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JOSEPH BEUYS IM LENBACHHAUSUND SCHENKUNG LOTHAR SCHIRMER

JOSEPH BEUYS IM LENBACHHAUS

UND SCHENKUNG LOTHAR SCHIRMER

HERAUSGEGEBEN VON

HELMUT FRIEDEL UND LOTHAR SCHIRMER

MIT TEXTEN VON JOSEPH BEUYS, HELMUT FRIEDEL

UND LOTHAR SCHIRMER

SCHIRMER/MOSELLENBACHHAUSBeuys im Atelier, Düsseldorf 1967. Foto Manfred Leve

Vorwort

Kleine Geschichte der Beuys-Sammlung Lothar SchirmerLothar Schirmer

Anmerkungen zu BeuysLothar Schirmer

DIE WERKEKatalog der 23 WerkeLothar Schirmer und Helmut Friedel

ORIGINALTEXTE JOSEPH BEUYSKrawall in AachenPlastik und Zeichnung»Das ›Bildnerische‹ ist unmoralisch«Gespräch über BienenVon Hasenblut und geistigen Bedürfnissen

Joseph Beuys im LenbachhausHelmut Friedel

Dank

Literatur in Auswahl

INHALT

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© 2013 für die Werke von Joseph Beuys: Nachlass Joseph Beuys, Düsseldorf und VG Bild-Kunst, Bonn

© 2013 für alle anderen Beiträge: bei den jeweiligen Fotografen und Autoren

© 2013 für diese Ausgabe: Lenbachhaus, München und Schirmer/Mosel, München

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Sämtliche Arten der Vervielfältigung oder der Wiedergabe dieses Werkes sind ohne vorherige Zustimmung des Verlages unzulässigund strafbar. Dies gilt für alle Arten der Nutzung, insbesondere für denNachdruck von Texten und Bildern, deren Vortrag, Aufführung und Vorführung, die Übersetzung, die Verfilmung, die Mikroverfilmung, dieSendung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Medien. Zuwiderhandlungen werden verfolgt.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Lithographie: Bayermedia, MünchenDruck und Bindung: EBS, VeronaPrinted in Italy

ISBN 978-3-88645-176-0ISBN 978-3-8296-0629-5 (Buchhandel)

Eine Schirmer/Mosel Produktionwww.schirmer-mosel.com

Diese Publikation erscheint anlässlich der Wiedereröffnung der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau im Mai 2013

Luisenstraße 3380333 MünchenTel. +49 89 233 320-00Fax +49 89 233 320-03www.lenbachhaus.de

Der Ankauf des Joseph Beuys-Environments vor dem Aufbruch aus Lager Iaus der Sammlung Lothar Schirmer, die fünfzehn frühe Beuys-Arbeiten umfassende Schenkung Lothar Schirmers sowie die Überlassung von fünfweiteren Werken als Dauerleihgaben formen zusammen mit dem Beuys-Environment zeige deine Wunde und dem Film Joseph Beuys – Coyote dennun auf dreiundzwanzig Werke angewachsenen Beuys-Bestand in den eigensdafür eingerichteten Räumen des Lenbach-Ateliertrakts in der Sammlungder Städtischen Galerie im neu eröffneten Lenbachhaus. Ein neuer Sammlungsschwerpunkt tut sich hier auf, der von den zweiraumgreifenden Environments, aber auch von einer Anzahl seltener Arbei-ten aus dem Frühwerk des Künstlers akzentuiert wird. Der vorliegende Band dokumentiert diese Sammlung, die einen gültigenÜberblick über das Schaffen von Joseph Beuys (1921–1986) in seiner Zeit zu geben vermag. Werk für Werk belegt dieser von Lothar Schirmer undHelmut Friedel kommentierte Katalog den außergewöhnlichen Erfindungs-und Gestaltungsreichtum von Joseph Beuys und den Zauber seiner Ver-wandlungen von Material und Ideen, mit dem er – in neuen Formen undMedien – stets wirkmächtige, poetische Bilder hervorgebracht hat.

Wir freuen uns, dass die Sammlung Lothar Schirmer mit den Beuys-Werkender Städtischen Galerie im Lenbachhaus zu einem großen Ensemble vereintwerden konnten, das die plastisch-bildnerische Kunst von Joseph Beuys ineinmaliger Weise repräsentiert. Diese Publikation ist ein Spiegel dessen, wasnun öffentlich zugänglich geworden ist.

Lothar Schirmer / Helmut Friedel

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VORWORT

Meine Beuys-Sammlung, deren Objekte jetzt zur Sammlung des Lenbach-hauses gehören, nahm ihren Ausgang bei einem Besuch der »documenta III«im Sommer 1964. Dort sah ich Zeichnungen von Joseph Beuys, dessen Namemir trotz intensiver Beschäftigung mit der Gegenwartskunst noch nie begeg-net war, und einige seiner Objekte. Ich war damals Gymnasiast in Bremen-Vegesack und 19 Jahre jung. Die Gegenwartskunst war seit etwa drei Jahrenmeine Leidenschaft – eine Art post-pubertärer Marotte – und ich hatte an-gefangen, eine kleine Sammlung anzulegen. Die Beuys-Zeichnungen, die ich in Kassel sah, begeisterten mich spontan.So etwas Außergewöhnliches und romantisch Inspiriertes hatte ich kaum jegesehen. Im gleichen Maße, wie mich die Zeichnungen in ihrer Thematikund Sensibilität anzogen, stießen mich die Beuys-Objekte völlig ab – eswaren die drei Bienenköniginnen und die Eisenskulptur SÅ FG – SÅ UG(Die Buchstaben sind die Abkürzung für »Sonnenaufgang – Sonnenunter-gang«, die früher, zusammen mit den exakten Zeitangaben, in jedem Ta-schenkalender zu finden war). Damit konnte ich überhaupt nichts anfangen. Als ich im Oktober des gleichen Jahres noch mal die documenta-Katalogedurchblätterte und mir die Frage stellte, was ich in Kassel denn eigentlich ge-sehen hatte, das so neu war, dass es mir völlig unverständlich war, blieb ichwieder an Beuys und den ihm gewidmeten Seiten im Katalog hängen. DerWiderspruch meiner Empfindung für die Zeichnungen einerseits und dieObjekte andererseits war mir völlig unerklärlich. Ich beschloss, dem Rätselauf den Grund zu gehen, und schrieb Beuys einen Brief, in dem ich vorsich-tig den Wunsch äußerte, eine Zeichnung zu erwerben. Eine sehr freundlicheAntwort kam drei Wochen später per Einschreiben in einem großen Um-schlag. Eine Zeichnung lag bei – als Geschenk. Ein rätselhaftes Blatt, überdas ich lange gegrübelt habe. Ein Dankesbrief wurde aufgesetzt und ein Be-such angekündigt. Das Reisen sei leider wegen Abiturvorbereitungen nichtsogleich möglich. Am 16. März 1965, zwischen schriftlichem und mündlichem Abitur, binich dann zu meinem Besuch bei Beuys nach Düsseldorf gefahren. Mit vierZeichnungen und einem Haufen Schulden kam ich wieder heim. Ich fühltemich reich beschenkt, denn die Zeichnungen waren von außergewöhnlicherQualität, und für die Abzahlung meiner Schulden (650 DM) hatte mir Beuysin Anwesenheit seiner Frau Eva ein Zahlungsziel praktisch bis zum SanktNimmerleinstag eingeräumt, wohl wissend, dass ich mich sehr beeilen würde,um bald wiederkommen zu können. Als ich nach Hause kam, runzelten meine Eltern die Stirn und machtenauch sonst eher ein besorgtes Gesicht, fügten sich aber in das Unvermeid -liche. An den Zeichnungen war ja eigentlich nichts auszusetzen. Nur am

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KLEINE GESCHICHTE DER BEUYS-SAMMLUNGLOTHAR SCHIRMER

Abb. 3 Brief von Joseph Beuys an Lothar Schirmer vom 10.2.1965

Abb. 2 Familie Beuys mit Wenzel im Kinder wagen beim Spaziergang auf deralten Oberkasseler Brücke. Im Hintergrund rechts dieKunstakademie, Düsseldorf1962. Fotograf ist der Schwieger vater ProfessorHermann Wurmbach

Abb. 1Joseph BeuysSpaziergang, 1951Graphit auf Papier27 x 21 cmSammlung Lothar Schirmer,München

»Das Geschenk, mit dem allesanfing. Die Frau mit Kind undKinderwagen auf dem unterenTeil des Blatts konnte ich zu-nächst nicht wahrnehmen ...«

dem Titel »La Rivoluzione Siamo Noi« bei Lucio Amelio in Neapel. Es wardie erste Etappe seiner Italien-Expedition. Es war eine Art Härtetest, den Beuys Lucio Amelio auferlegte, um zuprüfen, ob dieser bereit wäre – ohne direkte Verkaufsaussichten –, sich aufnichtkommerzieller Basis für Beuys und sein Werk einzusetzen. Lucio hatden Test prima bestanden und ist später für seine gute Tat reich entlohntworden. Der Eröffnungsabend war ein rauschender Erfolg. Die ganze zeit-genössische Kunstwelt Italiens stand sich an diesem Abend in Lucios Galeriedicht gedrängt auf den Füßen. Alle geliehenen Werke kehrten zwei Monate später unversehrt und un-verkauft in meine Kölner Studentenbude zurück. 1972 erschien dann das erste von mir verlegte Buch, ein prachtvollerKunstband in Lichtdruck über Beuys-Zeichnungen, der einerseits meine Be-rufswahl zum Kunstbuchverleger festlegte und mir andererseits wertvollesWissen über Umfang und Qualität des zeichnerischen Werks von Beuys of-fenbarte. Ein Wissen, wie es außer Beuys damals vielleicht nur die Brüdervan der Grinten und Dieter Koepplin, Kurator des Kupferstichkabinetts imKunstmuseum Basel, besaßen. Ich war dadurch zu einem Eingeweihten ge-worden – einem Insider sozusagen. Einen weiteren Quantensprung machte die Sammlung mit den drei Ob-jekten Ofen, Mäusestall und Hasengrab im Sommer 1970, die mir Beuyspraktisch zuteilte. Die Initiative zu dieser maßgeblichen Erweiterung gingvon ihm aus: »Ich habe hier drei Arbeiten für Sie. Kommen Sie sie abzuho-len.« Ich war beglückt. Im Herbst 1972 zog ich nach München, um meine verlegerischen Kennt-nisse in fast zweijähriger Beschäftigung bei Droemer Knaur auszubauen undzu festigen. Meine mittlerweile stattliche Beuys-Sammlung brachte ich imUmzugsgepäck mit.

Als ich mit Erik Mosel 1974 den Schirmer/Mosel-Verlag gründete, kamen zurräumlichen Distanz noch die bei Firmengründung üblichen finanziellen Eng-pässe hinzu. Darüber hinaus war Beuys nun ein vielbeschäftigter Weltstar derKunst geworden. Ich hielt den Kontakt durch das wunderbare Coyote-Buch,das mit Fotografien und einem Text von Caroline Tisdall 1976 als vierte Neu-erscheinung des Schirmer/Mosel-Verlags erschien. Es ist eines der schönstenBeuys-Bücher überhaupt geworden. Es erschien später auch in einer franzö-sischen und einer englischen Ausgabe und ist bis heute lieferbar. Der Kontakt zu René Block, der 1974 in seiner New Yorker Galerie dieAktion Coyote – I like America and America likes me veranstaltet hatte, führtezu einer weiteren, großen Erwerbung. Um die Schließung seiner Galerie zubewerkstelligen (er war zu früh gekommen!), verkaufte er mir seinen EurasiaHasen, eine Arbeit, deren exakter Titel EURASIA Sibirische Symphonie 196332. Satz (EURASIA) FLUXUS lautet. Das Werk kam so aus New York zu mirnach München und war lange Zeit ein Fixpunkt in meiner Wohnung. Als das Museum of Modern Art im Jahr 2000 daran ging, die Eröffnung

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Preis und an der Haltlosigkeit des Sohnes beim Verkauf seiner Zukunft. InFlüchtlingsfamilien herrschten eben strenge Sitten. Das war in kurzen Worten – und rückblickend sicher märchenhaft – derBeginn meiner Beuys-Sammlung und meiner Freundschaft mit Joseph Beuysund seiner Familie, die über den Tod von Beuys hinaus bis heute andauert.

Der zweite, vielleicht viel märchenhaftere Vorgang liegt darin, dass mirmeine Lebensumstände bis heute erlaubt haben, diese einzigartige Samm-lung im Großen und Ganzen nicht nur zusammenzuhalten und zu pflegen,was bei den Münchner Mietpreisen kein leichtes Unterfangen ist, sondernsogar noch behutsam auszubauen. Die Stationen waren in etwa die folgen-den: Im März 1967 erwarb ich nach vielen Zeichnungen mein erstes Beuys-Objekt, es war ironischerweise eine jener Bienenköniginnen, vor denen ich inKassel ratlos-erschrocken gestanden hatte: die Bienenkönigin I (1947–52). Im Frühjahr 1969 erwarb ich die später so berühmte Badewanne, die aufseltsame Weise 1973 in Leverkusen zerstört wurde, Rechtsgeschichte machteund mittlerweile ein Teil der bundesrepublikanischen Kunst-Folklore ge-worden ist. Glücklich war ich, dass Beuys die Zeit fand, nach der Vorstellung einesMultiples in München die nackte Badewanne 1977 in langer Nachtarbeit neuzu bearbeiten. Sie war nur zwei Jahre später, in wiederauferstandener Form,die Station 1 der in 24 Stationen konzipierten Retrospektive im GuggenheimMuseum, New York, 1979/80. Inzwischen war meine Sammlung so gewachsen, dass Beuys sie für seineAusstellungspolitik benutzen konnte. Als Erstes delegierte er eine Anfragedes Kunstmuseums St. Gallen an mich. Und so wurde die Sammlung in ihrerdamaligen Gestalt von 5. Juni bis 31. Juli 1971 in St. Gallen gezeigt. Im No-vember 1971 – und diesmal war er persönlich anwesend – zeigte er sie unter

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Abb. 4 Die Beuys-Seiten aus dem Zeichnungen-Katalog der documenta III, Kassel 1964

Abb. 5 Die Beuys-Seite aus dem Katalog der documenta III, Abteilung Aspekte, Kassel 1964

Abb. 6 Joseph Beuys, Bienenkönigin II, Bienenköni ginI und Bienenkönigin III sowie deren gemeinsame Präsentation in einer Vitrine auf der documenta III.Standbilder aus dem Fernsehbeitrag »Das Museum der 100 Tage. Erster Bericht von der documenta 3 in Kassel, 1964« von Reinhardt Ruttmann und Kurt Zimmermann, Hessischer Rundfunk, Erstsendung 30.6.1964.

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seines Neubaus zu planen, wollte Kirk Varnedoe das Stück unbedingt erwer-ben. (Ich hatte es ihm einige Jahre zuvor als Leihgabe für seine Ausstellung»Primitivism in 20th Century Art: Affinity of the Tribal and the Modern«wegen der extremen Transportproblematik versagt.) Nach sorgfältiger Ab-wägung von Pro und Contra schien es mir besser, den Hasen ziehen zu las-sen. Denn im Museum of Modern Art wäre er gut aufgehoben und würdevon vielen Menschen gesehen. Eine kleine Pointe gab es dann bei der Einfuhr in die USA: die Arten-schutzbehörde wollte den Gattungsnamen des ausgestopften Hasen wissen.Der war ganz einfach, wie mir der hinzugezogene biologische Fachgutachtersagte: lepus europaeus. Die Einfuhr eines toten Tiers dieser Gattung in dieUSA war offensichtlich kein Problem. Außerdem wäre der Eurasia Hase im MoMA mit einem Lieblingsbild vonBeuys, Die schlafende Zigeunerin von Henri Rousseau vereint – ein ebenfallstraumgeladenes Nachtstück von großer psychischer Eindringlichkeit. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass der Beuys und der Rous-seau bei einer künftigen Neuordnung der MoMA-Sammlung eines Tages ineinem Raum zusammenfinden.

Dem Erwerb des Environments vor dem Aufbruch aus Lager I 1980 ging einlängerer Dialog voraus. Es sollte eigentlich nur ein größeres kubusförmigesEinzelobjekt werden – eine Art Hirsch-Denkmal, das den Diatrichter desaufgelösten Büros der »Nichtwählervereinigung« in der Düsseldorfer Andre-asstraße zum Ausgangspunkt hatte. Dann rief Beuys mich eines Tages an undsagte: »Du musst kommen, ich baue morgen Deinen Kubus im BonnerKunstverein auf. Es ist aber jetzt eher ein ganzes Zimmer geworden.« Daswar natürlich eine Überraschung, die für mich einige logistische und ökono-mische Probleme bereithielt. Aber im Angesicht der Schönheit und Klarheitdieser Arbeit habe ich sie leichten Herzens geschultert. Meine Sammlung,die mit frühen substantiellen, aber eher intimen Arbeiten und Zeichnungenbestückt war, hatte nun mit dieser immer noch zarten, aber doch auch mo-numentalen Arbeit eine neue Dimension bekommen. Später ist es mir gelungen, eine Anzahl von Beuys-Objekten zu erwerben,die ich in meinen Kölner Studententagen in rheinischen Privatsammlungenbewundert hatte. Den Lavendelfilter aus der Sammlung Wolfgang Hahn,Köln, und später Christa Döttinger, München, das Stumme Grammophon ausder Sammlung von Frau Schmela, Düsseldorf, den Fisch aus der SammlungG.A. und Stella Baum, Wuppertal, und das Gelose-Objekt aus der SammlungHeinemann, Mönchengladbach. Die genannten Sammler waren alle persön-liche Freunde von Beuys, und es waren frühe Objekte von besondererSchönheit, die er ihnen anvertraut hatte. Nachdem der größte Teil des Früh-werks in den Darmstädter Vitrinen des »Beuys Block« für immer ent-schwunden war, empfinde ich diese Objekte bis heute als besondere Kost-barkeiten. Ein weiteres Objekt, auf das ich ein Auge geworfen hatte, ist mirleider entwischt. Auf ein anderes warte ich noch geduldig …

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Abb. 8 Joseph Beuys, EURASIA Sibirische Symphonie 1963 32. Satz (EURASIA) FLUXUS, 1966Tafel mit Kreidezeichnung, Filz- und Fettwinkel, Hase, blau bemalte Stangen

183 x 230 x 50 cm, Museum of Modern Art, New York

Abb. 9 Henri Rousseau, Die schlafende Zigeunerin (La Bohémienne endormie), 1897130 x 201 cm, Museum of Modern Art, New York

Abb. 7 Joseph Beuys, Titel des Katalogs zur AusstellungLa rivoluzione siamo Noi in der Galleria Lucio Amelioin Neapel 1971. Foto Giancarlo Pancaldi

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DAS DIAGRAMM

Er hat es auf viele Papiere, auf jede Tafel geschrieben – dieses Diagrammseiner plastischen Theorie –, wann immer er erklärte, wie in seinen Arbeitenaus Chaos durch Bewegung Form entstehe. Bei näherer Betrachtung beschreibt dieses Diagramm nicht allein den bildhauerischen Prozess von Joseph Beuys mit allen handgreiflichen und sinnlichen Materialien, sondernjeden Schöpfungsakt, jede kreative Tätigkeit eines Dichters, Musikers,Künstlers – kurz eines jeden Menschen, der selbstbestimmt etwas hervor-bringt. Es ist eine Formel für den Schöpfungsprozess schlechthin – ein Bild,ebenso anschaulich wie allgemeingültig. Die Frage hingegen, was das bild-hauerische (oder plastische) Werk von Beuys im Unterschied zu dem seinerKollegen, den vergangenen, den gegenwärtigen und den zukünftigen, aus-macht, das erklärt uns dieses allgemeingültige Bild nicht. Auch die Quali-tätsfrage bleibt unbeantwortet.

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ANMERKUNGEN ZU BEUYS

Neben den Objekten hat meine Beuys-Sammlung noch zwei weitere, maß-gebliche Säulen: eine Kollektion sehr schöner Zeichnungen und eine bishernicht veröffentlichte Sammlung von Aktionsphotographien, in deren Zentrumdie Zusammenarbeit von Beuys mit der Fotografin Ute Klophaus steht. Aberauch Fotografien von Hans-Rüdiger Strey, Heinrich Riebesehl, GianfrancoGorgoni, Walter Vogel, Caroline Tisdall und Eva Beuys sind hier vertreten. Da diese Arbeiten aber Blätter auf Papier sind, müssen sie getrennt vonden Objekten aufbewahrt und lichtgeschützt gezeigt werden. Dies hat michbei der Entscheidung geleitet, mich bei meiner Schenkung zunächst auf dieObjekte zu konzentrieren. Sie jetzt im hellen Licht des neu eröffneten Lenbachhauses erstmalsöffentlich vereint zu sehen, erfüllt mich mit Freude, die ich gern mit demPublikum teile.

Ich danke Helmut Friedel und seinen Mitarbeitern für ihr beharrliches Interesse und das großartige Engagement, das zu diesem Beuys-Flügel imAltbau dieses geschichtsträchtigen Gebäudes geführt hat. Das Environmentzeige deine Wunde wird sich bestimmt über die neuen Familienmitglieder –die Brüder und Schwestern – in den angrenzenden Räumen freuen. Und ichdenke, auch Beuys wird sich in der unmittelbaren Nachbarschaft von Len-bach, Kandinsky und Franz Marc wohlfühlen und willkommen sein.

L. S.

Lothar Schirmer

Abb. 10 Joseph Beuys, Detail der Kreidezeichnung auf der Schultafel aus vor dem Aufbruch aus Lager I,1980, vgl. S. 96

immer eine Bedeutung im Gesamtzusammenhang seiner »Erzählung«. Siebringen ihr eigenes Erinnerungspotential ein, wie Requisiten im Film. Siesind nie nur »Ding an sich«, sondern verbildlichen immer auch die Ge-schichte ihrer Herstellung und die Geschichte ihres Gebrauchs. Aus der bild-haften Bedeutung, die in diesen Dingen abgespeichert ist, entwickelt sicheine Bedeutung im Werk. Sie dienen in der Regel als Ausgangspunkte undBausteine einer erweiterten werkimmanenten Bedeutung, selbst wo sie imGesamtbild zunächst optisch dominant erscheinen.

WÄRME UND KÄLTE – HOT AND COOL

Wärme und Kälte sind in der abendländischen Bildhauerwerkstatt durchausübliche Begriffe, weil Veränderungen und Übergänge im Aggregatzustandder Materialien – Schmelzen und Gießen, Erhitzen, Härten und Behauen –dort zum grundlegenden Instrumentarium der formenden Herstellung gehören. Im psychischen Bereich der Darstellung haben Wärme und Kältein der klassischen Bildhauerkunst jedoch bis in die 50er Jahre keine Spurenhinterlassen. Allenfalls in der Jazzmusik dieser Jahre beschrieben »hot« und»cool« einen seelischen Zustand. Auch der Film hat mit diesen Begriffen imemotionalen Bereich häufiger gespielt: Some like it hot (1959), Der eiskalteEngel (1967), Liebe ist kälter als der Tod (1969) etc. Es liegt auf der Hand, dass Beuys mit seinen organischen Materialien undder Wärme/Kälte-Polarität ein ganz neues, viel weiteres Spektrum psychi-scher und körperlicher Zustände im Themenbereich von Wunde, Verletzung,Leben, Leid und Tod bildhauerisch modellieren konnte als die Bildhauer vorihm – etwa Lehmbruck, auf den er sich ausdrücklich beruft, oder aber KätheKollwitz, der er, ohne es zu sagen, thematisch und zeitlich sehr nahe ist. Beuys war meines Wissens der erste Bildhauer, der programmatisch dieDimensionen von Wärme und Kälte als wesentliche inhaltliche Elemente derSkulptur gefordert hat. Zufällig war ich 1964 Zeuge, als er in einem Fern-sehbericht über die Eröffnung der »documenta III« seine Bienenköniginnenwie folgt kommentierte:

Wärme und Kälte ... Das sind zwei Dinge, die mich unheimlich interes -sieren, die bisher nicht in die Plastik hineingenommen wurden, die abermeines Erachtens etwas viel Wesentlicheres aussagen über das Wesen derPlastik als zum Beispiel Raum und Zeit. Oder sagen wir so: Wir wollen esnicht ausschließen, Raum und Zeit sind sehr wichtig, aber Wärme undKälte sind ebenfalls zwei sehr wesentliche Elemente. Das ist ein Detail. Ein Teil. Ein Teilaspekt der Sache.*

Filz als bildhauerisches Material zum Beispiel hatte von diesem Moment anfür mich jeden »Schrecken« verloren und ich wusste: eine besondere Tem-peraturfühligkeit konnte der Kunstbetrachtung durchaus nützlich sein.

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MATERIALIEN

Bei einer Betrachtung, die versucht, die Differenzen zu benennen, die dasbildhauerisch-plastische Werk von Beuys so eigentümlich machen, wäre zu-nächst auf die Einführung organischer Materialien in die Bildhauerei zu ver-weisen, jedenfalls anderer organischer Materialien als Holz und Wachs, dieseit langem als Stoffe der klassischen Bildhauerei Verwendung gefunden hat-ten. Materialien wie z. B. Filz und Tuch und – besonders provokativ – Fettewie Margarine und Talg, aber auch andere Lebensmittel wie Zucker undSchokolade, dazu Fell, Knochen und ganze Tierkadaver sowie Verbandsstoffewie Mull und Heftpflaster. All diese Materialien sind, verglichen mit denklassischen bildhauerischen Stoffen, eher weich und viel weniger dauerhaft,was einen ganz anderen Grad von Schutz- und Pflegebedürftigkeit der ausihnen geschaffenen Werke mit sich bringt, eben weil sie schon qua Materialeine eigene, durchaus anrührende Hinfälligkeit sichtbar in sich tragen. Hinzu kommt, dass jedes dieser Materialien beim Betrachter ein psychi-sches Wahrnehmungsfeld anspricht, das ihn, von bildhauerischer Traditionungeschützt, vor neue Wahrnehmungszusammenhänge stellt. Joseph Beuys, der »Materialpoet« unter den Bildhauern, und seine bild-hauerisch-plastischen Arbeiten erschließen sich nicht auf den ersten Blick, abersie erschließen sich dem Auge des Betrachters bei langfristiger Beobachtung. Laszlo Glozer hat die besondere Poesie der Beuys-Objekte in ihrer Paarung von metaphysischem Glanz und ärmlichen Materialien als »dieSchätze des armen Lazarus« beschrieben und damit auf die christliche Tra-dition hingewiesen, aus der sie kommen und in der sie stehen. Und das be-reits zu einer frühen Zeit, da Beuys’ Werke gerade wegen ihrer Materialitätbesonders heftigen Attacken des »gesunden Menschenverstands« auch undgerade christlicher Menschen ausgesetzt waren. In der Tat, wer »Material-wert« und »Arbeitswert« braucht, um seinen Kunstverstand zu unterfüttern,dem ist mit den Werken von Joseph Beuys kaum zu helfen, der sollte schnur-stracks einen Juwelier aufsuchen. Dass sich Beuys auch hie und da nicht scheute, das Chaos selbst, den Aus-gangspunkt seiner plastischen Theorie, bildhauerisch in Werken zu thematisie-ren (Hasengrab, Mäusestall etc.), wirkte, als habe er Öl ins psychische Feuer ge-gossen oder Salz in die Wunde gestreut. Es wirkte jedenfalls als Provokation.

GEGENSTÄNDE / DINGE

Auch die Einbeziehung von ausgewählten Gegenständen und Dingen desAlltags (aus der gewöhnlichen Industrieproduktion) – wie z. B. Schiefertafeln,Badewanne, Öfen, VW-Bus und Schlitten – hat häufig befremdet. Aber hiergab es wenigstens Traditionslinien ähnlicher Verfahren bei Picasso, Dalí, Du-champ und in der Pop Art. Es ist hier jedoch auf den wesentlichen Unter-schied hinzuweisen: gewählte Dinge und Gegenstände haben bei Beuys

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*Joseph Beuys zitiiert nach »Das Museum der 100Tage. Erster Bericht von der documenta 3 in Kassel,1964«. Fernsehbeitrag von Reinhardt Ruttmann undKurt Zimmermann, Hessischer Rundfunk, Erst -sendung 30.6.1964.

AKTIONEN – ENTMATERIALISIERTE SKULPTUR-FOTOGRAFIEN

Ab 1963 veranstaltete Beuys, seit 1961 Professor für monumentale Bild-hauerei an der Düsseldorfer Kunstakademie, »Aktionen«, wie er seine Hap-pening-ähnlichen, szenischen Aufführungen nannte. In diesen Aktionen, dieer zunächst gemeinsam mit anderen Künstlern, dann in zunehmendem Maßeallein und in Personalunion als Autor, Regisseur und Darsteller durchführte,betrieb er eine Art Entmaterialisierung der Skulptur, in der die Ruhe undBewegung des eigenen Körpers und der Fluss psychischer Energie die maß-geblichen Elemente waren. Mit Hilfe anwesender Fotografen gelang es ihm, dabei immer eindrucks-volle fotografische Bilder zu kreieren, die seinen dreidimensionalen bild-hauerischen Gegenständen zumindest an medialer Bildwirkung überlegenwaren. Beuys, der »Showman und Schamane«, war geboren. Die erste Beuys-Ikone dieser Art ist das Foto von Heinrich Riebesehl. Es zeigt, wie Beuys, von einem Studenten blutig geschlagen, spontan einKruzifix hochhebt und dem Betrachter entgegenstreckt. Mit dem offenenKonzept seiner Aktionen gelang es ihm, das Publikum, wenn es sich provo-ziert fühlte, mit einzubeziehen und selbst Gegner und Störer zu unfreiwilli-gen Mitspielern zu machen. Er konnte während der Aktion kurzfristig eineArt Zähmungs- oder Erziehungsprozess einbauen. Später, als Beuys in Aktionen mit lebenden Tieren (einem Pferd in derAktion Iphigenie / Titus Andronicus, 1969, oder einem wilden Kojoten)

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SCHWERKRAFT VS. EXPLOSIONSKRAFT

Was die Skulpturen der Bienenköniginnen, mit denen Joseph Beuys 1964 sei-nen ersten Auftritt als Bildhauer auf der internationalen Bühne der »docu-menta III« hatte, auch noch belegten, war ein grundlegender Wechsel desEnergiemodus der modernen Plastik. War die zeitgenössische Bildhauereiseit Boccionis kubistischer Skulptur Die Entwicklung einer Flasche im Raum(1912) im Wesentlichen von raumgreifender, explosiver Kraft geprägt, extro-vertiert – das ging weiter bis zu den deutschen Bildhauern der 50er JahreUhlmann und Kricke, die den Überschwang verfügbarer künstlicher Energiefeierten –, so wurde die Bildhauerei unter den Händen von Joseph Beuyssanft, introvertiert, nachdenklich und gehorchte der Schwerkraft vor allen anderen Kräften. Ein Hauch von Melancholie – oder gar Depression – ver-drängte von nun an die expressionistische Kraftmeierei, und das sollte baldinternational Schule machen. Seltsamerweise war das als Tendenz völlig gegenläufig zur realen Tech-nikentwicklung der Zeit, in der die Raumfahrttechnologie gerade ihre großenErfolge feierte – vom ersten Sputnik bis zur Landung des Menschen auf demMond.

BILDHAUEREI: SKULPTUR VS. PLASTIK

In der Bildhauerei gibt es eine Anzahl unterschiedlicher Konzepte, im We-sentlichen das Konzept der Skulptur und das der Plastik. Die Skulptur istkurz gesagt »abtragend« und wird durch Werkzeuge wie Hammer und Mei-ßel repräsentiert. Die Plastik ist die »auftragende«, hinzufügende Methode,etwa verkörpert durch die Töpferscheibe. Wie fein Beuys hier differenziert,kann man im Interview über die Bienenköniginnen auf S. 124 nachlesen.»Plastik würde dem organischen Bilden von Innen entsprechen«, so sagt er,und auch: »Der Ton ist ja im Grunde auch eine Art von steifer Flüssigkeit.Ton modellieren ist im Grunde ein Arbeiten in einer steifen Flüssigkeit.« (S. 128) Von der steifen Flüssigkeit zur vollständigen Verflüssigung war esnur noch ein kleiner Schritt. Beuys, das ist festzuhalten, praktiziert als Künstler beide bildhauerischenKonzepte, das eher geometrische des Skulpteurs und das plastische, den Be-wegungsprozess des Modelleurs, und er favorisiert sichtlich letzteres. (Nur der Vollständigkeit halber sei hier angemerkt: in der Metallbild-hauerei gibt es noch die Methode des Schmiedens und Treibens. Die Avant-garde des 20. Jahrhunderts hat des weiteren die Assemblage, die Kombi -nation mit realen Gegenständen, in die Bildhauerkunst eingeführt, eineMethode, die 1961 in einer großen Ausstellung im Museum of Modern Artin New York, »The Art of Assemblage«, kuratiert von William C. Seitz, erst-mals akademische Weihen empfing.)

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Abb. 11 Umberto Boccioni, Die Entwicklung einer Flasche im Raum, 1912, Bronzeguss (1931) 38,1 x 60,3 x 32,7 cm, Museum of Modern Art, New York

Abb. 13 Norbert Kricke, Raumplastik Gelb Tempel,1952, Stahl, gestrichen, 229,5 x 90 x 55 cm, Galerie Hans Strelow, Düsseldorf

Abb. 14 Joseph Beuys am Ende der Aktion Kukei, akopee – Nein!, Technische Hochschule Aachen,20.7.1964. Foto Heinrich Riebesehl

Abb. 12 Joseph Beuys, Bienenkönigin I, 1947–52vgl. S. 28ff

warnt. Derlei Warnungen parierte er lakonisch mit dem Satz: »Es wäre nach-gerade tragisch, wenn ich sterben würde und ich wäre nicht erschöpft.« Odermit dem Paradox: »Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung.« 1982 zog er sich aus der aktiven Parteiarbeit der »Grünen« zurück, als ihmklar wurde, dass seine Ideen auch dort als zu radikal galten. Seinen Dialog mit der Kunst und seine Beiträge zur Kunst hat er indesfortgeführt. Die Hirschdenkmäler auf der Zeitgeist-Ausstellung 1982 in Ber-lin und Palazzo Regale 1985 in Neapel waren späte, monumentale Höhe-punkte seiner künstlerischen Tätigkeit. Aus der Kunst und aus dem Leben ister erst mit seinem Tod am 23. Januar 1986 ausgetreten.

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agierte, war sein Konzept so ausgereift, dass das Publikum dem Geschehenüber lange Zeitstrecken gebannt folgte. Von Studenten in Amerika nach seinem amerikanischen Lieblingskünst-ler gefragt, nannte er spontan Jackson Pollock, den Erfinder des action pain-ting, mit folgender Begründung: »Weil er eine Art Generalisierung gemachthat, ja, wissen Sie, die mich veranlasst hat, auch eine Art Generalisierung zumachen, aber nicht auf dem Gebiet der Malerei. Auf dem Gebiet des Ener -gieproblems. Ich fand nämlich immer, dass Jackson Pollock eine Beziehungzum Problem der Energien hatte. Es war eine mesmerisierende Art der Ma-lerei. Ein Kraftfeld.« (Beuys am 7. Januar 1980, Cooper Union, New York)* Mit seinen Aktionen erweiterte Beuys seine bildhauerischen Möglichkei-ten um eine immaterielle Dimension und brachte einen schier endlosenFluss eindringlicher und rätselhafter, den Zuschauer berührender Bilder sei-ner eigenen Person hervor. Es lag nahe, dass er sich auf diesen Lorbeerennicht lange ausruhen würde. Der große Nomade will einfach nicht sesshaftwerden – jedenfalls nicht in der Kunst. Lieber »tritt er aus der Kunst aus«.

