Jhering - Der Kampf ums Recht

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    Rudolf von Jhering

    DER KAMPF UM'S RECHT

    Zum hundertsten Todesjahr

    des Autors

    herausgegeben von

    Felix Erm acora

    PROPYLÄEN VERLAG

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    Im Kampfe sollst du dein Recht finden.

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    Der Herausgeber

    Felix Ermacora, Professor für öffentliches Recht in

    W ien u nd D ozent in Innsbruck , war 1971—90 Abgeord-

    neter zum Österreichischen Nationalrat. Er ist Korre-

    spondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie

    der Wissenschaften und gehört den Menschenrechts-

    kommissionen der UNO und des Europarates an. Als

    Autor ist Erm acora m it etwa fünfhund ert wissenschaft-

    lichen und journalistischen Veröffentlichungen hervor-

    getreten. Er ist u.a. Träger des Menschenrechtspreises

    der UNESCO und des Bruno Kreisky-Preises für Men-

    schenrechte.

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    INHALT

    Vorrede

    von Felix Erm acora 9

    D er Kampf um 's Recht

    von Rudolf von Jherin g 59

    Anmerkungen 152

    Ribliographie

    zusammengestellt vom

    Herausgeber 159

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    VORREDE

    Am 17. September 1992 jährt sich der Todestag Rudolf

    von Jherings zum hu nd ersten M ale. Er lehrte zuletzt in

    Göttingen. Aber Wien war der Ort, an dem er jene

    Schrift verfaßte, die ih m weit üb er die Fachw elt hinaus

    Bekanntheit verschafft ha tte: »D er Kam pf um 's Recht«.

    Wenn Jhering heute noch lebte, er hätte für seinen

    Kampf ums Recht neues, reicheres Anschauungsmate-

    rial gefunden. Wohin man sich auch wenden mag, in

    Europa und in der Dritten Welt, sind es nicht nur die

    Inividuen, die ums Recht kämpfen und die Jherings

    Interesse besonders anzögen, sondern vor allem auch

    Völker und Volksstämm e.

    Jhering, ein Mann des

      19.

     Jah rhu nd ers, in seiner Zeit

    ein Fechter für den Individualismu s un d den Liberalis-

    mus,  konnte den Kampf der Gemeinschaften und Kol-

    lektivitäten u m das Rech t noch nich t so deutlich erken-

    ne n w ie die he utige n Zeitgenossen. Nicht daß es ihm an

    Ideen reichtum gem ange lt hätte, sondern er war wie w ir

    alle ein K ind seiner Zeit. Sie war noch n icht reif, ihm das

    Anschauungsmaterial zu liefern, das uns im Kampf um

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    die Ausübung des Selbstbestimm ungsrechts der Völker,

    im Kampf gegen Kolonialismus und Neokolonialismus,

    im K ampf gegen Holocaust un d Völkermord und in der

    Auseinandersetzung um die Menschenrechte aller Kate-

    gorien bereitet ist. Noch war seine Gemeinschaft der

    Staat und die Staatsnation, die durch ihn vertreten

    wurde. Die Völker und Völkerschaften waren zwar er-

    wacht, aber sie waren noch außerhalb der Reichweite

    systematischer juristischer Befassung.

    Jhering, der gebürtige Ostfriese (22. August 1818),

    brauchte vierundfünfzig Jahre seines Gelehrtenlebens,

    bis er

      —

      aus dem Reichtum seiner wissenschaftlichen

    Forschung, die er dem Zivilrecht und dem römischen

    Recht hauptsächlich gewidmet hatte, schöpfend

      —

      die

    Schrift herv org ehen ließ, die hier e rne ut aufgelegt wird.

    Sie ist die erweiterte Fassung eines Vortrages vor der

    Juristischen Gesellschaft am 12. März 1872, der in den

    damals eben begründeten Wiener Juristischen Blättern

    (1. Jg.

     [1872],

     Heft Nr. 3, Seiten 30 bis 34) wörtlich abge-

    druckt ist.

    Merkwürdig, daß in der reichen wissenschaftlichen

    Befassung m it Jhe ring niem and auf die Idee g ekom m en

    ist, die Vorgänge nachzulesen, die sich um Jhering und

    u m Jh erings Vortrag in W ien ereignet h atten .

    Dem Vortrag Jherings vor der Juristischen Gesell-

    schaft, die heute noch zu den prominentesten juristi-

    schen Vereinigungen Österreichs gehört, ist eine »Cor-

    respondenz« vorausgegangen, die von der Wiener Uni-

    versität unter »Ende Februar 1872« berichtet. Sie steht

    un ter d em Titel »Rudolf von Jhering «. Kein nachfolgen-

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    des Werk könnte die Atmosphäre, die Jherings Abschied

    von der Wiener Universität umgab, besser fühlbar

    machen als dieser Bericht. Wo gibt es heute im Betrieb

    der Massenuniversität, des vernachlässigten Studiums,

    des Zusam m enbruchs der Lehr -, Vorlesungs- un d L ern -

    kultur noch ein Echo auf einen scheidenden akademi-

    schen Leh rer , m ag er noch so wichtig gewesen sein?

    Hier einige der Gedanken, die über Jhering damals

    geschrieben wurden:

    11

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      w

    $cta«t

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    Schwer heimgesucht n an nten wir unsere Facultät. U nd das mit

    Recht. Zuerst entriß uns die leidige Politik vier Lehrkräfte von

    dem Gewichte eines

      Schäffle

     und

      Habietinek, Glaser

     u nd

      Unger,

    um sie von der erfolgreichsten Thätigkeit weg zu der Sisyphusar-

    beit österreichischer Minister zu rufen. Und nun kommt zu alle-

    dem der Abgang  Jhering sl Es mag schon an und für sich ein Stolz

    für jede Un iversität sein, un ter den G elehr tenn am en, die ihre Kan-

    zeln zieren, einen Mann von solcher origineller Geistesfülle wie

    den Verfasser des Werkes: >Geist des röm ischen Rechtes< nen nen zu

    können, wenn aber dieser Mann zugleich die so seltene Kunst des

    akadem ischen Vortrages in auße rgew öhn licher W eise besitzt, dann

    darf die Universität, welche ihn verliert, den Verlust geradezu

    unersetzlich nennen.

    Wer im m er Jhering vortragen zu hören G elegenheit hatte, wird

    zugeben, daß in Form und Inhalt dieses Vortrages alle jene Ele-

    m en te ihre harm onische V ereinigung finden, deren gleichzeitiges

    Zusam m entreffen das Ideal einer akadem ischen Vorlesung, einer

    vollkommen durchgeistigten Lehrmethode ausmacht. Jherings's

    Vortrag ist ebenso ernst und würdevoll als geistvoll, durchsichtig

    und lebendig, von dem Hörer die gespannteste Aufmerksamkeit,

    die höchst gesteigerte Denkthätigkeit in Anspruch nehmend,

    wenngleich er auf der anderen Seite durch Klarheit und Frische

    und geistreiche Anregung die Anspannung der Geisteskräfte des

    Hörers wieder um ein Bedeutendes erleichtert. Fern von jeder

    gelehrten Etiquette begeistert er nur mit dem Feuer und der

    Lebendigkeit seiner Rede.

    In richtiger Erkenntnis der Nothwendigkeit , daß dem Hörer

    schon beim Eintritte in das weite Gebiet juristischer Wissenschaft

    die Wärme und Sympathie für den Gegenstand seines Studiums

    gewonnen werden müsse, entwirft Jhering in seiner  Institutionen-

    vorlesung  eine farbenreiche Skizze dessen, was erst in der

      künf-

    tigen Darstellung des Pandectenrechtes als voll ausgeführtes

    Gem älde dem L ernen den entrollt w erden soll. D en Jünger, der für

    die Wissenschaft erwärmt werden muß, belastet er nur insoweit,

    als es unumgänglich nothwendig ist , mit dem, den jugendlichen

    13

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    Geist oft abstoßenden Quellenstudium. Er gewinnt ihn vielmehr

    mit einem interessanten Geschichtsbilde, überwiegend culturhi-

    storischer und mehr rechtsphilosophischer als rechtshistorischer

    Natur.

    Dem in dieser Weise für ein ernsteres, ungleich schwierigeres

    Studium Vorbereiteten eröffnet Jhering sodann sein   Pandecten-

    Collegium. Hier führt er den H örer in der ihm eigenen, lebendigen

    Form die Frucht langjährigen, eklektischen Studiums, die ganze

    Summe fremder Denkarbeit und eigener Forschung in großen,

    einheitlichen Züg en vor un d legt seiner dogmatischen, vom G eiste

    tiefster Wissenschaftlichkeit durchdrungenen, ausnehmend in-

    structiven Darstellung in der entsprechenden Weise jene Maxime

    zu Grunde, von der er in seinem >Geist des römischen Rechts<

    erklärt, daß sie die Bed eutun g des römischen Rechts für die mo der-

    ne Welt ausmache: >Durch das römische Recht, aber  über dasselbe

    hinaus  <

    Der instructiven Tendenz der Darstellung entsprechend, betritt

    er den Boden einer

     fruchtbaren

      Controverse, un d ficht auf der ein-

    mal betretenen Arena ebenso mit der siegreichen Waffe eines fei-

    nen juristischen Geistes als der des Humors und der beißenden

    Satyre.

    D as römische Rech t als ratio scripta, als Canon alles juristischen

    Denkens hinzustellen,  das  Recht an sich am  römischen   zu erfor-

    schen un d zu veranschaulichen^ darin sucht Jh erin g die Hauptauf-

    gabe der modernen, romanistischen Jurisprudenz, und daher auch

    seine sichtliche Abneigung, jene Partieen des römischen Rechts

    zum Gegenstande seiner Pandectenvorlesung zu machen , die — wie

    z.B.

      das Familienrecht, das Erbrecht

      —

      mit dem specifisch römi-

    schen Formalismus versetzt, sich desselben nicht leicht entkleiden

    lassen, und die dem denkenden Juristen in keiner Weise ein ähn-

    lich vielseitiges Terrain für sein Studium abgegen, wie etwa das

    Obligationenrecht, das zum kleinsten Theile mit eingethümlich

    römischen Auffassungen und Culturverhältnissen zusammen-

    hän gt, der m ode rnen R echtsanschauung und dem h eutigen R echts-

    verkehr am me isten entspricht.

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    An dieser Stelle sei auch jener hervorragen den Eigen thüm lich-

    keit der Jhering'schen V ortragsmanier gedacht, die wohl mi t u nter

    ihr e ersten Vorzüge zählt. W ir m ein en die besondere Be tonun g des

    casuistischen Elementes,  die reiche und treffende Exemplification

    der theoretischen D arstellung. Fü r jeden auszuführenden Lehrsatz

    verfügt Jhering über ein unschätzbares Materiale juristischer

    Casuistik zu dessen wirksam ster Illustration. In w ie hoh em Grade

    diese Darstellungsweise das richtige Verständnis des abstracten

    Rechtssatzes erleichtert, die klare Vorstellung fördert, die juristi-

    sche Urtheilskraft schärft, weiß wohl jeder zu würdigen. Dem

    W orte Seneca's: Lon gu m iter est pe r praecepta, breve et efficax per

    exem pla huld igt Jher ing im vollsten U m fange. Das Beispiel belebt

    eben das dürre Schema, läutert die Begriffe und prägt dem geisti-

    gen Auge ein rich tiges, lebensvo lles, fast unauslöschb ares Bild ein.

    Und da rum w urde es auch m it lebhafter Zu stimm ung begrüßt,

    als Jhe ring zum ersten M ale sein Pandectenpracticum   ankündigte,

    ein Collegium, das ebenso w ie die M itth eilu ng zahlreicher Rechts-

    fälle in den Pandectenvo rlesungen in erster L inie dem Zwecke die-

    nen soll, dem Hörer —  wir citieren Jhering's eigene Worte —  >das

    Abstracte in seiner Verkörperung a m R echtsfalle vorzuführen un d

    den für sein Auge noch kaum sichtbaren oder verschwimmenden

    Um rissen einen concreten, leicht zu fassenden u nd fest sich einprä-

    gend en I nh alt zu geben

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    von ihm angebahnten, ersprießlichen Weise wohl mit Recht

    gehofft werden kann.

