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8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht
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Rudolf von Jhering
DER KAMPF UM'S RECHT
Zum hundertsten Todesjahr
des Autors
herausgegeben von
Felix Erm acora
PROPYLÄEN VERLAG
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Im Kampfe sollst du dein Recht finden.
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Der Herausgeber
Felix Ermacora, Professor für öffentliches Recht in
W ien u nd D ozent in Innsbruck , war 1971—90 Abgeord-
neter zum Österreichischen Nationalrat. Er ist Korre-
spondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie
der Wissenschaften und gehört den Menschenrechts-
kommissionen der UNO und des Europarates an. Als
Autor ist Erm acora m it etwa fünfhund ert wissenschaft-
lichen und journalistischen Veröffentlichungen hervor-
getreten. Er ist u.a. Träger des Menschenrechtspreises
der UNESCO und des Bruno Kreisky-Preises für Men-
schenrechte.
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INHALT
Vorrede
von Felix Erm acora 9
D er Kampf um 's Recht
von Rudolf von Jherin g 59
Anmerkungen 152
Ribliographie
zusammengestellt vom
Herausgeber 159
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VORREDE
Am 17. September 1992 jährt sich der Todestag Rudolf
von Jherings zum hu nd ersten M ale. Er lehrte zuletzt in
Göttingen. Aber Wien war der Ort, an dem er jene
Schrift verfaßte, die ih m weit üb er die Fachw elt hinaus
Bekanntheit verschafft ha tte: »D er Kam pf um 's Recht«.
Wenn Jhering heute noch lebte, er hätte für seinen
Kampf ums Recht neues, reicheres Anschauungsmate-
rial gefunden. Wohin man sich auch wenden mag, in
Europa und in der Dritten Welt, sind es nicht nur die
Inividuen, die ums Recht kämpfen und die Jherings
Interesse besonders anzögen, sondern vor allem auch
Völker und Volksstämm e.
Jhering, ein Mann des
19.
Jah rhu nd ers, in seiner Zeit
ein Fechter für den Individualismu s un d den Liberalis-
mus, konnte den Kampf der Gemeinschaften und Kol-
lektivitäten u m das Rech t noch nich t so deutlich erken-
ne n w ie die he utige n Zeitgenossen. Nicht daß es ihm an
Ideen reichtum gem ange lt hätte, sondern er war wie w ir
alle ein K ind seiner Zeit. Sie war noch n icht reif, ihm das
Anschauungsmaterial zu liefern, das uns im Kampf um
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die Ausübung des Selbstbestimm ungsrechts der Völker,
im Kampf gegen Kolonialismus und Neokolonialismus,
im K ampf gegen Holocaust un d Völkermord und in der
Auseinandersetzung um die Menschenrechte aller Kate-
gorien bereitet ist. Noch war seine Gemeinschaft der
Staat und die Staatsnation, die durch ihn vertreten
wurde. Die Völker und Völkerschaften waren zwar er-
wacht, aber sie waren noch außerhalb der Reichweite
systematischer juristischer Befassung.
Jhering, der gebürtige Ostfriese (22. August 1818),
brauchte vierundfünfzig Jahre seines Gelehrtenlebens,
bis er
—
aus dem Reichtum seiner wissenschaftlichen
Forschung, die er dem Zivilrecht und dem römischen
Recht hauptsächlich gewidmet hatte, schöpfend
—
die
Schrift herv org ehen ließ, die hier e rne ut aufgelegt wird.
Sie ist die erweiterte Fassung eines Vortrages vor der
Juristischen Gesellschaft am 12. März 1872, der in den
damals eben begründeten Wiener Juristischen Blättern
(1. Jg.
[1872],
Heft Nr. 3, Seiten 30 bis 34) wörtlich abge-
druckt ist.
Merkwürdig, daß in der reichen wissenschaftlichen
Befassung m it Jhe ring niem and auf die Idee g ekom m en
ist, die Vorgänge nachzulesen, die sich um Jhering und
u m Jh erings Vortrag in W ien ereignet h atten .
Dem Vortrag Jherings vor der Juristischen Gesell-
schaft, die heute noch zu den prominentesten juristi-
schen Vereinigungen Österreichs gehört, ist eine »Cor-
respondenz« vorausgegangen, die von der Wiener Uni-
versität unter »Ende Februar 1872« berichtet. Sie steht
un ter d em Titel »Rudolf von Jhering «. Kein nachfolgen-
10
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des Werk könnte die Atmosphäre, die Jherings Abschied
von der Wiener Universität umgab, besser fühlbar
machen als dieser Bericht. Wo gibt es heute im Betrieb
der Massenuniversität, des vernachlässigten Studiums,
des Zusam m enbruchs der Lehr -, Vorlesungs- un d L ern -
kultur noch ein Echo auf einen scheidenden akademi-
schen Leh rer , m ag er noch so wichtig gewesen sein?
Hier einige der Gedanken, die über Jhering damals
geschrieben wurden:
11
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w
$cta«t
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Schwer heimgesucht n an nten wir unsere Facultät. U nd das mit
Recht. Zuerst entriß uns die leidige Politik vier Lehrkräfte von
dem Gewichte eines
Schäffle
und
Habietinek, Glaser
u nd
Unger,
um sie von der erfolgreichsten Thätigkeit weg zu der Sisyphusar-
beit österreichischer Minister zu rufen. Und nun kommt zu alle-
dem der Abgang Jhering sl Es mag schon an und für sich ein Stolz
für jede Un iversität sein, un ter den G elehr tenn am en, die ihre Kan-
zeln zieren, einen Mann von solcher origineller Geistesfülle wie
den Verfasser des Werkes: >Geist des röm ischen Rechtes< nen nen zu
können, wenn aber dieser Mann zugleich die so seltene Kunst des
akadem ischen Vortrages in auße rgew öhn licher W eise besitzt, dann
darf die Universität, welche ihn verliert, den Verlust geradezu
unersetzlich nennen.
Wer im m er Jhering vortragen zu hören G elegenheit hatte, wird
zugeben, daß in Form und Inhalt dieses Vortrages alle jene Ele-
m en te ihre harm onische V ereinigung finden, deren gleichzeitiges
Zusam m entreffen das Ideal einer akadem ischen Vorlesung, einer
vollkommen durchgeistigten Lehrmethode ausmacht. Jherings's
Vortrag ist ebenso ernst und würdevoll als geistvoll, durchsichtig
und lebendig, von dem Hörer die gespannteste Aufmerksamkeit,
die höchst gesteigerte Denkthätigkeit in Anspruch nehmend,
wenngleich er auf der anderen Seite durch Klarheit und Frische
und geistreiche Anregung die Anspannung der Geisteskräfte des
Hörers wieder um ein Bedeutendes erleichtert. Fern von jeder
gelehrten Etiquette begeistert er nur mit dem Feuer und der
Lebendigkeit seiner Rede.
In richtiger Erkenntnis der Nothwendigkeit , daß dem Hörer
schon beim Eintritte in das weite Gebiet juristischer Wissenschaft
die Wärme und Sympathie für den Gegenstand seines Studiums
gewonnen werden müsse, entwirft Jhering in seiner Institutionen-
vorlesung eine farbenreiche Skizze dessen, was erst in der
künf-
tigen Darstellung des Pandectenrechtes als voll ausgeführtes
Gem älde dem L ernen den entrollt w erden soll. D en Jünger, der für
die Wissenschaft erwärmt werden muß, belastet er nur insoweit,
als es unumgänglich nothwendig ist , mit dem, den jugendlichen
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Geist oft abstoßenden Quellenstudium. Er gewinnt ihn vielmehr
mit einem interessanten Geschichtsbilde, überwiegend culturhi-
storischer und mehr rechtsphilosophischer als rechtshistorischer
Natur.
Dem in dieser Weise für ein ernsteres, ungleich schwierigeres
Studium Vorbereiteten eröffnet Jhering sodann sein Pandecten-
Collegium. Hier führt er den H örer in der ihm eigenen, lebendigen
Form die Frucht langjährigen, eklektischen Studiums, die ganze
Summe fremder Denkarbeit und eigener Forschung in großen,
einheitlichen Züg en vor un d legt seiner dogmatischen, vom G eiste
tiefster Wissenschaftlichkeit durchdrungenen, ausnehmend in-
structiven Darstellung in der entsprechenden Weise jene Maxime
zu Grunde, von der er in seinem >Geist des römischen Rechts<
erklärt, daß sie die Bed eutun g des römischen Rechts für die mo der-
ne Welt ausmache: >Durch das römische Recht, aber über dasselbe
hinaus <
Der instructiven Tendenz der Darstellung entsprechend, betritt
er den Boden einer
fruchtbaren
Controverse, un d ficht auf der ein-
mal betretenen Arena ebenso mit der siegreichen Waffe eines fei-
nen juristischen Geistes als der des Humors und der beißenden
Satyre.
D as römische Rech t als ratio scripta, als Canon alles juristischen
Denkens hinzustellen, das Recht an sich am römischen zu erfor-
schen un d zu veranschaulichen^ darin sucht Jh erin g die Hauptauf-
gabe der modernen, romanistischen Jurisprudenz, und daher auch
seine sichtliche Abneigung, jene Partieen des römischen Rechts
zum Gegenstande seiner Pandectenvorlesung zu machen , die — wie
z.B.
das Familienrecht, das Erbrecht
—
mit dem specifisch römi-
schen Formalismus versetzt, sich desselben nicht leicht entkleiden
lassen, und die dem denkenden Juristen in keiner Weise ein ähn-
lich vielseitiges Terrain für sein Studium abgegen, wie etwa das
Obligationenrecht, das zum kleinsten Theile mit eingethümlich
römischen Auffassungen und Culturverhältnissen zusammen-
hän gt, der m ode rnen R echtsanschauung und dem h eutigen R echts-
verkehr am me isten entspricht.
14
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An dieser Stelle sei auch jener hervorragen den Eigen thüm lich-
keit der Jhering'schen V ortragsmanier gedacht, die wohl mi t u nter
ihr e ersten Vorzüge zählt. W ir m ein en die besondere Be tonun g des
casuistischen Elementes, die reiche und treffende Exemplification
der theoretischen D arstellung. Fü r jeden auszuführenden Lehrsatz
verfügt Jhering über ein unschätzbares Materiale juristischer
Casuistik zu dessen wirksam ster Illustration. In w ie hoh em Grade
diese Darstellungsweise das richtige Verständnis des abstracten
Rechtssatzes erleichtert, die klare Vorstellung fördert, die juristi-
sche Urtheilskraft schärft, weiß wohl jeder zu würdigen. Dem
W orte Seneca's: Lon gu m iter est pe r praecepta, breve et efficax per
exem pla huld igt Jher ing im vollsten U m fange. Das Beispiel belebt
eben das dürre Schema, läutert die Begriffe und prägt dem geisti-
gen Auge ein rich tiges, lebensvo lles, fast unauslöschb ares Bild ein.
Und da rum w urde es auch m it lebhafter Zu stimm ung begrüßt,
als Jhe ring zum ersten M ale sein Pandectenpracticum ankündigte,
ein Collegium, das ebenso w ie die M itth eilu ng zahlreicher Rechts-
fälle in den Pandectenvo rlesungen in erster L inie dem Zwecke die-
nen soll, dem Hörer — wir citieren Jhering's eigene Worte — >das
Abstracte in seiner Verkörperung a m R echtsfalle vorzuführen un d
den für sein Auge noch kaum sichtbaren oder verschwimmenden
Um rissen einen concreten, leicht zu fassenden u nd fest sich einprä-
gend en I nh alt zu geben
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von ihm angebahnten, ersprießlichen Weise wohl mit Recht
gehofft werden kann.