TOTALISIERUNG: DER ERWEITERTE KUNSTBEGRIFF –DIE SOZIALE PLASTIK

Das Instrument von Beuys, der Einengung des berufsständischen und schön-geistigen Kunstbegriffs und dessen Geniekult zu entgehen, war zunächst dieErweiterung des Kunstbegriffs auf das schöpferische Potential aller Men-schen. Dieser Schritt folgte schon aus dem idealistisch-erzieherischen Impe-tus des Künstlers und schärfte sich im Kampf gegen die Unsinnigkeit des Numerus Clausus an der Kunstakademie und anderer staatlicher Regle -mentierungen des Ausbildungs- und Erziehungswesens, dessen Freiheit imGrundgesetz garantiert ist. In einer späteren Äußerung hat Beuys seinen er-weiterten Kunstbegriff als seine vielleicht größte Leistung bezeichnet. Er warjedenfalls sein Freiheitspol, sein Berührungspunkt und seine Brücke zur Anthroposophie Rudolf Steiners wie zur sozialen Welt. Eine Art anti-eli tärerSelbstlegitimierung vor dem Aufbruch aus dem vermeintlichen Elfenbein-turm der Kunst, um sich den Schicksalsfragen der Menschheit zuzuwenden. Die soziale Plastik auf der Grundlage der Steiner’schen Dreigliederungder Gesellschaft bildete das Modell. Hinzu trat eine Weltanschauung, die denPlaneten Erde als lebendigen Organismus betrachtete, den es vor seiner Zerstörung zu bewahren gilt. Eine ökologische Grundhaltung und ein frei-heitliches Menschenbild, dessen menschliche Energiequellen sich aus denKräften der eigenen Imagination, Transformation, Inspiration und Intuitionspeisen sollten. Mit diesem Programm ist Beuys etwa ab 1970 auf die Marktplätze undStraßen gegangen und, erst für die AUD und dann für die »Grünen«, als Kan-didat in den Wahlkampf gezogen. Manche Freunde haben das für eine fürch-terliche Verschwendung gehalten und ihn vor sinnloser Erschöpfung ge-

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*»Because he made a kind of generalization, yes, you know, which impulsed me to do also a kind of generalization, but not in the field of painting. In the field of the energy problem. I found always thatJackson Pollock had a relation to the problem of energies, you know. It was a very mesmerizing kind of painting. It was a power field.«

KATALOG DER WERKE

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DREI VERLORENE PLASTISCHE SITUATIONEN

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Kleinformatiger Bronzeguss einer kubistisch angelegten Skulptur eines lie-genden Schafes, zu dem es noch ein etwa gleich großes, in Holz geschnitztesModell gibt, das sich in der Sammlung des Museums Schloss Moyland befin-det. Die Arbeit steht sichtbar unter dem Einfluss des Lehrers Ewald Mataré,bei dem Beuys ab 1947 an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf studierte und mit dessen Ornament- oder Maßwerktheorie er sich in diesenJahren gewissenhaft auseinandergesetzt hat (Rinn 1978, S. 3). Thematisch steht das Werk im Kanon der Mataré’schen Tierskulpturen.Formal, mit seinen teils runden, teils kubistisch-eckigen Körperformen,scheint der junge Künstler hier bereits sanft gegen den Geist des runde For-men favorisierenden Lehrers aufzubegehren. Vor allem mit den großen, wieDoppelkristalle ausgebildeten Ohren scheint Beuys hier das Hören als sinn-lichen Vorgang vor allem anderen zu akzentuieren. Das kleine Schaf vonBeuys hat jedenfalls ganz spitze und sehr große Ohren. Es scheint in ange-spannter Ruhe in die Welt hineinzulauschen. Diese Spannung ist auch in derOberfläche der Skulptur sichtbar, die von ihren Begrenzungslinien wie zusammengezogen erscheint.

L. S.

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(KLEINES SCHAF)

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Material: Bronze, patiniertMaße: 6 x 12 x 4 cmSignatur: unsigniertAuflage: unbestimmtProvenienz: aus rheinischem Privatbesitz; Kunsthaus Lempertz, Köln; Lothar Schirmer, München;Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Joseph Beuys-Schenkung Lothar Schirmer

Abb. 15 Rückenansicht

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Material: Zinkguss, gesintertMaße: je 16,3 x 10,2 cmSignatur: unsigniertProvenienz: erworben vom Künstler, Lothar Schirmer, München;Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Joseph Beuys-Schenkung Lothar Schirmer

Abb. 16 Joseph Beuys, vor dem Aufbruch aus Lager I,Detail aus einer Fotografie von Ute Klophaus, die während der ersten Installation des Environments entstand, Bonner Kunstverein 1981

Abb. 17 Joseph Beuys, Entwurf für ein Monument in Auschwitz (Entwurf Nr. 125921), 1958, Abb. nachBlume 2008, S. 95, Teile weiterverwendet im BlockBeuys, Hessisches Landesmuseum, Darmstadt

Die Zwei Berglampen sind ein sogenanntes »Doppelobjekt« oder bilden einPaar, das in der Regel nebeneinander eingesetzt wird. Sie tauchen im Beuys’schen Œuvre häufiger auf, auch in unterschiedlicher Pati nierung, etwa weißlich hell und ganz dunkel in einer einzigen Paarung.Manchmal sind sie an den entgegengesetzten Enden eines Baumstrunks an-genagelt und zeigen in unterschiedliche Richtungen. Berglampen sind in der Realität kleine Karbidlampen, die im Bergbau undin der Höhlenforschung Verwendung finden. Ihr Funktionsprinzip bestehtdarin, aus der Mischung von Karbid und Wasser ein brennbares Gas zu er-zeugen, das unter Tage abgebrannt wird und dessen offene Flamme Licht inder Dunkelheit erzeugt. Ihr Vorteil ist, dass sie klein genug sind, um amSchutzhelm, in der Hand oder an einem Haken an der Ausrüstung getragenzu werden. Eine solche Lampe besteht in der Regel aus einem Behälter für Wasserund Karbid (im Sockel), einem Reflektor und einer Austrittsdüse, an der dieoffene Flamme entzündet wird. (Ein Original einer solchen Karbidlampe istauch Teil des En vironments vor dem Aufbruch aus Lager I). Die beidenSkulpturen reflektieren diese technische Dreigliederung formal und unterVerwendung kristallin-kubistischer Gestaltungsprinzipien, die ihrerseits be-reits auf die Unter-Welt der Minerale verweisen. Die Lichtmetapher liegt aufder Hand: die offene Flamme ist ein Zeichen für das Leben (»Schütze dieFlamme …«). Platos Höhle ist nicht weit. Als monumentalisiertes Einzelstück hat Beuys seine Berglampe 1958 auchals Teil seines dreiteiligen Wettbewerbsbeitrags für ein Monument in Ausch-witz vorgeschlagen. Das Monument sollte am Ende der Lagerrampe aufge-stellt werden. Aus dem Anschreiben des Künstlers zu dem als Entwurf Nr. 125921 (der 12. 5. 1921 ist der Geburtstag von Beuys) bezeichneten Vor-schlag sei hier zitiert: »An der Stelle der jetzigen provisorischen Urne soll daseigentliche Denkmal errichtet werden. Es soll nach dem beigefügten Blei-modell in poliertem massigem Silber gegossen werden. In seinem hoechstenPunkt soll es 2,30 m erreichen, also etwa 6,50 m breit sein. Das Denkmal sollseine offene Seite nach Osten richten […] Bei dem Denkmal kam es daraufan, eine Metapher zu suchen, um der vielschichtigen Bedeutung gerecht zu werden. Die Plastik ist Leuchter, Schale, Kristall, Blume, Monstranz. DieMorgensonne soll sich darin vielfältig brechen und durch den Glanz des polierten Silbers weit ausstrahlen.« (Blume 2008, S. 95)

L. S.

$ ZWEI BERGLAMPEN !"%&

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Material: Buchsbaumholz, Bienenwachs, TonMaße: 34,3 x 34,9 x 7,5 cmSignatur: »Joseph Beuys | 1947–52« mit Bleistift aufder Oberseite der Bodenplatte, ebenfalls auf der Ober- seite der Bodenplatte mit geritztem Monogramm »JB«Provenienz: erworben vom Künstler, Lothar Schirmer, München; Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Dauerleihgabe Lothar Schirmer

Die Bienenköniginnen (es gibt deren drei) gehören zu den komplexesten undprogrammatischsten Werken von Joseph Beuys. Sie wurden im Jahre 1952geschaffen, oder besser fertiggestellt und markieren den Entstehungsmomentseiner künstlerischen Eigenständigkeit. Mit ihrer Vollendung legt JosephBeuys ein völlig neues künstlerisches Konzept von Bildhauerei vor. Die drei Skulpturen zeigte er 1964 in Kassel auf der »documenta III«, derersten internationalen Ausstellung, an der teilzunehmen er eingeladen wurde.Dort sah ich sie und war völlig konsterniert, ich fand sie unappetitlich, ab-stoßend, eklig. An anderer Stelle in diesem Katalog schreibe ich darüber, dass es mir zu-nächst nicht möglich war, den Moduswandel der Energiezusammenhänge inder zeitgenössischen Bildhauerei, der sich in diesen Objekten manifestierte,zu begreifen. Ich hatte für Skulpturen, die der Schwerkraft vor allen anderenKräften huldigten, kein Sensorium. Mein Sensorium war offensichtlich aufexpansive Kräfte und die Eroberung von Zeit und Raum geeicht. Boccioniund Brancusi und, in trivialisierter Form, die Waffenästhetik à la Wernhervon Braun standen hier im Wege. Drei Jahre später, 1967, war dieses Sensorium ausgeprägt, und ich konntediese Skulpturen nicht nur sehen, sondern auch schätzen und die Bienen -königin I sogar erwerben. Sie ist die Arbeit mit der längsten Entstehungs -geschichte, Beuys datiert sie auf 1947–52.

Eigentlich besteht sie aus zwei Arbeiten: dem beidseitig geschnitzten Reliefaus Buchsbaumholz, von dem er sagte, es sei der Entwurf zu einem »Denk-mal für das Meer«, den er während einer Fahrt der Mataré-Klasse an dieNordsee angefertigt hatte, und einer aus Wachs gefertigten Plastik. Das Holz-relief dient dem Gesamtwerk als Basis. Es hat auf der dem Betrachter abge-wandten Seite ein märchenhaftes, komplexes, dynamisches Ornament, das ankeltische Vorläufer erinnert. In einem dichten Reigen von Strömungsformentanzen und taumeln stilisierte Schwäne, Meerestang und Medusen über dieFläche. Pollock ist hier nahe – aber das geometrische System hält stand. Die andere Seite, die jetzt als Auflagefläche für den Wachsteil dient undderen Ränder noch zu sehen sind, trägt ebenfalls ein Relief. Aber es sindzarte, stilisierte, eher lineare und gebogene, ausgedünnte Strömungslinien,dazu am oberen rechten Rand ein Spiralwirbel. Und in einer Fehlstelle desoberen Rands befindet sich als Signatur ein eingekerbtes JB, das Beuys beifrühen Arbeiten regelmäßig verwendete. Später hat Beuys das Muster dieser Seite für die Herstellung ornamen-tierter Kacheln benutzt. Einige davon befinden sich, wie mir Dieter Koepp-lin sagte, im Museum Schloss Moyland.

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Abb. 18 Joseph Beuys, Bienenkönigin III, 1952Holz, Wachs, 27 x 35 x 7,5 cmBlock Beuys, Hessisches Landesmuseum, Darmstadt

Abb. 19 Joseph Beuys, Bienenkönigin II, 1952Buchsbaumholz, Wachs, 27 x 35 x 7,5 cmBlock Beuys, Hessisches Landesmuseum, Darmstadt

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Zwei Studienblätter, die mit diesem Relief in Verbindung stehen, habe ichin der Literatur gefunden. Das eine betrifft die dynamische Seite mit demrhythmischen Ornament, das andere trägt den Titel »Plastik für das Meer«(Abb. 27) und beschäftigt sich unter anderem mit der äußeren Form desBretts, das ehemals wohl quadratisch angelegt war (die Maße sind in der be-arbeiteten Fassung 34,3 x 34,9 cm), und dem gesamten Entwurf des geplan-ten Denkmals. Die Ecken sind abgerundet, die oberen stärker als die unteren,und in der Mitte einer jeden Seite sind Kerben, die wie umgedrehte Mittel-stücke von geschweiften Klammern geformt sind. Wenn man diese Kerbenmiteinander verbindet, bilden die Verbindungslinien ein Koordinatenkreuz. Auf diese Reliefarbeit, die offensichtlich einmal als autonomes Kunstwerkkonzipiert war und von einer bei Beuys selten wahrgenommenen kunsthand-werklichen Perfektion ist, setzt er nun eine rätselhafte Wachsplastik, nichtohne vorher die Schau-, oder sollte ich sagen: die Butterseite des Werks nachunten zu legen und sie sozusagen als Schuhsohle des neuen Gesamtwerks zuverwenden. (Wenn wir heute versuchen, sie dem Betrachter im Museumdurch einen Vitrinenspiegel sichtbar zu machen, so haben wir das Einver-ständnis des Künstlers. Als ich, überrascht von dem Relief, das sich mir erstenthüllte, als ich das Werk erwarb, Klage über das Verschwinden dieser schö-nen Seite führte, meinte er, wenn es mir wichtig wäre, könne ich ja in einerVitrineninstallation einen Spiegel darunterlegen). Die Wachsplastik besteht aus einer flügelförmigen Grundplatte (eher inForm eines einzelnen Schmetterlings- als eines Bienenflügels), die etwa inder Mitte des Buchsbaumreliefs aufgelegt ist und dieses links und rechts ganzabdeckt, während am oberen und unteren Rand die Linien des zarten Reliefssichtbar bleiben. Die Grundplatte ist aus amorphem, honigbraunem Bienen-wachs und auf kufenartige Streifen kristallinen Bienenwachses montiert, diesie wie auf einem Schlitten über dem Holzrelief schweben lassen. Zwei Frauenfigürchen, die noch auf der Oberfläche der Wachsplastik lie-gen, eine aus Wachs geformt wie eine Verpuppung (ohne Arme) und ein Torsoohne Kopf und Füße aus gebranntem Ton, aber mit den Armen und Händenüber dem Geschlecht gekreuzt, sind noch leicht zu identifizieren. Das ei-gentliche Rätsel gibt uns das Relief auf der Oberfläche der Wachsplatte auf– und natürlich der Titel. In Rotwelsch, so heißt es, sei eine Bienenkönigineine Frau, die einen Salon für homosexuelle Männer unterhält. Eine offen-sichtlich verballhornte Analogie zu den Gepflogenheiten der Drohnen imBienenstock. Dieser literarische Ansatz führt uns offensichtlich nicht weiter. Bienen-haftes sieht man höchstens am unteren Rand des Wachses. Mit Phantasiekann man hier einige Bienenformen ausmachen. Das Rätsel ist und bleibt derZentralbereich. Hier erhebt sich ein bis zu 2 cm hohes, organisch aussehen-des, embryonales, plastisches Gebirge. Mit Blasen sowie nabelschnurartigenSträngen, die mit der Kopfregion der beiden Frauenfiguren verbunden sind.Kurz, hier scheint ein vorgeburtlicher Prozess eines unbekannten oder auchnur mir unidentifizierbaren Lebewesens im Gange zu sein, dessen genauer Abb. 23 Die Wachsplastik von oben ohne Buchsbaumholz-Platte und Figuren

Abb. 20 Unterseite der Wachsplastik mit den Auflage-kufen aus kristallinem Bienenwachs

Abb. 21 Figur aus gebranntem Ton (oben)Abb. 22 Figur aus Wachs (unten)

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Abb. 24 Joseph Beuys Bienenkönigin I, Detail der Schnitzereien auf der Unterseite der Buchsbaumholz-Platte. Foto Ute Klophaus Abb. 25 Unterseite der Buchsbaumholz-Platte, Gesamtansicht

*Joseph Beuys zitiert nach »Das Museum der 100Tage. Erster Bericht von der documenta 3 in Kassel,1964«. Fernsehbeitrag von Reinhardt Ruttmann undKurt Zimmermann, Hessischer Rundfunk, Erst -sendung 30.6.1964.Eine ausführlichere Darlegung findet sich im »Gespräch über Bienen«, siehe S. 124

Dingen enthalten ist, was für mich wichtig war, etwas zum Beispiel überdas Wärmeprinzip einer Substanz. Er bekäme eine Assoziation zum Be-griff des Honigs zum Beispiel – und da liegt wieder etwas vor, was hierauszudrücken ist in Bezug auf Wärme und Kälte … Das sind zwei Dinge,die mich unheimlich interessieren, die bisher nicht in die Plastik hinein-genommen wurden, die aber meines Erachtens etwas viel Wesentlicheresaussagen über das Wesen der Plastik als zum Beispiel Raum und Zeit. Odersagen wir so: Wir wollen es nicht ausschließen, Raum und Zeit sind sehrwichtig, aber Wärme und Kälte sind ebenfalls zwei sehr wesentliche Ele-mente. Das ist ein Detail. Ein Teil. Ein Teilaspekt der Sache.«*

Mir bleibt noch anzumerken, dass einige Prinzipien, die das ganze Werk vonBeuys durchziehen, hier in der Bienenkönigin I deutlich werden. Der Ge-gensatz zwischen Skulptur und Plastik, den ich an anderer Stelle bereits be-schreibe, wird exemplarisch demonstriert. Der biographische Bezug, der das Gesamtwerk durchzieht, wird deutlich.Die Beuys’sche Fortentwicklung der Bildhauerei steht auf der festen Basisseiner Ausbildung bei Mataré, verkörpert durch das Buchsbaumrelief. Und schließlich ist Beuys immer bereit, sein eigenes Werk vielleicht nichtzu essen, aber doch zu kannibalisieren und zu fragmentieren und die Teileneu zu verbinden, wenn neue Erkenntnisse, Einsichten oder Ziele es ange-zeigt sein lassen. Noch ein Wort zu Joseph Beuys und seiner Verbindung zum Zeitgeist.Man könnte in der Bienenkönigin I sehr wohl eine Ikone der Nierentischzeitsehen; auch wenn dies zur Zeit ihres Entstehens nicht wahrgenommen wurde,ist sie es rückblickend natürlich auch. Obgleich die Bienenköniginnen bis heute rätselhaft geblieben sind und esbisher keine kunstwissenschaftlichen Untersuchungen gibt, haben sie eine»majestätische« Ausstrahlung. Es sind eben Königinnen. L. S.

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Hergang ungeklärt ist und zu dem Beuys sich auch nie geäußert hat. Neh-men wir einfach an, eine Bienenkönigin würde auf diese Weise embryonalentwickelt. Das Relief der Wachsplatte, die mit ihrer stumpfen, braun-gelben Oberflä-che den sinnlichen Eindruck von Isolation hervorruft, ist mir im Ströher Blockin Darmstadt an einer weißen Wachsplastik von 1964 noch einmal begegnet. Aber hören Sie, wie Beuys seine Bienenköniginnen – allen ist die Kombi-nation aus einem Holzbrett, das auch als Teller gesehen werden kann, undeinem amorphen Wachsrelief gemeinsam – seinem Publikum erklärt. Hierseine Ausführungen in der ARD-Sendung zur documenta 1964:

Reporter: Einer der eigenwilligsten Männer ist Joseph Beuys, Professor ander Kunstakademie in Düsseldorf. Ihm begegnet auf der documenta weitweniger Verständnis als den meisten seiner Kollegen. Kunstwerk sollenVitrine und Inhalt sein. Aber Joseph Beuys meint, man solle seine skurri-len Wachsplastiken gar nicht so genau in Augenschein nehmen.Beuys: Beim Aufbau der Plastik haben manche Leute gesagt, die Glas-scheibe sei außerordentlich störend, ich fand es sehr gut. Vielleicht wär essogar gut gewesen, die Leute hätten nur eine Art Nebel von der Sache ge-habt. Mein Glaube ist, dass vor der Plastik etwas geschieht, was eine realeAusstrahlung ist, dass also diese Wachssubstanz eine Verlängerung nachoben hat. Also nehmen wir an, man könnte sie direkt essen. Jetzt nehmenSie das, was scheinbar materialistisch klingt, aber vergeistigt. Dann hättenSie in etwa das, was ich ganz grob sagen kann.Herr Beuys, wie würden Sie einen Betrachter, der mit Ihren Arbeitennichts anzufangen weiß, zu besserem Verständnis bringen wollen?Ich würde ihn zunächst darauf hinweisen, dass hier zwei Geräte liegen,ein Löffel und eine Gabel, und würde ihn praktisch die Plastik essen lassen.Im Essen dieser Plastik würde er vielleicht etwas erleben, was in diesen

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Abb. 26 Joseph Beuys, Ohne Titel, 1949Bleistift auf gelblichem Zeichenkarton, 18,8/17,9 x 35,2 cmSammlung Ludwig Rinn, Gießen

Abb. 28 Oberseite der Buchsbaumholz-Platte (links)

Abb. 29 Joseph Beuys, Platte für Uni-Klinik Düsseldorf, 1958, Ton, 69 x 69,5 cmPrivatbesitz (oben)

Abb. 27 Joseph Beuys, Plastik für das Meer, 1948Bleistift auf Papier, 16 x 17 cmMuseum Moderner Kunst, Stiftung Ludwig, Wien

Material: Weißes Email, Heftpflaster, Klebeband,Mull, Fett, Ölfarbe, Kupferdrahtvom Künstler neu bearbeitet in München 1977 nach Beschädigung in Leverkusen 1973Maße: 86 x 102 x 46 cmSignatur: »Joseph Beuys 1960« mit Bleistift auf der unteren Ablagefläche der WanneProvenienz: erworben vom Künstler,Lothar Schirmer, München;Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Joseph Beuys-Schenkung Lothar Schirmer

Der Geschichte und der Mythen wegen, die sich um dieses in die bundes -republikanische Kunstfolklore eingegangene Objekt ranken, ist der Text zurBadewanne in zwei Abschnitte unterteilt: Kunstwerk und Fall. Beginnen wir mit der Badewanne als Kunstwerk.

I. DIE »BADEWANNE« ALS KUNSTWERK

Badewanne ist ein sperriges und hartes Objekt. Diese Härte wird noch ver-stärkt durch das leuchtende Weiß des Emails. Das Chassis (Sie gestatten diesen Begriff aus dem Fahrzeugbau), der Wannenkörper selbst und sein vier-beiniges Untergestell, sind ein Industrieprodukt, ein Haushaltsgegenstand,etwa aus den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Leichte Anklängean den Jugendstil sind in der Formgebung nicht zu übersehen. Die Datie-rung deutet in das Geburtsjahrzehnt des Künstlers. Es könnte also durchaussein, dass er in dieser Wanne gebadet wurde, denn Beuys schleppte allerleiHaushaltsgegenstände und Möbel, an denen er Gefallen fand, mit durchsLeben und ließ sie nach und nach in sein Werk einfließen (wie z. B. denschwarzen Schrank und das Bett im Environment Voglio vedere le mie mon-tagne in Eindhoven). Es kann aber genauso gut sein, dass er als Erwachsenereine Wanne gleichen Typs bei einem Trödler entdeckte und aus sentimenta-len Gründen erwarb. Es gibt jedoch erste Spuren der Wanne im Frühwerk,wie z. B. in nebenstehender Zeichnung Frau, ihr Kind badend von 1950. Hiersieht man sie mit Mutter und Kind. (Die Frauengestalt erinnert hier einwenig an Segantinis Bild La vanita, 1897.) Der erste Beleg für das Vorhandensein der realen Wanne im Beuys’schenFundus sind Fotos von Manfred Leve, die dieser 1967 in Beuys’ Atelier inder Kunstakademie gemacht hat. Hier steht sie, offensichtlich noch unbear-beitet. 1968 oder 1969 – Ute Klophaus konnte sich nicht mehr genau erinnernund die Beiträge von Beuys und seiner Klasse zum jährlichen »Rundgang«,der Jahresausstellung der Akademie, sind noch unerforscht – stellte Beuyssie als seine Arbeit dort vor. Ute Klophaus hat diesen Moment in einem au-ratischen Bild festgehalten. Dann stellte Beuys die Badewanne im Frühjahr 1969 im Benrather Gym-nasium aus. Dort fand eine von Schülern veranstaltete »gymnasia« statt, eine»erste Ausstellung progressiver Kunst in einem Gymnasium«, so die NRZ vom11.1.1969. Die anderen Teilnehmer waren Dieter Roth, Jan Voss, GünterUecker, Jörg Immendorf, Reiner Ruthenbeck, Anatol Herzfeld u.a. Beuysnutzte die Gelegenheit zur Premiere seines Tonbands »Ja Ja Ja Ja Ja, Nee NeeNee Nee Nee«, das in unmittelbarer Nähe zur Wanne lief.

# BADEWANNE !"'*

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Abb. 30 Joseph Beuys, Frau, ihr Kind badend, 1950Graphit auf gerissenem Fell einer Trommel, 58,5 x 29 cm, Sammlung Lothar Schirmer, München

Im März 1969 wurde die Badewanne dann mein Eigentum. So weit dieVorgeschichte.

***

Es gibt, wenn wir vom Bett absehen, eigentlich nur zwei Behälter für denganzen menschlichen Körper, nämlich die Badewanne und den Sarg (diedeutsche Kurzform des so pietätvoll klingenden altgriechischen Worts sarko-phágos, das wörtlich allerdings, weit weniger pietätvoll, »Fleischfresser« be-deutet). Keine Frage, so wie der Sarg mit dem Tod verbunden ist, so sind Geburtund Leben mit der Badewanne verbunden, vor allem, wenn es Kinderbade-wannen sind. Nur ausnahmsweise schaut auch in Badewannen der Tod umdie Ecke, wenn sie Schauplätze von Mord und Selbsttötung werden. DieNamen Diane Arbus, Barschel und Marat mögen hier genügen – die beidenLetzteren übrigens Sujets bedeutender Bilder von Thomas Demand undJacques-Louis David. Beuys hat die Badewanne bei seiner Ausstellung im New Yorker Guggen-heim Museum 1979/80 an den Anfang gesetzt, als Station 1, und hat damitden autobiographischen Charakter des Werks betont. In einem mit CarolineTisdall geführten Interview hat er seine Interpretation des Werks wie folgtgegeben:

Meine Intention bei diesem Werk war, mich an meinen Anfang zu erinnernund damit an die Erfahrung und das Gefühl meiner Kindheit. Es fungiertals eine Art autobiographischer Schlüssel: ein Objekt aus der äußeren Welt,ein robuster, dinghafter Gegenstand, ausgestattet mit Energie geistigerNatur. Man könnte das Substanz nennen und es ist die Transformation vonSubstanz, die mein Anliegen in der Kunst ist, eher als das traditionelle äs-thetische Verständnis schöner Erscheinungen. Wenn Kreativität sich aufTransformation, Wandlung und Entwicklung von Substanz bezieht, dannkann sie für alles in der Welt zutreffen und ist nicht länger auf die Kunstbegrenzt.Der Gedanke des Kontaktes mit Physischem ist für diesen erweiterten Be-griff von Kunst und von menschlicher Arbeit und Aktivität generell zu-treffend, und das ist für mich der Sinn dieses Objektes. Es erinnert anursprüngliche Berührung mit Elementen wie Wasser – bewegtes Leben –und Wärme. Manche Leute sagen »Beuys ist verrückt, er ist wohl zu heißgebadet worden.« Solche alten Redensarte haben tiefe Wurzeln und man-che unbewusste Wahrheit.Dann ist da das Fett in der Wanne, es liegt dort wie eine formende oderskulpturbildende Hand, wie sie hinter allem in der Welt liegt. Damit meineich Kreativität im anthropologischen Sinn, nicht beschränkt auf Künstler.Es ist eher eine Verbindung mit Realitäten als mit Kunstpro dukten.In gleicher Weise meint Biographie mehr als nur eine persönliche Sache.

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Abb. 31 Beuys im Atelier, im Hintergrund die nochnicht bearbeitete Badewanne, Düsseldorf 1967.Foto Manfred Leve

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Sie bedeutet die Wechselbeziehung aller Vorgänge und nicht die Auf -splitterung des Lebens in einzelne Abteilungen: eine Ganzheit. Unter Bio -graphie verstehe ich die Entwicklung von Allem. Meine persönlicheGe schichte ist nur so weit von Interesse, wie ich versucht habe, mein Lebenund meine Person als Werkzeug zu nutzen, und ich denke, dies war so abeinem sehr frühen Alter. Aber es wäre falsch, die Badewanne als eine Artvon Selbstreflexion zu interpretieren. Auch hat sie nichts mit dem Konzeptdes Readymade zu tun: ganz im Gegenteil, da hier die Betonung auf derBedeutung des Objekts liegt. Es bezieht sich auf die Wirklichkeit, in solcheinem Umfeld und in solcher Lebenslage geboren worden zu sein.*

Für mich hatte das Werk eher die folgende Bedeutung: Zunächst sah ich denWundcharakter des Ganzen. Natürlich riefen Heftpflaster und Mull den di-rekten Eindruck hervor, es handle sich bei diesem Gegenstand um ein le-bendes, weil blutendes Wesen, lebendig, aber doch sehr verwundet. DasParadox war zunächst dominant, weil die Realie so dominant war. Das hatmich weniger an ein ready made von Duchamp erinnert als an die Pelztassevon Meret Oppenheim, die mit einem ähnlichen Paradox arbeitet – ein Ge-genstand, dem Haare wachsen –, oder den »blutenden Tisch« in einem ver-lorenen Gemälde von Frida Kahlo. Diesen Überrealismus (so die erstedeutsche Übersetzung von surrealisme) sah ich auch hier am Werke. Natür-lich hörte ich auch Beuys selbst, mit seinem früh geäußerten, absurden, Ur-sache und Wirkung umkehrenden Therapievorschlag: »Wenn man sichgeschnitten hat, soll man das Messer verbinden und nicht die Wunde.« Das in ziemlichem Gegensatz zu seiner eigenen Geburtsmetapher:»12.5.21 – Ausstellung einer mit Heftpflaster zusammengezogenen Wunde«,die natürlich zum Denkraum dieses Objekts gehört. Und dann ist da ein Stück Kupferdraht im Inneren der Wanne angebracht,das unweigerlich die höchst unangenehme Assoziation von Elektrizität in derBadewanne hervorruft. Wenn Beuys den emotionalen Gegensatz zwischender Wanne als Reinigungsgerät und den Wundverbänden und Fettrestenschon hoch ausreizt, so setzt er hier noch ein weiteres, höchst unerquicklichesThema drauf, den Tod durch Elektrizität in der Badewanne. Ich finde, dassdieser mortale Eindruck, neben dem Topos Geburt, bei genauer Betrachtungebenfalls da ist. Beuys sah es wohl ähnlich und hat, auf die Wanne angespro-chen, auch gesagt: »Heftpflaster tritt fast immer in den Trauma-Geschichtenauf, die durchaus bei mir da sind. Es gibt auch Darstellungen mit Selbst-mördern und Heftpflastern. Sie sind natürlich selten, wenn das also auf-tauchte, war bei mir irgendetwas nicht in Ordnung«. (Lieberknecht, St.Gallen, S. 16)

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* Der hier abgedruckte Wortlaut ist eine durch Eva Beuys vorgenommene Rückübertragung von Aus-führungen des Künstlers, die Caroline Tisdall 1979 fürden Katalog zur Ausstellung Joseph Beuys im Guggen-heim Museum, New York, ins Englische übersetzt hat.Der deutsche Originalwortlaut ist nicht erhalten.

Abb. 32 Joseph Beuys Badewanne im Flur der Akademie beim Rundgang, Düsseldorf 1969, Foto Ute Klophaus Abb. 33 Joseph Beuys Badewanne im Urzustand vor der Zerstörung 1972, Foto Ute Klophaus

letzend und folgenschwer. Einer anderen als der juristischen Lösung hat siewohl gleich am Anfang den Weg verbaut, schon weil die Stadt Leverkusenbis zum bitteren Ende daran festgehalten hat. Mein Leihvertragspartner war die Stadt Wuppertal. Verhandlungen blieben ohne Ergebnis, da die Versicherungsgesellschaft sich weigerte, denSchaden zu regulieren, offensichtlich waren die Verstöße gegen die Ver siche-rungsbedingungen zu schwerwiegend. Und die Stadt Wuppertal hatte keinenEtatposten für solche Fälle, keinen Politiker, der einen solchen Posten zu be-antragen gewagt hätte, und außerdem Regressansprüche gegen Leverkusen,die man nicht präjudizieren wollte. Man bat nachgerade, verklagt zu werden,um die unangenehme Aufgabe der Klärung der Justiz zuzuschieben. Das Re-sultat war ein Gutachterprozess, der im September 1974 vor dem Landge-richt Wuppertal begann. Beklagte war die Stadt Wuppertal, die ihrerseits derVersicherungsgesellschaft und der Stadt Leverkusen den Streit verkündete.Es kam, wie es kommen musste, nämlich dicke für die Beklagten, die sichunwillig zeigten, überhaupt einen Vorschlag zur Schadensregulierung zu un-terbreiten. In erster Instanz wurden die Beklagten zu einem Schadensersatz von165.000 DM (für alle drei Schadensfälle) verurteilt. Der Schaden war durchdie Preisentwicklung für Beuys-Werke und die Länge des Prozesses weit überdie ursprünglich vereinbarte Versicherungssumme angewachsen. In der Re-visionsinstanz wurde er auf den ursprünglichen Betrag von 58.000 DM (wie-der für alle drei Schadensfälle) zurückgestuft, weil für den Folgeschaden diekurze sechsmonatige Verjährung griff. Meine Anwälte hatten sich bei denVorverhandlungen zu lange hinhalten lassen und zu spät geklagt. Die Sache hatte für mich allerdings den Vorteil, dass ich die Überreste, dasChassis der Wanne, behalten konnte (das bei vollem Schadensausgleich andie Beklagten gefallen wäre), weil, wie die Richter feststellten, mein erlitte-ner Gesamtschaden höher war als der Ersatz, den ich erhielt (Urteil OLGDüsseldorf vom 9.7.1976). Es bestand also die Chance, dass Beuys mir das

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II. DIE »BADEWANNE« ALS FALL

Und nun zur Badewanne als Fall. »Realität – Realismus – Realität« hieß eine erste Verbund-Ausstellung von sieben städtischen Museen, die im Oktober 1972 im Von der Heydt-MuseumWuppertal ihren Anfang nahm und über fünf weitere Stationen ein Jahr spä-ter, im Dezember 1973, im Städtischen Museum Leverkusen zu Ende ging.Die Werke von Marcel Duchamp, Joseph Beuys und Andy Warhol und ihrjeweils unterschiedlicher Umgang mit Realien sollte untersucht werden. Ichwar stolzer Leihgeber von drei Beuys-Werken, Badewanne 1960, Ofen 1970und einem kleinen Plastikeimerchen (ohne Titel) mit fast festem Lein sa-menöl, dazu ein Küchenmesser und eine Schöpfkelle aus dem Jahr 1962. Der Eröffnungsabend in Wuppertal war schon dadurch kontaminiert, dass Johannes Rau, der damalige Kultusminister von NRW und ehemalige Wup-pertaler Oberbürgermeister, Beuys zwei Wochen zuvor spektakulär gefeuerthatte (wahrscheinlich die einzige Tat von Johannes Rau, derentwegen er indie deutschen Geschichtsbücher eingehen wird). Ich verteilte an dem AbendFlugblätter und sammelte Unterschriften für eine Petition, die Beuys’ Wie-dereinsetzung ins Lehramt forderte. Dr. Aust, der Museumsdirektor, konnteden Oberstadtdirektor nur mit Mühe davon abhalten, mich persönlich ausdem Museum zu werfen. Schließlich sei der Text harmlos, also keinesfalls be-leidigend, und Herr Schirmer ein Leihgeber. Als Ofen und Badewanne im Januar 1974 kommentarlos bei mir in Mün-chen angeliefert wurden (das Plastikeimerchen war schon vorher zu Bruchgegangen), war die Badewanne aller Beuys’schen Zutaten beraubt und demFisch, der den Ofen zierte, waren mit schwarzem Filzstift Gräten aufgemaltworden. Wo der Fisch geschändet wurde, blieb unaufgeklärt. Die Badewanne hin-gegen, das war bald klar, war in Leverkusen ruiniert worden, und zwar schonvor der Ausstellung. Eigentlich hätte mich ein Schreiben des Kulturamts derStadt Leverkusen, das kurz vor Weihnachten 1973 bei mir einging, hellhörigmachen müssen. Ein Herr Schilbach schrieb ebenso lakonisch und, wie ichbald erfahren sollte, schlitzohrig-tückisch:

»Sehr geehrte Herren,in Kürze werden Ihnen die ausgeliehenen Kunstgegenstände durch dieSpedition Hasenkamp zurückgesandt. Sollten Sie irgendwelche Beschä-digungen feststellen, teilen Sie mir diese umgehend mit.Mit freundlichen Grüßeni.A. Schilbach«

Es war das erste und letzte Mal, dass ich von der Stadt Leverkusen in der An-gelegenheit hörte. Diese Haltung war verantwortungslos, dumm, höchst ver-

Abb. 34 Joseph Beuys, Badewanne, 1972.Foto Ute Klophaus (links)

Abb. 35 Joseph Beuys’ Badewanne nach der »Reinigung« durch den SPD-Ortsverein Lever kusen-Alkenrath, 1973. Foto Isolde Ohlbaum (oben)

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gute Stück neu bearbeiten würde. Damit war für mich der Fall, der bis in dieinternationalen Medien Wellen schlug, nachdem Spiegel und Stern darüberberichtet hatten, juristisch erledigt.

***Was in Leverkusen mit der Badewanne geschehen war, habe ich dann derPresse entnommen. Die Wanne war (offensichtlich unverpackt) im Muse-umsdepot gelagert, in dem auch die Stühle für ein Fest des SPD-OrtsvereinsLeverkusen-Alkenrath abgestellt wurden (wahrscheinlich der Grund, warumdie Versicherung nicht zahlen wollte). Das Bier sei an dem Abend zu warmgewesen, deshalb wollte man es kühlen, und zwei Damen hätten die Wannevon den Beuys-Zutaten gereinigt, um sie als Bierkühler ihres Zweckes zu ent-fremden. Das alles ist wohl schon vor der Eröffnung in Leverkusen gesche-hen und, da eine Kommunalwahl anstand, zunächst vertuscht worden. DerKonflikt Rau gegen Beuys war wohl einer der Hintergründe, die Angst vorSchadensersatz und großer Blamage ein anderer. So hat die Attitüde des städtischen Kulturamtsmitarbeiters, die Sache nachder Methode »Melden Sie sich doch, wenn Sie irgendwelche Beschädigungenfeststellen (wir sind sowieso abgetaucht)«, zu regeln, immerhin neun Rechts-anwaltskanzleien (vier in Wuppertal, vier in Düsseldorf und meinen KölnerAnwalt) durch zwei Instanzen in Lohn und Brot gehalten. Die Kosten, so das Gericht, waren für die erste Instanz von den Beklag-ten zu tragen und für die zweite Instanz ebenso (der Einwand der Verjäh-rung eines Teilschadens hätte von den Beklagten schon in der ersten Instanzvorgetragen werden müssen). Ich denke, der Löwenanteil dieser Kosten istbei der Stadt Leverkusen und deren Steuerzahlern gelandet. Ob dies je einRechnungshof geprüft hat, wage ich zu bezweifeln.

