Joseph von Eichendorff: Sehnsucht - mpg-trier.dempg-trier.de/d7/read/eichendorff_sehnsucht.pdf · Joseph von Eichendorff: Sehnsucht Es schienen so golden die Sterne, Am Fenster ich

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  • Joseph von Eichendorff: Sehnsucht

    Es schienen so golden die Sterne,Am Fenster ich einsam standUnd hrte aus weiter Ferne Ein Posthorn im stillen Land. Das Herz mir im Leib entbrennte, Da hab' ich mir heimlich gedacht: Ach, wer da mitreisen knnteIn der prchtigen Sommernacht!

    Zwei junge Gesellen gingenVorber am Bergeshang,Ich hrte im Wandern sie singenDie stille Gegend entlang:Von schwindelnden Felsenschlften, Wo die Wlder rauschen so sacht,Von Quellen, die von den Klften Sich strzen in die Waldesnacht.

    Sie sangen von Marmorbildern,Von Grten, die berm GesteinIn dmmernden Lauben verwildern,Palsten im Mondenschein, Wo die Mdchen am Fenster lauschen,Wann der Lauten Klang erwachtUnd die Brunnen verschlafen rauschenIn der prchtigen Sommernacht.

    Das Gedicht Sehnsucht von Joseph von Eichendorff ist ein dichterischesKunstwerk, das fr die Romantik, aber auch fr Eichendorff als Dichter charak-teristisch ist. Dies zeigt sich an dem einfachen Bau der Strophen, vor allem aberan der Wahl der Motive, der Wortwahl und am Klang der Sprache. Insbeson-dere die Wahl der Motive erweist sich fr Eichendorff und die Romantik alskennzeichnend: Die Sommernacht, vom Mond erhellt, die Sterne, der Blick ausdem Fenster in die Weite des Landes, das Posthorn (oder auch sonst das Jagd-horn) und das stille Land kommen hufig bei bei Eichendorff und den Dichternder Romantik vor. Gleichfalls erscheinen bei Eichendorff und zum Teil auch beianderen Romantikern als Motive der Dichtung immer wieder die wanderndenGesellen, die rauschenden Wlder, die Quellen und die Bche, weiterhin dieMarmorbilder, die verwilderten Grten, die Lauben im Dmmerlicht wie auchdie Palste im Mondschein sowie der Klang der Laute, die in der Nacht rau-schenden Brunnen und nicht zuletzt die am Fenster lauschenden Mdchen.

    Das Gedicht Sehnsucht ist eins der recht zahlreichen Gedichte, das von Ei-chendorff als Lied in seinen Roman Dichter und ihre Gesellen eingestreut

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  • worden ist. Das Gedicht besitzt in Eichendorffs Roman keine berschrift undwird von Fiametta, der Partnerin von Fortunat, zur Gitarre gesungen. Als Lieddrckt es die Sehnsucht der Sngerin nach ihrem Heimatland Italien aus undsteht so ganz in der geschichtlichen Folge der Mignonlieder von Goethes Wil-helm Meister, aber auch der Italiensehnsucht von Tieck und Wackenroder, wiesie besonders zu Beginn ihres Romans Herzensergieungen eines kunstlie-benden Klosterbruders in dem Kapitel Sehnsucht nach Italien zum Ausdruckkommt. Betrachtet man in Eichendorffs Gedicht ausschlielich die verwendetenMotive, kann man den Eindruck gewinnen, es handele sich um ein mittel-miges Sprachkunstwerk der damaligen Zeit, in dem eine Reihe von allgemeingebruchlichen Motiven plump zusammengefgt werden. Man knnte fast zudem Ergebnis gelangen, es kme hier wenig Originelles und wenig knstlerischBedeutsames zum Vorschein. Selbst die Reime, die hier verwendet werden,kann man nur allzu oft in Gelegenheitsgedichten von Verseschmieden des 19.Jahrhunderts finden. Es trifft dies jedoch nicht den besonderen Charakter desGedichts, es bersieht dessen Schnheiten. Das Gedicht besitzt ein Leitmotiv,das die einzelnen Motive trotz ihrer Vielzahl und Verschiedenartigkeit zu einerEinheit zusammenfgt: das Motiv Sehnsucht. Dieses Motiv liegt allem, wasdem Leser berichtet wird, zugrunde, es scheint berall durch, obwohl das Wortnur in der berschrift genannt ist. Von bezaubernder Schnheit und voll innererSehnsucht erweist sich der Klang der Verse.

    Das erste groe, in sich geschlossene Bild umfasst die ersten zwlf Zeilen,dies ist genau die Hlfte der Verse des Gedichts. Die vier ersten Verse schilderndie Perspektive, aus der das Berichtete betrachtet wird. Ein in die LandschaftSchauender steht allein am Fenster und blickt in die Ferne, er sieht in die Stilleder Nacht hinein.1 Ein solcher Blick aus dem Fenster ist fr die Knstler der Ro-mantik typisch: auf diese Weise wird der innen begrenzte Raum nach auen hinerweitert, die Enge des Raumes und des Ich wird so durchbrochen, der Blick

    1 Oskar Seidlin glaubt das ich in Vers 2 der ersten Strophe betonen zu mssen.Siehe: Oskar Seidlin: Sehnsucht. In: Oskar Seidlin: Versuche ber Eichendorff. Gt-tingen 1965, S. 68. Das ich in Vers 2 aber ist unbetont und bleibt darber hinaus im ganzen Gedichtunbetont; es tritt gegenber der Bedeutung der Landschaft zurck. Hierauf weistauch Hartwig Schulz hin. Siehe: Hartwig Schulz: Form als Inhalt. Vers- und Sinn-strukturen bei Joseph von Eichendorff und Anette von Droste-Hlshoff. Bonn 1981,S. 194 f., Anmerkung 105. Helmut Motekat stellt fest, dass das Ich in Eichendorffs Gedicht Sehnsucht weit-gehend zu einem schlechthin romantischen, besser sptromantischen Begriff desIch entpersnlicht worden ist. Siehe: Helmut Motekat: Reife und Nachklang ro-mantischer Weltflle. Betrachtungen zu Joseph von Eichendorffs Gedicht Sehn-sucht. In: Bltter fr den Deutschlehrer. Jahrgang 1 (1956/57) Heft 1, S. 97.

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  • wird in die Weite gelenkt, ja er wird so verschiedentlich selbst bis ins Unendli-che ausgedehnt.2 Die Seele fhlt sich befreit von der Enge des huslichen Da-seins. In dem Gedicht Eichendorffs wird das Geschehen in die dichterische Ver-gangenheit gelegt. Dadurch entsteht neben dem alles dominierenden Fernweheine gewisse Nostalgie; sie durchdringt alle Verse des Gedichts. Die Nacht, diesich ber die Landschaft ausbreitet, ist sternklar. Der Dichter erwhnt nicht denMond als den Himmelskrper, der der Erde am nchsten ist, obwohl er wahr-scheinlich hell am Himmel leuchtet,3 er nennt die Sterne und lenkt damit denBlick in die Weite des Alls. Die Sterne glnzen golden. Dies ist die einzigeFarbbezeichnung, die in diesem Gedicht vorkommt. Das Wort golden drckthier jedoch weniger eine Farberscheinung aus, es meint etwas Schnes und Er-habenes. Der Blick des Beobachters bleibt nicht am Himmel haften. AlsMensch, der sich einsam, in der Weite des Weltraums wie verloren fhlt, suchter instinktiv die Nhe zur Landschaft, die sich vor ihm ausbreitet. Da hrt erpltzlich den Klang des Posthorns. Dieser lockt ihn in Gedanken zu einer Reisein die Ferne, die voller Abenteuer ist. Neben das Sehen tritt das Hren, esspricht die Gefhle des Menschen strker als das Schauen an. Der Klang desPosthorns kommt nicht aus der Nhe, von weit her (aus weiter Ferne) dringter zu dem am Fenster Stehenden hin. Es kommt hier zu einer vom Beobachterempfundenen Bewegung von dem Postillion in der Ferne zum Beobachtenden,aber auch von dem Beobachter zum in der Ferne vorberziehenden Postillion.Doch beide Bewegungen werden sogleich in ein statisches Bild gebettet. DerKlang des Posthorns ist Teil der statischen Stille der Landschaft. Indem dasPosthorn erklingt, lsst es den Betrachter am Fenster empfinden, wie still esweithin im Land ist. Die Landschaft in ihrer Stille wird zu einem wesentlichenTeil eines Bildes, das fast ganz in sich ruht. Der Klang des Posthorns lsst dasHerz des einsam am Fenster Stehenden in seiner Sehnsucht nach fernen Ln-dern im Leib entbrennen.4 Das Wort entbrennen ist nicht allein wegen desReimes gewhlt worden, es wirkt wegen des weniger volltnenden e (das in die-

    2 Dass ein Blick aus dem Fenster in die Ferne ein fr die Knstler der Romantik typi-sches Motiv darstellt, zeigen u. a. die Fensterbilder von Caspar David Friedrich.

    3 Nur in einer mondhellen Nacht, kann der am Fenster Stehende so weit blicken, alsdies hier geschieht oder wie dies hier der Fall zu sein scheint.

    4 Das entbrennte ist eine Nebenform des Prteritums entbrannte und kommtschon im Mittelhochdeutschen als schwache Form neben der starken entbrannvor. Siehe dazu: G. F. Benecke, W. Mller, F. Zarnke: Mittelhochdeutsches Wrter-buch Bd. 1, S. 253 unter: brinnen stn. Dort heit es: ein viure ht entbrennet sich ssre in mnen sinnen, daz sn vil staetez brinnen an mir nicht erwinden wil. Barl43,4 (Barl = Baarlam und Josaphat, hrsg. von Kpke, Knigsberg 1818). enbrennen (schwaches Verb) bedeutet im Mittelhochdeutschen in Brand setzen,entznden. Siehe: Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Taschenwrterbuch.

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  • sem Wort in drei aufeinander folgenden Silben vorkommt) inniger, gedmpfterals das hrter klingende a in entbrannte. Es drckt besser die heimlich imHerzen schlummernde Sehnsucht des Menschen aus, der vom Fenster in dieFerne hinein blickt. Es passt zu den beiden schwach betonten ich und mir,den zwei Personalpronomen, die unbetont in den Senkungen von Daktylen ste-hen.5 Das Ich als der Betrachtende der Szene rckt nicht in den Vordergrund.Nur ein leise hervorgesthntes Ach entschlpft unbemerkt seinen Lippen.Heimlich hegt es den Wunsch, selbst in der Postkutsche zu sitzen, darin mitzu-reisen und auf diese Weise in der sternklaren Nacht an der herrlichen Land-schaft vorbeizufahren und die Landschaft von der Postkutsche aus erleben zuknnen. Diesem Wunsch wird nicht entsprochen, er wird mit dem Wort knn-te in der Form des Konjunktivs im Prteritum (Konjunktiv II) zu einem nichtrealisierten Begehren des Ich, das am Fenster steht und sehnsuchtsvoll in dieFerne blickt. Dieser Wunsch ist ein Traum der Menschen, die mit Eichendorffzur Zeit der Romantik gelebt haben. Das verallgemeinernde wer anstelle einesich in dem Vers Ach, wer da mitreisen knnte besttigt dies noch einmal.Hier wird ein Urtrieb des Menschen angesprochen; darum identifiziert sich derLeser gern mit dem Beobachter, der von der Sehnsucht nach der Ferne erfasstwird. Darin liegt eins der Geheimnisse der Wirkung von Eichendorffs Romanenund Gedichten, dass der Dichter in ihnen ureigene Sehnschte der Menschen,besonders aber die Sehnschte junger Menschen wachruft. Noch einmal wirddie prchtige Sommernacht im letzten Vers der ersten Strophe in die Erinnerungdes Lesers gerufen und der Blick in die Weite des Himmels und in die Weite derLandschaft gelenkt. Es ist ein Blick, wie er nur in einer solch sternklaren Nachtmglich ist. Die hier beschriebene Sommernacht meint nicht eine Nacht im Ab-lauf von vielen, es ist eine besondere Nacht, ein besonderes Ereignis, das sich inDeutschland nicht tagtglich ereignet, das im Gedchtnis derer, die ein solchesEreignis erlebt haben, fr immer haften bleibt und an das man sich gerne erin-nert. Eine solche Nacht weckt Urgefhle im Menschen auf.

    In der zweiten Strophe wenden sich Blick und Ohr zwei Wandergesellen zu,die gemeinsam den Hang des Berges entlang wandern und in die Stille derNacht hinein singen. Ihr Gesang ist weithin hrbar, denn in der nchtlichen Stil-le wird er nicht durch Gerusche gestrt. Die Gesellen wandern zu zweit. Auchdies entspricht der Sehnsucht der Menschen in der damaligen Zeit, die die Ein-samkeit, aber auch als Gegenteil das Gesellige lieben. Die beiden Wanderer sin-gen von dem, was ihr Herz bewegt, sie teilen der Welt ihre Empfindungen mitund sprengen so die Fesseln des auf sich selbst bezogenen Ich. Sie sind nochjung und voller Unternehmungsgeist. Auch dies ist typisch fr den Geist der

    5 Das schwchere Betonen des Ich als Person, entgegen dem starken Hervorheben desIch im Sturm und Drang, ist typisch fr die Dichtungen der spten Romantik.