    Dem Gefühle des Dankes aber für dieses sein vielseitiges,

    erfolgreiches Wirken kann und wird die juridische Facultät, wir

    kön nen aber auch sagen, die gesam m te Juristenwelt Oesterreichs,

    nur damit den wahren Ausdruck geben, indem sie dem hochver-

    dienten, hervorragenden Vertreter der Rechtswissenschaft, dem

    Menschen,  dem  Gelehrten  und dem  Lehrer Jhering   ein dauerndes

    und dankbares And enken bewahrt «

    Und dann im Heft Nr. 3 der Juristischen Blätter aus dem

    Jah re 1872 ein Stim m ungsbericht üb er Jhe rings Vortrag

    in der Juristischen Gesellschaft. Gewiß, es gibt auch

    heute noch immer die Vortragsberichte, sie sind karg

    und dürftig. Hier aber dieses:

    »Juristische Gesellschaft.

    Jhe rin g's Vortrag in der juristischen Gesellschaft.

    D ie juristische Gesellschaft ha tte a m

      11.

     d. Mts. einen w ahren Fest-

    abend zu verzeichnen. Auf der Tagesordnung stand Jhering's Vor-

    trag: >Der Kampf um das Recht.< Lange vor der anberaumten

    Stunde war der Consistorialsaal bis auf das kleinste Eckplätzchen

    von Mitgliedern der Gesellschaft und von Gästen gefüllt. Viele

    ha tten , lediglich u m den Vortrag zu hö ren, sich in den letzten Tagen

    als Mitglieder eintragen lassen. Im Saale waren die Sommitäten

    der hiesigen Juristenw elt vertreten, un ter ihne n der Justizm inister

    D r. Glaser, die beiden P räsiden ten des hiesigen Landes-G erichtes

    Scharschmid und Boschan, die Sectionschefs Fierlinger, Benoni

    un d B aron Hä rdtel, Sect.-Rath G iuliani u. A.

    16

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    U m 7

     7-*

     U hr erschien  Jhering, m it allgemeinem Applaus emp-

    fangen und hielt, nachdem der Vorsitzende der Gesellschaft

     v.

     Hye

    zuvor einige geschäftliche Mittheilungen gemacht, den Vortrag,

    welchen wir unten nach stenographischer Aufzeichnung wieder-

    geben.

    Nach Beendigung des Vortrags erhob sich Frh. v. Hye. um fol-

    gende Dankesw orte an Jhe ring zu richten.

    Hochverehrte Versamm lung

    W ollen Sie m ir erlau ben, ehe w ir uns tren ne n, daß ich als Vorstand

    dieser Gesellschaft noch eine Pflicht erfülle, indem ich Worte des

    Dankes an unseren gefeierten Gast, ich darf wohl sagen Festred-

    ner, richte. (Zu Jhering gewendet.) Das große Interesse, welches

    die bloße Verkündigung Ihres heutigen Vortrages in so vielen,

    durch ihre wissenschaftliche Bildung und Stellung ausgezeichne-

    ten M änn ern erzeugte, leuchtet wohl daraus hervor, daß he ute eine

    we itaus zahlreichere Freque nz, als je seit dem 10jährigen Bestände

    der Gesellschaft, Platz gegriffen ha t. D er m äch tige Eindruck, den

    der Vortrag, der von hochfliegenden Ideen, gleich wie von tief

    durchdachten Reflexionen, von völlig neuen und originellen An-

    schauungen und zu gleicher Zeit von Humor und Witz durchgei-

    stigt ist — der mächtige Eindruck, den dieser Vortrag auf uns Alle

    hervorgebracht, ist bezeugt durch den jubelnden Beifall, mit wel-

    chem man Ihnen antwortete. Diesem Ausdrucke der allgemeinen,

    außergewöhnlichen Befriedigung meinerseits auch nur ein Wort

    beizufügen, hieße ihn abschwächen. Leider aber muß ich es aus-

    sprechen, daß dieser unserer Freude und unserer großen Befriedi-

    gung darüber, was wir eben hörten, sich nicht bloß ein Tropfen,

    sondern ein ganzer Becher von Wermuth beimischt. Wir wissen es

    ja alle, daß wohl nur, wie ich mich selbst wiederholt überzeugte,

    einzig und allein die klimatischen Verhältnisse Wiens und die

    bedrohte Gesundheit, nicht zunächst Ihrer eigenen Person, son-

    dern Ihrer Fam ilienangeh örigen, den Entschluß in Ihn en hervor-

    brachten, die Wiener Universität, an welcher Sie seit fünf Jahren

    so ruhm voll gew irkt haben , w ieder zu verlassen.

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    Das Bedauern, das alle Männer, die sich noch ein warmes Herz

    für W issenschaft des Rechtes un d de ren Cultus bew ah rt haben , die

    W eh m uth , die un s Alle ergriffen un d fortan b eweg t, ist um so grö-

    ßer, da ja m it Ih ne n der letzte aus jenem glänzenden Dreigestirne

    scheidet, welches seit mehreren Jahren am Themishimmel der

    W iene r Un iversität leuchtete. (Bravo )

    Es war ein glänzender, hoher Ruf, der Ihrer Berufung nach

    Oesterreich vorausgegangen; er war nicht nur durch die laute

    Bewunderung constatirt, welche Tausende von Schülern Ihren

    Lehrvorträgen bezeugten, sondern vor Allem in jenem genialen,

    classischen Werke bezeugt, das wohl keinem denkenden Juristen

    der Jetztze it un bek an nt ist, im >Geist des röm ischen RechtsNon ergo a

    Praetoris edicto, neq ue a X II tabulis, sed pen itus ex intim a philoso-

    phia hau riend am esse juris dis cip lin ary Allein kaum Einem

    ist es so wie Ihn en , hochgefeierter Rechtslehrer, in Ih re m gen ann -

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    ten Werke gelungen, in lichtvoller Weise jenen herrlichen Con-

    structions- oder richtiger Krystallisations-Proceß aufzuzeigen, in

    dem zur festen Ur-Substanz der ewigen Idee des Rechtes allmälig

    die wechselnden Erfahrungen, Bedürfnisse und Anschauungen

    hinzuschießen, welche sich aus der nie ruhenden Bewegung des

    Lebens und Verkehres der Menschen und Völker entwickeln und

    stets neu gestalten, um sich ineinander und mit jenem ewigen

    U rkerne zu den Fo rm en des jeweilig bestehende n Rechtes zusam-

    menzufügen.

    Dasjenige aber, was Sie in Ihrem allüberall, wohin deutsche

    W issenschaft reicht, so ho chbe rüh m ten W erke, im >Geist des röm i-

    schen RechtsGeist des Rechtes  überhaupt  niederlegten, das wissen Sie m it

    Ih rem m ünd lichen W orte eben so überzeugend als anziehend wei-

    ter zu entfalten, das haben Sie

     —

      so bezeugen es mir Tag für Tag

    Ih re bereits nach Tausenden auch in Oesterreich zählenden Schüler

     durch Ihren anregenden, spannenden, so reiches Materiale bie-

    tenden, und zugleich so instructiv gruppirenden Lehr-Vortrag,

    durch Ihre, wie Ihre Schüler mir sagen, zur Bewunderung, ja

    Begeisterung hinreißende Darstellung auch an unserer Hoch-

    schule noch we iter v ollendet

    D aru m , verehr ter M ann , spreche ich es laut aus, daß jeden von

    uns in diesem Augenblicke Wehmuth darüber, daß Sie bald nicht

    mehr zu den Unsrigen gehören sollen, durchdringt, und darum

    werden Ihnen nicht bloß Anhänglichkeits-Adressen und Jubelzu-

    rufe der Studentenschaft, sondern auch die dan kba re A nerken nun g

    der ernsten Männer aus allen Kreisen der Wissenschaft und der

    Praxis des Rechtes in unserem Vaterlande, ja die Anerkennung

    Gesam mtösterreichs, so wie unsere vollsten herzen swa rmen Sym-

    path ien auch in Ih re neu e H eim at folgen. (Allgemeiner Beifall).

    Jhering

      erw iderte in sichtlicher Bewegung:

    G estatten Sie m ir, einige W orte zu erw idern. Ich schweige übe r die

    übertriebenen Ausdrücke der Anerkennung, die aus der besten

    Gesinnung Ihres Präsidenten hervorgegangen sind; es ist mir

    19

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    unendlich schwer, w enn ich der Gegenstand solcher Red e bin , mich

    darü ber auszulassen. Aber Eins müssen sie m ir gestatten: dem auf-

    richtigen Be dauern, m it dem ich von hier scheiden m uß , Ausdruck

    zu geben. Sie können mir glauben, daß mir schwer der Entschluß

    geworden ist, mich von Wien lozureißen, daß ich lange zu Rathe

    gegang en bin , ob ich es th un soll. Allein ich bin es der Gesun dhe it

    der Meinigen schuldig gewesen, meine Stellung aufzugeben.

    Erlauben Sie mir, die letzte Gelegenheit zu benützen, um Ihnen

    meinen Dank auszudrücken.

    Ich bin hier in einer solchen Weise empfangen worden, wie ich

    es nicht, un d keiner m einer Freu nde erwartet hab en. Ich habe nir-

    gends Vorurtheile gefunden, obschon ich aus dem Norden kam,

    obschon ich unmittelbar nach dem Kriege kam, der eine so große

    Kluft zwischen dem Norden und zwischen Oesterreich geschaffen

    hat. Ich bin im Gegentheile nach allen Seiten hin mit der größten

    Freundlichkeit aufgenommen worden, von Seite der Bevölkerung

    und von Seite meiner Studirenden, mit einem Entgegenkommen,

    w ie ich es auf wenige n deutschen U niversitäten gefunden, u nd wie

    es ein schönes Zeichen ist für die Bereitwilligkeit, mit der die

    Juge nd sich dem Dien ste der W issenschaft w idm et.

    M eine Her ren Zugleich aber, un d vor Allem w ill ich die Versi-

    cherun g an Sie richten, daß es m ir m ein L ebe nlan g Sache des H er-

    zens und der Ueberzeugung gewesen, den Verkehr mit meinen

    praktischen  Berufsgenossen aufzusuchen. Ich habe es immer

    ge tha n, und spreche es, wie schon oft, so auch jetzt aus, daß , we nn

    der Theoretiker sich zurückzieht von dem Verkehre mit Prakti-

    kern , er sich selber die beste Quelle seiner Er ke nn tniß un d Fortbil-

    dung abschneidet. Diesem Verkehre mit Praktikern danke ich

    nicht blos Erfolge in der dogmatischen Jurisprudenz, sondern ich

    bin fest überzeug t, daß, w enn es m ir gelun gen ist, auf dem Geb iete

    der Rechtsgeschichte Manches zu finden, was Andere nicht gefun-

    den haben, dies deshalb geschah, weil mein Auge durch den

    U m gan g m it Praktikern geschärft war.

    So also ka nn ich auch hier nu r sagen, daß das E ntge gen kom m en

    un d die A nerke nnu ng, die ich hier bei Ihn en gefunden habe , m ir

    2

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    zur wahren Befriedigung gereichen, und daß ich nicht Schöneres

    kenne, als wenn meine Bestrebungen gerade bei den   Praktikern

    Gefallen finden. H aben Sie für diese A nhänglichkeit m einen herz-

    lichsten Dank, un d seien Sie überzeugt, daß ich schweren Herzens

    aus Ihrem Kreise scheide, und daß ich jederzeit mich unendlich

    freuen werde , Ein en von Ih ne n, ich mö ge ihn persönlich g ekann t

    hab en oder nicht, wiederzu sehen; ich werde es als Zeichen betrach-

    ten, daß das geistige Band zwischen mir u nd Ih ne n n icht aufgehört

    hat.

