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TU Braunschweig – Institut für Rechtswissenschaften Entwicklungsperspektiven im Gesundheitswesen: Chancen einer Veränderung RATUBS Nr. 3/2012 Jürgen Peter / Sveja Eberhard

Jürgen Peter / Sveja Eberhard - tu-braunschweig.de · und Wirtschaftskrise senkte die Regierung zum 1. Juli 2009 den allgemeinen Beitragssatz von 15,5 Prozent um 0,6 auf 14,9 Prozent

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TU Braunschweig – Institut für Rechtswissenschaften

Entwicklungsperspektiven im

Gesundheitswesen:

Chancen einer Veränderung

RATUBS Nr. 3/2012

Jürgen Peter / Sveja Eberhard

RATUBS 3/2012

Jürgen Peter/Sveja Eberhard

Entwicklungsperspektiven im Gesundheitswesen: Chancen einer

Veränderung

TU Braunschweig – Institut für Rechtswissenschaften

Entwicklungsperspektiven im

Gesundheitswesen:

Chancen einer Veränderung

RATUBS Nr. 3/2012

Jürgen Peter/Sveja Eberhard

Technische Universität Braunschweig

Carl-Friedrich-Gauß-Fakultät

Institut für Rechtswissenschaften

ISSN 2190-5606

(Rechtswissenschaftliche Arbeitspapiere der TU Braunschweig - RATUBS Nr. 3/2012)

[Printausgabe]

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Informationen sind im Internet über http://dnb.ddb.de/ abrufbar

Inhaltsverzeichnis

1. Prolog ............................................................................................................................................. 1

2. Strategische Analyse der Rahmenbedingungen ............................................................................. 5

2.1 Umfeldanalyse.............................................................................................................................. 5

2.1.1 Demographischer Wandel ................................................................................................ 6

2.1.2 Medizinisch-technischer Fortschritt ................................................................................. 8

2.2 Stärken und Schwächen ............................................................................................................. 11

2.3 Strategisches Verhalten und Veränderungsmöglichkeiten ......................................................... 16

3. Lösungsansätze ............................................................................................................................ 18

3.1 Umgang mit begrenzten Ressourcen .......................................................................................... 19

3.2 Umsetzung sektorübergreifender Modelle ................................................................................. 23

4. Zusammenfassung und Fazit ........................................................................................................ 26

Literaturverzeichnis.......................................................................................................................... 28

RATUBS 3/2012 Entwicklungsperspektiven im Gesundheitswesen: Chancen einer Veränderung

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1. Prolog∗∗∗∗

“Das Leben kann nur in der Schau nach

rückwärts verstanden, aber nur in der

Schau nach vorwärts gelebt werden.”

(Soeren Kierkegaard)

Im Januar 2012 hatte der Bundesverband für Managed Care auf seinen Jahreskongress in

Berlin zu einem Vortrag mit dem Titel: „Wie wird sich das deutsche Gesundheitssystem und

die Versorgung bis 2020 verändern?“ eingeladen. Bis 2020 sind es heute noch acht Jahre –

wirklich eine lange Zeit? Perspektivisch wirkt ein Punkt in der Zukunft ja oft ferner, als es

bei der Rückschau in die Vergangenheit der Fall ist. Gehen wir zum Vergleich zunächst

einmal acht Jahre zurück.

2004 trat mit dem Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung unter

Ulla Schmidt (SPD) eine der umfangreicheren Gesundheitsreformen in Kraft. Die damalige

Regierung erhöhte die Eigenbeteiligung der Patienten, wobei Belastungsgrenzen berück-

sichtigt wurden. Eingeführt wurden u.a. 10 Euro Praxisgebühr pro Quartal, für Arznei- und

Hilfsmittel wurde eine zehnprozentige Zuzahlung fällig und pro Krankenhaustag 10 Euro.

Durch die Einführung eines Sonderbeitrages für Mitglieder von 0,9 Prozent wurde die pari-

tätische Finanzierung in der Gesetzlichen Krankenversicherung verlassen. Politisches Ziel

war es, die Lohnzusatzkosten zu senken, was im Zuge der Agenda 2010 die Wettbewerbsfä-

higkeit der deutschen Wirtschaft erhöhen sollte. Parallel dazu wurde die Vergütungssyste-

matik im Krankenhausbereich von tagesgleichen Pflegesätzen auf Fallpauschalen (DRGs1)

umgestellt.