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  • Romantik.6 Nun kommt Bewegung in das bisher statische Bild: die Gesellenwandern am Hang eines Berges entlang, es wird nicht gesagt, ob am Fue desBerghanges oder in einer greren Hhe. Indem die Wanderer den Hang desBerges entlang ziehen, ertnen die Klnge ihrer Lieder, zuerst leiser dann lauterund wieder leiser. Es stellt sich die Frage: Kann man dieses Bild der beiden sin-genden und an einem Berghang vorbei wandernden Gesellen, wie es von dembeobachtenden Ich wahrgenommen wird, mit dem vorangegangenen Bild derWeite der Landschaft zu einem in sich geschlossenen Bild verbinden, sind beideBilder miteinander vereinbar? Soll man lediglich die Stimmung des einen Bil-des in das andere bertragen? Diese Fragen lassen sich nicht schlssig beant-worten. Auerdem handelt es sich um zwei Szenen innerhalb einer Landschaft,die gleichzeitig, aber auch erst nacheinander erfasst werden knnen, um Tne(Posthorn und Wandergesellen), die im gleichen Augenblick oder zu verschie-denen Zeiten zu hren sind. Diese Unbestimmtheit, die keine echte Realitt auf-kommen lsst, ist typisch fr die Dichtungen Eichendorffs und auch fr dieDichtungen anderer Dichter der Romantik. Da die beiden Gefhrten den Berg ineiner greren Entfernung entlang wandern, hrt das beobachtende Ich ihreStimmen eine lngere Zeit. Es kann nur ahnen, nicht wirklich hren, wie es dasGedicht angibt, wovon die beiden Gesellen vorbei wandernd singen, dafr istdie Entfernung zwischen den Beobachtenden und den beiden Sngern zu gro.7Aber selbst, wenn die beiden Gesellen nher am Beobachter vorbei zgen, wrees unmglich, dass dieser alles deutlich hrt. Denn der Gesang der beiden Wan-derer hlt eine lngere Zeit an, er wird lauter und vergeht, der zuhrende Be-trachter aber bleibt am Fenster, wandert nicht mit. Diese Ungenauigkeit in Hin-blick auf die fiktive Wahrscheinlichkeit, dass das Berichtete wirklich so beob-achtet ist, wie es hier geschildert wird, soll jedoch dem Leser nicht bewusstwerden. Dass das Geschilderte mit der Wirklichkeit nicht bereinstimmt, istnicht von Bedeutung. Magebend ist nicht die Realitt des geschilderten Bildes,magebend ist die Einheitlichkeit der Stimmung, die ber dem Bild liegt.8 Wh-

    6 Die Romantik ist eine Bewegung, die in der Hauptsache von jungen Leuten ausgehtund auch von ihnen getragen wird.

    7 Wandern die beiden Gesellen in der Nhe vorber, so dass man hren kann, was derInhalt ihres Gesanges ist, dann widerspricht dies dem Blick in die Weite der Land-schaft. Dieses Bild von der Weite der Landschaft aber hat sich in der ersten Strophedeutlich in der Vorstellung des Lesers herausgebildet und festgesetzt.

    8 Auch in Eichendorffs Gedicht Mondnacht kann keine Rede von einem einheitli-chen Bild sein, weil sich das dort Berichtete in der ersten und zweiten Strophe nichtgleichzeitig im Vollfrhling und im Frhsommer ereignen kann. Im Bild der Stro-phe 1 sind die Bume voll erblht, im Bild der Strophe 2 ist das Getreide, das imWind hin und her wogt, bereits stark herangewachsen. Beide Bilder der Strophen 1und 2 werden hier miteinander vermischt.

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  • rend der Beobachter aus dem Fenster schaut, steht die Zeit still; dem Leser wirdnicht bewusst, dass sie verstreicht. Die Landschaft wird als zeitlos bestehend,fast wie in den Bildern eines Stillebens gesehen. Die beiden Ausdrcke gingenvorber und Die stille Gegend entlang sind in der Hauptsache rtlich, nichtzeitbestimmend gemeint, neben der Bewegung im Raum drcken sie kein Fort-schreiten in der Zeit aus. Die beiden Wanderer bleiben als Personen ohne Kon-turen. Dies entspricht der Wirklichkeit, denn der Beobachter sieht die zweiWandernden in der Nacht nur undeutlich, lediglich ihren Gesang kann er hren.Die Person der Wandernden ist unwichtig, es sind, wie es damals hufig vor-kommt, zwei frhlich Wandernde, die in die Ferne ziehen, wichtig ist allein das,von dem sie singen. ber die Art ihres Gesanges, wie schn oder laut er klingt,wie abgestimmt er zwischen den beiden ist, wird uns nichts mitgeteilt; nur ausdem Text ihres Liedes ist zu erschlieen, dass der Gesang der zwei Wanderervon einer frohgemuten Hoffnung getragen wird. Dem Bild, das hier beschriebenist, mangelt es in vielem an Wirklichkeit. Das ist jedoch nicht von Bedeutung,wichtig ist allein die Stimmung, die alles zu einem Ganzen zusammenfasst.

    Der zweite Teil des Liedes, von der Mitte der zweiten Strophe bis zum Endedes Gedichts, gibt den Inhalt des Gesanges der beiden Wanderer wieder. Nochstrker, als dies vorher schon geschah, weitet sich der Blick: es sind neue Bil-der, die in das bisher Geschaute eingebettet werden; die zwei Snger sind dabeinur das vermittelnde Glied. Durch den Gesang der zwei Wandergesellen ausge-lst, werden einzelne charakteristische Bilder von zwei verschiedenen Land-schaften wachgerufen, die sich dennoch zu einer Gesamtstimmung vereinen,diese ist von der Sehnsucht nach der Ferne getragen. Wovon die Wanderer sin-gen, kann von dem, der aus dem Fenster blickt, nicht mehr direkt geschaut, eswird zum Teil aus dem Gesang der zwei Gesellen entnommen und muss durchdie Phantasie ergnzt werden. Die Wirklichkeit als etwas, was vorher mit denAugen erblickt worden ist, lst sich in wenig deutlich beschriebene Bilder auf,die vom Leser weitgehend im Geist vorgestellt werden sollen. Die Phantasie desLesers wird hier angesprochen, der am Fenster Stehende entschwindet fast ganzaus dem Blickfeld. Von der Konstruktion des Gedichts gesehen ist der Gesangder zwei Wanderer eine Fiktion in einer Fiktion, sind es Bilder, die dem Leserdurch eine zweite Hand vermittelt werden. Diese Bilder steigern die Wanderlustdes Beobachters am Fenster, aber auch des Lesers, der durch persnliche Um-stnde an seinen Platz gefesselt ist, gerade weil sie nicht deutlich gezeichnetsind und ein vorgestelltes Ideal darstellen, das der Wirklichkeit nicht standhlt.Zu Beginn erscheint eine Alpenlandschaft, wie sie sich der von Deutschlandnach Italien Reisende ertrumt und sie auf seinem Weg nach dem Sden inglcklichen Augenblicken auch erlebt. Von den Gefahren, die ihm auf dieserReise begegnen, wird nichts gesagt. Damals war der Weg durch die Alpen nichtso gefahrlos wie heute. Naturkatastrophen erschwerten ihn, auch Raubberfllekamen nicht selten vor. Unvorhergesehene Gefahren verschiedener Art lauerten

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  • in den engen Pssen auf den sie Durchquerenden. Doch es erheben sich in denAlpen zur Freude des Wanderers Felsen in schwindelnde Hhe. Aus giganti-scher Hhe,[V]on schwindelnden Felsenschlften strzen Bche in tiefe,dunkle Bergschluchten (Schluft ist ein alter Ausdruck fr Schlucht9). DerAusdruck Waldesnacht betont die Tiefe der Schluchten. Das sacht, das hierdas Rauschen der Wlder beschreibt, meint weniger das zarte Rauschen derBume als vielmehr ein Gerusch, das den Ohren angenehm erscheint und dasden Menschen damals vertraut war, weil es ein Rauschen der Natur, kein Ge-rusch von der Hand der Menschen ist. Dieses sachte Rauschen der Wlderpasst jedoch schlecht zu den tosenden Rauschen der Bche, die sich ausschwindelnden Felsenschlften in die Waldesnacht der tiefen Klfte str-zen. Aber auch hier kommt es weniger darauf an, dass das Gesehene in ein derWirklichkeit angenhertes Bild passt, als vielmehr der Stimmung entspricht, diedurch diese Motive vermittelt werden soll. Allen Motiven liegt das Wesen desNatrlichen zugrunde, wie es die Romantik versteht. Bei diesem Bild ist von al-len Gegenstnden, ausgenommen die Waldesnacht, im Plural die Rede. Dieszeigt: hier in diesem Lied treten uns keine individuellen Bilder vor Augen, eshandelt sich hier um allgemein gehaltene Bilder und Vorkommnisse, wie sie im-mer wieder in Gemlden von Alpenlandschaften zu finden und auch in derWirklichkeit in den Alpen anzutreffen sind. Gerade dies jedoch weckt beim Le-ser die Wanderlust, weckt in ihm die Sehnsucht, diese Bilder zu sehen, das Ge-schilderte zu erleben. Der Leser hat bereits eine gewisse Vorstellung von dieserLandschaft aus Gemlden und Reisebeschreibungen. Der einzige Singular inden vier letzten Versen der Strophe 2 das Wort Waldesnacht, steht synekdo-chisch fr eine Mehrzahl von Bildern dieser Art. Als Singular wirkt das Wortanschaulicher, konkret fassbarer als der Plural, weil es den Gegenstand als Ein-zelerscheinung erfasst und ihn so dem Leser deutlich vor Augen stellt.10 Zudemdrckt das Wort Waldesnacht sinnbildlich etwas fast Abstraktes aus. Es meint

    9 Das Wort Schlucht war ursprnglich niederdeutsch und hat erst im 18. Jahrhun-dert die ursprnglich hochdeutsche Form Schluft aus der Schriftsprache ver-drngt. Zur Zeit der Romantik haben einige Dichter und unter ihnen auch Eichen-dorff versucht, den alten Ausdruck Schluft in der Hochsprache wiederzubeleben.Dies ist nicht gelungen. Auch in der Sprache wollten die Romantiker an alte Tradi-tionen anknpfen.

    10 Eichendorff htte hier strzen in Waldesnacht statt strzen in die Waldesnachtschreiben knnen, dann htte er einen viersilbigen Takt vermieden. Aber das Aus-lassen des Artikels htte bewirkt, dass der Leser die Vorstellung von der Tiefe derSchluchten weniger klar und deutlich wahrgenommen, dass ihm die Tiefe derSchluchten weniger deutlich vor Augen gestanden htte. Der bestimmte Artikelwirkt hinweisend und verdeutlichend, das Auslassen des Artikels hingegen wenigerhindeutend und weniger anschaulich.

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  • hier allgemein die Tiefe und Dunkelheit der Schluchten, in der im Gegensatz zuden Hhen der Berge dichte Wlder wachsen, die selten von der Sonne beschie-nen werden. Auerdem ist in dieser Bedeutung bei diesem deutlich zum Abs-trakten hinneigenden Wort die Verwendung eines Plurals kaum mglich.

    In der letzten Strophe wechselt noch einmal der Schauplatz: nun erscheinenvor den Augen des Lesers Bilder aus Italien. Auch dies ist typisch fr die Dich-tung der Romantik. Whrend der damaligen Zeit haben es die italienischenLandschaften und die italienische Kunst den deutschen Dichtern und Malernangetan. In diesem Gedicht werden Figuren aus Marmor, aber auch einstmalsschne Grten besungen, die mit der Zeit verfallen und verwildert sind. ber ih-ren Untergrund wlben sich Bume und Bsche hnlich dicht zusammen-gedrngt, wie man sie in Laubengngen antreffen kann. Dort vermag durch dasdichte Laub hindurch selbst tagsber nur wenig Licht zu dringen. Als ersteswerden somit Objekte genannt, bei denen die vom Menschen unbeeinflussteNatur ber die Werke des Menschen die Oberhand gewinnt. Denn nur zu oftverfallen die Werke der Menschen mit der Zeit. Der Ausdruck Mamorbildermeint Figuren aus Marmor (Bild steht hier fr Figur), der Ausdruck Gesteindeutet auf einen Boden aus Gesteinstrmmern hin. In der Vorstellung der Deut-schen ist Italien damals ein Land, in dem die Kunst beheimatet ist und die Land-schaft gleichzeitig noch weitgehend ihren natrlichen Charakter behalten hat, indem es viele Ruinen aus alter Zeit gibt, ber die die Natur den Sieg davon getra-gen hat. Dann aber wechselt die Szene zu Palsten, zu menschlichen Bauten, diebewohnt sind. Hier handelt es sich um kunstvoll geschaffene Gebude. An ei-nem warmen sdlndischen Abend werden sie vom Schein des Mondes in eingeheimnisvolles Dmmerlicht gehllt. Um den hellen Schein des Mondes her-vorzuheben, spricht Eichendorff von Mondenschein, nicht vom Mond-schein. Er benutzt innerhalb der Wortzusammensetzung den alten schwachenGenitiv mit der Endung -en, um die Betonung auf Mon[d]- und -schein zulegen und damit deutlich zu unterstreichen, dass der Mond hell am nchtlichenHimmel leuchtet.

