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Journal für das Lohnbüro 01|2016 Aktuelles aus dem Lohnsteuerrecht Elternfreuden Richtig feiern Aktuelles aus dem Sozialversicherungsrecht Im Ausstand Unfallversicherung: Alles neu ab 2016 GKV-Finanzen 2016 Aktuelles aus dem Arbeitsrecht Beschäftigung von Flüchtlingen/Asylsuchenden in Deutschland Zeitarbeit: Zeichen deutscher Willkommenskultur Zeitarbeit abgeschafft Wenn Arbeitnehmer pflegen müssen Rechtsprechung für Sie aufbereitet Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst

Journal für das Lohnbüro 01|2016...Neues BMF-Schreiben zu Betriebs-veranstaltungen: Das ist lohnsteu-erlich und umsatzsteuerlich zu be-achten Zur Anwendung der ab 2015 geltenden

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Journal für das Lohnbüro Januar 2016 | 1

Journalfür das Lohnbüro01|2016

Aktuelles aus dem Lohnsteuerrecht � Elternfreuden

� Richtig feiern

Aktuelles aus dem Sozialversicherungsrecht � Im Ausstand

� Unfallversicherung: Alles neu ab 2016

� GKV-Finanzen 2016

Aktuelles aus dem Arbeitsrecht � Beschäftigung von Flüchtlingen/Asylsuchenden in Deutschland

� Zeitarbeit: Zeichen deutscher Willkommenskultur

� Zeitarbeit abgeschafft

� Wenn Arbeitnehmer pflegen müssen

� Rechtsprechung für Sie aufbereitet

� Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst

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2 | Journal für das Lohnbüro Januar 2016 Pflicht für alle

Pflicht für alleLiebe Leserinnen und Leser,

der kommende Jahreswechsel hält wie ge-wohnt wichtige Entwicklungen und Neue-rungen für Sie bereit, wenn auch die ganz großen Meilensteine der vergangenen Jahre diesmal nicht stattgefunden haben. Doch auch ohne ELStAM, Mindestlohngesetz und Reisekostenreform bleibt genug zu tun und der Teufel steckt vielleicht mehr denn je im berühmten Detail. Unser Autor Mar-kus Stier fasst die wichtigsten Änderungen für Sie zusammen.

Mit seinem aktuellen Urteil zu Safe Harbor stößt der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Neuordnung der Rechtsgrundlagen für Datentransfers aus der EU in die USA

an. Dieses Urteil kann auch den Personal-bereich und die Entgeltabrechnung Ihres Unternehmens betreffen – ich empfehle Ih-nen daher die Lektüre unseres ausführli-chen Fachbeitrags zu diesem Thema.

Zum Jahreswechsel 2014/2015 hat der Ge-setzgeber die Besteuerung von Zuwendun-gen an Arbeitnehmer im Rahmen von Be-triebsveranstaltungen gesetzlich geregelt, was in der Praxis zu vielen Fragen geführt hat. Antworten liefert nun ein neues BMF-Schreiben der Finanzverwaltung. Unsere Autorin gibt einen Überblick.

Die Bundesregierung hat vor dem Hinter-grund des großen Stroms von Flüchtlingen und Asylsuchenden zahlreiche gesetzliche Bestimmungen vereinfacht. Es gilt nun, dieses Beschäftigungspotenzial zu nutzen und die arbeits-, sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Bestimmungen zu beach-ten. Lesen Sie den Fachbeitrag unseres ge-schätzten Autors Raschid Bouabba.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start und ein gesundes und erfolgreiches Neues Jahr!

Ihr Markus Matt

Markus MattChefredakteur

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Journal für das Lohnbüro Januar 2016 | 3Aktuelles aus dem Lohnsteuerrecht

Aktuelles aus dem LohnsteuerrechtNeues BMF-Schreiben zu Betriebs-veranstaltungen: Das ist lohnsteu-erlich und umsatzsteuerlich zu be-achtenZur Anwendung der ab 2015 geltenden Neuregelung des § 19 I 1 Nr. 1a EStG hat das BMF Folgendes angewiesen:Eine Betriebsveranstaltung (z. B. ein Be-triebsausflug, eine Weihnachtsfeier etc.) liegt im Gegensatz zu and. betr. Veranstal-tungen nur vor, wenn der Teilnehmerkreis zu mehr als der Hälfte aus Betriebsange-hörigen und ggf. deren Begleitpersonen besteht. Das können u. U. auch Abtei-lungsfeiern, Pensionärstreffen oder Jubi-läumsfeiern sein, wenn alle Arbeitnehmer (AN) der Abteilung oder bei Jubiläumsfei-ern sogar nur ein begrenzter Kreis von z. B. engeren Mitarbeitern daran teilneh-men können. Auch Leih-AN, Praktikanten, Referendare und AN anderer konzernan-gehöriger Unternehmen gehören dazu. Dagegen ist die Ehrung eines einzelnen Jubilars z. B. bei seinem Ausscheiden nicht begünstigt. Auch ein Abendessen gehört nicht dazu.

Zu den Gesamtkosten einer Betriebsver-anstaltung gehören alle Arbeitgeber-Auf-wendungen (inkl. USt) für die Veranstal-tung wie z. B. Speisen und Getränke, Tabakwaren und Süßigkeiten, Entertain-ment sowie Fahrt- und Übernachtungskos-ten. Das gilt auch für dem einzelnen AN individuell zurechenbaren Kosten (z. B. Ge-winne bei einer Tombola) sowie Aufwen-dungen für Saalmiete, Trinkgelder, Stor-nokosten oder die Erfüllung behördlicher Auflagen. Nicht dazu gehören rechneri-sche Selbstkosten des AG (z. B. anteilige AfA, Strom- und Wasserkosten im eigenen Gebäude oder die Lohnbuchhaltung zur Erfassung des geldwerten Vorteils). Reise-kosten externer Mitarbeiter können steu-erfrei ersetzt werden und gehören eben-falls nicht zu den Gesamtkosten.

Die so ermittelten Kosten sind auf alle Teilnehmer aufzuteilen. Danach ist der auf den einzelnen AN und seine Begleit-person entfallende Anteil dem Mitarbeiter zuzurechnen. Bleibt dieser Anteil unter dem Freibetrag von 110 Euro, ist er steu-erfrei. Das kann zweimal pro Jahr in An-spruch genommen werden. Bei Über-schreiten des Freibetrags ist dieser Teil steuerpflichtig und kann mit 25 Prozent

pauschal versteuert werden. SV-Beiträge fallen dafür nicht an. Umsatzsteuerlich ist der AG dem Grunde nach zum Vorsteuerabzug berechtigt, wenn die anteiligen Aufwendungen den Freibetrag nicht überschreiten. Es liegt keine unentgeltliche Wertabgabe vor. Übersteigen die anteiligen Aufwendun-gen den Freibetrag, entfällt der Vorsteuer-abzug. Es liegt dann eine unentgeltliche Zuwendung für den Privatbedarf des AN vor.

Zeitliche AnwendungDie einkommenssteuerlichen Regelungen gelten für alle nach dem 31.12.2014 enden-den Lohnzahlungszeiträume sowie für danach beginnende Veranlagungs-zeit-räume.Für die Umsatzbesteuerung von Sachzu-wendungen und Betriebsveranstaltungen gelten die genannten Grundsätze für alle nach dem 31.12.2014 ausgeführten Um-sätze. Aus Vereinfachungsgründen kann die Anwendung erst ab dem Tag der Ver-öffentlichung dieses Schreibens im Bun-dessteuerblatt erfolgen (BMF v. 14.10.2015, Gz.: IV C 5-S 2332/15/10001; www.bundes-finanzministerium.de).

Arbeitgeber-Darlehen von Banken an ihre Mitarbeiter: Wie sind On-line-Konditionen beim geldwerten Vorteil zu berücksichtigen?Im Internet bieten viele Banken günsti-gere Konditionen an als in der Filiale vor Ort. Wie sind diese verbilligten Konditio-nen bei der Bewertung geldwerter Vor-teile zu berücksichtigen? Die lohnsteuerliche Erfassung derartiger Sachbezüge hatte das BMF mit Schreiben v. 19.05.2015 dargestellt. Jetzt geht es um die Berücksichtigung verbilligter Online-Kon-ditionen.

Bislang haben die Banken ihren AN nur ei-nen Nachlass von vier Prozent auf ihre Stan-dardkonditionen gewährt. Künftig sollen die günstigeren Onlinekonditionen berück-sichtigt werden. Dabei ziehen die Banken die aktuellen Konditionen heran, die sie ei-nem Portalskunden für ein vergleichbares Darlehen unter sonst gleichen Bedingungen gewähren würden. Ein weiterer Preisnach-lass ist dann ausgeschlossen.Hierzu gibt es zwei Vorgehensweisen –: Ansatz der 44-Euro-Freigrenze nach § 8 II

EStG oder Ansatz mit Rabattfreibetrag nach § 8 III EStG. Diese Wahlmöglichkeit kann vom AN in seiner ESt-Erklärung auch abweichend vom Lohnsteuerabzugs-verfahren ausgeübt werden.

Erfolgt die Bewertung nach § 8 III EStG (mit Rabattfreibetrag von 1.080 Euro p. a.), ist der Ausgangswert für die Vorteilser-mittlung der Preis, zu dem die Bank das Darlehen einem fremden Letztverbrau-cher durchschnittlich anbietet. Davon kann noch der Bewertungsabschlag von vier Prozent abgezogen werden. Erst dann wird der Rabattfreibetrag berücksichtigt. Nach dem BayLfSt muss ein Gesamt-durchschnittswert aus Online- und Vor-Ort-Konditionen gebildet werden. Der so ermittelte Durchschnittswert ist der End-preis nach § 8 III EStG abzüglich Bewer-tungsabschlag von vier Prozent. Der so errechnete Geldwert des Sachbezugs er-gibt abzüglich gezahlter Darlehenszinsen den Arbeitslohn abzüglich Freibetrag von 1.080 Euro.

Der AG muss die Unterlagen zum ermit-telten Endpreis aufbewahren, die Berech-nung des Zinsvorteils dokumentieren und alle Belege zum Lohnkonto nehmen. Der AN darf die angesetzten Werte erfra-gen.Erfolgt die Bewertung nach § 8 II EStG mit 44-Euro-Freigrenze, muss als Vergleichs-wert der um übliche Preisnachlässe ge-minderte Endpreis am Abgabeort angesetzt werden (abzüglich eines pauschalen vier-prozentigen Abschlags nach R 8.1 II S. 3 LStR). Hier ist es zulässig, nur die durch-schnittlichen Online-Konditionen oder sogar die absolut günstigsten Konditio-nen heranzuziehen. Ein pauschaler Vier-Prozent-Abschlag scheidet hier aus.

Für die Vergleichswertermittlung dürfen hier auch fiktive Konditionen herangezo-gen werden, so dass Vergleichswerte aus einer einfachen Internetrecherche heran-gezogen werden können. Auch hier müs-sen sämtliche Unterlagen zum Lohnkonto genommen und dem AN formlos mitge-teilt werden. Bereits erteilte Anrufungs-auskünfte sollen die FÄ anhand der vorge-nannten Regeln überprüfen und ggf. für die Zukunft ändern (BayLfSt, Verfügung v. 07.07.2015, Gz.: S 2334.2.1-84/16 St 32).

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4 | Journal für das Lohnbüro Januar 2016 Elternfreuden

Bestechungsgelder an AN sind keine Lohneinkünfte Es handelt sich dabei um sonstige Ein-künfte (nach § 22 Nr. 3 EStG). Werden die Bestechungsgelder an den geschädigten AG herausgegeben, sind das beim AN Wer-bungskosten nur bei dieser Einkunftsart.Es ging hier um Bestechungsgelder in Höhe von ca. zwei Mio. Euro für die be-vorzugte Auftragsvergabe an einen be-stimmten Auftragnehmer. Nach Aufde-ckung der Bestechung und der fristlosen Kündigung vereinbarten AN und AG, dass zur Schadenswiedergutmachung 1,2 Mio. Euro an den AG gezahlt wurden. Fer-ner verzichtete der AN auf eine Abfin-dung sowie auf sämtliche Ansprüche aus der bAV. Bei seiner Veranlagung 2006 machte er dafür vergeblich nachträgliche

Werbungskosten bei den Lohneinkünften geltend.

Das FA erfasste die Bestechungsgelder als sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 3 EStG und versagte den begehrten Werbungskosten-abzug bei den Lohneinkünften. Dem stimmten das FG und jetzt auch der BFH zu.

Nach Auffassung beider Finanzgerichte handelt es sich bei den Bestechungsgel-dern um Einnahmen aus sonstigen Leis-tungen. Im Rückzahlungsjahr liegen Wer-bungskosten (nur) bei dieser Einkunftsart vor. Denn der AG hatte nach der BAG-Rechtsprechung einen Rückgabeanspruch bzgl. der angenommenen Schmiergelder.

Das gilt aber nicht für den Verzicht auf die Abfindung und die bAV. Insoweit liegen

keine Werbungskosten vor. Nach § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG ist ein vertikaler Verlust-ausgleich ausgeschlossen. Jedoch ist nach Satz 4 dieser Vorschrift eine Berücksichti-gung im Jahr davor bzw. im nachfolgen-den VZ möglich. Das soll auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundge-setzes verstoßen (BFH v. 16.06.2015, Az.: IX R 26/14; www.bundesfinanzhof.de).

WOLFGANG GAMP Rechtsassessor, www.lohnsteuerhilfe-herdecke.de

ElternfreudenSo sponsert das Finanzamt die Kinderbetreuung

Berufstätige Eltern können sich nicht nur über ihre Einkommensteuererklärung, sondern auch über ihre Arbeitgeber Steuervorteile für die Kinderbetreuung sichern. Doch die Bedin-gungen sind genau einzuhalten. Sonst stellt sich das Finanzamt quer.

Kita, Babysitter oder Tagesmutter: Schnell reißt die Kinderbetreuung ein tiefes Loch in die Familienkasse. Diese Kosten lassen sich unter bestimmten Voraussetzungen von der Steuer absetzen. Erwerbstätige El-tern können zwei Drittel der Betreuungs-

kosten, bis zu maximal 4.000 Euro pro Jahr und Kind, in der Einkommensteuer-erklärung als Sonderausgaben geltend machen. Dies gilt von der Geburt bis zum 14. Lebensjahr, bei behinderten Kindern bis zum Alter von 25 Jahren. Begünstigt sind alle Formen der Kinderbetreuung, ob auswärts oder in den eigenen vier Wän-den. Nicht abzugsfähig sind Kosten für Nachhilfe, Musikunterricht, Sportkurse oder sonstige Freizeitaktivitäten sowie Verpflegung.

Die Steuervorteile erleichtern die Verein-barkeit von Familie und Beruf, betont der Bundesverband der Bilanzbuchhalter und Controller e. V. (BVBC). Doch es lauern ei-nige Fallstricke, die den Steuerbonus ge-fährden können. Steuerzahler sollten die rechtlichen Vorgaben genau einhalten. Das Finanzamt kann als Nachweis eine aussagekräftige Rechnung und einen Überweisungsbeleg verlangen. Eine Bar-quittung reicht nicht aus. Dies gilt laut ak-tuellem Urteil des Finanzgerichts Köln (FG Köln, Az. 15 K 2882/13) auch, wenn der Dienstleister eine Überweisung ab-lehnt, weil er über kein Konto verfügt. Wenn die Eltern nicht auf den Steuerbo-nus verzichten möchten, müssen sie sich einen anderen Dienstleister suchen.

Auch Angehörige kommen als Dienstleis-ter in Frage. In diesen Fällen sollten sich Eltern allerdings auf kritische Nachfragen der Finanzbehörden einstellen. Familien-angehörige sollten untereinander schrift-liche Vereinbarungen wie unter Dritten treffen und sie konsequent umsetzen. Wird der Angehörige als Arbeitnehmer beschäftigt, sollte er unverzüglich ange-meldet und die entsprechenden Abgaben abgeführt werden.

Schon bei Abschluss des Betreuungsver-trages ist Weitblick gefragt. Wer den Ver-trag unterschreibt, muss auch die Kosten überweisen. Nur diese Person hat An-

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Alles für das Kind: Der Fiskus spielt mit, wenn die Regeln stimmen.

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Journal für das Lohnbüro Januar 2016 | 5Richtig feiern

spruch auf die Sonderausgaben und kann die Betreuungskosten in der Einkommen-steuererklärung geltend machen. Alterna-tiv können berufstätige Eltern für die lau-fenden Betreuungskosten auch einen Freibetrag beim Finanzamt beantragen (sogenanntes Lohnsteuerabzugsverfah-ren). Dadurch werden Ausgaben sofort be-rücksichtigt und nicht erst nach Abgabe der Steuererklärung. Somit steigt das mo-natliche Nettogehalt und die Familien-kasse wird direkt aufgestockt.

Auch Unternehmen können ihre Arbeit-nehmer mit steuerfreien Gehaltsextras unterstützen. Denn: Leistungen des Ar-beitgebers an seine Arbeitnehmer für die Unterbringung und Betreuung von nicht-

schulpflichtigen Kindern sind unter be-stimmten Voraussetzungen steuer- und sozialversicherungsfrei. Dazu zählen Bei-träge für Kindergärten oder vergleichbare Einrichtungen. Hiervon profitieren Ar-beitnehmer und Arbeitgeber. Das Extra kommt „brutto für netto“ bei den Mitar-beitern an und Chefs können engagierte Kräfte stärker an das Unternehmen bin-den. Firmen können die Kosten teilweise oder komplett übernehmen. Es muss sich aber prinzipiell um eine Sonderleistung handeln, die zusätzlich zum bisherigen Gehalt gezahlt wird. Gehaltsumwandlun-gen sind nicht erlaubt. Andernfalls fallen nachträglich Lohnsteuer und Sozialversi-cherung an.

Die Finanzbehörden können die zweck-entsprechende Verwendung des Zuschus-ses überprüfen. Am besten nehmen Un-ternehmen Originalbelege wie Verträge oder Rechnungen zu den Personalakten, um sie bei einer Lohnsteuerprüfung vor-legen zu können. Familienfreundliche Rahmenbedingungen für Arbeitnehmer werden in der Berufswelt immer wichti-ger. Arbeitgeber tun gut daran, ihr Perso-nal über die steuerlichen Optionen für die Kinderbetreuung zu informieren. Eine be-darfsgerechte Kombination der Steuervor-teile schafft eine Win-win-Situation für das Unternehmen und seine Mitarbeiter.

CHRISTEL FRIES Präsidentin des Bun-desverbandes der Bilanzbuchhalter und Controller e. V. (BVBC)

Richtig feiernWie behandele ich Betriebsveranstaltungen lohn- und umsatzsteuerlich richtig?

Zum Jahreswechsel 2014/2015 hat der Ge-setzgeber mit dem Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften die Besteuerung von Zuwendungen an Arbeitnehmer im Rahmen von Betriebsveranstaltungen ge-setzlich in § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a EStG geregelt. Große Veränderung zur bisheri-gen Regelung war, dass anstatt der Frei-grenze nunmehr ein Freibetrag von 110 Euro pro Arbeitnehmer für jeweils zwei Betriebsveranstaltungen gilt.

Vorausgegangen war eine längere Diskus-sion zwischen Wirtschaft, Finanzverwal-tung und Politik, wie die Urteile des Bun-desfinanzhofes aus dem Jahre 2013 (BFH vom 16.05.2013, VI R 94/10 und VI R 7/11, BStBl. 2015 II Seite 186 ff.) unter Beachtung der Regelung in der Lohnsteuerrichtlinie 19.5 (LStR 2015) umgesetzt werden sollten.

Aber auch nach Inkrafttreten der neuen Norm zum 01.01.2015 gab es in der Praxis viele Fragen, wie die lohnsteuerliche Be-handlung bei Betriebsveranstaltungen vorzunehmen ist. Was ist eine Betriebs-

veranstaltung? Welche Sachzuwendun-gen zählen zum Arbeitslohn? Für wen und welche Veranstaltung kann der neue Freibetrag angewandt werden? Wie wer-den die Aufwendungen für eine Betriebs-veranstaltung umsatzsteuerlich behan-delt? Antworten auf diese praxisrelevanten Fragen liefert jetzt ein neues BMF-Schrei-ben der Finanzverwaltung vom 14.10.2015, welches die Neuregelung in § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a EStG ausführlich erörtert.

Im Folgenden wird ein Überblick über die Besteuerung von Betriebsveranstaltungen und das aktuelle BMF-Schreiben gegeben.

Begriff der BetriebsveranstaltungNach dem Wortlaut des Gesetzes und dem BMF-Schreiben in Tz. 1 liegt eine Betriebs-veranstaltung bei einer Veranstaltung auf betrieblicher Ebene mit gesellschaftli-chem Charakter vor. Darunter fallen z. B. Betriebsausflüge, Weihnachtsfeiern oder Jubiläumsfeiern. Es ist unerheblich, wer die Veranstaltung organisiert. Diese kann somit vom Arbeitgeber, Betriebsrat oder Personalrat durchgeführt werden.

TeilnehmerkreisZwingende Voraussetzung für eine Be-triebsveranstaltung ist, dass sich nach Tz. 1 des BMF-Schreibens der Teilnehmerkreis überwiegend aus Betriebsangehörigen, de-ren Begleitpersonen und gegebenenfalls Leiharbeitnehmern oder Arbeitnehmern anderer Unternehmen im Konzernver-bund zusammensetzt. Somit ist es nicht schädlich, wenn neben den Arbeitneh-mern auch fremde Dritte eingeladen sind.

Beispiel:

Arbeitgeber O veranstaltet ein Jubiläumsfest wegen des 50. Jahrestages des Unterneh-mens. Hierzu kommen 50 Geschäftspartner und alle der 100 Mitarbeiter. Auf dem Fest gibt es Verpflegung für alle Teilnehmer und Auftritte von Musikern oder Künstlern. Es handelt sich für die Mitarbeiter um eine Be-triebsveranstaltung. Die Teilnahme der Gäste lässt diesen Charakter nicht entfallen, weil die Anzahl der Arbeitnehmer überwiegt.

Praxishinweis: Im BMF-Schreiben ist der Begriff „über-wiegend“ nicht weiter erläutert. Es gibt

Hinweis:

Der BVBC ist die zentrale Interessenvertretung der Bilanzbuchhalter und Controller in Deutschland mit derzeit knapp 5.000 Mitgliedern. Auf politischer und wirtschaftlicher Ebene diskutiert der Verband neue Perspektiven im Finanzbereich und gestaltet diese maßgeblich mit. Seit 1976 setzt er sich mit insgesamt elf Landesverbänden und Regionen durch die Eta-blierung von Qualitätsstandards und Zertifizierungen für ein zeitgemäßes Berufsbild ein. Dafür analysiert der BVBC aktuelle Marktanforderungen und qualifiziert für neue berufliche Herausforderungen. Weitere Informationen finden sich im Internet unter www.bvbc.de.

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6 | Journal für das Lohnbüro Januar 2016 Richtig feiern

Äußerungen von Vertretern der Finanz-verwaltung, dass ein Anteil von 50 Pro-zent an Arbeitnehmern ausreicht. Über-wiegend kann aber auch bedeuten, dass ein Arbeitnehmer mehr als Dritte auch ausreichend ist.

Beispiel:

Unternehmen U veranstaltet ein Sommer-fest, zu dem ausschließlich Kunden eingela-den sind. Einzelne Arbeitnehmer sind nur zum Zwecke der Betreuung der Kunden an-wesend. Auf dem Fest gibt es Verpflegung für alle Teilnehmer, auch für die arbeitenden Arbeitnehmer, und Auftritte von Musikern oder Künstlern. Es liegt keine Betriebsver-anstaltung vor, da hier nicht überwiegend Arbeitnehmer teilnahmen.

Zu den Arbeitnehmern zählen nach Tz. 3 des BMF-Schreibens alle aktiven Arbeit-nehmer, ehemalige Arbeitnehmer und Praktikanten, Referendare, ähnliche Per-sonen sowie Begleitpersonen. Zudem be-anstandet die Finanzverwaltung nicht, wenn auch Leiharbeitnehmer bei Be-triebsveranstaltungen des Entleihers so-wie Arbeitnehmer anderer konzernange-höriger Unternehmen einbezogen werden.

Welche Zuwendungen sind bei einer Betriebsveranstaltung steuerlich zu beachten?Liegt eine Betriebsveranstaltung vor, so sind nach dem Gesetzeswortlaut und dem BMF-Schreiben in Tz. 2 alle Aufwendun-gen für Zuwendungen des Arbeitgebers anlässlich dieser Betriebsveranstaltung einschließlich Umsatzsteuer steuerlich zu beachten. Es ist gleichgültig, ob die Zu-wendungen einzelnen Arbeitnehmern in-dividuell zurechenbar sind.

Das BMF-Schreiben zählt in Tz. 3 zu den Zuwendungen anlässlich einer Betriebs-veranstaltung insbesondere:

� Speisen, Getränke, Tabakwaren und Süßigkeiten,

� die Übernahme von Übernachtungs- und Fahrtkosten (hierzu folgen noch Ausführungen zu den Reisekosten),

� Musik, künstlerische Darbietungen so-wie Eintrittskarten für kulturelle und sportliche Veranstaltungen (Hinweis: Die Veranstaltung darf sich nicht im Besuch der kulturellen oder sportli-chen Veranstaltung erschöpfen. Nur der Besuch im Theater oder eines Fuß-ballspiels ist nicht im Rahmen einer Betriebsveranstaltung begünstigt.),

� Geschenke, � Zuwendungen an Begleitpersonen des

Arbeitnehmers, � Barzuwendungen, die statt Speisen

und Getränken, etc., Reisekosten und Musik usw. gewährt werden, wenn ihre zweckentsprechende Verwen-dung sichergestellt ist,

� Aufwendungen für den äußeren Rah-men, z. B. für Räume, Beleuchtung oder Eventmanager. Hierunter fallen auch die Kosten für anwesende Sani-täter, für die Erfüllung behördlicher Auflagen, Stornokosten oder Trinkgel-der. Hinweis: Ob z. B. Stornokosten oder Trinkgelder eine Zuwendung an den Arbeitnehmer im Sinne der Recht-sprechung sind, bleibt fraglich und wird zukünftig erst die Rechtspre-chung beantworten können.