Die Reform konnte jedoch die systemimmanente Dynamik auf der Ausgabenseite der Ge-

setzlichen Krankenversicherungen vor allem in den drei größten Kostenblöcken nicht brem-

sen, den Ausgaben für Krankenhäuser, Arzneimittel und für die ambulante ärztliche Versor-

gung. Somit öffnete sich die Schere zwischen den Beitragseinnahmen, die sich an der

Grundlohnsummenentwicklung anlehnen, und den Ausgaben weiter. Als Folge mussten die

Beitragssätze nach oben angepasst werden.

Die nächste Gesundheitsreform 2007 unter der von Angela Merkel (CDU) geführten großen

Koalition führte dazu, dass den Krankenkassen die Beitragsautonomie entzogen wurde und

der allgemeine Beitragssatz seitdem per Rechtsverordnung festgelegt wird. Durch die Ein-

∗ Für den Druck überarbeitete und erweiterte Fassung des am 6. März 2012 gehaltenen Vortrags von Dr. Jürgen Peter,

Vorstandsvorsitzender der AOK – Die Gesundheitskasse für Niedersachsen, zum Fünften Fachgespräch des Instituts für Rechtswissenschaften an der Technischen Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig.

1 DRGs = Diagnosis Related Groups. Ziel der Einführung des neuen Entgeltsystems war es, im stationären Sektor mehr Transparenz, Wirtschaftlichkeit und Qualität zu schaffen. BMG 2001.

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führung des Gesundheitsfonds und des einheitlichen Beitragssatzes ab dem 1. Januar 2009

zusammen mit dem Morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA), der den

Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen stärker nach der Morbidität ihrer Versicher-

ten ausrichtet, wurde das System der Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung

(GKV) grundlegend verändert. Übersteigen die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds

seitdem die Ausgaben, so können Krankenkassen Prämienrückzahlungen an ihre Mitglieder

vornehmen bzw. bei Unterdeckung müssen sie Zusatzbeiträge erheben. Parallel dazu trat die

Insolvenzfähigkeit aller gesetzlichen Krankenkassen in Kraft. Zur Finanzierung versiche-

rungsfremder Leistungen wurde ein jährlich steigender Steuerzuschuss für den Gesundheits-

fonds vorgesehen.

Unmittelbar vor der Bundestagswahl im September und während der andauernden Finanz-

und Wirtschaftskrise senkte die Regierung zum 1. Juli 2009 den allgemeinen Beitragssatz

von 15,5 Prozent um 0,6 auf 14,9 Prozent. Nach der Bundestagswahl und der Bildung einer

schwarz-gelben Regierungskoalition stand das unter Philipp Rösler (FDP) geführte Gesund-

heitsministerium dann vor der Situation, dass der Gesundheitsfonds zum 1. Januar 2011 ein

Defizit von 10 Mrd. aufwies.

Neben dem Ausgabenwachstum und den krisenbedingten Einnahmeausfällen wurde dieses

Defizit zum Großteil (6 Mrd. Euro) durch die 0,6 prozentige Beitragssatzsenkung vor der

Bundestagswahl mit verursacht. Mit Inkrafttreten der nächsten Gesundheitsreform 2011, die

aufgrund der Fondslücke wieder vorrangig eine kurzfristige Finanzierungsreform werden

musste, wurde der allgemeine Beitragssatz wieder auf das Niveau von 2009 angehoben und

parallel dazu ein Sparpaket für Arzneimittel, Krankenhäuser, Ärzte und Krankenkassen

verabschiedet, welches das restliche Defizit decken sollte. Einige Krankenkassen mussten

zwischenzeitlich kleine Zusatzbeiträge von in der Regel 8 Euro erheben, um wirtschaftliche

Engpässe in Ihren Kassen auszugleichen.

Nachdem die Abschlüsse des 4. Quartals 2011 der gesetzlichen Krankenkassen Anfang

2012 bekannte wurden, wurde deutlich, dass die Maßnahmen zur Kostendämpfung vor al-

lem im Arzneimittelbereich und auch in den anderen Leistungsbereichen erfolgreich waren.