Dem Gefühle des Dankes aber für dieses sein vielseitiges,
erfolgreiches Wirken kann und wird die juridische Facultät, wir
kön nen aber auch sagen, die gesam m te Juristenwelt Oesterreichs,
nur damit den wahren Ausdruck geben, indem sie dem hochver-
dienten, hervorragenden Vertreter der Rechtswissenschaft, dem
Menschen, dem Gelehrten und dem Lehrer Jhering ein dauerndes
und dankbares And enken bewahrt «
Und dann im Heft Nr. 3 der Juristischen Blätter aus dem
Jah re 1872 ein Stim m ungsbericht üb er Jhe rings Vortrag
in der Juristischen Gesellschaft. Gewiß, es gibt auch
heute noch immer die Vortragsberichte, sie sind karg
und dürftig. Hier aber dieses:
»Juristische Gesellschaft.
Jhe rin g's Vortrag in der juristischen Gesellschaft.
D ie juristische Gesellschaft ha tte a m
11.
d. Mts. einen w ahren Fest-
abend zu verzeichnen. Auf der Tagesordnung stand Jhering's Vor-
trag: >Der Kampf um das Recht.< Lange vor der anberaumten
Stunde war der Consistorialsaal bis auf das kleinste Eckplätzchen
von Mitgliedern der Gesellschaft und von Gästen gefüllt. Viele
ha tten , lediglich u m den Vortrag zu hö ren, sich in den letzten Tagen
als Mitglieder eintragen lassen. Im Saale waren die Sommitäten
der hiesigen Juristenw elt vertreten, un ter ihne n der Justizm inister
D r. Glaser, die beiden P räsiden ten des hiesigen Landes-G erichtes
Scharschmid und Boschan, die Sectionschefs Fierlinger, Benoni
un d B aron Hä rdtel, Sect.-Rath G iuliani u. A.
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U m 7
7-*
U hr erschien Jhering, m it allgemeinem Applaus emp-
fangen und hielt, nachdem der Vorsitzende der Gesellschaft
v.
Hye
zuvor einige geschäftliche Mittheilungen gemacht, den Vortrag,
welchen wir unten nach stenographischer Aufzeichnung wieder-
geben.
Nach Beendigung des Vortrags erhob sich Frh. v. Hye. um fol-
gende Dankesw orte an Jhe ring zu richten.
Hochverehrte Versamm lung
W ollen Sie m ir erlau ben, ehe w ir uns tren ne n, daß ich als Vorstand
dieser Gesellschaft noch eine Pflicht erfülle, indem ich Worte des
Dankes an unseren gefeierten Gast, ich darf wohl sagen Festred-
ner, richte. (Zu Jhering gewendet.) Das große Interesse, welches
die bloße Verkündigung Ihres heutigen Vortrages in so vielen,
durch ihre wissenschaftliche Bildung und Stellung ausgezeichne-
ten M änn ern erzeugte, leuchtet wohl daraus hervor, daß he ute eine
we itaus zahlreichere Freque nz, als je seit dem 10jährigen Bestände
der Gesellschaft, Platz gegriffen ha t. D er m äch tige Eindruck, den
der Vortrag, der von hochfliegenden Ideen, gleich wie von tief
durchdachten Reflexionen, von völlig neuen und originellen An-
schauungen und zu gleicher Zeit von Humor und Witz durchgei-
stigt ist — der mächtige Eindruck, den dieser Vortrag auf uns Alle
hervorgebracht, ist bezeugt durch den jubelnden Beifall, mit wel-
chem man Ihnen antwortete. Diesem Ausdrucke der allgemeinen,
außergewöhnlichen Befriedigung meinerseits auch nur ein Wort
beizufügen, hieße ihn abschwächen. Leider aber muß ich es aus-
sprechen, daß dieser unserer Freude und unserer großen Befriedi-
gung darüber, was wir eben hörten, sich nicht bloß ein Tropfen,
sondern ein ganzer Becher von Wermuth beimischt. Wir wissen es
ja alle, daß wohl nur, wie ich mich selbst wiederholt überzeugte,
einzig und allein die klimatischen Verhältnisse Wiens und die
bedrohte Gesundheit, nicht zunächst Ihrer eigenen Person, son-
dern Ihrer Fam ilienangeh örigen, den Entschluß in Ihn en hervor-
brachten, die Wiener Universität, an welcher Sie seit fünf Jahren
so ruhm voll gew irkt haben , w ieder zu verlassen.
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Das Bedauern, das alle Männer, die sich noch ein warmes Herz
für W issenschaft des Rechtes un d de ren Cultus bew ah rt haben , die
W eh m uth , die un s Alle ergriffen un d fortan b eweg t, ist um so grö-
ßer, da ja m it Ih ne n der letzte aus jenem glänzenden Dreigestirne
scheidet, welches seit mehreren Jahren am Themishimmel der
W iene r Un iversität leuchtete. (Bravo )
Es war ein glänzender, hoher Ruf, der Ihrer Berufung nach
Oesterreich vorausgegangen; er war nicht nur durch die laute
Bewunderung constatirt, welche Tausende von Schülern Ihren
Lehrvorträgen bezeugten, sondern vor Allem in jenem genialen,
classischen Werke bezeugt, das wohl keinem denkenden Juristen
der Jetztze it un bek an nt ist, im >Geist des röm ischen RechtsNon ergo a
Praetoris edicto, neq ue a X II tabulis, sed pen itus ex intim a philoso-
phia hau riend am esse juris dis cip lin ary Allein kaum Einem
ist es so wie Ihn en , hochgefeierter Rechtslehrer, in Ih re m gen ann -
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ten Werke gelungen, in lichtvoller Weise jenen herrlichen Con-
structions- oder richtiger Krystallisations-Proceß aufzuzeigen, in
dem zur festen Ur-Substanz der ewigen Idee des Rechtes allmälig
die wechselnden Erfahrungen, Bedürfnisse und Anschauungen
hinzuschießen, welche sich aus der nie ruhenden Bewegung des
Lebens und Verkehres der Menschen und Völker entwickeln und
stets neu gestalten, um sich ineinander und mit jenem ewigen
U rkerne zu den Fo rm en des jeweilig bestehende n Rechtes zusam-
menzufügen.
Dasjenige aber, was Sie in Ihrem allüberall, wohin deutsche
W issenschaft reicht, so ho chbe rüh m ten W erke, im >Geist des röm i-
schen RechtsGeist des Rechtes überhaupt niederlegten, das wissen Sie m it
Ih rem m ünd lichen W orte eben so überzeugend als anziehend wei-
ter zu entfalten, das haben Sie
—
so bezeugen es mir Tag für Tag
Ih re bereits nach Tausenden auch in Oesterreich zählenden Schüler
—
durch Ihren anregenden, spannenden, so reiches Materiale bie-
tenden, und zugleich so instructiv gruppirenden Lehr-Vortrag,
durch Ihre, wie Ihre Schüler mir sagen, zur Bewunderung, ja
Begeisterung hinreißende Darstellung auch an unserer Hoch-
schule noch we iter v ollendet
D aru m , verehr ter M ann , spreche ich es laut aus, daß jeden von
uns in diesem Augenblicke Wehmuth darüber, daß Sie bald nicht
mehr zu den Unsrigen gehören sollen, durchdringt, und darum
werden Ihnen nicht bloß Anhänglichkeits-Adressen und Jubelzu-
rufe der Studentenschaft, sondern auch die dan kba re A nerken nun g
der ernsten Männer aus allen Kreisen der Wissenschaft und der
Praxis des Rechtes in unserem Vaterlande, ja die Anerkennung
Gesam mtösterreichs, so wie unsere vollsten herzen swa rmen Sym-
path ien auch in Ih re neu e H eim at folgen. (Allgemeiner Beifall).
Jhering
erw iderte in sichtlicher Bewegung:
G estatten Sie m ir, einige W orte zu erw idern. Ich schweige übe r die
übertriebenen Ausdrücke der Anerkennung, die aus der besten
Gesinnung Ihres Präsidenten hervorgegangen sind; es ist mir
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unendlich schwer, w enn ich der Gegenstand solcher Red e bin , mich
darü ber auszulassen. Aber Eins müssen sie m ir gestatten: dem auf-
richtigen Be dauern, m it dem ich von hier scheiden m uß , Ausdruck
zu geben. Sie können mir glauben, daß mir schwer der Entschluß
geworden ist, mich von Wien lozureißen, daß ich lange zu Rathe
gegang en bin , ob ich es th un soll. Allein ich bin es der Gesun dhe it
der Meinigen schuldig gewesen, meine Stellung aufzugeben.
Erlauben Sie mir, die letzte Gelegenheit zu benützen, um Ihnen
meinen Dank auszudrücken.
Ich bin hier in einer solchen Weise empfangen worden, wie ich
es nicht, un d keiner m einer Freu nde erwartet hab en. Ich habe nir-
gends Vorurtheile gefunden, obschon ich aus dem Norden kam,
obschon ich unmittelbar nach dem Kriege kam, der eine so große
Kluft zwischen dem Norden und zwischen Oesterreich geschaffen
hat. Ich bin im Gegentheile nach allen Seiten hin mit der größten
Freundlichkeit aufgenommen worden, von Seite der Bevölkerung
und von Seite meiner Studirenden, mit einem Entgegenkommen,
w ie ich es auf wenige n deutschen U niversitäten gefunden, u nd wie
es ein schönes Zeichen ist für die Bereitwilligkeit, mit der die
Juge nd sich dem Dien ste der W issenschaft w idm et.
M eine Her ren Zugleich aber, un d vor Allem w ill ich die Versi-
cherun g an Sie richten, daß es m ir m ein L ebe nlan g Sache des H er-
zens und der Ueberzeugung gewesen, den Verkehr mit meinen
praktischen Berufsgenossen aufzusuchen. Ich habe es immer
ge tha n, und spreche es, wie schon oft, so auch jetzt aus, daß , we nn
der Theoretiker sich zurückzieht von dem Verkehre mit Prakti-
kern , er sich selber die beste Quelle seiner Er ke nn tniß un d Fortbil-
dung abschneidet. Diesem Verkehre mit Praktikern danke ich
nicht blos Erfolge in der dogmatischen Jurisprudenz, sondern ich
bin fest überzeug t, daß, w enn es m ir gelun gen ist, auf dem Geb iete
der Rechtsgeschichte Manches zu finden, was Andere nicht gefun-
den haben, dies deshalb geschah, weil mein Auge durch den
U m gan g m it Praktikern geschärft war.
So also ka nn ich auch hier nu r sagen, daß das E ntge gen kom m en
un d die A nerke nnu ng, die ich hier bei Ihn en gefunden habe , m ir
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zur wahren Befriedigung gereichen, und daß ich nicht Schöneres
kenne, als wenn meine Bestrebungen gerade bei den Praktikern
Gefallen finden. H aben Sie für diese A nhänglichkeit m einen herz-
lichsten Dank, un d seien Sie überzeugt, daß ich schweren Herzens
aus Ihrem Kreise scheide, und daß ich jederzeit mich unendlich
freuen werde , Ein en von Ih ne n, ich mö ge ihn persönlich g ekann t
hab en oder nicht, wiederzu sehen; ich werde es als Zeichen betrach-
ten, daß das geistige Band zwischen mir u nd Ih ne n n icht aufgehört
hat.