    In den letzten vier Zeilen der dritten Strophe ndert sich erneut die Szene. Esist nicht mehr deutlich zu erkennen, welchem Satz oder Satzteil die verschiede-nen Gliedstze zuzuordnen sind. Gehrt der Satz Wo die Mdchen am Fensterlauschen zu den Palsten im Mondenschein oder hngt der Satz noch vonSie sangen im ersten Vers der Strophe 3 ab und sind dann nicht mehr die vor-her genannten Palste, sondern mehrere Huser an nicht nher bestimmten Or-ten einer Stadt gemeint? Letzteres wre der Situation am ehesten angepasst.Denn vor allem auerhalb der oben genannten Palste lauschen in den Stdtenjunge Mdchen an offenen Fenstern am Abend und zur Zeit der frhen Nachtvoll Freude den Gesngen ihrer Liebhaber. Strker als in Deutschland spieltsich in Italien whrend des Sommers das Leben in den Stunden des Abends undder frhen Nacht ab. Das Wort Nacht hat hier, wie noch oft im Anfang des 19.

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  • Jahrhunderts, die Bedeutung Abend oder frhe Nacht. Hat das wann am An-fang von Vers 6 in Wann der Lauten Klang erwacht den Sinn wenn der Falleintritt, dass ... , was eine Bedingung oder auch eine bestimmte Zeit am Abendausdrckt, oder meint es wann endlich, und zeigt dann ein Warten auf dasEintreten einer herbeigewnschten Situation an? Ist der Lauten (Klang) Ge-nitiv Plural, oder bezeichnet er einen poetisch alten Genitiv Singular und meintden Klang einer ganz bestimmten Laute, auf den jedes der Mdchen am Fenstersehnsuchtsvoll wartet? Eichendorff sagt der Lauten Klang, er whlt nicht dieWortzusammensetzung Lautenklang. Damit wird betont, dass die Klnge vonLauten, von bestimmten Zupfinstrumenten herrhren, dass auf ihnen zarte Lie-besmelodien gespielt werden. Den lauschenden Mdchen geht es vor allemnicht so sehr um den schnen Klang der Tne als darum, dass der Geliebte, dervon ihnen verehrte Mann, Liebeslieder fr sie von der Laute begleitet singt.11Wegen ihres zarten timbrehaften Klanges war die Laute zur Zeit der Romantikein beliebtes und von den Dichtern hufig genanntes Instrument.12 Gehrt dasRauschen der Brunnen, so ist abschlieend zu fragen, mit zu den Geruschen,auf das die Mdchen ihr Lauschen richten, oder hngt auch das in Vers 7 Ge-sagte Und die Brunnen verschlafen rauschen noch von dem in Vers 1 stehen-den Prdikat Sie sangen ... (zu ergnzen wre dann eigentlich: Und [von Std-ten, wo ... ] ) ab? Im letzten der beiden Flle msste aber, wie es in einigen Ge-dichtsammlungen auch tatschlich geschieht, hinter dem erwacht ein Kommastehen. Auch wenn die Zuordnung der drei letzten untergeordneten Stze nichtim einzelnen grammatisch einwandfrei geklrt werden kann, scheint doch fol-gendes gemeint zu sein: In den Stdten und nicht in den Palsten lauschen dieMdchen an den Fenstern; sie warten auf den Klang eines fr sie bestimmtenGesanges, der von einer Laute begleitet wird, und der am Abend beim Rauschender Brunnen erschallt; das pltschernde Rauschen der Brunnen wie auch derKlang der Laute versetzt die Mdchen in eine romantische Stimmung. Zu demGeschauten tritt noch einmal ab Vers 5 das Gehrte. Das Geschaute verbindetsich mit dem Gehrten zu einem einheitlichen Ganzen; in der Stille der Nacht

    11 O. Seidlin a. a. O. S. 70 glaubt, dass die Klnge der Laute nicht in erster Linie ei-nem bestimmten Instrument, nicht vorzugsweise einem Ding zuzuordnen sind,dass sie hauptschlich Laut (Klang) an sich, nicht Klang eines Zupfinstruments(der Laute) darstellen. Er weist in diesem Zusammenhang auf die Lautgleichheitvon Laute und Laut hin.

    12 Auf der Laute wurde allerdings von Virtuosen damals nur noch selten gespielt.Dies war besonders im 15. und 16. Jahrhundert der Fall.

    Es ist nicht ganz klar, ob bei den Dichtern der Romantik mit der Bezeichnung Lau-te nur ein bestimmtes Zupfinstrument gemeint ist. Auch andere, der Laute hnli-che Zupfinstrumente waren in der Zeit der Romantik beliebt und wurden Laute ge-nannt. Sie wurden mit auf die Wanderschaft genommen.

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  • vermischen sich die Klnge der Laute mit dem Rauschen der Brunnen. Dass al-les nicht wenig verschwommen ist, nicht in allem deutlich unterschieden wer-den kann, ist Absicht des Dichters: dadurch bleibt alles geheimnisvoll und un-wirklich. Dies ist fr die Dichter der Romantik bezeichnend.

    Der Schlussvers In der prchtigen Sommernacht stellt die Szenen der letz-ten fnf Verse erneut in den Raum einer klaren mondhellen Sommernacht. Die-ser Vers fhrt zum Anfang des Gedichts, zur ersten Szene zurck. Denn auchbereits in der Anfangsszene weckt die sternklare Sommernacht in dem Betrach-ter am Fenster die Lust, in ferne Lnder zu reisen, die im zweiten Teil des Ge-dichts in der Phantasie des Betrachters und der Wandergesellen ihr Ziel in denAlpen und in Italien findet, whrend das in die Ferne schauende Ich zu Hausebleibt. Zu Hause wie auch in Italien aber weitet sich ber die einzelnen Szenendie prchtige Sommernacht und stellt alles, was in der Wirklichkeit und in derPhantasie geschaut wird, in einen Gesamtraum, der Heimatliches und Fremdesumfasst. Die prchtige Sommernacht am Schluss des Gedichts ist jedoch nichtdie gleiche wie die erste, die der Betrachter am Anfang des Gedichts erlebt. Sieist keine einzelne, fest umrissene Sommernacht wie die Nacht, in der das nachder Ferne sich sehnende Ich am Fenster steht und den Klang des Posthorns undden Gesang der beiden Wandergesellen hrt. Dennoch schliet sich das Unter-schiedliche zu einem einheitlichen Ganzen zusammen. Das Vergngliche wirdzu einem Teil eines Hheren, das keine Zeit kennt. Das Bild, das am Anfang desGedichts an eine bestimmte Situation gebunden ist, mndet in der Vorstellungdes Betrachtenden in Ereignisse, die immer wieder und an verschiedenen Ortenin sdlichen Lndern stattfinden. Die Bewegung, die am Anfang vom Ort amFenster und vom Betrachter der ersten Szene fort fhrt, leitet im letzten Versdes Gedichts mit dem Nennen der prchtigen Sommernacht wieder zum Ort amFenster und zu dem Betrachter zurck, der vom Fenster aus in die Weite derLandschaft blickt.

    Die Aufzhlung der Motive in der dritten Strophe, so scheint es im ersten Au-genblick, ist nicht streng logisch geordnet. Kaum zusammenhngend, so hat esanfangs den Anschein, reihen sich die Bilder und Szenen aneinander. Dennochliegt auch hier dem Ganzen ein System zugrunde: von den Figuren in Marmorweitet das Bild sich zu den Grten mit den verwilderten Lauben, dann zu dendahinter liegenden Palsten und schlielich zu den Husern der Stdte mit denFenstern, an denen die Mdchen dem Gesang ihres Geliebten lauschen; ganzzuletzt geht die Schilderung zu den Pltzen ber, auf denen die Brunnen in derNacht geheimnisvoll rauschen. Die Zeit wechselt ber das Dmmerlicht in denverwilderten Grten zur mondhellen Nacht, die die Palste, die Huser und diePltze der Stdte umgibt. Aus dem Sehen wird ein Hren. Immer undeutlicherwerden die Konturen: das Gehrte entbehrt im Gegensatz zum Sehen der schar-fen Umrisse, es wirkt aber gefhlsstrker als das mit den Augen Geschaute.

    Diesem Verschwimmen der Konturen entspricht in der dritten Strophe die

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  • immer undeutlicher werdende Zuordnung im Satzbau. Auch in dieser Strophespricht der Dichter von den einzelnen Gegenstnden fast nur im Plural. Sehenwir zunchst von dem Wort Gestein und ebenso von den Ausdrcken amFenster und der Lauten Klang ab, dann bleiben als Bezeichnungen von Ein-zelgegenstnden nur der Mondenschein und die prchtige Sommernacht.Die Sommernacht in Strophe 3 ist aber, wie bereits erwhnt, kein Einzelbild, sieist kein bestimmtes Bild an einem einzelnen Tag wie das Bild am Anfang desGedichts. Dieser Singular steht sinnbildlich (synekdochisch) fr einer Reihevon hnlichen Nchten, weil sich ein Einzelbild beim Leser strker einprgt, alswenn mit Hilfe des Plurals mehrere Nchte genannt werden. Die im Bild Ita-liens geschilderten Landschaften sind Typen, die man im beginnenden 19. Jahr-hundert in Italien immer wieder als fr dieses Land charakteristisch anzutreffenglaubte. Die Landschaft in Strophe 3 zerfllt in mehrere voneinander unabhn-gige Einzelbilder, die ein nur in der Stimmung empfundenes, ein als Bild nichtmit Augen geschautes Ganzes ergeben. Es gibt nur den Mondschein, bei diesemWort ist der Plural nicht mglich, denn es gibt nur einen Mond, der scheint. DasGeschilderte ist wenig konkret, es bleibt der Phantasie des Lesers berlassen,die einzelnen Gegenstnde und Ereignisse deutlich auszugestalten, sie in derVorstellung zum Leben zu erwecken. Die Ausdrcke Gestein, am Fensterund der Lauten Klang drcken nur grammatisch den Singular aus. Das WortGestein in Vers 2 ist eine Sammelbezeichnung (Kollektivum) und weist aufeine Vielzahl von verschiedenen Steinen hin oder es bedeutet den Untergrundverschiedener Grten, meint die Gesamtheit des vielfltigen Materials, desSchutts, der sich aus alten, verfallenen Mauern und anderem, teils kostbarenGestein zusammensetzt. Die Ausdrcke am Fenster und der Lauten Klanghaben ihrem Sinn nach ebenfalls nicht die Bedeutung von Einzelgegenstnden,nur der greren Anschaulichkeit wegen ist hier als grammatische Form derSingular gewhlt worden (Synekdoche). Eigentlich ist nirgendwo in Strophe 3von einzelnen Gegenstnden die Rede: auch als Einzelgegenstnde reprsentier-en die bezeichneten Objekte mehrere Gegenstnde eines bestimmten Typus.Das wenig Konkrete kommt in dieser Strophe wie auch in den beiden Strophenvorher vor allem im Plural der Wrter zum Ausdruck; denn der Plural ist weni-ger konkret und weniger anschaulich als der Singular. Der Plural erscheint inden Schlsselwrtern: Marmorbilder, Grten, Lauben, Palsten, Mdchen undBrunnen. Sie bestimmen weitgehend in dieser Strophe die Stimmung.