Parallel waren die Beitragseinnahmen leicht angestiegen, da sich die Konjunktur besser als

erwartet entwickelt hatte. Der Gesundheitsfonds verzeichnete einen Überschuss von 9,5

Mrd. Euro, von dem allerdings 3,1 Mrd. als Liquiditätsreserve und 2 Mrd. für einen potenzi-

ellen Sozialausgleich zweckgebunden sind. Unabhängig davon verfügten bzw. verfügen die

Krankenkassen über Vermögensreserven von insgesamt rund 10 Mrd. Euro, die jedoch sehr

unterschiedlich auf die einzelnen Kassen verteilt sind.

Diese Reserven wecken Begehrlichkeiten. Der gefüllte Gesundheitsfonds und das Vermö-

gen der Kassen geraten ab Februar 2012 in den Fokus der öffentlichen und politischen Dis-

kussion. Der Spielraum für Beitragssatzsenkungen aus dem Gesundheitsfonds, der insge-

samt über 180 Milliarden Euro umfasst, läge rein rechnerisch bei 0,4 Prozent. In der politi-

schen Debatte wird über 0,1 Prozent Beitragssatzsenkung (das wären ca. 1,91 Euro pro Mit-

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glied) nachgedacht, größere Spielräume werden von der Politik aufgrund politischer Risiken

und ihrer Wirkung auf die Konjunktur (Eurokrise, Ölpreis) offensichtlich und zu Recht nicht

gesehen2.

Der politische Druck auf die Krankenkassen zur Ausschüttung von Prämien und der Ab-

schaffung der Praxisgebühr wird bei den Verwaltungsräten und Entscheidungsträgern der

Kassen mit Vorsicht bewertet. Durch derartige Entscheidungen würden die Finanzreserven

deutlich gesenkt und zukünftige Risiken auf der Einnahmenseite und sich abzeichnende

bzw. bereits feststehende Ausgabenzuwächse im Jahr 2013 und 2014 wären nicht mehr ge-

deckt bzw. könnten nur noch mit Zusatzbeiträgen, die erhebliche Wechselwirkungen3 nach

sich zögen, abgefangen werden.

Bewertet man die externen Rahmenbedingungen und die gesundheitspolitische Situation aus

einer rationalen Gesamtperspektive, so kann man feststellen, dass die Finanzen der GKV

und des Gesundheitsfonds insgesamt als stabil anzusehen sind. Aus kurz- und mittelfristiger

Sicht wäre es daher kaum zu verantworten, dem System kurzfristig Geld zu entziehen, wel-

ches mittelfristig (2013/2014) in der „nächsten“ Gesundheitsreform wieder zugeführt wer-

den müsste. Das Beispiel der Beitragssatzsenkung im Jahr 2009 mit der zwangsläufig fol-

genden Beitragssatzerhöhung 2011 veranschaulicht die Wirkmechanismen eines derartigen

politisch motivierten Entscheidungsprozesses.

Die Regierungsentscheidung, die für den Sozialausgleich vorgesehenen zwei Mrd. Euro

Steuerzuschuss wieder aus dem Gesundheitsfonds zu nehmen, lassen sich insofern nach-

vollziehen, da mit Zusatzbeiträgen bzw. sozialausgleichsrelevanten Zusatzbeiträgen im Jahr

der Bundestagswahl 2013 nicht zu rechnen ist (und es politisch wohl auch nicht gewollt ist).

Als Fazit lässt sich festhalten, dass die finanzielle Situation des Gesundheitsfonds und der

Krankenkassen derzeit als stabil zu bezeichnen ist und seit langem eine gewisse Planungssi-

cherheit im Gesundheitssystem besteht. Dies sollte als Chance verstanden werden, um die

Überschüsse gezielt für eine längerfristige Verbesserung der Qualität der Versorgung zu

verwenden und nicht sofort das nächste Kostendämpfungsgesetz umsetzen zu müssen. Nicht

vergessen werden sollte auch: die Überschüsse der gesetzlichen Krankenkassen gehen den

Versicherten nicht verloren, denn gesetzliche Krankenkassen sind zu Recht keine Privatun-

ternehmen, die Gewinne ausschütten können. Es sei denn, man nutzte die Überschüsse jetzt

dafür, aufgrund öffentlichen Druckes oder unter Marketinggesichtspunkten ungeprüft Leis-

tungen zu genehmigen oder Begehrlichkeiten nachzugeben. Dies kann und darf aber nicht

Sinn und Ziel eines solidarischen Gesundheitssystems sein.