Nochmals m eine n D ank (Stürmischer Beifall.)
Die Versammlung trennte sich in wahrhaft gehobener Stimmung;
ein Th eil derselben, um sich im H ôtel »zur goldenen E nte« wieder
zu einem improvisirten Banket zusammenzufinden, dessen Schil-
derun g wir einer anderen F eder überlassen.«
Und dann, auf Seite 34 desselben Jahrgangs der Juristi-
schen Blätter, der
Bericht über
das
»Bankett«.
Auch dieser
Bericht ist wiederzugeben. Es erübrigt sich zu wieder-
holen, was in gelehrten Abhandlungen über Jherings
Leben zu lesen steht. Jhering selbst spricht den Leser
unmittelbar an. Auch wenn er noch nicht erwähnen
konnte, daß er im Jahre 1885 als Dekan der juristischen
Fak ultät der U niversität G öttingen
Bismarck
das Eh ren-
doktordiplom zum 50. Jahrestag überreichen durfte.
»Das Bankett.
Wer es versäumt hat, nach der Plenar-Versammlung der Einla-
du ng zur geselligen Z usam m enk unft Folge zu leisten, der ha t sich
selbst um einen schönen, genußreichen Abend betrogen. U nter den
50 bis 60 Mitgliedern der Gesellschaft, die sich im Gasthofe zur
21
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E nte einfanden , w ird wohl keines sein, das sich nicht noch in späte-
rer Zeit m it Vergnügen an die dort zugebrachten S tunden erinn ern
wird.
W ar es Festkneipe , Bank ett oder Com mers? Keines von allen. Es
war ein Stück juristischer Gesellschaft, das sich zur vorausgegan-
genen Plenar-Versammlung verhielt, wie etwa das Scherzo eines
classischen Q uar tetts zu dessen an dere n Sätzen.
Das Th em a des Abends war eben Jhering und es wu rde in ern-
ster, wehmüthiger, muthwilliger und heiterer Weise variirt. Der
Gefeierte wurde nicht müde zu sprechen; er erwiederte jeden
Trinkspruch, auf den einen in dankender, auf den anderen in
ablehnender und wieder auf einen anderen in berichtigender,
ergänzen der Form , so daß zuletzt das Bild Jherin g's als G elehrten,
Menschen und Humoristen in so treffenden, markirten Strichen
vor den Augen der Ve rsamm elten lag, w ie es keiner seiner Biogra-
fen jema ls besser zu zeichnen im Stande sein dürfte.
Wir wollen es nun versuchen, für unsere Leser eine Skizze des
Abends zu en twerfen.
Die Reihe der Toaste begann Friedrich Freiherr von Hye. Er
knüpfte an die im Consistorialsaale gesprochenen Abschiedsworte
Jherin g's an , daß das geistige Band zwischen ihm un d der Gesell-
schaft erhalten bleiben solle. Er betonte, daß auch die Verbindung
der Herzen eine bleibende sein möge, schilderte die glänzenden
Herzenseigenschaften Jherin g's, des M enschen, des liebensw ürdi-
gen Gesellschafters und des Humoristen, der mit seinen vertrau-
lichen Briefen eines U nbe kan nten übe r die he utig e Jurisprudenz<
die gesammte Juristenwelt zum Besten gehalten habe und seine
Autorschaft, die er jetzt offen bekenne, dadurch deckte, daß er im
ersten Briefe vor allen A nderen sich selber tüch tig >verrissen< ha be .
Diesen Mann des Geistes, Gemüthes und Humors lasse er hoch
leben
Jhering
dankte mit der Bemerkung, daß er am liebsten jedes
einzelne Mitglied der Gesellschaft leben ließe. Da dieses nicht
leicht möglich,
so
trinke er auf den Präsidenten Fre iherrn von H ye,
der seinerzeit als M inister un ter g roßen Schw ierigkeiten energisch
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für seine Berufung nach W ien eingestan den, der ihn in die juristi-
sche Gesellschaft eingeführt hat, der also sein Adoptiv-Vater in
Oesterreich sei.
W ähre nd sich H ye und Jh erin g um arm ten , brach die ganze Ver-
sam m lung in begeisterten Jubel aus.
Dr. Jaques, der nu n das W ort ergriff, schilderte in läng erer R ede
die Bedeutung Jhering's als Bahnbrecher in der Auffassung des
römischen Rechtes, dessen Geist, entgegensetzt dem Worte des
Dichterfürsten: >Was man den Geist der Zeiten nennt, das ist der
Herren eigener Geist, in dem die Zeiten sich bespiegeln
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geschah gewöh nlich in Gesellschaft des D ichters Friedrich H ebbel,
m it d em er viel verkeh rte. Er hab e sich für Schriftstellerei, Clavier-
spiel und sonstige Kunst interessirt, ja sogar selbst eine Novelle
geschrieben. Erst in Göttingen sei er durch Thöl und die Practica
angeregt, entschieden für d ie Jurisprudenz gew onnen wo rden.
Fü r die Kunst hab e er jedoch im m er hohes Interesse und B egei-
sterung bewahrt. Nur der Künstler könne frei und unabhängig
Gestalten schaffen, zu denen N iem and etwas hin zu thu n oder von
ihnen etwas wegzun ehm en vermag . De r G elehrte müsse als Die-
ner der Wissenschaft fortarbeiten und stets darauf gefaßt sein,
w iderlegt oder verbessert zu werd en. So sei eben die künstlerische
Thätigkeit das Ideal des menschlichen Schaffens und er bekenne
heute noch offen, daß er für die Autorschaft eines guten deutschen
Lustspieles jene des Geistes des röm ischen R echtes gerne einzutau -
schen bereit w äre.
Aus dem Drange nach künstlerischer Gestaltung könne viel-
leicht eine oder die andere Stelle seiner Werke leichter erklärt
werden. Seine Berufswahl war nicht unbeeinflußt von äußeren
Verhältnissen.
Nach beendeter akademischer Laufbahn wäre er vielleicht in
den S taatsdienst getreten . Allein in H ann ove r herrschte dam als die
U ebu ng, daß die Regierung sich ihre L eu te selbst aus den Studiren-
den w ählte. Einer seiner Brüder befand sich schon in der Beam ten-
laufbahn, zudem war man den Ost-Friesen nicht sehr hold, weil
m an sie für ung ebildet hielt. D er Advocatur, die dam als in H ann o-
ver geschlossen war, wo llte er sich nicht w idm en, w eil er kein e L ust
ha tte , die Selbstän digke it erst in
6
bis
10
Jah ren zu ersitzen.
So
steu-
erte er auf die D ocentu r
los
und ging nach B erlin, wo er prom ovirte.
Nach abgelegtem Examen überkam ihn eine ungeheure Abspan-
nu n g und M uthlosigkeit, die sehr bald durch den Ruf zur außeror-
dentlichen Professur nach Würzburg gehoben wurde.
Obzwar
Stahl
in Berlin ihm kein sehr günstiges Prognostikon
für das L eh ra m t stellte, hab e er doch bald einen we iteren Ruf nach
Basel, Rostock und Gießen erhalten. Nach dem Erscheinen des
ersten Bandes seines Geistes des römischen Rechtes sei er vielfach
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angegriffen un d verke tzert worden, so daß er na he d aran w ar, eine
persona famosa im römischen Sinne des Wortes zu werden. Es
gehörte bereits zum guten Tone, namentlich bei jüngeren Schrift-
stellern und insbesondere solchen, die um die Gunst der Berliner
historischen Schule buh lten , ihm so ne be nh in in der Vorrede einen
zarten Fu ßtr itt zu versetzen. E r sei jedoch auf der betre tene n Bahn
muthig fortgeschritten, habe Nothwehr geübt und die ihm zuge-
dachten Hiebe parirt, wohl auch selbst Hiebe ausgetheilt. Dessen
ungeachtet sei er während seiner Gießener Professur nochmals in
krankhafte Abspannung verfallen. Er habe an Melancholie und
Gedächtnißschwäche gelitten, so zwar, daß er bereits die Namen
der einfachsten G egen stände zu vergessen anfing. I n dieser trauri-
gen Lage sei ihm der Gedanke gekommen, sich ganz der Land-
wirthschaft zu widmen, und er hätte denselben wahrscheinlich
auch ausgeführt, wenn es ihm nicht glücklicherweise an dem zum
Ankaufe eines Landgutes nöthigen Gelde gemangelt hätte.
U nte r solchen Verhältnissen sei er sich in and erer W eise zu Hilfe
gekommen. Er habe für einige Zeit jede geistig anstrengende
Arbeit aufgegeben, habe wie ein Taglöhner in seinem Garten
gegraben, Salat und Bohnen gepflanzt u.s.w. Nach kurzer Zeit
seien Geistesfrische, Lebenslust und Schaffensdrang wieder ge-
komm en.* Daraufhin habe er m uth ig fortgewirkt und sein H aupt-
werk weiter gefördert, obgleich ihm ein guter Freund aus Berlin
nach dem Erscheinen des ersten Bandes bemerkte: >Mein lieber
junger
Freund
W as hab en Sie da für Zeug zusammengeschrieben?
So werden Sie es nicht weit bringen. Ich habe Besseres von Ihnen
erwartete Auf die Briefe eines Unbekannten zurückkommend,
bem erkt Jherin g, daß er dieselben separat herausgeben werde, daß
er jedoch noch einige Briefe dazu schreiben müsse, die ihm jetzt
nöthig scheinen, nachdem seine Autorschaft bekannt ist. Er ge-
denkt mit Vergnügen verschiedener Gespräche mit Juristen, die
nach dem Autor fahnd eten un d erzä hlt höchst ergötzlich von ein em
vergeblichen Versuche, der dahin gehen sollte, durch Vermittlung
der Frau des Rédacteurs Hiersem enzel dem Autor auf die Spur zu
kommen.
25
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Für diejenigen, die sich des Inhaltes der Briefe nicht erinnern,
gibt er zur Charakterisirung derselben die Geschichte von jenem
Rechtshistoriker zum Besten, der den
Eingriff,
den der Zufall in
Gestalt eines Windstoßes und Stubenmädchens in die systemati-
sche A nord nun g seiner römischen Rechtsgeschichte vo rgenom m en
hatte , geneh m igte und adoptirte.**
Aus Anlaß der Erwähnung von Universitäts-Verhältnissen
spricht sich Jhering mit Rücksicht auf Oesterreich für unbedingte
Lernfreiheit, Einführung der Practica und Verminderung der
Ex am ina, sowie der sogenannten obligaten Fächer aus.
Der juristischen Gesellschaft aber gibt er den wohlgemeinten
R ath , nich t so sehr auf trockene, ge lehr te Vorträge, als auf gesellig
heitere Zusammenkünfte Gewicht zu legen, bei welchen die ver-
schiedensten, ernsthaftesten Themata in allseitig erschöpfender
und anregender Weise durchgesprochen werden können. Er selbst
hab e aus dem Um gang e m it Praktikern manche Frucht gewonnen
un d wolle gerne auch in Göttingen im geistigen Verbände mit der
Wiener Juristischen Gesellschaft bleiben. Jedes einzelne Mitglied
derselben werde er dort m it Freuden w illkom men heißen.