    Ab dem zweiten Teil der zweiten Strophe wird alles von dem Beobachter amFenster gehrt. Alles wird ihm durch den Gesang der beiden Snger mitgeteiltund dann in seiner Phantasie als eigene Vorstellungen zum Leben erweckt.Dann wird es dem Leser als Bild oder Szene bermittelt. Infolge dieser nur indi-rekten bermittlung schwindet beim Leser im zweiten Teil des Gedichts dasUnmittelbare beim Gehrten und Gesehenen fast ganz. Auch darin, dass derSchlussvers noch einmal auf die erste Strophe zurckgreift, wird daran erinnert,

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  • dass dem Leser alles durch den Beobachter am Fenster und ab der Mitte desGedichts noch zustzlich durch den Gesang der beiden Snger mitgeteilt wird.Wird im ersten Teil des Gedichts das Fernweh vom Leser als eine persnlicheSehnsucht des aus dem Fenster Schauenden nachempfunden, indem es unmittel-bar als ein Empfinden des dort Sprechenden geuert wird, so objektivierensich die Sehnschte im zweiten Teil. Sie werden zu Objekten von allgemeinererBedeutung, weisen auf die konkreten Wnsche vieler Menschen in der damali-gen Zeit hin. Oft wnschten sich die gebildeteren Menschen am Beginn des 19.Jahrhunderts, dass es ihnen einmal im Leben vergnnt sei, die Landschaften undKunstschtze Italiens zu sehen. Ein solches Fernweh brauchte damals beim Le-ser nicht geweckt zu werden: es war da, man musste den Leser nur daran erin-nern. Die doppelte Perspektive im zweiten Teil des Gedichts schafft Distanz, sieobjektiviert. Denn sie entsteht schlielich allein dadurch, dass der am FensterStehenden in die Landschaft schaut und in sie hinein hrt und dass das, was diebeiden jungen Wanderer singen, durch den am Fenster Stehenden vermittelt undso nur indirekt dem Leser berichtet wird. Das rein Subjektive innerhalb dieserdoppelten Vermittlung tritt beinahe ganz zurck. Infolge dieser dieser doppelterPerspektive wird jedoch auch die Mglichkeit geffnet, das Geschilderte starkzu idealisieren und mit Gefhlen anzureichern, die von vielen geteilt werden.

    hnliches wie durch die doppelte Perspektive im zweiten Teil des Gedichtswird im ersten Teil durch den Gebrauch des Tempus der Vergangenheit er-reicht. Auch dadurch, dass das Gesagte im Prteritum steht, distanziert sich dassprechende Ich zeitlich und gedanklich von dem, was es schildert, objektiviertund idealisiert es zugleich das von ihm Erlebte.13 Durch den Vers Am Fensterich einsam stand (Strophe 1, Vers 2) erhlt die Zeitform der Vergangenheithier neben der distanzierenden lyrischen Vergangenheit, wie sie in lyrischenGedichten des fteren vorkommt, aber auch etwas von einem historischen Pr-teritum: der Beobachtende hat wirklich, dieser Eindruck wird zumindest in Vers2 der ersten Strophe vermittelt, einst allein am Fenster gestanden und in sich ge-kehrt in die Landschaft geblickt und berichtet spter davon. Als vergangenesEreignis beansprucht diese Szene einen gewissen Realittswert. Die Distanz

    13 Die Zeitform des Prteritums hat innerhalb der Dichtung eine andere Funktion alsin einem pragmatischen Text, denn sie weist in einer Dichtung nicht darauf hin,dass sich etwas in der Vergangenheit zugetragen hat, dass das geschilderte Ereignisunumstlich der Vergangenheit angehrt. Trotz des Prteritums wird das Geschil-derte in der Dichtung vom Leser als gegenwrtig nacherlebt. Doch auch in der Dichtung schafft das Prteritum mehr als das Prsens Distanz zudem, was vom Dichter dargestellt und vom Leser dichterisch nacherlebt wird. Ge-fhle in einer Dichtung werden strker aus einer gewissen Entfernung gesehen undmiterlebt, wenn sie im Prteritum statt im Prsens geschildert werden. Sie wirkenim lyrischen Prteritum weniger gegenwrtig als im lyrischen Prsens.

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  • zum einst Erlebten ist hier nicht nur gedanklich, sie ist hier anscheinend auchzeitlich vorhanden, ist somit grer als in anderen lyrischen Gedichten, die dasinnerlich Erlebte im Prteritum berichten.

    Im zweiten Teil des Gedichts steht das Geschilderte im Prsens. Die Bilder,die in den Alpen und in Italien von den dorthin wandernden Gesellen erwartetwerden, sind in dem Augenblick, in dem das berichtende Ich zum Leser spricht,wieder in der gleichen Weise in der Vorstellung dieses Ichs vorhanden, wiewenn sie augenblicklich von ihm noch einmal so wie einst erlebt wrden. Nurdie Mitteilung, dass die beiden Wandernden davon singen, erfolgt in der Zeit-form des Prteritums: Sie sangen von ... (Strophe 3, Vers 1). Dies hlt beimLeser die Erinnerung wach, dass das von den Wandergesellen Gesungene voreiniger Zeit von dem hier Berichtenden gehrt und geschaut worden ist, nunaber whrend des Berichtens von ihm erneut als gegenwrtig erlebt und nach-empfunden wird. Das Berichtete ist zudem zu einem groen Teil zeitlos, esexistiert stndig oder es kommt immer wieder vor. Somit ist das Prsens in die-sen zwei Fllen das zeitlose oder generelle Prsens. In der Vergangenheit Erleb-tes, das jedoch whrend des Berichts wie gegenwrtig wieder vor Augen steht,und zeitlos Existierendes zusammen mit Geschehnisse, die sich immer wiederereignen, verbinden sich in diesem Lied Eichendorffs. Auch hier zeigt sich, dassdie genannten Bereiche nicht deutlich voneinander zu trennen sind, dass sie sichvermischen. Dieses Verwischen der Konturen ist kennzeichnend fr die Kunstin der Romantik. Durch den Gebrauch des Prsens wird die grere Distanz zuden Dingen, wie sie durch die doppelte Perspektive ab Strophe 2, Vers 5 er-reicht wird, abgeschwcht, wird auch die Distanz zu den Ereignissen, die durchdas Prteritum in der ersten Hlfte des Gedichts hervorgerufen wird, gemildert,doch wird die Distanz zu dem Geschilderten nicht aufgehoben. Obwohl das Be-richtete ihm unmittelbar vor Augen steht, bleibt dem Leser doch bewusst, dassalles nur in der Vorstellung des Menschen existiert, der am Fenster steht und indie Ferne schaut. Alles Berichtete ist jedoch vom Gefhl der Sehnsucht nachfernen Gegenden durchdrungen und wird auch so vom Leser in seiner Phantasiemiterlebt. In diesem Gedicht ist die Sehnsucht nach der Ferne das Glied, das al-les miteinander verbindet. Mit diesem Gefhl zutiefst verbunden verlieren dieDinge und Ereignisse, obwohl sie sich voneinander unterscheiden, das Individu-elle und Momentane, wird alles Geschaute transparent, weist es ber sich hinausauf etwas geheimnisvoll Anziehendes hin, das mit dem Geschauten und Gehr-ten verbunden ist.

    Die Gliederung des Gedichts in zwei gleiche Hlften findet keine Sttze inder Gliederung des Gedichts nach Strophen. Den Strophen nach gliedert sichdas Gedicht in drei Teile. Man kann das Gedicht aber auch in vier Teile unter-gliedern. Denn es enthlt vier oder sechs Bilder, die sich deutlich voneinanderunterscheiden: der Beobachtende, der am Fenster steht und in die Ferne schaut;die zwei wandernden Gesellen, die singend den Berg entlang wandern; die

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  • Schilderung der Gebirgslandschaft der Alpen; sowie die Bilder vom sdlichenItalien, die wiederum in drei Teile geteilt werden knnen: die verwilderten Gr-ten, die Palste im Mondenschein und die Mdchen, die am Fenster den Gesn-gen der Geliebten lauschen. Die Strophe 1 enthlt das erste Bild, die Strophe 2die Bilder 2 und 3, die Strophe 3 das Bild 4 (oder die Bilder 4 und 5). Der ent-scheidende Wechsel der Perspektive, aus der das Geschilderte berichtet wird,und der Wechsel im Tempus fllt mitten in die Strophe 2. Hier deckt sich dieGliederung nach dem Inhalt und der Perspektive, aus der heraus das Geschehengesehen wird, nicht mit der Gliederung nach Strophen. Dies fhrt zu einem Ver-wischen der Konturen. Etwas hnliches zeigt sich auch bei anderen Stilmerk-malen, auch hier vermischt sich Unterschiedliches miteinander.

    Wie dies auch sonst oft bei Eichendorff zu finden ist, so baut sich auch hierder Typ der Landschaft nach einem bestimmten Schema auf: Als erstes wirdeine Landschaft von einem bestimmten Standpunkt aus betrachtet. In dem hierbesprochen Gedicht ist dies das Fenster eines Zimmers. Als nchstes wird einbestimmtes Motiv aus dem bisher Geschauten herausgegriffen, und mit Hilfedieses Motivs der Blick erweitert. In dem hier untersuchten Gedicht sind diesdie beiden singenden Wandergesellen; sie dienen als Brcke zur Erweiterungdes Blickfeldes. Durch ihren Gesang weitet sich der Blick zur Landschaft derAlpen und zum fernen Italien hin. Am Schluss kehrt die Betrachtung zum Aus-gangspunkt zurck. Dies ist in dem hier betrachteten Gedicht, wenn auch nurindirekt, die prchtige Sommernacht, von der am Anfang des Gedichts in Stro-phe 1, Vers 8 die Rede gewesen ist. Auf diese Weise bleibt das Gedicht hier wieauch bei anderen Gedichten Eichendorffs in sich geschlossen, wird das Ganzevon einer einheitlichen Stimmung erfasst.

    Das Schlichte ist in der Romantik sehr hufig ein Mittel dichterischen Gestal-tens. Hufig zeigt sich dieses Schlichte schon in der Auswahl der Motive. BeiEichendorff wirkt die Einfachheit der Motive und das Typenhafte an ihnennicht banal. Gerade weil die Motive so einfach und so wenig individuell sind,weil sie einen gewissen Typ verkrpern, erwecken sie beim Leser Gefhle, diesich auf Urtriebe des Menschen zurckfhren lassen. Wie weit die Motive, diewir heute als typisch romantisch empfinden, schon zur Zeit, als Eichendorff leb-te, von den Menschen als romantisch empfunden wurden oder erst heute infolgeder Dichtungen Eichendorffs und anderer Romantiker als romantisch begriffenwerden, drfte sich schwer feststellen lassen. Manches von dem, was wir heuteals alt und aus frherer Zeit berkommen ansehen, war zu Beginn des 19. Jahr-hunderts zumindest in der Weise, wie es damals verwendet wurde und auchheute noch verwendet wird, neu und hat seinen Ursprung bei Romantikern wieTieck, August Wilhelm und Friedrich Schlegel sowie Novalis oder es geht aufEichendorff zurck. Oft ist es, wenn es bei Eichendorff erscheint, charakteri-stisch fr dessen Gefhlshaltung und Weltanschauung.

    Auch, was die Sprache selbst betrifft, ist das Gedicht Sehnsucht schlicht

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  • und einfach. Es kommen in diesem Lied Eichendorffs keine Wortneubildungenvor. Das entbrennte ist keine Neubildung, wie O. Seidlin annimmt,14 auchnicht das Wort Felsenschlfte.15 Selbst das Wort Waldesnacht ist eine in derRomantik hufiger vorkommende Wortverbindung. Das Wort Marmorbild an-stelle von Marmorfigur ist in dieser Bedeutung als Wortform damals nicht un-gebruchlich. Bild meint hier - wie berhaupt ursprnglich - Gestalt, hat da-neben aber auch die Bedeutung kunstvoll gestaltetes Gebilde, Kunstwerk.Sehr poetisch, aber nicht neu, sondern ebenfalls alt ist das Wort Monden-schein statt des einfachen, heute gebruchlicheren Mondschein. Alt und infrherer Zeit blich ist auch der Genitiv der Lauten, wenn mit diesem Wortder Singular und nicht der Plural gemeint ist, sowie ebenso das wann statt deswenn. Ungewhnlich in der Bedeutung als Untergrund von Pflanzen ist nurdas Wort Gestein. Es kommt jedoch als Bezeichnung fr die Masse von ver-schiedenartigen locker oder fest verbundenen Steinen oder als Bezeichnung freine Gesteinsart (Granit, Basalt) vor.

    Metaphern, die sich im blichen Sprachgebrauch noch als wirkungsvoll zei-gen, sind in dem Gedicht Eichendorffs kaum anzutreffen. Doch geht von man-chen an sich bereits abgegriffenen Metaphern, wenn Eichendorff sie verwendet,eine verzaubernde Wirkung aus. In den Ausdrcken: Das Herz mir im Leibentbrennte oder in Quellen, die von den Klften / Sich strzen in die Wal-desnacht wird das sonst meist abgegriffen Metaphorische zu neuem Leben er-weckt. Das gleiche geschieht in Von Grten, die berm Gestein / In dm-mernden Lauben verwildern, in der Lauten Klang erwacht und in die Brun-nen verschlafen rauschen. Ihre neue Wirksamkeit erhalten die sonst bereitsverblassten Metaphern hufig durch gewisse Zustze. So entgeht, indem aufBeispiele von oben zurckgegriffen wird, der Ausdruck das Herz ... ent-brennte durch den Zusatz mir im Leib seiner sonst blichen Verblatheit. DasStrzen der Quellen von den schwindelnden Felsenschlften wird erst dadurchin Strophe 2 als eine personifizierende Metapher wirklich verstanden, dass ihmdie adverbiale Bestimmung in die Waldesnacht beigefgt wird. Auch das Rau-schen der Brunnen in der Schlussstrophe wird nur deshalb als ein stndiges lei-ses geheimnisvolles Rauschen wahrgenommen, weil ihm der Zusatz verschlafenbeigegeben wird. Dies fhrt beim letzten Beispiel vom Sinn her gesehen sogarzu einem Widerspruch, denn wenn ein Wesen tatschlich verschlafen ist, ist esnur in einem geringen Ma aktiv und somit kaum hrbar. Dennoch wird derAusdruck verschlafen rauschen vom Leser in der richtigen Weise aufgefasst,nmlich dass das leise, eintnige Rauschen der Brunnen auf die Zuhrendeneinschlfernd wirkt, und so in das Geschehen eingeordnet, wie es innerhalb der

    14 O. Seidlin a. a. O., S. 67. Siehe dazu die Anmerkung 4.15 Siehe dazu Anmerkung 9.

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  • prchtigen Sommernacht verstanden werden soll. Drei der genannten fnf me-taphorischen Ausdrcke mit Zustzen, die ihre Bedeutung aufwerten, stehen inder letzten Strophe. Vor allem dort gehen die Vorstellungen des Berichtenden inWunschtrume ber, vermischen sich die Vorstellungen. Die Sprache der Versewird transparent, sie ffnet sich dem Geheimnisreichen. Denn dies ist der eineZweck der meisten dieser Metaphern. Der zweite ist, Bewegung in die statischeStille der Landschaft zu bringen und das Geschehen in den Raum der Land-schaft zu stellen. Der erste Sinn zeigt sich z. B. in den beiden SchlussversenUnd die Brunnen verschlafen rauschen / In der prchtigen Sommernacht, derzweite in dem Ausdruck Sich strzen in die Waldesnacht im Schlussvers derStrophe 2.