Nicht zu den Zuwendungen zählen die Aufwendungen für sog. Selbstkosten des Arbeitgebers, wenn dieser die Betriebsver-anstaltung selbst organisiert. Dazu zählen z. B. die anteiligen Kosten der Lohnbuch-haltung für die Erfassung des geldwerten

Vorteils der Betriebsveranstaltung oder die anteilige AfA sowie Kosten für Ener-gie- und Wasserverbrauch bei Nutzung eigener Räumlichkeiten.

Hinweis: Mit dem Schreiben hat die Finanzverwal-tung somit noch einmal bekräftigt, dass entgegen den o. g. Urteilen des BFH aus dem Jahre 2013 keine Aufteilung in kon-sumierbare oder nicht konsumierbare Zu-wendungen erfolgt. Diese Aufteilung kann unter Anwendung der Urteile nur für Betriebsveranstaltungen bis um 31.12.2014 erfolgen.

Zu den Reisekosten im EinzelnenSteuerfreie Reisekosten nach § 3 Nr. 13 oder 16 EStG, sind keine Zuwendung im Rahmen einer Betriebsveranstaltung (nach dem BMF-Schreiben Tz. 6), wenn die Betriebsveranstaltung außerhalb der ers-ten Tätigkeitsstätte des Arbeitnehmers stattfindet, die Anreise der Teilnahme an der Veranstaltung dient und die Organi-sation dem Arbeitnehmer obliegt.

Beispiel:

Arbeitgeber B hat seinen Hauptstandort in München und veranstaltet einen Betriebs-ausflug. Zu diesem sind auch die Mitarbeiter der Standorte Düsseldorf und Berlin eingela-den. Diese reisen für den Betriebsausflug zu-nächst zur Unternehmenszentrale in Mün-chen mit dem eigenen Auto oder gekaufter Bahnfahrkarte an. Diese Fahrtkosten – sowie ggf. im Zusammenhang mit der An- und Ab-reise entstehende Verpflegungspauschalen und Übernachtungskosten – gehören nicht zu den Zuwendungen anlässlich der Betriebsver-anstaltung. Sie können als Reisekosten vom Arbeitgeber B steuerfrei erstattet werden.

Dagegen zählen Reisekosten, die mit der Veranstaltung oder dem Event unmittel-bar zusammenhängen und vom Arbeit-geber organisiert wurden, zu den Sachzu-wendungen einer Betriebsveranstaltung.

Beispiel:

Arbeitgeber C in Düsseldorf organisiert einen Betriebsausflug, der mit einer ganztägigen Fahrt auf einem Fahrgastschiff beginnt. Am nächsten Tag wird die Betriebsveranstaltung mit Ausflügen und anderen Aktivitäten am Zielort fortgesetzt. Sowohl die übernomme-nen Fahrtkosten als auch die Übernach-tungskosten gehören zu den Zuwendungen anlässlich der Betriebsveranstaltung.

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Folgt der Kater? Das Finanzamt feiert gerne mit.

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Praxishinweis: Nicht ganz eindeutig sind Fälle, bei denen der Arbeitgeber wegen der Größe und Vielzahl der auswärtigen Arbeitnehmer z. B. Sonderzüge anmietet, um die Mitar-beiter zum Hauptstandort zu fahren. Das Anmieten ist für den Arbeitgeber günsti-ger, als wenn jeder Arbeitnehmer selbst ein Bahnticket bucht. In einem solchen Fall hat der Arbeitgeber die Anreise orga-nisiert. Nach dem Wortlaut des BMF-Schreibens, wenn dieser streng ausgelegt wird, könnten die Aufwendungen in die Gesamtaufwendungen einbezogen wer-den. Dennoch handelt es sich um eine An-reise von auswärts tätigen Mitarbeitern, die keinen Eventcharakter hat und somit grundsätzlich steuerfreien Reisekostener-satz in Form der Sammelbeförderung er-möglicht.

Zu den Geschenken im EinzelnenAufwendungen für Geschenke zählen nach Tz. 2 des BMF-Schreibens auch bei nachträglicher Überreichung der Ge-schenke an solche Arbeitnehmer, die aus betrieblichen oder persönlichen Gründen nicht an der Betriebsveranstaltung teil-nehmen konnten, zu den zu berücksich-tigenden Gesamtaufwendungen der Be-triebsveranstaltung.

Praxishinweis: Barzuwendungen stellen allerdings immer steuerpflichtigen Arbeitslohn dar. Ausge-nommen sind Zuwendungen in Form von Barlohn, wenn damit zweckgebundene Aufwendungen für z. B. Speisen und Ge-tränke, Reisekosten oder musikalische Dar-bietungen erstattet werden. Zudem entfällt bei den Geschenken die bisher in den Richtlinien gewährte Wertgrenze von 60 Euro (übliche und unübliche Geschenke). Allerdings werden nach Tz. 2 des BMF-Schreibens nur Geschenke als Sachzuwen-dungen behandelt, wenn diese aus Anlass der Betriebsveranstaltung und nicht nur bei Gelegenheit überreicht werden.

Die Übergabe aus Anlass wird weiterhin angenommen, wenn diese Teil des Rah-mens der Betriebsveranstaltung ist.

Beispiel:

Arbeitgeber A richtet eine Weihnachtsfeier aus, zu der alle Arbeitnehmer kommen dür-fen. Der Anteil pro Arbeitnehmer für Ge-tränke, Mahlzeiten, Süßigkeiten und einen DJ beträgt 60 Euro. Zudem erhält jeder Ar-beitnehmer einen Gutschein von 80 Euro. Alle Zuwendungen (auch die des Gutschei-

nes) sind einzuberechnen. Der Gesamtauf-wand des Arbeitgebers pro Arbeitnehmer beträgt 140 Euro. 110 Euro sind steuerfrei. 30 Euro sind steuer- und sozialversiche-rungspflichtig, wenn der Arbeitgeber diese individuell als Arbeitslohn versteuert. Wählt er die pauschale Besteuerung mit 25 Prozent nach § 40 Abs. 2 EStG, tritt Sozialversiche-rungsfreiheit ein.

Der BFH und die Finanzverwaltung nah-men in der Vergangenheit dagegen die Gelegenheit an, wenn es sich um eine un-typische Übergabe handelte. Dies wurde z. B. bei der Weitergabe von Krügerrand-goldmünzen entschieden. Zur Folge hat dies weiterhin, dass die Geschenke in die-sem Fall nicht in die Gesamtaufwendun-gen und damit nicht in die Berechnung des Freibetrages mit einbezogen werden dürfen und stattdessen entweder indivi-duell oder mit 30 Prozent nach § 37b EStG versteuert werden müssen.

Ermittlung des FreibetragsDie ermittelten Zuwendungen der Be-triebsveranstaltung zählen nicht zum steuer- und sozialversicherungspflichti-gen Arbeitslohn, soweit sie den Betrag von 110 Euro je Betriebsveranstaltung und teil-nehmenden Arbeitnehmer nicht überstei-gen (Tz. 4 des BMF-Schreibens). Für die Ermittlung des Freibetrages sind nach Tz. 4a des BMF-Schreibens alle zu berücksichtigenden Aufwendungen zu gleichen Teilen auf alle bei der Betriebs-veranstaltung anwesenden Teilnehmer aufzuteilen.

Praxishinweis: Es gilt somit nach Auffassung der Finanz-verwaltung für die Aufteilung die Anzahl der Teilnehmer weiter. Das BMF-Schrei-ben gibt keine Auskünfte über den Nach-weis der Anzahl der Teilnehmer. Insoweit sollte es in der Praxis genügen, wenn Teil-nehmer- oder ggf. Anmeldelisten vorge-legt werden. Auch die konkrete Angabe der Teilnehmer in einer Rechnung sollte als Glaubhaftmachung ausreichen. Das Abstellen auf die Teilnehmer wird in der Praxis jedoch dann zu Problemen führen, wenn eine Betriebsveranstaltung z. B. für 1.000 Arbeitnehmer geplant wurde und aufgrund eines besonderen Umstandes nur 500 Arbeitnehmer teilgenommen ha-ben. Nach Ansicht der Finanzverwaltung sind die gesamten Kosten auf die 500 Ar-beitnehmer aufzuteilen, auch wenn diese nicht doppelt die Leistungen in Anspruch genommen haben. Hier wird es spannend bleiben, ob ein Finanzgericht diese Auf-fassung teilen wird.

Offenstehen der Betriebsveranstal-tung für alle ArbeitnehmerDer Freibetrag ist nur für Betriebsveran-staltungen anwendbar, wenn diese allen Arbeitnehmern des Betriebs oder eines Be-triebsteils offensteht (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a Satz 3 EStG, BMF-Schreiben Tz. 4b). Dies ist auch für Leiharbeitnehmer und Arbeitnehmer anderer konzernangehöri-ger Unternehmen Voraussetzung. Es dür-fen folglich nicht nur einzelne Personen einer Personengruppe eingeladen sein.

Beispiel:

Arbeitgeber B lädt alle Abteilungsleiter des Unternehmens zu einer besonderen Sport-veranstaltung mit Abendessen ein. Andere Arbeitnehmer durften nicht teilnehmen. Hierbei handelt es sich um eine Betriebsver-anstaltung, weil nur bzw. überwiegend Ar-beitnehmer teilgenommen haben. Der Frei-betrag gilt aber nicht, da die Veranstaltung nicht allen Arbeitnehmern offenstand.

Veranstaltungen, die nur für einen be-schränkten Kreis der Arbeitnehmer von Interesse sind (z. B. ein Betriebsteil), sind eine begünstigte Betriebsveranstaltung mit dem Freibetrag, wenn sich die Begren-zung des Teilnehmerkreises nicht als eine Bevorzugung bestimmter Arbeitnehmer-gruppen darstellt.

Im BMF-Schreiben werden ausdrücklich als begünstigte (Freibetrags-) Betriebsver-anstaltungen solche Veranstaltungen ge-nannt, die z. B.

� jeweils nur für eine Organisationsein-heit des Betriebs, z. B. gesamte Abtei-lung oder Betriebsstätte, durchgeführt werden, wenn alle Arbeitnehmer die-ser Organisationseinheit an der Ver-anstaltung teilnehmen können,

� nur für alle im Ruhestand befindli-chen früheren Arbeitnehmer des Un-ternehmens veranstaltet werden (Pen-sionärstreffen),

� nur für solche Arbeitnehmer durchge-führt werden, die bereits im Unter-nehmen ein rundes (10-, 20-, 25-, 30-, 40-, 50-, 60-jähriges) Arbeitnehmerju-biläum gefeiert haben oder i. V. m. der Betriebsveranstaltung feiern (Jubilar-feiern). Dabei ist es unschädlich, wenn neben den Jubilaren auch ein begrenz-ter Kreis anderer Arbeitnehmer, wie z. B. die engeren Mitarbeiter und Ab-teilungsleiter des Jubilars, Betriebs-rats-/Personalratsvertreter oder auch die Familienangehörigen des Jubilars eingeladen werden.

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8 | Journal für das Lohnbüro Januar 2016 Richtig feiern

Beispiel:

Betriebsstätte C in Leipzig veranstaltet ei-nen Betriebsausfl ug, an dem alle Arbeitneh-mer der Betriebsstätte teilnehmen dürfen. Die Arbeitnehmer weiterer Betriebsstätten und des Hauptstandortes sind nicht einge-laden. Es liegt eine Betriebsveranstaltung der Betriebsstätte C, für die der Freibetrag für die Arbeitnehmer gilt vor, weil für diese die Veranstaltung offenstand.

Beispiel:

Arbeitgeber B veranstaltet einmal im Jahr eine Veranstaltung für alle Arbeitnehmer, die im Laufe des Jahres ein rundes Arbeitneh-merjubiläum haben. Hierzu werden ebenfalls die Ehepartner der betreffenden Arbeitneh-mer eingeladen. Es handelt sich um eine Be-triebsveranstaltung für alle teilnehmenden Jubilare, für die der Freibetrag anwendbar ist.

Der Freibetrag gilt nach Tz. 4c des BMF-Schreibens für bis zu zwei Betriebsveranstal-tungen jährlich. Nimmt der Arbeitnehmer an mehr als zwei Betriebsveranstaltungen teil, können die beiden Veranstaltungen, für die der Freibetrag gelten soll, ausgewählt werden.

Beispiel:

Unternehmen B veranstaltet im Jahr ein Sommerfest, einen Betriebsausfl ug und eine Weihnachtsfeier. An allen Veranstaltungen dürfen alle Arbeitnehmer teilnehmen. Die Kosten für das Sommerfest belaufen sich pro Arbeitnehmer auf 120 Euro, für den Be-triebsausfl ug auf 100 Euro und für die Weih-nachtsfeier auf 80 Euro. An allen Veranstal-tungen nimmt Arbeitnehmer N teil. Es liegen insgesamt drei Betriebsveranstaltungen vor, für die jeweils ein Freibetrag gilt. Den Frei-betrag kann N aber nur zweimal im Jahr in Anspruch nehmen. B kann entscheiden, für welche Veranstaltung er für N den Freibe-trag wählt. Er kann somit für den Betriebs-ausfl ug und das Sommerfest den Freibetrag für N nutzen und 10 Euro mit 25 Prozent pauschal versteuern. Für das Weihnachtsfest kann B ebenfalls die Pauschalierung mit 25 Prozent in Anspruch nehmen.

Liegt keine Betriebsveranstaltung vor, so ist zu prüfen, ob es sich bei geldwerten Vorteilen, die der Arbeitgeber seinen Ar-beitnehmern im Rahmen dieser Veran-staltung gewährt, um steuer- und sozial-versicherungspflichtigen Arbeitslohn nach § 19 EStG handelt.

Pauschalierung der Lohnsteuer mit 25 ProzentDer übersteigende Betrag des Freibetrages von 110 Euro ist steuerpfl ichtig und kann nach § 40 Abs. 2 Nr. 2 EStG mit 25 Prozent pauschal versteuert werden (Tz. 5 des BMF-Schreibens). Das gilt für alle steuer-pfl ichtigen Zuwendungen an Arbeitneh-mer aus Anlass – nicht nur bei Gelegen-heit – einer Betriebsveranstaltung. Eine solche Pauschalierung der Lohnsteuer kommt nicht in Betracht, wenn es sich bei der Veranstaltung nicht um eine Betriebs-veranstaltung handelt.

Die Finanzverwaltung eröff net in Tz. 5 des BMF-Schreibens ein Wahlrecht für die Besteuerung von Zuwendungen aus An-

lass von Betriebsveranstaltungen an Ar-beitnehmer von anderen Unternehmen im Konzernverbund sowie an Leiharbeitneh-mer durch den Entleiher. Der Veranstalter der Betriebsveranstaltung kann die Zu-wendungen ebenso besteuern wie der Ar-beitgeber. Wendet der Zuwendende die Freibetragsregelung an, muss aber sicher-gestellt werden, dass der Arbeitnehmer nicht schon zwei Freibeträge in Anspruch genommen hat.

Praxishinweis: Das Off enstehen der Betriebsveranstal-tung ist für die Pauschalierung mit 25 Pro-zent nach § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht erforderlich. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a Satz 3 EStG und Tz. 4b des BMF-Schreibens stel-

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Journal für das Lohnbüro Januar 2016 | 9Richtig feiern

len nur beim Freibetrag auf das Off enste-hen ab. Für das Vorliegen einer Betriebs-veranstaltung nach 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a Satz 1 EStG ist hingegen das Off enstehen nicht nötig. Auch in der Gesetz esbegrün-dung wird darauf abgestellt, dass die Be-triebsveranstaltung in Satz 1 defi niert wird.

Beispiel:

Arbeitgeber B lädt alle Abteilungsleiter des Unternehmens zu einer besonderen Sport-veranstaltung mit Abendessen ein. Andere Arbeitnehmer durften nicht teilnehmen. Hierbei handelt es sich um eine Betriebsver-anstaltung, weil nur bzw. überwiegend Ar-beitnehmer teilgenommen haben. Der Frei-betrag gilt aber nicht, da die Veranstaltung nicht allen Arbeitnehmern offenstand. Die Aufwendungen können somit mit 25 Prozent pauschaliert werden. Hierbei entsteht dann auch keine Sozialversicherungspfl icht.

Die 44-Euro-Freigrenze des § 8 Absatz 2 Satz 11 EStG ist für Zuwendungen anläss-lich von Betriebsveranstaltungen, die nicht unter den Freibetrag fallen, weil die-ser überschritt en ist, nicht anwendbar.

Berücksichtigung von Begleitperso-nenNehmen Begleitpersonen an der Veranstal-tung teil, ist nach Tz. 4a des BMF-Schrei-bens der auf eine Begleitperson entfallende Anteil der Aufwendungen dem jeweiligen Arbeitnehmer zuzurechnen. Für die Be-gleitperson ist kein zusätz licher Freibetrag von 110 Euro zu berücksichtigen.

Beispiel:

Die Aufwendungen für eine Betriebsveran-staltung betragen insgesamt 10.000 Euro. An der Betriebsveranstaltung haben insge-samt 100 Personen teilgenommen. Darunter sind insgesamt 75 Arbeitnehmer. 25 Arbeit-nehmer davon haben jeweils eine Begleit-person mitgebracht. 50 Arbeitnehmer ka-men allein.

Die Aufteilung der Kosten erfolgt auf 100 Per-sonen. Es entfällt auf jede Person ein geld-werter Vorteil von 100 Euro. 50 Arbeitnehmer haben somit einen geldwerten Vorteil von 100 Euro, der den Freibetrag von 110 Euro nicht übersteigt und daher nicht steuerpfl ich-tig ist. Bei 25 Arbeitnehmern wird der Anteil der Begleitperson hinzugerechnet. Der geld-werte Vorteil beträgt somit 200 Euro. Nach Abzug des Freibetrags von 110 Euro ergibt sich für diese Arbeitnehmer ein steuerpfl ich-tiger geldwerter Vorteil von jeweils 90 Euro.

Teilnahme in Erfüllung berufl icher AufgabenDient die Teilnahme eines Arbeitnehmers an einer Betriebsveranstaltung der Erfül-lung berufl icher Aufgaben, z. B. wenn der Personalchef oder Betriebsrats-/Personal-ratsmitglieder die Veranstaltungen meh-rerer Abteilungen besuchen, ist der auf diesen Arbeitnehmer entfallende Anteil an den Gesamtaufwendungen kein Ar-beitslohn (Tz. 4c des BMF-Schreibens).

Beispiel:

Unternehmen P hat fünf Betriebsstätten. An jeder Betriebsstätte fi ndet für die dort be-schäftigten Arbeitnehmer eine Weihnachts-feier statt. An jeder Feier nimmt auch der Personalchef U des Unternehmens teil. Die jeweiligen Aufwendungen des U stellen kei-nen Arbeitslohn dar. U nimmt an den jewei-ligen Feiern in seiner Funktion als Personal-chef teil.

Behandlung von Feiern zu Ehren eines MitarbeitersNach dem BMF-Schreiben (Tz. 1) liegt keine Betriebsveranstaltung vor, wenn eine Feier zur Ehrung eines einzelnen Ju-bilars oder eines einzelnen Arbeitneh-mers z. B. bei dessen Ausscheiden aus dem Betrieb statt fi ndet. Auch wenn hier weitere Arbeitnehmer teilnehmen, liegt keine Betriebsveranstaltung vor. Es gilt daher für Sachzuwendungen aus solchem Anlass weiter R 19.3 Abs. 2 Nr. 3 und 4 LStR 2015. Damit ist in solchen Fällen wei-ter die Freigrenze pro Teilnehmer in Höhe von 110 Euro zu beachten. Übersteigen folglich die Aufwendungen den Betrag von 110 Euro pro Teilnehmer, so müssen die Aufwendungen insgesamt als steuer- und sozialversicherungspfl ichtiger Ar-beitslohn behandelt werden.

Betriebsausgabenabzug Arbeitgeber können die Aufwendungen für eine Betriebsveranstaltung als Be-triebsausgabe abziehen. Problematisch ist allerdings, wenn an die-ser Betriebsveranstaltung Dritt e teilneh-men. Hier greift das Betriebsausgabenab-zugsverbot nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG für Geschenke über 35 Euro an Dritt e und die Abzugsbeschränkung für Bewirtungen. Zu den Dritt en gehören zum Beispiel Leiharbeitnehmer und Ge-schäftskunden, die an einer Betriebsver-anstaltung teilnehmen.

Die Finanzverwaltung hat sich hierzu noch nicht abschließend geäußert. Für

Leiharbeitnehmer kann zwar der lohn-steuerliche Freibetrag angewandt werden. Es ist aber die Beschränkung beim Be-triebsausgabenabzug zu beachten.

Auswirkungen der gesetzlichen Änderung auf die UmsatzsteuerDas BMF-Schreiben enthält unter Tz. 7 auch Ausführungen zur umsatz steuerli-chen Behandlung der Aufwendungen für Betriebsveranstaltungen. Danach haben die gesetz lichen Änderungen, insbeson-dere die Ersetz ung der bisherigen lohn-steuerlichen Freigrenze durch einen Frei-betrag, keine Auswirkungen auf die umsatz steuerrechtlichen Regelungen.

Von einer überwiegend durch das unter-nehmerische Interesse des Arbeitgebers veranlassten, üblichen Zuwendung ist umsatz steuerrechtlich im Regelfall auszu-gehen, wenn der Betrag je Arbeitnehmer und Betriebsveranstaltung 110 Euro ein-schließlich Umsatz steuer nicht über-schreitet. Übersteigt dagegen der Betrag, der auf den einzelnen Arbeitnehmer entfällt, pro Veranstaltung die Grenze von 110 Euro einschließlich Umsatz steuer, ist von einer überwiegend durch den privaten Bedarf des Arbeitnehmers veranlassten unent-geltlichen Zuwendung auszugehen.

Im Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) vom 1. Oktober 2010, der zuletz t durch das BMF-Schreiben vom 7. Oktober 2015 geändert worden ist, wurde in Ab-schnitt 15.15 Abs. 2 Beispiel 3 wie folgt ge-fasst:

Beispiel:

Unternehmer U mit zur Hälfte steuerfreien, den Vorsteuerabzug ausschließenden Aus-gangsumsätzen bezieht Leistungen für die Durchführung eines Betriebsausfl uges. Die Kosten pro Arbeitnehmer betragena) 80 Eurob) 200 Euro

Zu a)Die Aufwendungen für den Betriebsausfl ug stellen Aufmerksamkeiten dar, weil sie den Betrag von 110 Euro nicht übersteigen (vgl. Abschnitt 1.8 Abs. 4 Satz 3 Nr. 6). Da die Überlassung dieser Aufmerksamkeiten kei-nen Wertabgabentatbestand erfüllt, fehlt es an einem steuerbaren Ausgangsumsatz, dem die Leistungsbezüge direkt und unmittelbar zugeordnet werden können. Für den Vor-steuerabzug ist deshalb die Gesamttätigkeit des U maßgeblich. U kann daher die Hälfte der Aufwendungen als Vorsteuer abziehen.

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10 | Journal für das Lohnbüro Januar 2016 Aktuelles aus dem Sozialversicherungsrecht

Zu b) Die Aufwendungen für den Betriebsausflug stellen grundsätzlich keine Aufmerksamkei-ten dar, weil sie den Betrag von 110 Euro übersteigen (vgl. Abschnitt 1.8 Abs. 4 Satz 3 Nr. 6). Es liegt eine Mitveranlassung durch die Privatsphäre der Arbeitnehmer vor. Bei Überschreiten des Betrags von 110 Euro be-steht für U kein Anspruch auf Vorsteuerabzug, sofern die Verwendung bereits bei Leistungs-bezug beabsichtigt ist. Dementsprechend un-terbleibt eine Wertabgabenbesteuerung. Maßgeblich ist hierfür, dass sich ein Leis-tungsbezug zur Entnahme für unternehmens-fremde Privatzwecke und ein Leistungsbezug für das Unternehmen gegenseitig ausschlie-ßen. Der nur mittelbar verfolgte Zweck, das Betriebsklima zu fördern, ändert hieran nichts (vgl. BFH-Urteil vom 09.12. 2010, V R 17/10, BStBl 2012 II S. 53).

Zeitliche AnwendungDie Ausführungen im BMF-Schreiben vom 14.10.2015 gelten nach Tz. 8 im Hin-blick auf die lohn- und einkommensteu-erlichen Regelungen für alle nach dem 31.12.2014 endenden Lohnzahlungszeit-räume sowie für nach dem 31.12.2014 be-ginnende Veranlagungszeiträume.

R 19.5 LStR 2015 ist für diese Zeiträume nicht mehr anzuwenden. R 40.2 Absatz 1 Nummer 2 LStR ist ab dem Jahr 2015 in-soweit überholt, als dort eine gesonderte Pauschalierung der Lohnsteuer bei nicht üblichen Zuwendungen vorgesehen ist. Auch nicht übliche Zuwendungen gehö-ren zu den maßgebenden Gesamtkosten einer Betriebsveranstaltung.

Für die Umsatzsteuer gilt: Die Grundsätze gelten nach dem BMF-Schreiben für die Umsatzbesteuerung von Sachzuwendun-

gen und Betriebsveranstaltungen, die nach dem 31.12.2014 ausgeführt wurden. Aus Vereinfachungsgründen ist es nicht zu beanstanden, wenn die Grundsätze erst auf die Umsatzbesteuerung von Sach-zuwendungen und Betriebsveranstaltun-gen angewendet werden, die ab dem Tag nach der Veröffentlichung des Schreibens im Bundessteuerblatt Teil I ausgeführt werden.