Es bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung, daß die Worte
Jhering's, die wir hier im Zusammenhange wiederzugeben ver-
suchten, die aber, wie schon erw ähn t, in unterbroch ener Rede u nd
Gegenrede gesprochen w urden, von der Versamm lung m it
lebhaf-
ter Theilnahme und warmem Enthusiasmus aufgenommen wur-
den.
Noch toasteten unter Anderen Dr. Kaserer auf die juristische
Gesellschaft, D r. Piffel auf den K ünstler Jher ing , der es w ie kaum
ein an de rer ver steht, seine Schüler zu begeistern, Dr. Ad ler auf d ie
Familie des Gefeierten u.s.w.
Ein Telegramm des Dr. Környei aus Pest, das leider zu spät an
die Adresse eines Ausschußmitgliedes gelangte, enthielt die Bitte,
dem unüberwindlichen Kämpfer für das Recht im Namen des
abw esenden M itgliedes Környei ein donnernd es Hoch zu bringe n.
Für den Schluß dieser Zeilen haben wir uns den von Notar Dr.
Leidesdorf ausgebrachten Trinkspruch aufbewahrt.
26
8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht
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Dieser faßte die zerstreuten Strahlen des Geistes und Humors
wie mit einem Brennspiegel in einen einzigen Punkt zusammen
und war eben deshalb von zündender Wirkung. Er lautete unge-
fähr wie folgt:
M eine H erren N iema nd ka nn aus seiner H au t fahren, also ich
auch nicht. Un d doch möch te ich gern e den geschäftlich-trockenen
Notar abstreifen und im Namen meiner Berufsgenossen zur Feier
des Tages beitragen. Da ich, wie schon gesagt, meine persönliche
Qu alität nicht zu beseitigen verm ag, so gestatten Sie, daß ich drei
Notariats-Acte aufnehme. Erstens eine
Vidimirung.
Ich bestätige
und bekräftige, daß die heu te hier von dem anw esenden Hofrathe
Jhe ring durch Dr. Jaques entworfene Copie dem m it dem Stempel
des Geistes verseh enen O riginale vollkom m en gleich sei. Zw eitens
eine Legalisirung: Ich bestätige un d bek räftige, daß die Verehrung
und Begeisterung, welche die juristische Gesellschaft dem anwe-
senden Hofrathe Jh erin g zollt, vollkom m en echt und glaubw ürdig
sei. D ritten s ein Lebenszeugnis: Ich bestätige und bekräftige, daß
der anwesende, eben genannte Hofrath Jhering nicht nur unter
uns,
sondern auch in seinen Werken und in der Wissenschaft lebt
und unsterblich leben wird im m erd ar hoch Erst gegen die zweite
M orgenstunde tren nte n sich die Fes ttheilneh m er in der heitersten
Stimmung.«
Dann heißt es auf Seite 35 der Juristischen Blätter:
»U nm ittelbar eh e Jh erin g in die Juristische Gesellschaft
sich begab, um den Vortrag >Der Kampf ums Recht< zu
halten, wurde ihm seitens der k. russischen Botschaß in
*
Siehe die Vorrede zum 2 . T h . des G. des röm . R., ddo. Gießen ,
14. October 1854.
** Siehe Deu tsche Gerichtszeitung von Hiersem enzel 1863 Nr. 21. Der
dort entha lten e 5. Brief dürfte üb erh au pt e iner der launigsten sein.
27
8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht
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Wien
ein Schreiben zugestellt, dessen Inhalt zufolge der
russische Kaiser dem gefeierten Rechtsgelehrten in An-
erkennung seiner Verdienste um die Rechtswissenschaft
und um die Ausbildung hier absolvierter russischer
Rechtshörer das Commandeurkreuz zweiter Klasse des
St. Annen-O rdens verliehen hat.«
Auf Seite 85 der eben genannten Juristischen Rlätter
liest man unter »kleine Mitteilungen«: »Hofrath Jhe-
ring wurde in Anerkennung seiner Verdienste um die
Rechtswissenschaft von Sr. Majestät dem Kaiser durch
die Verleihung des Ritterkreuzes des Leopold-Ordens
ausgezeichnet.« Mit dieser Auszeichnung war auch der
erbliche Adel verbunden.
Bevor noch die Veröffentlichung der erw eiter ten Fas-
sung des Vortrags »Der K ampf um 's Recht« im Som mer
1872 erfolgte, kam en Kritiker, die sich gegen den In hal t
des Vortrages wand ten . Auch sie sind in den Juristischen
Blättern
—
anonym
—
abgedruckt. Auf Seite 166 heißt es
unter »Ausland«: »Der Kampf um das Recht vom rich-
terlichen Standpunkt aus betrachtet. Berlin, 15. Mai
1872. Erste r Brief.« Es folgen auch noch e in zweiter Brief
und ein dritter Brief eines Berliner Richters. Und dann
berichten die Juristischen Blätter unter dem 21. Ju li 1872
vom Abschied der Juristischen Gesellschaft von Professor
Jhering:
28
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»Correspondenzen.
Oesterreich- Ungarn.
Wien,
19.
Juli 1872
Abschied der Juristischen Gesellschaft von Professor Jhe ring .
Die in Wien anwesenden Mitglieder des Ausschusses der Juristi-
schen Gesellschaft, und zwar Freiherr von Hye (Obmann), Dr.
Jaques
(Obmannstellvertreter),
Hof- und
Gerichtsadvocat
Dr.
Feistmantel,
Privatdocent
Dr.
K aserer
und
Notar
Dr. Leidesdorf
erschienen am letzten Mittwoch in der Wohnung des Hofrathes
Jhering, um demselben Nam ens der juristischen Gesellschaft eine
Abschiedsadresse zu überreichen.
Nachdem Freih. v. Hye dem tiefen Bedauern der Gesellschaft
über das Scheiden des gefeierten Mitgliedes, sowie dem Wunsche
Ausdruck gegeben hatte, daß Jhe ring auch ferner ein Gönner der
Gesellschaft bleiben m öge, sprach Jh erin g
in
warm en W orten
sei-
nen Dank für die ihm dargebrachte Ovation aus. Er betonte, daß
ihm in Oesterreich mehr Erfolge zu Th eil geworden wären, als er
jemals zu erringen haben hoffen dürfen, und daß sein ganzes Ver-
dienst eigentlich nur darin bestehe, daß er vom Anfange seines
Wirkens an die Verbindung zwischen der Wisenschaft und dem
praktischen Leben als für das G edeih en beider unerläß lich angese-
hen habe. Um so werthvoU er sei es ihm aber, sein Bestreben gerade
von den Praktikern in der Jurisprudenz anerkannt zu sehen. Er
schloß mit dem Versprechen, da ß, we nn er, wie er hoffe, im Früh-
ling des kommenden Jahres Wien besuche, er nicht versäumen
werde, der Gesellschaft w ieder ein en V ortrag zu widmen.
Hierauf verlas
Dr.
Jaques die (von ihm verfaßte) Adresse, wel-
che nachfolgend laute t:
Verehrter Hofrath Jhering
>Inmitten der großen Anzahl Derjenigen, die Ihr Scheiden aus
Oesterreich mit tiefem Bed auern erfüllt, erscheint auch die Juristi-
29
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sehe Gesellschaft zu Wien. Geschaffen zu dem Ende, die segens-
reiche Verbindung zwischen Wissenschaft und Leben auf dem
Gebiete der Jurisprudenz zu fördern, berufen, weithin Zeugniß
dafür abzulegen, daß die U ebun g der Rechtspflege nim m er gedei-
he n k ann , wen n sie nicht belebt und gehoben ist durch die wissen-
schaftliche Durchdringung der tiefsten Bedürfnisse der Zeit und
des Volkes, mußte unsere Gesellschaft den Meister ernster For-
schung, zugleich den freien, phnatasievollen, den der concreten
Wirklichkeit zugewendeten Denker von Vornherein mit den
wä rm sten Sym pathien begrüß en. M it diesen Sym pathien aber ver-
band sich innige Dankbarkeit, als Sie, verehrter Herr, die Bedeu-
tung unserer Aufgabe freundlich würdigend, Ihre Wirksamkeit
uns widmeten und unseren Kreis zu wiederholten Malen mit der
D arleg ung werthvo ller Resultate Ihr er Arbeit erfreuten.
Unv ergeßlich w erden uns Allen in der T ha t jene Abende
sein,
an
welchen S ie in großen Perspectiven d ie charakteristischesten Zü ge
des römischen R echtslebens, ja des Civilrechts üb erh au pt un s vor-
überführend, uns den Einblick in die innerste Werkstätte Ihres
Schaffens gönnten. Es bleibt in den Annalen der Gesellschaft für
im m er verzeichnet, wie damals in dem dichtgedrän gten Saale ein
Jeder in fast athemloser Spannung an den Lippen des Redners
hin g, welcher, selbst von seinem Stoffe begeistert, Begeisterung zu
erwecken nicht verfehlen kon nte. Da w ar wohl Niem and in unse-
rer M itte, den es nicht mi t We hm uth erfüllt hä tte, daß er nicht vom
An begin ne seiner Studienlaufbahn Ih r Schüler gewesen war, oder
der sich nicht im Stillen zuschwor, wo im m er die wissenschaftliche
Bewältigung des positiven Rechtes für ihn in Frage stehe, Ihren
Wegen getreulich zu folgen. Durch die Versammlung ging jener
Zu g der inne ren Erh ebu ng, der nur dort waltet, wo die Ergebnisse
tiefen Denkens in künstlerisch vollendeter, in edler und reiner
Form zum Ausdrucke gelangen. In dem stürmischen Beifall, der
Ihnen dargebracht wurde, lag das Bekenntniß, das sich in dem
D ichterwo rte ausspricht: Deines Geistes hab ich einen Hauch ver-
spürt. Jen er Geist aber, der uns gleichsam magisch fesselte, es war
der G eist des in seinem innersten Wesen erk ann ten, als ein lebens-
3
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voller Organismus erfaßten und so gleichsam wiedergeborenen
römischen Rechtes.
Un vergeßlich b leibt es un s aber auch ferner, wie Sie den nu r all-
zukurzen Stunden der Belehrung dann jedesmal jene fröhliche
Geselligkeit folgen ließen, die uns Allen die Zunge löste und die
Herzen erweiterte. Da walteten Sie aufs Neue als ein Vorbild in
unserer Mitte, als Vorbild einer Liebenswürdigkeit und eines
Hu m ors, wie sie als ein Gn adengeschenk stets nur De nen zu Th eil
werden, die in selbstloser Hingebung den idealen Interessen der
M enschheit sich gew idm et h aben .
