stets mehr undmehr! Und so sage ich euch nun auch ganz frei und unverhohlen:Christus ist meine Liebe und mein Leben — auch in der Hölle,wenn ich schon von euch aus dahin verdammt sein soll; auch dieHölle wird Ihn mir nimmer rauben!

Wohl weiß ich, dass ich vor Gott als ein unwürdigster Sünderdastehe, und bin nicht würdig, meine Augen dahin zu erheben, woEr, der Allerheiligste, wohnt! Aber saget es mir, wo wohl in derweiten Unendlichkeit Gottes wohnt ein Engel oder ein Mensch,der da sagen könnte gleich dem Herrn: 'Wer aus euch kann micheiner Sünde zeihen?' — Wahrlich, es ist mir seliger zu sagen:'Herr, ich bin der Allerunwürdigste!' als: 'Ich bin Deiner Gnadeder Würdigste!' Ich wie auch sicher ihr können nur sagen — undso wir auch alles getan hätten, was Er zu tun uns geboten hat –:'Herr, wir alle sind Deine unnützesten Knechte gewesen undhaben uns durch nichts Deiner Gnade würdig gemacht. O Herr, oVater! Sei uns daher — Deiner alleinigen endlosen Verdienste umuns Unwürdigste wegen — gnädig und barmherzig!'

Dies zu sagen und zu bitten haben wir allein nur das Recht;alles aber, was darüber ist, halte ich für eine eigentlichste Tod-sünde, zeitlich wie ewig! Nun werdet ihr hoffentlich begreifen,warum ich auf die Litanei und auf die bezahlten Gebete nichtsgehalten habe. Aber für eine wahre Fürbitte nach der Wahrheitund Liebe des Herzens von seiten eines Bruders für den andernwar ich allzeit eingenommen und bat also aus dem Grunde aucheuch darum. Ihr aber könnt tun, was ihr wollt. In allem abergeschehe des Herrn allerheiligster Wille ewig!"

80

Page 81: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

Spricht der Weißgekleidete wieder, innerlich ganz entzücktüber diesen neuen herrlichen Bruder: "Lieber Bruder, wir sehendeinen wahren Ernst, Mut und Eifer um den Herrn, der wahrlichwie ein Fels dasteht. Aber frage dein Herz, ob du dich auch vordem Angesichte des Herrn also zu reden getrauen würdest?"

Spricht der Arme: "Da könnte nur meine übergroße Liebe zuIhm mir wohl die Zunge, aber nie meinen Mut lähmen. Undwahrlich, es gehört gar nicht viel Mut dazu, vor Gott Selbst zubekennen, dass man sich vor Ihm allerwahrst als ein nutzlosesterund somit Seiner Gnade und Erbarmung bedürftigster Knechtanpreiset. — O ich habe Christus noch nie im eigentlichstenSinne gefürchtet; denn ich liebte Ihn zu sehr, als dass ich michvor Ihm hätte fürchten können. — Nur saget mir, ob ich nochlange hier verbleiben werde oder nicht. Ich möchte wohl schonrecht sehr bestimmt wissen, wohin ich mich werde zu begebenhaben!

Spricht der weißgekleidete Mann: "Nur noch eine kleineGeduld, wir müssen noch jemanden deinetwegen erwarten. Sowieder ankommen wird, vom Herrn dein Urteil überbringend, wirstdu sogleich dieser Stelle enthoben werden und wirst dahin ziehen,wohin es der Wille Gottes bestimmen wird. — Siehe, dort vomMorgen her gehet er schon; bald wird er hier sein! — Hast dukeine Furcht vor ihm, der da kommt im Namen des Herrn?"

Spricht der Arme: "O nein! So ich den Herrn Selbst überalles liebe, wie sollte ich den fürchten, den Er zu mir sendet?"

Spricht der weißgekleidete Mann: "Weißt du, lieber Bruder,aber, dass selbst der Gerechteste des Tages siebenmal sündigt,ohne zu wissen, dass er sündigt? Wenn du nun alle Tagezusammenzählst, von deinen zurechnungsfähigen Jahren ange-fangen, und sie mit sieben vervielfältigst, da dürfte doch eineganz bedeutende Menge von Todsünden zusammenkommen,besonders angenommen, dass — nach Ignatius von Loyola —vier kleine auch eine große ausmachen! Und wenn der Bote mit

81

Page 82: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

einer solchen Rechnung zu Wege käme, würdest du dich auchdann nicht fürchten vor dem Boten des Herrn?"

Spricht der arme Mann: "Nein, und noch einmal gesagt:durchaus nein! Ich muss euch, meine lieben Freunde, offengestehen, dass es mich geradewegs freuen würde, als ein rechtgroßer Sünder befunden zu werden! Denn die Sünde erhebt michnicht, sondern sie demütigt mich, und das ist gut und recht. Ichhabe das gar oft auf der Erde empfunden, so ich eine freilichkurze Zeit mir öfter keiner Sünde bewusst war, was bei mirbesonders nach einer Beichte der Fall war, — in solch einemZustande war ich bei mir selbst ganz hochmütig aus vermeint-licher purer sittlicher Unbescholtenheit und sagte auch heimlichbei mir, so ich irgend so einem rechten Lumpen von einemMenschen begegnete: Gottlob, dass ich nicht so bin wie dieser,Gottes und jedes Menschenrechtes vergessende Kerl!

Aber wenn ich bald darauf selbst wieder in irgendeine Sündeverfiel, da dachte ich dann in aller Zerknirschung meinesHerzens, so mir ein anderer Sünder unterkam: Schau, dieser, dendu für einen schlechten Kerl hältst, ist vielleicht vor Gott beiweitem reiner als du. Daher sei Du, o Gott, mir armem Sündergnädig und barmherzig! Denn ich fühle mich nun nicht einmalwürdig, meine Augen zu Deinen Himmeln zu erheben! — Unddas, Freunde, war sicher besser gedacht und eines allzeitigenSünders würdiger, als zu denken und bei sich zu sagen: Herr! Ichbin ein Reiner und habe alle Gesetze beachtet von Kindheit an,daher ich denn nun auch mit vollem Rechte von Dir dieverheißene Belohnung erwarte! –

Freunde, ich weiß aber, dass ich vor Gott ein sündigerMensch bin. Daher bin ich auch nur demütig und erhoffe von Ihmnichts nach irgend einem Verdienste, sondern alles von Seineralleinigen Gnade und Erbarmung.

Ich weiß auch wirklich nicht, was sich Geschöpfe vor demallmächtigen Gott, der allein alles vermag und unserer Hilfe nochnie benötigt hat, für zu belohnende Verdienste hätten sammeln

82

Page 83: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

können?! Haben sie etwa Gott, dem Herrn, Himmel und Erdenerschaffen geholfen — oder die Erlösung vollbringen? Oder hatetwa jemand dadurch Gott, dem allein Heiligen, etwas genützt, soer zu seinem eigenen Besten die vom Herrn gegebenen Gesetzemehr oder weniger beachtet hat? Ich meine, Gott wäre ohne unsebenso vollkommen Gott, wie Er es nun ist, da wir doch nurbestimmt sind, in uns aufzunehmen Seine endlose Gnade,Erbarmung und Liebe, und nicht, Ihm etwa sonstige, ewigunbenötigte Dienste zu leisten.

Sehet, so habe ich allzeit gedacht, denke nun auch so undwerde auch ewig also denken, vorausgesetzt, dass mir ein ewigesDasein fortan zuteil wird! Aus diesem Grunde sehe ich denn auchnicht ein, warum ich mich nun vor dem Boten des Herrn fürchtensollte, weil ich doch keinen Grund finden kann, mich vor demHerrn Selbst zu fürchten. Ja, ich fürchte wohl auch den Herrn,aber nicht wie ein Verbrecher, sondern als ein Liebender, der sichviel zu sündig und unwürdig fühlt, den Herrn mit seinemunreinen Herzen zu lieben nach all seiner Lebenskraft! Was meintihr lieben Freunde nun, habe ich recht oder nicht?"

Spricht der Weißgekleidete: "Wir sehen es nun ganz klar ein,dass du dich von uns nimmer wirst bekehren lassen; deshalbwollen wir dir auch keine weiteren Ungelegenheiten mehrmachen, und überlassen alles dem hierher Kommenden. Siehe, erist schon da!"

Der Bote tritt sogleich überfreundlichen Angesichts zumarmen Manne hin, reicht ihm freundlichst die Hand und spricht:"Erhebe dich, lieber Bruder, über deine sterblichen Reste understehe zum ewigen Leben in deinem Gott und Herrn, den du inJesus Christus stets so innig geliebt hast!"

Der Arme erhebt sich nun sogleich wie vollkommen frei underfüllt mit großer Kraft und Stärke und spricht zum Boten, dersehr einfach und schlicht aussieht: "Erhabener Gesandter desallmächtigen großen Gottes! Ein unbegreifliches Wonnegefühldurchzuckte mein ganzes Wesen, als du mir die Hand reichtest;

83

Page 84: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

das gilt mir auch als ein sicherster Beweis, dass du wahrhaft einBote vom Allerhöchsten an mich armen Sünder gesandt bist. Dadu das nicht nur nach der Vorsage dieser drei Brüder, die mir einegroße Angst und Furcht vor dir eintreiben wollten, sondern nachmeinem nunmaligen eigenen untrüglichen Gefühl wahrhaft bist, oso sage es mir nun gütigst, was ich von dem allergerechtestenRichterstuhle Gottes zu erwarten habe!? Verdienste wohl habe ichkeine, wie ich auch ewig keine haben werde; aber da ich es fühle,dass ich vor Gott ein sicher grober und großer Sünder bin, da sagees mir, ob ich auf Gnade und Erbarmung hoffen darf?"