2 Vgl. Aussagen von DANIEL BAHR im Interview der FAZ, 21. Mai 2012 3 Interessant zu beobachten war, dass die Einführung von Zusatzbeiträgen i.H.v. acht Euro zu enormen Wechselbewegun-

gen im ersten Jahr nach der Einführung führte, während prozentuale Beitragsdifferenzen, die je nach Einkommen deutlich über diesem Betrag lagen, weniger Anstoß für Versicherte gaben, ihre Krankenkasse aus Kostengründen zu wechseln.

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Abbildung 1 veranschaulicht den soeben geschilderten zyklischen Verlauf des Reformpro-

zesses im Gesundheitswesen.

Abbildung 1: Gesundheitsreformzyklus und Bundestagswahlen

Quelle in Anlehnung an: IfG Institut für Gesundheitsökonomie – Prof. Dr. G. Neubauer,

Vortrag auf dem Führungsforum der AOK Niedersachsen am 1.9.2010 in Sarstedt

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2. Strategische Analyse der Rahmenbedingungen

Im Folgenden nähern wir uns aus der Perspektive einer großen Krankenkasse der Fragestel-

lung „Wie könnte / wie müsste das Gesundheitswesen der Zukunft aussehen?“4. Dazu be-

trachten wir zunächst in Kapitel 2.1 die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen

Umfeldbedingungen und die daraus resultierenden zukünftigen Chancen und Risiken. Dem

stellen wir in einem zweiten Schritt (Kapitel 2.2) die momentanen Stärken und Schwächen

des Systems gegenüber. In Kapitel 2.3 wird dann das strategische Verhalten der Akteure

unter den derzeitigen Rahmenbedingungen erörtert.

Abbildung 2: Strategische Analyse

Chancen/Risiken

Stärken/Schwächen

Strategisches

Verhalten

Lösungs-

strategien

Strategische Prämissenkontrolle / Evaluation

Quelle in Anlehnung an: Schreyögg/Steinmann 1990, S. 133

2.1 Umfeldanalyse

Im Folgenden konzentrieren wir uns bei der Analyse von Umfeldbedingungen auf die beiden

großen Herausforderungen im deutschen Gesundheitswesen, den demographischen Wandel

und den Umgang mit medizinisch-technischem Fortschritt.

4 Die AOK Niedersachsen ist mit rund 2,4 Mio. Versicherten und einem Marktanteil von 35 Prozent die größte Kranken-

kasse in Niedersachsen und die zehntgrößte Krankenkasse bundesweit

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2.1.1 Demographischer Wandel

„Es gibt Menschen, die rauchen nicht, die trinken nicht, essen

nur Gemüse und meiden auch sonst jeden Genuss – zur Strafe

werden sie 100 Jahre alt“

(Reinhard Siemens )

Beginnen wir mit einer heute fast schon inflationär herangezogenen Tatsache, dem demogra-

phischen Wandel. Die Form der Alterspyramide verändert sich bereits seit über 100 Jahren.

Seit den 1970er Jahren resultiert der Wandel in Deutschland aus zwei Gründen, die beide mit

einer entwickelten Gesellschaft assoziiert sind: dem Anstieg der Lebenserwartung und dem

Rückgang bzw. der Stagnation der durchschnittlichen Geburtenrate5.

Dementsprechend müssen diese zwei Effekte unterschieden werden, wenn wir die Auswir-

kungen auf das Gesundheitssystem bewerten:

a) Die Verlängerung der Lebenserwartung und

b) die Veränderungen im Aufbau der Alterspyramide.

Wer heute in Deutschland geboren wird, wird im Schnitt über 30 Jahre älter als derjenige,

der vor 100 Jahren geboren wurde. Ein heute 65-jähriger hat statistisch gesehen noch fast

ein Viertel seines Lebens vor sich. Dazu beigetragen haben vor allem bessere Arbeitsbedin-

gungen, eine gesündere Umwelt, bessere Ernährung und Hygiene, die Bekämpfung von

Infektionskrankheiten sowie eine gesunkene Kindersterblichkeit.

Was bedeutet dies für unser Gesundheitswesen? Bedeutet ein längeres Leben auch einen

länger schlechteren Gesundheitszustand und damit höhere Kosten? Nicht unbedingt. Zwei

Thesen stehen sich hier gegenüber. Die sogenannte Medikalisierungsthese geht von einer

Expansion der Morbidität aus, wonach ein Großteil der gewonnenen Jahre mit schweren

chronischen Krankheiten einhergeht. Die zweite, optimistischere These geht vom Gegenteil

aus. Sie nimmt an, dass es nicht zu einer Ausweitung, sondern zu einer „Kompression der

Morbidität“ kommt6.