W enn wir Ih ne n d eßhalb mi t diesen flüchtigen W orten un seren
herzlichen Abschiedsgruß darbringen, so geschieht es im Vollge-
fühle des Dan kes, den wir Ihn en schulden. Un d w enn Ih re Genos-
sen an der Hochschule unserer Stadt in Ihnen hinfort den gefeier-
ten G elehrten, den vereh rten Collegen vermissen, wen n die künfti-
gen Generationen der Jünger unserer Wissenschaft des genialen
Lehrers schmerzlich entb ehre n w erden, so ist unser Bedauern ein
um
so
intensiveres, da wir Sie
als
Leh rer u nd Genossen zugleich, da
wir Sie als den trefflichen M an n der W issenschaft un d als den lie-
benswürdigsten Cameraden haben wirken sehen und Sie als sol-
chen schätzen und lieben gelern t ha be n. Ein unv erbrüchlich treues
And enken b leibt Ih ne n in unserer M itte bis in die fernste Zuku nft
gesichert^
H iem it war der officielle T he il der Abschiedsfeier been det u nd
Jhering bot in mehrstündigem Beisammensein den Anwesenden
Gelegenheit, ihn auch bei diesem Anlasse wieder als den liebens-
würdigen humoristischen Hauswirth kennen zu lernen, als wel-
chen er sich schon bei so vielen A nlässen b ew äh rt hat.«
Aber nu n zur Sache: Fü r den flüchtigen Leser genügt es
zunächst, den
Vortrag Jherings
kennenzulernen, den er
vor der Wiener Juristischen Gesellschaft unter dem
31
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Titel »Der Kam pf urn's Recht« geha lten ha t. D ie Juristi-
schen B lätter (1872, Seite 29 ff.) schre iben:
»Ueber den Vortrag selbst irgend etwas Lobendes zu sagen, hieße
>Eulen nach A then tragenDer Kam pf ne uer Rechtssätze und
Rechtsinstitute um das Recht ihres Daseins und ihre gesetzliche
Anerkennung
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Grenzen der Jurispruden z nah ezu h eraus, un d ist für den Laien von
gleichem Interesse w ie für den Juristen .
Ich will sofort zeigen, was ich unter dem m ir gew ählten T he m a
verstehe, über dessen Art vielleicht bei Manchem von Ihnen noch
eine unrich tige Vorstellung b estehen kö nnte .
Die herrschende Vorstellung pflegt an den Begriff des Rechts
zugleich den Gedanken des Friedens, der Ordnung zu knüpfen.
Nach einer Seite hin ist diese Vorstellung wohl vollkommen be-
rechtigt; sie ist ebenso berechtigt wie die Vorstellung, welche das
Eigenthum als Genuß auffaßt. Dieser Seite entspricht aber auch
eine andere bei beiden Begriffen. Beim Eigenthum ist die Kehr-
seite desselben die Arbeit, beim Rechte ist die Kehrseite des Frie -
dens und der Ruhe: der Kampf.
Je nach der Verschiedenheit der Leben sstellung, der historischen
Zeitalter kehrt bei beiden Begriffen sich bald die eine Seite mehr
heraus, bald die and ere.
Dem reichen Erben, der mühelos zu den ererbten Gütern
kom m t, für ih n ist das Eig en thu m nicht Arbeit, sondern G enu ß.
Dem Arbeiter hingegen, der täglich an die Mühseligkeit des
Erwerbes erinn ert w ird, dem ist das Eig en thu m die Arbeit.
D em La ien, der davor verschont geblieben ist, das Recht in sei-
ner vollen Thätigkeit kennen zu lernen, ihm mag das Recht nur
Friede und Ordnung bedeuten. Sie, meine Herren, als praktische
Juristen, wissen es, daß das Recht zugleich Kam pf ist, und daß Sie
vor Allem dazu berufen sind, in diesen Kampf e inzu treten , ihn auf
der einen Seite zu fördern, auf der an dere n ih n zu schlichten.
Von diesen beiden A uffassungen des Rechts ha t in unsere r rom a-
nistischen Wissenschaft diejenige den Vorzug, welche den Begriff
des Rechts an den der Ru he un d d er O rdn un g knüpft, und Savigny
sprach es vorn ehm lich aus: Das Recht entw ickele sich wie die Spra-
che, es entsteh e aus dem im Volke lebe nd en Rechtsgefühl, aus der
M acht der rechtlichen Ueb erzeugun g.
Daß aber diese Ueberzeugung einen gewaltigen Kampf zu
kämpfen hat, der bei der En twick elung der Sprache un d der Kunst
durchaus nicht stattfindet, trit t völlig in den H interg run d.
33
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D aß schon
—
was in der Theo rie des gesetzlichen R echtes beach-
tet werden muß — das Werden eines Gesetzes, des Productes, der
legislativen Reflexion, unter gewaltigem Kampfe erfolgt, unter
dem Kampfe der Stände gegen die Stände, der verschiedenen
Mächte innerhalb des Staatslebens gegen einander — das verdien t
jedenfalls Berücksichtigung.
W ir brauchen nu r einen Blick zu th u n in die Welt, um zu erken-
nen , welche M üh e, welchen Kampf die Du rchsetzung des Rechtes
kostet. Es ist die Ueberzeugung vom Rechte, der Glaube an die
Wahrheit, der sich geltend machen will. Aber jede Wahrheit hat
nicht bloß einen entgegengesetzten Irrthum zu bekämpfen, son-
dern — und dies vor Allem — entgegenstehende Interessen.
Jeder Rechtssatz, seine Durch füh rung, alle w ichtigen Rechtsän-
derungen erfordern einen Kampf gegen bestehende Interessen.
D en n das bestehende R echt, die herrschenden R echtssätze h än-
gen mit tausenden Wurzeln und Fäden mit der Wirklichkeit , mit
den Interessen zusam m en, un d trit t ein neue r Rechtssatz auf, dan n
han delt es sich nicht bloß um seine W ahr heit u nd Richtigkeit, son-
dern auch um den Gegensatz, in den er sich m it bestehen den Inter-
essen stellt.
Alle wichtigen Rechtssätze, die in der Welt geworden sind,
haben ihren W eg genom men über zertretene Interessen.
Das Recht en tsteh t eben nich t wie die Sprache schmerzlos, nicht
im W ege der bloßen Ueberzeugu ng, sondern es wird un ter Schmer-
zen geboren, wie das Kind von der M utter, un d gerad e darin beru ht
die sittliche Kraft, die hin terh er d em R echte inn ew oh nt.
Ein Rechtsinstitut, das nicht erkämpft wird, hat für uns nicht
den moralischen Werth; nur der Gedanke an den Kampf schlingt
zwischen uns und dasselbe das sittliche Band, gibt un s die morali-
sche Kraft, d ie un s veran laßt, für dasselbe ganz einzutre ten. (L eb-
hafter Beifall.)
Ich will aber den Gedanken nicht weiter ausführen, wie das
Rech t zu kämp fen ha t, um sich zu verw irklichen, ich will nich t wei-
ter von der Bildung des Rechtes sprechen, obschon ich es berü hre n
zu mü ssen glaubte, sondern ich will im Folgen den nu r von der Ver-
34
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wirklichung des Privatrechtes sprechen, oder wie ich es bezeichnet
habe,
von dem >Kampfe u m 's Recht
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wirklich thut und nicht davor zurückbebt, ihn für sich anzurufen,
ihn für sich geltend zu m achen , ihn für sich zu verw irklichen.
Und insoferne kan n m an auch sagen: Jeder Einzelne ha t die sitt-
liche Aufgabe, mitzuwirken an der Verwirklichung der Wahrheit
un d des Rechts am L eben ; jeder Einze lne ist für seine besch ränkte
A tmo sphä re W äch ter un d Vollstrecker des Gesetzes.
Wohin würde es führen, wenn ein Bruchtheil eines Volkes, ein
Stand, aus welchen Grün den im m er — sei es, weil die S taatseinrich-
tun gen es ih m erschweren oder aus and eren G ründ en
—
nicht m ehr
den M uth hätte , den Kampf für sein Recht zu verwirklichen?
Es w ürd e dahin führen, daß auch dem Einzelnen, der den M uth
hierzu hat, die Aufgabe unendlich erschwert wird.
In demselben Maße, wie die Uebrigen zurückgehen, fällt auf
den Einzelnen eine ungleich schwere Kraft.
Ich möchte dies vergleichen m it de r Flucht in der Schlacht. Wenn
alle zusam menstehen, so haben sie Aussicht auf den Sieg; wenn ein
Theil sich aber zurückzieht, dann wird es auch mit den Zurück-
bleibenden bedenklich und schließlich müssen auch sie weichen.
Es liegt also in der Aufgabe des Einz elnen , dort, wo sein Recht in
Fra ge steht, es zu verw irklichen, ind em er für dasselbe ein tritt.
Erfüllt er diese seine Aufgabe nicht, dann gibt er nicht bloß sein
eigenes Interesse auf, sondern auch das Interesse der Gesellschaft,
er versündigt sich gegen die Interessen seiner Mitbürger. Allein
m an wird m ir en tgegen halten: wozu bedarf es den n erst einer Auf-
forderung an den E inzelnen, sein Recht geltend zu machen? Dazu
bestim m t ihn ja oh neh in sein eigenes Interesse h inlänglich.
Ist denn das Interesse das einzige Motiv für den Berechtigten,
das ihn veranlassen m üß te, sein Recht in jedem Fa lle zu verfolgen?
Das leugne ich entschieden. Wenn mir ein Object im Werthe von
zehn Gulden verloren gegangen ist, z.
B.
ein Napoleon ins Wasser
gefallen ist, werde ich kein e eilf Gu lden daran setzen, um
es
wieder
zu bekomm en.
So
wü rde ich auch, w enn es reine Frag e des Interes-
ses wäre, wenn ein Object von 10
fl.
in Frage steht, keine Auslage
von vielleich t 100
fl.
dara n w enden , u m m ir dieses Object wieder zu
verschaffen. Und doch zeigt un s die tägliche Er fah run g das Gegen-
56
8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht
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theil
—
und
Sie,
m eine H erren , w erden es am besten zu beu rtheilen
wissen, daß Jemand einen Proceß unternimmt für ein verhältnis-
m äßig ganz unb edeu tendes Object.
D er nüch terne M ann , der für die w ah re Auffassung des Rechtes
kein Verständnis hat, nennt einen solchen einen Streitsüchtigen,
einen Querulanten.
De r M ann aber, der sein Rech t bis zum A eußersten verfolgt, der
weiß sehr gut, w aru m er sein Recht haben will.
D er m oralische, der ethische Erfolg ist es, der ih n dazu tre ibt.
Mir sind aus der patriarchalischen Zeit der Justiz
—
ich weiß
nicht, ob dieselbe auch in Oesterreich g eblü ht h at
—
manche A nek-
doten bekannt, die die verkehrte Auffassung vom Rechte und sei-
ner Verfolgung illustriren.
Ein beq uem er A m tm an n, dem es zu lästig war, kleine oder lang-
wierige Processe der gesetzmäßigen Entscheidung zuzuführen,
war stets sofort dabei, wenn es sich um kleine Summen handelte,
der ihr Recht ansprechenden Partei dieselbe zu offeriren und in
dieser Weise die m eisten Processe zu entscheiden. (Heiterke it.)
Das kostete ihn jährlich ein paar Hundert Gulden, aber hatte
dafür Ruhe und glaubte im vollsten Maße seine Pflicht erfüllt zu
haben. Meine Herren
—
Ich würde sein Geld zurückgewiesen
haben ; ich will m ein R echt hab en.
Das Interesse meine s Rechtes ist eben nicht äq ual m it dem W er-
th e der Sache, die ich verfolge.
W orauf b eru ht dies Verlangen nach seinem R echte? Nach mei-
ner Auffassung, m.H., ist das Recht ein Stück der Person selbst,
hängt mein Recht mit meiner Person innig zusammen, es ist ein
Stück von m ir selbst, es ist ein Stück m ein er Arbeit.