Als Totalschaden musste auch das Projekt der Verbundausstellungen gelten.Eine solche ist von den beteiligten sieben Städten und ihren Museen danachnie wieder unternommen worden.

***1977 hat Beuys dann, nach der Vorstellung eines Multiples in einer Münch-ner Galerie, in einer langen, arbeitsreichen Nacht und am folgenden Vor-mittag sowohl den Ofen restauriert als auch die Badewanne wiederhergestellt.Dazu zog er alle vorhandenen Fotografien zu Rate, und da es ein spezielles,gelb getöntes Klebeband auf dem Markt nicht mehr gab, hat er ein anderesmit gelber Ölfarbe bemalt. Die nebenstehende Fotografie zeigt Joseph Beuysam Fenster meiner Wohnung in der Sigmundstraße beim Anmischen der Öl-farbe. Seit der Abholung des Stücks in meiner Kölner Wohnung im August1972 bis zu seiner Wiederherstellung waren nun fast fünf Jahre vergangen. Und ich war mit den Realitäten des Ausstellungswesens, des Leihverkehrsund des Versicherungsrechts ein wenig besser vertraut.

L. S.

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Abb. 36–38 Beuys bei der Neubearbeitung der Badewanne in der Wohnung von Lothar Schirmer,München 1977. rechte Seite: Beuys mischt Farbe.Fotos Ludwig Rinn

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Material: Gefärbtes Tuch auf braun übermaltem PapierMaße: 48,5 x 62 cmSignatur: »Beuys 1960« mit Farbe recto in der unterenrechten EckeProvenienz: erworben vom Künstler,Lothar Schirmer, München;Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Joseph Beuys-Schenkung Lothar Schirmer

Abb. 39 Atelier am Drakeplatz 4 mit einer von Beuysselbst eingerichteten Ausstellungssituation, Düsseldorf1962. Foto Harald Richter

Auf ein beidseitig mit brauner Fußbodenfarbe vollflächig bemaltes, oder bes-ser: durchtränktes Papier hat Beuys eine balancierte Komposition aus zwei inhellerem Braun getränkten Tüchern und einer in fast gleichem Ton bemaltenwuchtigen Fläche geschaffen. Die Tücher sind auf das bemalte Papier geklebt, die Grundfläche ist kräf-tig bemalt, so dass ein reliefartiger, plastischer Eindruck des Ganzen entsteht.Darüber sind, jeweils in der Bildmitte, zwei kreuzförmige gestrichelte Linienin dem helleren Braun gelegt, so dass sich das, was als gepflegte Poliakoff-Komposition der frühen 60er Jahre daherkommen könnte, in etwas ganz An-deres verwandelt. Die Balance wird sozusagen ins Fadenkreuz genommen.Ein Moment der Gefahr blitzt auf. Fluggeschwindigkeit könnte herrschen.Der Blick könnte sich aus großer Höhe, im Flug, durch ein Sichtgerät aufeine Landschaftsformation richten. Ohne das Koordinatenkreuz und die dar-aus abgeleitete Flugassoziation bleibt eine ausgewogene, flächige Komposi-tion übrig, die alle Ästheten der abstrakten Malerei in der Tradition vonPoliakoff und Tàpies erfreuen könnte. Insofern spielt Beuys auch hier wiedermit dem Zeitgeist. In einem Interview auf die braune Fußbodenfarbe angesprochen, die er häufig benutzt und die später auch das Environment vor dem Aufbruch ausLager I dominieren wird, äußert sich Beuys so: »An und für sich ist das keineFarbe – in meinem Sinne –, sondern eine Form für Substanz. Einfach füreinen überlagernden Stoff. Mich reizt das Überlagernde. Das ist ja eigent-lich ein verdecktes Rot, Erde oder Mutter. Man kann es auch als plastischeSubstanz sehen.« (Lieberknecht, in: St. Gallen 1971, S. 15) Farbe als »Plastische Substanz«, das könnte Beuys von Yves Klein über-nommen haben, und somit würde die Arbeit in der Nähe eines der Planeta-rischen Reliefs von Yves Klein zu sehen sein. Wie wichtig Beuys diese Arbeitwar, beweist die nebenstehende Fotografie; sie zeigt das Werk in einer vonihm selbst eingerichteten Ausstellungssituation im Atelier am Drakeplatz inDüsseldorf-Oberkassel, das er im Frühjahr 1961 bezogen hatte.

L. S.

% OHNE TITEL !"'*

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Material: Baumwolltuch, Lavendelöl, MetallMaße: 140 x 60 cm DurchmesserSignatur: »Beuys 1961« mit Bleistift auf dem äußerenRand des unteren FiltertuchsProvenienz: Joseph Beuys, Düsseldorf; Wolfgang Hahn, Köln; Heiner Friedrich, Köln; Lone Star Foundation, New York; Christa Döttinger, München;Lothar Schirmer, München;Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Joseph Beuys-Schenkung Lothar Schirmer

Abb. 40 Joseph Beuys, _____________ ?, 1960 (The secret block for a secret person in Ireland, Nr. 305, 1974/77)Montage; Bleistift, weiße Leinensteifen, Stecknadeln,leichtes semitransparentes hellbraunes Papier, weißes geknittertes Seidenpapier, 66,5 x 47,3 cmSammlung Marx/Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin

Eine kleine Korrektur vorweg: Im New Yorker Guggenheim-Katalog von1979/80 bildet diese Skulptur die Station 14 (von 24 Stationen), sie ist dort mit»Lavendelfilter« betitelt und inkorrekt mit 1965 datiert. Ich bin der Arbeiterstmals in der Sammlung Hahn begegnet, als diese 1968 im Wallraf Richartz-Museum in Köln ausgestellt wurde; im Katalog war sie dort als »Filter, 1961«ausgewiesen, mit Vermerk der handschriftlichen Signatur »Beuys 1961« ander (rechten) Seite des unteren Rings.

Weil Beuys im Guggenheim-Katalog selbst auf das Lavendelöl Bezug nimmtund das Stück als Lavendelfilter bezeichnet, haben wir uns für diesen Titelund die durch Handschrift bezeugte Datierung 1961 entschieden. Lavendelfilter besteht aus zwei dünnen Eisenringen: ein kleiner am obe-ren Ende und ein großer mit einem Durchmesser von etwa 60 cm am unte-ren Ende, der auch den Fuß der Skulptur bildet. Vom unteren Ring führteine dünne Eisenstange schräg nach oben und hält den kleineren Ring inetwa 1,40 m Abstand konzentrisch über den größeren. Im kleineren Ringhängt eine etwa 15 cm tiefe konische Filtertüte aus Baumwollstoff, derenoberer Rand mit dem Eisenring fest vernäht ist. Der Rand des unteren Ringsist mit zwei kreisförmig zugeschnittenen Baumwolltüchern, die wie Mem-branen gespannt sind, ebenfalls fest vernäht. Was wie eine filigrane Skulptur der Minimal Art aussieht, ist eine Filter-Plastik, wie Beuys seine Schöpfung nennt, die auch als überdimensionalesLaborgerät funktioniert, aber in der Geschichte der abendländischen Skulp-tur ohne Vorläufer ist. Sie diente Beuys dazu, Lavendelöl zu filtern, ein ausfrischen Lavendelblüten gewonnenes, stark duftendes ätherisches Öl. Ge-brauchsspuren finden sich als Verfärbungen am Zipfel der Filtertüte und aufden Baumwollmembranen als konzentrisch sich ausbreitender Fettfleck. Lavendelfilter ist also ein benutztes, oder besser, ein in seine Funktion ein-geweihtes Objekt. Lavendelöl hat neben der angenehmen Geruchsdimension, die es in dieSkulptur einbringt, auch pharmakologisch-medizinische Bedeutung. Es findetAnwendung unter anderem als mildes Beruhigungsmittel bei Angstzustän-den und Einschlafstörungen, ist also ein aus der Natur gewonnenes, sanftesPsychopharmakon. Beuys hat im Gespräch mit Caroline Tisdall eine aus-führliche Erklärung für dieses Stück und die Bedeutung der verschiedenenmetaphorischen Ebenen, das »Filtern«, gegeben:

Das Filterprinzip ist hier mit dem Wärmeprozess im Wachstum der Pflan-zen in Beziehung gesetzt. Das Lavendelöl, gefiltert durch den Baumwoll-konus, ist eine hoch entwickelte Fettart, das, erzeugt von den Blüten der

' LAVENDELFILTER !"'!

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Abb. 41 Joseph Beuys, _____________ ?, 1960 (The secret block for a secret person in Ireland, Nr. 306, 1974/77)Montage; Bleistift, hellbraunes Pergaminpapier, Stecknadeln, chamoisfarbener fleckiger Büttenkarton, 49,8 x 31,3 cm

Sammlung Marx/Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin

Pflanze, sich üblicherweise nach oben hinaus in die Atmosphäre verflüch-tigt.Die Passage durch einen Filter bewirkt eine Verfeinerung. Als Metapherfür reinere Qualität könnte sie dem spirituellen Kontext hinzugefügt wer-den. Der kreisförmige Filter an der Basis der Plastik hält einen Teil des Ölzurück, während es sich mit der Zeit nach außen ausbreitet und dann Harzwird. Ein Prozess von Infiltration findet statt, so, wie der gefilterte Flecksich mit der Zeit langsam nach außen ausbreitet. Dies ist jenseits des Fil-ters: eine neue, verfeinerte Essenz, das sich Ausbreiten von Ideen in dieverschiedenen Kräftefelder der menschlichen Fähigkeit, eine Art Inspira-tion, die durch einen physischen Prozess kapillarer Absorption wirksamwird: psychologische Infiltration, oder selbst die Infiltration von Institu-tionen.Zwischen den beiden Prozessen der Filtration und Infiltration ist das Zeit-element in das Objekt miteinbezogen: die von den Tropfen überquerte Dis- tanz, gesteigert durch die Dauer des Ausbreitungsprozesses. Dazu kommtder Duft: da 90 Prozent des Öls sich verflüchtigt, nur einen Rest von Harzhinterlassend. Das ist eine weitere Besonderheit zwischen diesem hoch ent-wickelten ätherischen Öl und den schweren Fetten wie Butter, die sichnicht verflüchtigen, obwohl der Geruch natürlich alles durchdringt. Die Assoziation mit Wunden ist in Filtern oft gegenwärtig, im Vorgang desTröpfelns, oder der Bedeutung von Gaze als durchlässigem Schutz und auf-nahmefähigem Verband.*

Die gefalteten Papierschnittmuster für den Konus des Baumwollfilters hatBeuys sorgfältig aufbewahrt. Sie finden sich heute als eigenständige Papier-arbeiten in Secret block, Nr. 305 und 306, Berlin 1974/77. Zur Bedeutung des Filters im Werk von Beuys siehe auch Rinn 1978, S. 11.

L. S.

* Der deutsche Wortlaut ist eine durch Eva Beuys vorgenommene Rückübertragung von Ausführungendes Künstlers, die Caroline Tisdall 1979 für den Katalog zur Ausstellung »Joseph Beuys« im Guggen- heim Museum, New York, S. 148, ins Englische übersetzt hat. Der deutsche Originalwortlaut ist nicht erhalten.

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Material: Karton, Schallplatte, Holz, Knochen,Wellpappe, Ölfarbe (»Braunkreuz«)Maße: 30 x 51 x 54 cmSignatur: »Joseph Beuys | 63« mit Bleistift auf derRückseite der Plattenhalterung und direkt dahintermit Bleistift auf der Grundplatte »Beuys 62–63«Provenienz: Joseph Beuys, Düsseldorf; Monika Schmela, Düsseldorf;Lothar Schirmer, München;Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Joseph Beuys-Schenkung Lothar Schirmer

Musikbox ist ein Objekt aus der Serie der »stummen Grammophone«, einThema, das Beuys in drei sehr unterschiedlichen Fassungen, in deren Zen-trum schwarze Schellackschallplatten stehen, behandelt hat. In unserer Fassung schwebt ein Tierknochen, sozusagen als Tonabneh-mer, vor einer aufrecht stehenden Schallplatte. Bis auf den schwarzen, ge-drechselten Holzfuß, auf dem der Knochen steht, und ein mondsichelförmi-ges Segment auf der Schallplatte ist das Objekt mit monochromer, braunerÖlfarbe abgedeckt, so dass der Eindruck höchster Isolation und Verborgen-heit entsteht, auf optischer wie auf akustischer Ebene. Das Etikett auf derRückseite der Schallplatte hat Beuys ebenfalls übermalt, so dass auch keinesprachliche Information über das Musikstück zu erlangen ist. Nur die Rillendes mondsichelförmigen Segments könnten über die Musik, die in die Platteeingepresst ist, noch Auskunft geben. Das Objekt paraphrasiert in seinem Aufbau das Konstruktionsprinzipeiner »Wurlitzer«, der Jukebox eines populären amerikanischen Geräteher-stellers, der Anfang der 60er Jahre das Abspielen aufrecht stehender Schall-platten mit von außen sichtbarer Abspielautomatik entwickelt hatte. Aber Beuys wäre nicht Beuys, wenn er nicht gleichzeitig, wie in einem Ve-xierbild, ein zweites, bildhauerisches Thema mit behandeln würde: die Auf-stellung einer Statue in der Apsis einer Kirche. Die thematische Verdoppe-lung verstärkt den Effekt von Schweigen und Stille und führt von Technikund Tanzboden in einen geistigen Bereich: eine stumme Figur an einem stil-len, abgeschiedenen Ort und gleichzeitig ein technisches Gerät, das seinerFunktion beraubt ist, wie geknebelt wirkt.

L. S.

( MUSIKBOX !"'$/'&

Abb. 43 Detail einer Wurlitzer Jukebox mit vertikal gelagertem Plattenteller und Tonarm

Abb. 42 Candida Höfer, Accademia Firenze I, 2008C-print, 263 x 200 cm, Fotografie

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Material: gesalzener und getrockneter Stockfisch,weiße Farbe, BindfadenMaße: 60 x 30 cmSignatur: unsigniertProvenienz: Joseph Beuys, Düsseldorf; Galerie Schmela, Düsseldorf; Gustav Adolf und Stella Baum, Wuppertal; Konrad Fischer, Düsseldorf;Lothar Schirmer, München;Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Joseph Beuys-Schenkung Lothar Schirmer

Abb. 44 Rembrandt (Harmensz van Rijn), Kreuzabnahme Christi, 1633Öl auf Zedernolz, 89,4 x 65,2 cmBayerische Staatsgemäldesammlungen/Alte Pinakothek, München

Fisch war das erste Beuys-Objekt, das ich in einer kommerziellen Galerie zuGesicht bekam, 1965 in der Ausstellung »Weiß – Weiß« bei Alfred Schmelain Düsseldorf, wo es neben anderen monochrom weißen Wandbildern undObjekten von Künstlern aus der Zero-Gruppe und deren Umfeld hing. Offensichtlich war der Rahmen nicht sehr eng gezogen, denn Beuys hatte ein weißes Objekt seines damals noch völlig unbekannten Schülers Palermo zu dessen großer Überraschung mit eingeschleust. Und als habe es AlfredSchmela darauf angelegt, den damalig familiären Zusammenhang der frucht-baren Düsseldorfer Künstlerszene in seinem Hause zu belegen, beauf trag teer Bernd und Hilla Becher mit der fotografischen Dokumentation der Aus-stellung. Ihnen verdanken wir, wie auf den nächsten Seiten zu sehen, nichtnur Titel und Datum von Fisch und Wurst, einem zweiten Beuys-Objekt inder Ausstellung, sondern auch einen Eindruck von der Ausstellung selbst undihrer Hängung. Einem getrockneten und stark gesalzenen Stockfisch – ein konserviertesLebensmittel mit jahrhundertelanger Tradition als Fastenspeise und See-mannsproviant – hat Beuys die Schwanz- und Seitenflossen mit weißer Farbebemalt und ihn dann mit einem einfachen Bindfaden kopfüber an die Wandgehängt. Was in Verbindung mit den Zero-Künstlern und in der Yves Klein-Tradition blaugefärbter Schwämme schlicht in die Kategorie »bemalte Mee-resfrüchte« abgelegt werden könnte, entpuppt sich bei näherer Betrachtung

) FISCH !"'#

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als skulpturale Erfindung mit christlicher Dimension, hergestellt mit dendenkbar geringsten Mitteln: Bindfaden, Stockfisch und ein wenig weißerFarbe. Auf den zweiten Blick verwandelt sich der Fisch vor unseren Augen in einumgekehrtes Kruzifix. Und für den kontemplativ-kunsthistorischen Blick wird es zu einem Bildder Kreuzabnahme Christi, wie das nebenstehende Rembrandt-Gemäldegleichen Themas in der Münchner Alten Pinakothek belegt. Der Titel Fisch und der Fisch, dessen Leib das Material der Skulptur bil-det, beschwören das altgriechische Wort für Fisch, ichthys, das heimliche Er-kennungszeichen der Christen in der Frühzeit des Christentums; die Buch-stabenfolge I CH TH Y S ergibt im Griechischen die Wortanfänge von Jesus,Christus, Gottes Sohn, Erlöser. Als Mataré-Schüler hatte Beuys in seinem Frühwerk einige eher traditio-nelle Versuche zu Christus- und Kreuzigungsdarstellungen unternommen;unzufrieden mit den Ergebnissen, hatte er das Thema danach aufgegeben. InFisch findet er nun durch eine überzeugende Verwendung von Form undMaterial (durch eigene, nun auch zeitgenössisch-profane Mittel) für dasThema Kreuzabnahme eine neue, hoch poetische, bildhauerische Lösung.Sie steht seiner berühmten Stuttgarter Kreuzigung von 1962/63 in ihrer be-rührend unpathetischen Eindrücklichkeit in nichts nach.

L. S.

Abb. 45 Joseph Beuys’ Fisch neben Wurst in der Galerie Schmela, Düsseldorf 1965. Foto Bernd und Hilla Becher

Abb. 46 Joseph Beuys’ Fisch in einer Ausstellungs situation in der Galerie Schmela, Düsseldorf 1965. Foto Bernd und Hilla Becher

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Material: Montage verschiedenster Materialien (Gips, Gummischläuche, Stecker, Stricknadeln, Bücher, Streichholzschachteln, Besteckteile, Chemikalien, Kreide, Fett, Farbpigment u.a.)Maße: 30 x 101 x 70 cmSignatur: »Joseph Beuys | Hasengrab | 1962–1967« mit Bleistift in seitlicher PappschachtelProvenienz: erworben vom Künstler,Lothar Schirmer, München;Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Joseph Beuys-Schenkung Lothar Schirmer

Abb. 47 Joseph Beuys in der Aktion Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt, Düsseldorf 1965. Foto Ute Klophaus

Mit Dürers berühmtem naturalistischen Aquarell eines lebenden Feld hasen(auch Junger Hase genannt) ist dieses Tier ein kunstgeschichtlicher Topos ge-worden, als Metapher wie als Naturphänomen. In der Kette der Tiermotive spielt der Hase bei Beuys neben Biene undHirsch eine Hauptrolle. Er ist das Tier, mit dem sich der Künstler als Personidentifiziert (»Ich bin ein ganz scharfer Hase«), weil ihm die Verhaltenswei-sen dieser Tierart besonders zusagten. Wahrnehmungsschnell, laufstark undhöchst fruchtbar ist der Hase in vielen Lebensräumen Europas und Asiensheimisch. Er lebt in der Regel als Einzelgänger im freien Feld. Im Werk von Beuys taucht der Hase, dieses Symbol äußerster Lebendig-keit, meist dann auf, wenn es den Tod darzustellen gilt: so als toter Hase, ge-kreuzigt in EURASIA Sibirische Symphonie 1963 32. Satz (EURASIA) FLU-XUS, 1966, und in der Aktion Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt.Hier hat ihn Ute Klophaus in ihrem ikonischen Foto mit Beuys zusammen in der Bildform der Pietà festgehalten. Beiden Todesbildern sind eine ar-chaisch-poetische Grausamkeit und tiefe Melancholie zu eigen. Ähnliches gilt auch für die Skulptur Hasengrab, in der der tote Hasebuchstäblich und tatsächlich begraben wurde. In einem Interview, das amEnde dieses Buchs zur Gänze abgedruckt ist, äußert sich Beuys zu seinenHasengräbern: »Ich habe einige Hasengräber in der Mitte der 60er Jahre gemacht … Jedes Hasengrab enthält einen Teil eines toten Hasen, bedecktvon einer Menge verschiedener Materialien … Die Materialien sind nicht besonders bedeutungsvoll; sie sind eher die chaotische Folge von dem, wasgerade vorhanden war. Wichtig war, dass Kontraste zwischen den verschie-denen Materialien entstanden und dass sie den Hasen bedeckten.« Wenn wir das Hasengrab von 1962–67 mit den Worten des Künstlers imOhr betrachten, fällt auf, dass die über den Hasenresten aufgetürmten undfest miteinander verklebten Dinge und Materialien aus der Küche, der Werk-statt und anderen Lebensräumen des Künstlers und seiner Familie stammen.Sechs Jahre (1962–67) hat die Beerdigungszeremonie gedauert, über sechsJahre hinweg ist das Grab angewachsen und aufgehäuft worden. Als einzigesaktives Gestaltungsprinzip nennt der Künstler die Notwendigkeit des Kon-trasts zwischen den einzelnen Elementen. Nur die Vielfalt der Gegenstände,ihrer Größen, Formen und Farben, kann das offenkundig angestrebte Chaosder plastischen Gesamterscheinung sicherstellen. Hinzu tritt das Verstreichen der Zeit, das den hier zum Grab aggregiertenGegenständen den Charakter einer Zeitkapsel verleiht – einer Zeitkapsel, dieals Objektiv fungiert und die Zeitspanne von 1962 bis 1967 abbildet, die aberauch eine stark subjektive Komponente hat und eine Art autobiographischen,»gegenständlichen« Roman – einen Roman in Gegenständen – ergibt. Es

" HASENGRAB !"'$–'(

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Abb. 48 Rückansicht

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handelt sich hier, wohlgemerkt, um ein Kunstwerk, das in einem Künstler-atelier entstanden ist und mit seinem chaotisch-melancholischen Charakterzur schöpferischen Atmosphäre des Ateliers am Drakeplatz stimulierend bei getragen hat. (Harry Shunks Foto zeigt das Hasengrab in Arbeit, auf demKüchentisch stehend, den es bald okkupiert hatte.) Wie Chaos in Künstlerateliers als Inspirationsquelle wirkt, zeigt uns einBlick in das Atelier von Francis Bacon, einem berühmten Zeitgenossen vonBeuys. Der Normalverbraucher würde im Hasengrab vielleicht einen Abfallhau-fen vermuten, aber Vorsicht: im anthroposophischen Kunstverständnis vonJoseph Beuys gibt es die Kategorie Abfall nicht. Alles ist zuerst Material undletztlich Substanz.

L. S.

Abb. 49 Blick in das Atelier von Francis Bacon, London. Foto Jesse Fernandez

Abb. 51 Hasengrab, Detail. Foto Ute Klophaus Abb. 50 Das Hasengrab auf dem Küchentisch in Beuys’ Atelier am

Drakeplatz 4 in Düsseldorf. Foto Harry Shunk

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Material: Farbige Gelatine, Wachs, TrafoteilMaße: 20 x 35 x 35 cmSignatur: »Joseph Beuys | 1969« auf einer Fotografieals ZertifikatProvenienz: Joseph Beuys, Düsseldorf; Sammlung Heinemann, Mönchengladbach; Galerie Löhrl, Mönchengladbach;Lothar Schirmer, München;Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Joseph Beuys-Schenkung Lothar Schirmer

Abb. 52 Joseph Beuys, Gelose-Objekt im Atelier am Drake platz, Düsseldorf 1969. Foto Eva Beuys-Wurmbach

»Safran macht den Kuchen gel« lautet die Zeile aus dem alten deutschenKinderlied Backe, backe Kuchen, die mir einfiel, als ich dieses Objekt zumersten Mal sah. Wahrscheinlich waren es der Endreim »gel« für gelb, die fri-schen Lebensmittelfarben und die Alliteration zu Gelose, dem Hauptmate-rial dieses höchst reizvollen, so kulinarisch aussehenden Stücks, die diesespontane Assoziation bei mir auslösten. Ich sah das Gelose-Objekt bei einer der Feiern des MönchengladbacherMuseums, die nach Ausstellungseröffnungen regelmäßig im Privathaus desKonditors Heinemann stattfanden. Beuys hatte ihm das Objekt angefertigtund sich dabei sicher vom Beruf seines Sammlers anregen lassen, dem einevolkstümliche Affinität zur Bildhauerei innewohnt. Ja, man könnte Bäckerund Konditoren als eine Art Pop-Artisten unter den Bildhauern ansehen,deren Skulpturen alle fünf Sinne der Kundschaft ansprechen müssen, vorallem natürlich den Geschmackssinn. Wir haben an anderer Stelle gesehen,dass Beuys den Verzehr einer Skulptur als Metapher für geistigen Konsumbei den Bienenköniginnen sprachlich thematisiert hat. Das Gelose-Objekt besteht aus drei becherförmigen, massiven Gelatine-kuchen, die in drei unterschiedlichen Farben – rot, gelb und hellrosa – gegossen sind. Der Durchmesser ist am unteren Ende geringfügig größer alsam oberen Ende, sie laufen leicht konisch zu. Als viertes Element sind zweiaufeinanderliegende Zylinder aus gelbem Bienenwachs beigefügt. Der un-tere Zylinder ist mit einem Transformatorenteil versehen, das dem ganzenObjekt einen emotional eher befremdlichen Drall in die technisch-elektri-sche Welt der künstlichen Energien gibt. Die Küchen- und Backstuben -atmosphäre wandelt oder erweitert sich damit zum Labor. Die vier Elementestehen zueinander in Position wie vier Augen eines Würfels. Mittlerweile ist der untere Wachszylinder unter dem Gewicht des dar-überliegenden etwas eingeknickt, was darauf schließen lässt, dass er nicht ausmassivem Wachs geformt ist. Die Gelatinekörper haben die langen Jahre seit ihrer Entstehung rechtgut überstanden. Sie sind auch heute noch in sich elastisch, was den Trans-port jedes Mal zu einem Abenteuer macht. Beuys, den ich einmal danachfragte, sagte, er habe die Gelatine mit Salicylsäure stabilisiert. Dieser Stoffkommt in ätherischen Ölen und als Pflanzenhormon in diversen Blättern,Blüten und Wurzeln in der Natur vor, kann aber auch synthetisch hergestelltwerden. Salicylsäure hat antimikrobielle Wirkung, sie dient außerdem zurHerstellung von Farb- und Riechstoffen in Kosmetika. In Form von Acetyl-Salicylsäure ist sie als bewährtes Schmerzmittel Aspirin bekannt. In hoherKonzentration hat sie allerdings toxische Wirkung.

L. S.

!* GELOSE-OBJEKT !"'"

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Material: Glasplatte, bemalt, StaubMaße: 24 x 77 cmSignatur: »Beuys 1958 –› 69« mit Graphit, recto in der unteren rechten EckeProvenienz: erworben vom Künstler,Lothar Schirmer, München;Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Joseph Beuys-Schenkung Lothar Schirmer

Die mit weißer Farbe beidseitig monochrom bemalte, langformatige Glas-platte diente Beuys wohl einerseits zur Staub- und Fleckenzucht und ande-rerseits als Zeichengrund. Marcel Duchamp und Man Ray lassen grüßen. Fünf Flecken, teilweise wohl Öl und teilweise Gips oder Ölfarbe, be -finden sich im linken Teil dieser Platte. Sie sind von Beuys in Bleistift mit Outline-Ziffern durchnummeriert. Am rechten äußeren Rand befindet sich ein Fleckenkonglomerat, das manals menschliche Gestalt lesen könnte. Hier sind drei Verbindungslinien zumRand ebenfalls mit Bleistift durchnummeriert. Die Gestalt des Flecks ist mitBleistiftstrichen umfahren, die gepfeilte Enden haben. Die Glasplatte mitder langen Genese von fast zwölf Jahren kam in meinen Besitz, als ich die Badewanne 1969 im Beuys’schen Atelier in der Kunstakademie abholte.

L. S.

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Material: Ofen, Filz, Asbest, gebrannter KalkMaße: 110 x 70 x 52 cmSignatur: »Joseph Beuys« mit Bleistift rechts auf derMetallplatte über dem TankProvenienz: erworben vom Künstler,Lothar Schirmer, München;Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Joseph Beuys-Schenkung Lothar Schirmer

Abb. 53 Joseph Beuys, Stockfisch mit Braunkreuzen und Hammer, 1965. Foto Eva Beuys-Wurmbach

Abb. 55 Raumsituation am Drakeplatz 4, 1968, mit Johanna Beuys, der Mutter von Joseph Beuys, dem Olbrich-Schrank und dem Ölofen. Foto Ute Klophaus

Abb. 54 Der Ölofen in der Atelierwohnung am Drakeplatz 4, Düsseldorf. Foto Eva Beuys-Wurmbach

Der Ölofen war, bevor er zum Kunstwerk umgearbeitet wurde, das ich 1970,zusammen mit Hasengrab und Mäusestall bei Beuys erwarb, lange das zen-trale Heizgerät im Wohn- und Arbeitszimmer der Beuys’schen Atelierwoh-nung am Drakeplatz, die die Familie im Frühjahr 1961 bezogen hatte. Wie alle Möbel und Wohnobjekte, mit denen sich Beuys umgab, war derOfen von ausgesucht ästhetischer Gestalt und flößte Vertrauen ein, in seinertiefschwarzen, schlichten Funktionalität. Wie er sich zwischen den großenOlbrich-Schrank und die einfachen Küchenmöbel ins Ambiente einfügte,sieht man auf den beiden Fotografien, deren eine die Mutter von Beuys beimBesuch der Familie ihres Sohnes zeigt; die andere zeigt eine Ausstellungs -situation einiger Werke im Alltagsleben des Künstlers, in der ein Ofen alsSockel für ein kleines Beuys-Objekt dient. Offensichtlich außerhalb der Heiz-periode. Wollte man den Ölofen als Realie mit Begriffen aus der Beuys’schen plas- tischen Theorie belegen, so wäre er als fettverbrennende Wärmeskulpturwohl nicht ganz falsch beschrieben. In die Kunstwelt, und speziell in meine Sammlung, entließ Beuys denOfen, nachdem er folgende Eingriffe vorgenommen hatte. Als Erstes malteer auf die dem Raum zugewandte Seite eine Axt (vielleicht ein Tomahawk),einen Fisch und eine kleine Figur, die ich immer als Apfel gedeutet habe. Eskönnte aber auch ein Schmetterling sein. Dann wurden die Malereien durchVerheizen des letzten Öls im Tank aufgebrannt. Anschließend legte er nocheine lose Asbestscheibe auf die hitzeführende Ofenplatte, sie entsprach inGröße und Form der Öffnung für den Rauchabzug. Zuletzt applizierte er auf

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Abb. 57 Rückansicht

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den Wärmeschutzschild, der den Öltank gegen die Hitzestrahlung des Ofen-körpers abschirmte, ein Stück Filz. Mit diesen beiden Isolierstoffen, Asbestund Filz, versehen, wechselte der Ofen nun die Fronten. Die Bemalung, die etwas Rituelles hatte, erinnerte an den getrocknetenStockfisch mit den Braunkreuzen und den Hammer, die jahrelang dem Ofengegenüber als Wandschmuck über dem großen Ledersofa hingen. Und na-türlich sollte die Ofentür immer offen bleiben, so wie der Rauchabzug. Als ich den Ofen abholte, hinterließ er zwei Öffnungen in dem Zimmer,in dem er gestanden hatte: eine in dem berühmten, aus Kuhhäuten zusam-mengenähten Bodenbelag, der wie der Boden einer tatarischen Jurte konzi-piert war und das Nomadische im Leben von Beuys unterstrich. Und einezweite in der Wand, in der das Ofenrohr an den Hauskamin angeschlossenwar. Das Loch im Bodenbelag schloss Beuys mit einer passgenauen Kupfer-platte, das runde, rußgeschwärzte Loch in der Wand blieb für immer offen.Eine Art Geisterfalle vielleicht, in jedem Fall eine Verbindung nach oben. Anlässlich der Ausstellung »Schwarz«, 1981, inszenierte Beuys das Ofen-loch in der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf als eigenes Kunstwerk. Op-tisch nur als schwarze Scheibe wahrnehmbar, war es ein echtes Loch in derAußenwand des Gebäudes (der verantwortliche Kustos der Ausstellung, derdie Bohrung durch die Außenwand genehmigt hat, war Klaus Schrenk, derheutige Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlung, er wurdedaraufhin von der Aufsichtsbehörde wegen Sachbeschädigung belangt). Das Werk Loch, das große Belustigung hervorrief, hatte an der Außen-seite des Gebäudes als Austritt ein Ofenrohr in Form eines Knies, dessenoberer Rand mit einem pagodenartigen Deckel vor Regen geschützt war.Derartige Ofenrohre sah man sonst nur an den Wagen des fahrenden Ge-werbes, an Zirkus- und Zigeunerwagen und an den vielen Behelfsunterkünf-ten der Nachkriegszeit. Und wenn ich mich recht erinnere, habe ich in demFilm Das fliegende Klassenzimmer von 1954 ein derartiges Ofenrohr aus demNichtraucherabteil eines Eisenbahnwaggons rauchen sehen, in dem ein Ge-legenheitspianist mit dem Spitznamen Nichtraucher seine Notunterkunft ge-funden hatte. Sein Name war seine Adresse. Ein größerer Kontrast als dieses Vaganten- und Behelfsheizungsinstru-mentarium an der Außenwand der schnieken, modernistischen Architekturdes Düsseldorfer Museums war nicht vorstellbar.

L. S.

Abb. 56 Der Ölofen mit drei zum Trocknen aufgespießten Kartoffeln, die sich heute als Teil einer weiteren Arbeit von Beuys in Kassel befinden. Foto Eva Beuys-Wurmbach

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Abb. 58 Joseph Beuys blickt durch den Wanddurchbruch für Loch, 1981, in der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf am Grabbeplatz. Foto Ulrich Baatz

Abb. 59 Joseph Beuys, Loch, 1981, Installation in der Kunsthalle Düsseldorf im Rahmen der Ausstellung »Schwarz«, Außenansicht der Kunsthalle am Grabbeplatz. Foto Benjamin Dodenhoff

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Material: KupferMaße: 70,9 x 50,3 cmSignatur: unsigniertProvenienz: erworben vom Joseph Beuys Estate, Düsseldorf, Lothar Schirmer, München;Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Joseph Beuys-Schenkung Lothar Schirmer

Abb. 60 Raumecke am Drakeplatz 4 nach dem Entfernen des Ofens mit Ofenloch und Fehlstelle im Leder fußboden, Düsseldorf 1999. Foto Karl Schade

Abb. 61 Joseph Beuys Kupferplatte in originaler Installation im Lederfußboden am Drakeplatz 4, wo siedie vom entfernten Ofen zurückgelassene Fehlstelle ausfüllte, Düsseldorf 1999. Foto Karl Schade

Die Geschichte der Kupferplatte, die Beuys schneiden ließ, um die Lücke zuschließen, die der Ofen im Lederfußboden hinterlassen hatte, beginnt wohlneun Jahre bevor ich den Ofen in Besitz nahm. Wahrscheinlich hat Beuys, als er mit Hilfe seiner Frau den Fußbodenbelag für das Zimmer nähte, ausKarton eine Schablone geschnitten, nach dem Grundriss des Ofens, der ausgespart werden musste. Diese Schablone (aus schwerem Karton) befindetsich heute als braun bemalter Karton im Secret block, 1977, Arbeit Nr. 369,und ist mit dem Entstehungsjahr 1962 datiert. Sie hat das gleiche Maß wiedie Kupferplatte, was die Vermutung, sie habe als Schablone gedient, nahe-legt. Aufgrund der Bedeutung, die Beuys dem Entwurf damit gegeben hat, hatder Nachlass die Datierung der Kupferplatte auf die Zeit von 1962 bis 1970festgelegt. Die beiden Vergleichsabbildungen zeigen die Kupferplatte im Lederfuß-boden, im Hintergrund das offene Ofenloch im Atelier am Drakeplatz.

L. S.

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(KUPFERPLATTE FÜR DIE OFENSTELLE)

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Material: Verschiedene Materialien (Holzstall mit Metallgitter, Nussschalen, Eierschalen, Getreide -körner, Kräutersträußchen u. a.)Maße: 53 x 104 x 49 cmSignatur: »Joseph Beuys | 1968–1970« mit Bleistift auf der Unterseite des StalldeckelsProvenienz: erworben vom Künstler,Lothar Schirmer, München;Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Joseph Beuys-Schenkung Lothar Schirmer

Das Habitat einer Hausmaus, die Beuys in seinem Wohnzimmer, dem Ar-beits- und Lebensraum am Drakeplatz, wohl auch zur Unterhaltung seinerKinder hielt und pflegte. Ein kleiner Käfig, der vermutlich zum Transport ge-dient hatte, steht als eine Art Haus im Haus in einem wesentlich größeren,rechtwinkligen Verschlag, dessen hölzerne Rahmen mit Drahtgitter abge-spannt sind. Der Verschlag ist über eine kleine Klapptür zugänglich, die ausdem Deckel ausgeschnitten ist, aber auch über den Deckel selbst, der zurGänze aufklappbar ist. Den Boden des Gehäuses füllen in einer Höhe vonetwa 10 cm Speisereste, Eierschalen, Nussschalen, sowie Streumaterialienwie Stroh, Gräser, Zweige etc. Sie sind nicht fixiert. Die Ordnung dieser Materialien scheint durch die rastlose Tätigkeit derMaus hergestellt. Jedenfalls zeigen die Fotos, die Ute Klophaus aufgenom-men hat, eine recht gleichmäßige Verteilung des Materials, sehen wir einmalvon den Eierschalen zur Calziumversorgung ab. Man könnte fast die von der»Körperschrift« der Maus erzeugte Textur lesen, und man hat den Eindruck,als habe sich die Maus in fast zweijähriger Arbeit mit ihren abgenagten Hab-seligkeiten recht ordentlich eingerichtet. Jedenfalls scheint die Energie derBewegung von Pfoten und Gebiss in den Überresten ebenso eingeschriebenwie die von Jackson Pollock in die Oberfläche seiner Gemälde. Von Beuys hingegen stammt, neben der fütternden Hand, auch das Ge-häuse und kleine Sträußchen getrockneter Kräuter, von denen er eines aufden kleinen Käfig im Käfig gelegt hat wie auf ein Grab. Er sagte, er habe sieauf einem Ausflug in Stonehenge gepflückt.