Spricht der Bote: "Lieber Bruder, wie kannst du um solchesfragen? Dein Herz ist voll von Liebe zum Herrn, — das ist jaschon der Herr Jesus, der allein Gott ist von Ewigkeit zuEwigkeit, in dir! Wer aber Jesus im Herzen hat, wie sollte derdanach fragen, ob er Gnade und Erbarmung von Ihm erhoffendarf?! Ich sage dir: Du bist nun schon selig und wirst ewig vonkeinem Gericht etwas an dir zu gewahren haben! — Komme nunmit mir vor deinen Gott, vor deinen liebevollsten heiligen Vaterund empfange dort, was allen jenen in aller Fülle bereitet ist, dieIhn wie du in aller Wahrheit über alles lieben!"

Spricht der Arme: "O erhabener Bote Gottes! Vergib es mir,dahin kann ich dir nicht folgen! Denn solcher Gnade bin ich ewignicht wert! Bringe mich aber so wohin, an ein ruhiges Örtchen,wo so meinesgleichen verdienstlose, allergeringste Selige wohnenmit der Hoffnung, den Herrn Jesus alle irdischen hundert Jahreeinmal von ferne zu Gesichte zu bekommen, und ich werde da soselig sein wie die allerreinsten und vollkommensten Engel! Auchkönnte ich es ja gar nicht aushalten, so der Herr Jesus mir zu nahekäme; denn meine zu große und mächtige Liebe zu Ihm würdemich ja ganz zerreißen, so ich zu Ihm käme! Daher tue mir das,um was ich dich aus der gegründetsten Zerknirschung meinesHerzens gebeten habe."

Spricht der Bote: "Mein teuerster Bruder, das kann nichtsein; siehe, der Herr will es also! Wenn ich es aber stets in der

84

Page 85: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

allernächsten Nähe des Herrn aushalten kann, da wirst du esschon auch können. Daher komme nur mit mir und scheue dichnicht im geringsten! Ich sage dir, wir beide werden uns vor demHerrn schon zurechtfinden."

Spricht der Arme: "Ja nun, in Gottes Namen, wenn du es alsomeinst, da will ich es freilich wagen! — Aber sage mir, warumsehen diese drei weißgekleideten Brüder uns beide nun gar so wiein ihr Innerstes ergriffen und entzückt an? Sehen die schonirgendwo den Herrn?"

Spricht der Bote: "Kann wohl sein; aber sie haben heimlichauch eine übergroße Freude über dich, wie über jeden, der mitsolcher Liebe wie du hierher kommt. Siehe dort gen Morgen, wosich ein sanftes Gebirge erhebt, über das ein herrlichstesMorgenrot leuchtet, — dort hinüber geht unser Weg, den wir garleicht und recht bald werden zurückgelegt haben! Von jener Höhewirst du dann sogleich das neue heilige Jerusalem, die ewigeStadt Gottes, vor dir erschauen, in der du wohnen wirst ewiglich!"

Spricht der Arme: "Ach Bruder, wie herrlich, wie reingöttlich strahlt doch dies herrliche Morgenlicht, welch herrlichesGewölk! Und nur die herrlichen Matten und Bäumchen! O du, duunbegreiflich schöne Himmelswelt! Was sind dagegen alleHerrlichkeiten der Erde? — Aber ich sehe nun ja auch großeScharen uns entgegenziehen und vernehme auch überhimmlischherrliche Lieder! O welch eine Harmonie! Wer kann ihrenunermesslichen Wohlklang ermessen!? — Wie mächtig dochglänzen sie, die uns entgegenziehen! Wie werde ich mich indieser meiner noch sehr irdisch aussehenden Kleidung unterihnen ausnehmen?!

O Gott, o Gott! Es ist wahrlich kaum mehr auszuhalten!Siehe, sie kommen uns schon ganz nahe, und nun, nun — was istdenn das? Sie fallen ja wie vor uns auf ihre Knie und Angesichterund scheinen ganz zerknirscht zu sein!? Vielleicht kommt schonetwa gar der Herr Selbst irgendwo von rückwärts her zu dieserSchar? Oh, sage mir doch, was das zu bedeuten hat!"

85

Page 86: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

Spricht der Bote: "Es wird wohl so etwas sein. Wir werdenes sogleich selbst sehen, was da ist. Nur noch eine kleine Geduld,in wenigen Schritten sind wir oben und werden sehen, was es dagibt."

Spricht der Arme: "O du mein erhabenster Freund, mir wirdnun ganz absonderlich zumute! Denke nur, wie es unsereinemgehen kann und wie zumute sein, — den Herrn Himmels und derErde, den Herrn über alles Leben und über allen Tod zum erstenMal zu sehen! O Freund, ich bebe vor Furcht und vor Sehnsuchtund vor freudig banger Erwartung der Dinge, die da nun unsentgegenkommen werden. Wahrlich, nur wenige Schritte mehrund die Höhe ist erreicht! Ach, ach, was werde ich alles schauen?!

O Freund, fürchtest du dich denn nicht vor Gott, wenn Ervielleicht öfter dir irgend so entgegenkommt bei ähnlichenGelegenheiten? Ist dir denn das schon so zur Gewohnheitgeworden, dass du dir daraus eben nicht viel machst, so dir solcheDinge vorkommen? Und doch merke ich es an diesen Scharen,wie auch an den drei uns nachfolgenden Brüdern, dass sie nichtminder als ich ergriffen sind. Nur du bist so ganz gleichgültig undhast eine Miene, als wenn all das, was hier vorgeht, etwas ganzUnbedeutendes wäre. O sage mir, wie denn das zu fassen ist undwie zu nehmen? Soll ich, was mir rein unmöglich wäre, michetwa auch so wie du verhalten?"

Spricht der Bote: "Mein liebster Bruder, du wirst es baldeinsehen, warum ich mich vor Gott nicht fürchte, und warum ichnicht also tue wie unsere drei Begleiter, nicht wie du und auchnicht wie diese Scharen. Es ist aber auch besser, so du dich nun sobenimmst, wie ich mich benehme; denn du wirst dich bald selbstüberzeugen, dass deine Furcht rein eitel ist. Denn ich sage dir, derHerr verlangt das alles nicht; aber so die Kinder vor dem Vateralso ihre innigste Liebe und Demut bezeigen, so fehlen sie freilichgerade auch nicht.

Aber ich weiß es, dass du ehedem gegenüber den dreien, diedich zuerst begrüßten, ganz furchtlos und unerschrocken warst,

86

Page 87: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

was mir sehr gefiel, — obschon sie sehr bemüht waren, dir einigeFurcht einzujagen. Wie ist es denn, dass du nun so furchtsamwirst?"

Spricht der Arme: "Ja, — da hatte ich noch keine Ahnungvon solch endlosester Erhabenheit Gottes und Seiner heiligenHimmel; aber nun habe ich vor Augen, was ich mir ehedem kaumzu denken getraute. Da ist es nun aber auch ganz anders! Wiedoch muss Gott aussehen, dass diese gar so sehr niederschaudern,sicher vor übergroßer heiliger Ehrfurcht vor Gott, demUnendlichen, vor Gott, dem Allmächtigen! Wird mein noch sehrblödes und lichtungewohntes Auge Gottes Angesicht wohl zuschauen imstande sein?!"

Spricht der Bote: "Nun, nun, liebster Bruder, es wird sichalles machen. Bist du bis hierher nicht blind geworden, so wird essich fürderhin schon auch machen. Sei nur ruhig; siehe, wir sindschon auf der Höhe nun, und dort wie am Horizont, über dem dujene Sonne Gottes erschaust, deren Licht alle Himmel und allerMenschen und Engel Herzen erleuchtet, ersiehst du auch schondie heilige Stadt Gottes, in der du, und zwar bei Mir, ewigwohnen wirst! Gehen wir nun nur recht hurtig darauf los, und wirwerden bald dort sein!"

Der arme Mann macht nun große Augen und weiß sich vorlauter Verwunderung kaum zu helfen; nur begreift er noch nicht,warum er hier noch keinen Grund erschaut, aus dem die Scharengar so zerknirscht sich erheben und uns nun nebst den dreiennachfolgen und in einem fort die herrlichsten Psalmen zur EhreGottes in der allerwohlklingendsten Weise singen.

Nach einer Weile stummer, seligster Betrachtung dieserHimmelsgegend, die mit nichts Irdischem zu vergleichen ist, fragter wieder, sagend: "O liebster Freund und Bruder! Sage mir doch,wo sehen denn die uns Nachfolgenden Gott den Herrn, da siedoch geradeso singen, als wäre Er mitten unter ihnen? Ich schauelinks und rechts und vor- und rückwärts, aber ich kann nichtserschauen, das mich an Gott gemahnen möchte. Sind denn meine

87

Page 88: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

Augen noch zu blöde oder noch zu unwürdig, das allerheiligsteAntlitz Gottes zu schauen? — Wahrscheinlich wird wohl für ewigletzteres der Fall sein? Im Grunde ist's mir aber auch lieber,aufrichtig gesagt; denn ich fühle, und Gott wird es am bestenwissen und sehen, dass ich Sein heiligstes Angesicht nichtertragen würde. O ich bin schon überselig, dass ich all dasHimmlische nun an deiner Seite schaue, und dass Gott mich sieht.Freilich, weißt du, so einmal aber möchte ich doch Ihn sehen, Ihn,den ich so mächtigst liebe; aber freilich nur hauptsächlich, in derWahrheit gesprochen, in der Person des Herrn Jesus Christus. Owenn ich nur einmal den lieben, den liebsten, ja den allerliebstenHerrn Jesus sehen könnte, da wäre ich schon der allerseligste undallerglücklichste Mensch aller Himmel!"

Spricht der Bote: "Ich sage dir, sei nur ruhig; du wirst dichbald überzeugen, dass du Jesus eher sehen wirst, als du es dirdenkst. Ja, Ich sage es dir, du siehst Ihn eigentlich schon, nurerkennst du Ihn noch nicht! Darum sei nur ruhig."