    Nochmals m eine n D ank (Stürmischer Beifall.)

    Die Versammlung trennte sich in wahrhaft gehobener Stimmung;

    ein Th eil derselben, um sich im H ôtel »zur goldenen E nte« wieder

    zu einem improvisirten Banket zusammenzufinden, dessen Schil-

    derun g wir einer anderen F eder überlassen.«

    Und dann, auf Seite 34 desselben Jahrgangs der Juristi-

    schen Blätter, der

     Bericht über

     das

     »Bankett«.

     Auch dieser

    Bericht ist wiederzugeben. Es erübrigt sich zu wieder-

    holen, was in gelehrten Abhandlungen über Jherings

    Leben zu lesen steht. Jhering selbst spricht den Leser

    unmittelbar an. Auch wenn er noch nicht erwähnen

    konnte, daß er im Jahre 1885 als Dekan der juristischen

    Fak ultät der U niversität G öttingen

     Bismarck

     das Eh ren-

    doktordiplom zum 50. Jahrestag überreichen durfte.

    »Das Bankett.

    Wer es versäumt hat, nach der Plenar-Versammlung der Einla-

    du ng zur geselligen Z usam m enk unft Folge zu leisten, der ha t sich

    selbst um einen schönen, genußreichen Abend betrogen. U nter den

    50 bis 60 Mitgliedern der Gesellschaft, die sich im Gasthofe zur

    21

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    E nte einfanden , w ird wohl keines sein, das sich nicht noch in späte-

    rer Zeit m it Vergnügen an die dort zugebrachten S tunden erinn ern

    wird.

    W ar es Festkneipe , Bank ett oder Com mers? Keines von allen. Es

    war ein Stück juristischer Gesellschaft, das sich zur vorausgegan-

    genen Plenar-Versammlung verhielt, wie etwa das Scherzo eines

    classischen Q uar tetts zu dessen an dere n Sätzen.

    Das Th em a des Abends war eben Jhering und es wu rde in ern-

    ster, wehmüthiger, muthwilliger und heiterer Weise variirt. Der

    Gefeierte wurde nicht müde zu sprechen; er erwiederte jeden

    Trinkspruch, auf den einen in dankender, auf den anderen in

    ablehnender und wieder auf einen anderen in berichtigender,

    ergänzen der Form , so daß zuletzt das Bild Jherin g's als G elehrten,

    Menschen und Humoristen in so treffenden, markirten Strichen

    vor den Augen der Ve rsamm elten lag, w ie es keiner seiner Biogra-

    fen jema ls besser zu zeichnen im Stande sein dürfte.

    Wir wollen es nun versuchen, für unsere Leser eine Skizze des

    Abends zu en twerfen.

    Die Reihe der Toaste begann Friedrich Freiherr von   Hye.  Er

    knüpfte an die im Consistorialsaale gesprochenen Abschiedsworte

    Jherin g's an , daß das geistige Band zwischen ihm un d der Gesell-

    schaft erhalten bleiben solle. Er betonte, daß auch die Verbindung

    der Herzen eine bleibende sein möge, schilderte die glänzenden

    Herzenseigenschaften Jherin g's, des M enschen, des liebensw ürdi-

    gen Gesellschafters und des Humoristen, der mit seinen vertrau-

    lichen Briefen eines U nbe kan nten übe r die he utig e Jurisprudenz<

    die gesammte Juristenwelt zum Besten gehalten habe und seine

    Autorschaft, die er jetzt offen bekenne, dadurch deckte, daß er im

    ersten Briefe vor allen A nderen sich selber tüch tig >verrissen< ha be .

    Diesen Mann des Geistes, Gemüthes und Humors lasse er hoch

    leben

    Jhering

      dankte mit der Bemerkung, daß er am liebsten jedes

    einzelne Mitglied der Gesellschaft leben ließe. Da dieses nicht

    leicht möglich,

     so

     trinke er auf den Präsidenten Fre iherrn von H ye,

    der seinerzeit als M inister un ter g roßen Schw ierigkeiten energisch

    22

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

    22/157

    für seine Berufung nach W ien eingestan den, der ihn in die juristi-

    sche Gesellschaft eingeführt hat, der also sein Adoptiv-Vater in

    Oesterreich sei.

    W ähre nd sich H ye und Jh erin g um arm ten , brach die ganze Ver-

    sam m lung in begeisterten Jubel aus.

    Dr. Jaques, der nu n das W ort ergriff, schilderte in läng erer R ede

    die Bedeutung Jhering's als Bahnbrecher in der Auffassung des

    römischen Rechtes, dessen Geist, entgegensetzt dem Worte des

    Dichterfürsten: >Was man den Geist der Zeiten nennt, das ist der

    Herren eigener Geist, in dem die Zeiten sich bespiegeln

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

    23/157

    geschah gewöh nlich in Gesellschaft des D ichters Friedrich H ebbel,

    m it d em er viel verkeh rte. Er hab e sich für Schriftstellerei, Clavier-

    spiel und sonstige Kunst interessirt, ja sogar selbst eine Novelle

    geschrieben. Erst in Göttingen sei er durch Thöl und die Practica

    angeregt, entschieden für d ie Jurisprudenz gew onnen wo rden.

    Fü r die Kunst hab e er jedoch im m er hohes Interesse und B egei-

    sterung bewahrt. Nur der Künstler könne frei und unabhängig

    Gestalten schaffen, zu denen N iem and etwas hin zu thu n oder von

    ihnen etwas wegzun ehm en vermag . De r G elehrte müsse als Die-

    ner der Wissenschaft fortarbeiten und stets darauf gefaßt sein,

    w iderlegt oder verbessert zu werd en. So sei eben die künstlerische

    Thätigkeit das Ideal des menschlichen Schaffens und er bekenne

    heute noch offen, daß er für die Autorschaft eines guten deutschen

    Lustspieles jene des Geistes des röm ischen R echtes gerne einzutau -

    schen bereit w äre.

    Aus dem Drange nach künstlerischer Gestaltung könne viel-

    leicht eine oder die andere Stelle seiner Werke leichter erklärt

    werden. Seine Berufswahl war nicht unbeeinflußt von äußeren

    Verhältnissen.

    Nach beendeter akademischer Laufbahn wäre er vielleicht in

    den S taatsdienst getreten . Allein in H ann ove r herrschte dam als die

    U ebu ng, daß die Regierung sich ihre L eu te selbst aus den Studiren-

    den w ählte. Einer seiner Brüder befand sich schon in der Beam ten-

    laufbahn, zudem war man den Ost-Friesen nicht sehr hold, weil

    m an sie für ung ebildet hielt. D er Advocatur, die dam als in H ann o-

    ver geschlossen war, wo llte er sich nicht w idm en, w eil er kein e L ust

    ha tte , die Selbstän digke it erst in

     6

     bis

     10

     Jah ren zu ersitzen.

     So

     steu-

    erte er auf die D ocentu r

     los

     und ging nach B erlin, wo er prom ovirte.

    Nach abgelegtem Examen überkam ihn eine ungeheure Abspan-

    nu n g und M uthlosigkeit, die sehr bald durch den Ruf zur außeror-

    dentlichen Professur nach Würzburg gehoben wurde.

    Obzwar

      Stahl

      in Berlin ihm kein sehr günstiges Prognostikon

    für das L eh ra m t stellte, hab e er doch bald einen we iteren Ruf nach

    Basel, Rostock und Gießen erhalten. Nach dem Erscheinen des

    ersten Bandes seines Geistes des römischen Rechtes sei er vielfach

    24

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

    24/157

    angegriffen un d verke tzert worden, so daß er na he d aran w ar, eine

    persona famosa im römischen Sinne des Wortes zu werden. Es

    gehörte bereits zum guten Tone, namentlich bei jüngeren Schrift-

    stellern und insbesondere solchen, die um die Gunst der Berliner

    historischen Schule buh lten , ihm so ne be nh in in der Vorrede einen

    zarten Fu ßtr itt zu versetzen. E r sei jedoch auf der betre tene n Bahn

    muthig fortgeschritten, habe Nothwehr geübt und die ihm zuge-

    dachten Hiebe parirt, wohl auch selbst Hiebe ausgetheilt. Dessen

    ungeachtet sei er während seiner Gießener Professur nochmals in

    krankhafte Abspannung verfallen. Er habe an Melancholie und

    Gedächtnißschwäche gelitten, so zwar, daß er bereits die Namen

    der einfachsten G egen stände zu vergessen anfing. I n dieser trauri-

    gen Lage sei ihm der Gedanke gekommen, sich ganz der Land-

    wirthschaft zu widmen, und er hätte denselben wahrscheinlich

    auch ausgeführt, wenn es ihm nicht glücklicherweise an dem zum

    Ankaufe eines Landgutes nöthigen Gelde gemangelt hätte.

    U nte r solchen Verhältnissen sei er sich in and erer W eise zu Hilfe

    gekommen. Er habe für einige Zeit jede geistig anstrengende

    Arbeit aufgegeben, habe wie ein Taglöhner in seinem Garten

    gegraben, Salat und Bohnen gepflanzt u.s.w. Nach kurzer Zeit

    seien Geistesfrische, Lebenslust und Schaffensdrang wieder ge-

    komm en.* Daraufhin habe er m uth ig fortgewirkt und sein H aupt-

    werk weiter gefördert, obgleich ihm ein guter Freund aus Berlin

    nach dem Erscheinen des ersten Bandes bemerkte: >Mein lieber

    junger

     Freund

    W as hab en Sie da für Zeug zusammengeschrieben?

    So werden Sie es nicht weit bringen. Ich habe Besseres von Ihnen

    erwartete Auf die Briefe eines Unbekannten zurückkommend,

    bem erkt Jherin g, daß er dieselben separat herausgeben werde, daß

    er jedoch noch einige Briefe dazu schreiben müsse, die ihm jetzt

    nöthig scheinen, nachdem seine Autorschaft bekannt ist. Er ge-

    denkt mit Vergnügen verschiedener Gespräche mit Juristen, die

    nach dem Autor fahnd eten un d erzä hlt höchst ergötzlich von ein em

    vergeblichen Versuche, der dahin gehen sollte, durch Vermittlung

    der Frau des Rédacteurs Hiersem enzel dem Autor auf die Spur zu

    kommen.

    25

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

    25/157

    Für diejenigen, die sich des Inhaltes der Briefe nicht erinnern,

    gibt er zur Charakterisirung derselben die Geschichte von jenem

    Rechtshistoriker zum Besten, der den

     Eingriff,

      den der Zufall in

    Gestalt eines Windstoßes und Stubenmädchens in die systemati-

    sche A nord nun g seiner römischen Rechtsgeschichte vo rgenom m en

    hatte , geneh m igte und adoptirte.**

    Aus Anlaß der Erwähnung von Universitäts-Verhältnissen

    spricht sich Jhering mit Rücksicht auf Oesterreich für unbedingte

    Lernfreiheit, Einführung der Practica und Verminderung der

    Ex am ina, sowie der sogenannten obligaten Fächer aus.

    Der juristischen Gesellschaft aber gibt er den wohlgemeinten

    R ath , nich t so sehr auf trockene, ge lehr te Vorträge, als auf gesellig

    heitere Zusammenkünfte Gewicht zu legen, bei welchen die ver-

    schiedensten, ernsthaftesten Themata in allseitig erschöpfender

    und anregender Weise durchgesprochen werden können. Er selbst

    hab e aus dem Um gang e m it Praktikern manche Frucht gewonnen

    un d wolle gerne auch in Göttingen im geistigen Verbände mit der

    Wiener Juristischen Gesellschaft bleiben. Jedes einzelne Mitglied

    derselben werde er dort m it Freuden w illkom men heißen.

    Es bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung, daß die Worte

    Jhering's, die wir hier im Zusammenhange wiederzugeben ver-

    suchten, die aber, wie schon erw ähn t, in unterbroch ener Rede u nd

    Gegenrede gesprochen w urden, von der Versamm lung m it

     lebhaf-

    ter Theilnahme und warmem Enthusiasmus aufgenommen wur-

    den.