L. S.

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Abb. 63 Mäusestall, Kräutersträußchen und Getreidekörner auf dem Dach des kleinen Stalls. Foto Ute Klophaus

Abb. 62 Mäusestall, Blick in das geöffnete Objekt. Foto Ute Klophaus

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Material: Besen (Holz, Roßhaar) mit 1 mm Silber -mantel, massives Kupfer, FilzMaße: 139 x 51 cm, 130 x 51 cmSignatur: punziert auf Silberbesen unter dem Stielansatz »JOSEPH BEUYS | BESEN 1 1972 | © EDITION BLOCK | BERLIN | 19/20«Auflage: 20 + IVProvenienz: Edition René Block, Berlin;Lothar Schirmer, München;Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Dauerleihgabe Lothar Schirmer

Abb. 64 Joseph Beuys, Silberbesen und Besen ohneHaare, die drei vorgeschlagenen Präsentations -möglichkeiten, Edition René Block, Berlin 1972.Fotos Hermann Kiessling

Eine von Beuys entworfene Besen-Skulptur, deren Anfertigung er einem Silberschmied und seinem Kunsthändler René Block anvertraute. Ausgangs-punkt ist ein einfacher Mühlenbesen mit hölzernem Stiel und einem Riegel,der mit Rosshaarborsten bestückt ist. Das Reinigungswerkzeug für Fußbö-den ist (mit Ausnahme der Borsten) zur Gänze mit poliertem Silberblech von1 mm Stärke überzogen und so seines profanen Daseinszusammenhangs ent-hoben. Ein Kollege in gleicher Größe, aber nutzlos, weil ohne Borsten, und ausmassivem Kupfer (der Stiel naturalistisch nachgebildet, der Riegel stilisiert)ist ihm beigestellt. Eine Filzsohle im Zuschnitt des Riegels wärmt und isoliertvon unten. Für die Aufstellung des seltsamen Paares gibt der Künstler die unten ab-gebildeten drei Vorschläge. Vielfältig wie die Möglichkeiten, das Objekt einzurichten, sind auch dieInterpretationsmöglichkeiten. Die Besen haben jedenfalls in der Bearbeitungdurch Beuys eine Verewigung erfahren. Und mit dem Silber als wertvollemEdelmetall wird, gegenüber dem Kupfer, eine höhere Ebene aufgerufen. EinBesen vielleicht für den Himmel und einer für die Hölle? Wir müssen unsweder an Goethes Gedicht Der Zauberlehrling erinnern, obwohl es sich sehrschön im Anblick dieser Besen liest, noch an den »Hexenbesen«, um uns insBewusstsein zu rufen, mit welch vielfältigen Glaubens- und Aberglaubens-vorstellungen dieses Straßen-, Haushalts- und Werkstattreinigungsgerät inder Geschichte des Abendlands verbunden wird. Beuys erprobte die psychischen Kräfte seines eigenen Stubenbesens abund zu an seinen Hausgästen. Wenn sich die Freunde nachts bei ihm festge-sessen hatten und keiner gehen wollte, stand er auf, ergriff den Besen undbegann, den Raum auszufegen. Das Zeichen verfehlte seine Wirkung nie: allebrachen umgehend auf.

L. S.

!* SILBERBESEN UND BESEN OHNE HAARE !#$"

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Material: Spielzeugeisenbahn, Lokomotive ohne Gehäuse, rote Fahne, zwei GüterwagenMaße: 44 x 35 x 4 cmSignatur: »Joseph Beuys 6/12« mit Bleistift in der Verpackungsschachtel aus grauer Pappe unter der LokomotiveAuflage: 12 + III + 1Provenienz: Edition Schellmann, München;Lothar Schirmer, München;Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Joseph Beuys-Schenkung Lothar Schirmer

Abb. 66 rechts: Joseph Beuys, Unbetitelt, 1972Karte, beschrieben und gestempelt, 21 x 15 cmSammlung Klaus Staeck, Heidelberg

Abb. 65 Joseph Beuys, Fahne, Installation auf derKunstmesse Düsseldorf, 1974. Foto Ute Klophaus

Als ich die kleine Eisenbahn – den schwarzen Zug mit der leuchtend rotenDreiecksfahne – auf der Kunstmesse in Düsseldorf 1974 in der Koje von Jörg Schellmann zum ersten Mal ihre Runden fahren sah, war ich von der visionären Kraft dieses politischen Objekts fasziniert. Welche Leichtigkeit, ein Kinderspielzeug, kaum monumentale Kraft, mitder hier die Idee von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, von einemwinzigen roten Dreieck symbolisiert, durch die Welt gefahren wurde. Unddann der lakonische Titel Fahne. Strelnikows berühmter Revolutionszug ausdem Film Dr. Schiwago (1965) war als Vorbild unverkennbar. Doch statteiner illusionistischen, furchterregend-futuristischen Form ein Spielzeug undder ernüchternde Einblick in die grundlegenden, elektrischen Mechanismenund Mechaniken, den Beuys durch die Entfernung des Lokomotivenge -häuses gibt. Und schließlich sind da noch die Wegstrecke, die zurückzulegen ist, unddie geringe Geschwindigkeit des Gefährts. Eine Postkarte von Klaus Staeck, auf der die Titelseite von Satzung undProgramm der »Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstim-mung« abgebildet ist, mit Notaten von Beuys, enthüllt als Fragment, woBeuys den maßgeblichen Fehler des proletarischen Marxismus ansiedelt: indessen Unglauben an den Menschen. In seinem Glauben an den Menschenjedenfalls ist Beuys von niemandem zu übertreffen.

L. S.

!' FAHNE !#$(

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Abb. 67 Joseph Beuys, Fahne, Installation auf der Kunst -messe Düsseldorf, 1974. Foto Ute Klophaus

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Material: Filz, genäht; gestempeltMaße: ca. 170 x 60 cmSignatur: Etikett auf der Innenseite der Jacke »Joseph Beuys | EDITION 27 | GALERIE RENÉBLOCK | BERLIN 1970 | 100 EXPL. EXPL. NR. 14«Auflage: 100 + 10 h. c.Provenienz: Edition René Block, Berlin;Lothar Schirmer, München;Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Dauerleihgabe Lothar Schirmer

!$ FILZANZUG !#$%

Der Filzanzug: halb Uniform, halb Spezialkleidung für unbekannte Zwecke,halb Hausanzug, halb Anstaltskleidung (auf diesen Zweck deutet das Fehlenjedweder Knöpfe und Schließmechanismen, das den Anzug eigentlich alsnicht benutzbar ausweist). Vielleicht also doch eher der Herrenanzug alsgeschneiderte Skulptur? Hinzu kommt, dass Filz, entgegen landläufiger Meinung, ein sehr hochwertiges und teures Material ist, das es vom Preis prolaufendem Meter mit jedem teuren Anzugsstoff aufnehmen kann. Die Verwendung als Karnevalskostüm durch die Mitglieder der Karne-valsgesellschaft »Alti Richtig« in Basel ist belegt, vielleicht war es auch nurdie Flucht vor der existenziellen und ungeklärten »Grau«-samkeit des Ob-jekts in den Humor. Beuys, der Erfinder ausgefallener Bilder und Objekte,hat mit dem Filzanzug jedenfalls ein schattenhaftes Werk geschaffen, das ihnund seine so sehr vermisste Gestalt nach seinem Tod in allen Ausstellungenals eine Art Stellvertreter verfolgt – das also die Anwesenheit des Abwesen-den darzustellen vermag.

L. S.

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Abb. 68 Joseph Beuys, Osiris, 1970/79Packpapier auf Leinwand, Klebeband, Bleistift, Kugelschreiber, 188,5 x 303,5 cm

Sammlung Marx/Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin

Aus den Schnittmustern des Filzanzugs hat Joseph Beuys dieses Tafelbild verfertigt. Es ist sozusagen die zweidimensionale Version des Filzanzugs.

Abb. 69 Joseph Beuys, Teil des Environments Feuerstätte II 1978–79 unter Verwendung der von den Mitgliedern der Basler Fasnachtsclique »Alti Richtig« getragenen Kopien

des Multiples Filzanzug im Hofumgang des Kunstmuseums Basel, 1979 (oben)

Abb. 70 Der Umzug im Februar 1978 (links)

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Environment: 2 Werkzeuge (Schepser), 2 weiße Tafeln,2 doppelzinkige Forken mit Tuchfetzen auf 2 Schieferstücken stehend, 2 Leichenbahren, 2 Fettkisten, 2 Schultafeln, 2 Ausgaben der Zeitung La Lotta ContinuaMaße: ca. 500 x 800 x 580 cmSignatur: »Joseph Beuys« mit Braunkreuz und StempelHauptstrom auf den Eisenblättern der Schepser, »Joseph Beuys« auf den Unterseiten der Schiefertafeln(Forken) und »Joseph Beuys für Jörg Schellmann«,bzw. »Joseph Beuys für Bernd Klüser« mit Bleistift aufden Banderolen der ZeitungenProvenienz: Joseph Beuys, Düsseldorf; Städtische Galerie im Lenbachhaus, München

Joseph Beuys hat diese raumgreifende Arbeit 1974/75 geschaffen und in Mün-chen erstmals im Februar 1976 anlässlich einer von der Galerie Schellmann undKlüser organisierten Ausstellung im Kunstforum gezeigt, jenem unterirdischenRaum an der Maximilianstraße, der von der robusten Hässlichkeit eines Ver-kehrsbaus geprägt war und abweisende Kälte ausstrahlte. Er war niedrig undbreit gelagert, so dass die unterschiedlichen Objekte des Environments verein-zelter wirkten als in der späteren Präsentation im Lenbachhaus. Die Ausstrah-lung und abseitige Lage des Ortes verstärkten das Thema der Beuys’schen Arbeit zusätzlich. Die Fotografien von Ute Klophaus vermitteln einen Eindruckdieser ersten Installation außerhalb eines Museums. Armin Zweite, damals Direktor der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, der den Erwerb von zeigedeine Wunde gegen teils massive Widerstände durchsetzte, konnte JosephBeuys dann nur einen relativ kleinen Ausstellungsraum für den Aufbau der Arbeit anbieten. Erstaunlicherweise wurden die formale Dichte und Klarheitdes Werks in dem eher engen, aber höheren Raum deutlich gesteigert. Die vom Künstler selbst vorgenommene Einrichtung im Lenbachhaus erfolgte imJanuar 1980. Die Erwerbung von zeige deine Wunde für die Sammlung des Lenbachhau-ses wurde seinerzeit von heftigen Kontroversen auf politischer wie publizisti-scher Ebene begleitet. Dabei ging es absurderweise um die Frage nach der»Kunstwürdigkeit« des Werks, die zumeist in Abrede gestellt wurde. Eine zwei-bändige Dokumentation – ein Band mit Aufnahmen der Arbeit im Kunstforumund im Lenbachhaus von Ute Klophaus und einem erläuternden Text vonArmin Zweite sowie ein weiterer Band mit den Reaktionen auf den Erwerb(Abb. 85, S. 137) – vermittelt anschaulich, welch weitreichende Folgen dieser Ankauf für das Lenbachhaus hatte. Tatsächlich hielt mit diesem kapitalen Werkeine neue Form von Kunst Einzug in die Sammlung und bestätigte die Bot-schaft, die das Lenbachhaus seit Anfang der 70er Jahre mit seinen Ausstellun-gen verbreitete. Zugleich wurde erstmals ein bedeutendes Werk eines Künst-lers erworben, der keinen unmittelbaren München-Bezug hatte. Dies eröffnetefür die weitere Entwicklung der Sammlung die notwendigen Freiräume.

Im Mittelpunkt von zeige deine Wunde stehen paarweise angeordnete Lei-chenbahren. Es handelt sich dabei um alte Geräte aus der Pathologie, vollerSpuren des Gebrauchs und der Abnutzung – banal und erschreckend in einem.Diese Bahren hatten nur die eine Funktion, die Körper Verstorbener für die pa-thologische Untersuchung zu transportieren. Die Bleibleche der Liegeflächensind von der Last ungezählter Leichen ausgemuldet. So sind sie auch zu seich-ten Hüllen oder Negativformen geworden, aus denen die Abwesenheit der Kör-per spricht. Die Bleischwere des schwermütigen Metalls betont die Melancho-

!) ZEIGE DEINE WUNDE !#$(/$*

Abb. 71 Die zwei Schepser mit Braunkreuz und Stempel Hauptstrom, Detail aus zeige deine Wunde.Foto Ute Klophaus

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lie, von der die Geräte künden. Der abgeplatzte, vergilbte Anstrich auf den zu-sammengeschraubten Eisenrohren verstärkt ihre Trostlosigkeit. Die mit Hart-gummi bereiften Räder zeigen jeweils paarweise leicht nach außen hin zum Be-trachter. So verweisen die Bahren auf den Tod als unausweichliche Konsequenzdes Lebens. An der Wand über den Bahren hängen rechteckige Kästen ausZinkblech, die mit einer Glasscheibe abgeschlossen sind. Diese Scheiben sindinwendig mit Fett berieben. Sie gleichen trüben Lampen über den Kopfendenund verstärken den Eindruck des Erloschenen. Joseph Beuys hat beide Bahrenim Lenbachhaus streng parallel so in eine Raumecke gedrängt, dass sie schonbeim Betreten des Raumes unausweichlich in den Blick des Betrachters gera-ten. Die Unausweichlichkeit des Todes wird angesichts dieser abgekämpften,alten Gerätschaften zu einem beklemmenden Thema. Die präzise ausgewähl-ten, vom Künstler nicht weiter bearbeiteten Gegenstände erhalten durch dieentschiedene Setzung eine plastische Form und werden zu einem Bildwerk vonungeheurer Wirkung und mit eindeutiger Botschaft. Der Tod erscheint nichtauf metaphorischer Ebene, sondern im Zeichen seiner Realität.

Weitere, ebenfalls paarweise angeordnete Gegenstände verstärken diese Bot-schaft. Unter den Bahren befinden sich zwei geöffnete, mit Fett gefüllte Blech-kästen. Auf der gelblichen, inzwischen teilweise rostbraun verfärbten Masseliegt je ein Thermometer, während schräg über die Kistenränder Reagenzgläsermit jeweils einem skelettierten Drosselschädel herausstehen. Vor den Kästenund unter den Glasröhrchen stehen schließlich zwei mit Gaze abgedeckte Ein-machgläser, die sich genau unter den Löchern befinden, die durch die Blei -bleche gebohrt sind, um Körpersekrete abfließen zu lassen. Das Arrangementerinnert an eine physikalisch-chemische Versuchsanordnung, aus einem verlas-senen und vergessenen Labor/Laboratorium. Bei Beuys ist das Fett als organi-sche Energiequelle zu verstehen, als Wärmespender (durch das Thermometerangezeigt) und damit als die potentielle Energie, durch die der Aggregatzustandin Bewegung kommen könnte. Allerdings bleibt die lebenspendende Substanzunwirksam. Die Reagenzgläser enthalten nur noch Knochen, die durch den Gazefilter passierte Flüssigkeit ist verschwunden. Alles Lebendige hat sich ver-flüchtigt, die Filter haben nicht einmal Spuren festgehalten, die Gläser amBoden sind so leer, als hätten sich die Vogelkörper und Körpersäfte der Totenins Nichts aufgelöst. Am Beispiel der Fauna wird verdeutlicht, so könnte manfolgern, dass der Übertritt vom Leben in den Tod eine Auflösung der physi-schen Existenz ins absolute Nichts bedeutet. Diese einfache, sinnfällige Anord-nung alltäglicher Utensilien thematisiert das Thema Tod.

Andere Elemente der Installation aber verweisen auf kulturhistorische Zusam-menhänge, auf die Sphäre von Arbeit und Information, auf Leben im weitestenund allgemeinsten Sinne. Da sind zunächst zwei Schepser, Geräte aus dem Vor-alpenland, die ursprünglich dazu dienten, die Rinde von Bäumen zu entfernen.Zwei weiße Tafeln isolieren diese Werkzeuge von der Wand und machen siezum Bild, das genau im Raum verortet ist. Stempel und Signatur auf den Abb. 72 Die beiden doppelzinkigen Forken auf Schiefertafeln, zeige deine Wunde, Detail. Foto Ute Klophaus

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Metallklingen schließen sie als Bilder von erneuter Verwendung aus. Die Eisender Geräte berühren sich in einem Punkt. So entsteht im Unterschied etwa zuder Arbeit Doppelspaten (1965) keine feste, zusammengewachsene Form. DieWerkzeugstiele strahlen in den Raum, während die flachen Klingen an der wei-ßen Fläche aufliegen, als hätten sie eben das Bild abgeschabt und eine blankeLeere hinterlassen. Die Winkelschräge erweist sich als Kontrast zur Ortho -gonalität der Bahren. Ein Dreieck bilden auch die zwei an der gegenüberlie-genden Wand lehnenden, doppelzinkigen Forken. Die mittlere Zinke des ur-sprünglichen Dreizacks wurde entfernt. Mit diesen Werkzeugen verfestigte manfrüher Schotter unter Gleisen. Die Tuchfetzen stammen noch von der Kleidungder Bahnarbeiter und verweisen auf die schweißtreibende Arbeit, die sie verrichteten. Beide Geräte stehen auf kleinen Schiefertafeln, Rückseiten vonSchreibtafeln mit aufgedruckten Zeilenlinien, an denen Kinder das Schreibenerlernten. Beuys hat mit den Forkenspitzen unvollendete Kreisschläge in denSchiefer geritzt. Angesichts der heute verwendeten, riesigen Maschinen, die beiGleisarbeiten eingesetzt werden, erscheinen die Geräte archaisch primitiv. DieEinritzungen zeigen, dass die Forken hier wie Zirkel benutzt wurden. Das grobeArbeitsgerät wird zum technischen Zeichenapparat, der schräg aufsitzt, als wäresein Einsatz nur kurz unterbrochen und die Vollendung des Kreises noch zu leisten. Ob sich das auf den Künstler als Schöpfer bezieht oder auf den gesam-ten hier vorgestellten Zusammenhang, bleibt offen. Die unmittelbare Nähe zuden Fettkästen und dem dort angedeuteten Kreislauf verstärkt das Bild des un-vollendeten, aber endgültig abgebrochenen Vorgangs, des Lebens. Stehen die Schreibtafeln für den Lebensanfang, so verstärken die großenschwarzen Schreibtafeln als Lernorte diese Lesweise. zeige deine Wunde stehtmittig auf diesen mit Kreide geschrieben. Die Schultafeln tragen die Botschaftund wenden sich mit einer Aufforderung an den Betrachter. Beuys hat die bei-

den schwarzen Hochrechtecke so angeordnet, dass der schmale Zwischenraumzwischen beiden Tafeln die Wandmitte markiert. Der Abstand entspricht demzwischen den Bahren. Die Fluchtlinie entlang der linken Tafelkante wird vonder Bahre rechts wieder aufgenommen. Diese Anordnungen verdeutlichen denZusammenhang der rechteckigen Bildträger dieser Arbeit. Links oberhalb der Forken hängen zwei weiße Insektenkästen, in denen aufgerasterter Grundfläche je eine gefaltete Zeitung in Banderole gezeigt wird.Diese ungeöffneten, also ungelesenen Botschaften sind leicht schräg montiertund reihen sich so formal zu den Geräten und Apparaturen. Das linksgerichtete,in Italien publizierte Blatt La Lotta Continua (Der Kampf geht weiter) befin-det sich noch in seiner Versandhülle, adressiert an Beuys selbst, den der Inhaltoffenbar nicht interessierte. Beuys geht es um »la LOTTA CONTINUA VERA«,wie er das Multiple Bruno Corà-Tee, eine mit Kräutertee gefüllte Coca-Cola-Flasche etikettierte. Die alten, ungelesenen Nummern des vergilbten Blattesbeinhalten längst überholte Geschehnisse und sind Zeugnisse von Vergange-nem, konservieren den historischen Augenblick der Entstehung des Werkes. Siegehören in den Bereich des Abgelegten. Nirgends sonst wird das Altern der Arbeit deutlicher ablesbar als an den Zeitungen. Längst sind die Aufschriftenauf den Banderolen verblasst und das Papier verbräunt. Wie die Werkzeugehaben auch die Zeitungen ihre Funktion eingebüßt und symbolisieren die Margina lität und Hilflosigkeit des menschlichen Tuns, dem der Tod unverrück-bar gegenübersteht. Leben und Sterben, Individuum und Gesellschaft, Gegenwart und Vergan-genheit lauten die Themen dieser großen Arbeit von Joseph Beuys. In der zu-nächst eigentümlich anmutenden Verdoppelung aller Details, die zusammenden Charakter des Werkes bestimmen, findet sich ihre Erklärung. zeige deineWunde spricht unser Bewusstsein vom Ableben als existentieller Grenze undder Verletzlichkeit des Menschen durch die Zivilisation an. Eine weitergehendeDeutung stößt an innere, vom Künstler klar gesehene Grenzen, wenn er sagt:»In diesem Konzert der Gegenstände spreche nicht ich, sondern die Dingehaben ihre eigene innere Sprache. Das zu erfassen, kann man niemandem ab-nehmen.«

Festhalten lässt sich, dass die zentralen Objekte dieser Arbeit erschüttern unddarüber etwas beim Rezipienten auszulösen vermögen. Was bei oberflächlicherBetrachtung als zufällige Ansammlung heterogener Geräte, Relikte, Materialienerscheint, lässt sich in einen sinnvollen Zusammenhang bringen. Allein die Ver-gegenwärtigung der ursprünglichen Funktion der Geräte und ihres jetzigen Zu-stands legt den Rahmen möglicher Deutungen fest. Die Leserichtung aller Teileist vorgegeben durch die sinnstiftende Anordnung und die formale Logik, diedas Werk zum Ganzen bindet.

H. F.

Abb. 73 Joseph Beuys bei der Installation von zeigedeine Wunde im Kunstforum an der Maximilianstraße, München 1976. Foto Ute Klophaus

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Rauminstallation / Environment aus 28 Elementen: 3 Wandelemente, 1 beschriftete Tafel, Schwamm, Carbitlampe, 1 Pult mit Küchenmesser, Petroleum-lampe, Schemelsitz mit Fett, darunter Holzplatte mitstanniolumwickelter Spitze, 3 Bodenplatten, darauf Pyramidenstumpf, mit Projektionsschirm, 7 Holz -elemente mit Holzhammer, 1 hölzerner Quader mitKlappe und 2 Holzkeile, 1 kupferner Spazierstock auf HolzgestellMaße: ca. 600 x 300 x 250 cmSignatur: »Joseph Beuys | Porz, 24.10.1980« mit Kreideauf der Rückseite der Tafel und »Joseph Beuys | Porz,24.10.1980« mit Bleistift auf der Oberseite des Tischesneben der LampeProvenienz: erworben vom Künstler,Lothar Schirmer, München; Städtische Galerie im Lenbachhaus, München

Abb. 74 Giorgio de Chirico,Metaphysisches Interieur mit großer Fabrik (Interno metafisico con grande fabbrica), 1916 Öl auf Leinwand, 96,3 x 73,8 cmStaatsgalerie Stuttgart

Die monumentale Arbeit mit dem geheimnisvollen Titel vor dem Aufbruchaus Lager I besteht aus zwei Gruppen räumlicher Elemente. Die braun be-malten, im wesentlichen hölzernen Stücke sind Überbleibsel aus dem Büroder »Organisation für direkte Demokratie« in der Düsseldorfer Andreas-straße. Die Tafel, der Zeichentisch (kurz: alle gelblich-grünen Elemente) sindGegenstände, die Beuys kurz vor Vollendung des Werks bei einem Vortrag imstädtischen Gymnasium der Stadt Porz am 24.10.1980 verwendete und dannaus dem gymnasialen Zusammenhang entführte. Fünf Wochen später, am 28. November 1980, präsentierte er die Gesamtarbeit in der Ausstellung»Zeichen und Mythen – Orte der Entfaltung« im Bonner Kunstverein. Die Schultafel stand nun als eine Art Tafelbild im Zentrum des Ensem-bles. Armin Zweite hat bereits früh auf die formale Ähnlichkeit mit frühenmetaphysischen Bildern de Chiricos und den Bezug zur künstlerischen Tra-dition des Atelierbilds hingewiesen. Die Datierung, die für Konzeption und Fertigstellung einen Zeitraum vonelf langen Jahren angibt, erinnert an Courbets berühmtes Gemälde Das Atelier des Künstlers von 1855 mit seinem ominösen Untertitel Wirkliche Allegorie, eine siebenjährige Phase in meinem künstlerischen (und morali-schen) Leben bestimmend. Lassen wir, was die biographischen Bezüge undden rätselhaften Titel über eine Expedition betrifft, Beuys selbst zu Wortkommen:

EB: […] was in dieser Installation an Objekten ist, was sie bewegen soll,was sie für eine Botschaft enthält. Schon der Titel hat irritiert, ich meinepositiv irritiert. Man möchte wissen, was das eigentlich ist.JB: In diesem Titel »vor dem Aufbruch aus Lager I« steckt natürlich einTeil realer Geschichte. Keine Geschichte, die so weit zurückreicht wie derSchamane, sondern eine Geschichte, die zurückgeht auf 1965, als ich dieOrganisation für die direkte Demokratie gegründet hatte. Als wir diesesBüro aufgelöst und in die nächste Stufe übergeführt haben, habe ich ge-sagt, dass ich alles das, was in diesem Büro vorhanden war an Werkzeu-gen und Drucksachen, womit wir versucht haben, alles mögliche an dieMenschen heranzubringen, z.B. solche Dokumentationstrichter, all daswerde ich in eine Form bringen, um das zu dokumentieren, wie diese Stufeausgesehen hat. Es ist ein ganz realer Titel vor dem Aufbruch aus Lager I,Lager I wird jetzt genommen als erster Versuch, den erweiterten Kunst-begriff durch eine Institution zu bewirken. Das war Lager I. Also im Ver-hältnis zu Lager I könnte man sagen, dass wir heute etwa in Lager VIIIsind, weil danach einige wichtige Schritte vollzogen wurden, und vondaher muss man den Titel sehen, also ganz real, dass wir uns in einer Auf-

!# VOR DEM AUFBRUCH AUS LAGER I !#$%–)%

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Abb. 75 Joseph Beuys bei der ersten Installation von vor dem Aufbruch aus Lager I für die Ausstellung »Joseph Beuys. Arbeiten aus Münchener Sammlungen«im Lenbachhaus, München 1980/81. Foto Ute Klophaus

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bruchstimmung befinden und dass wir den Gipfel erklettern werden, alsodie ganzen Schwierigkeiten überwinden werden, die wir in dieser Zeithaben. Da sind nun die Formen da. Diese Formen spielen für die Infor-mation eine gewisse Rolle, sehr kantige Formen, prismatische Formen,man kann gewissermaßen sagen Formen, die die Sehgeometrie widerspie-geln müssen; ein Sehvorgang, der keilförmig, winkelförmig ist, tritt dastark in Erscheinung. Oder Öffnungen, ausgesägte Formen wie etwa einKasten. Hier wird versucht, die Sinnesrezeption in diesem ganz elementa-ren Sinn auszudrücken. Durch diese Scharfkantigkeit kommt natürlich einneues Element herein, z.B. ein ganz anderes Verständnis von Kubismus.Wenn man den Raum sehen könnte, so würde man sagen, dass es so etwaswie Realkubismus sei. Es ist nicht ein Kubismus, der im Bild ein Konzepthat wie die Kubisten es sahen, eine Allseitigkeit in der Fläche der kantigenoder auch runden Formen, sondern diese treten ganz real auf, als Werk-zeuge, mit denen man so umgeht, dass eine Allseitigkeit tatsächlich er-reicht wird, in einer Gesamtsicht; letztlich muss man zum Beispiel heuteKultur so verstehen; denn Kultur ist ja heute eigentlich kein Begriff mehr,er ist schon ein Begriff der Herrschaft geworden. Sogar der Begriff derHumanität ist ja der materialistische Ausdruck für barmherzige Liebe,oder wie immer man es ausdrücken will. Es ist also alles heruntergewirt-schaftet. Ganz abgesehen davon, dass unsere Kultur ja keine Geisteskul-tur, sondern eine Wirtschaftskultur ist. Diese allseitige Problematik habeich versucht, in einer solchen Ecke noch zu erhalten.EB: Es kommen ja in Ihren Werken immer wieder dieselben Metaphernvor, etwas was sich wie ein roter Faden durchzieht. Das finde ich sehr beeindruckend, denn Ihre Arbeiten sind ein Gesamtkomplex. In dieserArbeit ist z.B. auch wieder eine Tafel.JB: Wir hatten an unserem Arbeitsplatz in diesem Büro immer solche Tafeln. Aber diese große Tafel, die wir da hatten, die wurde irgendeinmalschon an einen Geldgeber verkauft, also es sind auch Geldtafeln. Ich hatteanfänglich nicht daran gedacht, eine Tafel dazuzutun. Aber einen Monatbevor ich dieses Objekt in Bonn ausstellte, habe ich eine Aktion mit Schü-lern in einer Schule gemacht mit einer Tafel und über den Energiezusam-menhang gesprochen. So steht also wieder auf der Tafel diese Grundfigur.Und auf dem Tisch haben wir mit einem Pfund Butter, sozusagen modell-haft, die drei Hauptpunkte der Aktion nochmals abgebildet. Diese Tafel istalso erst am Schluss dazugekommen. Obschon sie eines der letzten Akti-onsdokumente ist, schließt sie wieder an den Anfang an, und so gehört esalso auch wieder da hinein. Es ist aber da hineingekommen. Ich produ-ziere ja eigentlich nie Sachen, indem ich sage, ich muss jetzt etwas machen– wie ein Bildhauer eine Skulptur oder ein Schriftsteller einen Text –, son-dern ich warte immer Ereignisse ab, bis eine Sache sinnvoll gemacht wer-den kann, d.h., ich warte immer auf den Moment, wo es nicht mehr zuumgehen ist. Sonst mache ich es nicht. Es muss seine innere Geschichtehaben, seine Notwendigkeit und aus der Begegnung mit den Menschen in

der Zeit hervorkommen. Es hat immer einen Zusammenhang mit dem Dia-log über die Bewusstseinslage oder auch über das Nicht-Bewusstsein.*

Das Werk ist als Solitär, als Einzelstück angelegt, wahrscheinlich, weil es vonAnfang an für eine Gemeinschaftsausstellung mit anderen Künstlern konzi-piert war. In der Abgeschlossenheit einer Guckkastenbühne trachtet es je-denfalls nicht danach, unbedingt mit anderen Werken, seien sie von Beuysoder anderen Künstlern, in Kommunikation zu treten, sondern entfaltet dieQualität eines Zimmers oder Kammerspiels. Es folgt der Tendenz ordnenderGeometrisierung, die Beuys mit seinen größeren Werken seit den 70er Jah-ren im Widerspiel mit der Minimal Art generell verfolgt. Und es ist eines vonfünf Werken, die durch die Verwendung einer oder mehrerer Schultafeln diepädagogische Tätigkeit des Künstlers thematisiert. (Die anderen vier sind:Richtkräfte, 1975, Berlin; Feuerstelle, 1979, Basel; Das Kapital Raum, 1980,Schaffhausen; und Terremoto, 1981, New York.)Für mich jedenfalls ist vor dem Aufbruch aus Lager I ein Ort der Nachdenk-lichkeit und der Stille, einer großen widersprüchlichen Ruhe an einem Ortder Versammlung. Meine erste Assoziation war wieder filmischer Natur, ichimaginierte einen längst vergessenen Wildwestfilm. Ein Reitertrupp stößt aufein verlassenes Nachtlager. Das Lagerfeuer brennt noch, Essen brutzelt ineiner Pfanne, der Kaffee in den Bechern ist noch warm. Aber die dazugehö-rigen Menschen sind wie vom Erdboden verschluckt. Das lag natürlich auchdaran, dass die Eröffnung abends stattfand und die beiden Lampen leuchte-ten, die Petroleumlampe auf dem Tisch und die Karbidlampe an der Tafel.

L. S.

* Auszug aus einem Interview mit Joseph Beuys, ge-führt von Erika Billeter im März 1981. In: Mythos undRitual in der Kunst der siebziger Jahre, hrsg. v. ErikaBilleter, Kunsthaus Zürich, 1981, S. 91f.

Abb. 76 vor dem Aufbruch aus Lager I, Detail vom Pultmit Küchenmesser, Petroleumlampe, Schemelsitz mitFett und Fettecke, Installation Kunsthaus Zürich,1981. Foto Ute Klophaus

Abb. 77 vor dem Aufbruch aus Lager I, Detail mit Holzhammer. Foto Ute Klophaus

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in der Atelierwohnung am Drakeplatz 4, Düsseldorf[nicht erhalten]Material: entnadelter Tannenbaum, TannennadelnFotografie von Eva Beuys-WurmbachProvenienz: erworben von Eva Beuys-Wurmbach,Lothar Schirmer, München;Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Dauerleihgabe Lothar Schirmer

Im Beuys’schen Streben nach Entmaterialisierung seiner Kunst, das ihn ineinem energiegeladenen Abstraktionsvorgang von den Skulpturen und Plas -tiken über die Aktionen zur Sprache, zur Gedanken- und Ideenkunst undschließlich in die Sphäre der politischen Gestaltung führt, stehen die verlo-renen plastischen Situationen am Anfang, irgendwo zwischen Objekt und Aktion. Sie sind ausgedachte und ausgearbeitete Schöpfungen, die Beuys sokonzipierte, dass sie nicht als Gegenstand, sondern lediglich als fotografischeBilder tradiert werden konnten, sie bilden eine Zwischenstufe. Drei dieser Situationen sind in Schwarzweiß-Fotografien von Eva Beuysfester Bestandteil meiner Sammlung geworden. Alle sind im Wohnatelier amDrakeplatz entstanden.

Erstens: The Needles of a Christmas Tree. Ich habe diese Situation mit eige-nen Augen gesehen und war zweifach betroffen: von der Schwermut und vonder Radikalität der künstlerischen Idee. Und natürlich von der künstlerischenPraxis, einen Raum des Familienlebens durch einen tage- wenn nicht wo-chenlangen Regen von Tannenadeln aus den Zweigen eines verdorrendenWeihnachtsbaums stillzulegen. Nur in Dürers berühmtem Stich Melencoliawar mir ein Bild von ähnlich zerstreuter Traurigkeit begegnet.

L. S.

DREI VERLORENE PLASTISCHE SITUATIONEN

"% THE NEEDLES OF A CHRISTMAS TREE !#'(/'*

Abb. 78 Albrecht Dürer, Melencolia I, 1514Kupferstich, 24 x 18,8 cm

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in der Atelierwohnung am Drakeplatz 4, Düsseldorf[nicht erhalten]Material: Fett, GazetuchFotografie von Eva Beuys-WurmbachProvenienz: erworben bei Eva Beuys-Wurmbach,Lothar Schirmer, München;Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Dauerleihgabe Lothar Schirmer

Zwischen Ofen und Wand, in die das Ofenrohr mündete, und der Tür desWohnzimmers hat Beuys den Lederfußboden mit allen in dieser Ecke ver-nähten Lederstückchen zurückgeschlagen, um eine Fettecke anzubringen,über die er als Filter ein dreieckiges Gazetuch spannte. Mit der Erfindung dieser einfachen, raumbezogenen plastischen Figurhat Beuys schöpferische Zeitgenossen zwar beeindruckt, berühmt gemachthaben ihn aber die Wahl des Materials und die Fettphobie seiner Gegner.Was lediglich ein formaler Meilenstein der Minimal Art gewesen wäre, gerietdamit zur ästhetischen Provokation, die weit über die räumliche Situationhinausstrahlte. Und natürlich strahlte die Fettecke auch ihren Tabubruchweit in das ästhetische Empfinden der Zeitgenossen aus. Ohne jeden Tradi-tionszusammenhang tauchte sie als reine Innovation auf, war unverständlichund schien eher der Science Fiction anzugehören als der Gegenwart. Auf-grund ihrer materialen Vergänglichkeit sind die Fettecken von Beuys als realeplastische Eingriffe mittlerweile aus der Welt verschwunden. In der Welt der Kunst sind sie im Echo ihres Urknalls und durch Fotografien für immerbewahrt.