5 Zu Beginn der 1960er Jahre erlebten beide Teile Deutschlands einen kurzfristigen Anstieg der Geburten mit der höchsten

zusammengefassten Geburtenziffer der Nachkriegszeit mit über 2,5 Kindern je Frau. Nach einem Tief Mitte der 80er Jah-re mit 1,28 Kindern je Frau schwankte die zusammengefasste Geburtenziffer seitdem nur geringfügig zwischen 1,35 und 1,45 Kinder je Frau und lag im Jahr 2010 bei 1,39 (STATISTISCHES BUNDESAMT 2012).

6 Die erstmals in den 1970er Jahren von James F. Fries entwickelte Kompressionsthese besagt, dass immer mehr Menschen relativ gesund alt werden und erst als Hochbetagte in ihren letzten Lebensjahren einen hohen Bedarf an medizinischen Leistungen haben.

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Beides ist in der Realität schwer nachzuweisen. Ein aktueller Survey zu der Entwicklung der

gesunden Lebensjahre im Alter belegt, dass, wie zu erwarten, die Wahrheit irgendwo in der

Mitte liegen dürfte. Allerdings beruht diese Beobachtung nicht auf objektiven medizini-

schen Daten, sondern auf der subjektiven Einschätzung durch Befragte7.

Zudem dürfte der Einfluss eines längeren Lebens auf die künftigen Gesundheitsausgaben

schon deshalb geringer ausfallen als häufig befürchtet, weil sich Krankheitskosten nicht

gleichmäßig auf das ganze Leben verteilen, sondern vor allem am Lebensende anfallen.

Daten von Krankenversicherungen zeigen immer wieder, dass die höchsten Kosten vor dem

Tod anfallen, egal, ob jemand 60 oder 90 Jahre alt wird8. Sehr alte Versicherte verursachen

vor ihrem Tod sogar durchschnittlich geringere Versorgungskosten als (relativ) jüngere, bei

denen Todesfälle prozentual häufiger auf behandlungsintensive Krankheiten zurückzuführen

sind.

Auch der nachgewiesene Anstieg der Prävalenz chronischer Krankheiten ist nicht allein eine

Frage der gestiegenen Lebenserwartung. Umwelt, Lebensumstände und individuelles Ver-

halten spielen eine entscheidende Rolle, ebenso wie die Frage, ob und ab wann jemand als

krank bzw. behandlungsbedürftig gilt9. Ein längeres Leben allein führt also nicht zwangläu-

fig dazu, dass mehr Finanzmittel ins Gesundheitswesen fließen müssen10.

Abbildung 3: Veränderung der Bevölkerungspyramide

Quelle: Statistisches Bundesamt 2012

Andererseits darf man aber die Augen nicht davor verschließen, dass die veränderte Alterspy-

ramide sukzessive zu zusätzlichem Behandlungsbedarf führen wird, sobald die geburtenstar-

ken Nachkriegs-Jahrgänge ins Rentenalter eintreten (siehe Abbildung). Dies ist der zweite

7 MERGENTHALER 2011, S.2. 8 GERSTE 2012, S. 68 ff.; FELDER 2012, S. 23, 29; sowie eigene Berechnungen 9 Dass es heute z.B. mehr Menschen gibt, die an Bluthochdruck leiden, hat nicht unbedingt damit zu tun, dass die Bevölkerung

kränker wird, sondern es ist (auch) eine logische Folge davon, dass die Grenzwerte erheblich nach unten korrigiert wurden. An dieser Stelle soll nicht die Sinnhaftigkeit solcher „Grenzverschiebungen“ in Frage gestellt werden, sondern es wird ledig-lich aufgezeigt, dass ein scheinbarer Anstieg chronischer Krankheiten viele Ursachen haben kann.

10 Zur relativen Demographiefestigkeit der GKV im Vergleich zur PKV vgl. Kapitel 2.2

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Effekt des demographischen Wandels und er wird die eigentliche Herausforderung bei der

Gestaltung der ambulanten und stationären Versorgung in den nächsten zwanzig bis dreißig

Jahren darstellen11.