D ie ganze Perip herie der m ir eigenthü m lichen Rechte, die mich
umgibt, ist meine erweiterte Kraft, meine erweiterte Persönlich-
keit, m ein eigenes Selbst. W ird auf Eines dieser Stücke ein Schlag
geführt, dann empfindet es das Centralorgan, die ganze Persön-
lichkeit. Der Zustand der Verletzung des Rechtes bringt erst das
wahre Wesen des Rechtes zur vollen Einsicht. Wie in der Medicin
die pathologischen Affectionen gewisser Organe erst über die
37
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w ahre Be deutun g und Fu nction derselben die richtige Aufklärung
geben , ebenso erschließt un s Juristen erst die Verletzung des Rechts
die w ahre Bed eutun g desselben.
Ist nun das Recht als solches verletzt, dan n the ilt sich der gegen
dasselbe gefüh rte Schlag der ganzen Pe rsönlichkeit m it, sie reag irt
dagegen, und je nach der Verschiedenheit der Art und Größe der
Verletzung ist diese Reaction selbst wieder eine heftige oder eine
minder heftige. Liegt lediglich objectives Unrecht vor, so mag die
angegriffene Persönlichkeit das Gefühl des erlittenen Unrechts
noch überwinden. Ganz anders aber, wenn mit dem
objectiven
Unrecht noch eine
persönliche
Schuld des Gegners sich verbindet.
Das Wissen des Unrechts, der dolus, die culpa, die offene Absicht,
mich zu verletzen, die kränkende Form, der Hohn, mit dem es
geschieht, zeigen es klar, daß die Verletzung nicht m eh r d er Sache
gilt. Jetzt hand elt es sich um die Vertheidigung m eine r Persönlich-
keit, um den K ampf für m ein gekrän ktes Recht, un d es ist ein Zei-
chen der Feigheit, w enn ich diesen Kampf ablehn e.
Nich t bloß die Person ist hie r getroffen, sondern die Majestät des
Rechtes selbst ist verletzt, verleugnet — un d d ie sittliche E ntr üs tun g
gerade hierüber macht es unmöglich, einen solchen erlittenen
Schmerz zu überw inde n, der Kampf für die Idee des Rechtes gibt
der verletzten Person d ie Nachh altigkeit, die Energie in der Verfol-
gun g ihres Rechtes.
D iese En ergie, dieser Affect in der Rech tsverfolgung ka nn etwas
höchst Poetisches annehmen, und unsere Dichter haben auch die-
sen Stoff mehrfach behandelt.
Ein e unsere r schönsten deutschen Novellen, >Michael Kohlhaas<
von Kleist, zeigt uns den Menschen im harten Kampfe mit dem
U nrech t. Er un terlieg t zuletzt den schlechten Einrich tung en un d es
ere ilt ih n e in tragisches Schicksal. Ebenso ist es in d em >Kaufmann
von Venedig
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Individuen sehr verschieden. Verschieden nach der Verschieden-
heit d er Völker und der Z eiten. Worauf b eru ht aber diese Verschie-
denheit? Hä ng t es m it der Volks-Individualität zusamm en, b eruht
es auf eine r Verschiedenheit der natio na len Auffassung? Ich bin zu
dem Resultate gekommen, daß es zusammenhängt mit der Ver-
schiedenheit der Bewerthung des Eigenthums.
Nicht jedem Geschlechte, jeder Generation, jedem Individu um
ist das Eigenthum in gleicher Weise werth. Die Art des Eigen-
thumserwerbes ist in dieser Beziehung maßgebend. Ein Volk, das
m ühsam m it dem Boden, m it der Natur ringen m uß , um seine Exi-
stenz sich zu sichern, wird täglich un d stünd lich a n die B edeutung ,
an den W erth des Eig enth um s erinnert, ihm ist das Eig enth um der
Niederschlag vieler Arbeit, Entbehrung und Mühe. Wir können
dies auch in der jetzigen Zeit bemerken; denken wir nur an den
Gegensatz zwischen Stadt und Land. Die Städter und der Land-
m an n w erden, w enn auch in ganz gleichen Vermögensverhältnis-
sen, das Geld, den Werth desselben, den Werth des Eigenthums
m it ganz anderen A ugen ansehen. In der Stadt, wie etwa in W ien,
bestim m t sich die Art der Schätzung n icht nach Le ute n, die schwer
arbeiten, sondern nach Leuten, die verhältnismäßig die Sache
leichter verdienen, und diese Schätzungsweise, die wird nachher
maßgebend für den allgemeinen Preis. Umgekehrt auf dem
Land e, wo jeder w eiß, wie schwer das Geld zu verdiene n ist, da ist
die Schätzung des E ige nth um s e ine völlig ande re, selbst für Dieje-
nigen , die nicht in dieser W eise arbe iten. Un d
so,
meine Herren, is t
es auch für d ie verschiedenen Ze iten. U nsere he utig e Zeit wird d ie
Eigen thum sverbrechen in ganz ande rer Weise betrachten, wie das
alte Rom. In dem alten Rom hat die Arbeit, möchte ich sagen, die
Strafe d ictirt, bei uns ist eine ganz ande re Auffassung m aßg ebe nd.
D as M aß der Reaction b ei Verletzung des Rechtes bestim m t sich
sohin einmal nach der Art des geschehenen Angriffes, dann aber
auch nach dem zweiten, als m aßg eben d erka nnte n Gesichtspuncte,
nach der Nähe oder Ferne des Eigenthums zur Person, nach der
individuellen S chätzung des Eig enth um s.
Es ergibt sich aus dem Bisherigen, daß dieser Kampf, den das
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Subject zu kämpfen hat für das Recht, nicht bloß für das Subject
selber eine Frage der sittlichen Zufriedenheit ist, sondern daß er
ebenso für das Gemeinwesen von äußerster Wichtigkeit ist.
Für das angegriffene Subject ist es eine Frage der moralischen
Selbsterhaltung, sein Recht zu verfolgen und Zeugniß davon zu
geben, daß es nicht feige zurückgetreten ist von dem Kampfe für
sein Recht. Für den Staat erwächst aber gerade hieraus die drin-
gende Pflicht, dieses Rechtsgefühl in jeder Weise zu nä hr en un d zu
kräftigen, den Weg zur Rechtsdurchsetzung zu erleichtern; denn
darauf beruht in letzter Instanz die Sicherheit für die jeweilige
Verwirklichung des Privatrechtes.
In den N iederun gen des Privatlebens, des Privatrechtes m uß das
moralische Rechtsgefühl seine Schule bestehen, damit es in den
höheren Regionen der Staatsentwicklung und des Völkerlebens
gestählt sei. Für die politische Pädagogik ist es eine ihrer erster
Aufgaben, das Rechtsgefühl im Privatrechte zu pflegen, denn dar-
aus ge ht d ie moralische Kraft he rvor, die später die Geschicke des
Staates bestimmt.
In welcher Weise kann aber das Recht, kann das Gesetz das
Rechtsgefühl heben und pflegen? Meiner Ansicht nach soll die
Gesetzgebung diesen Kampf für's Recht nicht bloß dadurch er-
leichtern und fördern, daß sie zweckmäßige Proceßeinrichtungen
schafft, sonde rn vor Allem dadurch, daß sie der gerech ten Ind igna -
tion über das gekränkte Recht Genüge leistet. Das Recht soll dort,
wo das Subject angegriffen ist, sich nicht bloß darau f beschränken,
den Schaden wieder gut zu machen, sondern es soll den Fall der
gesteigerten, subjectiven Kränkung als qualificirtes Unrecht auf-
fassen, sofern nicht sogar Kriminalunrecht geschehen ist.
Ich will Ih nen jetzt den N achweis liefern, w ie dies im röm ischen
Rechte geschehen ist. Im ältesten römischen Recht wurd e in k einer
Weise auf die Verschuldung des Gegners gesehen. Die alte, rohe
Zeit unterscheidet nicht zwischen der feineren, moralischen
Zu rechn ung , sie ist über das Maß der gerechten Berücksichtigung
des verletzten Rechtes we it hina usgeg ang en.
D er M ann hat m ir Etwas genomm en; er hat es und will es nicht
4
8/19/2019 Jhering - Der Kampf ums Recht
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herausg eben . Vindicire ich, so m uß er nach römischem Rechte die
doppelten Früchte zahlen, ohne Rücksicht
darauf,
ob er bona oder
mala fide war. Ebenso geht bei der Eviction der Evictions-Spruch
stets auf das Do ppelte; dabei wird n icht gefragt, ob m ein Vormann
gew ußt hat, daß er m ir eine fremde Sache verkaufte; er hat sie m ir
verkauft, er zahlt mir das Doppelte. Ich habe bei einer anderen
Gelegenheit solche Fälle zusammengestellt, und kann, was das
ältere römische Recht anbetrifft, sagen, daß es über das Maß der
gerechten Berücksichtigung des Affectes weit hinausg ing.
Das
mittlere
römische Recht bewahrt in dieser Beziehung das
volle Gleichmaß. Es unterscheidet genau zwischen dolus und
culpa, zwischen culpa lata, levis und levissima, zwischen bona und
m ala fides, kurz, es trit t in allen Fä llen eine g erechte B erücksichti-
gung des pathologischen M omentes ein, wie ich es nen nen möchte,
welches beabsichtigt, dem Verletzten G enü ge zu leisten.
Ich will einige Beispiele aus dem röm ischen Processe dieser Zeit
anführen:
Ich forderte mein Darlehen zurück, der Beklagte bestreitet es
mir; läßt er es auf einen Proceß ankommen, so zahlt er mir zur
Strafe ein Drittel mehr. Der Beklagte hat versprochen, zur be-
stim m ten Zeit sicher zu zahlen, ich hab e ihm Aufschub gew ährt, er
hält sein Wort wieder nicht zu; zur Strafe zahlt er mir die Hälfte
mehr .
In gewissen anderen Verhältnissen, wo der Beklagte wissen
mu ß ,
ob meine Klage gegründet ist oder nicht, z.B. bei der actio
legis Aquiliae zahlt er das Doppelte, wenn er leugnet. So auch in
den Verhältnissen, die das römische Recht als besondere Vertrau-
ensverhältnisse bezeichnet: Mandat, Societät, Depositum, Vor-
mundschaft. Lä ßt es m ein G egner auf den Proceß ank om m en, und
ich weise ihm nach, daß er wirklich das Unrecht verschuldet, so
trifft ihn die Strafe der In fam ie.
So ke nn t das röm ische Recht eine Reihe von derartigen Strafen,
die berechne t sind, den B eklagten für sein wissentliches Unre cht zu
strafen. Gerade der römische Proceß ist besonders reich an derar-
tigen Strafen. Eine interessante Erscheinung in dieser Richtung
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bieten die prätorischen Interdicte dar, namentlich die interdicta
prohibitoria.
In gewissen Fällen erließ der Prätor bekanntlich ein Interdict,
na m en tlich ein prohib itorisches: >vim fieri vetoVersuch zur
Güte
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als solche empfinden, und erst auf der subjectiven Aneignung der
Klage, auf der Co nsta tirung dessen, daß man sich getroffen fühlt,
beruht die Klage selbst, die also folgerichtig auch erst durch die
litis contestano auf die Erben übe rgeh t.
Nach dieser Seite hin, bezüglich der W ürd igu ng des subjectiven
Momentes, bietet das mittlere römische Recht das Ideal einer
Gesetzgebung. Die Forderungen des verletzten Rechtsgefühls fin-
den ihre vollste Anerkennung, und in dieser Richtung ist der
Höhepunkt erreicht.