DANIELA KARBE-GESSLER Referatsleiterin Arbeitnehmerbesteue-rung (national/inter-national), Reisekosten, betriebliche Altersvor-sorge beim Deutschen Industrie- und Han-delskammertag e. V. (DIHK), Berlin

Aktuelles aus dem SozialversicherungsrechtSkiunfall bei einer Fortbildungs- Tagung: Kein Arbeitsunfall(Gp) Das Landessozialgericht in Darmstadt hat entschieden, dass die Schulter-Verlet-zung einer Führungskraft beim Skifahren während einer Kundendienst-Tagung kei-nen Arbeitsunfall darstellt. Das Gericht hat damit der Berufsgenossenschaft (BG) Recht gegeben, dass es sich bei solchen Freizeitaktivitäten um unversicherte pri-vate Tätigkeiten handelt. Da die Führungs-kräftetagung nur einem kleinen Kreis von insgesamt 280 Mitarbeitern offengestan-den habe, bestehe auch unter dem Ge-sichtspunkt der betrieblichen Gemein-schaftsveranstaltung kein Schutz in der GUV.

Die Sozialrichter beider Instanzen folgten damit den Argumenten der BG, wonach das Skifahren in keinem inneren oder sachlichen Zusammenhang mit der versi-cherten Tätigkeit gestanden habe. Der Freizeitbereich an dem fraglichen Vormit-tag sei vom übrigen Tagungsprogramm deutlich abgegrenzt gewesen und es wä-ren auch nur neun von 18 Tagungsteilneh-mern Ski gelaufen.

Das gilt auch unabhängig davon, ob der Arbeitgeber (AG) die sportliche Betäti-gung (z. B. den Skipass) finanziert habe und/oder für die Teilnehmer Urlaubstage

angerechnet wurden (Hessisches LSG v. 20.07.2015, Az.: L 9 U 69/14).

Praxis-Hinweis:Anders wäre der Fall sicher zu beurteilen, wenn der Unfall bei einer Skilehrer-Fort-bildung passiert wäre.

Schaden bei Grippeimpfung durch den Betriebsarzt: Arbeitsunfall? (Gp) Bietet der AG eine Grippeschutzimp-fung im Unternehmen durch den Be-triebsarzt an und erkrankt dadurch eine Mitarbeiterin am Guillain-Barré-Syndrom (Erkrankung der Nervenbahnen) und be-hält sie anerkannte Restsymtome zurück, liegt nicht unbedingt ein Arbeitsunfall vor. Das musste eine Museumsmitarbei-terin erfahren, die sich bei ihrem Publi-kumsverkehr vor einer besonderen An-steckungsgefahr schützen wollte. Das gilt selbst im Jahr 2009 mit einer Pandemie-warnung! Begründung des Sozialgerichts: Die An-erkennung eines Arbeitsunfalls sei nur möglich, wenn die mit der Tätigkeit ver-bundene Gefährdung eine Impfung über die allgemeine Gesundheitsfürsorge hin-aus erforderlich gemacht hätte. Das sei bei der Museumsmitarbeiterin aber nicht der Fall gewesen. Zwar habe sie Kontakt zu Besuchergruppen gehabt. Die Anste-ckungsgefahr sei hier aber nicht größer

gewesen als an anderen Arbeitsplätzen mit Kontakt zu Kollegen und zum Publi-kum oder im privaten Bereich etwa beim Einkaufen (Sozialgericht Dortmund v. 05.08.2015, Az.: S 36 U 818/12; rechtskräftig infolge Berufungsrücknahme).

Praxis-Hinweise:Das Bundessozialgericht hatte schon 1974 entschieden (Az.: 2 R U 277/73), dass zwi-schen der versicherten Tätigkeit und der Grippeschutzimpfung nur dann ein ur-sächlicher Zusammenhang im Sinne von § 8 SGB VII besteht, wenn die mit der Tä-tigkeit verbundene Gefährdung eine Grip-peschutzimpfung über die allgemeine Ge-sundheitsfürsorge hinaus erforderlich macht. Deshalb wurde z. B. die fehlgeschla-gene Impfung einer Kinderkranken-schwester gegen Schweinegrippe als Ar-beitsunfall anerkannt (LSG Rheinland-Pfalz v. 08.12.2014, Az.: L 2 U 99/13).Nach der Rechtsprechung des Bundesar-beitsgerichts (Az.: 8 AZR 344/89) haften auch AG nicht auf Schadensersatz und Schmerzensgeld für derartige Impfschä-den. Der Haftungsausschluss der gesetz-lichen Unfallversicherung gilt auch für Schäden, die auf mangelhaften Vorbeuge-maßnahmen beruhen, selbst wenn diese wegen besonderer gesundheitlicher Ge-fahren auf Anordnung des AG durchge-führt werden.

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Journal für das Lohnbüro Januar 2016 | 11Aktuelles aus dem Sozialversicherungsrecht

Finanzen der GKV im Jahr 2016: Prognose des Schätzerkreises und Festlegung des durchschnittlichen Zusatzbeitrags durch das Bundesge-sundheitsministerium(Hm) Der GKV-Schätzerkreis – bestehend aus Experten des Bundesministeriums für Gesundheit, des Bundesversicherungsam-tes und des GKV-Spitzenverbandes – er-wartet für das Jahr 2016 Einnahmen des Gesundheitsfonds in Höhe von 206,2 Mrd. Euro. Die voraussichtlichen Ausga-ben betragen 220,6 Mrd. Euro.

Aus dem Differenzbetrag (14,4 Mrd. Euro) errechnet sich der Zusatzbeitrag. Nach den Prognosen des Schätzerkreises be-trägt der durchschnittliche Zusatzbeitrag ab 1. Januar 2016 1,1 Prozentpunkte. Am 30. Oktober 2015 hat das Bundesgesund-heitsministerium eben diesen Wert offizi-ell festgelegt und damit die Prognosen des Schätzerkreises bestätigt. Der durch-schnittliche Zusatzbeitrag liegt somit 2016 um 0,2 Prozentpunkte höher als im lau-fenden Jahr.

Die von den einzelnen Krankenkassen er-hobenen Zusatzbeitragssätze können vom durchschnittlichen Zusatzbeitrag – teil-weise auch erheblich – abweichen.

Koalitionsarbeitsgruppe „Flexible Übergänge vom Erwerbsleben in den Ruhestand“ legt Abschlussbe-richt vor(Hm) Die Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der Koalitionsfraktionen hat folgende Vor-schläge entwickelt:

1. Flexibleres Weiterarbeiten bis zum Erreichen der Regelalters-grenze (künftig 67)a) Mehr Information: Über die Anwart-schaften aus Alterssicherungssystemen so-wie die bestehenden und neuen flexiblen Gestaltungsmöglichkeiten der Übergänge des Erwerbslebens in den Ruhestand soll künftig besser und transparenter infor-miert werden.

b) Flexiblere Teilrenten: Künftig soll es ab dem 63. Lebensjahr möglich sein, die Teil-rente stufenlos zu wählen.

c) Flexibilisierung und Vereinfachung der Hinzuverdienstgrenzen: Das geltende Hinzuverdienstrecht soll vereinfacht wer-den. Die bisherige Einkommensanrech-nung beim Überschreiten der Grenze soll durch ein Anrechnungsmodell ersetzt werden, bei dem oberhalb von 450 Euro künftig bis zu einer individuellen Ober-grenze (früheres Einkommen) nur 40 Pro-zent auf die Rente angerechnet werden. Erst bei Überschreiten dieser Obergrenze erfolgt eine volle Anrechnung.

d) Rentenversicherungspflicht: Der Wei-terverdienst bis zur Regelaltersgrenze soll insofern künftig auch bei Bezug einer Vollrente grundsätzlich rentenversiche-rungspflichtig sein.

e) Zahlung von Beiträgen zum Ausgleich von Abschlägen: Künftig soll die Zahlung von zusätzlichen Beiträgen zum Ausgleich von Abschlägen in der gesetzlichen Rente bereits ab einem Alter von 50 Jahren er-möglicht werden.

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Immer weiter und vergnügt? Flexibles Arbeiten bis ins höhere Alter ist gefragt.

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12 | Journal für das Lohnbüro Januar 2016

f) Vorrang für Prävention und Reha und Aufhebung des Ausgabendeckels für sonstige Leistungen der Rentenversiche-rung: Mit einem Bündel von Maßnahmen soll erreicht werden, den Eintritt in die Er-werbsminderungsrente durch den Einsatz von medizinischer und beruflicher Reha noch stärker als bisher zu vermeiden und einen möglichst langen Verbleib im Er-werbsleben sicherzustellen. So soll zu-nächst auf der Basis von Modellvorhaben die Möglichkeit bestehen, zwischen dem 45. und 46. Lebensjahr einen freiwilligen berufsbezogenen Gesundheitscheck zu absolvieren.

g) Prüfauftrag zum Arbeitssicherungs-geld: Es soll geprüft werden, ob durch Ge-sundheitsbeeinträchtigungen ausfallen-des Arbeitsentgelt teilweise ersetzt werden kann, um damit die Fortführung der Beschäftigung in Teilzeitform zu er-möglichen. Im Rahmen eines Prüfauftra-ges soll das Bundesarbeitsministerium klären, wie ein solches Konzept umsetz-bar und finanziell darstellbar ist.

2. Attraktives Weiterarbeiten nach Erreichen der Regelaltersgrenzea) Aktivierung Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung bei der Beschäfti-gung von Beziehern einer vollen Alters-rente („Opt-in“): Um einen stärkeren An-reiz zu setzen, parallel zum Rentenbezug wieder einer Tätigkeit nachzugehen, sol-len die gezahlten Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung zukünftig eine Erhö-hung der Rente des Beschäftigten bewir-ken, wenn der Arbeitnehmer auch seinen Beitrag erbringt („Opt-in“).

b) Abschaffung der Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung bei Be-schäftigung nach der Regelaltersgrenze: Der isolierte Arbeitgeberbeitrag zur Ar-beitslosenversicherung bei Beschäftigung nach der Regelaltersgrenze soll befristet für fünf Jahre entfallen.

3. Berentung von SGB-II-Berech-tigten – sogenannte Zwangsverren-tungKünftig sollen Leistungsberechtigte im SGB II dann nicht gezwungen werden, eine vorgezogene geminderte Altersrente in Anspruch zu nehmen, wenn sie da-durch ggf. bis zu ihrem Lebensende auf

Leistungen der Grundsicherung im Alter angewiesen wären und ihrerseits arbeits-suchend bleiben wollen.

Quelle: Abschlussbericht der Koalitions-arbeitsgruppe – Kurzüberblick über die Ergebnisse

Für Sie zusammengestellt von Stefan Haussmann (Hm) und Wolfgang Gamp (Gp).

STEFAN HAUSSMANN LL.M.Berlin

WOLFGANG GAMP Rechtsassessor, www.lohnsteuerhilfe-herdecke.de

Im AusstandStreik und seine sozialversicherungsrechtlichen Auswirkungen

In Deutschland kommt es immer wieder zu Streik. Zuletzt legten die Flugbegleiter der Lufthansa ihre Arbeit nieder. Das Thema „Streik“ ist aktueller denn je. Wäh-rend es bei Streiks meist um höhere Löhne geht, stellen sich viele die Frage, wie es mit dem sozialversicherungsrechtlichen Schutz eines Arbeitnehmers aussieht.Nach den bestehenden Vorschriften be-steht für Beschäftigte Versicherungs- und Beitragspflicht, solange diese gegen die Zahlung eines Gehalts arbeiten. Was die sozialversicherungsrechtliche Beurtei-lung betrifft, muss ein Arbeitnehmer nicht unbedingt tätig sein. Wird eine Beschäf-tigung unterbrochen und ist der Wille er-kennbar, dass die Arbeit fortgesetzt wird, ist nur von einer vorübergehenden Unter-brechung auszugehen. Jede Arbeitsunter-brechung mit Fortzahlung des Arbeitsent-gelts, zum Beispiel bei Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder bei bezahltem Ur-laub, hat keine Auswirkungen auf die Ver-sicherungspflicht in der Sozialversiche-rung.

Bei Streik gilt Frist von einem MonatNach § 7 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) IV besteht ein Arbeitsverhältnis fort, wenn dieses für einen Monat andauert, ohne dass ein Lohn gezahlt wird. Auf Grund dieser sogenannten „Fiktionsrege-lung“ besteht in der gesetzlichen Kran-ken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosen-versicherung weiter Versicherungs- und Beitragspflicht, auch wenn kein Gehalt ge-zahlt wird.

Ausnahmen können die nachfolgenden Sachverhalte sein:

� unbezahlter Urlaub � das unentschuldigte Fernbleiben von

der Arbeit � der Streik einer Gewerkschaft � die Aussperrung durch den Arbeitge-

ber Bei einem Streik entfällt auf der Arbeit-nehmerseite unter anderem die Verpflich-tung zur Arbeitsleistung genauso wie auf Arbeitgeberseite unter anderem die Ver-pflichtung zur Entgeltzahlung oder zur

Im Ausstand

Überblick

letzter Tag des entgeltlichenArbeitsverhältnisses

Beginn der Frist

Ende der Frist

15.01.31.01.28.02.

29.02. (Schaltjahr)31.03.30.04.

16.01.01.02.

29.02. (Schaltjahr)01.03.01.04.01.05.

15.02.28.02. oder 29.02.

28.03.31.03.30.04.31.05.

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Journal für das Lohnbüro Januar 2016 | 13

Genehmigung von bezahltem Urlaub. Konkret bedeutet dies, dass bei einem Streik die Versicherungspflicht in der ge-setzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung grundsätzlich für die Streikdauer, längstens jedoch für einen Monat erhalten bleibt bzw. fortbe-steht. Dies gilt auch, wenn die Dauer des Streiks nicht absehbar ist oder der Streik von vornherein auf mehr als einen Monat befristet ist.

Auf die richtige Fristenberechnung kommt es anNach § 26 Abs. 1 SGB X gelten für die Be-rechnung der Monatsfrist § 187 Abs. 2 Satz 1 und § 188 Abs. 2 und 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Danach beginnt die Monatsfrist mit dem ersten Tag der Ar-beitsunterbrechung. Sie endet mit dem Ablauf desjenigen Tags des nächsten Mo-nats, welcher dem Tag vorhergeht, der durch seine Zahl dem Anfangstag der Frist entspricht. Fehlt dem nächsten Mo-nat der für den Ablauf der Frist maßge-bende Tag, dann endet die Frist mit Ab-lauf des letzten Tages dieses Monats.

Bei Streik besteht Sozialversiche-rungsschutz weiterBeteiligt sich ein Arbeitnehmer an einem Arbeitskampf, besteht die Versicherungs-pflicht in der gesetzlichen Renten- und Ar-beitslosenversicherung für längstens ei-nen Monat weiter, unabhängig davon ob die Arbeitskampfmaßnahme rechtmäßig oder rechtswidrig gewesen war.

Praxishinweis:Keine Regel ohne Ausnahme!

In der gesetzlichen Kranken- und Pflege-versicherung ist zu unterscheiden, ob es sich um einen rechtmäßigen oder rechts-widrigen Streik handelt.

� Bei einem rechtmäßigen Streik bleiben die Mitgliedschaft und damit auch die Versicherungspflicht in der gesetzli-chen Kranken- und Pflegeversiche-rung für die gesamte Dauer des Streiks erhalten.

� Bei einem rechtswidrigen Streik dage-gen längstens für einen Monat.

Mit Anwendung der Fiktionsregelung sind weitere Sozialversicherungstage zu berücksichtigen

Die Fiktionsregelung hat mittelbar auch Auswirkungen auf die Beitragsberechnung und gegebenenfalls auf die Höhe der zu zahlenden Beiträge. Das zeitlich begrenzte

Fortbestehen des Beschäftigungsverhält-nisses für Zeiten der Arbeitsunterbre-chung ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt ist nicht als beitragsfrei, sondern als dem Grunde nach beitragspflichtige Zeit zu werten. Für diese Zeit sind Sozialversiche-rungstage anzusetzen. Dementsprechend sind diese Tage bei der Ermittlung der an-teiligen Jahresbeitragsbemessungsgrenzen im Rahmen der beitragsrechtlichen Be-handlung von Einmalzahlungen zu be-rücksichtigen.

Gleiches Verfahren bei Berechnung der UmlagenFür die Berechnung der Umlagen nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz (U1- und U2-Verfahren) sowie der Insolvenz-geldumlage gelten die gleichen Grund-sätze wie für die Berechnung der Beiträge zur gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Ren-ten- und Arbeitslosenversicherung.

Praxishinweis:Allerdings ist zu beachten, dass aus ein-malig gezahltem Arbeitsentgelt keine Umlage 1 oder Umlage 2 zu entrichten ist.

Nicht länger als ein MonatDauert der Streik, so wie in den letzten Wochen bei der Lufthansa, ununterbro-chen nicht länger als einen Monat, sind vom Arbeitgeber auch keine Meldungen zu erstatten.

Beispiel:

Ein Arbeitnehmer nahm vom 12.11. bis 09.12.2015 an einem Arbeitskampf teil.

Da die Unterbrechung nicht länger als einen Monat andauerte, ist die Jahresmeldung für die Zeit vom 01.01.2015 bis 31.12.2015, mit dem Meldegrund „50“ an die zuständige Ein-zugsstelle (gesetzliche Krankenkasse) zu er-statten.

Länger als ein MonatAnders sieht es aus, wenn der Streik län-ger als einen Monat andauert. In diesem Fall ist wieder zwischen einem rechtmä-ßigen und einem rechtswidrigen Streik zu unterscheiden. Dauert ein rechtmäßiger Streik länger als einen Monat, ist vom Ar-beitgeber bis zum Ablauf der Monatsfrist eine Abmeldung mit dem Abgabegrund

„35“ (Abmeldung wegen Arbeitskampf von länger als einem Monat) vorzuneh-men. Anhand des Abgabegrundes er-kennt die Einzugsstelle (gesetzliche Kran-kenkasse), dass die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversi-cherung fortbesteht. Die Weiterführung der beitragsfreien Mitgliedschaft wird

durch die Krankenkasse sichergestellt. Der Beschäftigte muss sich um nichts kümmern. In der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung endet da-gegen die Versicherungspflicht nach ei-nem Monat.

Rechtswidriger StreikBei einem rechtswidrigen Streik sieht es anders aus. In diesem Fall endet die Ver-sicherungspflicht in allen Zweigen der So-zialversicherung nach einem Monat. Vom Arbeitgeber ist daher zum Ablauf der Mo-natsfrist eine Abmeldung mit dem Abga-begrund „34“ (Abmeldung wegen Ende des Fortbestehens eines sozialversiche-rungspflichtigen Beschäftigungsverhält-nisses) zu erstatten. Im Hinblick auf sei-nen weiteren Versicherungsschutz sollte sich der Arbeitnehmer mit seiner Kran-kenkasse in Verbindung setzen.

Praxishinweis:Wird die Beschäftigung nach einem Streik von länger als einem Monat wieder auf-genommen, ist eine Anmeldung mit dem Abgabegrund „13“ (Sonstige Gründe) zum Beschäftigungsbeginn zu erstatten, und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen rechtmäßigen oder rechtswidrigen Streik handelt.

Kein Anspruch auf Entgeltfortzah-lung bei KrankheitErkrankt ein Beschäftigter während eines Streiks und wird arbeitsunfähig, besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der Arbeitnehmer hat al-lerdings grundsätzlich einen Anspruch auf Krankengeld gegenüber seiner Kran-kenkasse.

Streiktage sind auch BeitragstageBeiträge zur Sozialversicherung sind für jeden Kalendertag der Mitgliedschaft zu zahlen. Die Regelung über das Fortbeste-hen des Beschäftigungsverhältnisses bei einem Streik von bis zu einem Monat hat auch mittelbar Auswirkungen auf die vom Arbeitgeber vorzunehmende Beitragsbe-rechnung und möglicherweise auch auf die Höhe der zu zahlenden Beiträge. Hier-bei handelt es sich grundsätzlich um eine beitragspflichtige Zeit mit der Konsequenz, dass für diesen Zeitraum (bis zu einem Monat) auch Sozialversicherungstage (SV-Tage) anzusetzen sind. Von Bedeutung kann dies bei der Beitragsberechnung aus einer Einmalzahlung, zum Beispiel Ur-laubs- oder Weihnachtsgeld, sein, wenn es darum geht, die sogenannte „anteilige Jah-resbeitragsbemessungsgrenze“ zu ermit-teln.

Im Ausstand

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14 | Journal für das Lohnbüro Januar 2016 Alles neu ab 2016

Beispiel:

In einem Betrieb wurde vom 13. bis 22.11.2015 gestreikt. Ein Arbeitnehmer steht seit vielen Jahren in einem kranken-, pflege-, renten- und arbeitslosenversicherungspflichtigen Be-schäftigungsverhältnis. Für die Zeit vom 01.11. bis zum 12.11. sowie vom 23.11. bis 30.11.2015 hat der Beschäftigte ein anteiliges Arbeits-entgelt in Höhe von 2.730 Euro von seinem Chef erhalten.

Die Sozialversicherungspflicht und damit auch die Mitgliedschaft des Arbeitneh-

mers bleiben für die gesamte Dauer des Streiks erhalten. Die Monatsfrist wird nicht überschritten. Meldungen sind nicht zu erstatten. Für die Beitragsberechnung werden neben den Zeiträumen mit Lohn auch die Streiktage vom 13. bis 22.11.2015 als SV-Tage berücksichtigt.

Für Streikgeld fallen keine Abgaben anDas von den Gewerkschaften während ei-nes Streiks gezahlte sogenannte „Streik-geld“ ist steuer- und beitragsfrei.

Kein gesetzlicher Unfallversiche-rungsschutzStreikende Arbeitnehmer haben keinen gesetzlichen Unfallversicherungsschutz. Er entfällt ab dem ersten Streiktag.

MICHAEL SCHMATZ SozialversicherungsfachwirtWirtschaftsjournalist

Alles neu ab 2016Meldungen zur Unfallversicherung

Seit 2011 lief der „Feldversuch“: Die bei-tragspflichtigen Entgelte für die Unfall-versicherung wurden in das allgemeine Meldeverfahren zur Sozialversicherung nach der DEÜV – der Datenerfassungs- und -übermittlungs-Verordnung – einbe-zogen. Dafür wurden gesonderte Daten-sätze geschaffen, da die beitragspflichtigen Entgelte von Renten- und Unfallversiche-rung nicht immer übereinstimmen.

Das liegt beispielsweise an den unter-schiedlich hohen Jahresbeitragsbemes-sungsgrenzen. In der Rentenversicherung werden die Beiträge maximal aus 62.400 Euro (2015) erhoben, in der Unfallversi-cherung ist der Wert höher, liegt teilweise über 100.000 Euro. Hier gibt es zwar keine

„Beitragsbemessungsgrenze“, dafür aber einen Höchstjahresverdienst, den jeder Träger in seiner Satzung festlegt. Außer-

dem gelten die Regelungen zur Märzklau-sel bei Einmalzahlungen (Rückrechnung auf das Vorjahr) nicht für die Unfallversi-cherung. Und einige Zuwendungen sind zwar in der Rentenversicherung beitrags-frei, nicht jedoch in der Unfallversiche-rung (Sonntagszuschläge).

Die Unternehmen müssen der Berufsge-nossenschaft eine jährliche Meldung ma-chen, den sogenannten Lohnnachweis. Dabei wird die gesamte Lohnsumme ge-meldet, Abgabetag ist der 11. Februar des Folgejahres.

Die Idee war nun, diesen Lohnnachweis durch die regelmäßigen Entgeltmeldun-gen im Zuge des normalen Meldeverfah-rens zu ersetzen. Zur Sicherheit wurde pa-rallel jedoch der klassische Lohnnachweis noch beibehalten. Die Rentenversiche-

rung erstellte aus den bei ihr eingegange-nen Entgeltmeldungen – unter Berück-sichtigung der Datensätze für die Unfallversicherung – ebenfalls einen Lohnnachweis als Grundlage für die Bei-tragsrechnung der Unfallversicherungs-träger. Schon im ersten Jahr zeigten sich derart hohe Abweichungen, dass an einen Verzicht auf den Lohnnachweis nicht zu denken war. Daran änderten auch einige Modifizierungen an den Datensätzen und Aufklärungsmaßnahmen bei den Unter-nehmen nichts. Sogar die Abgabefrist für die Jahresentgeltmeldung zur Rentenver-sicherung wurde von Mitte April auf Mitte Februar vorgezogen, allerdings ohne erkennbare Auswirkung auf die Höhe der Differenzen. Die genauen Ursa-chen für die Differenzen blieben im Dun-keln.

Nach dem grandiosen Scheitern dieser Idee wurde das Meldeverfahren mit Wir-kung zum 01.01.2016 wieder geändert. Die Einbeziehung der Unfallversicherung in die klassischen Entgeltmeldungen wird rückgängig gemacht, die dafür entwickel-ten besonderen Datensätze entfallen.

Stattdessen gibt es eine neue Unfallversi-cherungs-Jahresmeldung (für jeden Ar-beitnehmer), die im Rahmen des DEÜV-Verfahrens mittels eines besonderen neuen Datensatzes übermittelt wird. Par-allel dazu muss aber auch der altgediente Lohnnachweis abgegeben werden. Die Unfallversicherungs-Jahresmeldung dient in erster Linie dem Rentenversicherungs-träger bei der Betriebsprüfung als Basis.

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Gut versichert, gut behandelt – und korrekt gemeldet: Die Unfallversicherung ab 2016.

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Journal für das Lohnbüro Januar 2016 | 15GKV-Finanzen 2016

Besonderheit für 2015Für das Kalenderjahr 2015 wurde eine Reihe von beitragspflichtigen Entgelten zur Unfallversicherung bereits mit den üblichen Entgeltmeldungen übermittelt. In der Unfallversicherungs-Jahresmel-dung für 2015 müssen diese Entgelte gleichwohl mit aufgenommen werden. Die schon gemeldeten Entgelte werden von der Unfallversicherung nicht berück-sichtigt.