    Der Satzbau erscheint nach auen hin schlicht und einfach, in Wirklichkeitist er recht kunstvoll gestaltet.

    In der ersten Strophe werden in der Mehrzahl kurze Stze aneinandergereiht,und dies mit einer Ausnahme, dem Und in Vers 3, ohne eine verbindendeKonjunktion. In der ersten Strophe kommen keine Gliedstze vor. In den beidenletzten Versen dieser Strophe, in dem Ach, wer da mitreisen knnte / In derprchtigen Sommernacht, erscheint zwar ein Satz, der eine erlebte Rede ist, dievon dem vorausgehenden Da hab' ich mir heimlich gedacht abhngt, als erleb-te Rede ist dieser Satz jedoch grammatisch kein Gliedsatz. Zu Beginn der zwei-ten Strophe reihen sich die beiden ersten Stze gleichfalls aneinander, ohne dasssie durch eine Konjunktion miteinander verbunden sind. Das Prdikat [Ich]hrte ... singen des zweiten sehr langen Satzes wird auer dem Akku-sativobjekt sie durch zwei adverbiale Bestimmungen im Wandern und Diestille Gegend entlang und durch zwei prpositionale Objekte Von schwin-delnden Felsenschlften und Von Quellen ergnzt. Zum ersten Mal tauchenzwei Relativstze Wo die Wlder rauschen so sacht und die von den Klf-ten / Sich strzen in die Waldesnacht auf, die in ihrer Aussage die beiden pr-positionalen Objekte um etwas Wichtiges ergnzen. Aber auch diese Stze sindeinfach gebaut und leicht zu verstehen. In dem zweiten Satz kommt in der Ln-ge des Satzes mit dichterischen Mitteln zum Ausdruck, dass der Gesang derzwei Wanderer lange anhlt, dass er erst allmhlich verhallt und dass die zweiWanderer in ihrem Gesang ber vieles in der Fremde zu berichten haben.

    Wie bereits oben bemerkt, ist der Satzbau der letzten Strophe kompliziert. Inden ersten vier Versen des einzigen langen Satzes der Strophe werden an denKern des Satzes Sie sangen drei prpositionale Objekte angehngt. Bei demersten dieser Objekte von Marmorbildern wird dieser Satzteil nicht durch eineUmstandsbestimmung oder einen die Umstandsbestimmungen ersetzendenGliedsatz erweitert. Dies ist jedoch bei den beiden anderen prpositionalen Ob-jekten der Fall. Der Ausdruck Palsten im Mondenschein msste eigentlichVon Palsten im Mondenschein heien. Ab Vers 5 wird die Satzkonstruktion

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  • undurchsichtig.16 Der Gliedsatz Wo die Mdchen am Fenster lauschen ... ge-hrt als Relativsatz wahrscheinlich nicht zu dem Satzglied Palsten im Mon-denschein, sondern zu einem prpositionalen Objekt, das ergnzt werden mussund die Huser von nicht nher bestimmten Stdten meint. Demnach handelt essich um eine weitere Beobachtung des in diesem Lied Sprechenden, die vondem vorangehenden Sie sangen abhngt. Ob es sich bei den zwei vorletztenVersen Und die Brunnen verschlafen rauschen / In der prchtigen Sommer-nacht noch einmal um einen Gliedsatz handelt, der von dem Prdikat Sie san-gen abhngt, oder um einen Satz, der an den vorangehenden Gliedsatz Wannder Lauten Klang erwacht angehngt ist, ist nicht eindeutig zu klren. Im zu-erst genannten Fall wre noch einmal ein prpositionales Objekt (VonPltzen) zu ergnzen und dazu das Relativpronomen (wo). Hier msste dannallerdings nach Vers 6 ein Komma stehen, was in einigen Ausgaben der WerkeEichendorffs auch geschehen ist. Im zweiten Fall gehrt das Wann am An-fang von Vers 6 auch zu dem Gliedsatz Und die Brunnen verschlafen rauschen... . Wahrscheinlich ist die aufgezeigte grammatische Mehrdeutigkeit derSchlussverse Absicht des Dichters. Denn die Vorstellungen von der Landschaftund dem Leben der Menschen in Italien sollen, wie bereits oben erklrt wordenist, nicht eindeutig sein, ihr Sinn soll mehrdeutig bleiben, damit der Leser mitseiner eigenen Phantasie das Unvollstndige ergnzen kann. Dennoch erwecktder Satzbau auch hier den Eindruck, als sei er einfach. Dies liegt unter anderemdaran, dass sich die einzelnen Bilder mehr und mehr verselbstndigen, sichzwanglos zu einer stimmungsvollen Gesamtvorstellung vereinen, obwohl oderauch gerade weil sich innerhalb der Grammatik ihr Stellenwert und ihre Bezie-hung zueinander nicht festzurren lassen. Dass die wachgerufenen Bilder demHrer nur durch den Gesang der beiden Wandergesellen vermittelt und nur aufdiese Weise in der Vorstellung des Hrers geweckt werden, bemerkt der Leserin der letzen Strophe des Gedichts kaum mehr wirklich. Das Gefhl der Sehn-sucht, das die Vorstellungen innerhalb dieser Strophe hervorruft, erfasst den Le-ser unmittelbar und ist nicht mehr von einer Vermittlung durch eine Person ab-hngig. Dieses Gefhl der Sehnsucht nach der Ferne, nach dem sdlichen Ita-lien verknpft die Bilder und die geschilderten Ereignisse miteinander.

    Eichendorff meidet in seinem Lied Sehnsucht Akkusativobjekte als einefeste Verknpfung mit dem Prdikat des Satzes. Nur einmal erscheint in der ers-ten Strophe in Vers 3 f. ein Akkusativobjekt in Und hrte ... / Ein Posthorn im

    16 Auch O. Seidlin a. a. O. S. 66 macht darauf aufmerksam, dass die syntaktische Bin-dung hier sowohl an das bergeordnete grammatische Subjekt als auch an dasgrammatische Prdikat (an: Sie sangen) brchig geworden ist, dass diese Worteim Ohr inzwischen verklungen sind und die Verse 4 bis 8 sich dadurch zu ver-selbstndigen beginnen.

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  • stillen Land. Einmal in Strophe 3, Vers 3 steht auch ein Akkusativ mit einemInfinitiv: Ich hrte ... sie singen. Auch die beiden Dativobjekte in Vers 5 und6 der Strophe 1, beidemal ein mir - es handelt sich dabei um zwei Dative desInteresses -, bleiben als Ergnzungen unbedeutend. Statt der Dativ- und Akku-sativobjekte benutzt Eichendorff vor allem eine freiere Bindung von Prdikatund Objekt in Form von prpositionalen Ergnzungen. Dadurch wird erreicht,dass sich die Ereignisse und Bilder freier mit der Satzaussage verbinden, ver-gleichbar den vielfltigen Erlebnissen auf einer lngeren Wanderschaft, die sichauch nur zu oft zusammenhanglos aneinander reihen. In den freieren prpositio-nalen Ergnzungen kommt auerdem zum Ausdruck, dass sich der in die FerneWandernde frei von Zwngen und Verpflichtungen fhlt, wie sie ihn vorher imalltglichen Leben beengt und bedrckt haben. Neben den prpositionalen Ob-jekten erscheinen recht hufig adverbiale Bestimmungen. Sie beschreiben einenGegenstand oder das Handeln von Personen oder erlutern ein Ereignis nher,wie z. B. den Gesang der Wandergesellen.17 Die in diesem Lied vorkommendenPersonen werden nicht genauer beschrieben. Von den beiden Wandergesellenwird nur gesagt, dass beide jung sind. Auch das Aussehen und das Benehmender Mdchen, die am Fenster den Gesngen ihrer Geliebten lauschen, wird nichtgenauer geschildert. Die nicht allzu hufig auftretenden Adjektivattribute sindstets bedeutsam, so z. B. das weit in der Ortsbestimmung aus weiter Ferne,das still in im stillen Land und das prchtig in dem Ausdruck In der prchti-gen Sommernacht (alle in Strophe 1). Diese Attribute beschreiben nicht wirk-lich genauer, trotz der nheren Angaben geben sie nur allgemeine Eindrckewieder, verstrken oft nur das, was eigentlich schon in den Substantiven gesagtwird. Sehr bewusst gesetzt ist das einzige Genitivattribut des Gedichts in derLauten Klang statt des Kompositums Lautenklang. Die Lauten als Musikins-trumente der Liebhaber der Mdchen, von denen die klangvollen Tne fr dieam Fenster lauschenden Mdchen herrhren, werden dadurch deutlich genannt.

    17 Die Gegenstnde werden so z. B. nher beschrieben in: Ein Posthorn im stillenLand, Die stille Gegend entlang, Das Herz mir im Leib entbrennte und Pals-ten im Mondenschein; das Handeln von Personen wird u. a. in dieser Weise genau-er geschildert in: Am Fenster ich einsam stand / Und hrte aus weiter Ferne,Zwei junge Gesellen gingen / Vorber am Bergeshang und die Mdchen amFenster lauschen; die Ereignisse sind u. a. so genauer dargestellt in: hrte imWandern sie singen / Die stille Gegend entlang und Wo die Wlder rauschen sosacht sowie in Von Quellen, die von den Klften / Sich strzen in die Waldes-nacht. Nicht immer lassen sich die einzelnen Bereiche exakt trennen.Oft wird im Deutschen nicht deutlich, ob ein Adverb oder eine adverbiale Bestim-mung zum Verb oder zum Substantiv oder zu einem Nomen gehrt. Dies ist auchhier verschiedentlich der Fall. Auch in diesen Unklarheiten kann sich Geheimnisvol-les ausdrcken.

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  • Es sind wohlklingende Zupfinstrumente, die den Liebhabern zur bermittlungvon zarten Liebesgestndnissen dienen.

    Hufiger kommen innerhalb des Gedichts Substantive ohne Artikel vor. fterhandelt es sich dabei (dies vor allem im zweiten Teil der zweiten und in derSchlussstrophe) um Substantive im Plural. Die in diesem Gedicht genanntenGegenstnde und Ereignisse existieren an mehreren Orten und sind dazu in ver-schiedener Gestalt anzutreffen. Als Plural sind sie weniger deutlich umrissen alsObjekte, die im Singular stehen; denn als grammatische Form enthlt der Pluralschon an sich etwas berindividuelles und Unbestimmtes.18 Nach seinem eige-nen Empfinden und seiner ihm eigenen Vorstellung kann der Leser in diesemFall den genannten Gegenstnden und Ereignissen Gestalt und Umriss verlei-hen. Erst recht geschieht dies, wenn der Artikel vor dem Substantiv im Pluralfehlt. Auch die Verschmelzung von Prpositionen mit dem dazugehrenden Ar-tikel kommt recht hufig vor. Sie wirkt in einer hnlichen Weise entindividuali-sierend, wenn auch auf eine schwchere Art, wie die Verwendung des Pluralsohne den Artikel. Im letzten Vers der zweiten und besonders an mehreren Stel-len in der dritten Strophe wird jedoch an verschiedenen Stellen zum Teil be-wusst der Singular gesetzt, wo logischerweise der Plural stehen msste: VonQuellen, die ... / Sich strzen in die Waldesnacht, Von Grten, die berm Ge-stein ... verwildern, Wo die Mdchen am Fenster lauschen, Wann der Lau-ten Klang erwacht und In der prchtigen Sommernacht. Darauf wurde zumTeil schon weiter oben hingewiesen. Durch die Verwendung des Singularstaucht ein anschaulicheres Bild in der Vorstellung des Lesers auf; man emp-findet auf diese Weise um so deutlicher die Tiefe der Schluchten, das Verwil-derte des Bodens und der darauf wachsenden Pflanzen. Deutlicher sieht manauch in Gedanken die Mdchen, wie sie aus den Fenstern heraus nach den in sieverliebten jungen Mnnern Ausschau halten, glaubt strker die verschiedenenKlnge der einzelnen Lauten als etwas zu hren, das fr die Mdchen am Fen-ster bedeutsam ist. Im Schlussvers wird noch einmal mit dem Singular bewusstauf die Sommernacht in der ersten Strophe hingewiesen und so die Verbindungzum Anfang des Gedichts hergestellt. Trotz des Singulars bleiben die Gegen-stnde und Ereignisse aber auch hier berindividuell, der Singular dient vor al-lem einer deutlicheren Veranschaulichung des Geschilderten. Sehr sinnvollsteht der bestimmte Artikel in Wo die Mdchen am Fenster lauschen, in derLauten Klang und in In der prchtigen Sommernacht. Die Mdchen, die lau-schen, sind ganz bestimmte Mdchen, die Klnge der Lauten, die Klnge der

    18 In der ersten Hlfte des Gedichts stehen fast alle Substantive im Singular, noch ha-ben die Gegenstnde in der ersten Hlfte des Gedichts feste Konturen; im Gegen-satz hierzu stehen die Substantive im zweiten Teil des Gedichts in der Mehrzahl imPlural, die Konturen werden unscharf.