Aber schon in der späteren Kaiserzeit schwächt sich diese Fein-
heit ungemein ab. In den Blättern der späteren Rechtsgeschichte
steht für Jeden, der lesen kann, geschrieben, daß die moralische
Kraft des Volkes schwach wurd e, daß sie erla hm te. D aru m änd ern
sich auch die Rechtssätze. Es ist eine charak teristische Ersche inun g
des späteren römischen Rechts, daß es dem Gläubiger die Durch-
setzung seines Rechtes, den Kam pf für sein Recht erschwert, w äh-
rend es m it dem
Schuldner
ungleich m eh r
sympathisirt.
Das
Recht
des G läubigers wird in vielen Fällen preisgegeben un d das ist stets
ein Zeichen einer verkommenen Zeit eines verkomm enen Rechtsge-
fiihls. (Stürmischer Beifall.)
Gibt der Gesetzgeber, von falschen Erwägungen geleitet, das
gute Recht des Gläubigers dem Schuldner Preis, so erzeugt dies
Rechtsunsicherheit, und führt zur Creditlosigkeit. (Vermehrter
Beifall.)
Ich wage es nicht, meine Ansicht hierüber des Weiteren auszu-
führen. Ich würde fürchten, verketzert zu werden, wenn ich mit
voller Schroffheit dieser meiner Ansicht Ausdruck geben wollte.
Vielleicht bin ich nicht so competent, wie Sie, meine Herren, von
der Praxis. (Oho-Rufe.) Aber meine Ansicht ist es, daß wir auch
heu t zu Tage sehr an diesem U ebel krank en. (A nhaltender Beifall
und Händeklatschen.)
Dieses Ihr Bravo, meine Herren, ermuthigt mich, meinen letz-
ten Sp rung vom Justinianeischen Recht auf das heu tige zu machen,
da ich mich eben mit Ihrem Urtheil im Einklang zu befinden
glaube. M ein U rthe il über das heu tige Recht in der besprochenen
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Rich tung ist ein sehr ungünstiges. W ir sind noch weit hint er dem
Rec hte der justinianeischen Zeit zurück. M an sieht, daß das röm i-
sche Recht durch das Filtru m der Gelehrsam keit hindurch gegan-
gen ist; m an fühlt es dem römischen Recht der Neu zeit an, daß es
von G elehrten b ehan delt wurde. D ie zweckmäßigsten Einrichtu n-
gen des röm ischen Rechts ha t m an einfach fallen gelassen, die rich-
terlichen S trafen z.
B.
des frivolen Le ug nen s, die Privatstrafen figu-
rirèn nur mehr in den Compendien. Heut zu Tage ist ein Gläubi-
ger, dem in der schändlichsten Weise die Existenz der Schuld
abgestritten wird, in derselben Lage, wie Jemand, der von den
Erb en des Schuldners die Schuld zurückfordert und keine U rkun de
darüber hat. Entspricht dies der Gerechtigkeit? Nein. — Das h eißt
vielmehr, eine Prämie auf das Leugnen setzen. (Lebhafter Beifall.)
Im günstigsten Falle zahlt der leugne nde S chuldner eben nicht, im
ung ünstigsten F alle thu t er das, was er ohneh in hä tte thu n müssen:
Er zahlt. (He iterkeit.)
Er hat darauf speculirt. Nach römischem Rechte zahlt er das
Doppelte.
Werfen wir einen Blick auf den Hauptschaden unserer ganzen
modernen Rechtspflege: den Schadensproceß. M ein Rechtsgefühl
em pö rt sich dageg en, wenn ich sehe, in welcher W eise der h eu tige
Schadensproceß darauf angelegt ist, den Gläubiger um sein gutes
Recht zu bringen. W ehe über Den jenigen, der heute Schaden erlit-
ten Besser, er klag t nicht, als er klagt, den n klag t er, da nn h at er
doppelten und dreifachen Schaden
D en Vorwurf mac he ich der heutige n Z eit un d ihre n Rechtsein-
richtungen, daß der Mann, der nicht manchmal einen hoffnungs-
losen Kampf kämpfen will, auf sein gutes Recht verzichten muß,
denn wir sind in der That zum Theile gezwungen zu diesem
Acte
der Feigheit, als welchen ich ihn bezeichnet habe, nämlich unser
Re cht im Stiche zu lassen, w enn w ir nich t größeres U ebel erdu lden
wollen. (Bravo Bravo )
D ie Schuld liegt hauptsächlich in der verkehrte n Bew eistheorie
und darin, daß man jene heilsamen, oben berührten Bestimmun-
gen des röm ischen R echts hat fallen lassen.
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Ich bin selbst einmal in der Lage gewesen, bitterlich ein mir
angethanes U nrecht zu empfinden. Es hande lte sich um einen Fall,
der mir mit einem Dienstmädchen passirte. Ihr Geliebter ging
nach Amerika; sie wollte nach, behauptete, sie habe gekündigt,
hatte dies aber nicht gethan. Wie ich vor den Richter kam, sagte
man mir achselzuckend: >Klagen Sie auf das Interesse < (Allge-
meine Heiterkeit.)
Da habe ich erst den Stachel des gekränkten Rechtes gefühlt,
und was es bedeutet, wenn die Einrichtungen des Staates derart
sind, daß der Verletzte nicht zu seinem Rech te ko m m en kann
Ich eile zum
Schluß,
und w ill nu r noch ein wirksames Bild Ihn en
vorführen, nämlich das der Nothwehr. Ich freue mich, hier einen
H errn anwesend zu sehen, (auf M inister Glaser hinblickend) ent-
schuldigen Sie (zu Hye gewendet), ich sehe noch einen zweiten
Herrn, welche selbst einer gesünderen Auffassung der Nothwehr
das W ort geredet hab en . Aber erst in der neue ren Zeit ist gegen die
ältere verko m m ene Auffassung der Nothw ehr eine heilsame Reac-
tion eingetreten. Die Nothwehr in früherer Zeit, was war sie? Sie
wurde bisher von der Jurisprudenz als ein Uebel betrachtet, das
m an so viel als möglich einschränk en zu mü ssen glau bte und jeder
Jurist m einte ein gutes W erk zu thu n, wen n er der N othw ehr eine
Beschränkung nach der anderen hinzufügte. Wer zählt alle Be-
schränkungen, alle Grenzen, in welche die Nothwehr gebannt
wurde? D a kam zunächst der Werth des Gegenstandes in Betracht,
also das Maß des Werthes des angegriffenen Objectes und der
Werth des Gutes, das ich, der Bedrohte, zu meinem Schütze
angreife. Vor Allem, m eine H erren , möch te ich wissen, w enn m ir
Jem and e ine U hr ne hm en w ill, der M ann m ir auch ein Object von
100 000
fl.
en tgegenhielte, ob mir meine Uhr, die er mir entreißen
will, nicht lieber ist als seine 100 000 fl.? (G roße H eite rkeit.) W elche
Zu m uthu ng, in einem solchen Mo men te von m einem Standpunkte
aus abzuwägen, ob m ir die 100 000
fl.,
von denen ich nichts habe,
die er h at, ob die m ir w erth voller sein sollen, als me ine Uh r?
(An haltende H eiterk eit und Bravo ) M an ist sogar so we it gekom-
men, daß man geradezu in der Nothwehr die Pflicht der Feigheit
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wissenschaftlich ausgesprochen hat. In einer Schrift eines Hollän-
ders über Nothwehr kömmt ein Fall zur Sprache, der auf mich
einen unauslöschlichen Eindruck machte. Ein Soldat wird ange-
griffen, zieht sich aber zurück. Der Angreifer folgt ihm, Ersterer
geht noch weiter zurück. De r Angreifer faßt ih n zum dritten M ale
an, der Soldat setzt sich zur W ehre und tödte t den Feind m it blan-
ker Waffe. Er wurd e hingerichtet. D ie Richter arg um entirten , der
Beschuldigte hä tte auch zum dritten M ale dem Angreifer weichen
können und sollen.
Liegt Gerechtigkeit in diesem Urtheil, meine Herren? Gewiß
nicht; es ist ein Justizmord grauenhafter Art. Es deutet auf eine
V erkom m enhe it des Rechtsgefühls, des Rech tsbewuß tseins hin , bei
der man sich entsetzen und den Fluch aussprechen muß über alle
Gelehrsamkeit. (Bravo )
In Bezug auf Ehre ist m an sogar soweit gegangen, daß m an nu r
gewisse Classen der Gesellschaft für berechtigt erklärt hat, ihre
E hr e zu vertheid igen: Officiere, H erre n vo m A del, un d >H onoratio-
reru.
(Allgem eine Heiterk eit.) Kaufleute ha be n nach dieser Auffas-
sung k eine E hre , sie haben sie nicht nöthig; für sie ist die Eh re ihr
Credit.
So sehen wir den n, daß unsere heutig e Zeit weit davon entfernt
ist, den Anforderungen eines gerechten Rechtsbewußtseins völlig
zu entsprechen u nd daß es eine Aufgabe der Zukun ft sein m uß , ein
kern iges, einfaches Rechtsgefühl un d die M öglichkeit für dasselbe,
sich zur Geltung zu bringen, in unseren heutigen Rechtseinrich-
tung en heimisch zu machen.
Ich fasse das bisher Erörterte in Folgende m zusam m en:
Das Preisgeben eines verletzten Rechtes ist in meinen Augen ein
Act der Feigheit, der, wenn er nicht durch die Einrichtungen des
Staates zur Notw endigkeit gem acht wird der Person zur Unehre
und dem Gem einwesen zum höchsten Schaden gereicht Der Kam pf
für das Recht ist ein Act der ethischen Selbsterhaltung, ist eine
Pflicht gegen sich und gegen die Gem einschaft
Ich bin also weit entfernt, m it einem neu eren P hilosophen (Her-
bar t) das Recht aus dem Mißfallen am Streite hervo rgehe n zu las-
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sen, will mich im Gegentheil schuldig bekennen, in dem obigen
Sinne Gefallen am Streite zu finden, und ich meine vielmehr, daß
unsere Rechtsphilosophie den
Kam pf und den Streit für das Recht
in sein w ahres Recht wiede r einsetzen sollte.
H ätte m ein V ortrag hiezu Etwas beigetragen, so wü rde ich m ich
jedenfalls glücklich schätzen.
(Allgemeiner, stürmischer Beifall und Händeklatschen).«
Der erweiterte, in Schriftform abgefaßte Vortrag ist ab
1874 in fast zwanzig Sprachen übersetzt worden
(u. a.
ins
Ungarische, Russische, Neugriechische, Holländische,
Rumänische, Serbische, Französische, Italienische,
Dänische, Tschechische, Polnische, K roatische, Schwedi-
sche, Englische, Spanische, Portugiesische, Japanische,
in m anch e Sprachen w urde er zweimal übersetzt).
Gew öhnlich w erden Bücher oder andere Arbeiten von
G elehrten nu r in den G elehrtenzirkeln be handelt, in der
Fachpresse besprochen, von Studenten benutzt. Sonst
fallen sie der Vergessenheit, der Nichtöffentlichke it zum
Opfer. Es sei denn, ein Autor hät te e inen he ißen D ra ht
zu
Rundfunk, Fernseh en oder Presse. Im Falle Jherings w ar
es anders. Ein Gelehrter, dessen Werk in der damals so
schmal besetzten Gelehrtenöffentlichkeit Jahrzehnte
hindurch Anerkennung gefunden hatte, dessen Aner-
kennung durch den Ruf Jherings an mehrere Universi-
täten des deutschen Sprachraums (Basel, Rostock, Kiel,
Gießen, Wien und Göttingen) Ausdruck fand, durch-
bricht seinen Kreis m it dem T ite l einer Schrift, der e inen
archetypischen C harak ter hat: »Der Kampf u m 's Recht«.