Ab 2017 müssen auch die Daten für den Lohnnachweis auf elektronischem Wege abgegeben werden. Der bisherige Vor-druck entfällt dann.

Die neue Unfallversicherungs-Jahresmel-dung wird mit dem Abgabegrund „92“ übermittelt. Sie ist mit dem Datensatz Mel-dung (DSME) und den Datenbausteinen Meldesachverhalt (DBME) und Unfallver-sicherung (DBUV) an die Datenannahme-stelle der Einzugsstelle zu melden, die zum Zeitpunkt der Abgabe der Meldung für den Arbeitnehmer zuständig ist. Ist zum Zeitpunkt der Abgabe der UV-Jah-

resmeldung keine zuständige Einzugs-stelle zu ermitteln, ist die UV-Jahresmel-dung an die Datenannahmestelle der zuletzt bekannten Einzugsstelle zu über-mitteln. Zu übermittelnde Inhalte sind insbesondere:

� die Versicherungsnummer, � die Betriebsnummer des Beschäfti-

gungsbetriebes, � das Kalenderjahr der Versicherungs-

pflicht zur Unfallversicherung, � die Mitgliedsnummer des Unterneh-

mers, � die Betriebsnummer des zuständigen

Unfallversicherungsträgers, � das in der Unfallversicherung bei-

tragspflichtige Arbeitsentgelt sowie � seine Zuordnung zur jeweilig anzu-

wendenden Gefahrtarifstelle. � Das Kalenderjahr der Versicherungs-

pflicht zur Unfallversicherung ist dabei unabhängig vom tatsächlichen Be-schäftigungszeitraum im Meldezeit-raum stets mit dem Zeitraum „01.01. bis 31.12.“ eines Kalenderjahres abzubil-den.

Nicht erforderlich sind Angaben zum � Personengruppenschlüssel, � Staatsangehörigkeitsschlüssel, � Beitragsgruppenschlüssel, � Tätigkeitsschlüssel, � Rechtskreis, � SV-Entgelt sowie zur � Währung, Gleitzone und Mehrfachbe-

schäftigung.

Die Arbeitsstunden müssen hingegen nicht mehr eingetragen werden. Die Son-dermeldung von Einmalzahlungen für die Unfallversicherung mit dem Abgabe-grund „91“ entfällt.

JÜRGEN HEIDEN-REICH Fachautor und Fach-journalist Schwer-punkte: Sozialversicherung und Personalwesen

GKV-Finanzen 2016 Gesundheitsministerium folgt Empfehlung des Schätzerkreises

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat am 30. Oktober 2015 den durchschnittli-chen Zusatzbeitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für das Jahr 2016 festgelegt und im Bundesanzeiger veröffent-licht. Er beträgt 1,1 Prozent und ist damit 0,2 Prozentpunkte höher als im laufenden Jahr. Der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz ist eine wichtige Orientierungsgröße für die gut 120 gesetzlichen Krankenkassen, die bis zum Jahresende ihre individuellen Zusatzbeitrags-sätze für das kommende Jahr neu festlegen werden. Im Ergebnis ist das BMG mit den 1,1 Prozent – bzw. einer prognostizierten Fi-nanzierungslücke von 14,4 Mrd. Euro bei den gesetzlichen Krankenkassen – den Vorausbe-rechnungen des GKV-Schätzerkreises vom 14. Oktober 2015 gefolgt.

Die neue Finanzarchitektur der GKV seit dem 1. Januar 2015Zum 1. Januar 2015 ist das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Kran-kenversicherung“ (GKV-FQWG) in Kraft getreten. Die mit diesem Gesetz geschaf-fene Finanzarchitektur sieht erstens vor, dass der allgemeine Beitragssatz zur GKV

ab diesem Zeitpunkt konstant 14,6 Pro-zent beträgt (§ 241 SGB V). Konkret wer-den der Arbeitgeber- und der Arbeitneh-meranteil bei versicherungspflichtig Beschäftigten auf jeweils 7,3 Prozent fest-geschrieben (§ 249 Abs. 1 SGB V). Aus den Einnahmen des Gesundheitsfonds wer-den die Zuweisungen an die gesetzlichen Krankenkassen bezahlt, aus denen diese sich auch in Zukunft zum ganz überwie-genden Teil finanzieren werden.

Zweitens müssen die Krankenkassen den Teil ihrer Ausgaben, der über das Zuwei-sungsvolumen des Gesundheitsfonds hi-nausgeht, über kassenindividuelle Zusatz-beiträge ihrer Mitglieder decken. Die Zusatzbeiträge dürfen nicht mehr – wie zuvor – als einkommensunabhängige Pauschalen, sondern nur noch als Prozen-tualer Satz der beitragspflichtigen Einnah-men erhoben werden (§ 242 SGB V). Der Preiswettbewerb innerhalb der GKV soll ausschließlich über die Höhe dieser kas-senindividuellen Zusatzbeitragssätze er-folgen. Die bis 2014 bestehende Möglich-keit, bei guter Finanzlage nicht nur auf die Erhebung eines Zusatzbeitrages zu

verzichten, sondern sogar Prämien an die Mitglieder auszuzahlen, ist den gesetzli-chen Krankenkassen mit dem GKV-FQWG genommen worden (gestrichener § 242 Abs. 2 SGB V).

Über die Höhe des Zusatzbeitragssatzes entscheiden die Versicherten- und Arbeit-gebervertreter in den Verwaltungsräten der Krankenkassen. Der Zusatzbeitrag gilt nur für das GKV-Mitglied selbst, nicht aber für mitversicherte Ehepartner oder Kinder. Erhebt eine Krankenkasse erstma-lig einen Zusatzbeitrag oder erhöht ihn, hat das Mitglied ein Sonderkündigungs-recht. Die Krankenkasse ist zudem dazu verpflichtet, ihre Mitglieder auf die Mög-lichkeit eines Krankenkassenwechsels in eine günstigere Kasse hinzuweisen (§ 175 Abs. 4 SGB V).

Die kassenindividuellen Zusatzbeiträge werden drittens im Quellenabzugsverfah-ren erhoben, d. h. im Regelfall von den Arbeitgebern einbehalten und an die Bei-tragseinzugsstellen weitergeleitet. Da die Zusatzbeiträge nicht mehr einkommen-sunabhängig erhoben werden dürfen,

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16 | Journal für das Lohnbüro Januar 2016 GKV-Finanzen 2016

wird die Gefahr, dass Geringverdiener durch hohe pauschale Zusatzbeiträge fi-nanziell überfordert werden, nun von vornherein vermieden. Deshalb sieht das GKV-FQWG folgerichtig die Abschaffung des bislang hierfür vorgesehenen steuer-finanzierten Sozialausgleichs vor (gestri-chener § 242b SGB V). Die neue Finanzar-chitektur des GKV-FQWG ist an die Stelle des „Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der gesetz-lichen Krankenversicherung“ (GKV-Fi-nanzierungsgesetz) getreten, welches in den Jahren 2011 bis 2014 maßgeblich war.

Die Arbeitgeber bleiben an Kosten-steigerungen im Gesundheitswesen beteiligtDas Festhalten des Gesetzgebers an der Festschreibung des Arbeitgeberanteils in der GKV ist notwendig, damit überpro-portional steigende Gesundheitsausgaben nicht negativ auf Wachstum und Beschäf-tigung durchschlagen können. Die Ar-beitgeber bleiben aber dennoch – anders als immer wieder behauptet und in der Gesetzesbegründung des GKV-FQWG ausgeführt – weiter an den Kostensteige-rungen im Gesundheitswesen beteiligt. Durch die Festschreibung des Arbeitge-beranteils werden die Personalzusatzkos-ten weder vom Beschäftigungsverhältnis entkoppelt noch gesenkt, sondern es wer-den lediglich zusätzliche Mehrbelastun-gen durch – im Vergleich zur Lohnent-wicklung – überproportional steigende Gesundheitskosten vermieden.

Durch den Wegfall des kassenindividuel-len lohnunabhängigen Zusatzbeitrages verliert der Preiswettbewerb an Transpa-renz und Kraft. Während die bisherigen Zusatzbeiträge in Euro und Cent eine starke Signalwirkung entfaltet haben (wie

die zu beobachtenden Mitgliederverluste von Krankenkassen mit Zusatzbeiträgen unzweifelhaft belegen), werden Prozen-tuale Abzüge vom Bruttoeinkommen sel-ten von den Versicherten nachvollzogen bzw. oft systematisch unterschätzt. Damit wird das richtige Ziel, eine wirtschaftli-che und qualitativ hochwertige Versor-gung durch eine wettbewerbliche Aus-richtung der Krankenkassen zu erreichen, verfehlt. Die weitaus bessere Lösung wäre gewesen, den Preiswettbewerb durch Zu-sammenfassung der beiden bisherigen Zusatzbeiträge (allgemeiner und kassen-individueller Zusatzbeitrag) zu einem ein-zigen lohnunabhängigen Zusatzbeitrag zu stärken.

Die erwartete Finanzierungslücke ist von 11,1 Mrd. Euro im Jahr 2015 …Der GKV-Schätzerkreis hat bis Mitte Ok-tober eines jeden Jahres eine Prognose über die Einnahmen und Ausgaben sowie die Zahl der Mitglieder und Versicherten der GKV im laufenden und kommenden Jahr abzugeben (§ 220 Abs. 2 SGB V). Diese dient als Grundlage für die Festle-gung des durchschnittlichen Zusatzbei-tragssatzes in der GKV nach § 242a SGB V. Der GKV-Schätzerkreis, dem Experten des Bundesversicherungsamtes (BVA), des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) und des GKV-Spitzenverbandes (GKV-SV) angehören, konnte sich in diesem Jahr auf eine einvernehmliche Prognose für die Jahre 2015 und 2016 verständigen.

Im Jahr 2015 wird der Gesundheitsfonds den gesetzlichen Krankenkassen – genau wie nach der Schätzerkreisprognose des vergangenen Jahres vorgesehen – ein Fi-nanzvolumen von 198,3 Mrd. Euro zuwei-sen. Die laufenden Einnahmen des Ge-sundheitsfonds werden sich voraussichtlich

aber nur auf 196,0 Mrd. Euro (2014: 198,5 Mrd. Euro) belaufen, so dass der Li-quiditätsreserve des Gesundheitsfonds ein (Netto-)Betrag von 2,3 Mrd. Euro entnom-men werden muss (vgl. nachfolgende Übersicht).

Der erwartete Rückgang der laufenden Einnahmen des Gesundheitsfonds um 2,5 Mrd. Euro bzw. 1,3 Prozent ist vor al-lem das Ergebnis zweier gegenläufiger Entwicklungen: Unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Eckwerte der Bundesregierung gehen die Mitglieder des Schätzerkreises zwar von einem kräf-tigen Anstieg der beitragspflichtigen Ein-nahmen (Grundlohn- und Rentensumme) um 4,2 Prozent aus. Aber durch die Ab-schaffung des einheitlichen Sonderbei-tragssatzes von 0,9 Prozent zum 1. Januar 2015 hat sich der allgemeine Beitragssatz zum Gesundheitsfonds von 15,5 auf 14,6 Prozent reduziert. Das entspricht ei-nem Rückgang um 5,8 Prozent und über-kompensiert damit das kräftige Wachs-tum der Beitragsbasis im Jahr 2015 deutlich. Auch die Wiederanhebung des Bundeszuschusses um 1,0 Mrd. Euro bzw. 9,6 Prozent vermag an diesem Sachverhalt nichts zu verändern.

Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkas-sen veranschlagt der Schätzerkreis im lau-fenden Jahr mit 209,3 Mrd. Euro, was einem Zuwachs von 8,9 Mrd. Euro bzw. 4,4 Prozent entspricht. Die Vorausberechnung der be-rücksichtigungsfähigen Leistungsausgaben, der Satzungs- und Ermessensleistungen so-wie der Nettoverwaltungsausgaben erfolgte dabei auf Basis der Jahresrechnungsergeb-nisse 2014 sowie unter Berücksichtigung der jüngsten vorliegenden Quartalsstatistik

„KV 45“ zum 30. Juni 2015. Die Differenz der über kassenindividuelle Zusatzbeiträge zu schließenden Lücke zwischen Ausgaben und Zuweisungen des Gesundheitsfonds soll also 2015 bei 11,1 Mrd. Euro liegen. Das entspräche – so der Schätzerkreis – einem durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz von 0,89 Prozent über alle Krankenkassen.

… weiter auf 14,4 Mrd. Euro im Jahr 2016 gestiegenFür 2016 rechnet der GKV-Schätzerkreis erneut mit einer kräftig steigenden Bei-tragsbasis: So sollen die beitragspflichtigen Einnahmen in der allgemeinen Kranken-versicherung um 4,4 Prozent zunehmen, in der Krankenversicherung der Rentner sollen es immerhin 3,6 Prozent sein. Zu-sammengenommen wird ein Wachstum der Grundlohn- und Rentensumme um 4,3 Prozent erwartet. Das bereits hohe

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Ja, was schätzen wir denn? Das Ministerium folgte den Empfehlungen der Experten.

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Journal für das Lohnbüro Januar 2016 | 17GKV-Finanzen 2016

Wachstumstempo der Vorjahre (2014: + 3,9 Prozent, 2015: + 4,2 Prozent) soll somit sogar noch leicht übertroffen werden.Da der allgemeine Beitragssatz mit dem GKV-FQWG ab dem 1. Januar 2015 bei 14,6 Prozent fixiert wurde, sollen sich auch

die laufenden Beitragseinnahmen des Ge-sundheitsfonds im Prognosejahr um 4,3 Prozent erhöhen. Das Beitragsaufkom-men eines Beitragssatzpunktes veran-schlagt der GKV-Schätzerkreis 2016 mit 13,0 Mrd. Euro.

Dass die laufenden Gesamteinnahmen des Gesundheitsfonds sogar um 5,2 Pro-zent auf 206,2 Mrd. Euro steigen sollen, liegt insbesondere an der Wiederanhe-bung des Bundeszuschusses zur GKV um 2,5 Mrd. Euro bzw. 21,8 Prozent. Hinter-

Finanztableau für die gesetzliche Krankenversicherung 1) 2)

1) Einvernehmliche Prognose des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), des Bundesversicherungsamtes (BVA) und des GKV-Spitzenverbandes (GKV-SV) vom 14. Oktober 2015.

2) 2014: Istwerte. 2015 und 2016: Schätzwerte. Rundungsbedingte Differenzen möglich.3) Mit Inkrafttreten des GKV-FQWG zum 1. Januar 2015 ist eine neue Finanzarchitektur wirksam geworden. Der Gesundheitsfonds wird ab

2015 strukturell unterfinanziert sein. Die Krankenkassen werden dadurch gezwungen, ihre Finanzierungslücke über kassenindividuelle Zusatzbeitragssätze zu schließen.

4) Laufende Einnahmen zuzüglich der Zuführung aus der Liquiditätsreserve.5) Laufende Einnahmen abzüglich Zuweisungen an die Krankenkassen.6) Zuweisungen des Gesundheitsfonds abzüglich Ausgaben der Krankenkassen.7) Aufgrund der prognostizierten Finanzierungslücke von 14,4 Mrd. Euro hat das BMG den durchschnittlichen Zusatzbeitrag in der GKV im

Jahr 2016 auf 1,1 Prozent festgesetzt.

Quelle: Bundesversicherungsamt (BVA); eigene Zusammenstellung und Darstellung.

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18 | Journal für das Lohnbüro Januar 2016 Aktuelles aus dem Arbeitsrecht

grund ist das „Haushaltsbegleitgesetz 2014“ vom 11. August 2014, mit dem die Bundesbeteiligung an der GKV bis 2017 stufenweise wieder angehoben wird und dauerhaft einen Umfang von 14,5 Mrd. Euro haben soll.Auf der Ausgabenseite der Krankenkassen hat der GKV-Schätzerkreis bei den berück-sichtigungsfähigen Leistungsausgaben ein Ausgabenwachstum von 5,4 Prozent auf 208,6 Mrd. Euro unterstellt. Eine Er-klärung, warum die berücksichtigungsfä-higen Leistungsausgaben nach 6,0 Prozent im Jahr 2014 und 4,6 Prozent im Jahr 2015 auch im kommenden Jahr erneut über-durchschnittlich stark anwachsen sollen, gibt der GKV-Schätzerkreis in seiner spär-lichen Presseinformation nicht. Hinter-grund dürften aber auch die unmittelbar vom Gesetzgeber verursachten milliar-denschweren Mehrausgaben durch das Krankenhausstrukturgesetz, das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz, das Präven-tionsgesetz, das Hospiz- und Palliativge-setz sowie das E-Health-Gesetz sein.

Bei den Satzungs- und Ermessensleis-tun-gen rechnet der Schätzerkreis für 2016 mit einer Zunahme um 29,0 Prozent auf 1,4 Mrd. Euro. Der überwiegende Teil der Steigerung begründet sich durch die Kosten aufgrund des Präventionsgesetzes sowie des Innova-tionsfonds. Unter Berücksichtigung der Satzungs- und Ermessensleistungen, der Nettoverwaltungskosten und der Telema-

tikausgaben ergibt sich alles in allem ein prognostizierter Anstieg der Gesamtausga-ben um ebenfalls 5,4 Prozent auf 220,6 Mrd. Euro. Das entspricht erwarteten Pro-Kopf-Ausgaben von rund 3.100 Euro je Versicher-ten im kommenden Jahr.

Der Gesundheitsfonds hat seine prognos-tizierten Einnahmen – abzüglich seiner kaum ins Gewicht fallenden eigenen Auf-wendungen (2016: 13 Mio. Euro) – voll-ständig an die gesetzlichen Krankenkas-sen weiterzuleiten. Folglich erhalten die Kassen im kommenden Jahr Finanzzu-weisungen von 206,2 Mrd. Euro. Das rech-nerische Defizit der gesetzlichen Kran-kenkassen beträgt dementsprechend 14,4 Mrd. Euro und muss über kassenindivi-duelle Zusatzbeiträge gegenfinanziert werden. Umgerechnet in Beitragssatz-punkte entspricht das Defizit einem durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz von 1,1 Prozentpunkten zu Lasten der Kran-kenkassenmitglieder. Die von den einzel-nen Krankenkassen tatsächlich erhobe-nen Zusatzbeitragssätze können von diesem Richtwert – wie bereits im laufen-den Jahr – teilweise auch erheblich nach oben oder unten abweichen.

Das BMG ist den Ergebnissen des GKV-Schätzerkreises gefolgt und hat am 30. Ok-tober 2015 den durchschnittlichen Zusatz-beitragssatz in der GKV (§ 242a SGB V) für das Jahr 2016 auf 1,1 Prozentpunkte fest-

gelegt und im Bundesanzeiger veröffent-licht.

Insgesamt sind die Vorausberechnungen des GKV-Schätzerkreises alarmierend. Zwar soll sich die beitragspflichtige Grundlohn- und Rentensumme um 8,6 Prozent im Zeitraum von 2014 bis 2016 erhöhen. Aber die Krankenkassenausga-ben sollen im selben Zeitraum noch erheb-lich stärker wachsen, nämlich um 10,0 Prozent bzw. 20,1 Mrd. Euro. Im kom-menden Jahr wird die finanzielle Schief-lage vor allem an der neuen Rekordbei-tragsbelastung in der GKV von durchschnittlich 15,7 Prozent abzulesen sein. Aber auch die negative Entwicklung der Liquiditätsreserve des Gesundheits-fonds, die im Zeitraum 2014 bis 2016 um 2,5 Mrd. Euro auf 9,9 Mrd. Euro schrump-fen soll, ist ein Gradmesser für die anhal-tenden und zum Teil gesetzgeberisch ver-ursachten Probleme auf der Ausgabenseite des deutschen Gesundheitswesens.

DR. MARTIN KRÖGER Soziale SicherungBundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)

Aktuelles aus dem ArbeitsrechtPer Änderungskündigung zum Min-destlohn? Keine Anrechnung bei Urlaubs- und Weihnachtsgeld – an-ders bei LeistungszulagenDas Landesarbeitsgericht Berlin-Branden-burg hat mehrfach entschieden, dass ein zusätzlich zum Stundenlohn gezahltes Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht per Änderungskündigung gestrichen werden kann. Dagegen kann die Zahlung einer Leistungszulage auf den Mindestlohn an-gerechnet werden.In den Ausgangsverfahren wurde ein Stundenlohn unterhalb des Mindestlohns gezahlt und daneben eine gestaffelte Son-derzahlung zum Jahresende in Höhe ei-nes halben Monatslohns. Ferner waren ein zusätzliches Urlaubsgeld und eine Leistungszulage vertraglich vereinbart.

Durch Änderungskündigungen sollten diese Leistungen gestrichen und stattdes-sen ein Stundenlohn knapp über dem Mindestlohn gezahlt werden. Das geht so nicht! Jedenfalls bei dem zusätzlichen Ur-laubsgeld und beim Weihnachtsgeld han-delt es sich um Leistungen, die nicht im engeren Sinne der Bezahlung der Arbeits-leistung dienen, sondern um eine zusätz-liche Prämie, die nicht auf den Mindest-lohn angerechnet werden kann. Diese Zahlungen stehen Arbeitnehmern (AN) zusätzlich zu.Dagegen kann die Leistungszulage ver-rechnet werden und muss nicht zusätzlich zum Mindestlohn gezahlt werden (LAG Berlin-Brandenburg v. 11.08.2015, Az.: 19 Sa 819/15; Az.: 19 Sa 827/15; Az.: 19 Sa

1156/15 und öfter; s. auch Arbeitsgericht Berlin in NZA-RR 2015, S. 404).

Anrechnung von Weihnachts- und Urlaubsgeld bei monatlicher ZahlungIn einem Fall des Arbeitsgerichts Herne ging es um eine Servicekraft, die neben dem Grundgehalt ein freiwilliges und wi-derrufliches Urlaubs- und Weihnachtsgeld erhielt. Das wurde 2011 einverständlich dahin geändert, dass beide Sonderzahlun-gen fortan mtl. anteilig gezahlt wurden. Im Jan. und Febr. 2015 erhielt die AN ein Gehalt von insgesamt knapp 8,50 Euro. Sie war der Meinung, dass das Weih-nachts- und Urlaubsgeld nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden dürfe und ihr weiterer Lohn zustünde.

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Journal für das Lohnbüro Januar 2016 | 19Aktuelles aus dem Arbeitsrecht

Das Gericht gab ihrer Klage nur insoweit statt, als der Lohn bei Zusammenrech-nung aller Teile den Mindestlohn unter-schritt. Das mtl. ausgezahlte Urlaubs- und Weihnachtsgeld darf danach auf den Min-destlohn angerechnet werden. Nach der Gesetzesbegründung zum Mindestlohn sind Urlaubs- und Weihnachtsgeld zum Mindestlohn zu rechnen, wenn das mo-natlich und unwiderruflich gezahlt wird. Bei der mtl. Zahlung zum Fälligkeitster-min liegt Unwiderruflichkeit bereits da-durch vor, dass der Arbeitgeber (AG) nur mit diesen Zahlungen den Mindestlohn erfüllt (ArbG Herne v. 07.07.2015, Az.: 3 Ca 684/15; AuA 10/2015, S. 611).

Kündigung schwerbehinderter Ar-beitnehmer: Diskriminierung muss vom Mitarbeiter bewiesen werdenEin schwerbehinderter AN, der nach ei-nem Motorradunfall im Rollstuhl saß, er-hob schwere Vorwürfe gegen seinen AG. Er klagte auf Entfernung von Abmahnun-gen aus der Personalakte, Zahlung von Arbeitslohn und Entschädigung sowie ge-gen zwei während des Prozesses ausge-sprochene Kündigungen.So sei ihm eine Abstellkammer als Ar-beitsraum zugewiesen worden und die Kommunikation mit Arbeitskollegen sei ihm untersagt worden. Auch sein Lohn sei verspätet und unvollständig gezahlt und er sei mehrfach unberechtigt abge-mahnt worden. Der AN vermutete dahin-ter eine Diskriminierung wegen seiner Schwerbehinderung, was nach seiner Meinung der AG entkräften müsse. Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat der Klage nur bzgl. der außerordentlichen Kündigung und der ausstehenden Vergü-tung stattgegeben und die Klage ansons-ten abgewiesen. Die fristlose Kündigung sei wegen fehlender Abmahnung rechts-widrig, jedoch sei die ordentliche Kündi-gung im Kleinbetrieb wirksam, da hier das KündigungsschutzG nicht gilt. Für eine Diskriminierung fehle es an ausrei-chenden Indizien. Hier sei der AN beweis-fällig geblieben. Für die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte fehle nach dem Arbeitsende das Rechtsschutz-bedürfnis (Arbeitsgericht Düsseldorf v. 01.10.2015, Az.: 10 Ca 4027/15).

Keine Entgeltfortzahlung für Erho-lungskuren nach EFZG und TV-LErholungskuren, die nur dazu dienen, all-gemeinen Verschleißerscheinungen vor-

zubeugen und das Allgemeinbefinden zu verbessern, begründen keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Das gilt sowohl nach § 9 EFZG als auch nach dem Tarif-vertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (§ 22 TV-L).