Der arme Mann sieht sich nun wieder fleißig nach allenSeiten um, wo er Jesus zu sehen bekäme; aber er ersieht nochniemanden, den er für Jesus halten könnte. Er wendet sich daherwieder an den Boten und spricht: "Es ist doch merkwürdig! Dusagtest, ich sähe Ihn schon, nur erkennete ich Ihn noch nicht. Ichhabe jetzt doch fleißig mit meinen Augen alle durchmustert, dieuns nachfolgen; aber unter ihnen kann Er nicht sein, denn siescheinen alle bis in ihr Innerstes zerknirscht zu sein und ergriffenvon tiefster Ehrfurcht, und alle loben und preisen wie mit einemMunde Jesus, den Herrn von Ewigkeit. Die drei weißgekleidetenMänner tun desgleichen, und so ist nach meinen Gedanken wohlschwer anzunehmen, dass sich der Herr Jesus Jehova unter ihnensichtlich befände. Und doch sagtest du, dass ich Ihn sähe! Oh, ichbitte dich, sage es mir doch, wie und wo ich Ihn denn so ganzeigentlich sehe?!"

Spricht der Bote: "Siehe hin zur Gottesstadt, der wir nunschon sehr nahe sind; in der wird dir alles klar werden. Wir

88

Page 89: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

wandeln jetzt schon gegen die äußeren Wallmauern und werdensonach bald in der heiligen Stadt selbst sein, und es werden dirdarinnen erst die Augen vollends aufgehen — und das ungefährauf die Art wie den zwei nach Emmaus wandelnden Jüngern.Daher sei nur ruhig, denn das muss hier alles so sein undgeschehen, auf dass niemandes Heil und Leben und Freiheitirgend einen Schaden erleide. — Wie gefällt dir aber diese Stadtnun, in die wir soeben einziehen?"

Spricht der Arme: "O Freund, wo nähme ich Worte her, umdie endlose Pracht und Majestät dieser Stadt zu beschreiben!Welche zahllose Menge der allergrößten und herrlichsten Paläste,und alle scheinen voll bewohnt zu sein! O Gott, dieser Glanz,diese Pracht, o diese unendliche Majestät! Die Schönheit ist wohlunaussprechlich; das fasst und begreift wohl keines MenschenSinn! Aber nur frage ich, da wir nun einmal in der Stadt sind: Woist nun Emmaus, und wo der Sich vor meinen Augen noch immernicht zeigen wollende Herr Jesus?!"

Spricht der Bote: "Siehe hier das große Haus, vor dem wirnun stehen, aus dessen strahlenden Fenstern und äußeren Galerienuns zahllose Brüder und Schwestern begrüßen, das ist das wahreewige Emmaus! In diesem wirst du von nun an wohnen ewiglich!Und — da wir nun schon vor Emmaus stehen, das du nun garwohl siehst, so wende dich nun auch zu Mir und betrachte Mich,da wirst du auch Den erkennen, nach Dem du eine gar so großeSehnsucht und Liebe in deinem Herzen trägst!"

Der Arme sieht nun den Boten, der Ich Selbst es bin, rechtfest an und erkennt nun augenblicklich Mich Selbst im Boten.Und er fällt sogleich jählings auf seine Knie nieder und spricht:"O Du mein Herr und mein Gott! Also Du Selbst warst der Bote?!O Du endloseste ewige Liebe! Wie, wie, wie — hast Du SelbstDich denn so tief herabwürdigen können, mir, einem ärmstenSünder, solch eine Gnade zu erweisen?!"

Nach diesen Worten verstummt er vor seligster Entzückungund wird also in Meines Hauses Wohnung eingeführt.

89

Page 90: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 10

Das weitere seligste Verhältnis dieses Mannes könnt ihrleicht von selbst denken sowie dessen ewige liebtätigeBestimmung. Daher wollen wir damit diese Szene auch beendenund zu einer anderen übergehen. Amen.

90

Page 91: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 11Robert Blum

27. November 1848

Die letzte in dem Themenkreis "Geisterszenen" (Sterbe-szenen) erfolgte Niederschrift schildert in zwei umfangreichenBänden die jenseitige Entwicklung eines hervorragenden Mannesder politischen Zeitgeschichte: des im Jahre 1848 in Wien alsRevolutionär auf Befehl von Fürst Windischgrätz erschossenenRobert Blum. — Wir erleben sein geistiges Erwachen im Jenseitsund sind Zeugen, wie sich diesem an sich liebereichen Menschenin seiner geistigen Phantasiewelt der Herr Selbst naht, um ihnaus seinen weltlichen Irrtümern zu lösen und den Geläutertenzum Läuterer vieler anderer Seelen zu machen, die schon imirdischen Leben seiner Wirkungssphäre nahegekommen waren.

Das in diesem Werk dargestellte äußere Geschehen ver-mittelt eine Fülle großer Eindrücke und Anregungen. Zeitbilder,Charakterschilderungen, tiefe Seeleneinblicke und viele geist-volle Auseinandersetzungen vermitteln ein umfassendes Bild derjenseitigen Welt, zumal der Aufbau des Werkes sich vom Bild dereinsam erwachenden Seele bis zum weitgedehnten Menschheits-und Schöpfungspanorama weitet.

Zwei Bände, je ca. 530 Seiten, Lorber-Verlag Bietigheim

91

Page 92: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

II. Anhang

Kapitel 12Das Wiedersehen im großen Jenseits

31. Mai 1852

Bei gar sehr vielen Menschen, die sonst Kopf und Herz amrechten Flecke haben, besteht, so sie eben nicht gar so glaubens-stark sind, noch gleichfort die verhängnisvolle Frage: ob es nachdiesem kurzen irdischen Leben noch ein und "wie" gestaltetesLeben gibt, und ob der Mensch sich als das, was er hier war,erkennen wird? Ferner, ob ihm das hiesige Bewusstsein und dievolle Rückerinnerung an all seine irdischen Zustände bleiben oderob das Bewusstsein samt der Rückerinnerung vielmehr dem imTraume gleichen wird, wo der träumende Mensch sich wohl alsderselbe, wie und was er im wachen Erdenleben ist, erkennt undsich seiner Subjektivität, nur unter immer ganz neuen Lebens-verhältnissen, klar bewusst ist, wo aber alle objektiven dies-seitigen Lebensverhältnisse bis auf weniges tief im GemütHaftendes — wie etwa die nächsten Verwandten und sehr oftgesehene, lebhaft besprochene und als heimatlich bewohnte Orte,und selbst diese nahe allzeit unter fremden Verhältnissen undGestaltungen — nahe alles Dasein verlieren. Und gibt es dort imgroßen Jenseits unter solchen etwa einem hellen Traume sehrähnlichen geistigen Lebensverhältnissen ein sich gegenseitig wohlerkennendes Wiedersehen?

92

Page 93: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 12

Und Ich, der Herr, sage und antworte auf diese umfassendeFrage mit: Ja, so und so! Je nachdem der Mensch dies irdischeProbeleben mehr oder weniger vollkommen nach Meiner allenMenschen geoffenbarten Ordnung durchlebt hat.

Wer es hier schon, was jedem leicht möglich ist, zur wahrenund vollen Wiedergeburt seines Geistes gebracht hat und als einVollwiedergeborener hier also lebt, dass ihm die Geisterwelt mitall ihren Verhältnissen und auch in ihrer einfließend ent-sprechenden Wirkung auf die materielle Welt so wie diematerielle Welt völlig klar erschaulich ist, bei dem kann dieAblegung seines ohnehin keines lebendigen Bewusstseins undirgendeiner Erinnerung fähigen Leibes unmöglich irgendeineVeränderung in seinem Denken, Wollen, Erinnern und leben-digsten subjektiven und objektiven Bewusstsein bewerkstelligen.

Denn so das Leben und alle seine Ein- und Auswirkungenschon diesseits ganz in den ewig gleichfort im höchsten undreinsten Selbstbewusstsein sich befindenden Geist übergegangenist, der über alle Materie ewig erhaben ist und diese nur als einauf eine bestimmte Zeit fixierter Gedanke oder als festgehalteneIdee in ein wie nach außen hin erscheinliches Sein tritt, so meineIch, dürfte es wohl für jeden nur etwas heller Denkenden mitHänden zu greifen sein — zumal ihm dafür noch tausend Beweiseaus dem Leben der Somnambulen und vieler Seher und Prophetenzur Einsicht zu Gebote stehen —, dass das rein geistige Lebenjenseits ein viel helleres, sich seiner selbst und aller andernsubjektiven und objektiven Vorgänge, Zustände und Verhältnissedes Lebens ein um ebensoviel reiner bewussteres sein muss, alsum wie viel der Geist über alle Materie — die, wie gezeigt, nichtsals ein fixierter Ausdruck seiner Gedanken und Ideen ist — fürewig steht als selbst Licht, Leben, Kraft und vollstes Bewusstseinin sich.