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  • Liebhaber der Mdchen, und der bestimmte Artikel weist in Schlussvers in Inder prchtigen Sommernacht auf die einmalige Sommernacht in der Anfangs-strophe hin.

    Obwohl in diesem Lied meistens Zustnde geschildert werden, kommen inden Stzen dieses Gedichts fast nur Verben vor, die Handlungen beschreiben.Die Zustnde erscheinen als Handlungen.19 Diese Handlungen sind aber beiEichendorff keine vorbergehenden Momenterscheinungen, sie dauern an. Sowandern, um einige Beispiele zu nennen, die Gesellen lngere Zeit am Berg-hang entlang, die Wlder rauschen immer wieder eine lngere Zeit lang fort unddie Quellen strzen sich stndig in die tiefen Schluchten der Alpen. In den hel-len Mondnchten lauschen die Mdchen stets aufs neue in der Nacht am Fensterden Klngen der Melodien, die von ihren Liebhabern gesungen werden und zuihnen empor dringen.

    Genauso wichtig, und vielleicht noch wichtiger als das, was durch die Wrterund den Bau der Stze gesagt wird, ist fr die dichterische Aussage in diesemGedicht der Klang der Verse. Das Gedicht Sehnsucht lebt von seinem Klang.Die Stze und ihre Konstruktion ordnen sich dem Rhythmus der Verse unter.

    In der ersten Strophe herrscht der freie Zeilenstil. Der Versrhythmus domi-niert ber den Satzrhythmus. Kein Satz endet innerhalb eines Verses, demnachkommt es nicht zu einem Hakenstil. Enjambements finden sich zwischen denVersen 3 und 4 und zwischen den Versen 7 und 8, an diesen Stellen umfasst derSatz jeweils zwei Verse. Aber auch dort sind am Ende der ungeraden Verse dieEnjambements nur schwach bis mittelstark ausgeprgt, auch hier erweisen dieVerse sich noch weitgehend als in sich geschlossen, weil der Einschnitt inner-halb des Satzes, durch den Rhythmus und die Konstruktion des Satzes bedingt,am Ende des ungeraden Verses liegt. Die Ketten (ein ungerader zusammen miteinem geraden Vers) umfassen in dieser Strophe jeweils zwei Verszeilen. Diesist auch fast berall sonst in diesem Gedicht der Fall. Die Ketten und die beidenHalbstrophen wie auch die Strophen bilden, was den Rhythmus und die Satz-konstruktion betrifft, ber die Einheit des Verses hinaus in sich geschlosseneEinheiten.20

    19 Gotthold Ephraim Lessing hatte 1776 in seiner Abhandlung Laokoon oder dieGrenzen der Malerei und Poesie gefordert, dass Zustnde in Handlungen aufgelstwerden sollen.

    20 H. Schulz a. a. O. S. 195 f. glaubt, dass die Verse Eichendorffs zwei verschiedenerhythmische Bewegungen aufweisen: eine retardierende und eine vorwrts drn-gende. Die retardierende Bewegung lsst sich nach der Meinung von Schulz auf diesehnschtige Rckerinnerung der Fiametta (sie singt, wie weiter oben schon darge-legt worden ist, das Lied zum Spiel ihrer Gitarre - siehe Kapitel 24 in EichendorffsRoman Dichter und ihre Gesellen), dann aber auch allgemein auf die Furcht vorGefahren zurckfhren, die in der Fremde auftreten knnen und nicht zu berechnen

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  • In der zweiten Strophe schlieen sich anders als in der ersten stets zwei Ver-se zu einer rhythmischen und syntaktischen Einheit zusammen. Trotzdem erwei-sen sich auch hier mit Ausnahme von Vers 7 die Verse als in sich geschlossen,denn innerhalb des Satzes bilden die einzelnen Verse jeweils eine Sinneinheit.Noch deutlicher als in Strophe 1 setzt sich hier die zweite Halbstrophe von derersten ab. Dass dieser Einschnitt nach Vers 4 grer als in der ersten Stropheist, wird uerlich durch einen Doppelpunkt kenntlich gemacht. An dieser Stellewird das Gedicht, wie bereits erwhnt, in zwei Hlften geteilt, in denen das indiesem Lied Berichtete aus zwei verschiedenen Perspektiven betrachtet wird.Was den Rhythmus betrifft, zeigt die zweite Strophe im Vergleich mit der erstenein strkeres Strmen, dies ist vor allem in der zweiten Hlfte der Strophe derFall. Obwohl er vorgibt, nur den Inhalt des Gesanges der beiden wanderndenGesellen wiederzugeben, identifiziert sich nun der vorher distanziert Berichten-de mit dem, was die Wandergesellen in ihrem Gesang preisen. In den Versen 5bis 8 versetzt er sich in die Gedanken und Gefhle der beiden Snger und lsstsich von ihnen und ihrem Gesang in die Ferne entfhren. Nicht mehr in dersel-ben Weise beobachtend wie noch in der ersten Strophe steht er hier dem gegen-ber, ber was ihm die zwei Wandergesellen in ihrem Gesang berichten, er hrtes und ergnzt es in seiner Phantasie. Auch erweist sich das Berichtete in derdoppelten Perspektive, durch die hindurch es dem Leser wiedergegeben wird,als noch weniger unmittelbar berichtet als das vorhergehende. Es zeigt sich demLeser, durch den Bericht des im Fenster Stehenden und durch den Gesang derWandergesellen vermittelt, in einem nicht scharf umrissenen, stark verklrtenLicht. In Vers 7 wird nach dem Wort Quellen durch eine Pause mitten im Satzwie auch durch das starke Enjambement am Ende des Verses das Gewaltsameder von den hohen Felsen herabstrzenden Wasser stilistisch zum Ausdruck ge-bracht (Verse 7 und 8).

    In der dritten Strophe wird der Rhythmus noch strmender. Diese Strophebesitzt zwischen der ersten und der zweiten Kette und unter Umstnden sogarzwischen den beiden Halbstrophen deutlich ausgeprgte Enjambements. Vonder Mitte des Verses 2 greift der Satz syntaktisch und rhythmisch in den Vers 3ber; die rhythmisch und syntaktisch einschneidende Pause liegt hier in derMitte von Vers 2. Erst in den Versen 5 bis 8 schlieen sich die Verse erneut zuKetten zusammen. Erst hier sind die ungeraden Verse mit den geraden durchmittelstarke Enjambements verbunden, liegen die rhythmisch starken Ein-

    sind. Die vorwrtsdrngende Bewegung spiegelt nach Schulz die Hoffnung auf dieMglichkeit der Erfllung der Wnsche wider. Der Wunsch nach dem Reisen indie Ferne wirkt in dem Gedicht Sehnsucht, so glaubt Schulz, gedmpft. DieserWunsch beherrscht das Ich, obwohl es in diesen Versen seine Gefhle offen zeigt,nicht vllig.

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  • schnitte am Ende der ungeraden Verse. Auch hier aber strmen die Stze, inVerse und Ketten geordnet, ohne lang anhaltende Pausen dahin. Dieses starkeStrmen des Rhythmus zeigt, dass das in Strophe 3 Berichtete noch strker alsim zweiten Teil der Strophe 2 zu einem Wunsch wird, der unerfllt bleibt, beidem sich in der Phantasie des hier Sprechenden in rascher Folge Vorstellung anVorstellung reiht. Noch mehr als in den Versen 5 bis 8 der Strophe 2 dehnt sichdas Berichtete in der Phantasie des Sprechenden, der allein am Fenster steht undin die Landschaft schaut, zu Wunschvorstellungen aus. Aber auch der Leseridentifiziert sich hier mir den Wnschen des von Sehnsucht nach der Ferne er-fllten Sprechers.

    Alle drei Strophen sind gleich gebaut. Jede Strophe hat acht Verse mit - u-erlich betrachtet - je drei Takten. In den ungeraden Versen ist am Ende jeweilseine Hebung (bzw. eine Senkung und eine Hebung), in den geraden Versen so-gar ein ganzer Takt pausiert, so dass jeder Vers eigentlich aus vier Takten be-steht und mit einer Hebung endet. Dies ist ein weiterer Grund, weshalb sich dieeinzelnen Verse, besonders jedoch die Ketten, fast immer rhythmisch in sich ge-schlossen sind. Der Reim ist der Kreuzreim (a b a b c d c d) mit abwechselndweiblicher und mnnlicher Kadenz. Die geraden Verse der beiden ersten Stro-phen besitzen im Reim den Vokal a. Deshalb assonieren die Verse 2, 4, 6 und 8innerhalb der beiden Strophen, darber hinaus aber auch innerhalb der auf dieseWeise miteinander verbundenen Strophen 1 und 2. In allen drei Strophen habendie Verse 6 und 8 den gleichen Reim, sie reimen auf -acht; der Vers 8 endet inallen drei Strophen sogar auf das gleichlautende -nacht. Auerdem assonierendie Verse 1 und 3 der Strophe 2 mit den Versen 1 und 3 der Strophe 3. Es istnicht ohne Sinn, dies zu erwhnen, denn auf diese Weise entsteht zwischen ei-ner Anzahl von Versen innerhalb der Kadenzen ein Gleichklang, der die einzel-nen Strophen vom Klang her aneinander bindet und sie zu einer Einheit zusam-menschliet. Der letzte Vers der ersten Strophe erscheint noch einmal alsSchlussvers der letzten Strophe, wie bereits oben nher ausgefhrt wurde. Da-mit wird das letzte Bild des Gedichts mit der Anfangssituation verknpft, eswird noch einmal daran erinnert, dass alles Geschilderte nur durch den hierSprechenden erlebt wird, der in der mondhellen Sommernacht einsam am Fens-ter steht und wnscht, auch in die Ferne wandern zu knnen. Einerseits zeigtsich in dieser Weise in der Gestaltung der Verse die Tendenz zu einer innerenGeschlossenheit, zu einer Abgeschlossenheit der Verse in sich, andererseitskommen in den Strophen Assonanzen und Reimbindungen vor, die innerhalbder Strophen und ber die Strophen hinaus die Verse aneinander binden. Auchhier verbindet sich Widersprchliches. Dieses Vereinen von Widersprchlichemist typisch romantisch; man findet hnliches auch bei anderen Romantikern.