    Noch toasteten unter Anderen Dr. Kaserer auf die juristische

    Gesellschaft, D r. Piffel auf den K ünstler Jher ing , der es w ie kaum

    ein an de rer ver steht, seine Schüler zu begeistern, Dr. Ad ler auf d ie

    Familie des Gefeierten u.s.w.

    Ein Telegramm des Dr. Környei aus Pest, das leider zu spät an

    die Adresse eines Ausschußmitgliedes gelangte, enthielt die Bitte,

    dem unüberwindlichen Kämpfer für das Recht im Namen des

    abw esenden M itgliedes Környei ein donnernd es Hoch zu bringe n.

    Für den Schluß dieser Zeilen haben wir uns den von Notar Dr.

    Leidesdorf ausgebrachten Trinkspruch aufbewahrt.

    26

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

    26/157

    Dieser faßte die zerstreuten Strahlen des Geistes und Humors

    wie mit einem Brennspiegel in einen einzigen Punkt zusammen

    und war eben deshalb von zündender Wirkung. Er lautete unge-

    fähr wie folgt:

    M eine H erren N iema nd ka nn aus seiner H au t fahren, also ich

    auch nicht. Un d doch möch te ich gern e den geschäftlich-trockenen

    Notar abstreifen und im Namen meiner Berufsgenossen zur Feier

    des Tages beitragen. Da ich, wie schon gesagt, meine persönliche

    Qu alität nicht zu beseitigen verm ag, so gestatten Sie, daß ich drei

    Notariats-Acte aufnehme. Erstens eine

      Vidimirung.

      Ich bestätige

    und bekräftige, daß die heu te hier von dem anw esenden Hofrathe

    Jhe ring durch Dr. Jaques entworfene Copie dem m it dem Stempel

    des Geistes verseh enen O riginale vollkom m en gleich sei. Zw eitens

    eine  Legalisirung: Ich bestätige un d bek räftige, daß die Verehrung

    und Begeisterung, welche die juristische Gesellschaft dem anwe-

    senden Hofrathe Jh erin g zollt, vollkom m en echt und glaubw ürdig

    sei. D ritten s ein   Lebenszeugnis:  Ich bestätige und bekräftige, daß

    der anwesende, eben genannte Hofrath Jhering nicht nur unter

    uns,

      sondern auch in seinen Werken und in der Wissenschaft lebt

    und unsterblich leben wird im m erd ar hoch Erst gegen die zweite

    M orgenstunde tren nte n sich die Fes ttheilneh m er in der heitersten

    Stimmung.«

    Dann heißt es auf Seite 35 der Juristischen Blätter:

    »U nm ittelbar eh e Jh erin g in die Juristische Gesellschaft

    sich begab, um den Vortrag >Der Kampf ums Recht< zu

    halten, wurde ihm seitens der  k. russischen Botschaß in

    *

      Siehe die Vorrede zum 2 . T h . des G. des röm . R., ddo. Gießen ,

    14. October 1854.

    ** Siehe Deu tsche Gerichtszeitung von Hiersem enzel 1863 Nr. 21. Der

    dort entha lten e 5. Brief dürfte üb erh au pt e iner der launigsten sein.

    27

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

    27/157

    Wien

      ein Schreiben zugestellt, dessen Inhalt zufolge der

    russische Kaiser dem gefeierten Rechtsgelehrten in An-

    erkennung seiner Verdienste um die Rechtswissenschaft

    und um die Ausbildung hier absolvierter russischer

    Rechtshörer das Commandeurkreuz zweiter Klasse des

    St. Annen-O rdens verliehen hat.«

    Auf Seite 85 der eben genannten Juristischen Rlätter

    liest man unter »kleine Mitteilungen«: »Hofrath Jhe-

    ring wurde in Anerkennung seiner Verdienste um die

    Rechtswissenschaft von   Sr. Majestät dem Kaiser   durch

    die Verleihung des Ritterkreuzes des Leopold-Ordens

    ausgezeichnet.« Mit dieser Auszeichnung war auch der

    erbliche Adel verbunden.

    Bevor noch die Veröffentlichung der erw eiter ten Fas-

    sung des Vortrags »Der K ampf um 's Recht« im Som mer

    1872 erfolgte, kam en Kritiker, die sich gegen den In hal t

    des Vortrages wand ten . Auch sie sind in den Juristischen

    Blättern

     —

     anonym

     —

     abgedruckt. Auf Seite 166 heißt es

    unter »Ausland«: »Der Kampf um das Recht vom rich-

    terlichen Standpunkt aus betrachtet. Berlin, 15. Mai

    1872. Erste r Brief.« Es folgen auch noch e in zweiter Brief

    und ein dritter Brief eines Berliner Richters. Und dann

    berichten die Juristischen Blätter unter dem  21. Ju li 1872

    vom  Abschied der Juristischen Gesellschaft von Professor

    Jhering:

    28

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

    28/157

    »Correspondenzen.

    Oesterreich- Ungarn.

    Wien,

      19.

     Juli 1872

    Abschied der Juristischen Gesellschaft von Professor Jhe ring .

    Die in  Wien anwesenden Mitglieder  des Ausschusses der Juristi-

    schen Gesellschaft,  und  zwar Freiherr  von Hye  (Obmann), Dr.

    Jaques

      (Obmannstellvertreter),

      Hof- und

      Gerichtsadvocat

      Dr.

    Feistmantel,

      Privatdocent

      Dr.

     K aserer

     und

      Notar

      Dr. Leidesdorf

    erschienen  am  letzten Mittwoch  in der  Wohnung  des  Hofrathes

    Jhering, um demselben Nam ens der juristischen Gesellschaft eine

    Abschiedsadresse zu überreichen.

    Nachdem Freih. v. Hye dem  tiefen Bedauern  der  Gesellschaft

    über das Scheiden des  gefeierten Mitgliedes, sowie dem Wunsche

    Ausdruck gegeben hatte, daß Jhe ring auch ferner  ein Gönner der

    Gesellschaft bleiben m öge, sprach Jh erin g

     in

     warm en W orten

     sei-

    nen Dank für die ihm dargebrachte Ovation aus. Er betonte, daß

    ihm in Oesterreich mehr Erfolge zu Th eil geworden wären, als er

    jemals zu  erringen haben hoffen dürfen, und daß sein ganzes Ver-

    dienst eigentlich  nur  darin bestehe, daß er vom  Anfange seines

    Wirkens an die  Verbindung zwischen  der  Wisenschaft  und dem

    praktischen Leben als für das G edeih en beider unerläß lich angese-

    hen habe. Um so werthvoU er sei es ihm aber, sein Bestreben gerade

    von  den  Praktikern  in der  Jurisprudenz anerkannt  zu  sehen. Er

    schloß mit dem Versprechen, da ß, we nn er, wie er hoffe, im Früh-

    ling  des  kommenden Jahres Wien besuche,  er  nicht versäumen

    werde, der Gesellschaft w ieder ein en V ortrag zu widmen.

    Hierauf verlas

     Dr.

     Jaques die (von ihm  verfaßte) Adresse, wel-

    che nachfolgend laute t:

    Verehrter Hofrath Jhering

    >Inmitten  der  großen Anzahl Derjenigen,  die Ihr  Scheiden  aus

    Oesterreich mit tiefem Bed auern erfüllt, erscheint auch die Juristi-

    29

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

    29/157

    sehe Gesellschaft zu Wien. Geschaffen zu dem Ende, die segens-

    reiche Verbindung zwischen Wissenschaft und Leben auf dem

    Gebiete der Jurisprudenz zu fördern, berufen, weithin Zeugniß

    dafür abzulegen, daß die U ebun g der Rechtspflege nim m er gedei-

    he n k ann , wen n sie nicht belebt und gehoben ist durch die wissen-

    schaftliche Durchdringung der tiefsten Bedürfnisse der Zeit und

    des Volkes, mußte unsere Gesellschaft den Meister ernster For-

    schung, zugleich den freien, phnatasievollen, den der concreten

    Wirklichkeit zugewendeten Denker von Vornherein mit den

    wä rm sten Sym pathien begrüß en. M it diesen Sym pathien aber ver-

    band sich innige Dankbarkeit, als Sie, verehrter Herr, die Bedeu-

    tung unserer Aufgabe freundlich würdigend, Ihre Wirksamkeit

    uns widmeten und unseren Kreis zu wiederholten Malen mit der

    D arleg ung werthvo ller Resultate Ihr er Arbeit erfreuten.

    Unv ergeßlich w erden uns Allen in der T ha t jene Abende

     sein,

     an

    welchen S ie in großen Perspectiven d ie charakteristischesten Zü ge

    des römischen R echtslebens, ja des Civilrechts üb erh au pt un s vor-

    überführend, uns den Einblick in die innerste Werkstätte Ihres

    Schaffens gönnten. Es bleibt in den Annalen der Gesellschaft für

    im m er verzeichnet, wie damals in dem dichtgedrän gten Saale ein

    Jeder in fast athemloser Spannung an den Lippen des Redners

    hin g, welcher, selbst von seinem Stoffe begeistert, Begeisterung zu

    erwecken nicht verfehlen kon nte. Da w ar wohl Niem and in unse-

    rer M itte, den es nicht mi t We hm uth erfüllt hä tte, daß er nicht vom

    An begin ne seiner Studienlaufbahn Ih r Schüler gewesen war, oder

    der sich nicht im Stillen zuschwor, wo im m er die wissenschaftliche

    Bewältigung des positiven Rechtes für ihn in Frage stehe, Ihren

    Wegen getreulich zu folgen. Durch die Versammlung ging jener

    Zu g der inne ren Erh ebu ng, der nur dort waltet, wo die Ergebnisse

    tiefen Denkens in künstlerisch vollendeter, in edler und reiner

    Form zum Ausdrucke gelangen. In dem stürmischen Beifall, der

    Ihnen dargebracht wurde, lag das Bekenntniß, das sich in dem

    D ichterwo rte ausspricht: Deines Geistes hab ich einen Hauch ver-

    spürt. Jen er Geist aber, der uns gleichsam magisch fesselte, es war

    der G eist des in seinem innersten Wesen erk ann ten, als ein lebens-

    3

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

    30/157

    voller Organismus erfaßten und so gleichsam wiedergeborenen

    römischen Rechtes.

    Un vergeßlich b leibt es un s aber auch ferner, wie Sie den nu r all-

    zukurzen Stunden der Belehrung dann jedesmal jene fröhliche

    Geselligkeit folgen ließen, die uns Allen die Zunge löste und die

    Herzen erweiterte. Da walteten Sie aufs Neue als ein Vorbild in

    unserer Mitte, als Vorbild einer Liebenswürdigkeit und eines

    Hu m ors, wie sie als ein Gn adengeschenk stets nur De nen zu Th eil

    werden, die in selbstloser Hingebung den idealen Interessen der

    M enschheit sich gew idm et h aben .