Weil aber nicht nur ein, sondern alle nach Meiner Ordnunglebenden Menschen in ein gleiches allervollkommenstes Lebenübergehen, so ist die Frage ob des einstigen Wiedersehens eine

93

Page 94: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 12

eitle. Denn so die Menschen in diesem unvollkommenenPuppenleben schon die Fähigkeit des sich Wiedererkennens undnatürlichen Wiedersehens besitzen, die sie doch nicht abstreitenoder bezweifeln können, so werden sie diese Fähigkeit wohl umso mehr im vollkommensten, rein geistigen Leben besitzen, woihr ganzes Wesen der unvergängliche Ausdruck und dasGrundprinzip alles Lebens und aller Verhältnisse undVorkommnisse desselben ist! Auf dieser Welt erkennt ja auchdurch den Leib hindurch die Seele durch den Geist in ihr die ihrbekannten und verwandten Menschen, kann sich andernbefreundet und vollends verwandt machen und erkennt sie dannals solche der Gestalt und dem Charakter nach allzeit wieder. Soaber solches die Seele und der Geist vermag durch all die tausendKerkerwände des in sich selbst toten Leibes, um wieviel mehrwird sie solches in ihrem völlig freien Zustande vermögen, wiesolches schon an sehr vielen Somnambulen nur zu oft beobachtetworden ist, die mit festverschlossenen Augen nicht nur ihreUmgebung oft bis auf den innersten Lebensgrund, sondern auchdie in fernen Landen sich irgendwo befindenden Menschen, umdie sie befragt wurden, mit allen ihren Zuständen undVerhältnissen geschwind und überaus wohl erkannten! Und dochist die Seele einer noch so hellen Somnambule noch bei weitemnicht in dem freien Zustande, wie eine sogar noch mehrunvollkommene Seele nach dem Abfalle ihres Leibes!

Dass unvollkommene Seelen sich nach ihrem Freiwerdenvom Leibe nur zu bald mehr und mehr verfinstern, das liegt inihrem bösen Willen. Solche Seelen sehen dann freilich von derWelt nichts mehr, was sehr notwendig ist, da sie in einemsehenden Zustande der Welt und namentlich denen, die sie zuihren Feinden rechneten, einen zu bedeutenden Schaden zufügenwürden. Solche Seelen und respektive Geister sehen dann nurdas, was sich aus ihrer Phantasie gleich einer niederstenTraumwelt entwickelt. In solcher Phantasiewelt verharren solcheSeelen dann oft Hunderte von Jahren, sehen die stets neu

94

Page 95: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 12

ankommenden Seelen, wenn sie auch auf der Erde ihre nächstenVerwandten waren und diese sie sogleich ersehen, nicht. Siesehen nur ihre lang andauernde Phantasiewelt und sind daher nurden Engeln durch pure Entsprechungen, die die Engel in diePhantasiewelt solcher blinden Seelen hineinzuschieben imstandesind, zur Belehrung zugänglich.

Wenn sie Belehrung und dadurch eine Besserung ihresWillens annehmen, so verschwindet nach und nach ihrePhantasiewelt, und sie kommen dann stets mehr und mehr zumwahren Licht und zur Anschauung all des Daseienden und somitzum Wiedersehen ihrer Verwandten und Freunde. Sie erkennensie dann als solche auch gar bald wieder und haben eine rechteFreude an ihnen.

Bessern sie sich aber nicht, so bleiben sie in ihrer stets ärgerwerdenden Traumwelt lange Zeiten der Zeiten. Und da ist dannvom erfreulichen Wiedersehen und Wiedererkennen keine Rede.Sowenig irgend ein materieller Mensch in einem sehrmaterievollen Traume sich irgend seiner Außenverhältnisse undLebenszustände erinnern kann, sondern nur das schaut, was ihmseine Phantasie als plastisch vorgaukelt, ebensowenig und eigent-lich noch bei weitem weniger kann eine finstere Seele sichjenseits irgend an etwas erinnern oder etwas erkennen in ihremTraumkreise, in dem sie sich nie tätig, sondern allzeit nur leidendbefindet und sich daher aus sich selbst auch eine nahe ewigandauernde Zeit, nach dem Maße dieser Erde genommen, nimmerfrei machen kann!

Wer hier nicht wenigstens zur Hälfte im Geiste wieder-geboren wird, kommt jenseits mehr oder weniger in den obenbezeichneten Zustand und kann sich selbst darin ebensowenighelfen wie der Embryo im Mutterleibe, dessen Regen undBewegen von dem notwendigen äußeren Zustande der Mutterabhängt. Aber es waltet dennoch eine ganz eigene Bewandtnis beisolchen Seelen ob, was da mit dem Zustande des Embryo imMutterleibe etwas Unterschiedliches hat. Und das besteht, um für

95

Page 96: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 12

den Verstand der Menschen vernehmlich zu reden, darin, dass derEmbryo im Mutterleibe als sich neubildende Kreatur durchausleidend ist, während die finstere Seele ganz aus sich tätig undleidend zugleich ist und, weil sie nicht will, nicht untätig werdenkann, auf dass sie dadurch möchte unleidend werden.

Wie kommt aber das?So ein Mensch auf dieser Welt entweder nur sehr wenig oder

zumeist wohl auch gar nichts zur Belebung und Bildung dessen,was seine Seele in ihrem Herzen verborgen trägt, getan hat,sondern alles nur auf den äußeren Verstand verwendete unddiesen dann dazu benutzte, wohlberechnete Wege einzuschlagen,um auf diesen sich weltliche Schätze — welcher Art und welchenNamens sie auch immer sein mögen — zu verschaffen, um sichdurch sie die möglichst feinsten und in jeder Hinsichtwohlschmeckendsten Genüsse und Lustreize zu bereiten, so ist,wenn dann solch eines Menschen Seele jenseits ankommt, ihregöttliche Lichtkammer dicht verrammt und verschlossen. Dasirdische Verstandeslicht aber, das eigentlich bloß eine Kombi-nation der äußeren, materiellen Lichtbilder ist, die an den vielenMillionen Flächen der Gehirntäfelchen für die Seele ersichtlichsind, und aus denen die Seele allzeit, nach Art der dummenAstrologen, ihre Berechnungen macht und dann wie von derMacht des dicksten Aberglaubens sich danach zu handeln genötigtfühlt, bleibt ohnehin so wie die Bildergalerie eines Bilder-liebhabers, wenn er stirbt, in der Welt zurück. Die Folge ist, dasssolch eine Seele dann notwendig total finster in der Geisterweltanlangen muss und nichts behält als das Bewusstsein oder denAusdruck des Lebens und nur insoweit die Erinnerung an ihreirdischen Zustände und Verhältnisse, inwieweit solche in der(dem leiblichen Gehirn) entsprechenden Gehirnkammer der Seelein entsprechenden Typen aufgezeichnet sind, welche dieimmerhin höchst sensible Seele fühlt und ihrer gewahr wird,wenn sie dieselben zufolge ihrer Finsternis auch nicht klarbeschauen kann.

96

Page 97: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 12

Dass ein solcher Zustand einer an alle Lustreize des Lebensgewöhnten Seele nur zu bald unerträglich wird, lässt sich hoffent-lich leicht begreifen und sogar lebendig fühlen. Solch eine Seelegerät dann bald in eine große Furcht, Angst und am Ende in einengroßen Ärger und Zorn, wodurch sich in ihr dann eine ArtGlutschimmer entwickelt.

Denn wo immer jemand schon in der gerichteten Materieweltirgendeine starke Tätigkeit ersieht — wie etwa einen heftigenSturm, eine starke Meeresbrandung, eine starke Reibung zweierGegenstände gleicher oder ungleicher Art, einen mächtigen Druckzweier harter Körper aufeinander und derartiges mehr, — da wirder dabei, besonders zur Nachtzeit, auch eine Feuer- und Licht-oder wenigstens eine Schimmerentwicklung bemerken, welchevon den Naturgelehrten mit dem allgemeinen, aber eben nichtimmer tauglichen Namen Elektrizität bezeichnet wird, — imGrunde aber und ganz eigentlich der vollen Wahrheit gemäßnichts als eine Erregtheit der in aller Materie mehr oder wenigerhart gefangenen Naturgeister ist, die stets desto eher und leichtererregt werden können, je härter sie gefangen sind. Sind sie aberleichter gehalten, wie etwa in der Luft, im Wasser, im Lehm undin allerart anderen flüssigen und weichen Körpern, so gehört auchim Verhältnis eine heftigere Bewegung (Tätigkeit, s.o.) dazu,damit die ihr nicht so schnell ausweichen könnenden Naturgeistererregt und durch ihre höchst schnell vibrierende Bewegunginnerhalb ihrer sie gefangen haltenden leichten und höchstdurchsichtigen Hülse als ein Licht oder als ein Glühen ersichtlichwerden.

Dass diese Erregung der Naturgeister aber in der Vibrationbesteht, kann ein jeder Mensch von nur einigem Beobachtungs-geiste beseelt leicht aus tausendfachen Erscheinungen in derNaturwelt ersehen und erkennen. Wenn irgend ein Mensch odersogar auch ein Tier durch was immer in seinem Gemüt sehr erregtwird, so wird an ihm ein Beben bemerkt, welches von nichtsanderem als lediglich von der Erregtheit der im Fleisch und Blut

97

Page 98: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 12

gefangenen Naturgeister herrührt. Eine Saite auf einem Ton-instrument vibriert, wenn sie einen Stoß oder Schlag bekommt,weil die in der Materie der Saite gefangenen Geister durch denSchlag oder Stoß erregt werden. Die Flamme jeden Lichtes, dienichts als ein Akt der Freiwerdung der in der Materie gefangenenNaturgeister ist, besteht in stets sichtbarer Vibration, die durch dieTätigkeit der frei werdenden Naturgeister entsteht. Und der-gleichen Erscheinungen gibt es noch Tausende und abermalsTausende, an denen derselbe Akt beobachtet werden kann. — —–

Es ist gesagt worden, dass die Seele durch den Verlust ihresWeltlichtes und aller aus demselben hervorgehenden Lustbar-keiten zuerst in eine große Furcht und Angst und am Ende ineinen großen Ärger und Zorn gerät, wodurch in ihr eine ArtGlutschimmer erzeugt wird. Dieser Glutschimmer entsteht imWesen der Seele entsprechend auf die ganz gleiche Weise wie inder Naturwelt.