Das musste sich eine Köchin in Nieder-sachsen sagen lassen, die sich 2013 einer ambulanten Vorsorgekur auf der Insel Langeoog unterzogen hatte. Ihre Kran-kenkasse beteiligte sich an den Kosten der Anwendungen und an den Unterkunfts- und Verpflegungskosten sowie an der Kurtaxe. Eine Einigung über die Behand-lung der Abwesenheitszeit scheiterte mit der Folge, dass das Land die drei Wochen als Erholungsurlaub ansah. Die Köchin war der Auffassung, sowohl nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz als auch nach dem TV-L stehe ihr Entgeltfortzahlung zu, und verlangte für 2013 noch 15 Tage Erho-lungsurlaub. Beide Arbeitsgerichte haben die Anspruchsvoraussetzungen abge-lehnt. Weder aus den Krankenkassen-schreiben noch aus den ärztlichen Be-scheinigungen gehe hervor, dass die Kurmaßnahme dazu diente, einer drohen-den Krankheit vorzubeugen oder deren Verschlimmerung zu vermeiden. Die Re-vision zum Bundesarbeitsgericht wurde hier zugelassen (LAG Niedersachsen v. 27.03.2015, Az.: 10 Sa 1005/14).

Betriebsrentenanpassung bei schlechter wirtschaftlicher Lage:Wann ist ein Berechnungsdurchgriff auf die Konzernmutter möglich?Nach dem Betriebsrentengesetz muss der AG alle drei Jahre eine Anpassung der Be-triebsrenten prüfen und darüber nach bil-ligem Ermessen entscheiden. Dabei sind insbes. die Belange der Betriebsrentner und die wirtschaftliche Lage des AG zu berücksichtigen (§ 16 BetrAVG).Im vorliegenden Fall ging es um die An-passung zum 01.01.2011 bei einem Rentner, der seit 2008 Betriebsrente bezog. Der AG war hier in einen Konzern eingebunden und nahm Dienstleistungen für Externe, für andere Konzerngesellschaften und für die Muttergesellschaft wahr. Zwischen dem AG und einer Schwestergesellschaft in NL besteht ein sog. „Intercompany Tra-ding Agreement“ (AGITA) mit einer For-mel zur Berechnung der Vergütung für konzerninterne Leistungen.

Der Betriebsrentner verlangte Anpassung seiner Rente und war der Auffassung, die wirtschaftliche Lage des AG stehe einer Anpassung nicht entgegen. Durch AGITA komme es zu einer konzerninternen Vor-teilsverlagerung auf die Muttergesell-schaft. Deshalb sei die in den Jahresab-schlüssen ausgewiesene Ertragssituation für ihre wirtschaftliche Lage nicht aussa-gekräftig. Jedenfalls müsse sich der AG die günstige wirtschaftliche Lage der Muttergesellschaft bzw. der Konzernober-gesellschaft im Wege des Berechnungs-durchgriffs zurechnen lassen. Der Betriebsrentner unterlag mit seinem Begehren jetzt in allen drei Instanzen. Der AG durfte zum 01.01.2011 davon ausgehen, dass seine wirtschaftliche Lage eine Anpas-sung nicht zuließ, da er bis zum nächsten Anpassungsstichtag keine angemessene Ei-genkapitalverzinsung erwirtschaften würde. Nach dem BetrAVG kommt es auf die tatsächliche wirtschaftliche Lage an. Die Voraussetzungen für einen Berech-nungsdurchgriff auf die wirtschaftliche Lage einer anderen Konzerngesellschaft la-gen zum 01.01.2011 nicht vor. Um Schadens-ersatzansprüche ging es hier nicht (BAG v. 21. 4. 15, Az.: 3 AZR 729/13; www.bundes-arbeitsgericht.de).

Urlaubsdauer bei kurzfristiger Un-terbrechung des ArbeitsverhältnissesMit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht wegen des nicht erfüllten Ur-laubsanspruchs ein Abgeltungsanspruch (§ 7 IV BUrlG). Wird danach ein neues Ar-beitsverhältnis mit demselben AG begrün-det, ist dieses regelmäßig eigenständig zu behandeln. Der volle Urlaubsanspruch wird erst nach erneuter Erfüllung der sechsmonatigen Wartezeit erworben (§ 4 BUrlG). Der Teilurlaub nach § 5 BUrlG be-rechnet sich grds. eigenständig für jedes Arbeitsverhältnis.Im Streitfall war der AN seit 2009 beim AG beschäftigt mit jährlich 26 Urlaubsta-gen in der Fünf-Tage-Woche. Er kündigte zum 30.06.2012. Schon am 21.06.2012 schlossen die Parteien zum 01.07.2012 ei-nen neuen Arbeitsvertrag. Dieses neue Arbeitsverhältnis endete aufgrund frist-loser AG-Kündigung zum 12.10.2012.Streitig war, ob der AG über 17 Tage Ur-laub hinaus weitere sechs Tage mit 726,54 Euro abzugelten hatte. Der AG war der Auffassung, mit Beginn des neuen Ar-beitsverhältnisses beginne ein neuer ur-laubsrechtlicher Zeitraum. Der AN habe

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20 | Journal für das Lohnbüro Januar 2016 Beschäftigung von Flüchtlingen/Asylsuchenden in Deutschland

deshalb für beide Arbeitsverhältnisse nur Teilurlaubsansprüche erworben.

Der AN hat hier in allen drei Instanzen Recht bekommen. Begründung: Jedenfalls in den Fällen, in denen aufgrund verein-barter Fortsetzung des Arbeitsverhältnis-ses bereits vor Ende des ersten Arbeitsver-

trages feststeht, dass das Arbeitsverhältnis nur für eine kurze Zeit unterbrochen wird, entsteht ein Anspruch auf ungekürzten Vollurlaub, wenn das zweite Arbeitsverhält-nis nach erfüllter Wartezeit in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres endet (BAG v. 20.10.2015, Az.: 9 AZR 224/14; www.bundes-arbeitsgericht.de).

WOLFGANG GAMP Rechtsassessor, www.lohnsteuerhilfe-herdecke.de

Beschäftigung von Flüchtlingen/Asylsuchenden in DeutschlandDie Bundesregierung hat vor dem Hintergrund des großen Stroms von Flüchtlingen und Asylsuchenden zahlreiche gesetzliche Bestimmungen ver-einfacht. Es gilt nun, dieses Beschäftigungspotenzial zu nutzen und die im folgenden Beitrag beschriebenen arbeits-, sozialversicherungs- und steu-errechtlichen Bestimmungen zu beachten.

Arbeits- und genehmigungsrechtli-che BestimmungenDer Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das Asylverfahrensbeschleu-nigungsgesetz beschlossen. Das Gesetz wurde am 23.10.2015 im Bundesgesetzblatt verkündet und ist somit ab dem 24.10.2015 in Kraft. Die bereits zuvor geänderte Be-schäftigungsverordnung erleichtert jun-gen Asylsuchenden und Geduldeten, die gute Bleibeperspektiven haben, den Zu-gang zu Beschäftigungen sowie berufso-rientierenden und ausbildungs- bzw. stu-dienbegleitenden Praktika.

Aufenthaltstitel und Arbeitserlaubnis von Flüchtlingen sind in vielen Einzelgesetzen geregelt, insbesondere im Asylgesetz (AsylG, vormals Asylverfahrensgesetz, AsylVerfG), im Aufenthaltsgesetz (Auf-enthG) sowie in der Beschäftigungsver-ordnung (BeschV). Die Beschäftigungs-möglichkeiten von Flüchtlingen hängen von deren Aufenthaltsstatus ab. Drei Sta-tusstufen lassen sich beschreiben:

Aufenthaltstitel, Arbeitserlaubnis und VorrangprüfungBevor ein inländischer Arbeitgeber einen ausländischen Flüchtling beschäftigt, muss er sich von ihm Dokumente zur Feststellung des Status vorlegen lassen.

Der Status entscheidet über die Beschäf-tigungsmöglichkeit:

� Anerkannte Flüchtlinge mit Aufent-haltstitel – dieser beinhaltet eine Ar-beitserlaubnis – dürfen ohne weiteres in Deutschland arbeiten.

� Asylsuchende vor Abschluss ihres Verfahrens sowie abgelehnte Personen mit Duldung brauchen eine geson-derte Arbeitserlaubnis. Diese muss bei der Ausländerbehörde beantragt wer-den. Die Ausländerbehörde holt in vie-len Fällen zusätzlich die Genehmi-gung der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit ein (www.arbeitsagentur.de/zav).

Der Arbeitgeber muss im Hinblick auf die Arbeitsmarktprüfung über das Arbeits-entgelt, die Arbeitszeiten und die sonsti-gen Arbeitsbedingungen entsprechend informieren (§ 39 Abs. 2 S. 3 AufenthG).

Zugangserleichterungen zum inlän-dischen ArbeitsmarktDie einschlägigen Verordnungen sehen zahlreiche Ausnahmen vor, in denen Mi-granten und Flüchtlinge schneller und leichter eine Arbeitserlaubnis erhalten sol-len. Hier sind die für Arbeitgeber wich-

tigsten Fälle aufgelistet, in welchen die so-genannte Vorrangprüfung durch die zuständige Agentur für Arbeit oder die Zustimmung der Ausländerbehörde ent-fallen kann:

� Hält sich ein Asylsuchender oder Ge-duldeter seit mindestens 15 Monaten ununterbrochen in Deutschland auf, entfällt die Vorrangprüfung durch die Agentur für Arbeit (§ 32 Abs. 5 Nr. 2 BeschV). Leben diese Menschen be-reits mindestens vier Jahre in Deutsch-land, wird die Agentur für Arbeit bei der Entscheidung der Ausländerbe-hörde nicht mehr beteiligt (§ 32 Abs. 3 BeschV).

� Bei einem abgeschlossenen Hoch-schulstudium entfällt die Vorrangprü-fung bereits nach drei Monaten (§ 32 Abs. 2 Nr. 3 und § 2 Abs. 1 BeschV), wenn die Voraussetzungen für die „Blaue Karte EU“ vorliegen; diese sind:

‒ inländischer oder vergleichbarer ausländischer Hochschulabschluss,

‒ Vorlage eines Arbeitsvertrags oder eines verbindlichen Arbeitsplatzan-gebots,

‒ Nachweis eines jährlichen Mindest-bruttoarbeitsentgelts in Höhe von 2/3 der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) in der gesetzlichen Renten-versicherung (2015: 48.400,00 Euro, 2016: 49.600,00 Euro).

‒ Für Naturwissenschaftler, Mathe-matiker, Ingenieure, Ärzte und IT-Spezialisten genügt bereits ein Min-destbruttoentgelt in Höhe von 52 Prozent der vorgenannten BBG (2015: 37.752 Euro, 2016: 38.688 Euro (Rechtsgrundlage: § 2 Abs. 2 BeschV).

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Journal für das Lohnbüro Januar 2016 | 21Beschäftigung von Flüchtlingen/Asylsuchenden in Deutschland

‒ Informationen zur „Blauen Karte EU“ erteilen die Ausländerbehör-den der Gemeinden oder das Bun-desamt für Migration und Flücht-linge (www.bamf.de).

� Die Vorrangprüfung entfällt ebenfalls nach drei Monaten für Fachkräfte, die eine anerkannte Ausbildung in einem

„Engpassberuf“ nach der Positivliste der Agentur für Arbeit haben (§ 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BeschV).

� Die Positivliste beinhaltet Berufe, de-ren Ausübung gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Beschäftigungsverordnung in Deutschland grundsätzlich möglich ist.

� Die Positivliste (Whitelist) der Agen-tur für Arbeit ist mit aktuellem Stand 01.09.2015 auf deren Website www.ar-beitsagentur.de hinterlegt.

� Seit 1. August 2015 können ausländi-sche Personen mit Vorqualifikation eine Aufenthaltserlaubnis für 18 Monate er-halten, um durch das Absolvieren einer Bildungsmaßnahme und einer Prüfung ihre im Ausland erworbenen Ab-schlüsse in Deutschland anerkennen zu lassen (§ 17a AufenthG).

� Wird die Bildungsmaßnahme über-wiegend betrieblich durchgeführt, ist die Zustimmung der Agentur für Ar-beit, jedoch keine Vorrangprüfung er-forderlich.

Zustimmungspflichtige und zustim-mungsfreie BeschäftigungenDie Aufenthaltserlaubnis berechtigt grundsätzlich zur Ausübung einer von der Bildungsmaßnahme unabhängigen Tätig-keit von bis zu zehn Stunden pro Woche (§ 17a Abs. 1, Abs. 3 AufenthG, § 8 Abs. 2 BeschV). Folgende Ausnahmen bestehen:

� Die Zustimmung entfällt für Studie-rende oder Schüler ausländischer Hochschulen und Fachschulen, wenn sie nicht länger als 90 Tage innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten tätig werden und von der Bundes-agentur für Arbeit vermittelt wurden (§ 14 Abs. 2 BeschV).

� Ohne Zustimmung können ausländi-sche Arbeitnehmer als Saisonkräfte in der Land- und Forstwirtschaft, im Ho-tel- und Gaststättengewerbe oder in der Obst- und Gemüseverarbeitung tä-tig werden, sofern

‒ ein Aufenthaltstitel vorliegt, ‒ die wöchentliche Arbeitszeit min-

destens 30 Stunden sowie die tägli-che Arbeitszeit durchschnittlich sechs Stunden beträgt,

‒ die Beschäftigung nicht länger als sechs Monate dauert und

‒ es eine Absprache zwischen der Bundesagentur für Arbeit mit der

Arbeitsverwaltung des Herkunfts-landes gibt (§ 15a BeschV).

� Erleichterten Zugang erhalten auch Führungskräfte, insbesondere Gesell-schafter mit Vertretungsbefugnis, lei-tende Angestellte und Personen mit unternehmensspezifischen Spezial-kenntnissen (§ 3 und § 4 BeschV).

� Nachgezogene Ehegatten von aner-kannten Flüchtlingen erhalten sofort einen Aufenthaltstitel und eine Ar-beitserlaubnis (§ 27 Abs. 5 AufenthG).

Weitere Zugangserleichterungen � Für den Arbeitgeber ist die Vorlage des

Aufenthaltstitels wichtig. Er muss ins-besondere prüfen, ob darin Beschrän-kungen der Arbeitserlaubnis enthal-ten sind. Daneben gibt es weitere Erleichterungen:

� Asylsuchende und Geduldete dürfen in der Zeitarbeit erst nach vierjähri-gem ununterbrochenem Aufenthalt in Deutschland beschäftigt werden (§ 40 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).

� Die „Residenzpflicht“ wurde gelo-ckert: Nach drei Monaten Aufenthalt dürfen Asylsuchende in ganz Deutschland eine Beschäftigung oder Ausbildung aufnehmen (§§ 56 und 61 AsylG).

Sonderbestimmungen für Ausbildungsstellen und PraktikaAngesichts des Bewerberrückgangs kön-nen zahlreiche Ausbildungsstellen nicht mit inländischen Personen besetzt wer-den. Deshalb ist es für viele Betriebe über-legenswert, Asylsuchende oder Gedul-dete einzustellen. Hier gilt Folgendes:

� Asylsuchende können eine betriebli-che Berufsausbildung oder duale Aus-

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bildung ab dem vierten Monat nach ihrer Ankunft beginnen.

� Geduldete dürfen, wenn kein Arbeits-verbot vorliegt, ab der Erteilung der Duldung durch die zuständige Aus-länderbehörde eine betriebliche Be-rufsausbildung beginnen.

� Unternehmen müssen für jeden ein-zelnen Auszubildenden, der Asylsu-chender oder Geduldeter ist, bei der Ausländerbehörde eine Beschäfti-gungserlaubnis beantragen. Die Zu-stimmung der Agentur für Arbeit ent-fällt.

� Seit dem 1. August 2015 wird die Dul-dung bei Aufnahme einer Berufsaus-bildung erstmals für ein Jahr erteilt. Danach kann sie für jeweils ein Jahr verlängert werden, wenn damit zu rechnen ist, dass die Ausbildung in ei-nem angemessenen Zeitraum beendet wird.

� Bei Beginn der Ausbildung darf der Auszubildende noch nicht das 21. Le-bensjahr vollendet haben.

� Außerdem darf er nicht aus einem si-cheren Herkunftsstaat kommen. Si-chere Herkunftsländer sind nach der jüngsten Gesetzesänderung neben den Mitgliedstaaten der EU derzeit die Staaten Albanien, Bosnien und Herze-gowina, Kosovo, Mazedonien, Monte-negro und Serbien, Senegal und Ghana.

Zur Vorbereitung auf eine Berufsausbil-dung von Asylsuchenden und Gedulde-ten kann der Arbeitgeber folgende Förder-möglichkeiten nutzen:

Mindestlohnbestimmungen � Arbeitgeber müssen den in der Bun-

desrepublik Deutschland beschäftig-

ten Flüchtlingen grundsätzlich den Mindestlohn zahlen.

� Bei allen von der Agentur für Arbeit geförderten Praktika entfällt dies gem. § 22 MiloG.

� Ein Gesamtüberblick zu betrieblichen Tätigkeiten und Praktika findet sich unter www.arbeitsagentur.de/Unter-nehmen unter dem Stichwort „Poten-ziale nutzen – geflüchtete Menschen beschäftigen“.

Arbeitgeber müssen bei der Beschäftigung von noch nicht anerkannten Asylbewer-bern das Risiko einplanen, dass selbst bei einer Duldung oder befristeten Arbeitser-laubnis eine spätere Abschiebung droht und sie diesen Arbeitnehmer dann verlie-ren können. Davor schützen keine Ausbil-dung, kein Studium und kein Arbeitsver-trag.

Sozialversicherungsrechtliche BestimmungenFlüchtlinge sind hinsichtlich der Versiche-rungs- und Beitragspflicht nach densel-ben Grundsätzen zu beurteilen. Hier ist auf Folgendes zu achten:

� Beschäftigungslose Flüchtlinge sind innerhalb der ersten 15 Monate in Deutschland grundsätzlich nicht ge-setzlich krankenversichert. Sie haben nur einen Anspruch auf medizinische Notversorgung.

� Beim Beschäftigungsbeginn muss der dann versicherungspflichtige Beschäf-tigte seinem Arbeitgeber unverzüglich eine Mitgliedsbescheinigung seiner Krankenkasse vorlegen (§ 175 Abs. 3 SGB V).

� Geschieht dies nicht innerhalb von zwei Wochen, muss der Arbeitgeber ihn bei der Krankenkasse anmelden,

bei der er zuletzt versichert war, oder bei einer von ihm gewählten (§ 173 SGB V).

� Übt auch der Arbeitgeber das Wahl-recht nicht aus, erfolgt die Zuweisung zu einer Krankenkasse rollierend auf Basis der letzten zwei Ziffern der Be-triebsnummer des Arbeitgebers.

� Werden noch nicht anerkannte Asylbe-werber oder Geduldete bis zu 450 Euro als Minijobber beschäftigt, muss der Arbeitgeber keinen Pauschalbeitrag zur Krankenversicherung abführen.

� Nicht anerkannte Flüchtlinge können keine kurzfristige Beschäftigung aus-üben. Bei ihnen wird Berufsmäßigkeit unterstellt, weil die Beschäftigung für sie nicht von untergeordneter wirt-schaftlicher Bedeutung ist.

� Verdienen sie also mehr als 450 Euro im Monat, sind sie sozialversiche-rungspflichtig anzumelden.

Lohnsteuerrechtliche Bestimmun-genDie elektronischen Lohnsteuerabzugs-merkmale ELStAM gelten auch bei der Be-schäftigung von Flüchtlingen. Die Bil-dung der Steuer-Identifikationsnummer (IdNr.) und damit die Bildung der EL-StAM werden durch das Bundeszentral-amt für Steuern (BZSt) automatisch ange-stoßen, sobald sich ein Flüchtling erstmals bei einer Gemeindeverwaltung anmeldet. Kann der Arbeitgeber beim Beschäfti-gungsbeginn noch keine ELStAM abrufen, muss er wie folgt vorgehen:

� Der beschäftigte Flüchtling muss eine Ersatzbescheinigung bei seinem Wohnsitzfinanzamt beantragen (§ 39e Abs. 8 EStG). Unter deren Ordnungs-merkmal kann der Arbeitgeber den Lohnsteuerabzug vornehmen. Für die Steuerklasse I kann auch der Arbeit-geber die Bescheinigung anstoßen. Der Beschäftigungsbeginn ist zudem ein steuerlicher Anlass, für den das Fi-nanzamt die Bildung der IdNr. ansto-ßen kann.

� Fehlt die IdNr. unverschuldet, kann der Arbeitgeber bis zu drei Monate die voraussichtlichen familiengerechten Lohnsteuerabzugsmerkmale anwen-den und nach Abruf der ELStAM den Lohnsteuerabzug eventuell korrigie-ren (§ 39c Abs. 1 Sätze 2 bis 5 EStG). In Zweifelfällen sollte er die Steuerklasse VI anwenden und später anhand EL-StAM korrigieren (§ 39c Abs. 2 EStG).

Die Bundesregierung wird den Arbeits-markt voraussichtlich weiter öffnen, um hierdurch die Integration zu fördern. Dies

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Jobs für Flüchtlinge: Die Arbeitsplätze sind da, die Bedingungen müssen stimmen.

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Journal für das Lohnbüro Januar 2016 | 23Zeitarbeit: Zeichen deutscher Willkommenskultur

wird den schnelleren Zugang zur Berufs-ausbildungsbeihilfe, assistierte Ausbil-dung für Geduldete, mehr Mittel für die aktive Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen sowie eine gesonderte För-derung berufsbezogener Sprachkurse be-inhalten. Damit bieten sich für interes-sierte Arbeitgeber attraktive Instrumente

zur mittel- und langfristigen Entwicklung der künftig benötigten Fach- und Füh-rungskräfte.

RASCHID BOUABBA Geschäftsführer MCGB GmbHUnternehmensbera-tungBerlin

Zeitarbeit: Zeichen deutscher WillkommenskulturDer deutsche Gesetzgeber hat die Arbeitssperre für Migranten, die eine Tätigkeit als Leiharbeitnehmer anstreben, über Nacht gelockert. Dadurch zählt auch die Zeitarbeitsbranche zu den Nutznießern deutscher Willkommenskultur. Die bisher geltende vierjährige Sperrfrist für Asylbewerber wurde (bei einer Beschäftigung in einem der rund 40 ausgewiesenen „Mangelberufe“) auf drei Monate herabgesetzt. Die geänderte „Verordnung zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ ist Teil eines umfassenden Maßnahmenpaketes der Bundesregierung zum Umgang mit Flüchtlingen.

Entsprechend dem bislang geltenden Auf-enthaltsgesetz mussten Asylbewerber und Geduldete mindestens 48 Monate warten, bis sie einen Job als Leiharbeitnehmer in Deutschland antreten durften. Nun gilt, dass Flüchtlinge in der Zeitarbeit beschäf-tigt werden dürfen, wenn keine Vorrang-prüfung erforderlich ist. Das bedeutet, dass eine Beschäftigung in Mangelberu-fen nach drei Monaten und in allen ande-ren Berufen (ausgenommen Bauhauptge-werbe) nach 15 Monaten möglich ist.

Ziele und Praktiken bundesweiter WillkommenskulturUm es mit den Worten von Prof. Friedrich Heckmann, Soziologe an der Universität Bamberg und Leiter des „europäischen fo-rums für migrationsstudien“ (efms) dar-zutun: Alle wollen plötzlich Willkom-menskultur leben – Bundespolitiker, Bundesbehörden, Bundesverbände und Bundesbürger. Der Begriff „Willkommens-kultur“ hat bundesweit in kurzer Zeit eine erstaunliche Karriere gemacht. „Willkom-menskultur“, so der Bamberger Soziologe,

„meint zum einen eine gewisse Grundhal-tung der Offenheit und Akzeptanz gegen-über Migranteninnen und Migranten – und selbstverständlich gegenüber anderen Menschen –, zum anderen steht er aber auch für Praktiken in verschiedenen Or-ganisationen und institutionellen Kontex-ten, in denen Barrieren der Integration ab-gebaut und Wege der Inklusion gefunden werden; diese schließen formalrechtliche Regelungen ein, gehen aber zugleich auch über solche Regelwerke hinaus. Willkom-menskultur ist, wenn die Ausländerbe-hörde ihre Klienten freundlich behandelt, Menschen ihre Vorurteile überdenken und ändern, ein Mitbürger Migrantenkindern Nachhilfe anbietet, Menschen einschrei-ten, wenn ein Nachbar oder eine Nachba-

rin von anderen Nachbarn rassistisch be-leidigt wird, und vieles mehr. Wir spüren und können nachvollziehen, dass all das etwas mit Willkommenskultur zu tun hat, aber eine bloße Aufzählung von einzelnen Phänomenen reicht nicht für das bessere Verständnis dieses Begriffs.“

Nach Erkenntnis von Prof. Heckmann sind verschiedene Ebenen des Phäno-mens zu unterscheiden und auf diesen Ebenen sind Praktiken zu identifizieren, die man als Komponenten von Willkom-menskultur ansehen kann.

Willkommenskultur kann daher auf den folgenden Ebenen betrachtet werden:

� der Ebene des Individuums, � der Ebene interpersonaler Beziehun-

gen, � der Ebene von Organisationen und In-

stitutionen und � der Ebene der Gesamtgesellschaft.

„Wenn ich das Konzept der Willkommens-kultur reflektiere, möchte ich festhalten“, betont Prof. Heckmann, „dass es ein all-gemeines Konzept von großer Bedeutung für eine Einwanderungsgesellschaft ist, das aber in den jeweiligen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens inhaltlich und methodisch unterschiedlich ausgefüllt werden muss. Insofern ist Willkommens-kultur mehr als eine Sprechblase, sondern wichtige Orientierung und Aufgabe für eine Gesellschaft, sich auf neue Mitglieder einzustellen.“

Möglichkeiten der Arbeitsaufnahme für Asylbewerber und GeduldeteAsylbewerber sind Personen, die eine An-erkennung als politisch Verfolgte oder als Flüchtlinge beantragt haben, deren Ver-fahren also noch läuft.

Geduldete sind Personen, deren Asylan-träge abgelehnt wurden, die aber nicht ab-geschoben werden können (z. B. Krieg im Herkunftsland, Reiseunfähigkeit, eine feh-lende Verkehrsverbindung in ein vom Krieg zerstörtes Land, fehlende Dokumente).