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Und das in der Hoch-Zeit des Liberalismus. Zu einem
Ze itpunkt, wo liberale Politiker — Jhe ring b em üh te sich
um ein Parlamentsmandat und wurde geschlagen
—
die
Mehrheiten in den Parlamenten des deutschen Sprach-
raums inne hatten. Das zu einem Zeitpunkt, wo gerade
der Ausgleich zwischen Österrreich und Ungarn, die
Liberalisierungsepoche Österreichs ihren ersten Höhe-
pu nk t erfahren ha tte, wo gerade ein Novum , der G rund-
rechtskatalog vom 21. Dezem ber 1867, prok lam iert
wurde, der seit 1867/68 unter eine wirksame verfas-
sungsrechtliche G aran tie gestellt worden ist, un d wo u m
die Einrichtung einer österreichischen Verwaltungsge-
richtsbarke it geru nge n w urd e. Es schien, als w ürde dem
Bürger das Recht ohne Kampf, das Recht als Frieden, in
den Schoß gefallen sein.
In dieser Periode, in der sich kampflose Sättigung
der machthabenden Klassen ausgebreitet hatte, der
Schlachtruf eines G elehrten Er ist von den Vertretern
der Unterdrückten, das waren die Lohnarbeiter und die
Arbeitermassen, wohl gehört worden. Nicht nur im
deutschen Sprachraum. Dafür stehen die zahlreichen
Übersetzungen dieser Schrift.
Was ist die Besonderheit dieser Schrift, die solches
Aufsehen erregte? Ist es n u r der fanalhafte Titel? Ist die
Schrift als Glied einer Kette anderer Schriften des Ge-
lehrten zu sehen, die die Glieder dieser Kette in neuen
Farben erstrahlen läßt? Ist die Schrift ähnlich wie Mar-
xens »Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie-Einlei-
tung« zu werten, die eine Periode seines Denkens abge-
schlossen un d eine neue e ingeleitet hatte? Oder ist es die
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inhaltliche Aussage, die so fasziniert hatte und heute
noch fasziniert?
Jhering erklärte diese Schrift und den Vortrag, auf
dem sie aufbaut, als ein Abschiedsgeschenk an Wien, da
er gemäß der damaligen Mobilität von Universitätsleh-
rern daran war, die österreichische Reichshaupt- und
Residenzstadt zu verlassen, um in das weltpolitisch abge-
schiedene Gö ttingen zu gehe n. Es ist nicht bek ann t, daß
Jhering das Wiener Parkett mit seinem glatten Boden
nicht vertragen hätte. Er schloß Freundschaftsbande,
wie man den Lobeshymnen und seinen Worten selbst
entnehmen kann, die er anläßlich seines Vortrags »Der
Kampf um 's Recht« und des Abschiedsbanketts der W ie-
ner Juristischen Gesellschaft gesprochen ha tte . Er wollte
m it seinem Vortrag einen Neube ginn anzeigen. Er sagte
einleitend:
»Wenn ich noch im Momente die Wahl hätte, mein Thema zu
änd ern, wäre ich sofort geneigt, auf ein entlegenes Th em a der Pa n-
dekten zu greifen oder mir ein en P unkt aus den letzten Verstecken
der Rechtsgeschichte zum Gegenstand meines Vortrages zu wäh-
len. Ich habe mich aber bei der Wahl des Themas durch einen
anderen Gesichtspunkt leiten lassen. Ich war es der Rücksicht
gegen Sie, m eine H erre n, schuldig, ein Th em a m ir zu w ählen , das
weder von anderen, noch von mir selbst bisher behandelt wurde,
eine Them a so wen ig gele hrte r Art, daß ich fast sagen kan n: Es fällt
aus dem Grenzen der Jurisprudenz nahezu heraus und ist für den
Laien von gleichem Interesse wie für den Ju riste n...«
Offenbar w aren Vortrag un d Schrift für ihn, den angese-
henen Gelehrten, die Brücke zu einem neuen Lebens-
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werk, das auch den Abschluß seines G eleh rtenleben s bil-
dete und den G run d für das legte, was er als D enk er im
H in un d H er der Gedankenflüge bislang nicht zu fassen
vermocht hatte: der Kampf u m das im R echt begrü ndete
Interesse, das zu erreichen der eigentliche Zweck des
Rechtes sei. So faßte er in seinem faszinierenden und
ungewöhnlichen Wiener Vortrag zusammen: »Das
Preisgeb en eines verletzten Rechtes ist in m ein en Augen
eine Art Feigheit, der, w enn er nicht durch die Einrich-
tun ge n des Staates zur Notwendigkeit gem acht wird, der
Person zur Unehre und dem Gemeinwesen zum höch-
sten Schaden gereicht. D er Kampf für das Recht ist eine
Art der ethischen Selbsterhaltung, ist eine Pflicht gegen
sich un d die Gem einschaft.«
Das ist für Jhering der Grundgedanke, den er in sei-
ne m Abschlußwerk
—
angefeindet u nd k ritisiert
—
näher
auszuführen trachtete: in dem im Dezember 1877 der
Öffentlichkeit übergebenen zweibändigen Werk »Der
Zweck im Recht« (hier 4. Aufl., Leipzig 1904) mit dem
M otto »D er Zweck ist der Schöpfer des ganzen R echtes«.
Diese Schrift verfolgt keinen »praktisch dogmatischen
Zweck«, sondern h at sich die »D arlegung des Gesam tzu-
sammenhanges des Rechtes zur Aufgabe gestellt.« Die
Schrift »Der Kampf um's Recht« gehört zum Selbstver-
ständlichkeitsbewußtsein des Gelehrten Jhering auf
dem Wege seiner Forschung. In dieser Hinsicht hat sie
ih re wissenschaftliche Bedeu tung . Aber sie w irk t für sich
genommen, losgelöst vom Gesamtwerk Jherings, das so
trefflich vom D eutschen Erik Wolf (Große R echtsdenker
der deutschen Geistesgeschichte, 1939, 4. Aufl. 1965,
50
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Seite 622 ff.) sichtbar gem acht w urd e u nd in der
Bekämpfung des formalistischen Rechtsdenkens mün-
dete.
»Der Kampf um's Recht« ist losgelöst vom Plus und
M inus wissenschaftlicher Erkenntn is, losgelöst von den
Schulen des Positivismus, die sich im 19. Jahrhundert
gruppierten. »Der Kampf um's Recht« ist auch für den
Laien geschrieben. Der »Zweck im Recht« mag den
Gelehrten allein angehen. »Der Kampf um's Recht«
spricht die Öffentlichkeit an, die sich für ihn interessiert.
»Der K ampf u m 's Recht«, gleichgültig wie dieses Fanal
in der wissenschaftlichen Erkenntnislehre, in den Rich-
tungen des Positivismus, im G esam twerk des Gelehrten
Jhering stehen mag, ist eine Schrift für sich, die ihre
Bedeutung aus sich selbst bezieht. Jherings Werk wird
der Kategorie der sogenannten Interessenjurisprudenz
zugeordnet. Der Wiener Rechtsgelehrte F. Bydlinski
—
ein Fachkollege Jherings der Gegenwart
—
hebt in sei-
nem grundsätzlichen Werk »Juristische Methodenlehre
und Rechtsbegriff« (1984, Seite 113ff. und 123ff.) die
Lehre Jherings als Interessen]urisprudenz hervor und
stellt sie der Begriffsjurisprudenz un d de r neueren W er-
tungsjurisprudenz gegenüber. Auch die Moderne ge-
w inn t Jherings Anliegen einiges ab
Jener Leser, der erwartet, daß »Der Kampf um's
Recht« alles rechtfertige, was diesem Kampfe dienen
kö nn te, m uß sich getäuscht sehen . D ie Schrift fällt n icht
in die Kategorie der »Neuen Unwegsamkeiten« eines J.
Habermas, der den Kampf der politischen Minderheit
gegen die politische Mehrheit mit allen zur Verfügung
51
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stehenden Mitteln, auch mit außerparlamentarischen
Mitteln, propagiert. Nein, Jhering meint den »legalen
Kampf« ums Recht. Es ist vom Rechtsgefühl getragen.
D ie Reaktion des Rechtsgefühls der Staaten un d In divi-
duen ist da am heftigsten, w o sie sich in ihre n eigen tüm -
lichen Lebensbedingungen unmittelbar bedroht fühlen.
Das sei die Kraft des Rechtes. D ie Reh au ptu ng des Rech-
tes ist eine Pflicht gegenüber dem Gemeinwesen: »Wer
sein
Recht behauptet, verteidigt innerhalb des engen
Raumes desselben
das
Rec ht...« (Seite 108).
Jhering nimmt die Beispiele für die Thesen seiner
Rechtsmoral aus dem Kampf des einzelnen für den
Bereich seiner subjektiven Rechte auf dem Boden des
Privatrechts. D aß er aber sehr wohl erke nnt, daß die Idee
des Kampfes um das Recht auch »auf den Höhen des
Staatsrechts und des Völkerrechts« herrscht, das macht
er auf Seite
14
seiner Schrift deu tlich (hie r Seite 73 f.).
»Der W iderstan d eines Volkes in Form eines Aufstan-
des, der Empörung, der Revolution gegen Willkürakte,
Verfassungsverletzungen von Seiten der Staatsgewalt...
die alle sind trotz aller Verschiedenheit des Streitobjek-
tes un d des Einsatzes, der Form en u nd der D imen sionen
des Kampfes nichts als Formen und Szenen eines und
desselben Kampfes um das Recht.« Er greift seine sprö-
deste Form
—
den legalen Kam pf um das Privatrecht in
Fo rm des Prozesses
—
heraus. Aber er schlägt die Brücke
zum allgemeinen Interesse: »Jeder ist ein geborener
Kämpfer ums Recht im Interesse der Gesellschaft«
(Seite 111).
Würde Jhering die Entwicklung der Rechtsordmm-
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gen bis zur Gegenwart erlebt haben, er würde die Aus-
einandersetzungen um die Ausübung des Rechts auf
Selbstbestim m ung in Europa, er w ürde den m ühseligen
Kampf u m die Durchsetzung der M enschenrechte als die
Erreichung eines Grundzweckes des Rechtes erkannt
habe n müssen. D en Kam pf um das Eig entu m gegen die
Willkür der Staaten, den Kampf gegen die Vertreibung
un d zur Sicherung von Volksgruppen un d M inderheiten,
den Kampf gegen die Apartheidpolitik würde er eines
Kampfes u m s Recht für w ürd ig erach ten. Ich stelle h ier
die These auf, daß Jhering s Kam pfschrift besser als alles
andere, was mühsam erdacht wird, den Sinngehalt des
Rechtes wiedergibt. Sein Satz, der bei seinem Wiener
Vortrag mit »stürmischem Beifall« aufgenommen wor-
den ist
—
das »Recht des G läubigers wird in vielen F ällen
preisgegeben, un d das ist stets ein Zeichen einer verkom -
menen Zeit, eines verkommenen Rechtsgefühls« — gilt
auch für den öffentlichen Bereich: Das Menschenrecht,
das in vielen Fällen preisgegeben wird, ist stets ein
Zeichen ve rko m m ene n Rechtsgefühls So weist seine
Schrift in die G run dk ateg orie des Rech ts.
Von der wissenschaftlichen m ethod ische