    In der ersten Strophe ist der Rhythmus der Verse fallend. Die fallende Be-wegung des Rhythmus setzt mit jedem Vers erneut ein. Damit wird mit jedemVers insgeheim erneut bedauert, dass eine Wanderung in die Ferne fr den hier

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  • Sprechenden ein vorlufig unerfllbarer Wunsch bleibt. In den beiden folgen-den Strophen steigt der Rhythmus in den ungeraden Versen und fllt in den ge-raden. Die Stze dehnen sich lnger aus, die rhythmischen Spannungsbgen derStze werden lnger. Die Sehnsucht nach einem Wandern in die Ferne machtsich in der zweiten und dritten Strophe verglichen mit der Strophe 1 noch str-ker bemerkbar, sie wird hier zu einem noch dringenderen Wunsch. Der ersteVers des Gedichts ist der Leitvers. Mit Ausnahme des Versschlusses, der Ka-denz, besteht er ganz aus Daktylen,21 er hat einen einsilbigen Auftakt. Obwohler im Gedicht in der gleichen Weise nur noch zweimal vorkommt (in den Stro-phen 2 und 3 jeweils in Vers 3), ist er fr den Rhythmus der Verse bestimmend.Oft werden in den anderen Versen die Daktylen durch Spondeen ersetzt (anstel-le einer Hebung mit zwei Senkungen steht bei einem Spondeus eine sich etwaslnger ausdehnende Hebung mit nur einer, aber strker gedehnten Senkung).Dies ist hufig im vorletzten Takt der Verse der Fall, kommt verschiedentlichaber auch im ersten Takt vor. Das Ersetzen des Daktylus durch zweisilbigeSpondeen dient dazu, die Eintnigkeit im Ton der Verse zu meiden, die beidem sonst sehr einheitlichen Klang stets eine Gefahr ist. Darber hinaus abersteigert diese Variation auch nachdrcklich das Sehnsuchtsvolle im Ton derVerse. Denn in den zweisilbigen Spondeen werden, wie soeben schon erwhnt,sowohl die Hebung als auch die Senkung gedehnt, sie werden hingezogen undsehnsuchtsvoll gesprochen.22 Oft erhalten dadurch die Wrter auch eine be-sondere Bedeutung, wie z. B. das einsam in einsam stand, das weiter in ausweiter Ferne, das stillen in im stillen Land sowie das Wort Sommernacht indem Vers In der prchtigen Sommernacht (alle hier angefhrten Beispielestehen in Strophe 1). In den Versen 2 bis 5 der Strophe 1 sowie in den fnf letz-ten Versen der Schlussstrophe wird im vorletzten Takt fnfmal in Folge einDaktylus in einen Spondeus gendert. Dies wirkt an den genannten Stellen be-sonders sehnsuchtsvoll. In Vers 6 der Schlussstrophe erscheinen zwei Spon-deen unmittelbar hinter einander: damit sind alle Takte dieses Verses mit Aus-nahme der mnnlichen Kadenz spondeisch. Dieser Vers ist von besonderer Be-deutung. In dieser Weise wird mit dem Rhythmus betont, dass den am Fensterlauschenden Mdchen die Tne, die von den Lauten der geliebten Snger her-

    21 Die dreisilbigen Takte werden hier als Daktylen bezeichnet, da innerhalb der Taktedie erste Silbe stets stark akzentuiert ist und die beiden folgenden Silben krzer ge-sprochen und schwcher betont werden. Die zwei krzer gesprochenen und schw-cher betonten Silben werden sehr hufig zu einer lngeren Silbe zusammengezo-gen. Diese wird aber auch dann weniger stark als die erste Silbe betont.

    22 Statt der Dehnung der beiden Silben kann auch nach der Hebung in der ersten Sil-be eine kurze Pause eintreten. Aber auch dadurch wird das betreffende Wort her-vorgehoben und dadurch der sehnschtige Ton verstrkt, wenn in diesem Fall auchweniger stark.

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  • kommen, sehr wichtig sind.23 Der Auftakt am Anfang der Verse ist in der Regeleinsilbig. Er wird gedehnt gesprochen, hnlich wie dies bei einem Daktylus ge-schieht, wenn die zwei kurzen Senkungen zu einer lngeren Senkung zusam-mengezogen werden. Verschiedentlich tritt an die Stelle des einsilbigen Auf-taktes jedoch ein Auftakt mit zwei Silben. Zum erstenmal erscheint dies imSchlussvers der ersten Strophe. Auf diese Weise wird der Rhythmus aufgelo-ckerter, wird eine Eintnigkeit im Klang vermieden. Auch Vers 6 der zweitenStrophe besitzt einen zweisilbigen Auftakt. Hier kommt die Begeisterung desam Fenster Zurckbleibenden fr das sanfte Rauschen der Wlder durch denRhythmus zum Ausdruck. Dieses Rauschen der Wlder zu hren, danach sehntsich der am Fenster Stehende. Auch die vier letzten Verse der Schlussstrophehaben einen doppelten Auftakt. Hier lst sich, was die beiden Gesellen in ihremGesangs berichten, in einzelne nicht zusammenhngende Bilder auf, verwi-schen sich, wie bereits festgestellt, die festen Konturen im Gesehenen und Ge-hrten. Stilistisch wurde dies bereits im Satzbau, wie weiter oben berichtet, inder Weise nachgestaltet, dass sich die grammatische Konstruktion des Satzesauflst, der Satz in einzelne logisch nicht mehr zusammenhngende Teile zer-fllt. Im Rhythmus wird das Zusammenhanglose der Bilder dadurch nachge-ahmt, dass dieser deutlich von seiner Grundform abweicht, die Grundform nurnoch in stark abgewandelten Variationen durchscheint. Doch auch in diesenVariationen ist der Grundrhythmus des Leitverses noch immer deutlich zu er-kennen und wird vom Leser rhythmisch nachempfunden. Am Anfang des sieb-ten Verses der ersten Strophe kommt eine schwebende Betonung vor. Der Aus-ruf Ach wird dadurch als bedauerndes Seufzen gekennzeichnet, er wird aufdiese Weise aber auch als verhaltener Schrei verstanden, der spontan und unbe-wusst dem hier Sprechenden entschlpft. Im siebten Vers der zweiten Strophetritt nach dem Wort Quellen eine kleine Sprechpause ein. Als Hebung bleibtdas die in die von den Klften ... fast unbetont.24 So werden an dieser Stel-le vier Silben hinter einander nicht oder kaum betont. In Vers 8 der Strophe 2besitzt der erste Takt, das [Sich] strzen in die (Waldesnacht), drei aufeinan-

    23 O. Seidlin a. a. O., S. 61 f. glaubt, dass zwischen den Wrtern Lauten undKlang eine Pause eingelegt und der Vers dadurch genauso verzgert wie die an-deren vier Schlussverse gesprochen wird. Man kann jedoch bei dem Wort Lau-ten die Hebung und die Senkung lang gedehnt sprechen; dann ist eine Pause nachdem Wort Lauten nicht ntig und der Vers wirkt viel sehnschtiger.

    24 Es ist hier nicht ganz klar, welches der beiden Wrter, das die oder das von,eine schwach betonte Hebung auf sich zieht. Diese Unsicherheit zeigt, dass eigent-lich keins dieser zwei Wrter im Ton strker hervorzuheben ist, dass beideschwach zu betonen sind. Wenn aber dennoch eins der zwei Wrter einen leichtenAkzent erhalten soll, dann geschieht dies am sinnvollsten auf dem die, dem Re-lativpronomen, das nach dem Komma steht.

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  • der folgende Senkungen, die schnell gesprochen werden. Infolge der vierschwach betonten Silben in Vers 7 und der drei aufeinander folgenden, schnellgesprochenen Senkungen in Vers 8 sowie auch infolge des Enjambements zwi-schen Vers 7 und 8 wird so selbst noch im Rhythmus das gewaltige Hinab-strzen des Wassers aus der groen Hhe der Felsen in die tiefen Schluchtender Alpentler nachgeahmt.25 Auf die drei kurzen Senkungen im ersten Takt desSchlussverses folgt im zweiten Takt ein Spondeus. In ihm wird selbst rhyth-misch nachgestaltet, wie der Sturz des Wassers in der dunklen Waldesnachtder engen Tler aufgefangen, zum Stillstand gebracht wird.

    Der schne sehnsuchtsvolle Ton der Verse wird aber nicht nur durch denRhythmus bewirkt, er wird auch durch den Klang der Laute hervorgerufen.

    In den Kadenzen der Verse der ersten Strophe steht in der Hebung des Reimsder ungeraden Verse ein e oder , im Unterschied dazu erscheint bei den gera-den Versen im Reim ein a. Obwohl das e im Reim der Verse 1 und 3 und das eund im Reim der Verse 5 und 7 nicht die gleiche Lautqualitt besitzen, ist inallen ungeraden Versen der Klang in den Vokalen der Reime hnlich. In demGegensatz des Klangs der Vokale, wie er sich in den Reimen der ungeraden undder geraden Verse zeigt, wird lautsymbolisch der innere Widerstreit ausge-drckt, der zwischen dem Wunsch des hier sprechenden Ich nach einer Wande-rung in ferne Lnder (ungerade Verse) und der augenblicklichen, realen Situa-tion des Ich entsteht, die das Ich an seinen Ort am Fenster festbannt (geradeVerse). Dieser Widerstreit zwischen dem Wollen und dem Knnen des Ich wirdnoch einmal dadurch verstrkt, dass sich auch die Reime der Verse in ihrer Ln-ge unterscheiden. Die ungeraden Verse haben einen lngeren weiblichen, diegeraden Verse einen kurzen, festen mnnlichen Reim. Dieser Gegensatz ist indiesem Lied von Bedeutung. Der Wechsel von dem e() zum gerundeten inentbrennte - knnte bringt nicht nur Farbe in den Klang der Verse, mit dem bringt er auch das Beglckende zum Ausdruck, das beim sprechenden Ich indem Gedanken an die Ferne liegt. Sehr hufig kommt im Innern der Strophe 1der Diphthong ei vor. Viermal steht er in der Hebung des zweiten (vorletzten)Taktes, davon dreimal stark akzentuiert in einem zweisilbigen, spondeischen,einmal in heimlich gedacht akzentuiert in einem dreisilbigen, daktylischenTakt. In dem Ausdruck mitreisen knnte erscheint er in der ersten Senkungdes dreisilbigen zweiten (vorletzten) Taktes von Vers 7. Mit dem ei wird in demWort einsam die Einsamkeit des am Fenster Stehenden betont, an den anderenStellen dieser Strophe drckt das ei die Sehnsucht des sprechenden Ich nacheiner Reise in ferne Lande aus. Als langer Doppellaut eignet das ei sich dazu,auch im Klang die Sehnsucht des Sprechenden nach einem Wandern in die Fer-ne auszudrcken. Das ei wird als Diphthong gedehnt gesprochen, es zieht sich

    25 Siehe dazu auch O. Seidlin a. a. O., S. 57.

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  • vom weiteren, volleren a zum engeren, heller klingenden i hin. Dies verstrktsich noch, wenn das ei in einem Spondeus lnger gedehnt klingt. Verfhrerischverlockend klingt das kurze o in golden, Posthorn und Sommernacht,besonders dann, wenn ihm ein klangvolles l, r oder m folgt. In den Ausdrckenim stillen (Land) (Vers 4), in mir im (Leib entbrennte) (Vers 5) und in ichmir (heimlich gedacht) (Vers 6) erscheint das i in zwei aufeinander folgendenSilben, es klingt still und innig. Verinnerlicht klingen das er in Herz, und dasdoppelte ent- oder enn-t in entbrenn-te (Vers 5).26 Das mehrfach auftretende ain Da hab ich ... gedacht hebt das hab ... gedacht als bedeutsamen Ausdruckhervor.27 In dem gedacht und dem Ach erscheint zweimal die Lautfolge ach.Das Ach schliet sich in dem darauf folgenden Vers unmittelbar an das ge-dacht an, wodurch der Gleichklang als solcher hervorgehoben, das leise Seuf-zen im Ach stark betont wird: gedacht: / Ach. Durch diesen Gleichklangwird auch vom Sinn her eine enge Verbindung zwischen den persnlichenGefhlen des hier sprechenden Ich und dem Inhalt des von ihm Gedachten her-gestellt. Die dunklen u und au kommen in dieser Strophe nur einmal vor, undzwar in Vers 3 unbetont in einer Senkung. Diese beiden Vokale tragen nurwenig zur Stimmung in dieser Strophe bei. Die Vokale der Hebungen sind desfteren in der ersten Strophenhlfte lang, sie klingen sehnsuchtsvoll. In derzweiten Strophenhlfte kommen mit Ausnahme des ei in den Versen 4 und 5 inden Hebungen nur kurze Vokale vor. Aus diesem Grund klingt der Ton dortleicht gedmpft und innerlich zurckgedrngt. Dies vermittelt den Eindruck,dass das vom Ich Geschaute und Gehrte nicht ohne Wirkung geblieben ist,dass sich das Ich leicht bedrckt fhlt. Dieser Eindruck wird wegen der mehr-fach auf die kurzen Vokale folgenden harten Konsonanten noch verstrkt. DieSehnsucht nach einer Reise in ferne Landschaften bedrckt und beglcktzugleich.

    In der zweiten Strophe stehen in den Kadenzen der Verse dem tiefer und vol-ler klingenden a die hellen i und gegenber. Das Gegenstzliche in diesenbeiden Vokalen klingt auch hier nicht nur schn, in der ersten Strophenhlftedrckt es wieder die Sehnsucht des aus dem Fenster Schauenden nach der Ferneund seine Traurigkeit ber sein Zurckbleiben aus, in der zweiten Hlfte derStrophe vor allem das Andersartige zwischen den schwindelnden Felsenschlf-ten hoch oben im hellen Licht der Sonne und dem so sacht rauschenden Wl-dern in den tieferen Regionen des Hochgebirges (Verse 5 u. 6). 28 Selbst auer-halb der Reime erscheinen die hellen i und hufig, im Klang machen sie sich

    26 O. Seidlin, a. a. O., S. 68 macht darauf aufmerksam, dass das entbrennt sich amAnfang und im Innern mit den Lauten ent- reimt.