Die Furcht ist die erste Erregung der in jeder einzelnen Seelevorhandenen endlos vielen seelisch-geistigen Spezifikalpotenzen.Wenn alle Potenzen in ein immer heftigeres Beben geraten, sowird der ihnen gegebene Formraum bald zu eng. Da aber dieäußere Form, innerhalb der alle die zahllosen Potenzen zu einemLeben vereinigt sind, bald zu eng wird — weil sie nicht so leichterweitert werden kann und darf —, so ist die Folge davon dannnotwendig ein immer heftigeres Drängen und Drücken nach allenSeiten hin, wodurch in dem konkreten Gesamt oder besser gesagtEin-Leben das Gefühl der Angst zum Vorschein kommt.

Wenn das Drängen und Drücken stets heftiger werdendandauert, so entsteht daraus eine geistige Gärung, die man Ärgernennt. Wie aber schon in der Natur das Resultat einer stetsheftiger werdenden Gärung eine volle Entzündung ist, ebenso istdas Endresultat der großen Gärung der seelischen Spezifikal-potenzen eine volle Entzündung, und diese heißt Zorn. Und vonsolchem Zorn rührt dann auch die Erscheinlichkeit des Glut-

98

Page 99: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 12

schimmers her, der, so er heftiger und heftiger wird, endlich ineinen vollen Brand übergeht, der als böseste Erscheinung desLebens Wut und im eigentlichsten Sinne Hölle heißt und ist.

Wenn nun eine abgeschiedene Seele sogestaltig in denbesprochenen Glutschimmer gerät, so fängt sie dadurch an, die inihrem Gehirne vorhandenen geistigen Stigmata sehr matt zuerschauen und erkennt bald viel eitel Böses und wenig Gutes inihrem Wesen. Sie sieht in solchem Zwielicht auch nicht selten dieMücke für einen Elefanten und umgekehrt den Elefanten für eineMücke an. Aus solchen Anschauungen entwickeln sich dann inder Seele allerlei ganz luftige und durchsichtige, man könntesagen formlose Formen gleich den Luftschlössern eines verliebtenJünglings auf der Welt, die bei einer sehr heftigen Phantasie nichtselten auf Augenblicke in eine förmlich ersichtliche Erschein-lichkeit treten, aber bei der geringsten Gemütsstörung in einNichts verschwimmen.

Weil aber die Seele auf die gezeigte Weise nichts zu einerbleibenden Realität bringen kann und durch die momentanauftauchenden, mehr Zerr- als wohlgeordneten Bilder nur stetsmehr gereizt und erregt wird, wodurch am Ende sogar dasInnerste "Herzensstöße" zu bekommen anfängt, so kommtdadurch dieses Innerste dann auch in eine, aber ganz entgegen-gesetzte Tätigkeit.

Durch diese Tätigkeit (ihres Urgeistes aus Gott) wird diewilde Tätigkeit der Seele beruhigt, so dass am Ende die Seele insich selbst in einen förmlichen Schlaf gerät, also ruht, und indieser Ruhe als mehr vereinigt mit ihrem Urgeiste aus Mir ineinen förmlichen Traum kommt und, weil sie sich in solchemZustande ganz behaglich fühlt, darin auch verbleibt, — einZustand, den die alten Seelen- und Lebensforscher denSeelenschlaf nannten.

Der im Herzen der Seele nun gegen die Gelüste der Seeletätige Urgeist schafft nun für die Seele stets mehr und mehrsolche Bilder, die einesteils stets das enthalten, was der Seele

99

Page 100: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 12

selbstliebigem und herrsch- und genusssüchtigem Sinne zusagt.Aber sowie sie solches in ihrem Traume, den sie natürlich fürWirklichkeit hält, vollgierig ergreifen will, so wird es entwederzunichte oder es weicht zurück und flieht von dannen. Andernteilsaber wird der Seele auch solches produziert, was ihr frommt, undso sie es ergreift und zu ihrem wahren Besten verwendet, sobleibt es, und es fängt also aus dem Traume eine feste undbleibende Welt (für die Seele) sich zu entwickeln an.

Je mehr die Seele das ergreift, was ihr von ihrem Urgeistegeboten wird, desto mehr einigt sie sich mit ihm und geht sounvermerkt in ihren Urgeist ein und mit demselben zum Urlichteund aller Wahrheit aus ihm. Und sie erkennt da bald sich vollendswieder und alle ihre Bekannten und Verwandten und wirdgewöhnlich durch sie dann zu Mir Selbst hingeleitet, wo ihr dannauch nach dem Maße ihrer Vollendung und Einswerdung mitihrem Geiste stets mehr Licht und Weisheit gegeben wird und dasvolle Vermögen, in die Naturwelten schauen und ersprießlich tätigwerden zu können. Dass in diesem Falle ein vielseitiges Wieder-sehen eine ganz natürliche Folge ihrer geistigen Vollendung ist,bedarf wohl keines weiteren Beweises mehr.

Aber was geschieht denn hernach mit jenen Seelen, denen inihrem jenseitigen Traumleben die vorgespiegelten Bilder undErscheinlichkeiten, nach denen ihr selbst- und genusssüchtigerSinn giert, durch die guten Erscheinlichkeiten nicht aus demBegehrsinne getrieben werden können? Was geschieht, frage Ich,mit solch einer Seele, die darum stets mehr in Wut gerät, weil siedie Gegenstände ihrer Lust, die ihr vorgezaubert werden, nichterreichen und festhalten kann? Gibt es in diesem Falle auch einWiedersehen? Nein, sage Ich, da gibt es kein Wiedersehen!

Solch einer Seele wird dann ihr eigener Geist zum unerbitt-lichsten Richter. Er lässt sie am Ende die vorgespiegelten Dingeund Objekte erreichen und sich nach ihrem argen Sinn an ihnenerlustigen; aber solche Erlustigung bereitet der Seele allzeit den

100

Page 101: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 12

größten und brennendsten Schmerz und macht sie auf eine langeZeit wieder ganz finster.

Der Geist lässt dann zu, dass eine also finster gewordeneSeele in ihrer größten Wut, die sie durchglüht und ihr also einböses Licht gibt, um ihresgleichen außer sich wahrzunehmen, nunwirklich mit Seelen ihrer Art zusammenkommt.

Da geschehen dann sogleich Verbindungen und Zusammen-rottungen von solchen, die sich ihre Wut gegenseitig mitzuteilenbeginnen. Sie verschanzen sich gegen die Feinde, mit denen sie inihrem Traumleben, das solche Seelen aber für Wirklichkeit halten,in eine für sie widrigste Berührung kommen und fassen dieracheglühendsten Beschlüsse, sich eher selbst nach aller Möglich-keit zu töten, als sich irgendeine noch so geringe göttlicheAnordnung mehr gefallen zu lassen.

In einer solchen Verschanzung, zu der sie das Material ausihrer Einbildung nehmen — insoweit sie irgendeiner Einbildungin ihrem Wutglühlichte fähig sind —, verharren sie oft sehrgeraume Zeiten und werden darob nur von neuem ärgerlicher,zorniger und wütender, durchbrechen dann selbst ihreVerschanzung und gehen hordenweise den Feind suchen, weilkeiner in ihre Verschanzung eindringen wollte, dass sie an ihmihre Rache hätten kühlen können. Aber ihr Suchen ist einvergebliches. Sie kommen nur mit anderen ihresgleichen denFeind suchenden Horden zusammen und machen mit ihnen baldgemeinsame Sache, suchen dann so gemeinsam mit aller Hast denFeind, finden aber natürlich nie einen.

Wenn solch elender Seelen einmal mehrere Tausendbeisammen sind — deren Haufen sich in der Geisterwelt für dasAuge der reinen Geister ungefähr also ausnimmt, wie auf dieserErde allenfalls das Glühen der Luft durch ein in der Tiefeirgendwo brennendes Haus —, so erwählen sie den Glühendstenunter ihnen, den sie für den Mutigsten und Weisesten halten, alsAnführer, der sie dann über einen Boden führt, der gewöhnlichauch der Einbildung solcher Seelen entspricht — entweder in der

101

Page 102: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 12

Form einer finsteren Sandsteppe oder einer unabsehbaren Ebene,auf der nichts als trockenes Moos zum Vorschein kommt. Aufsolchen Böden finden sie nach langem Umherziehen und untergroßem Hunger und Durst auch gewöhnlich nichts als etwawieder eine ähnlich herumziehende Horde unter einem starkglühenden Anführer. Und da geschieht es entweder, dass sieeinander anfallen aus schon zu großer Rachewut, sich zerreißenund verstümmeln, oder sie vereinigen sich unter zwei Anführern,was aber schon gleichfort zu Reibungen Anlass gibt, weil da einjeder der beiden Anführer der Erste sein will, was in kurzer Weiledennoch einen Krieg der beiden Horden zuwege bringt.

Wenn sich bei solchen Kriegen solche höchst unglückseligeSeelen nahezu ganz zu kleinen Stücken zerrissen haben —natürlich alles nur scheinbar —, so kommen sie wieder zu einergewissen Ruhe und ihr Geist zeigt ihnen dann wieder wie ineinem helleren Traume, wie nichtig, fruchtlos und eitel ihrtöricht-blindestes Bemühen war, und zeigt ihnen den besserenWeg zur Umkehr.

Manchmal nehmen einige solche Weisung an und bekehrensich. Aber zumeist werden sie nach einem solchen Gesicht erstganz toll und treten in ihren geistlosen puren Seelenzustandzurück, der dann bei weitem schlechter wird, als da war der erste.Und solche Zustände sind dann schon Hölle, aus der ein Auswegschwer zu finden ist! Wer da nicht geht den schmalen Pfad durchsein eigenes Herz, der kommt nimmer zurecht und kannTrillionen und Dezillionen von Erdjahreszeitlängen in solcherHölle verharren. –

Es ist nun also gezeigt worden, wie das Seelenleben jenseitsin zwei einander schroffst entgegengesetzten Hauptzügen undBeschaffenheiten zuständlich geartet ist: entweder nach oben odernach unten. Aber es soll mit dem allem dennoch nicht jedeErscheinlichkeit in der Geisterwelt dargestellt sein, sondern wiegesagt nur die beiden allgemeinen Hauptzüge, also das schroffstePro und Kontra.