Asylbewerber oder Geduldete haben grund-sätzlich gleichen Zugang zum Arbeitsmarkt. Für Geduldete kann aber ein Beschäfti-gungsverbot erteilt werden, z. B. weil sie ihre Mitwirkungspflichten zur Ausreise (insbe-sondere Vorlage von Ausweisdokumenten) verletzt haben.

„Blaue Karte EU“ für MangelberufeFür den Erhalt einer Blauen Karte EU müssen neben allgemeinen Zulassungsvoraussetzun-gen drei weitere Bedingungen erfüllt sein:Der Nachweis eines abgeschlossenen Hoch-schulstudiums. Wenn der Hochschulab-schluss nicht in Deutschland erworben wurde, muss der Abschluss entweder aner-kannt oder mit einem deutschen Hochschul-abschluss vergleichbar sein.Es muss entweder ein konkretes Arbeits-platzangebot oder ein bereits unterschrie-bener bzw. bestehender Arbeitsvertrag vor-liegen.Es muss mindestens ein bestimmtes Brutto-jahresgehalt erreicht werden.

Gänzlich zustimmungsfrei –und damit eben-falls ohne Vorrangprüfung und ohne Prüfung der Arbeitsbedingungen – können Asylbe-werber und Geduldete arbeiten, wenn sie eine Berufsausbildung aufnehmen oder die Voraussetzungen für die Erteilung einer Blauen Karte EU (Hochschulabschluss und 48.400 Euro Jahresgehalt) erfüllen.

Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales/ Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

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24 | Journal für das Lohnbüro Januar 2016 Zeitarbeit: Zeichen deutscher Willkommenskultur

Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Aydan Özoguz, hielt diese Regelung für praxisfremd und zählte somit zu den Befürwortern einer Reduzierung der Beschäftigungssperr-frist.Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), äu-ßert Bedenken gegen eine Lockerung des Zeitarbeitsverbots für Asylbewerber. Sei-ner Ansicht nach könnte dieser Schritt als Signal missverstanden und dahin gehend gedeutet werden, „gute, geordnete Ar-beitsplätze durch Leiharbeit zu ersetzen“.Für Roland Wolf, Geschäftsführer und Abteilungsleiter Arbeits- und Tarifrecht bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e. V. (BDA), ist die Arbeitnehmerüberlassung ein Jobmotor. „Natürlich benötigen auch die Einsatzbe-triebe Flexibilität, vor allem aber hilft die Arbeitnehmerüberlassung den Schwächs-ten am Arbeitsmarkt, und dazu zählen auch arbeitswillige und arbeitssuchende Asylbewerber und Geduldete“, so Wolf.Dr. Carmen Bârsan, BDA-Expertin für In-tegration am Arbeitsmarkt erklärt, dass nach der Änderung der Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern (BeschV) das Beschäfti-gungsverbot in der Zeitarbeit für Asylsu-chende und Geduldete dieser Gruppe Ar-beitssuchende eine Tätigkeit in der Zeitarbeit in der Regel nach Ablauf eines Voraufenthaltes von 15 Monaten aufneh-men können. „Ausnahmen gibt es“, so Dr. Bârsan, „wenn beispielsweise die Voraus-setzungen für eine ‚Blaue Karte EU‘ in Mangelberufen erfüllt sind oder eine im Ausland erworbene Berufsqualifikation in einem Mangelberuf vorliegt, deren Gleichwertigkeit mit einer inländischen qualifizierten Berufsausbildung festge-stellt wurde.“ Die BDA-Arbeitsmarktex-pertin bekräftigt, dass die Bundesvereini-gung der Deutschen Arbeitgeberverbände

eine vollständige Abschaffung des Be-schäftigungsverbots in der Zeitarbeit ge-fordert hat, da gerade die Zeitarbeit in Fäl-len, in denen formale Qualifikationen fehlen oder noch nicht anerkannt sind, ein Weg sein kann, um mit praktischen Fer-tigkeiten und persönlichen Kompetenzen zu überzeugen und so den Einstieg in Be-schäftigung zu schaffen.

„Die durch die Verordnung zum Asylver-fahrensbeschleunigungsgesetz vorge-nommene Lockerung des Beschäftigungs-verbots in der Zeitarbeit ist aus unserer Sicht nicht ausreichend. Das Beschäfti-gungsverbot in der Zeitarbeit muss unab-hängig von der jeweiligen Qualifikation vom Zeitpunkt des Zugangs zum Arbeits-markt grundsätzlich aufgehoben werden, wie es der Koalitionsausschuss am 6. Sep-tember 2015 beschlossen hat. Die Zeitar-beit hat inzwischen wichtige tarifpoliti-sche Flankierungen erfahren und ein Mindestlohn wurde etabliert.“

Rechtsanwalt Werner Stolz, Hauptge-schäftsführer des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e. V. (iGZ), begrüßt, dass der diskriminierende Tatbestand des § 40 Abs. 1 Aufenthaltsge-setz endlich modifiziert wurde und dass eine Verkürzung der Beschäftigungs-Sperrfrist für Flüchtlinge und Migranten das Ergebnis ist. Seiner Überzeugung nach war die bisherige lange Zeitarbeits-sperre nicht mehr zu rechtfertigen und weit von der Realität der täglichen Praxis entfernt. „Wer auf diesem Feld der Flücht-lingspolitik die anerkannt hohen Integra-tionserfolge der Branche durch Zeitarbeit weiterhin ignoriert, versagt den Betroffe-nen Chancen“, so Stolz. „Die tariflichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen der Personaldienstleistungen in Deutsch-land sind fair und längst nicht mehr pre-kär. Und Flüchtlinge werden natürlich wie alle anderen bei ihren Einsätzen be-handelt.“

Dass Asylbewerber künftig auch – ohne Einhaltung von überdimensionierten Sperrfristen – in der Zeitarbeitsbranche arbeiten dürfen, hält iGZ-Geschäftsführer Dr. Martin Dreyer für einen wesentlichen Durchbruch in der Zeitarbeit.

„Zeitarbeitsunternehmen haben sehr viel Erfahrung darin, Menschen in den Ar-beitsmarkt zu integrieren“, stellt er fest.

„Fast zwei Drittel der neueingestellten Mit-arbeiter in der Zeitarbeitsbranche waren zuvor beschäftigungslos.“ Auch mit aus-ländischen Beschäftigten kenne sich die Branche sehr gut aus – ihr Anteil liege mit 22 Prozent wesentlich höher als in der Ge-samtwirtschaft (acht Prozent). „Durch diese besonderen Qualifikationen wird die Zeitarbeitsbranche Asylbewerbern, die eine Beschäftigung auf dem deut-schen Arbeitsmarkt suchen, ein starker und kompetenter Partner sein“, blickt Dreyer in die Zukunft. „Wir freuen uns, dass die Bundesregierung unserem An-gebot gefolgt ist, auf die besondere Erfah-rung unserer Branche bei der Integration von Flüchtlingen in Arbeit zurückzugrei-fen“. Dr. Dreyer weist auch darauf hin, dass die Bemühungen um Sprachkurse intensiviert werden müssen, da grundle-gende Deutschkenntnisse wichtig sind, um den Arbeitsschutz zu gewährleisten.

Durch den Wegfall des Verbotes werden Zeitarbeitsunternehmen endlich mit an-deren Unternehmen gleichgestellt. Seit 2012 ist der tarifliche Mindestlohn auch als gesetzliche Lohnunterschranke für ausländische Unternehmen festgeschrie-ben. Branchenzuschlags-Tarifverträge sorgen zudem seit 2012 in elf Bereichen für eine stufenweise Lohnangleichung zwischen Zeitarbeitskräften und Stamm-belegschaft.

Willkommen in Deutschland: Auch die Zeitarbeitsbranche bietet neue Möglichkeiten für Migranten.

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Journal für das Lohnbüro Januar 2016 | 25Zeitarbeit: Zeichen deutscher Willkommenskultur

MangelberufeUnter entsprechenden Voraussetzungen ist die Besetzung offener Stellen mit aus-ländischen Bewerberinnen oder Bewer-bern für diese Berufe arbeitsmarkt- und integrationspolitisch verantwortbar – siehe Tabelle nächste Seite.

FazitDie vorzeitige Lockerung der Beschäfti-gungssperre für Asylbewerber und Ge-duldete in der Zeitarbeit macht deutlich, wie wichtig das Thema „deutsche Will-kommenskultur“ in Verbindung mit der Chance, dem deutschen Arbeitsmarkt zu-sätzliche Arbeitskräfte zu bescheren, der Politik, den Unternehmen, den Gewerk-schaften und der deutschen Wirtschaft geworden war. Zunächst sollte die geän-derte Beschäftigungsverordnung zum 1. November in Kraft treten. Rechtsgültig-keit erlangte sie jedoch vorzeitig und gilt nun seit dem 24. Oktober 2015.

„Allgemein lässt sich sicherlich konstatie-ren, dass der Gesetzgeber mit der Erleich-terung des Arbeitsmarktzugangs für Asyl-bewerber, Geduldete und Staatsangehörige der Westbalkanstaaten als Leiharbeitneh-mer die Integration dieser Gruppen über eine Erwerbstätigkeit fördern und zu-gleich Kosten reduzieren will“, erklärt Prof. Dr. Wolfgang Hamann, Lehrstuhlinhaber für Wirtschaftsprivat- und Arbeitsrecht an der Universität Duisburg-Essen. „Der Ar-beitsmarkt scheint derzeit derart robust, dass er einen solchen Zustrom verkraften könnte. Wer in einem Arbeitsverhältnis steht und über einen eigenen Verdienst verfügt, konsumiert, zahlt Steuern und führt Sozialversicherungsbeiträge ab. Dem Gesetzgeber schwebt also eine ‚Win-win-Situation‘ vor. Die Tätigkeit als Leiharbeit-nehmer ist dabei besonders geeignet. Denn entgegen allen Bekundungen aus der Politik und Teilen der Wirtschaft ist eben ein Großteil der Menschen aus dem genannten Personenkreis weder der deut-schen Sprache mächtig noch hinreichend für eine qualifizierte Tätigkeit ausgebildet. Leiharbeitnehmer werden daher überwie-gend für Helfertätigkeiten im Niedrig-lohnsektor eingesetzt werden, dort braucht es keine Ausbildung oder gute Sprach-kenntnisse. Leiharbeitnehmern wird auf der anderen Seite eine hohe Flexibilität ab-verlangt, die Beschäftigungsverhältnisse dauern in den meisten Fällen kaum mehr als drei Monate. Wer also um ein dauer-haftes Bleiberecht in Deutschland kämpft, der wird eher bereit sein, solche Arbeits-bedingungen hinzunehmen.“ Prof. Ha-mann mahnt, dass man sorgfältig darauf achten muss, dass nicht eine Schicht von

„Leiharbeitern 2. Klasse“ (womöglich mit stillschweigender Duldung der Politik) he-ranwächst. „Ihnen stehen zwar formal die

ohnehin schon schlechten Arbeitsbedin-gungen der Leiharbeitsbranche zu“, so der Essener Arbeitsrechtler, „sie werden diese

Berufsgattung (Klassifikation der Berufe 2010)24412 Metallbau* 2 – Fachkraft

24413 Metallbau 3 – Spezialist

24422 Schweiß-, Verbindungstechnik* 2 – Fachkraft

24423 Schweiß-, Verbindungstechnik* 3 – Spezialist

24432 Industrietaucher/innen (und andere Berufe)* 2 – Fachkraft

24493 Aufsicht – Metallbau und Schweißtechnik* 3 – Spezialist

26112 Berufe in der Mechatronik 2 – Fachkraft

26113 Berufe in der Mechatronik 3 – Spezialist

26122 Berufe in der Automatisierungstechnik 2 – Fachkraft

26123 Berufe in der Automatisierungstechnik 3 – Spezialist

26212 Berufe in der Bauelektrik 2 – Fachkraft

26222 Berufe in der Elektromaschinentechnik 2 – Fachkraft

26252 Berufe in der elektrischen Betriebstechnik 2 – Fachkraft

26262 Berufe Leitungsinstallation, -wartung 2 – Fachkraft

26303 Berufe in der Elektrotechnik (ohne Spezialisierung) 3 – Spezialist

26393 Aufsicht – Elektrotechnik 3 – Spezialist

32103 Hochbau (ohne Spezialisierung)* 3 – Spezialist

32113 Beton- und Stahlbetonbau* 3 – Spezialist

32123 Maurerhandwerk* 3 – Spezialist

32193 Aufsicht – Hochbau* 3 – Spezialist

34202 Berufe in der Klempnerei (ohne Spezialisierung) 2 – Fachkraft

34212 Berufe Sanitär-, Heizungs-, Klimatechnik 2 – Fachkraft

34213 Berufe Sanitär-, Heizungs-, Klimatechnik 3 – Spezialist

34232 Berufe in der Kältetechnik 2 – Fachkraft

34293 Aufsichtskräfte - Klempnerei, Sanitär, Heizung, Klima 3 – Spezialist

43413 Softwareentwicklung* 3 – Spezialist

43423 Programmierung 3 – Spezialist

51113 Berufe im technischen Eisenbahnbetrieb 3 – Spezialist

51222 Berufe in der Überwachung und Wartung der

Eisenbahninfrastruktur 2 – Fachkraft

51522 Berufe Überwachung des Eisenbahnverkehrsbetriebs 2 – Fachkraft

52202 Triebfahrzeugführer Eisenbahnverkehr 2 – Fachkraft

81302 Berufe Gesundheits-, Krankenpflege (ohne Spezialisierung) 2 – Fachkraft

81313 Berufe in der Fachkrankenpflege 3 – Spezialist

81332 Berufe operations-/med.-techn. Assistenz 2 – Fachkraft

82102/

82182 Berufe in der Altenpflege 2 – Fachkraft

82183 Berufe in der Altenpflege 3 – Spezialist

82512 Berufe in der Orthopädie-, Rehatechnik 2 – Fachkraft

82532 Berufe in der Hörgeräteakustik 2 – Fachkraft

82513 Berufe in der Orthopädie-, Rehatechnik 3 – Spezialist

82593 Meister Orthopädie, Rehatechnik und Hörgeräteakustik* 3 – Spezialist

*ausgenommen sind Medizintechnik, Zahntechnik und Augenoptik

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26 | Journal für das Lohnbüro Januar 2016 Zeitarbeit abgeschafft

aber faktisch häufig nicht erhalten. Denn diese Arbeitnehmer sind bekanntermaßen in einer besonders prekären Lage und da-her anfällig für Übervorteilung. Sie wer-den sich nicht gewerkschaftlich organisie-ren und auch ihre Rechte nicht einfordern.“Ein weiterer Aspekt, der nicht außer Acht zu lassen ist, ist die derzeit anstehende (erneute) Reform des Arbeitnehmerüber-lassungsgesetzes (AÜG). Prof. Hamann kann sich vorstellen, dass die Bundesre-gierung angesichts der aktuellen Situa-tion an ihrem Vorhaben aus dem Koaliti-onsvertrag, die Arbeitnehmerüberlassung wieder auf ihre ursprüngliche Überbrü-ckungs- und Aushilfsfunktion zurückzu-drängen, nicht festhalten, sondern einen liberaleren Kurs einschlagen wird.

ErläuterungenEine Grundlage für die Auswahl der Berufe in der Positivliste bildet die Fachkräfteeng-passanalyse der Bundesagentur für Arbeit, die im Internet veröffentlicht ist.

Die Engpassanalyse erfolgt unter dem Fokus bundesweiter Engpässe, ergänzt um eine re-gionale Betrachtung auf Ebene der Bundes-länder. Diese Berufsgattungen sind mit ei-nem* gekennzeichnet.

Für die Positivliste nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Beschäftigungsverordnung wurden aus der Fachkräfteengpassanalyse solche Berufe ausgewählt, für die nicht bereits andere Mög-lichkeiten des Arbeitsmarktzugangs be ste-hen, z. B. die Blaue Karte EU für Akademiker.

Die neu aufgenommenen Berufsgattungen sind unterstrichen.

Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Positiv-liste – Stand 01.09.2015

RALF E. GEILING Redaktion LOHN+GEHALT

Zeitarbeit abgeschafftDie seit den siebziger Jahren in Deutschland etablierte Arbeitnehmerüberlassung hat sich inzwischen zu einem starken Segment des Arbeitsmark-tes entwickelt. Dass erfolgreiches Business auch ohne den Einsatz von Zeitarbeitnehmern auskommen kann, zeigt das Beispiel des Batterieherstel-lers VARTA. Das Unternehmen hat der Zeitarbeit inzwischen den Rücken gekehrt und bedient sich heute alternativer Beschäftigungsformen. Es bleibt jedoch die Frage unbeantwortet, ob ein Ausstieg aus der Zeitarbeit auf breiter Basis eine Alternative für diese Form des flexiblen Einsatzes von Arbeitnehmern sein kann. Faktoren wie Unternehmensgröße, Branche, die konkreten Produktionsprozesse, saisonale wie regionale Schwan-kungen und nicht zuletzt die Frage, welche sonstigen Flexibilisierungsmöglichkeiten die jeweils einschlägigen Tarifverträge eröffnen, zählen zu den wesentlichen Einflüssen, die über den Einsatz von Leiharbeitnehmern mitbestimmen können.

Laut Statistischem Bundesamt und Agen-tur für Arbeit waren vor 15 Jahren knapp 330.000 Beschäftigte als Leiharbeitnehmer tätig. Zehn Jahre später erreichte die Zahl der überlassenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit über 880.000 Beschäf-tigten ihren vorläufigen Höchststand. Seitdem bewegt sich die Anzahl der in der Zeitarbeit Beschäftigten auf hohem Ni-veau.

Thorsten Halm, Geschäftsführer der MIT Institut GmbH, erklärt, dass die Arbeits-bedingungen für Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer je nach Branche durchaus unterschiedlich sein können.

„Zehn Jahre, nachdem das letzte Hartz-Ge-setz in Kraft getreten ist, scheint die Leih-arbeit dank Tarifverträgen, Branchenzu-schlägen und Mindestlöhnen – abseits systematischer Kritik – aus dem Fokus der Missbilligung geraten zu sein“, berichtet Halm, „nämlich wegen anderer, weitge-hend unregulierter Formen flexibler Be-schäftigung, die stark zunehmen, wie Werkverträge und Crowd- bzw. Cloudwor-king. Stetiger Kritikpunkt an der Leihar-beit ist und bleibt aber der sogenannte ‚Drehtüreffekt‘, das Ersetzen entlassener Beschäftigter durch Leiharbeitnehmer.“ Einem Missbrauch und dem „Drehtüref-

fekt“ vorbeugend soll die Arbeitnehmer-überlassung durch Tarifverträge, Bran-chenzuschläge, Mindestlöhne und weitere Regulierungen auf ihren ursprünglichen Zweck beschränkt werden, nämlich die Flexibilitätssteigerung bei Auftragsspitzen.Bei der VARTA Microbattery GmbH wa-ren früher neben den rund 500 festange-stellten Mitarbeiterinnen und Mitarbei-tern zusätzlich zwischen 60 und 75 Zeitarbeitnehmer beschäftigt. So war es dem Unternehmen möglich, in wirt-schaftlich schwierigen Zeiten unmittelbar auf Produktionsschwankungen zu reagie-ren und die Arbeitsplätze aller Mitarbeiter sicherzustellen. Seit 2013 beschäftigt der Batteriehersteller in Ellwangen keine Zeit-arbeiterinnen und keinen Zeitarbeiter mehr. Und das hat seinen Grund.

Zeitarbeitnehmer als „Puffer“ einzuset-zen, um die Stammbelegschaft abzusi-chern, kam für den Betriebsratsvorsitzen-den Dr. Michael Schmalz nie in Frage. Er machte sich bei seinem Arbeitgeber dafür stark, dass alle Beschäftigten ein „anstän-diges Arbeitsverhältnis“ erhalten sollten. Als Übergangslösung erhielten alle Zeit-arbeitnehmer zunächst ein befristetes Ar-beitsverhältnis und wurden anschließend

vom ehemaligen Einsatzbetrieb unbefris-tet übernommen.

Herbert Schein, CEO der VARTA Micro-battery GmbH, berichtet, dass vor Ab-schaffung der Zeitarbeit etwa 12 bis 15 Prozent seiner Beschäftigten in der Zeitarbeit tätig waren. Durch die Zeitar-beitnehmer war es der VARTA Microbat-tery möglich, auf Produktionsschwan-kungen zu reagieren. „Die meisten der bei uns in der Vergangenheit beschäftigten Zeitarbeitnehmer waren zu etwa 80 Pro-zent ihres Einsatzes bei uns“, erklärt Schein. „Zu etwa 12 bis 15 Prozent wur-den diese Mitarbeiter in Maschinen-fahrertätigkeiten eingesetzt. Ein geringer Rest verrichtete qualifizierte Tätigkeiten. Einige der Zeitarbeitnehmer waren über einen Zeitraum von zwei Jahren durchge-hend im Unternehmen beschäftigt.“2008 wurde ein Wachstumsplan erstellt, der dazu führte, dass die Arbeitsplätze stabilisiert wurden und Jahr für Jahr die Anzahl der Belegschaft erhöht wurde – bis heute um ca. 50 Prozent. Zugleich ging ein Begehren des Betriebsrats voraus und es kam dann zu einem Konsens zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat, die im Einsatz befindlichen Zeitarbeiter an das Unternehmen zu binden.

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Journal für das Lohnbüro Januar 2016 | 27Zeitarbeit abgeschafft

„Die finale Entscheidung zur Abschaffung der Zeitarbeit in unserem Unternehmen war somit auch betriebspolitisch begrün-det“, erklärt Schein. „Dazu hatten wir un-sere Prozesse und Planungen so ange-passt, dass wir ohne Zeitarbeit gut auskommen“, bemerkt Schein. „Zusätzlich haben wir durch den Einsatz von Flex-pool-Mitarbeitern – in Abstimmung mit dem Betriebsrat – auch eine hohe Flexibi-lität beim Einsatz von sogenannten Feri-enjobbern. Die Vorteile der jetzigen Situ-ation wiegen den Nutzen der Zeitarbeit auf. Der dauerhafte Verbleib der Beschäf-tigten im Unternehmen wirkt sich positiv auf die Mitarbeiterkompetenz und deren Engagement aus.“

VARTA-Alternative „Flexpool“Das wichtigste Werkzeug, um die Flexibi-lität bei der Planung, durch den Wegfall der Zeitarbeit, zu erhalten, war während der Phase der Umstellung bei VARTA ein sogenannter Mitarbeiter-Flexpool. Dort kann das Unternehmen auf 15 bis 20 Mit-arbeiter zurückgreifen – bei einem Teil-zeitbeschäftigungsanteil von etwa 60 Pro-zent. Diese Arbeitnehmer erfahren jeweils am Mittwoch der Vorwoche, ob sie zur Ar-beit kommen müssen oder nicht. Inzwi-schen gibt es im Hause des Batterieher-stellers entsprechende Überlegungen, den

„Flexpool“ zu erweitern und in den Ur-laubsmonaten auf Ferienjobber zu setzen, um auch in Zukunft optimal Produktions-spitzen abdecken zu können.Der gesamte Prozess, von ersten Verhand-lungen bis zur schlussendlichen Unter-zeichnung der entsprechenden Betriebs-vereinbarungen zum Ausstieg aus der Zeitarbeit, erstreckte sich über etwa ein Jahr.

Alternativen zur ArbeitnehmerüberlassungIAB-Forschungsbereichsleiter „Prognosen und Strukturanalysen“, Professor Enzo Weber, verweist darauf, dass Betriebe mit Anpassungen beim Personal auf Produk-tionsschwankungen reagieren können, also durch Reduktion der Stammbeleg-schaft oder von Zeitarbeitsverhältnissen.

„Soll dies vermieden werden, kann einer-seits die Arbeitsintensität reduziert wer-den“, so Prof. Weber. „Dadurch sinkt al-lerdings die Arbeitsproduktivität mit entsprechenden Kosten für den Betrieb. Andererseits sind Anpassungen bei der Arbeitszeit pro Beschäftigtem möglich. Dies kann beispielsweise über Arbeits-

zeitkonten oder den Abbau von Überstun-den geschehen. Auch die betriebsübliche Wochenarbeitszeit kann reduziert werden, wenn beispielsweise eine tarifliche Öff-nungsklausel genutzt wird. Über das In-strument der Kurzarbeit wird ein Teil des Lohnausfalls bei verkürzter Arbeitszeit durch die Bundesagentur für Arbeit aus-geglichen.“

Auslaufmodell Zeitarbeit?Prof. Dr. Arnd Diringer, Leiter der For-schungsstelle für Personal und Arbeits-recht an der Hochschule Ludwigsburg, hält die Leiharbeit für ein „Auslaufmo-dell“. Diringer hält es für nicht verwun-derlich, dass Unternehmen mittlerweile neue Wege gehen, denn Arbeitgeber ha-ben viele Möglichkeiten, um auf Produk-tionsschwankungen zu reagieren. Dazu gehören flexible Arbeitszeitmodelle, die befristete Anstellung neuer Mitarbeiter und die Fremdvergabe mittels Werkver-trägen.Arbeitgeber müssen aber bei all diesen Möglichkeiten die teilweise sehr kompli-zierten rechtlichen Vorgaben beachten. Dazu gehören neben den gesetzlichen Re-gelungen auch tarifliche Bestimmungen.