    W enn wir Ih ne n d eßhalb mi t diesen flüchtigen W orten un seren

    herzlichen Abschiedsgruß darbringen, so geschieht es im Vollge-

    fühle des Dan kes, den wir Ihn en schulden. Un d w enn Ih re Genos-

    sen an der Hochschule unserer Stadt in Ihnen hinfort den gefeier-

    ten G elehrten, den vereh rten Collegen vermissen, wen n die künfti-

    gen Generationen der Jünger unserer Wissenschaft des genialen

    Lehrers schmerzlich entb ehre n w erden, so ist unser Bedauern ein

    um

     so

     intensiveres, da wir Sie

     als

     Leh rer u nd Genossen zugleich, da

    wir Sie als den trefflichen M an n der W issenschaft un d als den lie-

    benswürdigsten Cameraden haben wirken sehen und Sie als sol-

    chen schätzen und lieben gelern t ha be n. Ein unv erbrüchlich treues

    And enken b leibt Ih ne n in unserer M itte bis in die fernste Zuku nft

    gesichert^

    H iem it war der officielle T he il der Abschiedsfeier been det u nd

    Jhering bot in mehrstündigem Beisammensein den Anwesenden

    Gelegenheit, ihn auch bei diesem Anlasse wieder als den liebens-

    würdigen humoristischen Hauswirth kennen zu lernen, als wel-

    chen er sich schon bei so vielen A nlässen b ew äh rt hat.«

    Aber nu n zur Sache: Fü r den flüchtigen Leser genügt es

    zunächst, den

      Vortrag Jherings

      kennenzulernen, den er

    vor der Wiener Juristischen Gesellschaft unter dem

    31

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

    31/157

    Titel »Der Kam pf urn's Recht« geha lten ha t. D ie Juristi-

    schen B lätter (1872, Seite 29 ff.) schre iben:

    »Ueber den Vortrag selbst irgend etwas Lobendes zu sagen, hieße

    >Eulen nach A then tragenDer Kam pf ne uer Rechtssätze und

    Rechtsinstitute um das Recht ihres Daseins und ihre gesetzliche

    Anerkennung

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    Grenzen der Jurispruden z nah ezu h eraus, un d ist für den Laien von

    gleichem Interesse w ie für den Juristen .

    Ich will sofort zeigen, was ich unter dem m ir gew ählten T he m a

    verstehe, über dessen Art vielleicht bei Manchem von Ihnen noch

    eine unrich tige Vorstellung b estehen kö nnte .

    Die herrschende Vorstellung pflegt an den Begriff des Rechts

    zugleich den Gedanken des Friedens, der Ordnung zu knüpfen.

    Nach einer Seite hin ist diese Vorstellung wohl vollkommen be-

    rechtigt; sie ist ebenso berechtigt wie die Vorstellung, welche das

    Eigenthum als Genuß auffaßt. Dieser Seite entspricht aber auch

    eine andere bei beiden Begriffen. Beim Eigenthum ist die Kehr-

    seite desselben die Arbeit, beim Rechte ist die Kehrseite des Frie -

    dens und der Ruhe:  der Kampf.

    Je nach der Verschiedenheit der Leben sstellung, der historischen

    Zeitalter kehrt bei beiden Begriffen sich bald die eine Seite mehr

    heraus, bald die and ere.

    Dem reichen Erben, der mühelos zu den ererbten Gütern

    kom m t, für ih n ist das Eig en thu m nicht Arbeit, sondern G enu ß.

    Dem Arbeiter hingegen, der täglich an die Mühseligkeit des

    Erwerbes erinn ert w ird, dem ist das Eig en thu m die Arbeit.

    D em La ien, der davor verschont geblieben ist, das Recht in sei-

    ner vollen Thätigkeit kennen zu lernen, ihm mag das Recht nur

    Friede und Ordnung bedeuten. Sie, meine Herren, als praktische

    Juristen, wissen es, daß das Recht zugleich Kam pf ist, und daß Sie

    vor Allem dazu berufen sind, in diesen Kampf e inzu treten , ihn auf

    der einen Seite zu fördern, auf der an dere n ih n zu schlichten.

    Von diesen beiden A uffassungen des Rechts ha t in unsere r rom a-

    nistischen Wissenschaft diejenige den Vorzug, welche den Begriff

    des Rechts an den der Ru he un d d er O rdn un g knüpft, und Savigny

    sprach es vorn ehm lich aus: Das Recht entw ickele sich wie die Spra-

    che, es entsteh e aus dem im Volke lebe nd en Rechtsgefühl, aus der

    M acht der rechtlichen Ueb erzeugun g.

    Daß aber diese Ueberzeugung einen gewaltigen Kampf zu

    kämpfen hat, der bei der En twick elung der Sprache un d der Kunst

    durchaus nicht stattfindet, trit t völlig in den H interg run d.

    33

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

    33/157

    D aß schon

     —

     was in der Theo rie des gesetzlichen R echtes beach-

    tet werden muß — das Werden eines Gesetzes, des Productes, der

    legislativen Reflexion, unter gewaltigem Kampfe erfolgt, unter

    dem Kampfe der Stände gegen die Stände, der verschiedenen

    Mächte innerhalb des Staatslebens gegen einander — das verdien t

    jedenfalls Berücksichtigung.

    W ir brauchen nu r einen Blick zu th u n in die Welt, um zu erken-

    nen , welche M üh e, welchen Kampf die Du rchsetzung des Rechtes

    kostet. Es ist die Ueberzeugung vom Rechte, der Glaube an die

    Wahrheit, der sich geltend machen will. Aber jede Wahrheit hat

    nicht bloß einen entgegengesetzten Irrthum zu bekämpfen, son-

    dern — und dies vor Allem — entgegenstehende  Interessen.

    Jeder Rechtssatz, seine Durch füh rung, alle w ichtigen Rechtsän-

    derungen erfordern einen Kampf gegen bestehende Interessen.

    D en n das bestehende R echt, die herrschenden R echtssätze h än-

    gen mit tausenden Wurzeln und Fäden mit der Wirklichkeit , mit

    den Interessen zusam m en, un d trit t ein neue r Rechtssatz auf, dan n

    han delt es sich nicht bloß um seine W ahr heit u nd Richtigkeit, son-

    dern auch um den Gegensatz, in den er sich m it bestehen den Inter-

    essen stellt.

    Alle wichtigen Rechtssätze, die in der Welt geworden sind,

    haben ihren W eg genom men über zertretene Interessen.

    Das Recht en tsteh t eben nich t wie die Sprache schmerzlos, nicht

    im W ege der bloßen Ueberzeugu ng, sondern es wird un ter Schmer-

    zen geboren, wie das Kind von der M utter, un d gerad e darin beru ht

    die sittliche Kraft, die hin terh er d em R echte inn ew oh nt.

    Ein Rechtsinstitut, das nicht erkämpft wird, hat für uns nicht

    den moralischen Werth; nur der Gedanke an den Kampf schlingt

    zwischen uns und dasselbe das sittliche Band, gibt un s die morali-

    sche Kraft, d ie un s veran laßt, für dasselbe ganz einzutre ten. (L eb-

    hafter Beifall.)

    Ich will aber den Gedanken nicht weiter ausführen, wie das

    Rech t zu kämp fen ha t, um sich zu verw irklichen, ich will nich t wei-

    ter von der Bildung   des Rechtes sprechen, obschon ich es berü hre n

    zu mü ssen glaubte, sondern ich will im Folgen den nu r von der Ver-

    34

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

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    wirklichung des Privatrechtes sprechen, oder wie ich es bezeichnet

    habe,

     von dem >Kampfe u m 's Recht

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

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    wirklich thut und nicht davor zurückbebt, ihn für sich anzurufen,

    ihn für sich geltend zu m achen , ihn für sich zu verw irklichen.

    Und insoferne kan n m an auch sagen: Jeder Einzelne ha t die sitt-

    liche Aufgabe, mitzuwirken an der Verwirklichung der Wahrheit

    un d des Rechts am L eben ; jeder Einze lne ist für seine besch ränkte

    A tmo sphä re W äch ter un d Vollstrecker des Gesetzes.

    Wohin würde es führen, wenn ein Bruchtheil eines Volkes, ein

    Stand, aus welchen Grün den im m er — sei es, weil die S taatseinrich-

    tun gen es ih m erschweren oder aus and eren G ründ en

     —

     nicht m ehr

    den M uth hätte , den Kampf für sein Recht zu verwirklichen?

    Es w ürd e dahin führen, daß auch dem Einzelnen, der den M uth

    hierzu hat, die Aufgabe unendlich erschwert wird.

    In demselben Maße, wie die Uebrigen zurückgehen, fällt auf

    den Einzelnen eine ungleich schwere Kraft.

    Ich möchte dies vergleichen m it de r Flucht in der Schlacht. Wenn

    alle zusam menstehen, so haben sie Aussicht auf den Sieg; wenn ein

    Theil sich aber zurückzieht, dann wird es auch mit den Zurück-

    bleibenden bedenklich und schließlich müssen auch sie weichen.

    Es liegt also in der Aufgabe des Einz elnen , dort, wo sein Recht in

    Fra ge steht, es zu verw irklichen, ind em er für dasselbe ein tritt.

    Erfüllt er diese seine Aufgabe nicht, dann gibt er nicht bloß sein

    eigenes Interesse auf, sondern auch das Interesse der Gesellschaft,

    er versündigt sich gegen die Interessen seiner Mitbürger. Allein

    m an wird m ir en tgegen halten: wozu bedarf es den n erst einer Auf-

    forderung an den E inzelnen, sein Recht geltend zu machen? Dazu

    bestim m t ihn ja oh neh in sein eigenes Interesse h inlänglich.

    Ist denn das Interesse das einzige Motiv für den Berechtigten,

    das ihn veranlassen m üß te, sein Recht in jedem Fa lle zu verfolgen?

    Das leugne ich entschieden. Wenn mir ein Object im Werthe von

    zehn Gulden verloren gegangen ist, z.

     B.

     ein Napoleon ins Wasser

    gefallen ist, werde ich kein e eilf Gu lden daran setzen, um

     es

     wieder

    zu bekomm en.

     So

     wü rde ich auch, w enn es reine Frag e des Interes-

    ses wäre, wenn ein Object von 10

     fl.

      in Frage steht, keine Auslage

    von vielleich t 100

     fl.

     dara n w enden , u m m ir dieses Object wieder zu

    verschaffen. Und doch zeigt un s die tägliche Er fah run g das Gegen-

    56

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    theil

     —

     und

     Sie,

     m eine H erren , w erden es am besten zu beu rtheilen

    wissen, daß Jemand einen Proceß unternimmt für ein verhältnis-

    m äßig ganz unb edeu tendes Object.

    D er nüch terne M ann , der für die w ah re Auffassung des Rechtes

    kein Verständnis hat, nennt einen solchen einen Streitsüchtigen,

    einen Querulanten.

    De r M ann aber, der sein Rech t bis zum A eußersten verfolgt, der

    weiß sehr gut, w aru m er sein Recht haben will.

    D er m oralische, der ethische Erfolg ist es, der ih n dazu tre ibt.

    Mir sind aus der patriarchalischen Zeit der Justiz

      —

      ich weiß

    nicht, ob dieselbe auch in Oesterreich g eblü ht h at

     —

     manche A nek-

    doten bekannt, die die verkehrte Auffassung vom Rechte und sei-

    ner Verfolgung illustriren.

    Ein beq uem er A m tm an n, dem es zu lästig war, kleine oder lang-

    wierige Processe der gesetzmäßigen Entscheidung zuzuführen,

    war stets sofort dabei, wenn es sich um kleine Summen handelte,

    der ihr Recht ansprechenden Partei dieselbe zu offeriren und in

    dieser Weise die m eisten Processe zu entscheiden. (Heiterke it.)

    Das kostete ihn jährlich ein paar Hundert Gulden, aber hatte

    dafür Ruhe und glaubte im vollsten Maße seine Pflicht erfüllt zu

    haben. Meine Herren

      Ich würde sein Geld zurückgewiesen

    haben ; ich will m ein R echt hab en.

    Das Interesse meine s Rechtes ist eben nicht äq ual m it dem W er-

    th e der Sache, die ich verfolge.

    W orauf b eru ht dies Verlangen nach seinem R echte? Nach mei-

    ner Auffassung, m.H., ist das Recht ein Stück der Person selbst,

    hängt mein Recht mit meiner Person innig zusammen, es ist ein

    Stück von m ir selbst, es ist ein Stück m ein er Arbeit.