102

Page 103: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 12

In der Mitte dieser zwei Hauptzustände gibt es noch einezahllose Menge von Erscheinlichkeiten, die hier nicht dargestelltzu sein brauchen, da sie in den Werken: "Die geistige Sonne","Erde und Mond" und in den "Szenen der Geisterwelt"* zurÜbergenüge gezeigt worden sind, so wie teilweise in denmannigfachen anderen Mitteilungen und Naturzeugnissen. Aberalle die darin geschilderten wie immer gearteten Erscheinlich-keiten fußen auf der nun gezeigten Hauptnorm, und dieGrundwege entweder nach oben oder nach unten sind in sich diegleichen.

* Herausgegeben vom Lorber-Verlag Bietigheim

Das eigentliche wahre Wiedersehen kommt erst imGottesreich, das ist im Himmel vor, welcher die ganzeUnendlichkeit dem Raume nach erfüllt und sonach allenthalbengegenwärtig ist, in den aber jeder Mensch nur durch sein Herzgelangen kann. –

Da es aber doch viele in der Welt nun gibt, die so materiellsind, dass sie von den geistigen Verhältnissen der Dinge keineSpur und keine Ahnung haben, hier aber von den "Naturgeistern"lesen und nicht verstehen, was diese sind und worin sie bestehen,so soll dahin hier noch eine ganz kurze Naturläuterung folgen.

Die ganze materielle wie auch die rein geistige Schöpfung istnichts als eine durch der Gottheit allmächtigen Willenfestgehaltene Idee aus dem Herzen oder Leben der Gottheit Selbstund — weil aus Gott — im Grunde des Grundes geistig. Würdenun alle die sogenannte materielle Schöpfung, was Gott gar leichtmöglich wäre, der gleichfort andauernden Festhaltung ledig, sowürde sie wieder als ein nur der Gottheit sichtbarer großerGedanke ganz geistig im Gemüte Gottes Platz fassen und mit derRealisierung der freien Selbständigkeit von zahllosen Wesen wärees zu Ende!

Aber Gott will es ewig gleichfort, dass Seine großenGedanken und Ideen ewigfort zur freiesten Selbständigkeit sollenrealisiert werden. Und so hatte Gott darum für die einzig dadurch

103

Page 104: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 12

mögliche Realisierung, dass all die göttlichen Gedanken undIdeen als unwandelbar gefestet dastehen müssen Seiner Pläne undZwecke willen, diesen allein wirksamen Weg eingeschlagen:

Die zahllosen Gedanken und Ideen müssen gewisserart nurin allerartig kleinsten geistigen Teilchen sukzessive freier undfreier gemacht werden, aber dabei dennoch lange von irgend einerHauptidee Gottes, die da erscheinlich als ein Weltkörper imendlosen Gedanken- und Ideenraume als gefestet schwebt,angezogen und gehalten werden, bis sie nach und nach ihrerGleichartigkeit nach sich mehr und mehr zusammenfinden und soin eine immer größere Wesenheit bis zum Menschen hinübergehen.

Solche von der totalen Hauptidee (dem Weltkörper) freierund freier gelassenen Teilchen sowie die noch nicht freigelassenen, sondern in der Hauptidee noch festgehaltenen Teileheißen bis zum Menschen hinan "Naturgeister" Diese freierenNaturgeister — oder Naturkräfte, wie es die Weltgelehrten nennen— befinden sich als schon selbsttätig entweder in der Luft, imWasser oder im weicheren Erdreiche und locken da die noch hartgefangenen Geister in die Freiheit heraus, vereinigen sich mitihnen und bilden dadurch, dass sie sich mit den noch unfreierenGeistern umhüllen, allerlei Lebensformen: zuerst Pflanzen, ausdiesen Tierchen und Tiere größerer und größter Art — bis zumMenschen hin, wo sie als Seele und auch — dem unfreieren, nochgroben Teile nach — als dessen Leib dann erst durch GottesUrwesen Selbst, nun schon zur Genüge zur vollfreienSelbständigkeit reif, wieder ergriffen und förmlich — aberanfangs noch immer wie von außen her — für den folgendenreingeistigen, ewig dauernden Zustand durchgeschult und geübtwerden.

Die dann ein solches Durchschulen sich gefallen lassen undalso freiwillig in die Ordnung eingehen, in der ihr ewigselbständiger, freiester Lebenszustand allein möglich ist, — diesekommen dann auch zum großen Wiedersehen Dessen, aus dem

104

Page 105: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 12

sie hervorgegangen sind. Sie werden sehen, wie und woher unddurch Wessen Macht und Weisheit und unwandelbare Beharr-lichkeit sie vom eigentlichen Nichtsein ins vollste, freieste undselbständige Sein und Erkennen gekommen sind.

Zugleich aber, weil mit ihrem Urgrunde ein und dieselbeWesenheit, werden sie auch selbst auf die gleiche Weise zu ihrergroßen Beseligung aus ihrer nun höchsteigenen, aber dergöttlichen völlig gleichen Weisheit neue Schöpfungen ins Werksetzen und sonach ganz in Meiner Ordnung Schöpfer ihrerhöchsteigenen Himmel sein, wodurch sie dann zum realisiertenWiedersehen aller ihrer Gedanken und Ideen gelangen werden.

Und das alles wird dann ein großes, ewig dauerndesrealisiertes Wiedersehen sein in der endlosen Fülle alles dessen,was ein göttlicher Geist ewig unerschöpflich in sich birgt. Unddas ist dann erst das vollkommene, große Wiedersehen!

Ich meine nun, wer da Augen hat zum Sehen und Ohren zumHören, der wird daraus zu seinem ewigen Vorteil unbeschreibbarvieles schöpfen können zur vollen Erkenntnis des geistigenLebens.

Wer es aber nur lesen wird aus einer Art Neugierde und wirddaran legen die Feile seines Weltverstandes, dem wird es einstgerade also ergehen, wie es in dieser Beschreibung zu lesen ist.Denn Mein Erbarmen kann und darf sich nicht und nie über dieSchranken Meiner nun aus dem Fundamente gezeigten unwandel-baren Ordnung erstrecken. Denn diese Ordnung ist an und fürsich schon Meine ewige Erbarmung.

Wer aber über die Schranken dieser Ordnung tritt, der wirdnur sich selbst einen überaus langen, unglückseligsten Zustandjenseits zuzuschreiben haben. Denn es muss ein jeder sich selbstgestalten, so er sein will das, was er sein soll. Will jemand sichdiese Mühe nicht nehmen, so muss er dann auch so lange im ewignotwendigen Gerichte verharren, bis er sich selbst zu umstaltenanfangen wird, was die Seele einen harten Kampf kosten würde!

105

Page 106: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 12

Hüte sich daher ein jeder von euch vor (eigensüchtigemTrachten nach) irdischen Gütern, Reichtum, Glanz und Ansehen,sei aber nach seinen Kräften reichlich mildtätig gegen seineärmeren Brüder und Schwestern, so wird ihm der Kampf mit derFinsternis ein leichter sein. Amen.

Das sagt der Herr allen Lebens zu euch allen. Amen. Amen. Amen.

106

Page 107: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 13Ein Jenseitiger teilt sich mit

18. Februar 1861

Ein Jenseitiger, der zu seiner Lebenszeit Lorber gekannthatte, durfte sich direkt an Jakob Lorber wenden und ihm vonseinem Hinübergehen in die jenseitige Welt und seinem erstenAufenthalt in der Sphäre der Geistigen Erde, die unsere natur-mäßige Erde umgibt, erstmals am 18. Februar 1861 berichten:

B: "Gott zum Gruße, lieber Freund! — Ich habe in meinernoch immer etwas leidigen Abgeschiedenheit an dich und an alleandern Freunde wohl gedacht und mir auch oft jene Stunden inErinnerung gerufen, in denen wir uns über geistige Dinge gartröstlich besprochen haben. Aber des Herrn allmächtiger Wille hatmich von der Welt abberufen — und ich bin hier angelangt unterwahrlich nicht sehr erfreulichen Umständen, an denen freilich nurich selbst schuldete. Ich wollte alles in meinem ErdenlebenZerrüttete wieder in ein möglichst gutes Gleichgewicht bringenund gab mir deshalb auch viele — aber vergebliche Mühe, undich konnte mir deshalb — um nach irdischer Weise zu reden —gar keine Zeit nehmen, jemandem von euch zu erscheinen,obschon ich wusste, dass ich dir oder auch jemand anderm hätteerscheinen können, so ich es gewollt hätte.

Aber nun bin ich freier, dem Herrn alles Lob, und so habe ichendlich in mir selbst inne zu werden angefangen, dass hier allemeine nach irdischer Norm geartete Mühe und Arbeit nichtsanderes als eine wahre Mühe und Arbeit in einem Traume war,und ich ließ davon ab. Denn sieh, für mich war das Sterben desLeibes nichts anderes als ein ganz süßes Einschlafen eines

107

Page 108: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 13

arbeitsmüden Tagewerkers, und ich befand mich wie in einemhellen Traum sogleich in einer ganz anmutigen Gegend und kamauch gleich mit mehreren guten alten Freunden, zumeistTriestinern, zusammen, die mir recht freundlich und artigentgegenkamen und sich mit mir — aber zumeist nur über ganzgleichgültige Dinge — besprachen. — Ich ahnte nicht, dass diesein Traum sei, was ich in meinen Erdenlebenszeiten oft in einemTraume wie ahnend wahrnahm.