Auf diese Situation müssen wir uns rechtzeitig vorbereiten. Das Problem einer Verschlech-

terung der ambulanten Versorgung wird heute bereits in ländlichen Regionen evident, in

denen niedergelassene Ärzte, die aus Altergründen in den Ruhestand treten, keinen Nach-

folger finden. Parallel dazu wird in bestimmten Regionen eine Ärzteknappheit im stationä-

ren Sektor befürchtet. Lösungsansätze werden hier vorrangig im sektorübergreifenden Kon-

text zu finden sein, wobei auch eine Berücksichtigung von flexibleren Arbeitszeitmodellen

und planbaren Arbeitszeiten einfacher möglich ist12 (Vgl. Kapitel 3).

2.1.2 Medizinisch-technischer Fortschritt

„Ein gesunder Mensch ist nur ein Mensch, der nicht gründlich genug untersucht wurde.“

(unbekannt)

Der Grenznutzen des medizinischen Fortschritts sinkt. Längst nicht alles, was heute mach-

bar ist, ist auch sinnvoll13. Während die Erfindung von Penicillin oder dem ersten Blut-

drucksenker einen sehr großen Nutzen für die Bevölkerung hatte und relativ kostengünstig

war, ist der neu zugelassene 54. Blutdrucksenker sehr teuer und bringt unter Umständen

kaum einen zusätzlichen Nutzen.

Dazu kommt, dass medizinisch an sich sinnvolle Verfahren übermäßig oder falsch einge-

setzt werden. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von angebotsinduzierter Nachfra-

ge. Eine CT14 oder MRT15 Untersuchung etwa beschleunigt im Vergleich zu früher die Di-

agnosestellung und ermöglicht somit eine schnellere und zielgerichtete Therapie. Die Inan-

spruchnahme der CT und auch MRT Untersuchungen ist in den vergangenen Jahren jedoch

erheblich angestiegen. 2009 wurden 20 Prozent mehr Menschen als 2004 mittels CT unter-

sucht, bei den MRT Untersuchungen waren es knapp 40 Prozent. Insgesamt stehen die

Deutschen bei allen Röntgenuntersuchungen im europäischen Vergleich mit großem Ab-

stand an der Spitze16.

11 Sofern es zu einem säulenförmigen Aufbau der Alterspyramide kommt, würden sich die Sozialsysteme langfristig wieder

stabilisieren. Zu berücksichtigen sind aber auch weitere Faktoren: Beispielsweise bietet sich für die derzeit nachwachsende Generation auf dem heutigen Arbeitsmarkt eine weit bessere Situation als noch vor 15 Jahren, was sich wiederum (unter den derzeitigen Rahmenbedingungen) positiv auf die Einnahmen der Sozialsysteme auswirken kann.

12 Siehe Umfrage des Hartmannbundes unter angehenden Ärzten in der ÄRZTEZEITUNG vom 7.5.2012 13 Das war allerdings schon vor 100 Jahren so – wie am Beispiel des Aderlasses deutlich wird. Erschreckend ist eher, dass

auch heute noch für viele medizinische Verfahren ein Nutzenbeleg fehlt. 14 Die Computertomografie (CT) ist ein bildgebendes Verfahren in der Radiologie. 15 Die Magnetresonanztomographie (MRT) ist ebenfalls ein bildgebendes Verfahren, das auf den Prinzipien der Kernspinre-

sonanz basiert (daher auch als Kernspintomographie bezeichnet). 16 BARMER GEK Arztreport 2011.

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Abbildung 4: CT und MRT-Untersuchungen je 1.000 Einwohner im Ländervergleich

Quelle: Pressemappe zum BARMER GEK Arztreport 2011, S. 22f

Ein weiteres Beispiel ist die Anzahl der Rückenoperationen. Es ist medizinisch mittlerweile

belegt, dass konservative Methoden, also Ruhigstellen, Schmerzmedikamente oder gezieltes

Bewegen in der Physiotherapie ernstzunehmende und oftmals wirksamere Alternativen sind,

die noch dazu weniger Risiken für den Patienten bergen17. Dennoch ist die Zahl an Rücken-

operationen von 240.000 in 2004 auf 360.000 in 2009 angestiegen, also um fast 50 Prozent.

Auch Bandscheibenoperationen sind in diesem Zeitraum um ca. 50 Prozent gestiegen18. Ein

großer Teil davon gilt als überflüssig.