L. S.

DREI VERLORENE PLASTISCHE SITUATIONEN

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Abb. 79 Fettecke mit Filter, Ausschnitt.Foto Eva Beuys-Wurmbach

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Demonstration auf dem Boden der Atelierwohnung am Drakeplatz 4, Düsseldorf [nicht erhalten]Material: Kreidezeichnung, Knochen, EisengitterMaße: ca. 280 x 280 cmFotografie von Eva Beuys-WurmbachProvenienz: erworben bei Eva Beuys-Wurmbach,Lothar Schirmer, München;Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Dauerleihgabe Lothar Schirmer

Abb. 80 Jessyka und Wenzel Beuys inmitten der Joseph Beuys-Installation Evolution in der Atelier -wohnung am Drakeplatz 4, Düsseldorf 1965. Foto Eva Beuys-Wurmbach

Als Demonstration und zur Unterweisung fertigte Beuys für seine Kinderdieses plastische Bild aus Schädelknochen und Kreidezeichnung auf demFußboden des Flurs am Drakeplatz an. Anhand eines Fischskeletts, zweierVogelschädel und eines Ziegenschädels, die er mit einfachen Kreidestrichenzu Tierfiguren ergänzte, stellte er die Entstehung der Arten nach der Darwin’schen Evolutionstheorie dar. Die Kombination aus realen Knochen,die selbst eine Art plastisches Wunderwerk der Natur darstellen, und der didaktisch genutzten, eigenen Zeichenkunst ist von einer analytischen Anschaulichkeit und sinnlichen Unmittelbarkeit, die Beuys in seiner pädago-gischen Tätigkeit generell zu hoher Kunst entwickelte.

L. S.

DREI VERLORENE PLASTISCHE SITUATIONEN

"" EVOLUTION !#'*

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One week’s performance on the occasion of the opening of the René Block Gallery, New York, May 1974 / Film

»Die Aktion ›Coyote‹ begann auf der Reise von Europa nach Amerika. Nachden Eisfeldern Labradors, menschenleeres Niemandsland der Gedanken, be-deckte der Mann seine Augen, und dies war das letzte, was er von Amerikasah.« (Caroline Tisdall) Mit diesen Worten beginnt das Buch über einen derergreifendsten und überzeugendsten performativen Auftritte von JosephBeuys. Dass er so im kollektiven Bewusstsein verankert ist, verdanken wir derPublikation Joseph Beuys – Coyote mit den Schwarzweiß-Aufnahmen undeinem Text von Caroline Tisdall. Das Buch erschien zuerst 1976 im Schir-mer/Mosel-Verlag und ist bis heute in 4. Auflage lieferbar. Die Geschichteder Aktion liest sich immer noch als spannender und aufregender Bericht derEreignisse, die eine Woche lang dauerten. Der Hergang ist rasch erzählt: AmFlughafen angekommen, wurde Beuys ganz in Filz eingewickelt und ineinem Krankentransporter direkt in den Galerieraum verbracht. Dort erwar-tete ihn hinter einem hohen Maschendrahtgitter ein wilder Kojote, dem manetwas Stroh an der Rückseite des Raums ausgestreut hatte. Joseph Beuysbrachte in diesen, von seitlich einfallendem Tageslicht erhellten Raum Ge-genstände aus seiner Welt mit: Filz, Spazierstock, Handschuhe, Taschen-lampe, einen Triangel, den er ab und zu spielte, und das Wall Street Journal,von dem jeden Tag 50 Exemplare in zwei Stapeln geliefert wurden. »Erstellte sie dem Kojoten vor. Der Kojote reagierte auf Kojotenart; er fordertesie mit seiner Geste des In-Besitz-Nehmens. Eines nach dem andern wurdensie ihm gezeigt, und auf eines nach dem anderen pißte er langsam und ent-schlossen.« (C. T.) Am Ende der Woche erfolgte Beuys’ Abreise, wieder filz-verpackt in der Ambulanz. Dazwischen lief ein sich vielfach, bis zu 30 Mal wiederholendes Ritual ab,in dem Mensch und Tier in einen Dialog traten, bei dem der Mann das Tiernicht aus dem Auge ließ und währenddessen Bewegungsfiguren einnahm.Besonders einprägsam ist ein Bild von Beuys, der sich ganz in eine Filzbahneingewickelt hat. Der Filz reicht bis über den Hut hinaus, allein der ge-krümmte Spazierstock ragt oben aus der Figur heraus. Der Kojote blickt aufzu diesem Zeichen. Eine Gewandfigur, die an viele Vorbilder erinnert: Hirte,Heiligenbild, Marienstatue und Schutzmantelmadonna, an einen Felsen, eineBergspitze. Selbst in den Bewegungsabläufen bleibt dieses Bezugsfeld bestehen. Ein Hirte mit Krummstab, ein heiliger Bischof, der eine Herde anführt. Die Krümmung am Ende des Stabes weist auf den Menschen zurück. Im Liegen werden Tier und Mensch sich ähnlich. Der Kojote liegtauf zusammengeknülltem Filz, aus dem die Taschenlampe herausleuchtet,Beuys, in seinen Filz eingewickelt, weist mit dem Stock nach außen. Die-ses Bild ändert sich, als der Kojote die schützende Hülle des Mannes zu zer reißen beginnt. Beide sind nun miteinander verbunden. Der Mann

"& COYOTE !#$(

I LIKE AMERICA AND AMERICA LIKES ME – FILM

Abb. 81 Joseph Beuys bei der Aktion Coyote – I like America and America likes me, New York 1974. Foto Caroline Tisdall

Abb. 82 Joseph Beuys bei der Aktion Coyote – I likeAmerica and America likes me, New York 1974. Foto Caroline Tisdall

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respektive der Videokopie sind inzwischen eine Reihe von Zusammenschnit-ten unterschiedlicher Länge im Internet im Umlauf. Anders als in der Erzählung des Buches, wo Text und Bild voneinandergetrennt sind, lebt das filmische Dokument naturgemäß von der Kamerafahrtund außerdem ganz wesentlich von der Tonspur. Das beginnt mit dem Sire-nenlärm des Ambulanzfahrzeugs und gipfelt in den Signalen, die Beuys mitdem Triangel gibt. Der unterschiedliche Bewegungsmodus von Tier undMensch wird sichtbar, die kontrollierte, ruhige Bewegung des Künstlers ge-genüber der agilen, neugierigen und sprungbereiten Art des wilden Tieres.Während die meisten Fotografien von C. Tisdall dem Betrachter den Ein-druck vermitteln, er sei selbst im Raum der Aktion, bleibt beim Film dieTrennung durch die Gitterwand beinahe durchgehend bestehen. Selbst beiUnscharfstellung der Gitterstruktur bleibt die Trennschicht als »Film«, derauf der Szene »schwimmt«, erhalten. So wird die größere Nähe zum Ge-schehen durch Ton und Bewegung wieder ausgeglichen durch den distan-zierteren Blickwinkel. Die Monumentalisierung durch Verzicht auf Farbe imFilm ging einher mit dem Ausblenden von Details, die Beuys offensichtlichgegenüber der Gesamtwirkung als unwesentlicher erschienen. Schwarzweißin der Fotografie und im Film verstärkt auch das Geheimnisvolle der Doku-mente. Sie scheinen aus einer entrückteren Zeit zu stammen als die, in dersie tatsächlich entstanden. Unschärfen zehren weiter an der Objektgenauig-keit. Was erhalten bleibt, sind Bilder, die im Betrachter eine Vorstellung erwecken können, die gerade durch die eigene Gedankenarbeit und durchdas Empfinden stärker im Gedächtnis bleiben als dies eine »glatte«, bunte,scharfe Dokumentation zu leisten vermag.

H. F.

nimmt das Lager des Tieres an. Es folgen Handreichung und Verbeugung.Abschied. Das große Motiv, die Versöhnung von Mensch und Kreatur, gehört zu denbedeutenden abendländischen Themen. Das Sprechen zu und mit den Tie-ren ruft die Erinnerung an den heiligen Franziskus von Assisi wach. Die Be-gegnung mit Amerika – »I like America and America likes me« – verlegtBeuys in dieser Aktion hypothetisch in die Zeit vor der Ankunft des »WeißenMannes« auf dem neuen Kontinent. Über den Kojoten, der den Ureinwoh-nern heilig war, sucht er eine Heilung aus der großen Verwundung, die durchdie »Eroberung« entstanden war. Die USA befanden sich zur Zeit der Aktionin einer Phase der heillosen Verstrickung in den Vietnamkrieg. Gerade vordiesem Hintergrund nahm die Geste der Versöhnung, die aus der AktionCoyote sprach, noch drängendere und aktuellere Züge an. Beuys hatte bereits in anderen Aktionen mit Tieren gearbeitet: wie mandem toten Hasen die Bilder erklärt (25. November 1965, Galerie Schmela,Düsseldorf) und Titus Andronicus / Iphigenie (Experimenta 3, Frankfurt,29./30. Mai 1969) mit einem lebenden Schimmel auf der Bühne des Thea-ters. Im selben Jahr brachte Joseph Beuys das Multiple eine Partei für Tiereheraus. Herbert Wietz drehte einen Film der Coyote-Aktion auf 16 mm, der alsProduktion der Galerie René Block und Herbert Wietz 1981 herausgegebenund als Videokassette durch die Galerie Block verbreitet (als Schwarzweiß-kopie von 37 Minuten Länge) wurde. Ursprünglich in Farbe gedreht, ließBeuys ihn schwarzweiß umkopieren, nicht nur um ihm eine stärkere plasti-sche Gestalt zu verleihen, »sondern vor allem um die spirituelle Seite der Ak-tion zu betonen«. (Eugen Blume in: Ausstellungskatalog »I like America, Fik-tionen des Wilden Westens, Schirn, Frankfurt 2006, S. 359) Von diesem Film,

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ORIGINALTEXTE JOSEPH BEUYS

Krawall in AachenInterview mit Joseph Beuys I, 1964

Plastik und ZeichnungInterview mit Joseph Beuys II, 1964

»Das ›Bildnerische‹ ist unmoralisch«Gespräch Joseph Beuys mit Siegfried Neuenhausen, 1969

Gespräch über BienenJ. Beuys, B. Blume und H.G. Prager, 1975

Von Hasenblut und geistigen BedürfnissenGespräch zwischen Joseph Beuys und Mats B, 1982

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KRAWALL IN AACHEN

INTERVIEW MIT JOSEPH BEUYS I!()&

Herr Professor Beuys beklagte sich darüber, dass man seine Ab-sichten noch nie objektiv, geschweige denn ohne Vorurteil dar-gestellt habe. Das ist nicht sehr erstaunlich, wenn man weiß,dass sich Prof. Beuys einer Bewegung angeschlossen hat, diesich in keineswegs herkömmlicher Weise mit der Kunst befasst.Selbst an Avantgardismus gewohnten Zeitgenossen will es nichtrecht in den Kopf, dass die theaterähnlichen Vorstellungen, dieProf. Beuys und seine Freunde in Europa und den VereinigtenStaaten inszenieren, noch zur Kategorie Kunst gehören sollen.Professor Beuys hat allerdings keine einseitigen Ambitionen.Das beweisen seine ausgestellten Zeichnungen und Plastikenauf der documenta. Außerdem ist er Lehrer für Bildhauerei ander Akademie Düsseldorf. Der direkte Anlass zu dem folgenden Gespräch war ein imVerlauf einer »Actions/Agit Pop/Decollage/Happening/Events/Anti art/Fluxus«-Veranstaltung entstandener handgreiflicherTu mult in der Aula der Technischen Hochschule Aachen am 20. Juli dieses Jahres. Dieses Ereignis beschäftigte vorüber -gehend sogar die Tages- und Wochenpresse, angefangen bei der Bild-Zeitung, die sich im allgemeinen wohl schwerlich fürdie Kunst interessieren lässt. Da es auch unsere Aufgabe ist, unvorein genommen aktuelle Phänomene des Kunstbetriebs vor zustellen, veröffentlichen wir unser Gespräch mit HerrnProfessor Beuys, das in Düsseldorf stattfand.

INTERVIEWER: Herr Prof. Beuys, am 20. Juli dieses Jahres fandin der Technischen Hochschule Aachen eine merkwürdige Ver-anstaltung statt, die Sie und Ihre Freunde inszeniert hatten.Die »Actions/Agit Pop/Decollage/Happening/Events/Antiart/L’autrisme/Art Total/Fluxus« ließ selbst die Tages- und Wo-chenpresse aufhorchen. Der Rektor der Hochschule, Herr Prof.Dr. Aschoff, wollte, wie man erfuhr, der Aktion zunächst nicht

sein Placet erteilen, bis Sie nach einer persönlichen Unter -redung mit Sr. Magnifizenz schließlich doch erreichten, dassdie Veranstaltung stattfinden konnte. Sie kennen sicherlich dieGründe der anfänglich ablehnenden Haltung von Herrn Prof.Dr. Aschoff?

BEUYS: Ja, Herr Prof. Aschoff hatte Bedenken wegen des Da-tums 20. Juli. Außerdem waren ihm Presseberichte von frü -heren Demonstrationen zu Augen gekommen, die in ihrer skandalösen und verfälschten Aufmachung selbst den stärkstenMann nicht gerade ermutigten, eine solche Aktion ganz be-denkenlos laufen zu lassen. Seitdem unsere Dinge in Europagemacht werden, haben wir höchstens eine oder zwei Repor-tagen gesehen, die annähernd den Spirit, der darin enthaltenist, zu ergreifen vermochten.

INTERVIEWER: Warum hatten Sie sich gerade den 20. Juli aus-gesucht?

BEUYS: Nicht wir, sondern die Technische Hochschule hatteunsere von dem Kulturreferenten des ASTA seit langem ge-plante Demonstration für den 20. Juli festgesetzt. Mit unseremEintreffen in Aachen, zwei Tage vorher, ist es der Hochschul-leitung wahrscheinlich erst bewusst geworden, dass der 20. Julider 20. Juli ist.

INTERVIEWER: Das Festival ging in tumultuarischen Szenenunter und musste schließlich vom ASTA-Vorsitzenden abge-brochen werden.

BEUYS: Wie Sie wissen, wurde ich mit einer gezielten heftigenGeraden auf meine Nase während einer simultanen Action aufder Bühne angegriffen. Jedoch war das nur der blutige Akzent

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wendeten Mittel die geeigneten sind, um fehlenden Sinn odermangelnde Bewusstheit zu beklagen? Kann man den Teufelmit Belzebub austreiben?

BEUYS: Es ist unwichtig, Spekulationen darüber anzustellen, obdie Mittel bereits optimal sind. Es steht ja jedem frei, bessereeinzusetzen. Vielleicht werde ich eines Tages erkennen, dassich weiter gekommen bin, in den Besitz besserer Mittel gelangtbin. Einstweilen fühle ich mich verpflichtet, mit diesen Mittelnzu arbeiten, da ich keine besseren besitze, und weil sie mir ge-rade recht erscheinen, etwas damit auszudrücken, was wichtigist, ausgedrückt zu werden. Auch waren diese, wie Sie wohlmeinen, primitiven Medien jedenfalls bis jetzt in vielen Fällenin der Lage, Zentren zu bewegen bei Menschen, die durch diegrauenhaftesten Schilderungen menschlicher Leiden, Krank-heit, Krieg, KZ usw. ziemlich unberührt blieben. Unser Be-wusstsein hat seine sieben Sachen oft nicht ganz zusammen.Für viele ist kausaler Sinn dem akausalen Sinn gegenüber -gestellt – Unsinn. Wirklichkeitsgemäßes Denken umfasst schließ- lich beide Denkmöglichkeiten. Natürlich gibt es auch wirk -lichen Unsinn. Die Aktionen Happenings, Fluxus usw. werden natürlichwieder neue Impulse auslösen, die, wie wir wollen, auf vielenGebieten bessere Verhältnisse schaffen werden. Aus der dannerkämpften neuen Bewusstseinslage entstehen dann wiederneue Ziele. Das ist die Evolution.

INTERVIEWER: Wie ist Ihre Stellung zur Kunst überhaupt?

BEUYS: Meine Stellung zur Kunst ist gut. Meine Stellung zurAntikunst ebenfalls. Wir brauchen beide Methoden. So muss zuMathematik Antimathematik, zu Physik Antiphysik, zu ChemieAntichemie erkannt werden. Zukünftige Naturwissenschaftwird auch ohne Antinaturwissenschaft nicht mehr weiter -kommen, jedenfalls nicht ohne die Antinatur = der Mensch,aufs äußerste zu gefährden.

INTERVIEWER: Was verstehen Sie unter Antimathematik, Anti-physik, Antichemie?

BEUYS: Mathematik, Physik, Chemie usw. sind bereits zurück-geführte Elemente oder Verkörperungen von etwas. Natürlichnotwendig zurückgeführte, da wir ja im Materiellen leben oderrichtiger, auch im Materiellen leben. Die andere Hälfte, alsoinsofern wir im Nichtmateriellen leben, da haben wir es zu tunmit Antimathematik, Antiphysik, Antichemie usw. (völlige Um-wandlung veralteter Systeme). Im sogenannten Atomzeitalter sieht manches so aus, alswäre der Anfang mit der Einsicht in diese Zusammenhänge gemacht. Hat dieses Zeitalter auch eine arationale Stimmungmit sich gebracht, so zeigt sich doch bei näherem Hinseheneine krisenhaft zu nennende Vermaterialisierung trotz vierter Dimension.

INTERVIEWER: Und was nennen Sie schließlich Antikunst?

BEUYS: Das Wort Antikunst lässt sich natürlich nicht so bilden,wie das bei dem Wort »Antichemie« möglich ist, da Kunst be-reits die benannte andere Hälfte in sich hat. Kunst schließtKunst und Antikunst ein. Der Ausdruck bildete sich, sobaldMusiker, Maler, Dichter Übergriffe auf Außerkünstlerischesgemacht hatten (Schwitters). Für mich: Raum und der bishererarbeitete unzureichende und verschwommene Zeitbegriff) –unser Leben zwischen Geburt und Tod ruft auf zur Erfor-schung von Gegenraum-Wärme-Zeit – unsterblicher Wesens-kern des Menschen, Leben nach dem Tod. Von der Einsicht indiesen Zusammenhang (Antikunst) hängt es ab, ob wir zuver-lässige Kontrollmöglichkeiten und Maßstäbe bekommen überdas, was wir in Raum und Zeit machen.

Aus: Kunst. Magazin für moderne Malerei – Grafik – Plastik,Mainz, Hefte 4–5, Okt.–Dez. 1964, S. 95–97; wiederabgedrucktin: Joseph Beuys. Werke aus der Sammlung Karl Ströher, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Basel, 1969, S. 10–12

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in einem tobenden Auditorium, das fast zur Hälfte aus Men-schen bestand, die mit der festen Absicht zu sabotieren ge-kommen waren. Für uns war das kein Grund aufzuhören. Aber der ASTA-Vorsitzende Gotschlich sah sich nach der Entwicklung derLage im Audience, und nach der von Presseleuten und Publi-kum zerstörten Spielmöglichkeit auf der Bühne, wohl zu rechtverpflichtet, das Publikum zum Verlassen des Audimax aufzu-fordern und damit die Veranstaltung abzubrechen.

INTERVIEWER: Sie sagen, dass die Hälfte der Anwesenden mitder Absicht gekommen sei, die Veranstaltung zu sabotieren.Wusste man denn überhaupt vorher, was gezeigt werden sollte?

BEUYS: Ja, durch die vorhin genannten entstellenden, ten-denziösen, verfälschten Presseberichte von früheren Auffüh-rungen glaubte man wohl eine Information erhalten zu habenüber das, was zu erwarten war.

INTERVIEWER: Wie erklären Sie sich die handgreifliche Absagedes Publikums zu Ihren und Ihrer Freunde Aktionen?

BEUYS: Immer noch das alte Lied. Das Schlagen mit Spazier-stöcken auf Bilder von van Gogh, wenn sie einem nicht gefal-len. Es langweilt mich sehr.

INTERVIEWER: Vielleicht schildern Sie uns in ein paar Sätzendas Programm, so weit es zur Aufführung kam.

BEUYS: Es hat keinen Zweck, in einem Interview gründlich deskriptiv vorzugehen. Man bleibt zu sehr an den Medien hängen, die der Uneingeweihte als determinierend ansehenkönnte. Indeterminismus ist aber gerade ein wesentlicher Zugin der Sache. Um dasselbe sagen zu wollen, kann man in vielenFällen mit beliebig viel vertauschbaren Medien arbeiten. Biszum Abbruch der Veranstaltung konnte von uns in Wort, Bildund Ton teils simultan, teils isoliert etwa das erste Drittel desProgramms abgewickelt werden. Bazon Brocks vom Rektor gewünschte einführende Rede.Auf dem Kopf stehend hält er den zweiten Teil der Rede, aus-gehend von einem Satz Hegels: »die Philosophie ist die Weltauf dem Kopfe.« (Komplexe pädagogische Hilfen, wo immersie fehlen). Bazon Brock: Bearbeitetes Tonband der Sportpalast -rede von Goebbels: »Wollt Ihr den totalen Krieg?« Koepckesuntertriebene tiefe Absurdität in »Was ist das?« »Filterzigarette

… Was ist das?« »Kartoffel mit dem Messer in der Mitte nichtdurchschneiden … Was ist das?« »Und die Blume die du mirzum Geburtstag geschenkt hast hat schon zweimal geblüht …Was ist das?« Beuys: Ein amorphes Stück mit Klaviermusik aus»Vehicle Art«. Filliou L’autrisme. Mal was ganz anderes. Wobeischeinbar das Alleralltäglichste herauskommt. Die Zentren, diediese Sendung aufnehmen können, sind bei den Zeitgenossenallerdings dünn gesät. Gosewitz: Akustische und projizierteTexte. Vostell: »nie wieder/never/jamais«. Simultan damitBeuys: Die Butter ist wie das Wetter und das Wetter ist wie dieButter, Scenen mit Objekten, Signalen, Fett und Rollenbil-dern. Emmet Williams »o eine oper«.

INTERVIEWER: Sie müssen zugeben, Herr Prof. Beuys, dass dieDarbietungen recht ungewöhnlich sind. Sie sollen z. B. Bon-bons in ein Klavier gestreut und Salzsäure hinterhergeschüttethaben. Was haben Sie damit beabsichtigt?

BEUYS: Ich füllte ein Klavier mit geometrischen Körpern, Bon-bons, trockenen Eichenblättern, Majoran, einer Ansichtskartedes Aachener Doms und Waschpulver. Sehr locker, so dass esnoch bespielbar war, der Klang jedoch durch die Füllung be-einflusst wurde. Die Säure hat nichts damit zu tun. Ich hatte sie vorher für eine kurze »Begleitmusik« mit ultra -violettem Licht gebraucht. Das Klavier ist nicht von mir, son-dern von seinen vorherigen Besitzern ruiniert worden. Es gehörte zum Einrichtungsmuff. Ab und zu muss allerdingseiner wie irre »Hausmusik« darauf heruntergehämmert haben.Das Klavier war glücklich, noch einmal in seinem Leben eineSache wie »Aachen« erlebt zu haben. Es hat sich nachher nochmal ausdrücklich bei mir bedankt. Die Absicht: Das heilsameChaos, heilsame Amorphisierung in eine gewusste Richtung,die bewusst eine erkaltete, erstarrte Vergangenheitsform, ge-sellschaftliche Konvention durch Auflösung erwärmt und zu-künftige Gestalt erst möglich macht.

INTERVIEWER: Warum bedienen Sie sich dieser Schock-Sprache?

BEUYS: Es ist keine Schocksprache, sondern eine präzise, ofteine eindringliche Darlegung die, da sie Antikunst oder Kunstist, die Fähigkeit zu imaginieren erfordert. Das gelingt nichtimmer auf Anhieb, bleibt oft beim Versuch, landet manchmalbeim Misserfolg, wobei man Fehler erkennen lernt.

INTERVIEWER: Sind Sie sicher, Herr Prof. Beuys, dass die ver-

Aus Joseph Beuys: Vehicle Art

Der Chef der Hirschführer konnte seinenStechkontakt überall im Umkreis anschlie-ßen, sei es auf der Innenfläche eines Raumesmit ebenen Flächen oder derjenigen eineskugelähnlichen; auch verwundene und ver-worfene, ja selbst amorphe Räume, gabenihm Energie um seine Kuchen zu backen. Erverzweifelte nicht, weil ihm zunächst nurganz platte unscheinbare Plinsen gelangen,die sich sehr stark in der Pfanne zusammen-zogen, im Gegenteil es unterstützte ihn inseinem Wollen, da er die Überzeugung vonder Wirkung seiner Kunstpille nie verlorenhatte. Immerhin sprangen noch heilsame Ne-benprodukte ab: so Kunst zum Einreiben inForm von Salbe, Kunst in Wurstform zumScheibenabschneiden. »Die Kunstpille«

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Geformtes dem Chaos gegenübersteht, der Kälte die Wärme,der Ausdehnung die Zusammenziehung. Eins bedingt das an-dere. Eine Wesenheit entfaltet sich nach zwei Richtungen hin.Geistesgeschichtlich gesehen ist diese Idee bereits schon einmal dagewesen. Wie Sie wissen, haben die Romantik undGoethe die Polarität zum metaphysischen Prinzip erhoben.Wollen Sie da anknüpfen?

BEUYS: So wie Sie es da sagen, hat es einseitig symbolisieren-den Charakter. »Anknüpfen« hat historisierende Färbung, dieich mir nicht andrehen lasse. Sie sprechen von »Anschauungvon einer polaren Welt«, als ob es eine polare Welt in Wirk-lichkeit vielleicht nicht gäbe. Doch ist sie eine der vielen Seins-gegebenheiten, die der Menschheit aller Zeiten zu gedankli-chen und greifbaren Verwirklichungen Anlass gegeben hat, diedas Genie Goethe wie eine Sonne so bearbeitet hat, dass wir esuns hinter die Ohren schreiben können (ich habe es mir hinterdie Ohren geschrieben), die immer neu bearbeitet werdenwird und muss. Seit Goethe aber hat sich vieles entwickelt, wasin alle zukünftigen Bestrebungen mit einbezogen werdenmuss. Zwingend wird von uns gefordert: Vorstoß in die Zukunftzu neuen Erkenntnissen mit neuen Methoden. Für Cage warZen sehr wichtig, aber er machte daraus die Methode Cage,die etwas Neues ist.

INTERVIEWER: Vielleicht erläutern Sie uns Ihre grundsätzlicheVorstellung von Plastik?

BEUYS: Plastik ist heute m. E. ein Begriff, der nicht tief genuggefasst wird. Viele Vorstellungen über Plastik sind doch noch

sehr von der Wirkung nach außen her bestimmt. Das war nichtder Fall z. B. in älteren Epochen – nehmen wir Griechenland– wo der ganze Mensch ein Ausdruck der Plastik selbst war, woder griechische Mensch anhand der Plastik seinen eigenenKörper aufgebaut hat, wo die Plastik nicht bloß Schmuck -bedürfnis war, sondern Vorbild, Modell, Leitbild für das, wassich der Grieche vorstellte unter einer menschlichen Gestalt,unter der Bildung des Menschen, wie er sein könnte.

INTERVIEWER: Also kein ästhetischer Ansatz, Herr Prof. Beuys?

BEUYS: Die ästhetische Seite ist m. E. dann ganz fehl am Platz,wenn sie nur so platt interpretiert wird, dass man ihrenschmückenden und dekorativen Charakter betont. Selbstver-ständlich entsteht bei jeder ernsthaften bildnerischen Arbeitganz von allein ein ästhetischer Wert, siehe das Beispiel dergriechischen Plastik. Die Plastik hat nur dann einen Wert,wenn sie an der Entwicklung des menschlichen Bewusstseinsarbeitet. Ich möchte sagen, dass die Entwicklung des mensch-lichen Bewusstseins selbst schon ein plastischer Vorgang ist.Das klingt alles sehr gewagt. Aber die Configuration einer geistigen Welt, wie sie sich z. B. in der besten modernen Natur wissenschaft ausdrückt, ist für mich zugleich eine Äuße-rung der Auffassung, die man über Plastik haben kann. Manbraucht sich nur vorzustellen, dass bei der Entwicklung desmenschlichen Bewusstseins das Gehirn, die menschlichen Organe, eine plastische Verformung annehmen, die zwar sehrfein ist und die man vielleicht nicht grob anatomisch beurtei-len kann, die aber sicher festzustellen ist. Wenn wir heute dasGehirn eines ägyptischen Menschen vergleichen würden mitdem Gehirn eines heutigen Menschen, so könnten wir eineplastische Veränderung feststellen. So elementar müsste man heute den plastischen Begriff fassen, um wieder zu einer fruchtbaren Vorstellung von Plastikzu gelangen.

Aus: Kunst. Magazin für moderne Malerei – Grafik – Plastik,Mainz, Hefte 4–5, Okt.-Dez. 1964, S. 127–129; wiederabgedrucktin: Joseph Beuys. Werke aus der Sammlung Karl Ströher, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Basel, 1969, S. 12–13

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Im ersten Teil des Interviews, betitelt »Krawall in Aachen«,»Kunst« Heft 4/64, gab Professor Beuys eine Interpretation derAktionen, die er und seine Freunde in der Aula der TechnischenHochschule Aachen inszeniert hatten. Die Folge der unge-wöhnlichen Veranstaltung war ein handgreiflicher Krawall, derzum vorzeitigen Ende der »Actions/Agit Pop/Decollage/Happe-ning/Events/Antiart/Fluxus«-Schau führte. Die scharfe Reak-tion des Publikums erklärte Prof. Beuys mit der Unreife undder Voreingenommenheit der Anwesenden. Im zweiten Teil des Gespräches befassen wir uns mit denPlastiken und Handzeichnungen von Prof. Beuys. Beuys ist, wiebereits im letzten Heft erwähnt wurde, Lehrer für Bildhauereian der Akademie Düsseldorf und war in diesem Jahr mit eige-nen Arbeiten auf der documenta III vertreten.

INTERVIEWER: Die Kunstpille, die wir abbilden, ist ja wohl nichtzum Einnehmen, Herr Prof. Beuys? Vielleicht verraten Sie unsdas Rezept?

BEUYS: Hier darf ich Sie an das Märchen vom »Chef derHirschführer« aus »Vehicle Art« verweisen. Dort finden Sieauch das gute Rezept.

INTERVIEWER: Herr Prof. Beuys, Sie sind mit Handzeichnungenim »Herzstück« der documenta III und mit Plastiken im Fri-dericianum vertreten. Gibt es eigentlich noch Beziehungenzwischen den Arbeiten, die Sie dort zeigen und dem, was Sie z. B. in Aachen demonstrieren wollten?

BEUYS: Sicher gibt es Beziehungen. Ich stelle auf der docu-menta Zeichnungen und Plastiken, ältere Arbeiten aus der Zeitzwischen 1951 und 1956 aus. In den Zeichnungen konnte ichdamals im Mythischen, in den Plastiken manches im Urbild-

haften ausdrücken, was sich dann in meinen DemonstrationenFluxus, »Vehicle Art« und den entsprechenden Bildern und Plastiken weiterentwickelt hat. Die Zeichnung ist aber für michvon besonderer Bedeutung, weil in den älteren Zeichnungenbis 1947 zurück im Prinzip alles bereits vorgezeichnet ist.

INTERVIEWER: Sie verneinen nicht den Zusammenhang zwi-schen Ihren Zeichnungen und Plastiken?

BEUYS: Nein, keineswegs. Es sind Szenen dargestellt, die An-spruch erheben auf etwas Übersinnliches. Es ist zum Beispieldargestellt ein toter Mensch, der auf einem Hirschskelett liegt– es ist der Tod dargestellt und der Tod ist ein Phänomen, dasnachher in den Plastiken immer wieder auftaucht. Bei meinenplastischen Versuchen bemerkte ich, dass meistens etwas Entgegengesetztes von dem herauskam, was man unter denBegriff Tod zusammenfassen kann. Hier äußerte sich etwas,das Wärmecharakter hatte gegenüber der Kälte von Tod, derzwischendurch, sozusagen als immerwährender Begleiter, inextrem eingeschrumpften Formen oder winzigen Förmchenevolvierte, gegenüber den Wärmeformen, die involvierten. Icherkannte, dass Wärme (Kälte) überräumliche plastische Prinzi-pien waren, die bei Formen: der Ausdehnung und Zusammen-ziehung, dem Amorphen und Kristallinen, dem Chaos unddem Geformten, entsprachen. Gleichzeitig erhellte sich mir imexaktesten Sinne das Wesen der Zeit, der Bewegung, des Rau-mes. In meinen zeichnerischen Niederschriften, die ich jahre-lang vorher ganz intuitiv gemacht hatte, sah ich die Elementebereits angedeutet und fand, dass ich sie dort bereits auf denpsychischen Bereich übertragen hatte (Hirschmann, docu-menta III).

INTERVIEWER: Die formalen Prinzipien Ihrer Arbeit beruhenoffenbar auf der Anschauung von einer polaren Welt, in der

PLASTIK UND ZEICHNUNG

INTERVIEW MIT JOSEPH BEUYS II!()&

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demie zu studieren, ohne dass Mappen und Prüfungen Hinder-nisse bilden.

Wer Kunst studieren will, muss also auch wenigstens zur Probekommen dürfen? Mindestens müsste er zwei oder drei Semester seine Begabungerproben dürfen. Mappen, Prüfungen, Tests sind ungeeignet,um solche Begabung zu messen. Über die Unzulänglichkeitender Aufnahmeprüfungen sind sich, glaube ich, aber viele Pädagogen einig. Vor allem der Raummangel verhindert bisherunbegrenzte oder wenigstens großzügigere Aufnahme. Und ichfinde es immer besser, den Raum dem Menschen anzupassenund nicht umgekehrt.

Man müsste in jedem Fall davon ausgehen, dass die Akade-mien heute mit Räumen noch völlig unzureichend ausgestattetsind.Man kann ja schon sehen, dass das Bildungsbedürfnis der Men-schen außerordentlich wächst, und dass es nur Kurzsichtigkeitist, wenn in den Ministerien nichts Entscheidendes für die Ver-besserung der Hochschulen geschieht. Und im Fall der Kunst-akademien kann es keine großen Schwierigkeiten geben, dennes geht ja gar nicht um Ausstattungen wie etwa in einem physi-kalischen Institut, sondern vor allem um ein paar mehr Räume,die man nach Bedarf erweitern kann.

Du hast eben die Rolle des Professors als Katalysator charak-terisiert. Besteht hier nicht die Gefahr, dass sich vor die freieEntscheidung des Studenten, dieses oder jenes zu machen,doch die Vorstellung des Professors, die suggestive Wirkungseines Werkes schiebt und wir im Grunde das geschehen las-sen, was auf jeden Fall vermieden werden müsste, nämlich,dass sich eine Art künstlerischer Gefolgschaft um einen Füh-rer schart?Das will ich natürlich unter allen Umständen vermeiden.

Gibt es unter deinen fünfzig Kunsterziehungsstudenten eigent -lich welche, die fest entschlossen sind, Kunsterzieher zu wer-den, oder fassen sie im Grunde die Kunsterziehung als notwendiges Übel auf, das man nach Möglichkeit vermeidenmuss?Ich habe sehr viele, die voll ihre spätere Aufgabe als Lehrer bejahen. Und ich bin sehr darum bemüht, diese Studenten zufördern und sie in ihrem Entschluss zu bestärken.

Welches sind die Motive, die dich dazu veranlassen?Wir leben in einer Zeit, in der auch die Kunsterziehung inFrage gestellt werden muss, und ich begrüße auch die neuereLinie der Kunstpädagogik, die eigentlich kunstgeschichtlichvorgeht und die die Entwicklung, wie sie sich in den Galerienabspielt, verfolgt, also Pollock, danach den Tachismus, danachPop, Hard Edge usw., und dann kommt zum Beispiel das, wasjetzt da ist.

Beuys zum Beispiel.Ja, diese Sache zum Beispiel, aber auch viele andere, das ist imAugenblick sehr global. Mich interessiert es also, den Studen-ten die Fragestellung nach der Kunsterziehung von der Kunsther deutlich zu machen.

Es geht dir ja vor allem darum, die Dimensionen des Ästheti-schen voll auszuloten. In den Fettecken ergeben sich neueAspekte von Plastik, und du hast sogar die von dir gegründeteStudentenpartei einmal als eine Art Plastik bezeichnet. Hierbekommt ja der Begriff »Kunst« Dimensionen, die das Maßdes Überkommenen weit überschreiten. Ist die Studentenpar-tei deiner Meinung nach auch ein Beispiel für die politischeRelevanz des Ästhetischen?Ja. Wenn man allerdings sagt, die Studentenpartei ist ein Bei-spiel für die politische Relevanz des Ästhetischen, so muss manauch sofort den Begriff des Politischen erweitern. Denn wasman heute unter dem Begriff des Politischen versteht, ist geradedas, was ich ablehne. So wie der alte Kunstbegriff nicht längerin seiner Isolierung bestehen kann, so kann heute auch ein zuenger und überholter Begriff des Politischen nicht mehr gelten(etwa der Parteipolitik), und ebenso auch nicht ein zu engerWissenschaftsbegriff.

Da, wo der Begriff des Ästhetischen derart ausgeweitet wird,so dass er über die Kunst hinaus in alle Bereiche des Lebensreicht, müssten sich auch kunstpädagogische Konsequenzenziehen lassen. Wie sollten im Prinzip solche Konsequenzenaussehen?Die radikalste und wahrscheinlich einzig richtige Konsequenzwäre, das Künstlerische ins Bewusstsein zu bringen und klar-zumachen, dass der Mensch ohne dieses nicht leben kann. DasKünstlerische müsste in alle Fächer hineinwirken. Es hat meines Erachtens keinen Sinn, dass man an den Schulen 2, 5, 8 oder 10 Stunden Kunstunterricht gibt, wenn das Fach isoliertist.