    D ie ganze Perip herie der m ir eigenthü m lichen Rechte, die mich

    umgibt, ist meine erweiterte Kraft, meine erweiterte Persönlich-

    keit, m ein eigenes Selbst. W ird auf Eines dieser Stücke ein Schlag

    geführt, dann empfindet es das Centralorgan, die ganze Persön-

    lichkeit. Der Zustand der Verletzung des Rechtes bringt erst das

    wahre Wesen des Rechtes zur vollen Einsicht. Wie in der Medicin

    die pathologischen Affectionen gewisser Organe erst über die

    37

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

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    w ahre Be deutun g und Fu nction derselben die richtige Aufklärung

    geben , ebenso erschließt un s Juristen erst die Verletzung des Rechts

    die w ahre Bed eutun g desselben.

    Ist nun das Recht als solches verletzt, dan n the ilt sich der gegen

    dasselbe gefüh rte Schlag der ganzen Pe rsönlichkeit m it, sie reag irt

    dagegen, und je nach der Verschiedenheit der Art und Größe der

    Verletzung ist diese Reaction selbst wieder eine heftige oder eine

    minder heftige. Liegt lediglich objectives Unrecht vor, so mag die

    angegriffene Persönlichkeit das Gefühl des erlittenen Unrechts

    noch überwinden. Ganz anders aber, wenn mit dem

      objectiven

    Unrecht noch eine

     persönliche

     Schuld des Gegners sich verbindet.

    Das  Wissen des Unrechts,  der dolus, die culpa, die offene Absicht,

    mich zu verletzen, die kränkende Form, der Hohn, mit dem es

    geschieht, zeigen es klar, daß die Verletzung nicht m eh r d er Sache

    gilt. Jetzt hand elt es sich um die Vertheidigung m eine r Persönlich-

    keit, um den K ampf für m ein gekrän ktes Recht, un d es ist ein Zei-

    chen der Feigheit, w enn ich diesen Kampf ablehn e.

    Nich t bloß die Person ist hie r getroffen, sondern die Majestät des

    Rechtes selbst ist verletzt, verleugnet — un d d ie sittliche E ntr üs tun g

    gerade hierüber macht es unmöglich, einen solchen erlittenen

    Schmerz zu überw inde n, der Kampf für die Idee des Rechtes gibt

    der verletzten Person d ie Nachh altigkeit, die Energie in der Verfol-

    gun g ihres Rechtes.

    D iese En ergie, dieser Affect in der Rech tsverfolgung ka nn etwas

    höchst Poetisches annehmen, und unsere Dichter haben auch die-

    sen Stoff mehrfach behandelt.

    Ein e unsere r schönsten deutschen Novellen, >Michael Kohlhaas<

    von Kleist, zeigt uns den Menschen im harten Kampfe mit dem

    U nrech t. Er un terlieg t zuletzt den schlechten Einrich tung en un d es

    ere ilt ih n e in tragisches Schicksal. Ebenso ist es in d em  >Kaufmann

    von  Venedig

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    Individuen sehr verschieden. Verschieden nach der Verschieden-

    heit d er Völker und der Z eiten. Worauf b eru ht aber diese Verschie-

    denheit? Hä ng t es m it der Volks-Individualität zusamm en, b eruht

    es auf eine r Verschiedenheit der natio na len Auffassung? Ich bin zu

    dem Resultate gekommen, daß es zusammenhängt mit der Ver-

    schiedenheit der Bewerthung des  Eigenthums.

    Nicht jedem Geschlechte, jeder Generation, jedem Individu um

    ist das Eigenthum in gleicher Weise werth. Die Art des Eigen-

    thumserwerbes ist in dieser Beziehung maßgebend. Ein Volk, das

    m ühsam m it dem Boden, m it der Natur ringen m uß , um seine Exi-

    stenz sich zu sichern, wird täglich un d stünd lich a n die B edeutung ,

    an den W erth des Eig enth um s erinnert, ihm ist das Eig enth um der

    Niederschlag vieler Arbeit, Entbehrung und Mühe. Wir können

    dies auch in der jetzigen Zeit bemerken; denken wir nur an den

    Gegensatz zwischen   Stadt  und  Land.  Die Städter und der Land-

    m an n w erden, w enn auch in ganz gleichen Vermögensverhältnis-

    sen, das Geld, den Werth desselben, den Werth des Eigenthums

    m it ganz anderen A ugen ansehen. In der Stadt, wie etwa in W ien,

    bestim m t sich die Art der Schätzung n icht nach Le ute n, die schwer

    arbeiten, sondern nach Leuten, die verhältnismäßig die Sache

    leichter verdienen, und diese Schätzungsweise, die wird nachher

    maßgebend für den allgemeinen Preis. Umgekehrt auf dem

    Land e, wo jeder w eiß, wie schwer das Geld zu verdiene n ist, da ist

    die Schätzung des E ige nth um s e ine völlig ande re, selbst für Dieje-

    nigen , die nicht in dieser W eise arbe iten. Un d

     so,

     meine Herren, is t

    es auch für d ie verschiedenen Ze iten. U nsere he utig e Zeit wird d ie

    Eigen thum sverbrechen in ganz ande rer Weise betrachten, wie das

    alte Rom. In dem alten Rom hat die Arbeit, möchte ich sagen, die

    Strafe d ictirt, bei uns ist eine ganz ande re Auffassung m aßg ebe nd.

    D as M aß der Reaction b ei Verletzung des Rechtes bestim m t sich

    sohin einmal nach der Art des geschehenen Angriffes, dann aber

    auch nach dem zweiten, als m aßg eben d erka nnte n Gesichtspuncte,

    nach der Nähe oder Ferne des Eigenthums zur Person, nach der

    individuellen S chätzung des Eig enth um s.

    Es ergibt sich aus dem Bisherigen, daß dieser Kampf,  den das

    59

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    Subject zu kämpfen hat für das Recht, nicht bloß für das Subject

    selber eine Frage der sittlichen Zufriedenheit ist, sondern daß er

    ebenso für das Gemeinwesen von äußerster Wichtigkeit ist.

    Für das angegriffene Subject ist es eine Frage der moralischen

    Selbsterhaltung, sein Recht zu verfolgen und Zeugniß davon zu

    geben, daß es nicht feige zurückgetreten ist von dem Kampfe für

    sein Recht. Für den Staat erwächst aber gerade hieraus die drin-

    gende Pflicht, dieses Rechtsgefühl in jeder Weise zu nä hr en un d zu

    kräftigen, den Weg zur Rechtsdurchsetzung zu erleichtern; denn

    darauf beruht in letzter Instanz die Sicherheit für die jeweilige

    Verwirklichung des Privatrechtes.

    In den N iederun gen des Privatlebens, des Privatrechtes m uß das

    moralische Rechtsgefühl seine Schule bestehen, damit es in den

    höheren Regionen der Staatsentwicklung und des Völkerlebens

    gestählt sei. Für die  politische Pädagogik   ist es eine ihrer erster

    Aufgaben, das Rechtsgefühl im Privatrechte zu pflegen, denn dar-

    aus ge ht d ie moralische Kraft he rvor, die später die Geschicke des

    Staates bestimmt.

    In welcher Weise kann aber das Recht, kann das Gesetz das

    Rechtsgefühl heben und pflegen? Meiner Ansicht nach soll die

    Gesetzgebung diesen Kampf für's Recht nicht bloß dadurch er-

    leichtern und fördern, daß sie zweckmäßige Proceßeinrichtungen

    schafft, sonde rn vor Allem dadurch, daß sie der gerech ten Ind igna -

    tion über das gekränkte Recht Genüge leistet. Das Recht soll dort,

    wo das Subject angegriffen ist, sich nicht bloß darau f beschränken,

    den Schaden wieder gut zu machen, sondern es soll den Fall der

    gesteigerten, subjectiven Kränkung als qualificirtes Unrecht auf-

    fassen, sofern nicht sogar Kriminalunrecht geschehen ist.

    Ich will Ih nen jetzt den N achweis liefern, w ie dies im röm ischen

    Rechte geschehen ist. Im  ältesten römischen Recht wurd e in k einer

    Weise auf die Verschuldung des Gegners gesehen. Die alte, rohe

    Zeit unterscheidet nicht zwischen der feineren, moralischen

    Zu rechn ung , sie ist über das Maß der gerechten Berücksichtigung

    des verletzten Rechtes we it hina usgeg ang en.

    D er M ann hat m ir Etwas genomm en; er hat es und will es nicht

    4

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

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    herausg eben . Vindicire ich, so m uß er nach römischem Rechte die

    doppelten Früchte zahlen, ohne Rücksicht

     darauf,

     ob er bona oder

    mala fide war. Ebenso geht bei der Eviction der Evictions-Spruch

    stets auf das Do ppelte; dabei wird n icht gefragt, ob m ein Vormann

    gew ußt hat, daß er m ir eine fremde Sache verkaufte; er hat sie m ir

    verkauft, er zahlt mir das Doppelte. Ich habe bei einer anderen

    Gelegenheit solche Fälle zusammengestellt, und kann, was das

    ältere römische Recht anbetrifft, sagen, daß es über das Maß der

    gerechten Berücksichtigung des Affectes weit hinausg ing.

    Das

      mittlere

      römische Recht bewahrt in dieser Beziehung das

    volle Gleichmaß. Es unterscheidet genau zwischen dolus und

    culpa, zwischen culpa lata, levis und levissima, zwischen bona und

    m ala fides, kurz, es trit t in allen Fä llen eine g erechte B erücksichti-

    gung des pathologischen M omentes  ein, wie ich es nen nen möchte,

    welches beabsichtigt, dem Verletzten G enü ge zu leisten.

    Ich will einige Beispiele aus dem röm ischen Processe dieser Zeit

    anführen:

    Ich forderte mein Darlehen zurück, der Beklagte bestreitet es

    mir; läßt er es auf einen Proceß ankommen, so zahlt er mir zur

    Strafe ein Drittel mehr. Der Beklagte hat versprochen, zur be-

    stim m ten Zeit sicher zu zahlen, ich hab e ihm Aufschub gew ährt, er

    hält sein Wort wieder nicht zu; zur Strafe zahlt er mir die Hälfte

    mehr .

    In gewissen anderen Verhältnissen, wo der Beklagte wissen

    mu ß ,

      ob meine Klage gegründet ist oder nicht, z.B. bei der actio

    legis Aquiliae zahlt er das Doppelte, wenn er leugnet. So auch in

    den Verhältnissen, die das römische Recht als besondere Vertrau-

    ensverhältnisse bezeichnet: Mandat, Societät, Depositum, Vor-

    mundschaft. Lä ßt es m ein G egner auf den Proceß ank om m en, und

    ich weise ihm nach, daß er wirklich das Unrecht verschuldet, so

    trifft ihn die Strafe der In fam ie.

    So ke nn t das röm ische Recht eine Reihe von derartigen Strafen,

    die berechne t sind, den B eklagten für sein wissentliches Unre cht zu

    strafen. Gerade der römische Proceß ist besonders reich an derar-

    tigen Strafen. Eine interessante Erscheinung in dieser Richtung

    41

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

    41/157

    bieten die prätorischen Interdicte dar, namentlich die interdicta

    prohibitoria.

    In gewissen Fällen erließ der Prätor bekanntlich ein Interdict,

    na m en tlich ein prohib itorisches: >vim fieri vetoVersuch zur

    Güte

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

    42/157

    als solche empfinden, und erst auf der subjectiven Aneignung der

    Klage, auf der Co nsta tirung dessen, daß man sich getroffen fühlt,

    beruht die Klage selbst, die also folgerichtig auch erst durch die

    litis contestano auf die Erben übe rgeh t.

    Nach dieser Seite hin, bezüglich der W ürd igu ng des subjectiven

    Momentes, bietet das mittlere römische Recht das Ideal einer

    Gesetzgebung. Die Forderungen des verletzten Rechtsgefühls fin-

    den ihre vollste Anerkennung, und in dieser Richtung ist der

    Höhepunkt erreicht.