Alternative: Flexible Arbeitszeitmo-delle

„Zuerst sollte immer geprüft werden, ob es möglich ist, Produktionsschwankun-gen durch flexible Arbeitszeitmodelle aus-zugleichen“, so Prof. Diringer. Hier gibt es vielfältige Möglichkeiten: vom klassi-schen Gleitzeitkonto bis hin zu Lebensar-beitszeitkonten.Ein solches Modell hat mehrere Vorteile. Dazu gehört, dass Unternehmen sehr schnell auf Auftragsschwankungen re-agieren können, ohne dass Zeit durch Re-krutierungsmaßnahmen oder Abstim-mungen mit unternehmensfremden Dritten vergeht. Vor allem aber sind die Unternehmen – anders als bei einem Fremdpersonaleinsatz – nicht mit dem Problem konfrontiert, dass Mitarbeiter kurzfristig in einen ihnen fremden Pro-duktionsablauf integriert werden müssen.Vor der Etablierung oder Änderung beste-hender Arbeitszeitregelungen müssen ta-rifgebundene Unternehmen aber unbe-dingt prüfen, ob die einschlägigen Tarifverträge die Gestaltungsmöglichkei-ten einschränken. Es gibt aber auch tarif-vertragliche Regelungen, die die Hand-lungsmöglichkeiten erweitern, etwa wenn durch sog. Arbeitszeitkorridore eine Er-

höhung oder Flexibilisierung der Wo-chenarbeitszeit ermöglicht wird.

Alternative: BefristungenBesteht über einen längeren Zeitraum ab-sehbar ein erhöhter Bedarf, ist zu überle-gen, ob man die Personalkapazitäten durch befristet angestellte Mitarbeiter er-höht. Das Befristungsrecht ist aber mitt-lerweile sehr kompliziert, die Rechtspre-chung teilweise nicht einheitlich. Es sollte daher ein besonderes Augenmerk auf die Arbeitsvertragsgestaltung gelegt werden. Zudem muss immer geprüft werden, ob sich aus den jeweils einschlägigen Tarif-verträgen Beschränkungen ergeben oder ob diese besondere Voraussetzungen sta-tuieren. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass es schwer sein kann, zeitnah Mitarbeiter zu finden, die bereit sind, eine nur befristet angebotene Stelle anzuneh-men. Relativ problemlos ist das im Bereich der geringqualifizierten Tätigkeiten. Hier sind viele Menschen auf Jobsuche, durch den aktuellen Zuzug aus anderen Län-dern erhöht sich das Angebot erheblich. Je höher die Qualifikationsanforderungen sind, umso schwieriger wird es aber, kurzfristig geeignetes Personal für eine nur befristete Anstellung zu finden.

Alternative: WerkverträgeEine gute Möglichkeit, um auf Auftrags-spitzen reagieren zu können, sind auch werkvertragliche Lösungen. Unterneh-men können für einen bestimmten Zeit-raum Aufgaben durch Dritte erledigen lassen und damit das eigene Personal ent-lasten. Bei solchen Gestaltungen lauern aber viele Rechtsfallen. Zudem möchte die Bundesregierung in diesem Bereich Neu-regelungen schaffen, die dem tatsächli-chen oder vermeintlichen Missbrauch die-ses Instruments entgegenwirken sollen. Hier muss die weitere Entwicklung abge-wartet werden. Es ist aber zu befürchten, dass die Möglichkeit, durch Werkverträge Aufgaben an Dritte zu übertragen, erheb-lich eingeschränkt wird.

RALF E. GEILING Redaktion LOHN+GEHALT

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28 | Journal für das Lohnbüro Januar 2016 Wenn Arbeitnehmer pflegen müssen …

Wenn Arbeitnehmer pflegen müssen …Die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie soll stetig verbessert werden. Dem dienen auch neuere Regelungen im Pflegerecht. Denn aufgrund der demografischen Ent-wicklung werden die Familien immer we-niger mit der Kinderbetreuung belastet – wo es ja schon länger intensive Bemühungen und zahlreiche Verbesserungen bei Kita und Ganztagsschule gibt. Stattdessen kommt es immer häufiger zur Pflege von Eltern oder anderen nahen Angehörigen. Auch hier tut sich einiges, aber die Regelun-gen sind sehr unterschiedlich, um nicht zu sagen verwirrend. Nicht alles gilt für jeden Arbeitgeber, manchmal muss er zahlen, manchmal nicht. Wahrscheinlich bleibt es trotzdem vergleichsweise ruhig, da Mitar-beitnehmer häufig ihre Rechte und An-sprüche gar nicht kennen und deshalb nicht vom Arbeitgeber einfordern.

Dieser Beitrag will ein wenig Licht ins Dunkle bringen und die Ansprüche der Arbeitnehmer deutlich machen.

Manchmal muss es schnell gehen …Mancher Pflegefall kündigt sich nicht an. Ein Schlaganfall, ein Sturz, der zu bleiben-der Behinderung führt – das geht schnell und stellt die betroffenen Angehörigen ganz plötzlich vor massive Probleme: Wo-her eine Pflegekraft bekommen – wenn die Pflege zu Hause überhaupt möglich ist. Sonst muss ein Platz in einer stationä-ren Pflegeeinrichtung gefunden werden. Für die Zwischenzeit wird die Pflege dann häufig direkt von den Angehörigen über-nommen.

Solche Fälle kann man nicht planen. Des-halb gibt es die Pflegeunterstützung, im Volksmund auch Pflegeurlaub genannt. Dieser kann vom Angehörigen ohne vor-herige Ankündigung sofort in Anspruch genommen werden, und zwar bis zu zehn Arbeitstagen. Diese müssen nicht zusam-

menhängend genommen werden, son-dern können bei Bedarf aufgeteilt werden.

Der Arbeitgeber zahlt dafür das Entgelt nicht fort, es sei denn, ein Tarifvertrag sieht eine solche Entgeltfortzahlung vor. Ansonsten kann der Betroffene das soge-nannte Pflegeunterstützungsgeld beantra-gen. Der Antrag wird bei der Pflegekasse der zu pflegenden Person gestellt. Es be-trägt bis zu 90 Prozent des entgangenen Nettoentgelts. Hieraus sind allerdings noch Beiträge zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung zu zahlen. Der Betroffene zahlt nur den Arbeitnehmer-anteil, die Pflegeversicherung übernimmt die andere Hälfte. Kümmern muss sich der Empfänger darum nicht, die Berech-nung übernimmt die Pflegekasse, die auch den Arbeitnehmeranteil einbehält, den Gesamtbeitrag abführt und auch die notwendigen Meldungen zur Rentenver-sicherung erstattet.

Der Pflegeurlaub steht jedem Beschäftig-ten zu, unabhängig von der Größe des Un-ternehmens, in dem er arbeitet.

Und wenn es länger dauert …Während der Pflegeurlaub in erster Linie dazu da ist, die Pflege zu organisieren, dient die Pflegezeit dazu, eine Zeit lang ganz oder teilweise aus dem Job auszu-steigen. Die Pflegezeit kann man in An-spruch nehmen, um selbst einen nahen Angehörigen zu Hause zu pflegen oder einen pflegebedürftigen minderjährigen Angehörigen zu betreuen. Hierfür kann sich der Betroffene bis zu sechs Monate beurlauben lassen oder für diese Dauer in Teilzeit arbeiten. Eine besondere Frist von drei Monaten gilt, wenn der Arbeitnehmer einen nahen Angehörigen in dessen letzter Lebens-phase begleiten möchte.Der Arbeitgeber hat bei der Pflegezeit auf-grund der stärkeren Belastung das Recht

auf frühzeitige Information. Die Freistel-lung muss mindestens zehn Tage vor dem Beginn beim Arbeitgeber beantragt wer-den. Im gegenseitigen Einvernehmen ist natürlich auch eine kürzere Frist möglich. Sowohl auf die völlige Freistellung als auch auf die Teilzeit hat der Beschäftigte einen Rechtsanspruch, allerdings nur bei Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftig-ten.

Um den Verdienstausfall (ganz oder teil-weise) aufzufangen, kann der Pflegende ein zinsloses Darlehen in Anspruch neh-men. Es beträgt maximal die Hälfte des Nettogehaltes, das dem Arbeitnehmer durch die Freistellung entgeht. Ein gerin-gerer Anteil ist möglich. Das Darlehen gibt es beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben – BAFzA. Kontaktdaten unter www.bafza.de.

Wenn auch ein halbes Jahr nicht reicht …Reicht die Pflegezeit nicht aus, so kann die sogenannte Familienpflegezeit in An-spruch genommen werden. Diese kann bis zu zwei Jahre dauern. Hier ist aller-dings eine vollständige Freistellung nicht möglich. Es muss mindestens 15 Stunden wöchentlich gearbeitet werden. Vorausset-zung ist auch hier, dass ein naher Ange-höriger zu Hause gepflegt oder ein pflege-bedürftiger minderjähriger Angehöriger betreut wird.

Wegen der möglichen langen Laufzeit muss dem Arbeitgeber ausreichend Gele-genheit für die Planung gegeben werden. Deshalb ist hier eine Ankündigungsfrist von acht Wochen vorgesehen. Der Kreis der Arbeitgeber, bei denen Anspruch auf die Familienzeit besteht, ist auch kleiner als bei den anderen Freistellungen. Diese Regelung gilt erst ab einer Betriebsgröße von mehr als 25 Beschäftigten.

Die wichtigsten Daten im ÜberblickPflegeunterstützungsgeld Pflegezeit Familienpflegezeit

maximale Dauer zehn Arbeitstage sechs Monate zwei Jahre

Arbeitszeit ohne ohne oder Teilzeit mindestens 15 Wochenstunden

Ankündigungsfrist ohne zehn Tage acht Wochen

Finanzierung Lohnersatzleistung durch Pflegekasse

zinsloses Darlehenauf Antrag

zinsloses Darlehenauf Antrag

Unternehmensgröße alle ab 16 Beschäftigten ab 26 Beschäftigten

Kündigungsschutz ja ja ja

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Journal für das Lohnbüro Januar 2016 | 29Rechtsprechung für Sie aufbereitet

Die Familienpflegezeit kann direkt im An-schluss an die Pflegezeit beginnen, diese wird aber zeitlich angerechnet, so dass insgesamt die Freistellung nur für maxi-mal 24 Monaten möglich ist.

Und das gilt für alle …Wer Pflegeurlaub, Pflegezeit oder Famili-enpflegezeit in Anspruch nimmt, für den gilt ein besonderer Kündigungsschutz. Dieser gilt von der Anmeldung beim Ar-beitgeber bis zum Ende der Freistellungs-zeit. Der Begriff „nahe Angehörige“ ist groß-zügig ausgelegt. Neben den klassischen nahen Verwandten wie Ehegatten, Part-nern einer eingetragenen Partnerschaft, Eltern, Groß- und Schwiegereltern gehö-ren auch Stiefeltern, Schwägerinnen und Schwager sowie Partner in lebenspartner-schafts-ähnlichen Gemeinschaften dazu.Ein Nachweis in Form einer ärztlichen Be-scheinigung oder des Bescheides über die

Pflegestufe des zu pflegenden Angehöri-gen ist grundsätzlich erforderlich.

Neues in der PflegeversicherungDie gesetzliche Pflegeversicherung soll umgebaut und an die aktuellen Bedürf-nisse angepasst werden. Einige Schritte sind bereits getan, weitere folgen. Die Leis-tungen werden modernisiert und an einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff ange-passt. Statt bisher drei wird es künftig fünf Pflegestufen geben. Bei der Beurteilung wird mehr als bisher auf die „Alltagstaug-lichkeit“ abgestellt, Einschränkungen durch Demenz oder psychische Erkran-kungen werden besser berücksichtigt.Die zu zahlenden Pflegegelder werden in vielen Fällen angehoben. Viele Pflegebe-dürftige, die bisher gar keinen Anspruch hatten, werden dann erstmals einer Pfle-gestufe zugeordnet werden können. In ei-nigen Fällen werden die Zahlungsbeträge verringert. Durch die neue Klassifizie-

rung sollen aber Personen, die jetzt schon eine Pflegestufe zuerkannt bekommen ha-ben, nicht schlechter gestellt werden. In-soweit gibt es also eine Besitzstandswah-rung.

Die Absicherung der Pflegepersonen in der Renten- und Arbeitslosenversiche-rung wird verbessert.Zur Finanzierung werden die Pflegebei-träge ab 2017 um 0,2 Prozentpunkte ange-hoben. Sie betragen dann 2,55 Prozent bzw. 2,8 Prozent bei Kinderlosen.

JÜRGEN HEIDEN-REICH Fachautor und Fach-journalist Schwer-punkte: Sozialversicherung und Personalwesen

Rechtsprechung für Sie aufbereitetEntgeltfortzahlungsanspruch bei alkoholbedingter ArbeitsunfähigkeitNach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG hat ein Ar-beitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzah-lung im Krankheitsfall durch den Arbeit-geber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krank-heit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Nach inzwischen allgemeiner Auffassung handelt es sich bei einer Alkoholabhän-gigkeit und den daraus resultierenden Folgen um eine Krankheit im Sinne des EFZG.

Schuldhaft im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG handelt nur der Arbeitnehmer, der in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Inter-esse zu erwartende Verhaltensweise ver-stößt. Dabei ist – anders als bei der Haftung für Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten nach § 277 BGB – von einem objektiven Maßstab auszugehen. Erforderlich ist ein grober oder gröblicher Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Men-schen und damit ein besonders leichtferti-ges oder vorsätzliches Verhalten.

Kein Tatbestandsmerkmal des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist hingegen der Gedanke, dass es unbillig wäre, dem Arbeitgeber vom Arbeitnehmer selbst verschuldete

Entgeltfortzahlungskosten aufzubürden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ent-geltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit nicht nur den Individualinteressen des Arbeitnehmers dient, sondern § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG eine gesetzlich angeordnete Risikoverteilung zwischen Arbeitgeber und Krankenversicherung festlegt. Der Arbeitgeber hat grundsätzlich für den Zeitraum von bis zu sechs Wochen Ent-geltfortzahlung zu leisten. Ohne den ge-gen den Arbeitgeber gerichteten Entgelt-fortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG könnte der Arbeitnehmer von der Krankenkasse die Zahlung von Kranken-geld verlangen. Die Verpflichtung zur Zahlung ruht, solange der Versicherte Zahlungen vom Arbeitgeber erhält (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V).

Aus der sprachlichen Fassung des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG folgt, dass das Risiko der Unaufklärbarkeit der Ursachen einer Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit und eines möglichen Verschuldens des Arbeit-nehmers daran beim Arbeitgeber liegt.Nach diesem Maßstab kann nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkennt-nisse weder aus der Alkoholabhängigkeit selbst noch aus deren Entstehen ein Ver-schulden im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG für damit unmittelbar in Zusam-menhang stehende Arbeitsunfähigkeits-zeiten abgeleitet werden.

Die Rechtsprechung ging zunächst davon aus, dass Trunksucht und deren Folgen nach der Lebenserfahrung jedenfalls in aller Regel selbst verschuldet sind. Mit ei-nem Urteil des BAG aus dem Jahre 1983 wurde diese Auffassung unter Hinweis auf anderslautende wissenschaftliche For-schungsergebnisse aufgegeben und ange-nommen, dass der Arbeitnehmer nach Eintritt der Erkrankung nicht mehr schuldhaft im Sinne der Lohnfortzah-lungsbestimmungen handeln kann. Fest-gehalten wurde allerdings an der schon früher vertretenen Auffassung, dass für die Beurteilung der Verschuldensfrage in Fällen der Alkoholabhängigkeit auf das Verhalten des Arbeitnehmers „zu Beginn des Alkoholmissbrauchs“ bzw. – nach neuer Formulierung – auf das Verhalten vor dem Zeitpunkt abzustellen ist, in dem die als Krankheit zu wertende Alkoholab-hängigkeit eingetreten ist. Bei anderen Er-krankungen lassen sich für die Erfor-schung der Krankheitsursachen keine Beispiele finden. Um eine solche Überprü-fung überhaupt zu ermöglichen, nahm die Rechtsprechung eine Mitwirkungs-pflicht des Arbeitnehmers bei der Suche nach den Gründen seiner Alkoholabhän-gigkeit an, verbunden mit einer entspre-chenden Darlegungslast des Arbeitgebers.Hieran hält das BAG unter Berücksichti-gung des aktuellen Standes der wissen-schaftlichen Forschung zur Entstehung

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30 | Journal für das Lohnbüro Januar 2016 Rechtsprechung für Sie aufbereitet

einer Alkoholabhängigkeit nicht mehr fest. Es kann nach seiner Auffassung we-gen der neuen Erkenntnisse nicht mit der für die Annahme eines Verschuldens im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG erforder-lichen Deutlichkeit festgestellt werden, was im Einzelfall die Ursache für die Al-koholabhängigkeit ist und dass willens-gesteuertes Verhalten des Arbeitnehmers in relevantem Umfang daran einen Anteil hat.

Die Rechtsprechung hat bisher angenom-men, dass der Arbeitnehmer, der eine Ent-ziehungskur mit anschließender Therapie durchgeführt hat, auf die Gefahren des Alkoholgenusses hingewiesen wurde, diese kennt und ermahnt worden ist, in Zukunft jeden Alkoholgenuss zu vermei-den. Werde ein solcher Arbeitnehmer nach erfolgreicher Beendigung der Kur und einer längeren Zeit der Abstinenz dennoch rückfällig, spreche die Lebens-erfahrung dafür, dass er die ihm erteilten dringenden Ratschläge missachtet und sich wieder dem Alkohol zugewandt hat. Ein solches Verhalten begründe im Allge-meinen den Vorwurf eines Verschuldens gegen sich selbst.Nunmehr geht das BAG nach dem Stand der derzeitigen wissenschaftlichen Er-kenntnisse nicht mehr davon aus, dass bei einem Rückfall regelmäßig ein Verschul-den angenommen werden kann, und hält auch insoweit an der bisherigen Recht-sprechung nicht mehr fest. Es schließt al-lerdings nicht aus, dass im Einzelfall ein Verschulden im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG vorliegen kann. Einem entsprechen-den Einwand des Arbeitgebers muss des-halb immer nachgegangen werden.

Behauptet deshalb der Arbeitgeber unter Vortrag entsprechender Anhaltspunkte, dass eine Arbeitsunfähigkeit auf einem verschuldeten Rückfall nach erfolgreich durchgeführter Therapie beruht, muss sich der Arbeitnehmer gemäß § 138 Abs. 2 ZPO hierzu erklären. Bei entsprechendem Beweisangebot hat er sich im Rahmen sei-ner Mitwirkungspflicht einer ärztlichen Begutachtung zur Frage der schuldhaften Herbeiführung des Rückfalls zu unterzie-hen und insoweit eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht vorzuneh-men. Lehnt er dies ab, gilt der Einwand des Arbeitgebers als zugestanden und es ist von einer verschuldeten Arbeitsunfä-higkeit im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG auszugehen. Kennt der Arbeitgeber die Ursachen der Arbeitsunfähigkeit nicht, hat sich der Arbeitnehmer auf eine ent-sprechende Befragung des Arbeitgebers wahrheitsgemäß auch zu der Frage zu äu-ßern, ob ein Rückfall in die Alkoholab-hängigkeit vorliegt. Hingegen besteht kein Fragerecht des Arbeitgebers nach den Gründen des Rückfalls und keine entspre-chende Auskunftspflicht des Arbeitneh-mers. Hat der Arbeitgeber zum Vorliegen eines Rückfalls vorgetragen und Beweis durch Sachverständigengutachten oder gegebenenfalls durch Vernehmung eines sachverständigen Zeugen angeboten, ist dem nachzugehen, soweit nicht durch un-streitigen, medizinisch fundierten Tatsa-chenvortrag die Verschuldensfrage ein-deutig geklärt ist. Bleiben nach der Begutachtung Zweifel, geht dies zu Las-ten des Arbeitgebers.(BAG, Urteil vom 18.03.2015 – 10 AZR 99/14)

Verletzung arbeitsvertraglicher Ne-benpflichten – Untersuchungshaft des ArbeitnehmersGemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeits-verhältnis aus wichtigem Grund ohne Ein-haltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf-grund derer dem Kündigenden unter Be-rücksichtigung aller Umstände des Einzel-falls und bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Ar-beitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Um-stände „an sich“, das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann muss geprüft werden, ob dem Kündigen-den die Fortsetzung des Arbeitsverhältnis-ses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls – jedenfalls bis zum Ab-lauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht.Die Umstände, anhand derer zu beurtei-len ist, ob einem Arbeitgeber die Weiter-beschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichti-gen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkung einer Vertrags-pflichtverletzung – etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Ver-trauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen –, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederho-lungsgefahr sowie die Dauer des Arbeits-verhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündi-gung kommt nur in Betracht, wenn dem Arbeitgeber angesichts der Gesamtum-stände sämtliche milderen Reaktionsmög-lichkeiten unzumutbar sind. Eine außer-ordentliche Kündigung ist unwirksam, wenn schon eine ordentliche Kündigung geeignet war, das Risiko künftiger Störun-gen zu vermeiden.

Auch die Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten ist „an sich“ als wichtiger Grund für eine Kündigung geeignet. Eine Nebenpflicht des Arbeitnehmers be-steht darin, auf die berechtigten Interes-sen des Arbeitgebers Rücksicht zu neh-men (§ 241 Abs. 2 BGB). Diese Pflicht dient dem Schutz und der Förderung des Ver-tragszwecks. Aus ihr leitet sich die allge-meine Pflicht des Arbeitnehmers ab, den Arbeitgeber im Rahmen des Zumutbaren unaufgefordert und rechtzeitig über Um-stände zu informieren, die einer Erfüllung der Arbeitspflicht entgegenstehen. Wird der Arbeitnehmer in Untersuchungshaft

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Ein bitterer Weg, aber nicht das Ende: Die Untersuchungshaft eines Mitarbeiters muss nicht zur Kündigung führen.

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Journal für das Lohnbüro Januar 2016 | 31Rechtsprechung für Sie aufbereitet

genommen, ist er deshalb gehalten, dem Arbeitgeber diesen Umstand unverzüg-lich anzuzeigen und ihn – im Rahmen des Möglichen – über die voraussichtliche Haftdauer in Kenntnis zu setzen. Aus dem berechtigten Planungsinteresse des Ar-beitgebers kann sich zudem die Pflicht des Arbeitnehmers ergeben, über anstehende Haftprüfungstermine Auskunft zu geben.Unschädlich ist, dass die Mitteilungs-pflicht nicht eigens vertraglich oder ge-setzlich bestimmt ist. Informations- und Anzeigepflichten können Arbeitnehmer auch ohne entsprechende Regelung tref-fen. Soweit das Gesetz den Arbeitnehmer in § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG verpflichtet, dem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeit un-verzüglich mitzuteilen, hat der Gesetzge-ber eine sich aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB ohnehin ergebende Informationspflicht nur näher konkretisiert und spezialgesetzlich ausge-staltet.

Ein Verstoß gegen vertragliche Mittei-lungspflichten ist allerdings nicht ohne Weiteres geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Eine frist-lose Kündigung kommt regelmäßig erst dann in Betracht, wenn das Gewicht der Pflichtverletzung durch besondere Um-stände erheblich verstärkt wird. Diese können etwa darin liegen, dass der Ar-beitnehmer seine Pflichten beharrlich ver-letzt oder durch sein Verhalten anderwei-tig deutlich macht, dass er auch in Zukunft nicht bereit sein werde, ihnen nachzukommen.§ 241 Abs. 2 BGB begründet keine generelle Pflicht des Arbeitnehmers, den Arbeitgeber gegebenenfalls – zumal unaufgefordert – darüber zu informieren, in welche Haftan-stalt er verbracht worden ist. Aus § 32 Abs. 1 BDSG folgt nichts anderes. Die Vor-schrift sieht nicht etwa originäre Anzeige-pflichten des Beschäftigten vor. Zwar sind Arbeitnehmer nach entsprechender Auf-forderung gehalten, dem Arbeitgeber die-jenigen Daten zur Verfügung zu stellen, die dieser benötigt, um seine Pflichten zu erfüllen und mögliche Rechte ihnen gegen-über wahrzunehmen. Was seine Erreich-barkeit betrifft, so genügt der Arbeitneh-mer dem aber regelmäßig dadurch, dass er eine Zustellanschrift – etwa seine Wohn-anschrift – benennt, an die rechtsgeschäft-liche Erklärungen übermittelt werden kön-nen. Das gilt auch während der Zeit einer Untersuchungshaft. Der Arbeitnehmer muss einen unter seiner Wohnanschrift be-wirkten Zugang auch in dieser Zeit gegen sich wirken lassen.

Weitergehende Pflichten können entste-hen, wenn der Arbeitnehmer während ei-ner Inhaftierung seine bisherige Woh-nung aufgibt oder ein für ihn eingerichtetes Postfach kündigt. (BAG, Urteil vom 26.03.2015 – 2 AZR 517/14)

Urlaubsgewährung nach fristloser KündigungEs war bisher umstritten, ob der kündi-gende Arbeitgeber Urlaub unter der Be-dingung erteilen kann, dass die ausge-sprochene Kündigung unwirksam ist.Das Bundesarbeitsgericht hat bisher ange-nommen, der Arbeitgeber könne den Ur-laub vorsorglich für den Fall gewähren, dass eine von ihm erklärte ordentliche oder außerordentliche Kündigung das Arbeits-verhältnis nicht auflöst. Der Bestand des Ar-beitsverhältnisses als solcher werde durch eine Kündigung nicht berührt. Mit der Kün-digung mache der Arbeitgeber lediglich gel-tend, er gehe davon aus, das Arbeitsverhält-nis werde zu dem von ihm bestimmten Zeitpunkt enden. Er „behaupte“ eine Been-digung. Dem entspreche, dass der Arbeit-geber einem Arbeitnehmer, der während eines Kündigungsschutzrechtsstreits Ur-laub verlangt, Urlaub zu gewähren habe. Die vorsorgliche Urlaubsgewährung liege im wohlverstandenen Eigeninteresse des Arbeitgebers, um die Kumulation von An-nahmeverzugs- und Urlaubsabgeltungsan-sprüchen zu verhindern. Dem stehe nicht entgegen, dass bis zur rechtskräftigen Ent-scheidung über den Kündigungsschutz-rechtsstreit offen sei, ob der Arbeitgeber Ur-laubsentgelt oder Urlaubsabgeltung schulde. Der Urlaubsanspruch sei kein sogenannter Einheitsanspruch. Er richte sich auf die Be-freiung von der Arbeitspflicht. Der An-spruch auf Arbeitsentgelt werde dadurch nicht berührt. Ist das Arbeitsverhältnis auf-grund der Kündigung beendet, sei der Ur-laub abzugelten.