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»DAS ›BILDNERISCHE‹ IST UNMORALISCH«

GESPRÄCH JOSEPH BEUYS MIT SIEGFRIED NEUENHAUSEN 1969

NEUENHAUSEN: Du hast zur Zeit mehr Studenten als jeder an-dere Professor an irgendeiner deutschen Kunsthochschule.Wie viele sind es inzwischen? BEUYS: Im nächsten Semester werden es etwa hundert sein.

Wie viele davon sind Studenten der Kunsterziehung?Etwa fünfzig.

Was lernen diese vielen Studenten bei dir? Zunächst einmal muss ich feststellen, was der einzelne über-haupt bei mir lernen möchte, wo Schwerpunkte seines Interes-ses und seine Möglichkeiten liegen.

Kann der Professor bei so vielen Studenten eigentlich mehrsein als eine Art Gärtner? Nicht Gärtner. Eher ist er in diesem Fall zu vergleichen mitdem Faden beim Kandiszucker.

Ein Katalysator also? Ja, ein Ordnungsprinzip.

Befassen sich die Studenten mit Problemen, die du ihnenstellst, oder stellst du eigentlich Aufgaben?Nicht prinzipiell für eine Klasse oder für eine größere Gruppevon Studenten, sondern von Fall zu Fall, wenn die Entwicklungdes einzelnen es erfordert. Das ist dann der Fall, wenn ichmerke, dass jemand einen Graben gefunden hat, den er nichtüberspringt, wo er einfach den Weg des geringsten Widerstan-des nimmt, wo er vielleicht auch schon routiniert arbeitet.

Dann setzt ja wahrscheinlich hier deine Analyse an?Analyse ist vielleicht zu schwach ausgedrückt. Ich muss genau

hinsehen, was hier vorliegt. Wo Probleme auftauchen, muss ichden Studenten mit der ganzen Skala der Begriffsmöglichkeitenkonfrontieren. Ich glaube, fast jeder kann irgendetwas, undzwar sehr gut. Mir kommt es aber nicht darauf an, das einfachso laufen zu lassen, sondern ich muss ihn, wenn Schwierig -keiten auftauchen, mit etwas Neuem in ihm konfrontieren. Umdas zu machen, was man schon kann, braucht man ja nicht dieAkademie zu besuchen.

Es ist also nicht so, dass dein Konzept sich ausschließlich amIndividium orientiert?Beides ist wichtig. Ich muss vom Studenten ausgehen, aber ichmuss auch Dinge an ihn herantragen. Vor allem ist auch wich-tig, richtige Begriffe zu vermitteln, logisch vorzugehen. Mankann das auch akademisch nennen. Diese Art von Schulung hatunmittelbare Verwandtschaft mit dem akademischen Akt -studium, das logisch und klar zu sein hat. Das hat gar nichtsmit Kunst zu tun, sondern es handelt sich um eine Vorstufe derBegriffsbildung, der Disziplinierung.

Du hast in deiner Klasse Studenten, die noch in einem ande-ren Beruf tätig sind? Ja, ich habe einen Polizisten, ich habe Musiker, Schauspieler,Werbeleute usw. Ruthenbeck ist z. B. Fotograf.

Geht die Beschäftigung dieser Leute mit Kunst über ein Hobbyhinaus?Hobby ist es nicht. Es ist ein Bedürfnis, sich elementar mitKunst zu befassen. Fast wird die vorherige Betätigung zumHobby. Manche bleiben in ihrem Beruf, üben ihn aber nachdem Studium bei mir ganz anders aus. Selbstverständlich müssen auch solche Leute die Möglichkeit haben, an der Aka-

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Du plädierst also für Kunstunterricht als Prinzip?Ja. Und zwar für alle Fächer. Ich sehe nicht ein, warum das,was z.B. Holweck in seiner Gestaltungslehre macht, nicht auchim Mathematikunterricht gemacht werden kann. Ein Mathe-matiklehrer müsste das mitvermitteln. Er geht ja ständig (wieHolweck) mit den gleichen Formen und Quantitäten um. DieMathematik ist wie die Kunst auf die plastischen kreativenKräfte angewiesen. Das große Problem ist natürlich: Was nütztdas beste Programm, wenn nicht die Lehrer da sind, die es rea-lisieren können? Aber der Prozess muss einfach eingeleitet wer-den, so intensiv und ernst wie möglich. Vielleicht ist in dreißigJahren was zu erreichen. Die Studenten, die bei mir sind, ent-wickeln wenigstens einen Sinn für diese Fragen. Es ist an sichgleichgültig, ob ich Englisch, Kunst oder Botanik unterrichte.Überall muss das Künstlerische wirksam werden.

Hier sind natürlich gewisse Parallelen zu Herbert Reads Erziehung durch Kunst. Die Frage wäre nur, wieweit neueKomponenten jetzt hinzukommen, denn bisher sind ja alle Ver-suche, das Ästhetische zur Grundlage der Erziehung oder gardes Lebens zu machen, gescheitert. Wahrscheinlich käme esdann aber weniger darauf an, messbare ästhetische Ergebnissezu erzielen, als vielmehr Denkprozesse einzuleiten?Mir kommt es ganz auf das Prozesshafte an.

Prozesse sollen also vor Ergebnissen rangieren? Ja, unter Umständen ist ja auch ein Student, der mit einemknappen Ergebnis die Akademie verlässt, später in der Schuleein vitaler Förderer von Prozessen. Dagegen ist häufig der Student, der zu besonders guten Ergebnissen gekommen ist,egoistisch, verfolgt seine eigenen Ziele und versucht, seine eigene Arbeit in die Klasse zu tragen usw.

Ich muss noch mal zurückschalten. Die Frage der Schule istdoch folgende: Wie weit lässt sich das, was in der Schule imKunstunterricht getan wird, übertragen, wie weit ist es auchfür das Leben effektiv? Umgekehrt: Wie weit geht das, was inder Schule betrieben wird, nie über den Schulhof hinaus? Wirhaben hier Grund zum Pessimismus. Es reicht meist nicht ein-mal, um eine Wohnung geschmackvoll einzurichten oder einenvernünftigen Kunstdruck auszusuchen. Das liegt meines Erachtens daran, dass Schüler eben nur mitmoderner Kunst konfrontiert werden, so dass sie nachher frohsind, wenn sie nicht mehr damit konfrontiert werden. Es wirdzu wenig daran gearbeitet. Die Menschen werden zu wenig in-

nerlich bewegt, und deshalb werden sie keine anderen Men-schen. Deine Forderung, der Kunstunterricht müsse durch dasganze Leben fortwirken, es müsse eine Evolution geben, kannnur erreicht werden, wenn sich der Kunstunterricht durch alleFächer hindurchzieht.

In allen allgemeinbildenden Schulen? Ja. Vor allem auch in den Volksschulen. Dort kann man viel elementarer ansetzen.

Auch in allen Altersstufen? Hier gibt es ja unterschiedliche,mit der Entwicklung zusammenhängende Probleme. Etwa diePubertät, die sich ja im Bereich des Kunstunterrichts in einerFülle klischeehafter Bilder – Cowboys, Modepuppen usw. –zeigt.Dagegen ist ja nicht unbedingt was zu sagen.

Der Kunstunterricht müsste solche in der Existenz der Heran-wachsenden wurzelnde Realität integrieren, sie keinesfalls, wiedas häufig geschieht, verdrängen oder umgehen. Die Pubertät ist zwar ein sehr einschneidender Entwicklungs-sprung im Leben eines Menschen. Sie spielt sich ganz klar inder körperlich-seelischen Entwicklung ab, aber was die Kunst-erzieher in Bezug auf den Kunstunterricht da hineingelegthaben, ist häufig bei den Haaren herbeigezogen. In der Puber-tät sind nämlich die Menschen zu hoher künstlerischer Lei-stung fähig, wenn sie vorher vorbereitet sind.

Nun gibt es allerdings entwicklungspsychologische Unter -suchungen, die hier gegenteiliger Meinung sind. Und wer alsLehrer vor Dreizehn- bis Vierzehnjährigen unterrichtet hat,weiß, wie häufig klischeehafte imitative Bildchen entstehen,und wie sehr sich diese Arbeiten von den in sich geschlossenennaiven und intuitiv richtigen Arbeiten von Zehnjährigen un terscheiden. Diese auf einer harmonischen Entwicklungs -phase beruhende Geschlossenheit bricht ja mit der Pubertätab.Sie bricht deshalb ab, weil die Lehrer so schlecht sind. Weil derHeranwachsende sich gegen den Lehrer in seine Naivität zu-rückgezogen hat wie in eine Art Residium. Der Lehrer stellteinfach als Psychologe fest, in dem Alter malt das Kind so, indem Alter so, alles wunderschöne Ergebnisse. Der Lehrer siehtkeine Möglichkeit, sinnvoll zu arbeiten. Was wir brauchen, ist eine Revolutionierung dieser Vorstel-lungen und Begriffe, weil sie alle nicht mehr stimmen. Ich

wende mich dagegen, dass der Lehrer dem Entwicklungs -prozess gegenüber nur Zuschauer ist.

In Klassen mit Pubertierenden wird mit Rücksicht auf denEntwicklungsstand meist eine elementare Form der Gestal-tungslehre betrieben, die weniger das Abgleiten in imitativeBildäußerungen gestattet.Das ist alles viel zu isoliert. Isolierte Ratlosigkeit innerhalb desScheißbegriffes vom Bildnerischen. Ich lehne dieses Wort»Bildnerisches« ab. In dieser Zeit ist wunderbar zu sagen,wenn einer klischeehaft gezeichnet hat: »Was hast du denn dafür ein schönes Näschen gezeichnet? Sieh dir das mal an. Ichzeige dir gleich mal einen anatomischen Atlas, in dem du ver-gleichen kannst, was für einen Nasentyp du gezeichnet hast.«Dann zeigst du, welche unterschiedlichen Formen es gibt. Viel-leicht wird dann für den Schüler Anatomie interessant. Wich-tig ist, dass jetzt ausgebreitet wird, damit man von dem un-brauchbaren Begriff des »Bildnerischen« wegkommt. Es istdoch auch bildnerisch, wenn sich einer mit Anatomie befasst,wenn er sich mit Geographie befasst. Man kann tatsächlich vondem dummen Näschen, das der Schüler gezeichnet hat, aus -gehen und ihm Begriffe vermitteln. Hier braucht man gar nichtvom »Bildnerischen« zu reden, sondern der Mensch wird in sich plastisch, er interessiert sich, er wird sehen, dass For-men Zusammenhang haben, dass sie Verantwortung haben.Man kann doch nicht jemanden einfach so etwas »bildnerisch«machen lassen. Man muss doch in größeren Zusammenhängendenken. Ich muss immer wieder darauf hinweisen, dass sich dasKünstlerische durch alle Fächer ziehen muss. Wenn auch imAugenblick noch der Kunsterzieher stellvertretend diesen Pro-zess einleiten muss. Er müsste also so gebildet sein, dass erweiß, wie sein Fach mit anderen zusammenhängt. Im Grundemüsste der Kunstunterricht, auch für die Schüler, das schwie-rigste Fach sein. Im Augenblick ist er noch das bequemsteFach, in dem man häufig machen kann, was man will. Ichglaube, die Kinder verachten den Lehrer regelrecht, weil er zuwenig fordert.

Nun haben sich gerade hier in den letzten Jahren im Kunst -unterricht die Verhältnisse doch gebessert insofern, als nebendas Machen die sich auf Zusammenhänge besinnende Refle-xion getreten ist, das Bewusstsein dessen, was man tut undwarum man es tut.Wenn du meinst, es hätte sich einiges gebessert, dann bin ichsehr froh darüber.

Nicht allgemein, aber in Ansätzen. Auch nicht nur an den all-gemeinbildenden Schulen, sondern auch an den Hochschulen.Ja, aber die Ansätze verpflichten dann umso mehr, die Revolu-tion weiterzutreiben.

Glaubst du, dass die Kunsthochschule dem hohen Anspruch andie Ausbildung genügen kann?Sie muss, sie müsste es.

Sie müsste es, aber kann sie es auch?Auf jeden Fall kann sie es beginnen, auch wenn das Ergebniszunächst sehr klein ist. Vor allem müssen wir weg von der heu-tigen Definition des »Bildnerischen«. Das Bildnerische im heu-tigen Verständnis ist einfach unmoralisch, ohne Verantwortung,ohne Ethik.

Es ist vor allem auch isoliert …… und deswegen unmoralisch.

Die Frage ist nur, ob es nicht doch utopisch ist, vom Ästhe -tischen moralische Effektivität zu erwarten.Wenn man das wirklich will, dann ist es nicht utopisch. Wennman es will, dann kann man sofort beginnen. Und wenn manbegonnen hat, dann kann man es weiterentwickeln. Man darfnatürlich keine rigorosen kurzfristigen Forderungen stellen.Die Schulen müssen in einem neuen Sinn Bildungsanstaltenwerden, Bildung als plastische Formung. Der Mensch mussrichtig gebildet d. h. durchgeknetet werden. Er muss regelrechtvon einer Ecke zur anderen durchgeknetet werden. Er ist bild-sam, plastisch formbar. Und durch das heutige Bildungs -programm werden die Kinder meistens verbildet. Die Kinderwerden nicht plastisch, sondern sie bleiben unplastisch, un -lebendig. Sie altern zu früh, vergreisen, werden Spießer, Egoi-sten. Und aus all dem entstehen unsere gegenwärtigen un -zulänglichen und unmoralischen Verhältnisse. Aus falscherBildung ergeben sich unerhörte Konsequenzen.

Aus: Kunst + Unterricht, Heft 4, Juni 1969, Friedrich Verlag, Velber bei Hannover, S. 50–53; wiederabgedruckt in: JosephBeuys. Werke aus der Sammlung Karl Ströher, Ausst.-Kat. Kunst-museum Basel, 1969, S. 45–47

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sich schließlich auf das ganze Soziale ausdehnt, also als politi-scher Begriff, sogar sich ausdehnen lässt. Und in diesen ganzenZusammenhängen muss man das sehen mit der Biene. Ichhabe die nicht gemacht, um da irgendeine Aussage zu machenüber den biologischen Stellenwert der Biene, im Tierreichoder so, nicht unbedingt, sondern mehr um’s Wärmeprinzip. Der Wärmecharakter liegt im Honig, aber auch im Wachs,und auch in den Pollen und im Nektar schon, denn die Bieneverzehrt ja gerade das an Pflanzen, was den höchstmöglichenWärmecharakter hat. Wenn man mal alchemistisch vorgeht, irgendwo in der Blüte, da wo der eigentliche Wärmeprozesssich am meisten entfaltet, also wo Duftstoffe entstehen, dieweggehen. Oder wo der Nektar sich bildet, also eigentlich der Pflan-zenhonig. Den könnte man schon als Honigstufe bezeichnen,die die Pflanze selbst produziert. Den nimmt die Biene weg,und lässt ihn noch einmal in ihrem Körper durchgehen undmacht nun etwas Höheres daraus, eine höhere Wirksamkeit,dieser allgemeinen Honigwirkung. Denn man muss davon aus-gehen, dass es eine allgemeine Honigwirkung in der Naturgibt. Die Biene kollektiert das nur und setzt es noch einmal auf eine höhere Stufe. Man muss sich ganz klarmachen, dassdas alles in gewisser Weise ein Kulturgut ist. Der ganze Bie-nenstock, so wie wir ihn heute kennen, ist eine Zuchtform des Menschen. Die wilden Bienen arbeiten ähnlich wie die Wespen, ziemlich anarchistisch. Da gibt es nur sehr ungere-gelte kleine Wabenformen. Der Bienenstock, so wie wir ihnheute kennen, ist eine uralte Kulturform, d. h., er ist abgeleitetvon einer Wildform der Wespen, die in Pflanzen leben, odermeistens in Bäumen. Und das ist tatsächlich so kultiviert worden. Das ist schon in sich ein tiefgehendes plastisches Verstehen ... und ein the-

rapeutisches Verstehen, natürlich. Ursprünglich wurde Honigtherapeutisch eingesetzt, wird ja auch heute noch, aber heutewird er ja auch als gängiges Nahrungsmittel oder als Genuss-mittel eingesetzt.

PRAGER: Ich denk’ jetzt mal an diese Aktion mit dem Gold auf dem Kopf, d. h. Honig – Goldplättchen – Honig usw., eineSchich tung, die in den Kopf hineingeht.

BEUYS: das ist klar, die substanzielle Bedeutung dieser Mate -rialien entspricht wieder ganz genau dem Honig oder den Bienen. Denn die Biene ist zweifellos ein Sonnentier. Jetztkommt ein planetarischer Begriff dazu.

PRAGER: gut, Sonne als Symbol. Also das wäre ein Prozess derReinwaschung, der da stattfindet. Gold und Honig als Begriffehöchster Reinheit.

BEUYS: ja, Reinwaschung, könnte man sagen, ist eine thera-peutische Geschichte.

PRAGER: entscheidend scheint mir bei dieser Sache zu sein,dass es von oben nach unten fließt.

BEUYS: richtig, ist ganz genau verstanden, dass es von obennach unten fließt. Und das Oben ist bei der Biene ganz genauder Bienenstock. Der alte Bienenkorb verkörpert noch ammeisten, was beim Menschen als Kopf aussieht. Und dannströmt das raus, in den Umraum, aber von da bringt es auchwieder was mit.

PRAGER: das Strömen und Zurückkommen

BEUYS: also, das gesamte Physiologische, was sich abspielt ineinem Bienenkorb, spielt sich auch im Menschen ab.

PRAGER: ist identisch.

BEUYS: ja, sagen wir nicht glatt identisch

PRAGER: aber ist auf einer Ebene

BEUYS: das sind physiologische Prozesse, die sich auch in an-derer Art und Weise im Menschen abspielen.

GESPRÄCH ÜBER BIENEN

J. BEUYS MIT B. BLUME UND H. G. PRAGER 1975

BEUYS: wollen wir die Wesenselemente beschreiben. Was da an Bienenköniginnen bei mir da ist, so an Skulptur, hat jaeigentlich gar nichts mit Bienen zu tun. Also rein formal, bisvielleicht auf eine, die mehr wie so ’ne Bienenkönigin auchaussieht, aber doch auch nur eigentlich wenige Bestandteiledes Körpers zeigt, von Bienen sieht man ja nichts bei meinenBienenköniginnen-Skulpturen.

PRAGER: zweimal sieht man einen Frauenkörper, einen Torso.

BEUYS: ja, das ist die eine, das ist die Erste gewesen

PRAGER: bei der Zweiten auch, so am Rand angeschoben

BEUYS: richtig, ja, das ist die Große, wo das wie so ’n Torso runterhängt. Doch, ja das stimmt, zwei haben so Torso-, soPüppchenformen.

PRAGER: aber da gibt es eine Gemeinschaft zur Biene, irgend -wo der Wachs auf diesem Holzbrett. Und in allen drei Skulp-turen der Wachs auf diesen Holzbrettern.

BEUYS: ja, das ist ganz klar, weil die Biene in einem Umraum zu leben liebt, der gewissen organischen Wärmecharakter hat.Der Entschiedendste war ja der alte, aus Stroh geflochteneBienenkorb, das war der Entschiedenste. Holz ist ja mehr oderweniger ein ziemlich verhärtetes Material. Die spätere Bienen -kiste hat ja schon nicht mehr diesen Wärmecharakter. Und dakommt schon zum Ausdruck, was mich interessiert hat bei denganzen Skulpturen: der allgemeine Wärmecharakter. Ich habespäter so eine Art plastische Theorie, wo der Wärme charakter,die Wärmeskulptur eine große Rolle spielt, ausgebildet, die

BLUME: ich möchte darauf kommen, inwieweit die Analogiegeht, und was man auf den Menschen ubertragen kann

BEUYS: das ist ja keine Analogie in diesem platten Sinne, son-dern einfach der Zusammenhang, dass sich Lebensprozesse aufder einen Seite im Tierreich so abspielen und beim Menschenin anderer Weise abspielen, denn der Mensch hat ja tatsächlichnoch eine Verwandtschaft zu all’ diesen Dingen. Wir habenvorhin von der Milch gesprochen, da ist ja so was ähnliches, dassind ja auch Milchprozesse, die sich im Menschen in genauderselben Weise abspielen, ja da noch viel entschiedener, weildas auf einer biologisch-tierischen Ebene stattfindet, die eineStufe tiefer liegt. Man könnte sagen: z. B. Frau gibt Milch undder Mensch gibt Honig. Auch der Mensch produziert seineneigenen Honig, wenn er keinen von außen bekommt. Aber dassind alles Dinge, die da sind, das sind einfach nicht Analogien,sondern reale Parallelitäten von Vorgängen. Der Menschbraucht einfach eine bestimmte Menge von Honig. Wenn erihn nicht von der Biene bekommt, wo er ihn erstens mal inbester Form bekommt und in der höchsten, nennen wir es mal,der höchstgestaltetsten Form bekommt, dann nimmt er ihneben woanders her. Aus feinen Substanzen, die an Blätternhängen, da sind immer Spuren von diesen Dingen. Auch in an-deren, z. B. als ich von Feigen sprach, von Obst sprach, da sindfeine Spuren von so’m allgemeinen Honig. Die Biene ist nurgezüchtet worden, um dieses Prinzip, dieses Kochprinzip her -zustellen, das durch einen Kochprozess in eine höhere Formhineinkommt, in eine feurige oder Wärmeform hineinkommt. Dass das kultiviert wird durch Menschen, weil sie er kennen,das ist die Substanz, die benötigt wird: aus thera peu tischenGründen, aus pflegerischen Gründen, aus Ent wick lungs grün -den. Deswegen war das eine hochgestellte Ge schichte, die Bienenzucht.

PRAGER: sie war aus der Produktion Wachs – Honig hoch -gestellt, vielleicht aber auch aus der Haltung Staat. Da gibt esja auch eine Analogie, nicht?

BLUME: ich würde da noch weitergehen, dahingehend, wieBeuys das gerade erklärt hat, nicht hochgestellt aus einemnicht nur rein produktiven Element, sondern aus einer bes-timmten Bedürftigkeit nach einem allgemeinen Honig, wieBeuys das nennt.

BEUYS: ja, der allgemeine Honig wurde früher auch im mytho -

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BLUME: sag’ mal

BEUYS: nicht, das müsste zwischen Herz und Gehirn zu suchensein, also die Bienenköniginnenfunktion. Und das Ausscheidenvon verfallenen Zellen geschieht täglich, indem der Menscheinfach eine Ausscheidefunktion hat. Und die Drohnen, dieüberflüssig sind, das ist kein Mord an individuellen Existenzen,sondern das ist ein Ausscheiden von Zellen, die mal benötigtwurden, um den Prozess aufrecht zu erhalten und die immerwieder neu kommen, aber immer wieder neu ausgeschiedenwerden, während andere Zellverbände ein längeres Lebenhaben. So was gibt es in der menschlichen Physiologie auch,also man muss sich davor hüten, so eine einzelne Biene zusehen und sagen, das ist ein Individuum. Das ist eine Zelle imGanzen, genau wie eine Hautzelle, oder eine Muskelzelle, odereine Blutzelle. Am besten lässt sich das noch vergleichen mitden im Körper herumschwärmenden Blutzellen. Da gibt es jaauch unterschiedliche Zellen, die sehr schnell im Blut immerwieder abgebaut werden und solche, die länger bleiben. Also, der Mensch ist praktisch auch ein Bienenschwarm, Bienenstock. Also dieses Vergleiche, das hätte Sinn im Sinnedes alten Apiskult etwas zu denken. Nicht, dass man sagt, daläuft einer ’rum, und da läuft einer ’rum, der wird jetzt getötetund jetzt ist der dran ... So ist das nicht, sondern das ganze hatja Gruppensinn-Charakter, das ganze ist eine Einheit ... Ich habe gesagt, was für mich wichtig ist, ist der allgemeineWärmecharakter, der sich bildet, die Substanzen, die sich bil -den: Honig, Wachs, Blütenstaub, Nektar. Also raus aus dem Bienenstock, hin zu der ganzen Umwelt, die Pflanze selbst, diedazugehört. Die Pflanze, die wieder im Zusammenhang stehtmit mineralischer Grundlage, dem Bodenwechsel. Dass am Bienenorganismus sich der ganze Zusammenhang abbildenlässt als Wärmeprozess, und dass man ihn übertragen kann imSinne des Apiskultes im anderen Sinne, die sich in der mensch -lichen Weiterentwicklung vollziehen können, oder vielleichtauch sollen. Wie z. B. ein Sozialismus, jetzt nicht im Sinneeines Staates, der perfekt funktioniert, aber eines Organismus,der doch perfekt funktionieren muss. Denn gegen die Perfek-tion ist ja nichts einzuwenden, wenn diese Perfektion humanist, also wirklich wärmehaft sozial ist. Dieser Begriff desWärmehaften verbindet sich auch mit dem Begriff der Brü -derlichkeit und des gegenseitigen Zusammenarbeitens, und des wegen haben Sozialisten die Biene genommen als Symbol,weil das im Bienenstock geschieht, die absolute Bereitschaft,sich selbst zurückzustellen und für andere etwas zu tun.

So ge schieht es doch im Bienenstock, z. B. weitgehend aufgeschlecht liche Dinge zu verzichten, im Sinne des Ganzen, wiebei den Arbeiterinnen, dass das symbolisiert wird nur an einerFigur, nämlich der Königin, wo sich solche Prozesse vollziehen.Die anderen setzen das zurück und arbeiten in ganz anderenarbeitsteiligen Zusammenhängen. Diese ganzen Dinge sindwichtig, das ist ganz wichtig. Also, wenn wir das noch mal zusammenfassen, sind das jasehr verschiedene Elemente. Erstens einmal die rein mor-phologischen, die wir besprochen haben durch diese Charak-tere. Dann, nicht wahr, der substanzielle Charakter: Wachs,Honig, Pollen, Blütenstaub, Nektar, Pflanzenhonig, so in dieserReihe. Dann dazwischen, in diesem ganzen Betrieb, derWärmecharakter, der bei der Blüte schon vorliegt, der hinein-genommen wird in den ganzen Bienenstock und sich da weiterauf eine höhere Stufe hin organisiert. Und dann allgemein, wie es therapeutisch jetzt angewandtwird, das interessiert. Dann die Übertragung, jetzt aber nichtals eine sinnlose Übertragung, sondern vom Bilde genommeneÜbertragung, einer sozialen Wärmeskulptur. Das hat ja bei mirdazu geführt, dass ich sage, es muss ein anderer Kunstbegriffgeprägt werden, der sich auf jedermann bezieht, und nicht nurSache der Künstler ist, sondern sich anthropologisch nurdeklarieren lässt. D. h. jeder Mensch ist ein Künstler in demSinne, dass er etwas gestalten kann.

PRAGER: so wie Denken Plastik ist, was Sie mal gesagt haben.

BEUYS: ja richtig, ganz allgemein. Und dass in der Zukunft dasgestaltet werden muss, was man die soziale Wärmeskulpturnennt, das würde die Entfremdung in der Arbeitswelt über-winden, ist auch ein therapeutischer Prozess, ist aber auch einWärmeprozess. Das geht wieder ganz klar zusammen mit demPrinzip der Brüderlichkeit, der den Wärmebegriff in sich hat.D. h. jeder arbeitet für jeden, keiner arbeitet nur für sich, son-dern jeder befriedigt die Bedürfnisse eines anderen. Währendich selbst von den Leistungen anderer lebe, gebe ich wiederetwas an andere ab, dieses auf Gegenseitigkeit, was ja in einemsolch auseinandergenommenen physiologischen Organismuswie im Bienenstock wunderbar zu beobachten ist. Wo die Zel-len jetzt nicht so verbacken sind wie in einem höheren Orga-nismus, wie z. B. in der menschlichen Leiblichkeit, sondern woer eigentlich auseinanderliegt und auch noch beweglich ist.Das ist wichtig.

logischen Zusammenhang als eine spirituelle Substanz ange -sehen, und insofern war die Biene natürlich auch eine Gott -heit. Es gibt ja Apiskult. Der Apiskult ist eine sehr verbreitete Kultur, das ist imGrunde eine Venuskultur, die aber ganz besonders an Bienenpraktiziert wurde. Da wurde gar nicht Wert draufgelegt, dassman nun Honig frisst, sondern da wurde der ganze Vorgangangeschaut als ein wichtiger Vorgang, der Kosmisches undIrdisches verbindet, und das alles einfließen lässt. Ja, nun erstmal das Allgemeine einfließen lassen ist das substanzielle Ein-fließenlassen von hochgestellten Substanzen, die aus dem Um-raum kommen, das ist der alte Apiskult. Und im Grunde sindmeine Skulpturen auch eine Art Apiskult, sie sollen sich nichtverstehen als Aussage über die biologischen Vorgänge im Bienenstock, sondern sie sollen sich ausdehnen, z. B. auf denApiskult, der z. B. Sozialismus bedeutet. Es gab in La Chaux-de-Fonds ja mal die Bienenrepublik. Eine der ersten sozialis-tischen Bewegungen war ja in La Chaux-de-Fonds, wo dieUhren gemacht werden, in der Schweiz. Da sieht man deswe-gen noch sehr viele Skulpturen an den Wänden, wo überall dieBienen abgebildet werden, an Brunnen ... Die haben denSozialismusbegriff durch die Biene symbolisiert.

PRAGER: darauf wollte ich kommen: Biene und Staat. Im Grun -de ist ja dieser Bienenstaat auch etwas erschreckend Perfektes,der perfekte autonome Staat ohne Humanität.

BEUYS: Das muss man nicht so sehen, das ist eine falsche Sicht,das wird oft so gesehen. Aber der Bienenstaat ist ja kein Staat,der aus Individuen besteht, wie unser Staat aus lebendenEinzelindividuen besteht, sondern die einzelne Biene hat ja keine individuelle Funktion, ist ja nur Gliedmaß, hat nurGliedmaßenfunktion. D. h. eine Biene würde entsprecheneinem Härchen auf meinem Körper. So gesehen ist mein Kör-per auch ein Staat, der perfekt funktioniert.

PRAGER: die Bienenkönigin z. B. hat individuelle Funktion, es gibt jedenfalls unterschiedliche Funktionen in so einem Bienenstaat.

BEUYS: ja, das gibt’s ja bei mir auch, das Herz hat eine unter-schiedliche Funktion zu meinem Gehirn, und wo z. B. liegt dieBienenköniginnenfunktion in meiner Physiologie, das könnteman ganz genau belegen.

PRAGER: auch für die Plastik, ganz konkret.

BEUYS: ja, und natürlich sind noch wichtig für die Plastik diePolaritäten, die sich zeigen. Einerseits in den wärmehaft chao-tischen formellen Prozessen, wie man sie ja sehen kann in derWeiselzelle, die ja amorph und sackförmig ist, und in der Nor-malzelle, die hier praktisch rein geometrisch kristallin auf -gebaut ist. Das sind Polaritäten, die mich immer interessierthaben, auch schon allein im Hinblick auf die Theorie zwischenBildhauerei und Plastik. Denn Plastik bezieht sich mehr aufdie Möglichkeit, sich darin zu bewegen, während Bildhauereiimmer praktisch geometrisch ist, man muss immer durch geo-metrische Konzeption an diese herankommen.

BLUME: hast Du dich vorhin Bildhauer genannt oder Plastiker?

PRAGER: ich betrachte mich mehr als Bildhauer, denn als Plas -tiker ... ganz sicher.

BEUYS: Plastiker ist ja auch heute nicht besonders gut einge-führt bei uns. Weiß ja auch keiner mehr, was das ist: Plastiker.

BLUME: Sie würden Pädagogen auch Plastiker nennen, unterUmständen.

BEUYS: nein, man muss beides sein, genau wie die Biene beidesist. Sie ist Plastiker und Bildhauer, denn sie kennt sowohl daskristalline, geometrische Prinzip und arbeitet danach, als auchdas wärmehaft, sagen wir mal, runde Prinzip. Das sind zwei an-dere Dinge.

PRAGER: die Komplexität der Gegensätze

BEUYS: die Polarität, und letztliche Einheit dieser beiden Prin-zipien, das ist ja deswegen idealerweise rein morphologisch da.Und das ist ebenfalls etwas, was mich interessiert. Also tat-sächlich, das ist unmittelbar interessant im Zusammenhangeiner Theorie der Plastik, ist sogar notwendig. Und dannkommt man wie von selbst auf diese Gegebenheiten.

PRAGER: hat sich das so ab 1947 schon ganz konkret dahinge-hend entwickelt?

BEUYS: ja, das hat mich von vornherein interessiert, das warsogar mein Ansatzpunkt, um Kunst zu studieren, denn ich habe

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Und das ist grundsätzlich etwas anderes als ein bild-hauerischer Prozess. Der Bildhauer schneidet ein in etwasFestes, Vorgegebenes, und geht dann meistens geometrischvor. Geht von einem Block aus, und sagt, das ist hinten, vorne,rechts und links. Orientiert sich also am Fadenkreuz oder andiesem kubischen Kreuz, und nimmt da ’ne Ecke weg und da’ne Ecke weg, und erst ganz zum Schluss kommt die individu-elle Sache, die dann schließlich auch organische Plastik seinkann, auch im Stein. Aber das Vorgehen, das skulpturale Vor -gehen entspricht mehr dem anderen Prinzip ... Der Ton ist ja im Grunde auch eine Art von steifer Flüs-sigkeit. Ton modellieren ist im Grunde ein Arbeiten in einersteifen Flüssigkeit.

PRAGER: der sich dann eben auch nachher verhärtet

BEUYS: deswegen habe ich ja auch Fett genommen, weil dasnoch leichter, beweglicher ist, also noch mehr zum Flüssigenhin tendiert. Ganz besonders wenn ich jetzt – was mich ganzbesonders interessiert – mit Wärmeelementen komme: alsomehr mit Kälte, oder mehr mit Wärme, dann fließt es ent -weder weg, ist flüssig wie Öl, oder es erstarrt und ist dannmehr oder weniger fest. Das hat ja auch eine Funktion inner-halb dieser Theorie, deswegen das Fett, das hab’ ich ja nichtnur willkürlich genommen, weil es ekelhaft aussieht, sondernich hab’ es genommen, weil ich etwas klarmachen wollte andieser Sache, wie es wirkt innerhalb dieser ganzen Theorie.Wie ich sie ja auch als Theorie tatsächlich auf den totalisiertenKunstbegriff, der alles bedeutet, bringe. Der totalisierte Kunst- begriff, das ist ja das Prinzip, was ich mit diesen Materialienausdrücken wollte, der sich letztendlich bezieht auf alles, aufalles Gestalten in der Welt. Und nicht nur auf künstlerischesGestalten, sondern auch auf soziales Gestalten, oder aufRechtsgestalten, oder auf Geldgestaltung, oder auch auf land-wirtschaftliche Probleme, oder auch auf andere Gestaltungs-fragen und Erziehungsfragen. Alle Fragen der Menschen kön-nen nur Fragen der Gestaltung sein, und das ist der totalisierteKunstbegriff. Er bezieht sich auf jedermanns Möglichkeit,prinzipiell ein schöpferisches Wesen zu sein, und auf die Fra-gen des sozialen Ganzen. Jetzt hier wieder, der Bienenstock,wie der denn gestaltet sein muss, damit wieder humane Ver-hältnisse herrschen. Wie das im Augenblick sein muss, das ist ganz klar, das lässtsich ja in den Grundzügen durchaus aussprechen: dass einMangel an Freiheit da ist, ein Mangel an Demokratie und ein

Mangel an Sozialismus. Genau dieses sind Gestaltungsauf-gaben, und sie können sich nicht nur erschöpfen in Gestal-tungsaufgaben, die nur für einige wenige Gestaltungsaufgabensind. Für Bildhauer, Maler, Architekten usw., oder im gleichenBereich der Kultur verschlissen werden dürfen, sondern siemüssen überall stattfinden, diese gestalterischen Prozesse. Undsie müssen mehr und mehr durch jeden einzelnen selbstdurchgeführt werden.

Aus: Rheinische Bienenzeitung, Heft 12, 126. Jg., Dezember 1975,S. 373–377

ja ursprünglich Naturwissenschaften studiert. Und weil michdiese ganzen tiefergehenden Überlegungen mehr interessierthaben, wo man im gegenwärtigen Wissenschaftsbereich janichts werden kann ... Was will man denn im gegenwärtigenWissenschaftsbereich mit mythologischen, geistigen Vor stel-lungen werden, die auf Plastik und auf Kunst und auf sozialeSubstanzen wirken? Was will man im wissenschaftlichenSpezialistentum damit werden? Gar nichts! Und deswegen binich da ausgebrochen, weil ich meinte, im Bereich der Kunstkönnte ich diese Weise von Wissenschaftlichkeit besser prak-tizieren. Das war eigentlich der Ansatz, wenn auch damals – dawar ich ja noch jung – ziemlich instinktiv. Aber immerhin, ausdieser Zeit gibt es ja schon Zeichnungen von diesen Bienen. 1948, 1947 fing ja das schon an, diese Sache mit den Bie -nen. Oder auch wo Pflanzen übergehen in Bienen ... Denn dasist ja so, wenn die Biene zur Pflanze kommt, ist das eine Ein-heit, also Blüte und Biene gehören zusammen als Prozess.

PRAGER: um noch mal bei der Plastik zu bleiben, am Anfangwar der Prozess des Entstehens ganz entscheidend, nicht sosehr die starre Plastik.