    Aber schon in der späteren Kaiserzeit schwächt sich diese Fein-

    heit ungemein ab. In den Blättern der späteren Rechtsgeschichte

    steht für Jeden, der lesen kann, geschrieben, daß die moralische

    Kraft des Volkes schwach wurd e, daß sie erla hm te. D aru m änd ern

    sich auch die Rechtssätze. Es ist eine charak teristische Ersche inun g

    des späteren römischen Rechts, daß es dem Gläubiger die Durch-

    setzung seines Rechtes, den Kam pf für sein Recht erschwert, w äh-

    rend es m it dem

     Schuldner

     ungleich m eh r

      sympathisirt.

     Das

     Recht

    des G läubigers wird in vielen Fällen preisgegeben  un d das ist stets

    ein Zeichen einer verkommenen  Zeit eines verkomm enen Rechtsge-

    fiihls.  (Stürmischer Beifall.)

    Gibt der Gesetzgeber, von falschen Erwägungen geleitet, das

    gute Recht des Gläubigers dem Schuldner Preis, so erzeugt dies

    Rechtsunsicherheit, und führt zur Creditlosigkeit. (Vermehrter

    Beifall.)

    Ich wage es nicht, meine Ansicht hierüber des Weiteren auszu-

    führen. Ich würde fürchten, verketzert zu werden, wenn ich mit

    voller Schroffheit dieser meiner Ansicht Ausdruck geben wollte.

    Vielleicht bin ich nicht so competent, wie Sie, meine Herren, von

    der Praxis. (Oho-Rufe.) Aber meine Ansicht ist es, daß wir auch

    heu t zu Tage sehr an diesem U ebel krank en. (A nhaltender Beifall

    und Händeklatschen.)

    Dieses Ihr Bravo, meine Herren, ermuthigt mich, meinen letz-

    ten Sp rung vom Justinianeischen Recht auf das heu tige zu machen,

    da ich mich eben mit Ihrem Urtheil im Einklang zu befinden

    glaube. M ein   U rthe il über das heu tige Recht in der besprochenen

    43

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

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    Rich tung ist ein sehr ungünstiges. W ir sind noch weit hint er dem

    Rec hte der justinianeischen Zeit zurück. M an sieht, daß das röm i-

    sche Recht durch das Filtru m der Gelehrsam keit hindurch gegan-

    gen ist; m an fühlt es dem römischen Recht der Neu zeit an, daß es

    von G elehrten b ehan delt wurde. D ie zweckmäßigsten Einrichtu n-

    gen des röm ischen Rechts ha t m an einfach fallen gelassen, die rich-

    terlichen S trafen z.

     B.

     des frivolen Le ug nen s, die Privatstrafen figu-

    rirèn nur mehr in den Compendien. Heut zu Tage ist ein Gläubi-

    ger, dem in der schändlichsten Weise die Existenz der Schuld

    abgestritten wird, in derselben Lage, wie Jemand, der von den

    Erb en des Schuldners die Schuld zurückfordert und keine U rkun de

    darüber hat. Entspricht dies der Gerechtigkeit? Nein. — Das h eißt

    vielmehr, eine  Prämie auf das Leugnen setzen.  (Lebhafter Beifall.)

    Im günstigsten Falle zahlt der leugne nde S chuldner eben nicht, im

    ung ünstigsten F alle thu t er das, was er ohneh in hä tte thu n müssen:

    Er zahlt. (He iterkeit.)

    Er hat darauf speculirt. Nach römischem Rechte zahlt er das

    Doppelte.

    Werfen wir einen Blick auf den Hauptschaden unserer ganzen

    modernen Rechtspflege: den   Schadensproceß. M ein Rechtsgefühl

    em pö rt sich dageg en, wenn ich sehe, in welcher W eise der h eu tige

    Schadensproceß darauf angelegt ist, den Gläubiger um sein gutes

    Recht zu bringen. W ehe über Den jenigen, der heute Schaden erlit-

    ten Besser, er klag t nicht, als er klagt, den n klag t er, da nn h at er

    doppelten und dreifachen Schaden

    D en Vorwurf mac he ich der heutige n Z eit un d ihre n Rechtsein-

    richtungen, daß der Mann, der nicht manchmal einen hoffnungs-

    losen Kampf kämpfen will, auf sein gutes Recht verzichten muß,

    denn wir sind in der That zum Theile gezwungen zu diesem

      Acte

    der Feigheit,  als welchen ich ihn bezeichnet habe, nämlich unser

    Re cht im Stiche zu lassen, w enn w ir nich t größeres U ebel erdu lden

    wollen. (Bravo Bravo )

    D ie Schuld liegt hauptsächlich in der verkehrte n Bew eistheorie

    und darin, daß man jene heilsamen, oben berührten Bestimmun-

    gen des röm ischen R echts hat fallen lassen.

    44

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    Ich bin selbst einmal in der Lage gewesen, bitterlich ein mir

    angethanes U nrecht zu empfinden. Es hande lte sich um einen Fall,

    der mir mit einem Dienstmädchen passirte. Ihr Geliebter ging

    nach Amerika; sie wollte nach, behauptete, sie habe gekündigt,

    hatte dies aber nicht gethan. Wie ich vor den Richter kam, sagte

    man mir achselzuckend: >Klagen Sie auf das Interesse < (Allge-

    meine Heiterkeit.)

    Da habe ich erst den Stachel des gekränkten Rechtes gefühlt,

    und was es bedeutet, wenn die Einrichtungen des Staates derart

    sind, daß der Verletzte nicht zu seinem Rech te ko m m en kann

    Ich eile zum

     Schluß,

     und w ill nu r noch ein wirksames Bild Ihn en

    vorführen, nämlich das der   Nothwehr.  Ich freue mich, hier einen

    H errn anwesend zu sehen, (auf M inister  Glaser hinblickend) ent-

    schuldigen Sie (zu   Hye  gewendet), ich sehe noch einen zweiten

    Herrn, welche selbst einer gesünderen Auffassung der Nothwehr

    das W ort geredet hab en . Aber erst in der neue ren Zeit ist gegen die

    ältere verko m m ene Auffassung der Nothw ehr eine heilsame Reac-

    tion eingetreten. Die Nothwehr in früherer Zeit, was war sie? Sie

    wurde bisher von der Jurisprudenz als ein Uebel betrachtet, das

    m an so viel als möglich einschränk en zu mü ssen glau bte und jeder

    Jurist m einte ein gutes W erk zu thu n, wen n er der N othw ehr eine

    Beschränkung nach der anderen hinzufügte. Wer zählt alle Be-

    schränkungen, alle Grenzen, in welche die Nothwehr gebannt

    wurde? D a kam zunächst der Werth  des Gegenstandes in Betracht,

    also das Maß des Werthes des angegriffenen Objectes und der

    Werth des Gutes, das ich, der Bedrohte, zu meinem Schütze

    angreife. Vor Allem, m eine H erren , möch te ich wissen, w enn m ir

    Jem and e ine U hr ne hm en w ill, der M ann m ir auch ein Object von

    100 000

     fl.

     en tgegenhielte, ob mir  meine Uhr, die er mir entreißen

    will, nicht lieber ist als seine 100 000 fl.? (G roße H eite rkeit.) W elche

    Zu m uthu ng, in einem solchen Mo men te von m einem Standpunkte

    aus abzuwägen, ob m ir die 100 000

     fl.,

      von denen ich nichts habe,

    die er h at, ob die m ir w erth voller sein sollen, als me ine Uh r?

    (An haltende H eiterk eit und Bravo ) M an ist sogar so we it gekom-

    men, daß man geradezu in der  Nothwehr  die  Pflicht der Feigheit

    45

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    45/157

    wissenschaftlich ausgesprochen hat. In einer Schrift eines Hollän-

    ders über Nothwehr kömmt ein Fall zur Sprache, der auf mich

    einen unauslöschlichen Eindruck machte. Ein Soldat wird ange-

    griffen, zieht sich aber zurück. Der Angreifer folgt ihm, Ersterer

    geht noch weiter zurück. De r Angreifer faßt ih n zum dritten M ale

    an, der Soldat setzt sich zur W ehre und tödte t den Feind m it blan-

    ker Waffe. Er wurd e hingerichtet. D ie Richter arg um entirten , der

    Beschuldigte hä tte auch zum dritten M ale dem Angreifer weichen

    können und sollen.

    Liegt Gerechtigkeit in diesem Urtheil, meine Herren? Gewiß

    nicht; es ist ein Justizmord grauenhafter Art. Es deutet auf eine

    V erkom m enhe it des Rechtsgefühls, des Rech tsbewuß tseins hin , bei

    der man sich entsetzen und den Fluch aussprechen muß über alle

    Gelehrsamkeit. (Bravo )

    In Bezug auf Ehre   ist m an sogar soweit gegangen, daß m an nu r

    gewisse Classen der Gesellschaft für berechtigt erklärt hat, ihre

    E hr e zu vertheid igen: Officiere, H erre n vo m A del, un d  >H onoratio-

    reru.

     (Allgem eine Heiterk eit.) Kaufleute ha be n nach dieser Auffas-

    sung k eine E hre , sie haben sie nicht nöthig; für sie ist die Eh re ihr

    Credit.

    So sehen wir den n, daß unsere heutig e Zeit weit davon entfernt

    ist, den Anforderungen eines gerechten Rechtsbewußtseins völlig

    zu entsprechen u nd daß es eine Aufgabe der Zukun ft sein m uß , ein

    kern iges, einfaches Rechtsgefühl un d die M öglichkeit für dasselbe,

    sich zur Geltung zu bringen, in unseren heutigen Rechtseinrich-

    tung en heimisch zu machen.

    Ich fasse das bisher Erörterte in Folgende m zusam m en:

    Das Preisgeben eines verletzten Rechtes ist in meinen Augen ein

    Act der Feigheit, der, wenn er nicht durch die Einrichtungen des

    Staates zur Notw endigkeit gem acht wird der Person zur Unehre

    und dem Gem einwesen zum höchsten Schaden gereicht Der Kam pf

    für das Recht ist ein Act der ethischen Selbsterhaltung, ist eine

    Pflicht gegen sich und gegen die Gem einschaft

    Ich bin also weit entfernt, m it einem neu eren P hilosophen (Her-

    bar t) das Recht aus dem  Mißfallen   am Streite hervo rgehe n zu las-

    46

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    sen, will mich im Gegentheil schuldig bekennen, in dem obigen

    Sinne Gefallen  am Streite zu finden, und ich meine vielmehr, daß

    unsere Rechtsphilosophie den

     Kam pf und den Streit für das Recht

    in sein w ahres Recht wiede r einsetzen sollte.

    H ätte m ein V ortrag hiezu Etwas beigetragen, so wü rde ich m ich

    jedenfalls glücklich schätzen.

    (Allgemeiner, stürmischer Beifall und Händeklatschen).«

    Der erweiterte, in Schriftform abgefaßte Vortrag ist ab

    1874 in fast zwanzig Sprachen übersetzt worden

     (u. a.

     ins

    Ungarische, Russische, Neugriechische, Holländische,

    Rumänische, Serbische, Französische, Italienische,

    Dänische, Tschechische, Polnische, K roatische, Schwedi-

    sche,  Englische, Spanische, Portugiesische, Japanische,

    in m anch e Sprachen w urde er zweimal übersetzt).

    Gew öhnlich w erden Bücher oder andere Arbeiten von

    G elehrten nu r in den G elehrtenzirkeln be handelt, in der

    Fachpresse besprochen, von Studenten benutzt. Sonst

    fallen sie der Vergessenheit, der Nichtöffentlichke it zum

    Opfer. Es sei denn, ein Autor hät te e inen he ißen D ra ht

     zu

    Rundfunk, Fernseh en oder Presse. Im Falle Jherings w ar

    es anders. Ein Gelehrter, dessen Werk in der damals so

    schmal besetzten Gelehrtenöffentlichkeit Jahrzehnte

    hindurch Anerkennung gefunden hatte, dessen Aner-

    kennung durch den Ruf Jherings an mehrere Universi-

    täten des deutschen Sprachraums (Basel, Rostock, Kiel,

    Gießen, Wien und Göttingen) Ausdruck fand, durch-

    bricht seinen Kreis m it dem T ite l einer Schrift, der e inen

    archetypischen C harak ter hat: »Der Kampf u m 's Recht«.