    27 Das a in den Hebungen erscheint kursiv, das a im weniger betonten Auftakt ist un-terstrichen.

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  • des fteren deutlich bemerkbar, wenn sie unmittelbar hinter einander in zweiSilben oder zwei Hebungen stehen. Vor allem ist dies in dem Ich hrte ... siesingen / Die stille Gegend entlang am Ende von Vers 3 und am Anfang vonVers 4 der Fall. In dem Sich strzen in die Waldesnacht kommt sehr deutlichder Gegensatz zwischen dem hellen i und dem volleren a zum Ausdruck. In denHebungen von Spondeen taucht vier- oder fnfmal29 das e oder , je einmal dasi und das a auf. Auf diese Vokale folgt fnf- bzw. sechsmal ein klangvolles lund einmal ein r, was die schon an sich leicht gedehnten Hebungen in denSpondeen noch gedehnter und damit um so sehnschtiger klingen lsst. In denvier ersten Reimen folgt auf die Vokale i und a ein n. Dies bewirkt ebenfalls,dass diese Vokale sehnsuchtsvoll klingen. Den Ausdruck stark hervorhebendwirkt in dem sie singen (Vers 3) die Wiederholung des s im Anlaut von zweiSilben, die unmittelbar aufeinander folgen. Das gleiche kommt noch einmal indem so sacht (Vers 6) vor, die Wiederholung des stimmhaften s macht denTon an dieser Stelle sanft und wohltnend. Die Alliteration des sch in zwei kurznach einander folgenden Hebungen in Von schwindelnden Felsenschlften inVers 5 unterstreicht die Bedeutung des Ausdrucks schwindelnde Felsenschlf-te und lenkt den Blick auf die gewaltigen, schwindelerregenden Hhen derFelsen. Auch in dieser Strophe fehlen die dunklen Vokale u und au fast ganz.Nur einmal erscheint das u in dem Ausdruck junge Gesellen (Vers 1), und nurin dem Wort rauschen taucht das au auf (Vers 6), es wirkt lautmalend. In derersten Strophenhlfte klingen die Konsonanten berwiegend weich, in der zwei-ten werden sie hrter. Mit ihrem harten Klang veranschaulichen die Konsonan-ten in der zweiten Strophenhlfte das Gigantische der Berge, oder sie ahmen daslaute Getse der Bche nach, die aus der Hhe der Felsen in die Tiefe derSchluchten strzen.

    28 Die schwindelnden Felsenschlfte werden gesehen, das Rauschen der Wlderwird gehrt. Auch darin unterscheiden sich die schwindelnden Felsenschlfte unddas Rauschen der Wlder. Die beiden Teile der Alpenlandschaft gehren verschie-denen Hhenlagen des Gebirges an. Auch in dieser Hinsicht bilden die hohen Fel-senschlfte und das Rauschen der Wlder Gegenstze.

    Das Wo am Anfang von Vers 6 bezieht sich wohl nicht allein auf die hohen Fel-sen, es meint die Gegenden der Alpen allgemein, in deren Wldern, wie man in an-nimmt, die Bume noch unbeeinflusst vom Menschen und seinem kulturellen Wir-ken sacht rauschen. Auch H. Motekat a. a. O., S. 102 weist darauf hin, wie wichtig in den Versen 5 bis8 der Strophe 2 die Klnge der Vokale fr die Darstellung der Landschaft sind.

    29 Ob man vier- oder fnfmal rechnet, hngt davon ab, ob man in Quellen einenSpondeus erkennt oder nicht. Man kann dort Wort Quellen als Spondeus (x' -)oder als Daktylus lesen, indem man die zweite Senkung als Pause ansieht und wiefolgt skandiert (x' x /\ ).

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  • In der dritten Strophe unterscheiden sich die beiden Hlften im Klang nochstrker als in der zweiten Strophe. Die ungeraden Verse 1 und 3 der ersten Stro-phenhlfte besitzen in den Hebungen des Reims den Vokal i, die geraden Verse2 und 4 im Reim den Diphthong ei. Die ungeraden Versen 5 und 7haben in derzweiten Strophenhlfte in den betonten Silben des Reims ein au, die geradenVerse 6 und 8 im Reim ein a. Das helle i in den Kadenzen der Verse 1 und 3wird in den Kadenzen der Verse 2 und 4 zum weicheren ei, das geheimnisvollklingt. Das dunklere, geheimnisvoll romantisch klingende au in den Kadenzender Verse 5 und 7 wird in den Kadenzen der Verse 5 und 8 zum klar klingendena. In der ersten Strophenhlfte gleitet der Ton von Dur in Moll und in der zwei-ten Hlfte von Moll in Dur. Die Konturen verwischen sich in der ersten Hlfte,sie werden undeutlich, am Schluss der Strophe wird die Sicht erneut klar. Un-deutlich ist das i in dem Diphthong ei, undeutlich das a in dem Diphthong auenthalten. Der Wunsch wird zuerst unwirklicher, er wird zum Tagtraum, amSchluss kehren die Gedanken in die Wirklichkeit zurck. Denn indem das amFenster stehende Ich sich im Schlussvers In der prchtigen Sommernacht eineSommernacht in Italien vorstellt, besinnt es sich wieder auf die Ausgangssi-tuation und blickt, zu Hause geblieben und aus seinen Gedanken aufgewacht, inder hellen Sommernacht erneut vom Fenster aus in die Weite der Landschaft.Alles Berichtete geschieht nur in der Erinnerung des Ich, denn es ist Vergan-genheit und wird als solche vom Ich geschildert. Neben dem i und dem ei imReim der Verse 1 bis 4 kommt im Innern der Verse 1 bis 5 das und das vor.Wie das ei so ahmen auch das (Umlaut des a) und das (Umlaut des u) in denVersen 1 bis 4 das verunklrende Dmmerlicht in den verwilderten Grten desfernen Italiens nach. Recht klang- und geheimnisvoll klingt gleichfalls das sichwiederholende m-r zusammen mit dem Wechsel der Vokale a und o in demWort Marmorbilder (Vers 1). Das sie singen am Ende von Strophe 2, Vers 3wird, in dem Sie sangen, ins Prteritum abgewandelt, am Anfang von Vers 1wiederholt. Infolge des Gleichklangs des anlautenden s in zwei aufeinander fol-genden Silben wirkt die Wiederholung der zwei gleichen Wrter in Strophe 3noch nachdrcklicher. Erneut wird so eindringlich darauf aufmerksam gemacht,dass die Bilder der Alpen und der Szenen im fernen Italien dem am Fenster ste-henden Beobachter erst durch die beiden Wandergesellen ins Gedchtnis ge-rufen werden, dass das Geschilderte hier nicht unmittelbar von dem Betrachter,der am Fenster steht und in die Ferne schaut, erlebt, sondern bei ihm erst durchden Gesang der zwei Wandergesellen geweckt wird.

    Noch geheimnisvoller als die Geschehnisse in der ersten Hlfte der Strophewirken die nchtlichen Ereignisse in der zweiten, die lautsymbolisch geheimnis-reich in den dunkleren a, au und u nachgeahmt werden. Dort tauchen die Voka-le a und au nicht nur in den Reimen einander abwechselnd auf, sie kommenwechselweise auch im Versinnern der vier Schlussversen vor, so in: Wo dieMdchen am Fenster lauschen, / Wann der Lauten Klang erwacht / Und die

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  • Brunnen verschlafen rauschen / In der prchtigen Sommernacht. Im Gegensatzzur ersten Hlfte der Strophe klingen die Verse hier tiefer: es ist Nacht und nurder Mond erhellt die Szene.30 Das Wort Lauten steht in einer Assonanz mitden Wrtern lauschen und rauschen, das Wort Klang in einer Assonanzmit dem Wort erwacht. Der Gleichklang des au in Lauten und rauschenwie auch der Gleichklang des kurzen a in Klang und erwacht mit dem lan-gen a in verschlafen rcken die beiden Gerusche, der Klang der Lauten unddas Rauschen der Brunnen, nher zusammen, lautsymbolisch kommt durch denGleichklang dieser Vokale zum Ausdruck, dass die beiden Gerusche ineinan-der bergehen, dass sie sich im Ohr des Hrenden miteinander verbinden. Ne-ben dem a und dem au wirkt auch das doppelte u in Und die Brunnen (ver-schlafen rauschen) dunkel und stimmungsvoll. Die Gleichklnge des w inWo, Wann und erwacht zusammen mit dem a in Wann und erwacht(Verse 5 und 6) wirken klangreich, aber auch geheimnisvoll. Recht klang- undgeheimnisvoll wirkt die Alliteration des lau in lauschen und Lauten zusam-men mit der Assonanz in lauschen, Lauten und rauschen (Verse 5 bis 7).

    Diesen Versen wie auch den Versen in vielen anderen Gedichten Eichen-dorffs wird durch das Zusammenspiel von Reim, Rhythmus und Lautklang eineStimmung verliehen, die wie von einem inneren Zauber beseelt ist. Dieses Ge-dicht ist ganz Gesang. Wie Musik tnen die Verse - auch ohne die begleitendenKlnge einer Melodie, die gesungen oder von Musikinstrumenten gespielt wird.Indem sie erklingen, werden die Wrter transparent, deuten sie ber sich hinaus.Ungenanntes schwingt mit und muss bei einer Interpretation mit dem in WortenGenannten mit erfasst werden, fr die dichterische Aussage des Gedichts ist esvielleicht noch wichtiger als das, was mit den Worten gesagt wird. Vom Fensteraus, an dem das Ich des Sprechers steht und beobachtet, wird der Blick in dieFerne, die endlose Weite gelenkt. Und doch wlbt sich auch weit weg von demfernen Italien ber dem, der zu Hause geblieben ist, der gleiche Himmel, wlbtsich die gleiche prchtige Sommernacht. Vor ihm breitet sich eine schneweit sich ausdehnende Landschaft aus. Zu Hause geblieben steht das Ich auchin Zukunft wieder am Fenster, richtet den Blick in die Ferne und trumt von ei-ner Reise durch die Alpen ins sdliche Italien. Aber auch in Italien wrde es nurdas wiederfinden, was es auch zu Hause schon gefunden hat. Auf dies deutetder letzte Vers des Gedichts vielsagend hin. hnliches hat Eichendorff in seinerErzhlung Aus dem Leben eines Taugenichts dichterisch dargestellt. Auchder Taugenichts findet in Italien kaum Neues, um diese Weisheit bereichertkehrt er glcklich in seine Heimat zurck.

    30 Auch O. Seidlin a. a. O., S. 71 weist darauf hin, dass sich der Ton im zweiten Teilder Schlussstrophe absenkt, dass neben dem a als dem Ausdruck reiner Musik dasau und das u als Vokale erscheinen, die dunkel und volltonig klingen.

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  • Die Verstakte in Eichendorffs Gedicht Sehnsucht

    Es schienen so golden die Sterne,Am Fenster ich einsam standUnd hrte aus weiter Ferne Ein Posthorn im stillen Land. Das Herz mir im Leib entbrennte, Da hab' ich mir heimlich gedacht: Ach, wer da mitreisen knnteIn der prchtigen Sommernacht!

    Zwei junge Gesellen gingenVorber am Bergeshang,Ich hrte im Wandern sie singenDie stille Gegend entlang:Von schwindelnden Felsenschlften, Wo die Wlder rauschen so sacht,Von Quellen, die von den Klften Sich strzen in die Waldesnacht.

    Sie sangen von Marmorbildern,Von Grten, die berm GesteinIn dmmernden Lauben verwildern,Palsten im Mondenschein, Wo die Mdchen am Fenster lauschen,Wann der Lauten Klang erwachtUnd die Brunnen verschlafen rauschenIn der prchtigen Sommernacht.

    x /x' x x / x' x x / x' xx /x' x x / x' - / x' x /x' x x / x' - / x' xx /x' x x / x' - / x'x /x' x x / x' - / x' xx /x' x x / x' x x / x'x' / x x / x' x x / x' x

    x x/x' x x / x' - / x' x /x' x x / x' - / x' xx /x' x x / x' - / xx /x' x x / x' x x / x' xx / x' - / x' x x / x' x /x' x x / x' - / x' xx x/ x' - / x' x x / x'x / x' - / x` x x / x' xx /x' xxx / x' - / x'

    x /x' x x / x' - / x' xx /x' x x / x' x x / x' x /x' x x / x' x x / x' xx /x' x x / x' - / x'

    x x /x' x x / x' - / x' xx x / x' - / x' - / x' x x /x' x x / x' - / x' xx x/ x' x x / x' - / x'

    x' bedeutet eine Hebung x kennzeichnet eine Senkung x` steht fr einenur schwach oder nicht betonte Hebung (Strophe1 Vers 7) das Zeichen -kennzeichnet die lnger gedehnte Senkung in einem Spondeus oder einenlnger gedehnten Auftakt /\ weist auf eine Pause hin (Strophe 2, Vers 7).Die schwebende Betonung in Strophe 1, Vers 7 ist unterstrichen. Die Leit-verse in Strophe 1, Vers 1 und in den Versen 3 der Strophen 2 und 3 sindfett gedruckt. Die zweisilbigen Auftakte sind kursiv markiert. Vers 7 in Strophe 2 kann auch wie folgt gesprochen werden: x / x' x /\ / x` xx / x' x. Die lang gesprochen Senkung in Takt 1 wird dann in eine kurz ge-sprochene Senkung und in eine Pause aufgelst.Die Verse mit