Diese Auffassung, die sowohl in der Rechtsprechung als auch in der arbeits-rechtlichen Literatur auf Kritik gestoßen ist, hat das BAG, vor allem im Hinblick auf die Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie durch den Europäischen Gerichtshof, jetzt modifiziert.

Danach bedarf es zur Erfüllung des Ur-laubsanspruchs einer Freistellungserklä-rung des Arbeitgebers. Diese ist nur geeig-net, das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu bewirken, wenn der Arbeitnehmer er-kennen muss, dass der Arbeitgeber ihn zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungs-urlaub von der Arbeitspflicht freistellen

will. Andernfalls ist nicht feststellbar, ob der Arbeitgeber als Schuldner des Ur-laubsanspruchs eine Erfüllungshandlung bewirken (§ 362 Abs. 1 BGB), den Beschäf-tigungsanspruch des Arbeitnehmers z. B. zur besseren Wahrung von Geschäftsge-heimnissen ausschließen oder aus sonsti-gen Gründen als Gläubiger der Arbeitsleis-tung auf deren Annahme mit den in § 615 BGB bezeichneten Folgen verzichten will. Das kann auch dadurch geschehen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei-stellt. Notwendig ist allerdings stets die endgültige Befreiung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht. Die unter dem Vor-behalt des Widerrufs stehende Befreiung erfüllt daher den Urlaubsanspruch nicht.Darüber hinaus ist der Urlaubsanspruch nach dem Bundesurlaubsgesetz nicht al-lein auf die Freistellung von der Arbeits-leistung gerichtet. Nach § 1 BUrlG hat je-der Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Zur Erfüllung dieses Anspruchs genügt es daher nicht, dass der Arbeitnehmer in der Zeit des Urlaubs nicht arbeiten muss. Durch das Erfordernis der Zahlung des Urlaubsentgelts soll der Arbeitnehmer während des Jahresurlaubs in eine Lage versetzt werden, die in Bezug auf das Ent-gelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit ver-gleichbar ist.

Aus dem Anspruch auf bezahlten Erho-lungsurlaub folgt jedoch, dass dem Ar-beitnehmer im Zeitpunkt der Inanspruch-nahme des Urlaubs ein Anspruch auf Vergütung sicher sein muss. Dazu genügt es nicht, wenn ihm zu irgendeinem spä-teren Zeitpunkt nach der rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigungs-schutzklage ein Anspruch auf Urlaubsver-gütung zuerkannt wird. Der Arbeitneh-mer ist in unzumutbarer Weise in seiner Urlaubsgestaltung eingeschränkt, wenn er bei Urlaubsantritt nicht weiß, ob ihm Urlaubsentgelt gezahlt wird. Mit dem An-spruch auf bezahlten Jahresurlaub wird bezweckt, es dem Arbeitnehmer zu er-möglichen, sich zu erholen und über ei-nen Zeitraum für Entspannung und Frei-zeit zu verfügen. Dieser Zweck kann typischerweise nur dann erreicht werden, wenn der Arbeitnehmer während des Zeitraums weiß, dass er in Bezug auf das Entgelt in eine Lage versetzt ist, die mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist.(BAG, Urteil vom 10.02.2015 – 9 AZR 455/13)

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32 | Journal für das Lohnbüro Januar 2016 Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst

Observation eines Arbeitnehmers durch einen Detektiv mit heimli-chen VideoaufnahmenDas durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleis-tete allgemeine Persönlichkeitsrecht ist im Privatrechtsverkehr und insbesondere auch im Arbeitsverhältnis zu beachten. Ein auf § 823 Abs. 1 BGB gestützter An-spruch auf Geldentschädigung wegen ei-ner schweren Persönlichkeitsrechtsverlet-zung – nur eine solche kommt dafür in Betracht – setzt voraus, dass die Beein-trächtigung nicht auf andere Weise befrie-digend ausgeglichen werden kann. Die Zubilligung einer Geldentschädigung im Fall einer schweren Persönlichkeitsrechts-verletzung beruht auf dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch Verlet-zungen der Würde und Ehre des Men-schen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Per-sönlichkeit verkümmern würde. Bei die-ser Entschädigung steht – anders als beim Schmerzensgeld – regelmäßig der Ge-sichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund. Außerdem soll sie der Prävention dienen.Soweit das BDSG eingreift, stellt die Scha-densersatzregelung in § 7 BDSG keine aus-schließliche Regelung dar, sie verdrängt den auf § 823 Abs. 1 BGB gestützten An-spruch auf Geldentschädigung wegen ei-ner schweren Persönlichkeitsrechtsverlet-zung nicht.

Ob eine so schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, dass die Zahlung einer Geldentschädigung er-

forderlich ist, kann nur aufgrund der ge-samten Umstände des Einzelfalls beur-teilt werden. Hierbei sind in gebotener Gesamtwürdigung insbesondere die Be-deutung und Tragweite des Eingriffs, fer-ner Anlass und Beweggrund des Han-delnden sowie der Grad des Verschuldens zu berücksichtigen.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht um-fasst neben dem Recht am gesprochenen Wort auch das Recht am eigenen Bild. Es gehört zum Selbstbestimmungsrecht ei-nes jeden Menschen, darüber zu entschei-den, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise verwendet werden dürfen. Die Verwertung von personenbe-zogenen Daten greift in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung per-sönlicher Daten zu befinden.Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 BDSG dürfen perso-nenbezogene Daten eines Beschäftigten zur Aufdeckung von Straftaten – in Betracht kommt hier u. a. die Verschaffung eines rechtswidrigen Vermögensvorteils durch Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit (§ 263 StGB) – nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäf-tigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nut-zung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäf-tigten an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick

auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind. Nach § 3 Abs. 1 BDSG sind personen-bezogene Daten Einzelangaben über per-sönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürli-chen Person (Betroffener). Erheben ist das Beschaffen von Daten über den Betroffenen, § 3 Abs. 3 BDSG.

Durch Privatdetektive erhobene Daten, die bestimmte oder bestimmbare natürli-che Personen betreffen, sind personenbe-zogene Daten i. S. v. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG. Ihre Erhebung, Aufbewahrung und Übermittlung durch einen Auftrag-geber oder durch Privatdetektive, die auf eigene Rechnung handeln, ist eine „Ver-arbeitung personenbezogener Daten“. Im Hinblick auf das Vortäuschen einer Ar-beitsunfähigkeit als überwachungsrecht-fertigende Straftat müssen angesichts des hohen Beweiswerts einer ärztlichen Ar-beitsunfähigkeitsbescheinigung zumin-dest begründete Zweifel an der Richtig-keit dieser ärztlichen Bescheinigung aufgezeigt werden, um den Beweiswert der Bescheinigung zu erschüttern.(BAG, Urteil vom 19.02.2015 – 8 AZR 1007/13)

DR. JUR. HANS-OTTO BLAESER Köln

Arbeitsrecht im öffentlichen DienstIn dieser Rubrik werden aktuelle Entscheidungen des BAG, die für den Bereich des öffentlichen Dienstes relevant sind, mit ihren Orientierungssätzen/Leitsätzen bzw. den dazu vorab veröffent-lichten Pressemitteilungen dargestellt.

Urlaubsdauer bei kurzfristiger Unterbrechung des Arbeitsverhält-nissesAuszüge aus der Pressemitteilung Nr. 47/15 zum Urteil des BAG vom 20.10.2015 – 9 AZR 224/14 –:

Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht nach § 7 Abs. 4 BUrlG ein An-spruch auf Abgeltung des wegen der Be-endigung nicht erfüllten Anspruchs auf Urlaub. Wird danach ein neues Arbeits-verhältnis mit demselben Arbeitgeber be-gründet, ist dies in der Regel urlaubs-

rechtlich eigenständig zu behandeln. Der volle Urlaubsanspruch wird erst nach (er-neuter) Erfüllung der Wartezeit des § 4 BUrlG erworben. Der Teilurlaub gemäß § 5 BUrlG berechnet sich grundsätzlich ei-genständig für jedes Arbeitsverhältnis.

Jedenfalls in den Fällen, in denen auf-grund vereinbarter Fortsetzung des Ar-beitsverhältnisses bereits vor Beendigung des ersten Arbeitsverhältnisses feststeht, dass es nur für eine kurze Zeit unterbro-chen wird, entsteht ein Anspruch auf un-gekürzten Vollurlaub, wenn das zweite

Arbeitsverhältnis nach erfüllter Wartezeit in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres endet.

AGG-Diskriminierung eines Bewer-bers; Status als Bewerber; Rechts-missbrauchAnschließend die Orientierungssätze des Beschlusses des BAG vom 18.06.2015 – 8 AZR 848/13 (A) –:

1. Nach deutschem Recht ist derjenige nicht Bewerber nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG und damit nicht Beschäftigter i. S. d. § 7

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Journal für das Lohnbüro Januar 2016 | 33Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst

Abs. 1 AGG, der nicht eine Einstellung oder Beschäftigung anstrebt, sondern die Bewerbung nur abgibt, um den (formel-len) Status als Bewerber zu erlangen.

2. Ob eine solche rein formale oder auch Scheinbewerbung vorliegt, kann sich aus den Umständen der Bewerbung, insbe-sondere dem Bewerbungsschreiben, erge-ben.

3. Die einschlägigen Richtlinien des Uni-onsrechts schützen allerdings nicht „Be-werber/Bewerberinnen“, sondern diejeni-gen, die „Zugang zur Beschäftigung“ oder „zu abhängiger Erwerbstätigkeit“ suchen. Ob das Unionsrecht dafür das Vorliegen einer eingereichten formalen Bewerbung ausreichen lässt oder ob ernst-hafter Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit gesucht wer-den muss, ist eine Frage der Auslegung, die allein dem Gerichtshof der Europäi-schen Union vorbehalten ist.

4. Hilfsweise hat der Senat die Frage ge-stellt, ob bei Schutz auch der nur formalen Bewerber ihr Vorgehen im Einzelfall nach Unionsrecht als rechtsmissbräuchlich be-urteilt werden könnte.Verhältnis zu bisheriger Rechtsprechung: Fortsetzung der Vorlagepraxis des Senats zu Art. 267 AEUV, wonach Fragen, die in Europa einheitlich gehandhabt werden müssen, stets der Vorlage bedürfen.

Befristung; Vertretung; Rechts-missbrauchOrientierungssätze des Urteils des BAG vom 29.04.2015 – 7 AZR 310/13 –:1. Ein die Befristung eines Arbeitsvertrags rechtfertigender sachlicher Grund liegt nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG vor,

wenn der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird. Der Sachgrund der Vertretung wird durch § 21 Abs. 1 BEEG konkretisiert. Diese Regelung, die dem sozialpolitischen Zweck dient, die Vereinbarkeit von Fami-lie und Beruf zu verbessern, stellt klar, dass der Arbeitgeber Ausfallzeiten, die durch Mutterschutz, Elternzeit und Son-derurlaub zur Kinderbetreuung bedingt sind, durch die befristete Einstellung ei-ner Vertretungskraft überbrücken kann.

2. Der Sachgrund der Vertretung setzt eine Prognose über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs durch die Rückkehr des zu vertretenden Mitarbei-ters voraus. Entsteht der Vertretungsbe-darf durch Krankheit, Urlaub oder Frei-stellung, kann der Arbeitgeber regelmäßig damit rechnen, dass der zu vertretende Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten künftig wieder erfüllen wird, es sei denn, dass er dem Arbeitgeber bereits vor dem Abschluss des befristeten Ar-beitsvertrags mit dem Vertreter verbind-lich erklärt hat, er werde die Arbeit nicht wieder aufnehmen. Dies gilt auch dann, wenn der Vertreter bereits längere Zeit auf der Grundlage befristeter Arbeitsverträge zur Vertretung desselben Arbeitnehmers beschäftigt wurde. Die Anforderungen an die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses anzustellende Prognose sind nicht mit zu-nehmender Anzahl der befristeten Ar-beitsverträge zu verschärfen.

3. Die Gerichte dürfen sich bei der Befris-tungskontrolle nach § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG nicht auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrunds der Vertretung beschränken. Sie sind vielmehr aus uni-onsrechtlichen Gründen verpflichtet, alle

Umstände des Einzelfalls und dabei na-mentlich die Gesamtdauer und die Zahl der mit derselben Person zur Verrichtung der gleichen Arbeit geschlossenen aufei-nanderfolgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen, um auszuschließen, dass Arbeitgeber rechtsmissbräuchlich auf be-fristete Arbeitsverträge zurückgreifen.

4. Ein Gestaltungsmissbrauch ist indiziert, wenn die in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG für die sachgrundlose Befristung bestimmte Befristungshöchstdauer und Anzahl der Vertragsverlängerungen um ein Vielfa-ches überschritten werden. In einem sol-chen Fall kann der Arbeitgeber durch Dar-legung besonderer Umstände die Annahme des Gestaltungsmissbrauchs widerlegen.

5. Ein Gestaltungsmissbrauch kann wider-legt sein, wenn ein Arbeitnehmer 15 Jahre lang aufgrund von zehn Arbeitsverträgen befristet beschäftigt wurde zur unmittel-baren Vertretung einer durch Mutter-schutz, Elternzeit und Sonderurlaub zur Kinderbetreuung verhinderten Arbeit-nehmerin auf deren Arbeitsplatz, der bei dem Arbeitgeber nur einmal vorhanden ist (hier: stellvertretende Küchenleiterin der einzigen vom Arbeitgeber betriebenen Küche, in der 5,2 Vollzeitarbeitnehmer be-schäftigt sind).

Schmerzensgeld und Schadenser-satz im BerufsausbildungsverhältnisDies sind die Orientierungssätze des Urteils des BAG vom 19.03.2015 – 8 AZR 67/14 –:1. Auszubildende, die durch ihr Verhalten bei einem Beschäftigten desselben Be-triebs einen Schaden verursachen, haften nach den gleichen Regeln wie andere Ar-beitnehmer.

2. Entscheidend für das Vorliegen einer „betrieblichen Tätigkeit“ und das Eingrei-fen des Haftungsausschlusses i. S. v. § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ist die Verursachung des Schadensereignisses durch eine Tä-tigkeit des Schädigers, die ihm von dem Betrieb oder für den Betrieb, in dem sich der Unfall ereignet hat, übertragen war oder die von ihm im Betriebsinteresse er-bracht wurde.

3. Nicht jede Tätigkeit im Betrieb des Ar-beitgebers muss zwingend eine betriebs-bezogene sein. Ebenso wenig führt bereits die Benutzung eines Betriebsmittels zur Annahme einer betrieblichen Tätigkeit. Es kommt darauf an, zu welchem Zweck die zum Schadensereignis führende Hand-lung bestimmt war.

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Auf die Plätze, fertig, Rechtsprechung: Die Beachtung der umfassenden BAG-Rechtsprechung ist Leistungssport.

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4. Ein Schaden, der nicht in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit verur-sacht wird, sondern nur bei Gelegenheit der Tätigkeit im Betrieb, ist dem persön-lich-privaten Bereich des schädigenden Arbeitnehmers zuzurechnen.

5. Verhaltensweisen, die zu den Besonder-heiten des Schulbetriebs gehören, wie Spielereien, Neckereien und Raufereien, machen im betrieblichen Umfeld gerade keine „betriebliche Tätigkeit“ aus, son-dern führen zur Einordnung in den per-sönlich-privaten Bereich.

6. Das Haftungsprivileg des Arbeitneh-mers und die Vorschrift des § 828 Abs. 3 BGB reichen aus, um den Besonderheiten des Ausbildungsverhältnisses im Betrieb Rechnung zu tragen und Auszubildende ausreichend zu schützen.

Entgeltfortzahlung bei Arbeitsun-fähigkeit; Verschulden; langjährige Alkoholabhängigkeit; RückfallAnschließend die Orientierungssätze des Urteils des BAG vom 18.03.2015 – 10 AZR 99/14 –:1. Beim Verschulden i. S. v. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG handelt es sich um ein Verschulden gegen sich selbst. Schuldhaft i. d. S. handelt nur der Arbeitnehmer, der in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwar-tende Verhaltensweise verstößt. Dabei ist von einem objektiven Maßstab auszugehen.

2. Nach dem aktuellen Stand der wissen-schaftlichen Erkenntnisse kann wegen der multifaktoriellen Genese nicht da-von ausgegangen werden, dass das Ent-stehen einer Alkoholabhängigkeit ver-schuldet i. S. v. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist.

3. Auch bei einem Rückfall nach einer er-folgreich durchgeführten Therapie wird es regelmäßig an einem solchen Verschul-den fehlen. Es gibt allerdings keine gesi-cherten wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass ein Rückfall nicht auch schuldhaft i. S. v. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG durch den Arbeitnehmer herbeigeführt worden sein kann.

4. Die Klärung der Frage des Verschuldens in einem solchen Fall wird regelmäßig nur durch Einholung eines Sachverständigen-gutachtens oder Vernehmung eines sach-verständigen Zeugen erfolgen können. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, sich ei-ner solchen Begutachtung zur Frage sei-nes möglichen Verschuldens an dem Rückfall zu unterziehen und eine entspre-

chende Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht vorzunehmen.

Befristung; Verlängerung sach-grundlos befristeter Verträge; tarif-liche RegelungOrientierungssätze des Urteils des BAG vom 18.03.2015 – 7 AZR 272/13 –:

1. Nach § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG können durch Tarifvertrag nicht nur entweder die Höchstdauer der Befristung oder die An-zahl der Verlängerungen sachgrundlos befristeter Arbeitsverträge, sondern ku-mulativ beide Vorgaben abweichend von § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG geregelt werden.

2. Diese Dispositionsbefugnis der Tarif-vertragsparteien ist zwar im Hinblick auf den systematischen Gesamtzusammen-hang und den Zweck des TzBfG sowie aus verfassungs- und unionsrechtlichen Gründen nicht unbegrenzt. Eine tarifver-tragliche Regelung, die die zulässige Höchstdauer sachgrundlos befristeter Ar-beitsverhältnisse auf 48 Monate und die Anzahl der zulässigen Verlängerungen auf sechs festlegt, ist jedoch wirksam.

Befristung; sonstiger Sachgrund; geplante Besetzung des Arbeits-platzes mit einem Auszubildenden nach Abschluss der Ausbildung; ta-rifvertragliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur Übernahme von Auszubildenden in befristete Ar-beitsverhältnisse nach Abschluss der AusbildungDie Orientierungssätze des Urteils des BAG vom 18.03.2015 – 7 AZR 115/13 – lau-ten:

1. Die beabsichtigte Besetzung eines Ar-beitsplatzes mit einem Auszubildenden nach Abschluss der Ausbildung kann als sonstiger, in § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 8 TzBfG nicht ausdrücklich genannter Sach-grund geeignet sein, die Befristung des Arbeitsvertrags mit einem anderen Ar-beitnehmer bis zu diesem Zeitpunkt nach § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG zu rechtfertigen.

2. Ist ein Arbeitgeber aufgrund eines Ta-rifvertrags verpflichtet, einen Auszubil-denden nach Abschluss seiner Ausbil-dung in ein befristetes Arbeitsverhältnis zu übernehmen, besteht ein berechtigtes Interesse an der befristeten Beschäftigung eines anderen Arbeitnehmers bis zum Zeitpunkt der Übernahme des Auszubil-denden nur dann, wenn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem anderen Ar-beitnehmer die Prognose gerechtfertigt

ist, dass der Auszubildende nach Ab-schluss seiner Ausbildung nicht auf ei-nem Arbeitsplatz beschäftigt werden kann, der aufgrund des Ausscheidens ei-nes früher nach dem Tarifvertrag in ein befristetes Arbeitsverhältnis übernomme-nen Auszubildenden voraussichtlich frei wird.

3. Die Befristung eines Arbeitsvertrags we-gen der beabsichtigten Besetzung des Ar-beitsplatzes mit einem Auszubildenden nach Abschluss der Ausbildung setzt nicht voraus, dass bei Abschluss des Arbeitsver-trags eine namentliche Zuordnung des be-fristet beschäftigten Arbeitnehmers zu ei-nem bestimmten Auszubildenden vorgenommen wird. Es muss allerdings ge-währleistet sein, dass zwischen der Beschäf-tigung des befristet eingestellten Arbeitneh-mers und der beabsichtigten Übernahme des Auszubildenden ein Kausalzusammen-hang besteht. Hat der Arbeitgeber die Ar-beitsverhältnisse mehrerer Arbeitnehmer im Hinblick auf die beabsichtigte Über-nahme von mehreren Auszubildenden be-fristet, besteht der erforderliche Kausalzu-sammenhang, wenn die Zahl der Arbeitnehmer, die er im Hinblick auf die Übernahme der Auszubildenden befristet beschäftigt, die Zahl der Auszubildenden, mit deren Übernahme zu rechnen ist, nicht übersteigt.

Angewandte Bestimmungen:§ 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 TzBfG; § 25 des Ta-rifvertrags zur Regelung der Rechtsver-hältnisse der Nachwuchskräfte der Bun-desagentur für Arbeit (TVN-BA); § 33 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 des Tarifvertrags für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer der Bundesagentur für Arbeit (TV-BA).

Aufhebungsvertrag; Klageverzicht; Rechtsfolge; AGB-Kontrolle; Kont-rollfähigkeit; Nebenabrede; tarifli-ches Widerrufsrecht; Ausüben des WiderrufsrechtsIm Anschluss die Orientierungssätze des Urteils des BAG vom 12.03.2015 – 6 AZR 82/14 –:

1. Die vertragliche Verpflichtung, eine be-stimmte Klage nicht zu erheben, ist wirksam, sofern die Vereinbarung nicht gegen ein ge-setzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt. Wird gleichwohl Klage erhoben, ist diese als unzulässig abzuweisen.

2. Klauseln eines Aufhebungsvertrags, die nicht im Synallagma stehen, sondern die übrigen, im Zusammenhang mit der Be-endigung des Arbeitsverhältnisses rege-

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Journal für das Lohnbüro Januar 2016 | 35Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst

lungsbedürftigen Fragen betreffen, unter-liegen als Nebenabreden in vollem Umfang der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB, wobei allerdings die Besonderheiten des Arbeitsrechts zu berücksichtigen sind. Ein Klageverzicht in einem Aufhebungs-vertrag ist nach diesem Maßstab eine kon-trollfähige Nebenabrede.

3. Ein formularmäßiger Verzicht auf eine Klage gegen einen Aufhebungsvertrag, der zur Vermeidung einer vom Arbeitge-ber angedrohten außerordentlichen Kün-digung geschlossen wird, ist mit dem ge-setzlichen Leitbild nur zu vereinbaren, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung ernsthaft in Erwägung ziehen durfte und die Drohung deshalb nicht widerrechtlich ist. Andernfalls be-nachteiligt der Verzicht den Arbeitnehmer unangemessen i. S. v. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.

4. § 11 Abs. 10 MTV enthält ein verzicht-bares Widerrufsrecht.

5. Die Anfechtung einer Willenserklärung und der Widerruf einer auf den Abschluss eines Vertrags gerichteten Willenserklä-rung sind unterschiedliche rechtsgestal-tende Erklärungen, die unterschiedlichen Voraussetzungen unterliegen und unter-schiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehen.

Deswegen genügt zur Ausübung des Wi-derrufs keine Erklärung, die lediglich er-kennen lässt, dass der Erklärende an den Vertrag nicht mehr gebunden sein will. Er-forderlich ist, dass hinreichend deutlich wird, dass der Vertrag gerade wegen des Widerrufs nicht geltend soll.

6. Rechtskundige sind bei den von ihnen abgegebenen Erklärungen grundsätzlich beim Wort zu nehmen.

Anmerkung: Der 4. Orientierungssatz be-zieht sich auf den Manteltarifvertrag für den Einzelhandel Nordrhein-Westfalen vom 25.07.2008 in der Fassung des Ergän-zungs-TV vom 29.07.2011 § 11 Abs. 10.

Personen- und betriebsbedingte Kündigung; anderweitiger freier ArbeitsplatzDie Orientierungssätze des Urteils des BAG vom 29.08.2013 – 2 AZR 721/12 – lau-ten:

1. Eine Kündigung ist nur dann durch in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe oder dringende betriebliche Er-fordernisse bedingt, wenn der Arbeitge-ber keine Möglichkeit hat, den Arbeitneh-mer nach Maßgabe des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b KSchG anderweitig zu be-schäftigen. Dies setzt voraus, dass ein

freier Arbeitsplatz zu vergleichbaren (gleichwertigen) oder zu geänderten (schlechteren) Arbeitsbedingungen vor-handen ist.

2. Für das Fehlen einer anderweitigen Be-schäftigungsmöglichkeit ist gem. § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG der Arbeitgeber dar-legungs- und beweispflichtig. Dabei gilt eine abgestufte Darlegungslast. Bestreitet der Arbeitnehmer lediglich den Wegfall seines bisherigen Arbeitsplatzes, genügt der Vortrag des Arbeitgebers, wegen der betrieblichen Notwendigkeiten sei eine Weiterbeschäftigung zu den gleichen Be-dingungen nicht möglich. Macht der Ar-beitnehmer geltend, es sei eine Beschäfti-gung an anderer Stelle möglich, obliegt es ihm darzulegen, wie er sich seine ander-weitige Beschäftigung vorstellt. Erst dar-aufhin muss der Arbeitgeber eingehend erläutern, aus welchen Gründen eine sol-che Beschäftigung nicht möglich war.

CLAUDIA CZINGON alga-Competence-CenterRichterin am Arbeitsgericht Zwickau

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