    47

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

    47/157

    Und das in der Hoch-Zeit des Liberalismus. Zu einem

    Ze itpunkt, wo liberale Politiker — Jhe ring b em üh te sich

    um ein Parlamentsmandat und wurde geschlagen

     —

     die

    Mehrheiten in den Parlamenten des deutschen Sprach-

    raums inne hatten. Das zu einem Zeitpunkt, wo gerade

    der Ausgleich zwischen Österrreich und Ungarn, die

    Liberalisierungsepoche Österreichs ihren ersten Höhe-

    pu nk t erfahren ha tte, wo gerade ein Novum , der G rund-

    rechtskatalog vom 21. Dezem ber 1867, prok lam iert

    wurde, der seit 1867/68 unter eine wirksame verfas-

    sungsrechtliche G aran tie gestellt worden ist, un d wo u m

    die Einrichtung einer österreichischen Verwaltungsge-

    richtsbarke it geru nge n w urd e. Es schien, als w ürde dem

    Bürger das Recht ohne Kampf, das Recht als Frieden, in

    den Schoß gefallen sein.

    In dieser Periode, in der sich kampflose Sättigung

    der machthabenden Klassen ausgebreitet hatte, der

    Schlachtruf eines G elehrten Er ist von den Vertretern

    der Unterdrückten, das waren die Lohnarbeiter und die

    Arbeitermassen, wohl gehört worden. Nicht nur im

    deutschen Sprachraum. Dafür stehen die zahlreichen

    Übersetzungen dieser Schrift.

    Was ist die Besonderheit dieser Schrift, die solches

    Aufsehen erregte? Ist es n u r der fanalhafte Titel? Ist die

    Schrift als Glied einer Kette anderer Schriften des Ge-

    lehrten zu sehen, die die Glieder dieser Kette in neuen

    Farben erstrahlen läßt? Ist die Schrift ähnlich wie Mar-

    xens »Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie-Einlei-

    tung« zu werten, die eine Periode seines Denkens abge-

    schlossen un d eine neue e ingeleitet hatte? Oder ist es die

    48

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

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    inhaltliche Aussage, die so fasziniert hatte und heute

    noch fasziniert?

    Jhering erklärte diese Schrift und den Vortrag, auf

    dem sie aufbaut, als ein Abschiedsgeschenk an Wien, da

    er gemäß der damaligen Mobilität von Universitätsleh-

    rern daran war, die österreichische Reichshaupt- und

    Residenzstadt zu verlassen, um in das weltpolitisch abge-

    schiedene Gö ttingen zu gehe n. Es ist nicht bek ann t, daß

    Jhering das Wiener Parkett mit seinem glatten Boden

    nicht vertragen hätte. Er schloß Freundschaftsbande,

    wie man den Lobeshymnen und seinen Worten selbst

    entnehmen kann, die er anläßlich seines Vortrags »Der

    Kampf um 's Recht« und des Abschiedsbanketts der W ie-

    ner Juristischen Gesellschaft gesprochen ha tte . Er wollte

    m it seinem Vortrag einen Neube ginn anzeigen. Er sagte

    einleitend:

    »Wenn ich noch im Momente die Wahl hätte, mein Thema zu

    änd ern, wäre ich sofort geneigt, auf ein entlegenes Th em a der Pa n-

    dekten zu greifen oder mir ein en P unkt aus den letzten Verstecken

    der Rechtsgeschichte zum Gegenstand meines Vortrages zu wäh-

    len. Ich habe mich aber bei der Wahl des Themas durch einen

    anderen Gesichtspunkt leiten lassen. Ich war es der Rücksicht

    gegen Sie, m eine H erre n, schuldig, ein Th em a m ir zu w ählen , das

    weder von anderen, noch von mir selbst bisher behandelt wurde,

    eine Them a so wen ig gele hrte r Art, daß ich fast sagen kan n: Es fällt

    aus dem Grenzen der Jurisprudenz nahezu heraus und ist für den

    Laien von gleichem Interesse wie für den Ju riste n...«

    Offenbar w aren Vortrag un d Schrift für ihn, den angese-

    henen Gelehrten, die Brücke zu einem neuen Lebens-

    49

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

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    werk, das auch den Abschluß seines G eleh rtenleben s bil-

    dete und den G run d für das legte, was er als D enk er im

    H in un d H er der Gedankenflüge bislang nicht zu fassen

    vermocht hatte: der Kampf u m das im R echt begrü ndete

    Interesse, das zu erreichen der eigentliche Zweck des

    Rechtes sei. So faßte er in seinem faszinierenden und

    ungewöhnlichen Wiener Vortrag zusammen: »Das

    Preisgeb en eines verletzten Rechtes ist in m ein en Augen

    eine Art Feigheit, der, w enn er nicht durch die Einrich-

    tun ge n des Staates zur Notwendigkeit gem acht wird, der

    Person zur Unehre und dem Gemeinwesen zum höch-

    sten Schaden gereicht. D er Kampf für das Recht ist eine

    Art der ethischen Selbsterhaltung, ist eine Pflicht gegen

    sich un d die Gem einschaft.«

    Das ist für Jhering der Grundgedanke, den er in sei-

    ne m Abschlußwerk

     —

     angefeindet u nd k ritisiert

     —

     näher

    auszuführen trachtete: in dem im Dezember 1877 der

    Öffentlichkeit übergebenen zweibändigen Werk »Der

    Zweck im Recht« (hier 4. Aufl., Leipzig 1904) mit dem

    M otto »D er Zweck ist der Schöpfer des ganzen R echtes«.

    Diese Schrift verfolgt keinen »praktisch dogmatischen

    Zweck«, sondern h at sich die »D arlegung des Gesam tzu-

    sammenhanges des Rechtes zur Aufgabe gestellt.« Die

    Schrift »Der Kampf um's Recht« gehört zum Selbstver-

    ständlichkeitsbewußtsein des Gelehrten Jhering auf

    dem Wege seiner Forschung. In dieser Hinsicht hat sie

    ih re wissenschaftliche Bedeu tung . Aber sie w irk t für sich

    genommen, losgelöst vom Gesamtwerk Jherings, das so

    trefflich vom D eutschen Erik Wolf (Große R echtsdenker

    der deutschen Geistesgeschichte, 1939, 4. Aufl. 1965,

    50

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

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    Seite 622 ff.) sichtbar gem acht w urd e u nd in der

    Bekämpfung des formalistischen Rechtsdenkens mün-

    dete.

    »Der Kampf um's Recht« ist losgelöst vom Plus und

    M inus wissenschaftlicher Erkenntn is, losgelöst von den

    Schulen des Positivismus, die sich im 19. Jahrhundert

    gruppierten. »Der Kampf um's Recht« ist auch für den

    Laien geschrieben. Der »Zweck im Recht« mag den

    Gelehrten allein angehen. »Der Kampf um's Recht«

    spricht die Öffentlichkeit an, die sich für ihn interessiert.

    »Der K ampf u m 's Recht«, gleichgültig wie dieses Fanal

    in der wissenschaftlichen Erkenntnislehre, in den Rich-

    tungen des Positivismus, im G esam twerk des Gelehrten

    Jhering stehen mag, ist eine Schrift für sich, die ihre

    Bedeutung aus sich selbst bezieht. Jherings Werk wird

    der Kategorie der sogenannten Interessenjurisprudenz

    zugeordnet. Der Wiener Rechtsgelehrte F. Bydlinski

     —

    ein Fachkollege Jherings der Gegenwart

     —

      hebt in sei-

    nem grundsätzlichen Werk »Juristische Methodenlehre

    und Rechtsbegriff« (1984, Seite  113ff.  und 123ff.) die

    Lehre Jherings als Interessen]urisprudenz hervor und

    stellt sie der Begriffsjurisprudenz un d de r neueren W er-

    tungsjurisprudenz gegenüber. Auch die Moderne ge-

    w inn t Jherings Anliegen einiges ab

    Jener Leser, der erwartet, daß »Der Kampf um's

    Recht« alles rechtfertige, was diesem Kampfe dienen

    kö nn te, m uß sich getäuscht sehen . D ie Schrift fällt n icht

    in die Kategorie der »Neuen Unwegsamkeiten« eines J.

    Habermas, der den Kampf der politischen Minderheit

    gegen die politische Mehrheit mit allen zur Verfügung

    51

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

    51/157

    stehenden Mitteln, auch mit außerparlamentarischen

    Mitteln, propagiert. Nein, Jhering meint den »legalen

    Kampf« ums Recht. Es ist vom Rechtsgefühl getragen.

    D ie Reaktion des Rechtsgefühls der Staaten un d In divi-

    duen ist da am heftigsten, w o sie sich in ihre n eigen tüm -

    lichen Lebensbedingungen unmittelbar bedroht fühlen.

    Das sei die Kraft des Rechtes. D ie Reh au ptu ng des Rech-

    tes ist eine Pflicht gegenüber dem Gemeinwesen: »Wer

    sein

      Recht behauptet, verteidigt innerhalb des engen

    Raumes desselben

     das

     Rec ht...« (Seite 108).

    Jhering nimmt die Beispiele für die Thesen seiner

    Rechtsmoral aus dem Kampf des einzelnen für den

    Bereich seiner subjektiven Rechte auf dem Boden des

    Privatrechts. D aß er aber sehr wohl erke nnt, daß die Idee

    des Kampfes um das Recht auch »auf den Höhen des

    Staatsrechts und des Völkerrechts« herrscht, das macht

    er auf Seite

     14

     seiner Schrift deu tlich (hie r Seite 73 f.).

    »Der W iderstan d eines Volkes in Form eines Aufstan-

    des,  der Empörung, der Revolution gegen Willkürakte,

    Verfassungsverletzungen von Seiten der Staatsgewalt...

    die alle sind trotz aller Verschiedenheit des Streitobjek-

    tes un d des Einsatzes, der Form en u nd der D imen sionen

    des Kampfes nichts als Formen und Szenen eines und

    desselben Kampfes um das Recht.« Er greift seine sprö-

    deste Form

     —

     den legalen Kam pf um das Privatrecht in

    Fo rm des Prozesses

     —

     heraus. Aber er schlägt die Brücke

    zum allgemeinen Interesse: »Jeder ist ein geborener

    Kämpfer ums Recht im Interesse der Gesellschaft«

    (Seite 111).

    Würde Jhering die Entwicklung der Rechtsordmm-

    52

  • 8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht

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    gen bis zur Gegenwart erlebt haben, er würde die Aus-

    einandersetzungen um die Ausübung des Rechts auf

    Selbstbestim m ung in Europa, er w ürde den m ühseligen

    Kampf u m die Durchsetzung der M enschenrechte als die

    Erreichung eines Grundzweckes des Rechtes erkannt

    habe n müssen. D en Kam pf um das Eig entu m gegen die

    Willkür der Staaten, den Kampf gegen die Vertreibung

    un d zur Sicherung von Volksgruppen un d M inderheiten,

    den Kampf gegen die Apartheidpolitik würde er eines

    Kampfes u m s Recht für w ürd ig erach ten. Ich stelle h ier

    die These auf, daß Jhering s Kam pfschrift besser als alles

    andere, was mühsam erdacht wird, den Sinngehalt des

    Rechtes wiedergibt. Sein Satz, der bei seinem Wiener

    Vortrag mit »stürmischem Beifall« aufgenommen wor-

    den ist

     —

     das »Recht des G läubigers wird in vielen F ällen

    preisgegeben, un d das ist stets ein Zeichen einer verkom -

    menen Zeit, eines verkommenen Rechtsgefühls«  —  gilt

    auch für den öffentlichen Bereich: Das Menschenrecht,

    das in vielen Fällen preisgegeben wird, ist stets ein

    Zeichen ve rko m m ene n Rechtsgefühls So weist seine

    Schrift in die G run dk ateg orie des Rech ts.

    Von der wissenschaftlichen m ethod ische