BEUYS: für mich ... nein, nicht die starre, sondern diese be-wegliche ... In meiner plastischen Theorie sind es zwei ver-schiedene Begriffsbezeichnungen: Skulptur und Plastik. Skulp-tur würde dem deutschen Wort Bildhauerei entsprechen undPlastik würde dem organischen Bilden von Innen entsprechen.Oder wenn man es vergleicht: ein Stück Stein, was ich findeund wo irgendwo durch die Natur ein Prozess daran geschehenist ... nehmen wir mal an, man findet einen Stein, der aus einerGletschermühle stammt, wo so’n Gletscher eine hohle Rinnereingemacht hat, das würde dem bildhauerischen Elemententsprechen. Dagegen, wenn ich einen Knochen finde, würdeman sagen, der hat sich gebildet im Grunde aus Flüssig -keitsvorgängen, die erstarrt sind. Man findet ja deswegen im Knochen diese verdrehten Kurvenbildungen. Wenn Du z. B. Milch ausgießt, dann siehst Du, da bildet sich etwas, wasmanchmal so aussieht wie ein Knochen, da drehen sich Wirbel,ganz steif. Wenn der erstarrt wäre, wäre das ein StückKnochen. Also alles, was sich in der menschlichen Physiologiespäter verhärtet, stammt ursprünglich aus einem Flüssigkeits -prozess, ist ja auch ganz klar zurückzuverfolgen: Embryologie... und nach und nach wird das fest, aus einem flüssigen, all -gemeinen Bewegungsprozess, aus einem evolutionären Grund-prinzip, was Bewegung bedeutet.

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den geteilten Kreuzen, handeln zu einem großen Teil von denProblemen der eurasischen Kontinente. Der Hase ist ein eura-sisches Tier, ein Element aus der Steppe. Die Ökologie desHasen ist wichtig; er bewegt sich unabhängig von politischenGrenzen, er baut sich auf eine Art ein, was macht, dass zumin-dest ich ihn mit der Inkarnation assoziiere. (Aber die Symbolikist noch deutlicher in meinem Gebrauch von Kaninchen; siegraben sich in die Erde ein, während die Hasen sich nurducken. Ich verwendete Kaninchen zum ersten Mal in DerChef – Fluxus-Gesang 1963, und es kam daher, dass ich zweiKaninchen von dem dänischen Komponisten Henning Chris-tiansen bekam.)

MATS B: Aber verwenden Sie wirklich den Hasen oder das Kaninchen als Metapher?

BEUYS: Ja, man kann sagen, dass sie als Metapher verwendetwerden – aber sie werden auch als physische Phänomene ver-wendet, als Beispiel auf spezielle Maßeinheiten in der Welt;diese sind auch wirklich. Die Idee ist, weiterzugehen. Der Hase ist teils ein Meta-

Glaube an die Kunst am schwächsten war, als ich ernsthaft mirüberlegte, die Kunst ganz zu lassen.

MATS B: Es war wohl in den Jahren, wo Sie ein wenig un-regelmäßige »organische« Kreuze für verschiedene Grab stättenmachten?

BEUYS: Es fing damit an, aber die Arbeit führte so oft zuGedanken und Diskussionen über den Symbolwert der Kreuz-form, über Begegnungen von Ungleichheiten, über die Wie -derauferstehung, dass mein Glaube an die Kraft der Kunst fastaufhörte. (Es war erst, nachdem ich auf den Feldern der Ge-brüder van der Grinten anfing zu arbeiten, als ich wiederbesser wurde.)

MATS B: Das weiße Kreuz in der schweizerischen Flagge wirdweniger symbolisch, mehr augenscheinlich, indem sie von ihrereigenen Schwere gefaltet wird.

BEUYS: Die Flagge gibt, aufgrund ihrer nationalen Symbolik,eine Assoziation, die die geografische Assoziation zu einerBerglandschaft stützt und präzisiert. Aber auch, wenn das Kreuz sich auf ein geografisches Gebiet bezieht, ist dessen Fähigkeit, wie ein vielfacettiertes Zeichen zu wirken, das wichtigste.

MATS B: Sie haben zu verschiedenen Zeiten systematisch mitTieren in der Kunst gearbeitet; Sie haben z. B. mit Bienen,Hirschen und einen Kojoten gearbeitet. Warum ist der Hasebesonders wichtig gewesen?

BEUYS: Die Werke mit den Hasen, genauso wie die Werke mit

VON HASENBLUT UND GEISTIGEN BEDÜRFNISSEN

GESPRÄCH ZWISCHEN JOSEPH BEUYS UND MATS B*1982

MATS B: Im Moderna Museet gibt es ein Werk von Ihnen von1965, Hasengrab V (die Alpen). Was bedeutet dies heute fürSie?

BEUYS: Genauso wie die anderen Werke aus der Mitte der 60erJahre, ist es ein wichtiger Schritt in meiner Entwicklung. Daswichtigste ist, dass die Werke offenbar sind, dass sie Gegen-stände sind. Dieser Aspekt wird immer wichtiger, da ich jetzt mehr undmehr mit Sprachen und Ideen arbeite. Es ist ungeheuer wich -tig, einen konkreten Hintergrund als Ausgangspunkt zu haben.Alle Gegenstände, die ich habe, oder gehabt habe, hier inmeinem »Laboratorium«, sind logisch unumgängliche Schrittein meiner Entwicklung gewesen. Ich habe einige »Hasengräber« in der Mitte der 60er Jahregemacht, und dieses ist das größte davon. Jedes »Hasengrab« enthält einen Teil eines toten Hasen, bedeckt von einer Menge verschiedener Materialien. In die -sem »Grab« gibt es z.B. Äste, Mullbinden, Kartonteile, ver-schiedene Arten von Nadeln, eine Plastikdose mit grünenTabletten, Blut, Leim, Fett, Watte, einen Bleistift mit weißemStift, eine Medizinflasche und eine Tube. Die Materialien sindnicht besonders bedeutungsvoll; sie sind eher die chaotischeFolge von dem, was gerade vorhanden war. Wichtig war, dassKontraste zwischen den verschiedenen Materialien entstanden,und dass sie den Hasen bedeckten. Aber es gibt hier einige sehr wichtige Details; eine schweiz-erische Flagge und einige zerrissene Briefe. Die Briefe schriebich 1954/55, und sie sind wohl die schwierigsten Briefe, die ichje geschrieben habe; ich schickte sie nie ab, als sie einmal fer-tig waren. Sie sind sehr persönlich, sehr problematisch undsehr deprimierende Briefe, und ich schrieb sie, als mein

pher für alchemistische Prozesse, aber wenn er als ein Phä -nomen mit Relationen zur Offensichtlichkeit des Bodens ver-wendet wird, dann wird er als ein Zeichen, als ein Konzentratvon den Problemen verwendet, die die Aufteilung in West -europa, Sowjet, usw. zur Folge hat. Dessen Bedeutung ist doppelt – genau wie unsere Arbeit in den ökologischen Organisationen, in FIU, und in »die Grü-nen«. Die Probleme, mit denen wir arbeiten, sind ungeheuerwichtig. Man muss jeden Tag mit ihnen arbeiten, speziell indiesen Tagen der Aufrüstung, und man muss auf verschiede-nen Fronten arbeiten .

MATS B: Sie haben geschrieben, dass das Blutsystem der HasenSie besonders interessiert. Ist das Interesse hauptsächlichmetaphorisch oder konkret?

BEUYS: Hauptsächlich konkret. Wenn man Hasenblut schmeckt,merkt man, dass es ein ungewöhnlich »volles« und strengesBlut ist, dass es ein Blut ist, was intensive chemische Bestand -teile transportieren kann – aber mein Interesse enthält auchmythologische und traditionelle Aspekte, Aspekte, die sich dem

Abb. 83 Joseph Beuys, Hasengrab V (die Alpen), 1965, 46 x 92,5 x 23 cm, Moderna Museet, Stockholm

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geistigen Ideale gibt. (Und diese Ideale, wie z. B. die Kunst,sollen nicht als Überbauten appliziert werden; sie müssen vonunten kommen, sie müssen von Anfang an da sein!) Nietzsche hatte genauso recht wie Oswald Spengler in sei -ner Arbeit Der Untergang des Abendlandes recht hatte; dassog. Abendland befindet sich im Rückschritt. Unsere einzigeArt weiterzugehen ist, außerhalb der nationalen Kulturen mitSystem zu arbeiten.

MATS B: Gemäß der letzten Prognose der Vereinten Nationenwird sich die ökonomische Macht von Europa während derzwei kommenden Jahrzehnte verringern, gleichzeitig wie z. B.die afrikanischen Staaten und die Staaten in Südostasienstärker werden.

BEUYS: Das ist wirklich nicht gesagt! Wenn Europa Macht ver-liert, hängt es von uns ab – und es ist genau hier, wo mein Ver-hältnis zu Nietzsche gespalten ist. Er sagte offen, dass »ihrschwach seid, ihr nicht die Kraft habt, stark zu werden«, undnach meiner Sicht wird Europa gerade jetzt immer stärker.

MATS B: Auf welche Weise finden Sie, dass Europa vital ist?

BEUYS: Ja, auf der mentalen Ebene, und nur dort, passierengerade jetzt unerhört wichtige Veränderungen. Auch wenn ich Afrikas Vitalität sehen kann, wie sie sich or-ganisieren, und in der Stärke wachsen, scheint es, als ob sieMangel an Ideen haben.

MATS B: Aber den USA, auf der anderen Seite, fehlt es dochnicht an Ideen? In ihrem Fall scheint es eher so zu sein, dasssie die Komplexität der europäischen Kultur brauchen.

BEUYS: Gewiss, sie sind vollkommen irre ohne ihre Wurzeln –und wegen dieses Bedürfnisses hege ich die Hoffnung, dass dieganze Welt total veränderbar ist! Hier in der BRD arbeitet z. B. die politische Partei »die Grünen« für solch eine Verän-derung, und wir haben schon überzeugende Ergebnisse in unserer Arbeit erreicht. Wir haben z. B. massiv gegen denMissbrauch der menschlichen Arbeitskraft protestiert, und indiesem Zusammenhang soll man auch meine Erklärung, dass»jeder Mensch ein Künstler ist« verstehen. Gleichzeitig arbeitet Free International University auf einereher theoretischen Ebene, um die ökonomischen, kulturellenund politischen Bereiche zu verändern.

Trans formationen arbeitete, ob er eigentlich jemals den abend -ländischen Kunstbegriff verließ.

MATS B: In welchem Verhältnis steht Hasengrab V (die Alpen)zu der deutschen (Vor-)Romantik?

BEUYS: Ganz prinzipiell habe ich natürlich meine Wurzeln indem idealistischen Anfang, der später von der materialisti -schen, sog. industriellen Revolution unterdrückt wurde. Schonbei Kant sieht man einen ersten Zweifel in der Möglichkeit,eine geistige Wahrheit zu erreichen – denken Sie an die zerris-senen Briefe! – und bei Novalis, Fichte, Hegel, genauso wiebei Caspar David Friedrich, ist die Frage von der Relation vomWort zur Welt von größter Bedeutung.

MATS B: Aber es gibt auch eine deutliche, wenn man so will,formale Verbindung zwischen Hasengrab V ... und dem (vor-)romantischen Denken.

BEUYS: Ja, das stimmt. Sie betrachteten die Berge nicht nur alseinen Teil der Landschaft, sie sahen sie auch als Spur von undZeichen für etwas »Höheres«, analog zum Kopf des Menschen.

MATS B: Jetzt ist es endlich selbstverständlich, Sie über Ihr Ver-hältnis zu Nietzsche zu fragen.

BEUYS: Ich habe ein sehr gespaltenes Verhältnis zu seiner Person und zu seinen Gedanken. Ich finde ihn in einer gewis-sen Weise sehr sympatisch. Für mich ist Nietzsche nicht einSymptom, eine Folge seiner Zeit. Für mich ist er eher eineprotestierende Natur, ein Widerstand in seiner Gegenwart.Sein Versuch, eine neue Sprachwissenschaft in der Kunst undin der Soziologie zu manifestieren, macht, dass er wie ein Poeterscheint, wie ein Künstler. Er war nicht an der »Wahrheit« in-teressiert, er wagte es sogar zu sagen, dass er nicht an der»Wahrheit« interessiert war – und das war das meist Radikale,was er tun konnte. Er hatte eine avancierte Auffassung von derEpistemologie der Gegenwart, eine problematische Auffassungvon der Exaktheit der Wissenschaft ... Ja, so kann man ihnnatürlich als ein wichtiges Symptom für den Zusammenbruch,der damals in der Philosophie und in den Wissenschaften statt fand, sehen. Heute sieht man sehr deutlich, wie brüchig der Gedankeüber die »exakte« Wissenschaft ist, wie leicht er von politischenKräften missbraucht werden kann, wenn es keine höheren

nähern, was Bengt af Klintberg in seinem Buch Harens klagan(Die Klage des Hasen) schrieb.

MATS B: Das bedeutet dann, dass Sie sich Begriffen wie »Sub-stanztransformation« nähern ...

BEUYS: Ja, wir nähern uns der sehr alten alchemistischen Über einstimmung der heutigen positivistischen und material-istischen Sicht auf die Atomkraft; gemäß diesem Gedan kenverwandelt man Materie zu einer mehr konzentrierten, »höh -eren« Form – und ich verwende den Gegensatz; ich versuche,die Abhängigkeit von dem materiellen Verhältnis zu ver min-dern.

MATS B: Wie würden Sie die Unterschiede zwischen »Sub-stanztransformation« und »Reinkarnation« beschreiben?

BEUYS: Ich finde, dass die Begriffe nahe beieinander liegen.Nach einer materialistischen oder besser gesagt nominalisti -schen Weltanschauung habe ich unrecht, aber für mich sind siedicht verflochten. Wenn man die Welt aus einer mehr geisti-gen, erkenntnistheoretischen oder künstlerischen Perspektivesieht, ist diese eine der wichtigsten Fragen. Es ist eine der Fra-gen, die die große Kluft zwischen der Kunst und der positivi -stischen, sog. exakten Wissenschaft verursacht.

MATS B: Es scheint so, als ob Sie es mögen, wenn Hasen undKaninchen sich vergraben.

BEUYS: Ja, sie liegen nahe am Boden. Das Kaninchen bewegtsich nicht auf genauso großen Flächen wie der Hase, aber esvergräbt sich auf der anderen Seite tiefer. Ich habe ein Ka nin -chen im Hinterhof, und es arbeitet genauso viel vertikal wiehorizontal.

MATS B: Duchamp sagte einmal. dass »artists must go under-ground«, und doch behaupteten Sie 1964, dass er überbewertetwurde ...

BEUYS: Nein, ich schrieb nicht, dass er überbewertet wurde;nur dass sein Schweigen überbewertet wurde! Ich sehe mein eigenes Werk aus einer anthropologischenKunstperspektive, und aus dieser Perspektive ist DuchampsSchweigen definitiv überbewertet! Man kann sich wirklich fragen, wie viel er eigentlich mit

MATS B: Von all den Organisationen, bei denen Sie bei der Bildung in unterschiedlicher Weise beteiligt waren, scheint diefreie internationale Universität, Freie Internationale Hoch -schule für Kreativität und Interdisziplinäre Forschung e.V., diewichtigste und am schwersten fassbare zu sein. Heinrich Böllund Sie starteten die Vorarbeit, indem Sie 1972 die theo -retischen Hoffnungen schmiedeten, 1977 arbeiteten Sie aktivbei der Documenta 6 in Kassel, und das Hauptquartier soll inDublin liegen. Aber wie funktioniert es eigentlich?

BEUYS: Es funktioniert sehr gut. FIU arbeitet gerade jetzt mitwissenschaftlichen Analysen über die Gegenwartsituation, wirerarbeiten alternative ökonomische Systeme zum Privatkapi-talismus des »Abendlandes« und zum Staatskapitalismus derSowjetunion, und wir arbeiten schließlich damit, uns ver-schiedenen politischen Organisationen zu nähern.

MATS B: Worin besteht der Unterschied in der Arbeit innerhalbder FIU und innerhalb der Grünen?

BEUYS: Es ist ein Abstraktionsunterschied. Es ist die ganze Zeitnotwendig gewesen, neue Organisationen zu gründen, es sindneue Sichtweisen entstanden. Man kann sagen, dass die Bewe-gung, in der ich mich beteiligt habe, sich genauso organisch entwickelt hat wie ein Menschenleben – und in der FIU habenwir endlich das Alter erreicht, wo wir deutlich die Prinzipien,nach denen wir gearbeitet haben, sehen können. Und erstdann kann man in der Arbeit mit den Details richtig effektivwerden.

MATS B: Sie haben jetzt mehr als 15 Jahre gegen die Macht derpolitischen Parteien und die staatlichen Organisationen agiert.Gleichzeitig ist von vielen Menschen ein großes Engagementdafür entstanden; hat dieses Engagement Ihre Überzeugunggestärkt?

BEUYS: Lassen Sie mich es so sagen, mit der Möglichkeit, miss -verstanden zu werden: ich habe zufälligerweise in einem frü -hen Stadium über diese Fragen nachgedacht. Ich wäre gernein Bauernjunge gewesen, der in die Stadt wanderte, und demes mit etwas praktischer Psychologie und etwas Einsicht in dieSeelenangelegenheiten des Menschen gelungen ist, das, wasgefehlt hat, zu zeigen. Aber dass meiner Person jetzt Aufmerksamkeit geschenktwird, liegt größtenteils an all den Gegnern, die lauthals gesagt

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MATS B: Bengt ist Gastdozent in Berkley, und Staffan Olzonwurde neulich vom Chefposten des Stadttheaters in Uppsalaabgesetzt; er wurde als zu radikal angesehen ...

BEUYS: Während des Festivals in Düsseldorf führte ich zweiWerke auf, und das zeigt meine gespaltene Einstellung zuFluxus. Das Werk des ersten Tages, Komposition für 2 Musikanten,war ein typisches Fluxuswerk mit einer mechanischen Spiel-erei, aber als ich am zweiten Abend die Sibirische Sinphonie,I. Satz aufführte, waren Dick Higgins und die anderen sehr er-staunt. Es war meine erste Aktion und dauerte eine Stunde; ichfing damit an, einen Hasen und etwas Erde auf den Flügel zulegen, ich verband ein elektrisches Kabel zwischen dem Flügelund einer Griffeltafel, schrieb einige soziale Gedanken auf dieTafel, spielte einige Takte aus Saties Messe des Pauvres, undnahm schließlich das Herz des Hasen heraus. Ich meinte die ganze Zeit, dass man durch die Leichtigkeitvon Fluxus sich entwickeln sollte, um radikal mit den sozialenProblemen zu arbeiten. Maciunas schrieb ein Manifest, das die europäische Kunst verdammte – er glaubte eher, dass dieamerikanische Kultur mit deren Antiindividualismus und Anti-intellektualismus die Lösung aller Probleme enthielt – abersein naher Freund und Landsmann aus Litauen, Jonas Mekas,stand die ganze Zeit mehr auf meiner Seite.

MATS B: Aber ich glaube, dass Maciunas versuchte, die ganzesoziale Wirklichkeit zu verändern; es ist ja zum großen Teil seinVerdienst – falls es ein Verdienst ist – dass jetzt so viele Künst -ler in Soho in New York leben.

BEUYS: Ja, aber seine Aktivitäten waren nur für Künstlergedacht. Er blieb, genau wie Duchamp, in der Sphäre derKunst.

MATS B: War es aufgrund Ihrer eigenen Auslegung von Fluxus,wonach Sie manchmal Ihre Werke »Vehicle Art« benannten?

BEUYS: Ja. Ein »Fahrzeug«, ein »Vermittler«, wird entsandt, um für ein spezielles Resultat zu wirken – genauso wie mitdem Hasen beschäftigen wir uns hier mit der Bewegung überFlächen. Aber meine »Fahrzeuge« wirken auch homöopa -thisch; durch Erzeugung von gewissen Symptomen hoffe ich,dass wir alle geheilt werden. »Vehicle Art« ist eine Fortsetzung von Fluxus, und der

wichtige Unterschied ist, dass »Vehicle Art« die Antwort be -achtet, sich wie eine Fähre zu bewegen, hin und zurück, hinund zurück, zwischen dem Alten und dem Neuen. Aber Fluxusbewegte sich nur in eine Richtung, und gerade deswegen ist esnicht einmal denen gelungen, die Sphäre der Kunst zu ver-lassen. Das Ziel von Fluxus war es, die Grenzen zu durch-brechen, aber schließlich wurde es eine stilistische Tradition,genau wie Erdkunst, Körperkunst u. a.

MATS B: In den letzten Jahren haben Sie an sehr vielen Ge -sprächen teilgenommen, sehr viele Vorlesungen gehalten, abereine Ihrer ersten Vorlesungen war für einen toten Hasen.Warum machten Sie Wie man dem toten Hasen die Bilder er -klärt zusammen mit Ihrer ersten Galerieausstellung 1965?

BEUYS: Es war kurz vor der Vernissage. Ich erzählte dem Hasenvon den verschiedenen Werken, von der Bedeutung der ver-schiedenen Materialien, manchmal sogar von der Bedeutungverschiedener Details . Es dauerte eine Stunde, und die Menschen konnten in denRaum hineinsehen. Einerseits war es, als ob man seine Kunsteinem Schüler erklärt, es war aber auch wichtig als Selbst -reflexion.

MATS B: Möchten Sie die Kunst abschaffen?

BEUYS: Nein, ich möchte die Kunst und unser Verständnis da -für verändern, einen neuen Grund entwickeln, wo die Kunstsich starkwachsen und sich verbreiten kann. So, wie es jetzt ist, wirkt die Kunst nur in einer »neutralen«Nische – und dies entspricht nur den Höhlen des Altertums für

haben, dass alles, was »der Meister des fettfleckigen Filzes«gemacht hat, vollkommen wahnsinnig gewesen ist.

MATS B: Eine der Arbeiten, die mit Ihren »Hasengräbern« ver-wandt ist, ist Ihr erstes Werk, nachdem Sie die Künstler vonFluxus 1963 kennengelernt haben; Erdklavier sollte aus derForm eines aus der Erde ausgegrabenen Flügels bestehen.

BEUYS: Ja, das ist auch eine Arbeit über die Inkarnation. Ich arbeitete in dieser Zeit mit Komponisten wie George Maciu-nas, Nam June Paik und Henning Christiansen, und weil ihreWerke Pianos enthielten, kam ich auch selbst dazu, mit Pianoszu arbeiten. Es erwies sich jedoch schwierig, ein »Erdklavier«zu machen; die Idee wurde wichtiger als das Werk, undschließlich mündete es in Infiltration homogen für Konzert-flügel, 1966, aus.

MATS B: Nach der Information, die ich von verschiedenenFluxus-Künstlern bekommen habe, nahmen Sie nicht an demersten Fluxus-Festival in Wiesbaden 1962 teil. Erinnern Siesich, warum Sie nicht daran teilgenommen haben?

BEUYS: Es waren zwei gleichzeitige Veranstaltungen. EineGruppe aus Fluxus waren gezwungen, das Festival in Wies-baden zu organisieren; ich habe damals das Festival in Düssel-dorf mitorganisiert . Ich war Professor an der Kunstakademie, ziemlich neudamals, und es war sehr schwierig, die Aula der Schule zubekommen. Man kann es tatsächlich als den Beginn meinerpolitischen Schwierigkeiten mit der Universität sehen, der Be-ginn von dem, was dazu führte, dass ich von meinem Lehrstuhlabgesetzt wurde. Maciunas organisierte Festivals in Wiesbaden mit Künstlernaus den USA, Frankreich, Korea und der BRD, aber ich or-ganisierte das Festival in Düsseldorf, wo auch skandinavischeKünstler, wie Bengt af Klintberg und Staffan Olzon, teilnah-men.

MATS B: Aber es waren ja fünf Monate nach den Konzerten inWiesbaden. Dazwischen hatten die Künstler von Fluxus anparallele aufführungen neuester musik in Amsterdam, Festivalon Misfits in London und Festum Fluxorum in Kopenhagenund Paris teilgenommen.

BEUYS: Was macht Bengt jetzt? Und wie geht es Staffan?

die Wahnsinnigen. Ich möchte nicht in einem »neutralen« Da-sein leben. Um dem entgegenzuwirken, muss man die Ideender Kunst dort einbringen, wo unsere Kultur gerade jetzt ammächtigsten ist, man muss die Kunst in den ökonomischenKern des politischen Systems einbringen.

MATS B: Wie sollen Künstler dann arbeiten? Sollen sie ver-suchen, in einem falschen System Geld zu verdienen, um esdanach für die Bekämpfung des Systems zu verwenden?

BEUYS: Nein. Der Begriff »Kunst« muss mehr anthropologischverwendet werden, auf die Arbeit von allen – genauso wie derBegriff »Arbeit« entwickelt werden und alle umfassen sollte. Wir müssen die Klassenkampftheorie verlassen. So wie ichsie sehe, ist sie allzu schwach. Anstelle dessen müssen wir unsalle auf die kreative Kraft der Leute einigen. An den Arbeits -plätzen ist die Ökonomie das Entscheidende; das Entschei-dende ist der Stolz des Volkes. Er ist wichtiger als die Ausbeu-tung, die die ökonomische Macht zur Folge hat. Die Fähigkeit der Leute ist das wichtigste Kapital, damitmüssen wir arbeiten; wenn man so will kann man sagen, dasses sich um eine Demokratisierung des Geldsystems handelt.

MATS B: Bedeutet dies, dass Sie am liebsten mit Menschen ausnicht-künstlerischen Berufsgruppen arbeiten?

BEUYS: Ich arbeite immer noch gern mit Künstlern, aber weilsie oft mit wenigen Fragestellungen arbeiten, ziehe ich es vor,mit Menschen aus anderen Gebieten zu arbeiten. Sie neigendazu, klarer zu sehen, was getan werden muss.

Typoskript aus dem Nachlass Joseph Beuys. In schwedischer Über setzung abgedruckt in der Zeitschrift Moder na Museet, Nr. 2, Stockholm 1982, S. 13–15

* Mats B, eigentlich Mats Birger Rindeskär (1951–2009), schwe-discher Künstler, Kunstschriftsteller, -kritiker und Kurator, von1981–83 Redakteur der Zeitschrift Tidskriften Moderna Museet

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JOSEPH BEUYS IM LENBACHHAUS

Es grenzt an ein Wunder, dass die Städtische Galerie mit der Wiedereröff-nung des Neuen Lenbachhauses eine so herausragende Sammlung an plastisch bildhauerischen Arbeiten von Joseph Beuys zeigen kann. LangeZeit, seit 1980, war Beuys allein mit dem Environment zeige deine Wunde(1974/75) dauerhaft in der Sammlung Gegenwartskunst vertreten. Danebenbesaß das Lenbachhaus nur wenige Arbeiten auf Papier und einige Multiples.2012 konnte dann aus der Sammlung Lothar Schirmer die große Raumarbeitvor dem Aufbruch aus Lager I (1970/80) dank verschiedener Mäzene undStiftungen sowie durch das Entgegenkommen des Sammlers erworben wer-den. Inhaltlich wie formal stellt dieses Werk eine ideale Ergänzung zu zeigedeine Wunde dar. Mit beiden Räumen wird das Bekenntnis des Lenbach-hauses zur Kunst von Joseph Beuys eindeutig manifestiert. Bereits seit Jahren hatte Lothar Schirmer das Hasengrab 1962–67 als Leihgabe dem Len-bachhaus zur Verfügung gestellt, womit ein weiterer Schritt zur Präsenz vonBeuys getan war. Auf diesem Weg hin zu einer besonderen Beuys-Sammlungfolgte vor der Wiedereröffnung des Hauses 2013 die »Schenkung LotharSchirmer«. Mit siebzehn weiteren »Plastiken« ist eine Schau der skulptura-len Arbeit des wohl bedeutendsten Bildhauers in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zusammengekommen. Dank seiner außergewöhnlichenGroßzügigkeit, gepaart mit dem Wissen um die Bedeutung seiner Sammlun-gen, verleiht Lothar Schirmer dem Lenbachhaus damit eine neue inhaltlicheAusrichtung. Ein weiterer Schwerpunkt ist gesetzt, von dem aus sich zahl-reiche Wege in der Zukunft ableiten lassen. Unser herzlichster Dank gilt Lothar Schirmer in jeder Hinsicht: für seine Großherzigkeit, sich von einemso wichtigen Teil seiner Sammlung zu trennen, aber auch für seine Liebe zurKunst von Joseph Beuys, die er bereit ist, fortan mit den vielen Besuchernunseres Hauses zu teilen.

Als sich im Jahr 1979 der damalige Direktor der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, Armin Zweite, für den Ankauf des Environments zeige deineWunde entschied, brachte dies die »Gemüter in Wallung«. Erregt standensich zwei Parteien gegenüber, die Gegner und die Befürworter. Dagegenwaren all diejenigen, deren Kunstverständnis von jener diffusen Kunstauf-fassung geprägt war, die von einer wie auch immer gearteten Abbildungs-treue des Bildes ausging und die Neuerungen und künstlerischen Qualitätenvon Joseph Beuys vehement ablehnte. In der zweibändigen Publikation zuzeige deine Wunde des Verlags Schellmann & Klüser von 1980 dokumentiertder Band »Reaktionen« diese Kontroverse, die sich öffentlich um das Werk,mehr noch um dessen Ankauf durch die Städtische Galerie entfachte. Warendie Berichte in der Tagespresse zur ersten Installation von zeige deine Wunde

Helmut Friedel

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Abb. 85 Joseph Beuys: zeige deine Wunde, Bd. 1 und 2, herausgegeben von der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München 1980

Abb. 84 Podiumsdiskussion im ehemaligen Atelierraum von Lenbach, Städtische Galerie im Lenbachhaus, 26. Januar 1980, auf dem Podium von vorne nach hinten: Joseph Beuys, Peter M. Bode (verdeckt), Jürgen Kolbe,

J. A. Schmoll gen. Eisenwerth und Armin Zweite

München. Selbst der Ankauf eines Gemäldes von Rupprecht Geiger war imselben Jahr nur gegen anfängliche Widerstände im Stadtrat möglich, eineRauminstallation von Jochen Gerz, Exit/Dachau, blieb verboten. Umso mehrist aus heutiger Sicht zu bewundern, dass die Erwerbung des Beuys’schenEnvironments erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Damit hat ArminZweite dem Lenbachhaus eine Dimension eröffnet, die nicht nur für das wei-tere Sammeln, sondern auch für die Ausstellungspolitik wegweisend gewor-den ist. Nach diesem entscheidenden Schritt wurde die Sammlungs- undAusstellungstätigkeit der Städtischen Galerie als erweiterte Recherche zurKunst in Europa und Amerika, eingeschränkt auch in Asien und Afrika, auf-gefasst. Anstelle des alten Mottos »Kunst aus München« galt es jetzt, für einneugieriges Publikum »Kunst in München« auszustellen und zu sammeln.Das Werk von Joseph Beuys setzte in jeder Hinsicht Maßstäbe, indem es mitvöllig neuen Kriterien die Aufgaben und Ziele der Kunst zum Ausdruckbrachte. Sie führten weg von einem Darstellungskonzept, das sich auf dasLeinwandgemälde reduzierte bzw. von einer skulpturalen Auffassung geprägtwar, die sich gerade in München bis in die 70er Jahre immer noch einem mo-deraten Klassizismus verpflichtet fühlte. An diesem Punkt anknüpfen und dieSammlung des Lenbachhauses konsequent zu diesem Ergebnis führen zukönnen, erfüllt uns heute mit großer Freude.

Nun stand mit Joseph Beuys der Künstler im Haus, der wie kein anderer dieDarstellungsmodi der plastischen Bildnerei verändert hat. Die Wellen derAufregung waren noch nicht geglättet, da trat das Lenbachhaus mit einerBeuys-Ausstellung an die Öffentlichkeit. Im September 1981 eröffnete dieAusstellung »Joseph Beuys – Arbeiten aus Münchener Sammlungen« mit ins-gesamt 348 Exponaten. Die überraschende Fülle an Werken von JosephBeuys aus zumeist privaten Sammlungen war eine Demonstration der Stärkedieses Künstlers, für den ganz offensichtlich eine bürgerliche Sammler-schicht eintrat. Mit Ausnahme einiger Blätter aus der Staatlichen Graphi-schen Sammlung und dem Lenbachhaus, einem Relief aus den BayerischenStaatsgemäldesammlungen und eben zeige deine Wunde kamen alle Arbeitenaus Privatbesitz. Darunter waren auch vor dem Aufbruch aus Lager I sowieeinige weitere Werke aus der Sammlung Lothar Schirmer, die jetzt zum festen Bestand der Schausammlung des Lenbachhauses zählen. Im Katalog zur Ausstellung »Beuys zu Ehren« im Lenbachhaus, die 1986,wenige Monate nach dem Tod des Künstlers eröffnete, kam Beuys mit meh-reren seiner Reden nochmals selbst zu Wort. Sammler, Galeristen, Muse-umsleute, Kritiker schrieben ihre Erinnerungen an Joseph Beuys nieder, be-richteten von Eindrücken und persönlichen Erfahrungen bei der Begegnungmit dem ebenso charismatischen wie beredten Künstler. Armin Zweitebrachte es in seiner Katalogeinführung auf den Punkt: »Beuys ging es darum,mit seinem erweiterten Kunstbegriff die ethischen Kategorien von Selbst-zweck und Selbstwert menschlicher Produktivität erneut ins Bewußtsein zubringen, weil in seinen Augen nur auf diese Weise das Ziel menschlicher

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im Kunstforum unter der Maximilianstraße in München im Februar 1976durchweg sachlich informativ und bereit zur Auseinandersetzung mit demVorgestellten gewesen, so wurde der Ton in der Diskussion um den Ankaufdeutlich ablehnend bis diffamierend, sowohl in Teilen der Presse wie in per-sönlichen Anschreiben an das Museum. »Des Kaisers neue Kleider« wurdenbemüht, um mit »Scharlatan« fortzufahren, von »After-Kunst« und »Volks-verdummung« zu sprechen. Manche machten selbst vor extremen Äußerun-gen und Androhungen nicht Halt. Ausgangspunkt der Anwürfe war zumeistder für den »Sperrmüll« »viel zu hohe Ankaufspreis«, der gemessen an heutigen Maßstäben ausgesprochen moderat war; zudem hatte Christof Engelhorn als Mäzen die Hälfte des Kaufpreises übernommen. Joseph Beuysstellte sich inmitten dieses Wirbels um seine Arbeit einer Podiumsdiskussionim Lenbachhaus – am 26. Januar 1980, wenige Tage nachdem zeige deineWunde dort von ihm eingerichtet worden war. Natürlich konnte er ebensowie der Kulturreferent und der Museumsdirektor auf viele Begeisterte zäh-len, die an die lebendige und neue Kraft der Beuys’schen Kunst glaubten undden Einzug seines Environments ins Lenbachhaus als einen Triumph übergestrige Normen feierten. Aus heutiger Sicht erscheint eine so heftig und öffentlich ausgetrageneKontroverse um ein Kunstwerk, das in eine kommunale Sammlung kam,kaum mehr nachvollziehbar. Diese Auseinandersetzung wurde deutschland-weit geführt und berührte auch die Aufgaben und Ziele der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, vor allem deren bis dahin streng gepflegte Mün-chen-Bindung: Die Beschränkung ausschließlich auf Kunst aus Münchenstand dem Erwerb des Beuys’schen Environments im Wege. Als diese Vorgabe mit der Museumsgründung 1929 festgeschrieben wurde, hatte mandie Münchner Maler-Schule des 19. Jahrhunderts im Auge, die es hier imStädtischen Museum zu sammeln galt, und zwar in kleinen Formaten, wäh-rend die großen, repräsentativen Gemälde in der Neuen Pinakothek, denStaatsgemäldesammlungen, ihre Heimat fanden. Aber bereits 1929 war derenge München-Bezug längst schon fragwürdig. Schließlich war München derOrt, an dem sich die Künstler des ›Blauen Reiter‹ zusammengefunden hat-ten. Sie waren aus Moskau, St. Petersburg, dem Rheinland, aus Holland,Österreich, der Schweiz, ja sogar aus den USA gekommen und hatten mitdem ›Blauen Reiter‹ eine neue Kunst postuliert. Spätestens durch die groß-artige Schenkung Gabriele Münters im Jahr 1957 aus Anlass ihres 80. Ge-burtstags war der enge Bezug auf München nicht mehr klar zu rechtfertigen.Damals wurden mit der Fülle an Werken von Wassily Kandinsky, GabrieleMünter, August Macke, Alexej von Jawlensky, Alfred Kubin, Paul Klee u. a.hier Künstler präsent, die München nur zeitweise zu ihrem Aufenthaltsortgemacht hatten. Franz Marc war der einzige Künstler des ›Blauen Reiter‹,der auch in München geboren war. Heute klingt es schier unfassbar, dass1957 eine große Volkspartei die Annahme der Schenkung Münters ablehnte.Der Widerstand und die ablehnende Haltung beim Ankauf von JosephBeuys’ zeige deine Wunde im Jahr 1979 hatten also durchaus Tradition in

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Abb. 87 Bei der Eröffnung der AusstellungJoseph Beuys – Arbeiten aus Münchener Sammlungen,Städtische Galerie im Lenbachhaus, September 1981.Foto Roland Fischer

Abb. 86 Joseph Beuys, zeige deine Wunde, erstmalsausgestellt im Kunstforum München, 1976. Foto Ute Klophaus

so vervollständigt wohl erst der Blick auf seine private Sammlung an Papier -arbeiten das Gesamtbild. Allein die Präsenz der plastischen Arbeiten aus den 50er und 60er Jahren bis hin zu den raumgreifenden Environments der 70er Jahre liefert eine so reiche und überzeugende Vorstellung der Beuys’schen Kunst, und sie kann nun im musealen Kontext auf Dauer gebo-ten werden. Im Folgenden wird versucht, auf die plastisch-skulpturalen Merkmale derArbeiten von Beuys einzugehen, sich seinem Werk zu nähern, ohne es mitder Fülle des Wissenswerten zu überfrachten. Vor einem solchen Versuchmöchte man sich gern absichern, wohl wissend, dass es hierfür keine Anker-punkte gibt. So mag ein Zitat von Gerhard Storck aus dem Vorwort des Krefelder Beuys-Katalogs von 1991 genügen: »An vielen Punkten erwies sichdie Sprache einfach als untauglich, die wahrgenommene ›Sachlage‹ in ihremBeziehungsreichtum zu erfassen. Wenn dann trotzdem immer wieder neueVersuche unternommen wurden, tiefer in die unglaublichen Verhältnisse ein-zudringen, war das Scheitern bereits vorprogrammiert. Doch hat Beuys ja injedem Scheitern, das aus Versuchen resultiert, bestehende Grenzen zu über-schreiten, geradezu die Voraussetzung dafür gesehen, daß dem Menschenüberhaupt ab und zu ein Licht aufgeht.« Heute, eine Generation nach Beuys’ Tod (1986) sehen sich mehr undmehr Menschen mit seinem Werk konfrontiert, die die Person Beuys, dencharismatischen, kommunikativen, sprechenden Künstler nicht mehr aus eigener Erfahrung und Begegnung kennen, die aber weiterhin die enormeFaszination spüren, die unmittelbar von seinen Arbeiten ausgeht. Die meis -ten der frühen Texte zum Werk von Beuys sind stark geprägt von den je wei-ligen persönlichen Erfahrungen, insbesondere mit dem Lehrer Beuys undseinen inhaltlichen wie thematischen Motiven. Bereits 1961 veröffentlichtendie Gebrüder van der Grinten im Katalog zur Ausstellung »Joseph Beuys –Zeichnungen / Aquarelle / Oelbilder / plastische Bilder aus der Sammlung van der Grinten« (Städtisches Museum Haus Koekkoek, Kleve) den vomKünstler selbst verfassten Lebenslauf. Hierin erklärt Beuys seine Intention,nicht Lebens- und Ausstellungsdaten herkömmlich aneinanderzureihen, sondern die Bedingungen für das organische Wachsen seiner künstlerischenArbeit herauszustellen (vgl. Monika Angerbauer-Rau, Beuys Kompass, Du-mont 1998, S.13). Damit beginnt eine Rezeptionsgeschichte, die Leben undWerk scheinbar untrennbar miteinander verschmilzt. Weiter ist vor allem Caroline Tisdall eine Fülle an Informationen zu verdanken, die sie direkt vonJoseph Beuys abgefragt hat. Ihre Notizen eines Telefonats mit Beuys sind imKatalog The secret block for a secret person in Ireland (Museum of ModernArt Oxford, 1974) festgehalten. Ferner sind ihre Monographie zur AktionCoyote (Schirmer/Mosel, München 1976) und der Katalog zur Beuys-Aus-stellung im Guggenheim Museum New York, 1979 wahre Fundgruben anÄußerungen des Künstlers zu seinen Werken. Vieles zu den Materialien, denMotiven und Themen leitet Tisdall aus der Biographie des Künstlers ab –eine naheliegende erste Herangehensweise, um die Faktenlage zu klären, der

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Selbstverwirklichung zu erreichen wäre.« An anderer Stelle erinnert er daran,»daß das Vermächtnis von Beuys (…) nur fruchtbar sein und bleiben wird,wenn der über die materiellen Substrate der Werke intentional hinaus -reichende metaphysische Impuls sich als produktiv erweist, wenn das in denWerken angelegte utopische Potential als eine ständige Herausforderung bei uns und bei späteren Betrachtern wirksam bleibt.« Voller Sinnbezügeanalysierte Zweite in einem weiteren Textbeitrag das letzte große Werk vonBeuys, Palazzo Regale (1985), das er Jahre später nach seinem Weggang ausMünchen (1990) für die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorferwerben konnte. Die Ausstellung von 1986 zeigte neben Plastiken, Objekten, Vitrinen undzeige deine Wunde auch eine reiche Übersicht seiner Arbeiten auf Papier vonSyringa (1945) bis Ombelico di Venere (1985). Im anderen, korrespondie-renden Teil der Ausstellung, der Hommage an Joseph Beuys, stellten siebziginternationale Künstler ihre Arbeiten aus. Aus heutiger Sicht schien kaumeines der in diesem Teil vertretenen Werke etwas mit der Bildsprache von Joseph Beuys gemeinsam zu haben. Bereits damals zeigte sich, dass Beuyskeinen Schüler im klassischen Sinn hatte und wohl auch keinen habenkonnte. 1999 wurden sämtliche Multiples aus der Sammlung Jörg Schell-mann in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus gezeigt. Was aber das Wesen der Beuys’schen Plastik ausmacht, kommt trotz derFülle an Texten über ihn wenig zur Sprache. Reiner Speck spricht in seinemTextbeitrag im Katalog »Beuys zu Ehren«, also schon damals, vor fast dreißigJahren, von mehr als vierhundert Publikationen. Wer vermag die Fülle anZeugnissen zu Joseph Beuys heute noch zu überschauen? Vermutlich nurdiejenigen, die mit seinem Werk aufgewachsen und an ihm gewachsen sindund nun zurückblicken können auf eine facettenreiche Rezeptionsgeschichte.Wer heute beginnt, für den erweist sich der Bücherberg mit den Äußerun-gen, Texten, Vorträgen, Diskussionen, Interviews von Beuys, den kritischenInterpretationen seines Werks in Büchern und Katalogen sowohl als segens-reich, was die inzwischen geklärten Details betrifft, wie angesichts des Um-fangs als schier unüberwindliches Hindernis beim Versuch, dieses komplexeWerk zu verstehen.