Innovationen werfen somit nicht nur die Frage nach ihrem Preis auf, sondern auch der Men-

ge, sprich, wann ihr Einsatz wirklich nötig und nützlich ist. Dabei kann sich durchaus zei-

gen, dass nicht immer die neuste oder die invasivste Methode auch die beste sein muss.

Überversorgung ist nicht nur aus monetärer Sicht kritisch zu beurteilen, sondern vor allem

auch hinsichtlich der Sicherheit der Patienten. Brenner und Elliston etwa konnten zeigen,

dass jemand, der im Alter von 45 bis 75 ein jährliches Ganzkörper-CT erhält, durch die

Strahlenbelastung ein zusätzliches Risiko an Krebssterblichkeit von 1,9% aufweist19.

Der Eindruck in der Öffentlichkeit ist häufig ein anderer: Innovationen sind Hoffnungsträ-

ger für kranke Menschen, die Darstellung in den Medien ist oft unkritisch positiv. Die neue

Methode oder das neue Medikament weckt Aussichten und Wünsche, mit denen der behan-

delnde Arzt dann konfrontiert wird. Doch selbst für den einzelnen Arzt ist es kaum mög-

lich, einen objektiven Überblick über die Flut von Fachpublikationen mit vermeintlichen

oder wirklichen Innovationen zu behalten und diese zu bewerten.

17 Siehe http://www.versorgungsleitlinien.de/themen/kreuzschmerz 18 DER SPIEGEL 40/2011 S. 135; Datenquelle: InEK 19 BRENNER/ELLISTON 2004.

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10

Berechnungen von Breyer und Felder (2005) zeigen demgemäß, dass der demographische

Effekt nur einen weit geringeren Anteil zukünftiger Ausgabensteigerungen in der GKV

ausmacht. Viel größeren Einfluss habe der medizinisch-technische Fortschritt20.

Entscheidend ist es daher, dass bereits auf der systemischen Ebene echte Innovationen mit

tatsächlichem Nutzen von teuren (Schein-)innovationen mit fraglichem Nutzen getrennt

werden. Hierfür brauchen wir eine stärkere (evidenzbasierte) Nutzenbewertung neuer Leis-

tungen. Die Bewertung des patientenrelevanten Nutzens sollte vor der Markteinführung von

innovativen Behandlungsansätzen, Medikamenten oder Medizinprodukten auf der Basis von

vergleichenden Studien mit patientenrelevanten Endpunkten stattfinden, in der Regel im

Rahmen von randomisierten kontrollierten Studien.

Bei Implementierung eines solchen Verfahrens auch im stationären Sektor würden neue,

innovative Therapien bzw. Medizinprodukte nicht länger als zur Nutzenbewertung notwen-

dig dem Patienten vorenthalten. Bei überzeugenden Hinweisen auf einen überlegenen kli-

nisch relevanten Nutzen könnten Medizinprodukte mit Studienauflagen beispielsweise in

ausgewählten Innovationszentren zugelassen werden. Entscheidend ist es also, die Produkte

des Erfindungsreichtums des medizinisch-technischen Bereiches zu bewerten und eine

Antwort darauf zu finden, mit welchen Mechanismen ein tatsächlich (rein) bedarfsorientier-

ter Einsatz gelingt21.

Solche Ansätze22 und die für eine professionelle Umsetzung solcher Ansätze nötigen Institu-

tionen existieren bereits (GBA, IQWiG23). Wichtig ist es, diese Institutionen weiterzuentwi-

ckeln und schneller handlungsfähig zu machen (Vgl. Kapitel 3.1 Lösungsansätze).

Letztlich leiten sich aus den in diesem Kapitel genannten Herausforderungen insgesamt drei

zentrale Fragen für die Zukunft ab:

• Wie können wir unseren hohen Versorgungsstandard angesichts der demographi-

schen Entwicklung halten bzw. weiterentwickeln?

• Wie trennen wir echte Innovationen von Innovationen mit fraglichem Nutzen? Wie

können wir es schaffen, dass möglichst alle an echtem medizinischen Fortschritt

teilhaben können?

• Wie ist dies alles langfristig – und möglichst gerecht – finanzierbar?