Nur einer dieser meiner Triestiner Freunde, von dem ichgleich wusste, dass er an ein und demselben Tage mit meinerGattin an der Cholera verstorben war und mit dem ich oft inseiner schön gelegenen Campagna bei einem Gläschen Triestinerviel über geistige Dinge mich besprach, fiel mir auf, und ichfragte ihn, wie denn er hierhergekommen sei. 'Denn', sagte ich,'Freund, ich weiß es ja nur zu bestimmt, dass du mit meiner D. aneinem Tage an der bösen Epidemie verstorben und auch untermeinen weinenden Augen beerdigt worden bist, — und du lebstnun so, wie ich lebe — und hoffentlich nicht träume?!'

Da sah mich der alte gute Freund gar sehr ernst, aber dochfreundlich an und sagte: 'Freund! — seien wir von Herzen froh,dass wir's überstanden und die Welt mit allen ihren Übeln hinteruns haben, denn sieh, auch du hast das leidige Irdisch-Zeitlichefür alle Ewigkeiten gesegnet, und deine morsch gewordene Hüllewird morgen der Erde übergeben, wofür wahrlich nicht schadeist!' — Als ich dies vernahm, da wurde es mir denn doch einwenig bange zumute und ich sagte: 'Nun, in Gottes Namen denn,wenn es im Ernste also sein soll! Aber meine Kinder, und meineSachen — ich habe ja lange noch nicht alles in bester Artgeordnet?!' — Sagte der Freund: 'Ei, kümmere dich darum nicht,das werden schon die tun, die noch auf eine kurze Zeitzurückgeblieben sind!'

Damit war ich auch bald einverstanden, und ich befand michwie durch einen Zauber geführt auf einmal so natürlich in derCampagna meines Freundes und besah mir ganz entzückt das

108

Page 109: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 13

Meer mit seinen Wundern, dass ich sagte: 'Freund, aber das ist jadoch alles ganz handgreifliche Natur, und wir sollen nur pureGeister sein?!' — Da sagte er zu mir: 'Freund! — als wir nochunser schlechtes Fleisch bewohnt haben, da sahen wir ja auch nurals lebendige Seelen die handgreifliche Natur, und nicht unsertoter Leib! Wenn so damals, wo uns des Leibes Bürde undfinstere Dichte ein großes Hindernis war, warum denn jetzt inunserem freieren Lebenszustande nicht?' –

Ich war damit ganz einverstanden und fing an zu fühlen, dassich des Leibes bar geworden bin; aber doch nicht, wie und aufwelche Art. — Aber ich fing da an, mich zu kümmern, wo ichmeine Gattin fände, und ob ich meine verlassene Buchhandlungwieder aufrichten könnte, — und das hatte mir viel Kummer undSorge gemacht. — Aber Gott alles Lob! nun ist auch das hintermir, und ich habe angefangen, mich nun ausschließlich mithöheren Dingen zu befassen, — und ich werde dich nun zuöfteren Malen besuchen und dir noch so manches aus meinenjetzigen Erlebnissen und Erfahrungen für die Gläubigen auf eurerWelt zum Nutzen mitteilen. — Lebe nun wohl in Gott demHerrn." — —

25. Februar 1861B: "Guten Morgen, guten Morgen — lieber Freund! Meine

herzlichsten Grüße auch an alle die andern guten Freunde! Ichhabe hier nicht nötig zu fragen, wie sie sich befinden; denn dasweiß man hier ganz gut, wie es dem einen oder andern liebenFreunde noch auf der stereotypen Erde geht, da wir alles dessenaus eines jeden seelischer Außenlebenssphäre genauestinnewerden können, wenn wir das wollen. Aber ich habe dennochstets eine große Freude, so ich hier auf der geistigen und somitbessern Erde inne werde, dass ein jeder — bis auf weniges — imLichte des Herrn aus den Himmeln fortschreitet; denn die derHerr liebhat, die sucht Er ja stets mit allerlei Kreuzlein heim.Diese Kreuzlein sind wahre Beförderungsmittel zur Einung des

109

Page 110: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 13

Geistes des Herrn mit der für sich immer leidigen Seele, die fürsich ohne eine Stütze ein sehr armseliges Wesen ist, aus welchemGrunde sich auch die meisten Seelen auf ihr morsches undhinfälliges Fleisch stützen und mit diesem sich auch alle Leidengefallen lassen müssen, weil sie die festeste und ewige Stütze desGeistes aus Gott nicht ahnen, geschweige irgend erkennen! —Und eben darum sind die gewissen Ordenskreuzlein aus der Handdes Herrn gar so gut und nützlich fürs wahre und ewige Wohl derSeele, weil sie dadurch genötigt wird, sich vom fleischlichenStützpunkte abzuwenden und sich im Glauben an den des Geisteszu wenden.

Hat eine Seele einmal nur als anfänglich diesen günstigenUmschwung gemacht, so wird sie vom Herrn aus so lange mitallerlei Kreuzlein versehen, als sie sich nicht völlig mit demGeiste zu einen angefangen hat. Ist das aber einmal da und auchnicht mehr zu befürchten, dass eine Seele wieder zum Fleischebehaglich zurückkehren könnte oder möchte, nun, so hören dannauch alle die Kreuzlein auf und der ganze Mensch kann dannschon auf der Welt in eine wahre Glückseligkeit übergehen.

Ich selbst habe im Erdenleben das wohl auch bei weitemnicht so eingesehen, wie ich's jetzt in diesem reinen und völligschmerzlosen und eigentlich wahren Leben einsehe. Und das warauch der Grund, dass ich gleichfort in einem Wanken zwischendem morschen und vergänglichen Stützpunkte des Seelenlebensund jenem ewig dauernden, wahren und kräftigsten des Geistesmich befand und dabei aber auch in einem fort bald dies und baldjenes stets leidend zum Erdulden bekam, — aber es war dasdennoch gar liebevoll vom Herrn also angeordnet, und ich fühleerst jetzt mehr und mehr die große Wohltat aller der von mirausgestandenen, oft recht bitter schmeckenden Prüfungen. Dennwo und was wäre ich nun hier ohne sie?!

Ach, lieber Freund, wenn man hier wie ich nun dieGelegenheit hat, das Elend und die große Not der gewissenWeltmenschen-Seelen zu sehen und zu erkennen, so kann man

110

Page 111: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 13

dem Herrn ewig nie irgend zur Genüge dankbar sein, dass Ereinem stets solche Hüter und Wächter gesandt hat, durch die manverhindert wurde, ein ganz vollendeter Weltmensch zu werden. —Ertragt daher alles aus Liebe zum Herrn in aller Ihm dankbarenGeduld, — denn das wahre Lebenskalifornien werdet ihr für ewignur hier finden. Denn jeder treue Arbeiter im großenLebensweinberge des Herrn wird hier seinen glänzendsten Lohnfür ewig finden!

Das aber ist ja aus dem Munde des Herrn Selbst bekannt,dass Seine Bekenner auf der Erde in Ihm, d.i. in Seinem Geistegewisserart mit Ihm gekreuzigt werden, um also auch mit und inIhm zum ewigen Leben aufzuerstehen.

Sehr lieber Freund, ich weiß es wohl, dass dir das nichtunbekannt ist, aber ich sage dir und auch den andern liebenFreunden das nur darum, weil das Wort eines Selbsterfahrenendenn doch ein größeres und wirksameres Gewicht hat als daseines Propheten, der doch noch ein Einwohner des Fleisches ist. –

Du möchtest wohl von mir so manche geistigen Seins- undBestandsverhältnisse erfahren, und ich teile es dir auch wahrlichgerne mit, soweit es mir in meinem gegenwärtigen Zustande nurimmer möglich ist. — Sieh, ich befinde mich noch immer aufdieser Erde und zwar zumeist in den Küstengegenden um Triest,bin aber auch zu öfteren Malen hier in Graz, und ich sehe dieseErde auch um vieles besser, als sie je ein Mensch, der noch imFleische wandelt, zu sehen imstande ist. Und ich sehe auch dieMenschen, die hier noch leben und kann für mich auch ganz gutmit ihnen verkehren. Denn meine Worte werden in ihnen wieunvermutete und plötzlich entstandene Gedanken; und ihreeigenen darüber entstandenen Gedanken geben mir plastisch dieAntwort. Aber doch ist die Erde, die ich gar klar schaue, nicht dieeigentliche materielle Erde selbst, sondern nur gewisserart diegeistige, ohne die die materielle gar nicht bestehen könnte, weilalles Materielle an und für sich nichts als nur ein gerichtetes oderfixiertes Geistiges ist.

111

Page 112: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 13

Aber es ist das doch etwas Sonderbares, dass bei uns die'geistige Erde' gewisserart aus der Seele durch die allbelebendeund allschaffende Macht ihres Geistes aus Gott hervorgeht, so wieein völlig ausgewachsener Baum aus dem Keimhülschengeiste imunansehnlichen Samenkorn hervorgegangen ist, nur geschieht dasfertiger als die Entwicklung des Baumes aus dem Samenkorn.Nun würdest du freilich denken und sagen: Ja, wenn also, da gibtes dann im Geisterreiche ebensoviele geistige Erden, wie esGeister gibt. Aber das ist eben nicht der Fall, und es istwundersam, wie zwar wohl richtig ein jeder Geist 'seine' geistigeErde in sich ins Jenseits bringt; aber sowie sie sich aus ihmentwickelt, vereint sie sich augenblicklich auch mit aller Geistergeistigen Erde, und es besteht darum nur eine geistige Erde, inallem der materiellen völlig ähnlich, — nur um vieles edler,ausgeprägter und vollendeter als die materielle für das Auge desFleisches, das die großen Wunder im Bau der Atome nichterschauen kann. Und darum ist die 'geistige Erde' für uns auch einganz anderer Anblick, als für euch die materielle.