»ALLES IST SKULTPUR.« J. B.

Den siebzehn Skulpturen und Objekten der Sammlung Schirmer und denbeiden Environments widmet sich dieses Buch in Einzelbetrachtungen. Lothar Schirmer versammelt darin sein Wissen um seine Beuys-Werke,indem er der jeweiligen Bildgeschichte der einzelnen Sammlungsstückenachspürt. Es muss hier betont werden, dass alle seine skulpturalen und objekthaften Werke als Schenkung ins Lenbachhaus gekommen sind, mitAusnahme der Bienenkönigin I und dem Filzanzug, die Leihgaben sind. Willman Lothar Schirmers Engagement für Joseph Beuys in Gänze verstehen,

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Abb. 88 Joseph Beuys, Hasengrab, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München 1981.Foto Roland Fischer

Gelosetrommeln nachzuglühen und den Kontrast zu den ähnlichen Formenin Bienenwachs zu bestärken. Einmal auf die Spur gekommen, ergeben dieAkzentuierungen durch Farbe einen eigenen Sinn. Das Gelb eines Klebe-streifens in der Badewanne wirkt wie ein leiser Aufschrei im Weiß des Be-hältnisses; es wird in der Realität völlig anders wahrgenommen als über dieSchwarzweiß-Photographie von Ute Klophaus, in der das Objekt ins Monu-mentale gesteigert wird. Das dickflüssige, samtene Braun der Musikboxkontrastiert mit dem Schwarzglanz des Schellacks von Platte und Sockel: DieFarbe wirkt hier plastisch, sie formt die spröden Objekte zur Skulptur. Und so lassen sich Beobachtungen zu den Farben im Hasengrab und imMäusestall anstellen, die sich aus der Eigenfarbigkeit der gewählten Gegen-stände ergeben, aber eben aus Dingen, die nicht allein aus einer motivischenSicht aufgegriffen wurden, sondern auch durch ihre Farbigkeit einen Sinn ergeben. Beuys bringt beim Hasengrab Farben von Lacken und farbigeFundstücke in ein Spannungsverhältnis, etwa einen rosafarbenen Anstrichund Tabletten gleicher Farbe. Spürt man diesen Nähen und Kontrasten vonEigenfarbigkeit und gesetzter Farbe nach, dann wird der ganze Haufen vonZivilisationsmüll zu einer farbplastischen Skulptur, in der sich das Nehmenund Hinzufügen, das Zulassen und das Betonen zu einem Sinnbild vereinen.Hartes und Weiches, Kaltes und Warmes, Geformtes und Formbares bildenzusammen den Tumulus, unter dem der Hase begraben liegt. Auch unterdem Blickwinkel der Farbe bei den plastischen Arbeiten von Beuys wirdseine unverwechselbare Art des Gestaltens sichtbar, zu der es keinen unmit-telbaren Vergleich in der Kunstlandschaft gibt.

Und dennoch bezog sich Joseph Beuys in seinen Reden, Interviews und beiDiskussionen vielfach auf andere Künstler. Wilhelm Lehmbruck (1881–1919)wird neben seinem Lehrer Ewald Mataré (1887–1965) besonders häufig vonihm genannt, ebenso oft der Fluxuskünstler George Maciunas (1931–1978).Ganz oben stehen aber Leonardo da Vinci, Pablo Picasso und Marcel Du-champ. Erstaunlicherweise finden Künstler, die in den 50er und 60er Jahrenneue plastische Ausdrucksmöglichkeiten suchten und dabei traditionell als»unbrauchbar« angesehene Materialen heranzogen, bei Beuys nur wenig Erwähnung, obschon er ihr Werk kannte und spätestens bei seiner ersten Beteiligung an einer documenta (III), 1964 auch sah. Damals waren nebenihm Alberto Burri, Marcel Duchamp, Yves Klein und Robert Rauschenbergausgestellt. Man darf auch daran erinnern, dass auf dieser documenta so gar»historische« Bildhauer wie Auguste Rodin, Umberto Boccioni, Aristide Maillol, Otto Freundlich und Alberto Giacometti vertreten waren. Auf derdocumenta 4, 1968, konnte Beuys u. a. Werken von Carl Andre, Dan Flavin,Donald Judd, wiederum Yves Klein und Robert Morris, Walter de Maria,Bruce Nauman, Robert Rauschenberg und Dieter Roth, auch Lucio Fontanabegegnen. Bedenkt man diese Namen, so wird doch deutlich, dass JosephBeuys umgeben war von plastischen Bildnern, die neue Methoden und Dimensionen der Skulptur für sich gefunden hatten. »Live in your head.

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dann jedoch das kritische Hinterfragen und vor allem die unmittelbare Beschäftigung mit dem Werk folgen sollten. Anders geht Armin Zweite in seinem Essay zum Ausstellungskatalog Joseph Beuys, Arbeiten aus Münchener Sammlungen (Lenbachhaus 1981) andas Werk heran. Er wendet sich den Motiven und Themen unter dem Aspektihrer geisteswissenschaftlichen Bezüge zu, analysiert die Materialien und dieMethoden der Beuys’schen Bildschöpfungen. 1991 unterscheidet Zweite (Joseph Beuys – Natur, Materie, Form, Düsseldorf Kunstsammlung NRW,1991) noch deutlicher zwischen »Beuys als Redner und politisch engagierterMitmensch« und seinen »Zeichnungen, Aquarellen, Objekten, Plastiken undRäumen«, also seinem bildnerischen Werk, zu dem wir auch seine Aktionenzählen möchten, sofern sie uns in Filmen und, noch weiter fragmentiert,durch Fotografien erhalten sind. Ein weiteres Augenmerk der Autoren zu Beuys gilt der Entstehungs -geschichte einzelner Arbeiten und Aktionen. Gerade diese Informationentragen wesentlich zum Verständnis des Werks bei, denn ohne den histo -rischen Kontext und die faktische Präzisierung ist keine kritische Aus ein -andersetzung möglich. Der elementaren emotionalen Betroffenheit, die sehende Menschen vor Beuys’ Arbeiten erfahren, kommt diese Betrach -tungs weise allerdings nicht wirklich näher.

Häufig ist die Rede von den Materialien, die Joseph Beuys für seine plasti-sche Bildnerei verwendet hat. Die Frage scheint sich aber eher umzukehren:von der schieren Benennung der eingesetzten Substanzen in die Feststellung,dass es bei ihm weder ein bindendes »Vokabular« an Formen noch eine Ein-schränkung bei der Materialwahl gibt. Alles »Material« dient ausschließlichdem jeweils gesuchten Bild. Beuys’ plastisches Denken fragt nicht nach der»Übersetzung« in ein bestimmtes, dem Gegenstand meist fremdes Material,sondern greift nach dem Stoff, in dem es sich unmittelbar ausdrückt. LangeZeit waren die Schwarzweiß-Aufnahmen von Walter Haberland, Eva Beuys,Fritz Getlinger, Caroline Tisdall, René Block, Ute Klophaus und vielen an-deren feste Orientierungspunkte für die Interpretation der Beuys’schenWerke. Insbesondere bei den plastischen Arbeiten blieb so die Farbigkeit dereingesetzten »Stoffe« wenig beachtet. Sieht man nun zeige dein Wunde undvor dem Aufbruch aus Lager I Raum an Raum nebeneinander, so werden dieQualitäten der Farbe offensichtlich. In dem dem Leben zugewandten Raumdominieren Farben: Rotbraun in unterschiedlichen Variationen, Kupferrot,Grün – dunkel und hell bis Türkis sowie Gelb; während in dem Raum, derdas Thema Tod behandelt, die Farbe auf wenige, sparsam verwendete Rot-töne beschränkt ist, in einem ansonsten strengen Schwarzweiß. Das kleinerote Fähnchen auf der ihres Aufbaus beraubten Lokomotive des MultiplesFahne (1974) erobert den Raum durch die Bewegung des Farbzeichens.Auch noch das Schwinden und Verblassen von Farbe an den Beuys’schen Objekten und Skulpturen können beim Betrachter die Wahrnehmung farb licher Nuancen evozieren. Beim Gelose-Objekt scheint die Farbe in den

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Naturfundstücke wie die Fichtenstämme in Schneefall (1965) bei Beuys rücken? Die Beuys’schen Fettecken (1960), ganz allgemein seine Beachtung vonEcken und Kanten eines Raumes, so auch in den Winkelelementen aus Eu-rasienstab (1967), stehen Richard Serras Splashings and Castings (1968/69)nahe, wobei Serra durch das Schleudern von flüssigem Blei in die Raumkantezwischen Boden und Wand Winkelformen entstehen lässt, die die Klarheitder Raumgeometrie mit dem Zufälligen des flüssigen und erstarrten Materi-als verbinden. Beuys hingegen macht auf die Raumecken und -kanten durchVerdecken aufmerksam. Gemeinsam aber scheint beiden das besondere Interesse für den Raum weg von der Mitte – bei Beuys bis hin zur Leere desOfenrohr-Lochs, wo der Raum spürbar in einen anderen übergeht. Filz, genauer gesagt Schnitte durch dicke Filzplatten, Teilungen, diedurch das Materialgewicht eigene Formen schaffen, Schnitte durch Filz bishin zur Auflösung der Form zu einem Filzstrudel, daran hat Robert Morris(geb. 1931) in den Jahren ab 1965 gearbeitet. Unnötig hier auf ein einzelnesWerk bei Beuys hinzuweisen, in dem Filz eingesetzt wird. Zu eindeutig sinddie Unterschiede wie auch bei allen vorher genannten Werken und Künst-lern. Und dennoch wird durch das Erinnern an diese Positionen der 60erJahre – denen man noch die von Eva Hesse (1936–1970), Marcel Brood -thaers (1924–1976) und Dieter Roth (1930–1998) anfügen möchte – eines deutlich: Das Material der Skulptur war von unterschiedlichen Seiten neu inAngriff genommen worden. Mit den neuen »Stoffen« für die Bildhauerarbeiterwuchsen auch neue Formen des Ausdrucks und Themen, die bisher nichtdarstellbar waren. Dass Beuys in diesem Konzert der plastischen Formungeneinen uneingeschränkt eigenen Platz einnimmt, ergibt sich gerade aus dieserknappen Rückschau auf die Plastik der 50er und 60er Jahre. Bei Beuys scheint sich die Frage nach der Suche von neuen Materialienfür die plastische Bildnerei geradewegs umzukehren. Nicht »welche Mate-rialien hat Beuys der Plastik eröffnet«, sollte sie lauten, da er jedem Material,auf das er zugriff, zum Bildsein verhelfen konnte, sondern damit beantwor-tet werden, dass es die qualitativen Unterschiede der Materialien sind, aufdie es ihm ankam. Und die lassen sich besser adjektivisch als substantivischbezeichnen. Dabei scheint es so, als spiele die jeweilige Konkretion von Ma-terie eine besondere Rolle für das jeweilige plastische Bildwerk, an dem er arbeitete. Vom gefundenen Material zum Werk geht Beuys den Weg der Setzungen. Skulptural denkend verbindet er Festes miteinander, schafftStrukturen, insbesondere Verbindungswinkel, damit das Einzelne zum Gan-zen findet. Plastisch ordnend verschmilzt er die Teile, versetzt das Starre inVibration. Das geschmeidig Formbare, gleich ob Fett oder Wachs oder Filz,und das Harte, häufig Metallplatten aus Kupfer, Zink oder Eisen, bewegensich in einem ständigen Anziehungs- und Abstoßungsprozess zueinander. DieSpannung resultiert aus dem unauflösbaren Gegensatz von weich und hart –Fell und Eisenguss, warm und kalt, organisch und anorganisch, Chaos undKristall.

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When attitude becomes form«, 1968, die Ausstellung von Harald Szeemannin der Kunsthalle Bern brachte Joseph Beuys mit Richard Serra, Robert Morris, Eva Hesse, Bruce Nauman, Mario Merz, Richard Artschwager, Jannis Kounellis, Lawrence Weiner u. a. zusammen und damit in das Kraft-feld der neuen Kunst jener Zeit. Kann man, so drängt sich mit der zeitlichen Distanz die Frage auf, LucioFontana (1899–1968) mit seinen Erdkugeln, Nature (1959/60) betitelt, etwamit VAL (Vadrec [t]) von 1961 (Bronzeguss 1969) oder mit dem »Erd-Ener-gie-Klumpen« im Hasengrab (1962–67) oder einem anderen »Aggregat« beiBeuys, Tisch mit Aggregat (1958–85) in Verbindung bringen? Sind FontanaZinnober und Fontana-Bild (beide 1966) von Beuys geschaffen worden, auchum darin seinen Bezug zur Kunst Fontanas zu erkennen? Herrschen hierWahlverwandtschaften zwischen den Penetrationen der Erdklumpen deseinen und dem Verbinden von Materiebrocken beim anderen? Wobei »ver-binden« bei Beuys durchaus mehrdeutig zu verstehen ist, so zu sehen imErdtelefon (1968). »Verbinden« erfolgt bei Beuys auch durch Mullbinden, die eine Verletzung heilen. »Das Ende aller statischen Kunstgattungen« hatteFontana in seinem Manifiesto blanco von 1946 gefordert. Beuys hat diesenGedanken weitergetragen bis hin zum »Austritt aus der Kunst« (7000 Eichen,1982). In der Aktion Coyote (im Mai 1974 in der Galerie René Block, NewYork) besetzt ein wilder Kojote den leeren Galerieraum, den Joseph Beuysunmittelbar nach seiner Ankunft in Amerika mit ihm teilt. Hier kommt es zueiner dramatischen Begegnung von Mensch und Kreatur. Von der Anonymi-tät des Verhüllten, Geheimnisvollen, Verborgenen weist der Wander-Hirten-Stab den Weg des Dialogs, bis das Tier die Filzhülle zerreißt und Menschund Tier sich aussöhnen. Das Franzikus-Thema, das »Sprechen« mit den Tieren, wurde nie so eindrücklich behandelt wie in Coyote: voller ein präg -samer Bilder, die uns der Filmmitschnitt der Aktion und die Fotos von Caroline Tisdall zeigen. Kann man in Rückenstütze eines feingliedrigen Menschen (Hasentypus)aus dem 20. Jahrhundert n. Chr. von 1972 ein plastisches Gegenbild zu denKörperabdrücken, den »Anthropometrien« (ab 1957) von Yves Klein (1928–1962) sehen? – in 7000 Eichen ein gesellschaftlich relevantes Geschenk an die Natur,dem sich Yves Klein durch eine Bildgeste mit dem Geschenk von Gold an dieSeine (1962) von anderer Seite näherte? – die radikale Leere des Raumes bei Yves Klein – so in der Galerie IrisClert 1957/58, wo der entleerte, geweißte Galerieraum als immaterielle Aus-stellung (»Le vide«) seiner blauen Monochromien diente – bei Beuys in derspürbaren, körperlich gewordenen Leere von hinter den Knochen wird ge-zählt – Schmerzraum in der Galerie Konrad Fischer, Düsseldorf 1983, be-antwortet finden? – die bizarren Schwammreliefs und -skulpturen von Klein, Meeresorga-nismen in die Farbe der Tiefe ihres Habitats getaucht (1961), in die Nähe des Mammutzahns als Badewanne für eine Heldin (1950/61/84) oder anderer

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Es bleibt bei allen Überlegungen zu den dreidimensionalen Werken von Joseph Beuys immer auch ein Gefühl der Unsicherheit bestehen. Schwan-kend und zweifelnd, ob Worte und Begriffe nicht dazu verleiten, etwas benennen zu wollen, was in Wirklichkeit »flüchtig« ist wie Quecksilber –Mercurius, der Götterbote, der zwischen oben und unten vermittelt. Die An-wendung von Worten wie »plastisch« und »skulptural« auf sein Werk lässteinen immer wieder zögern, weil man nicht so sicher sein darf, welcher derbeiden Begriffe tatsächlich greift. Beuys selbst spricht im Zusammenhang mitder Bienenkönigin von der Polarität der Plastik: »Einerseits in den wärmehaftchaotischen formellen Prozessen, wie man sie ja sehen kann in der Weisel-zelle, die ja amorph und sackförmig ist, und in der Normalzelle, die hierpraktisch rein geometrisch kristallin aufgebaut ist. Das sind Polaritäten, diemich immer interessiert haben, auch schon allein im Hinblick auf die Theo-rie zwischen Bildhauerei und Plastik. Denn Plastik bezieht sich mehr auf dieMöglichkeit, sich darin zu bewegen, während Bildhauerei immer praktischgeometrisch ist.« Und etwas weiter: »… man muss beides sein, genau wie dieBiene beides ist. Sie ist Plastiker und Bildhauer, denn sie kennt sowohl daskristalline, geometrische Prinzip und arbeitet danach, als auch das wärme-haft, sagen wir mal, runde Prinzip.« (aus: Gespräch zwischen J. Beuys, B. Blu -me und H.G. Prager vom 15.11.1975 in: Rheinische Bienenzeitung, Heft 12,126.Jg., 1975, S. 376, siehe auch S. 127 in diesem Buch)

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In der abendländischen Tradition war die Materialfrage weitgehend re-duziert auf bestimmte Steine, Hölzer, Tonerden und Metalle für die Skulp-tur sowie auf Farbpigmente, Bindemittel und Tafeln oder Leinwände für dieMalerei. Beuys’ Ablehnung von Methoden der Täuschung durch mimetischeVerfahren, bei denen eine eingeengte Auswahl von »kunstwürdigen« Mate-rialien nur mittelbar zur Schaffung eines Bildes eingesetzt werden kann, kulminiert in seinem MANIFEST vom 1.11.1985: »Der Fehler fängt schonan, wenn einer sich anschickt / Keilrahmen und Leinwand zu kaufen.« Die-ses Manifest impliziert sicher vielerlei, aber bestimmt auch den Darstel-lungsmodus, der nicht unmittelbar, sondern dank der Hilfsmittel erst seinenOrt der Entstehung zu finden versucht. Diesen Weg erkennt Beuys als Feh-ler. Für Beuys scheint sich die Materialfrage zu verallgemeinern. An dieStelle von »Holz« als vertrautem Bildhauermaterial treten bei Beuys auch ent astete Fichtenstämme, in Wachs getauchte Lavendelzweige oder einHolzklotz, Latten, Stäbe, Kästen etc., das bedeutet, das Material besitzt bereits eine Bearbeitungs- und Realitätsstufe und erzählt damit schon eineeigene Geschichte.

Eine besondere Spannung erzeugen im plastischen Werk von Beuys die Nei-gungen, Schrägen und Winkel, alles, was vom »Rechten«, von der Orthogo-nalität abweicht. Bereits die kleine Bronzeskulptur Schaf (1949) lebt von derSpannung der prismatischen Formen, die in Drehungen und Wendungen derStarre des rechten Winkels entkommen. Die Berglampen (1953) werden zuKristallen (o.T. (Tisch mit Kristall), 1953–57); das Leuchten der Lampen wirdin den Winkelformen ausgedrückt, aus denen die Plastik aufgebaut ist. In Brunnen (1952) stehen die runden Scheiben der Fontänen im schrägen Winkel zueinander. Die Betonung des Winkels tritt in unterschiedlichen Aktionen – 24 Stunden ...und in uns ...unter uns ... landunter ... (1965), Eura-sia (1966) oder Hauptstrom (1967) – wie in Skulpturen auf – Spaten mit 2 Stielen (1965) oder Der 62,2° Winkel (1972). Überall wo Fettwinkel undSchrägen vorkommen, geht es auch um Leben. Die Dreiecksformen weiseneine Richtung und erzeugen Bewegung. In zeige deine Wunde sind alleWerkzeuge »gewinkelt«: die Forken lehnen schräg, die Schepser zeigen pyramidal in den Raum, die Reagenzgläser lagern schräg aufsteigend im Fett,sogar die Zeitungen sind schräg montiert. Hingegen verweisen die Bahren,die Schultafeln, die Lampen in ihrer Orthogonalität auf das Erstarrte, dasPerfekte, den Tod. vor dem Aufbruch aus Lager I lebt von Dreiecksformen,selbst der Arbeitstisch hat schräge Beine. Allein die Schultafel mit dem Dia-gramm steht starr und rechtwinklig im Hintergrund, ihr antwortet die Tafellinks mit dem durchgezogenen Kupferdraht bereits in Bewegung, der die andere, vertikal gehängte Tafel rechts wie ein hochgezogener oder her -abgelassen er Stoff entgegensteht. Ein hohes Richtscheit mit rechtem Winkel,eine Galgenform, komplettiert dieses Ensemble der kühnen Schrägen undDreiecke.

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Abb. 89 von links: Maran Gosov, Joseph Beuys, Ludwig Rinn, Bernd Klüser, Helmut Friedel und Jörg Schellmann vor zeige deine Wunde, Lenbachhaus, Januar 1980. Foto Roland Fischer

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DANK

An erster Stelle gilt unser Dank Eva Beuys und ihren Kindern Jessyka undWenzel Beuys für die freundlich gewährte Hilfe bei der Vollendung und Illustration dieses Buches. Vor allem gilt unser Dank für die Genehmigung, fünf frühe Texte – Interviews mit Beuys – in diesem Buch abdrucken zu dürfen, die mit denWerken der Sammlung in Zusammenhang stehen.

Eva Beuys danken wir des weiteren für ihre eigenen frühen Fotografien, diesie uns so großzügig für das Buch zur Verfügung gestellt hat und die nunauch ein Teil der Sammlung des Lenbachhauses geworden sind.

Mario Gastinger danken wir für seine vorzüglichen Farbaufnahmen vielerObjekte, die in diesem Buch zum größten Teil erstmals farbig reproduziertsind.

Den Brüdern Herbert und Reinhard Klophaus danken wir für die Geneh -migung, die Schwarzweiß-Fotografien ihrer verstorbenen Schwester Ute Klophaus abdrucken zu dürfen.

Und allen anderen, die das Ausstellungs- und Buchprojekt sowie das Entste-hen der Sammlung Lothar Schirmer lange mit Rat und Tat begleitet haben,namentlich Sabine Schümmelfeder-Lynch, Ludwig Rinn, Christa Döttingerund Margot von Westerholt, gilt unser herzlicher Dank.

Von Seiten des Lenbachhauses und des Schirmer/Mosel-Verlags sei zusätz-lich Birgit Mayer, Roland Hepp, Regine Kaiser, Susanne Böller und ElisabethGiers für die umsichtige Realisierung des vorliegenden Buches gedankt. Desweiteren Martin Thierer, der sich beim Umgang mit den Werken von JosephBeuys, beim diffizilen Transport wie beim Aufbau äußerst verdient gemachthat, sowie Iris Winkelmeyer, die als Leiterin der Restaurierungsabteilung dieuns anvertrauten Werke auf das Sorgfältigste behandelt hat. Für die Präsen-tation der Werke haben Dietmar Tanterl und Klaus Ilg Vitrinen und Schau-kästen entworfen und deren Ausführung überwacht – auch ihnen möchtenwir unseren besonderen Dank aussprechen.

Lothar Schirmer / Helmut Friedel

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LITERATUR IN AUSWAHL

Joseph Beuys. Zeichnungen, Aquarelle, Oelbilder, PlastischeBilder aus der Sammlung van der Grinten, Ausst. Kat. Städtisches Museum Haus Koekkoek, Kleve, 8.10.–5.11.1961,Kleve 1961.

documenta III. Handzeichnungen, Ausst. Kat. Alte Galerie/Museum Fridericianum/Orangerie, Kassel 27.6–5.10.1964,Kassel 1964.

documenta III. Malerei und Skulptur, Ausst. Kat. Alte Galerie/Museum Fridericianum/Orangerie, Kassel 27.6–5.10.1964, Köln 1964.

Sammlung Hahn. Zeitgenössische Kunst, Ausst. Kat. Wallraf-Richartz-Museum, Köln 3.5.–7.7.1968, Köln 1968.

Joseph Beuys. Werke aus der Sammlung Karl Ströher, Ausst.Kat. Kunstmuseum Basel/Emanuel Hoffmann-Stiftung16.11.1969 – 4.1.1970, Basel 1969.

Joseph Beuys. Sammlung Lutz Schirmer, Köln, Ausst. Kat.Kunstverein St. Gallen im Historischen Museum St. Gallen5.6.–31.7.1971, St. Gallen 1971.

Realität. Realismus. Realität, Ausst. Kat. von der Heydt-Museum Wuppertal 28.10.–17.12.1972; Haus am Waldsee,Berlin 12.1.–25.2.1973; Kunsthalle Kiel 17.3.–30.4.1973;Kunsthalle Bielefeld 19.5.–30.6.1973; Wilhelm-Lehmbruck-Museum, Duisburg 14.7.–25.8.1973; Westfälischer Kunst -verein Münster 8.9.–22.10.1973; Städtisches Museum Leverkusen 3.11.–15.12.1973, Wuppertal 1972.

Rheinische Bienenzeitung. Älteste Fachzeitschrift für Imker,Heft 12, 126. Jahrgang, Dezember 1975, Köln 1975.

Joseph Beuys. Zeichnungen, Objekte [aus der Sammlung Ludwig Rinn], Ausst. Kat. Kunstverein Bremerhaven 23.4.–21.5.1978; Marburger Universitätsmuseum/Kulturamt derStadt Marburg 29.10.–3.12.1978; Kunstverein Göttingen imStädtischen Museum 4.3.–8.4.1979, München 1978.

Joseph Beuys, hrsg. v. Caroline Tisdall, Ausst. Kat. TheSolomon R. Guggenheim Museum, New York 2.11.1979 –2.1.1980, New York 1979.

Joseph Beuys: zeige deine Wunde, Band 1, hrsg. von der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München 1980.

Joseph Beuys: zeige deine Wunde, Band 2, hrsg. von der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München 1980.

Mythos und Ritual in der Kunst der siebziger Jahre, hrsg. v.Erika Billeter; Ausst. Kat. Kunsthaus Zürich 5.6.–23.8.1981,Zürich 1981.

Joseph Beuys. Skulpturen und Objekte, hrsg. v. Heiner Bastian; Ausst. Kat. Martin-Gropius-Bau Berlin 20.2.–1.5.1988, München 1988.

Eva, Wenzel und Jessyka Beuys, Joseph Beuys. Block Beuys,München 1990.

Joseph Beuys, hrsg. i. A. des Stadtdirektors der Stadt Kleve v.Städtischen Museum Haus Koekkoek; Ausst. Kat. StädtischesMuseum Haus Koekkoek, Kleve, 21.4.–9.6.1991, Kleve 1991.

Joseph Beuys. Natur Materie Form, hrsg. v. Armin Zweite;Ausst. Kat. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf30.11.1991 – 9.2.1992, München 1991.

Joseph Beuys. Die Multiples, hrsg. v. Jörg Schellmann, München 1992.

Franz Joseph van der Grinten zu Joseph Beuys, hrsg. v. Friedhelm Mennekes, Köln1993.

Joseph Beuys. Documenta-Arbeit, hrsg. v. Veit Loers, Pia Witzmann, Ausst. Kat. Museum Fridericianum Kassel5.9.–14.11.1993, Ostfildern 1993.

Joseph Beuys. Eine Werkübersicht. Zeichnungen und Aquarelle, Drucksachen und Multiples, Skulpturen und Objekte, Räume und Aktionen 1945–1985, hrsg. v. LotharSchirmer, München 1996.

Joseph Beuys. The secret block for a secret person in Ireland,Sammlung Marx, hrsg. v. Heiner Bastian, München 1996.

Von Beuys bis Cindy Sherman. Sammlung Lothar Schirmer.329 Werke von 43 Künstlern, Ausst. Kat. Kunsthalle Bremen16.5.–25.7.1999; Städtische Galerie im Lenbachhaus, München 7.8.–26.9.1999, München 1999.

Jan Braun, Das Objekt »Hasengrab IV« von Joseph Beuys:Restaurierung, Konservierung und Transport eines aus heterogenen Materialien bestehenden modernen Kunstwerkes,Diplom-Arbeit FH Köln, Köln 2002.

Joseph Beuys, hrsg.v. Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Wolfgang Drechsler, Ausst. Kat. Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien 4.8.–29.10.2006,Nürnberg 2006.

Beuys. Die Revolution sind wir, hrsg. v. Eugen Blume undCatherine Nichols; Ausst. Kat. Nationalgalerie im HamburgerBahnhof – Museum für Gegenwart / Staatliche Museen zuBerlin 3.10.2008 – 25.1.2009, Göttingen 2008.

Joseph Beuys. Parallelprozesse, hrsg. v. KunstsammlungNordrhein-Westfalen, Marion Ackermann und Isabelle Malz,Ausst. Kat. K20 / Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 11.9.2010 – 16.1.2011, München 2010.

Joseph Beuys. Räume 1971–1984. Plastiken und Objekte1952–1974 im Kaiser Wilhelm Museum Krefeld, hrsg. v. Sabine Röder, Bielefeld 2010.

BILDNACHWEIS

Die Bildrechte liegen bei den unter den Abbildungen genannten Fotografen bzw. den im Folgenden genannten Fotografen und Quellen:Frontispiz, Abb. 31: Sammlung Lothar Schirmer / Nachlass ManfredLeve – Taf. 1 (Foto Kunsthaus Lempertz, Köln), Taf. 10, (Foto WalterHaberland © by Schirmer/Mosel), Abb. 3, Abb. 4, Abb. 5, Abb. 6, Abb.7, Abb. 15 (Foto H.P. Schreiber), Abb. 30 (Foto Walter Haberland © bySchirmer/Mosel), Abb. 35, Abb. 36, Abb. 37, Abb. 38, Abb. 39, Abb. 45,Abb. 46, Abb. 50, Abb. 60, Abb. 61, Abb. 66 (Edition Klaus Staeck),Abb. 83: Sammlung Lothar Schirmer / Verlagsarchiv – Taf. 2, Taf. 3, Taf.4, Taf. 5, Taf. 6, Taf. 7, Taf. 8, Taf. 9, Taf. 11, Taf. 12, Taf. 13, Taf. 14,Taf. 15, Taf. 16, Taf. 17, Abb. 12, Abb. 20, Abb. 21, Abb. 22, Abb. 23,Abb. 25, Abb. 28, Abb. 48, Abb. 57: Mario Gastinger – Taf. 18, Taf. 19:Florian Holzherr – Taf. 20, Taf. 21, Taf. 22, Abb. 2, Abb. 52, Abb. 53,Abb. 54, Abb. 56, Abb. 79, Abb. 80, S. 119: Mit freundlicher Genehmi-gung von Eva Beuys-Wurmbach – Abb. 1 (Foto Engelbert Seehuber),Abb. 8, Abb. 9, Abb. 11, Abb. 14, Abb. 18 (Foto Fritz Getlinger © bySchirmer/Mosel), Abb. 19 (Foto Fritz Getlinger © by Schirmer/Mosel),Abb. 26, Abb. 27, Abb. 29, Abb. 40, Abb. 41, Abb. 42, Abb. 43, Abb. 44,Abb. 49, Abb. 58, Abb. 59, Abb. 68 (Foto Jochen Littkemann), Abb. 69(Foto Rico Polentarutti / Kunstmuseum Basel), Abb. 70 (Foto Coop Cardinal), Abb. 74, Abb. 78, Abb. 81, Abb. 82: Verlagsarchiv – Abb. 10(Detail), Abb. 16 (Detail), Abb. 24, Abb. 32, Abb. 33, Abb. 34, Abb. 47,Abb. 51, Abb. 55, Abb. 62, Abb. 63, Abb. 65, Abb. 67, Abb. 71, Abb. 72,Abb. 73, Abb. 75, Abb. 76, Abb. 77: Sammlung Lothar Schirmer / Nach-lass Ute Klophaus – Abb. 13: Galerie Hans Strelow, Düsseldorf – Abb.17: Reproduktion aus Blume 2008, S. 95, mit freundlicher Genehmi-gung von Eugen Blume – Abb. 64: Mit freundlicher Genehmigung vonRené Block – Abb. 84, Abb. 85, Abb. 86 (Foto Ute Klophaus), Abb. 87,Abb. 88: Städtische Galerie im Lenbachhaus.