Unser Hin- und Herwandern ist natürlich auch ein anderesals bei euch, denn wir haben mit der materiellen Zeit und ihrenRäumlichkeiten nichts zu tun. Wie bei uns aber das vor sich geht,das werde ich dir nächstens näher zeigen, und zwar auf eine leichtbegreifliche Art. — Und so lebe nun wohl im Herrn."

4. März 1861B: "Guten Morgen, und Gott zum Gruße!Nun fängt auf dieser Erde wieder das Frühjahr an, und es

wird sicher ein recht gutes werden; denn wir merken das wohl ander besonderen Tätigkeit der Naturgeister, die sich nun gar buntdurcheinander zu tummeln anfangen. Es ist doch wahrlichsonderbar, in welchen Formen von der höchsten Mannigfaltigkeitund Verschiedenheit sie sich auf einmal wie durch einenZauberschlag in unserer Ätherluft entwickeln, sich gruppierenund dann gleich tätig werden. Die höchste Verschiedenheit der

112

Page 113: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 13

zusammengemengten Formen und Gruppierungen stellen eineneue Form als ein neues Ganzes dar. Man sieht nun die neueForm, aber man sieht in ihr auch die einzelnen Spezialformen inihrer wunderbar geordneten Verbindung, und das übertrifft weitalles, was man auf der Erde auch durch die vollendetstenMikroskope sehen und entdecken kann. Denn was man mit denfleischlichen Augen sehen kann, das sind schon gefestete Formen,mindestens auf der zehnten Potenz der fortschreitenden Formen-und Wesenverbindung stehend. Es ist das gewisserart schon einumhäutetes und eingepupptes Geistiges, das erst aus solch einerPuppe dann in der materiellen Welt in die entsprechende Er-scheinlichkeit tritt. Aber welch eine Riesenmenge der seltenstenVorformungen und Zusammengruppierungen gehen in der geis-tigen Naturwelt einer obengenannten Einpuppung voran!

Diese Tätigkeit der speziellen Naturgeister vor ihrer Ein-puppung ist eigentlich das Wunderbarste, was wir Geister hierbeobachten können, so wir dazu Lust und Liebe haben. Aber esgeht hier bei uns zumeist auch so zu, wie auf der materiellen Erdeunter den Menschen: wer nicht den schon für etwas Höheresgeweckten Sinn mit herübergebracht hat, der hat auch hier keinenandern, als er ihn auf der Erde hatte. Der Gold- und Geldmenschbleibt auch hier ein Makler und Spekulant, so der Kaufmann, derHandwerker, der Landmann und so fort — ein jeder in seiner Art;und da heißt es wahrlich: Viele sind berufen, aber nur wenigeauserwählt!

Ich weiß das von mir selbst, wie auch ich mich am Anfangmeines Hierseins wieder hinein, d.h. in das Welthandeln zudrängen begann. Nur guten und hier schon wohlerfahrenenFreunden habe ich es zu danken, dass ich davon abkam und deneigentlichen und wahren Zweck meines Hierseins noch frühgenug erkannte und mich nun auf einer höheren Stufe desreineren Erkennens und Schauens befinde. — Oh, es ist hier nochschwerer, sich von der falschen Materie loszuwinden, als auf derwirklichen materiellen Welt, und das Atheistentum ist hier noch

113

Page 114: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 13

ums Tausendfache mehr vertreten als auf der materiellen Welt, —und wer einmal darin steckt, der ist nach meiner bisherigenErfahrung schwer oder, nach meinem Dafürhalten, schon garnicht herauszubringen. — Ich habe mit derlei Geistern über, wieman sagt, transzendentale Dinge bei Gelegenheit zu redenangefangen, bekam aber gleich zur Antwort: 'Sollen wir etwaauch hier noch den Pfaffen und Herrschern Narren abgeben?Seien wir froh, dass wir uns endlich einmal in einer solchen Weltbefinden, in der ein jeder ein völlig freier Herr seines Platzes ist!'— Einen davon habe ich erst jüngst gefragt, ob er nicht dann undwann denke, dass der große Lehrer aus Nazareth etwa doch derHerr und Schöpfer aller Geister- und Sinnenwelt sein könnte.Nun, da habe ich bald einpacken können, er machte Miene, rohund grob zu werden, und machte derartige Äußerungen über denHerrn, die ich hier nicht wiederholen möchte. Es ist mit solchenGeistern nichts zu machen, das Beste ist, ihnen nach Möglichkeitauszuweichen.

Ich habe den Herrn schon ein paarmal, aber nur von einergewissen Ferne, zu Gesichte bekommen und hatte eine großeSehnsucht, Ihn zu sprechen. Aber es hat sich das bis jetzt nochnicht gefügt. Mein Freund sagte mir, dass Er ehest wiederkommen werde; — vielleicht fügt es sich dann?"

Amen

114

Page 115: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 14"Ewige Strafe" und "ewige Verdammnis" —

gibt es nichtIn dem Jenseitswerk "Von der Hölle bis zum Himmel"

(Jenseisführung des Robert Blum), Band 2, Kapitel 226-227,bittet ein jenseitiger fortgeschrittener Geist den Herrn umAufklärung über die in allen christlichen Kirchen und Gemein-schaften vorkommenden Begriffe der "ewigen Strafe" und der"ewigen Verdammnis". Er selbst hält eine ewige Strafe für"logisch", wenn es andererseits eine ewige Belohnung gibt. DerHerr antwortet ihm:

"Mit allem, was Ich erschaffen habe, konnte Ich dochunmöglich mehr als nur einen Zweck haben, Da Ich Selbst aberdas ewige Leben bin, so kann Ich doch nie Wesen für den ewigenTod erschaffen haben! Eine sogenannte Strafe kann daher nur einMittel zur Erreichung des einen Hauptzwecks, nie aber einesgleichsam feindseligen Gegenzwecks sein, daher kann denn auchvon einer ewigen Strafe nie die Rede sein." (...)

Es steht wohl geschrieben von einem ewigen Tod, der da istein ewig festes Gericht, und dieses geht hervor aus Meinerewigen Ordnung. Diese aber ist das sogenannte Zorn- oder besserEiferfeuer Meines Willens, der natürlich für ewig unwandelbarverbleiben muss, ansonst es mit allem Geschaffenen auf einmalvöllig aus wäre.

Wer sich nun von der Welt und ihrer Materie hinreißen lässt(die doch notwendig gerichtet bleiben muss, weil sie sonstkeine ,Welt‘ wäre), der ist freilich so lange als verloren und tot zubetrachten, als er sich davon nicht trennen will. Es muss also derGeschaffenen wegen wohl ein ewiges Gericht, ein ewiges Feuer

115

Page 116: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 14

und einen ewigen Tod geben. Aber daraus folgt nicht, dass ein imGericht gefangener Geist so lange gefangen verbleiben muss, alsdieses Gericht an und für sich dauert — so wenig wie auf Erden,so du ein festestes Gefängnis erbaut hättest, die Gefangenendeshalb auch auf die ganze Dauer des Gefängnisses verurteiltwerden sollen.

Ist denn nicht ,Gefängnis‘ und ,Gefangenschaft‘ zweierlei?Das Gefängnis ist und bleibt freilich ewig, und das Feuer MeinesEifers darf nimmer erlöschen. Aber die Gefangenen bleiben nurso lange im Gefängnis, bis sie sich bekehrt und gebessert haben!

Übrigens steht in der ganzen Schrift nicht eine Silbe voneiner ewigen Verwerfung eines Geistes, sondern nur von einerewigen Verdammnis der Nichtordnung gegenüber Meiner ewigenOrdnung, die notwendig ist, weil sonst nichts bestehen könnte.Das Laster als Widerordnung ist wahrlich ewig verdammt, aberder Lasterhafte nur so lange, als er sich im Laster befindet! Alsogibt es auch in Wahrheit eine ewige Hölle, aber keinen Geist, derseiner Laster wegen ewig zur Hölle verdammt wäre, sondern nurbis zu seiner Besserung! — Ich habe wohl zu den Pharisäerngesagt: ,Darum werdet ihr eine desto längere Verdammnisüberkommen!‘, aber nie: ,Darum werdet ihr auf ewig verdammtwerden!‘ — Verstehst du nun deine so gefährlich aussehendenSchrifttexte? Oder verstehst Du etwas noch nicht?"

(Spricht der Geist:) "O Herr, das habe ich wieder voll-kommen verstanden. Aber noch einen kleinen Punkt in der Schriftverstehe ich nicht ganz. Und das ist die ,unübersteigliche Kluft‘ inder Gleichniserzählung vom reichen Prasser ..."

(Der Herr:) ..."Valenti non fit iniuria; wer etwas selbst sowill, dem geschieht kein Unrecht!" — Die Kluft aber bedeutetwieder den nie übersteigbaren Unterschied zwischen Meinerfreiesten Ordnung in den Himmeln und der ihr in allemwiderstrebenden Unordnung der Hölle. Dieser Text bezeichnetalso nur deren Unvereinbarkeit, nicht aber eine ewige Torsperrefür denjenigen, der sich darin befindet. Amen."

116

Page 117: Jenseits der Schwelle - Drei · PDF fileVorwort Die im vorliegenden Büchlein Jakob Lorbers durch gött-liches Diktat mitgeteilten Aufschlüsse über das Sterben, Erwachen und Fortleben

Kapitel 15Eine ferne Frage

Am 12. Januar 1842

Was dereinst mit den "Verdammten" nach der "Wieder-bringung aller Dinge" geschehen wird, ist niemanden zu wissengestattet. Solches weiß auch kein Engel — selbst der höchste fürsLicht geschaffene Geist nicht. Nur die Gottheit des ewigen Vatersin ihrer Heiligkeit sieht vorher die Schicksale aller Kreaturendurch alle Ewigkeiten der Ewigkeiten, und jeder nach demheiligen Willen Gottes in dieser übergeheimnisvollen SacheErleuchtete aber erst in künftigen Zeiten.

117