20 BREYER/FELDER (2005), zitiert in FELDER 2008, S. 28. 21 Gemäß REIMERS etwa gibt es für die Behauptung, die Medizin befinde sich in einer Fortschrittsfalle, weil sie immer

mehr ermögliche, aber immer weniger für alle bezahlbar sei, keine belastbare empirische Grundlage. Sie sei vielmehr Ausdruck einer Glorifizierung der Medizin mit der sich selbst erfüllenden Prophezeiung, die Medizin könne die an sie ge-richteten Erwartungen nur aus ökonomischen Gründen nicht befriedigen (REIMERS 2009, S. 76)

22 Beispielsweise wurde mit dem AMNOG (Arzneimittelneuordnungsgesetz) die vergleichende Nutzenbewertung von neuen Arzneimitteln ins SGB V eingeführt.

23 Gemeinsamer Bundesausschuss; Institut für Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen

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11

Im nächsten Kapitel werden wir Stärken und Schwächen unseres Gesundheitssystems skiz-

zieren und die Frage aufwerfen, ob es in der Lage ist, mit seinen Ressourcen die kommen-

den Herausforderungen zu bewältigen.

2.2 Stärken und Schwächen

Betrachtet man Gesundheitssysteme industrialisierter Länder im Vergleich, so fällt zunächst

ins Auge, dass das deutsche System weltweit eines der finanziell am besten

ausgestattetesten bzw. teuersten ist. Nach den USA liegt es mit Frankreich und der Schweiz

mit derzeit 10,6 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes auf den Spitzenplätzen24. 3510 Euro

gibt im Schnitt jeder Bürger jedes Jahr für Gesundheit aus. Der größte Anteil davon wird

über die gesetzlichen Krankenkassen finanziert, deren Mittel sich wiederum aus Arbeitneh-

mer- und Arbeitgeberbeiträgen, Eigenbeteiligungen und Steuern zusammensetzen25. Es ist

also viel Geld im System, etwas, das man durchaus als Stärke bezeichnen kann.

Weitere Stärke des gesetzlichen Systems ist sein universeller und verpflichtender Versiche-

rungsschutz mit sozial gestaffelten Beiträgen26. Damit erhält jeder – unabhängig von seinem

Einkommen und seinem sozialen Status – Zugang zu einer gleichwertigen Versorgung. Der

Versicherungsschutz in der GKV ermöglicht den Zugang zu einem der differenziertesten

Leistungserbringersysteme und einer der umfassendsten Angebotspalette der Welt. Deutsch-

land sieht sich nicht konfrontiert mit einer Vielzahl unversicherter Bürger, einer mangelnden

Auswahl an Krankenversicherungen oder Behandlern, schwerwiegenden Leistungsaus-

schlüssen oder hohen Zuzahlungen, wie es in anderen industrialisierten Ländern durchaus

üblich ist27.

Demgegenüber scheinen die gesundheitlichen Ergebnisse in vielen Feldern jedoch verbesse-

rungsfähig zu sein. International vergleichende Studien kommen, bei allen methodischen

Schwierigkeiten und Kritikwürdigkeit einzelner Parameter, häufig zu dem Schluss, dass das

deutsche Gesundheitswesen trotz seiner hohen Kosten und des umfassenden Angebots in

Bezug auf die Ergebnisqualität nur im Mittelfeld liegt28.

Eine weitere Schwäche des Systems ist die dynamische Ausgabenentwicklung mit daraus

resultierenden Kostendämpfungsbemühungen, die nicht die eigentlichen Probleme bzw.

Ineffizienzen beseitigen. Auch der Einfluss einzelner starker Akteure, denen es gelingt über

24 DESTATIS 2012, OECD 2011. 25 In der Gesamtschau über die Jahre zeigt sich der Trend zu einem größeren staatlichen und einem größeren Versicherten-

bzw. Patientenanteil an der Finanzierung, während Arbeitgeberanteil rückläufig ist. Der Ausgabenanteil der GKV an allen Gesundheitsausgaben betrug 2009 56% (siehe GESUNDHEITSBERICHTERSTATTUNG DES BUNDES unter www.gbe-bund.de).

26 Dies gilt nicht für das System der privaten Krankenversicherung (PKV). Die PKV in ihrer heutigen Form verstößt gegen das Solidaritätsprinzip, was zu Verwerfungen im Gesundheitssystem geführt hat bzw. immer noch führt.

27 PORTER/GUTH 2012, S. 112. 28 EUROPÄISCHE KOMMISSION 2010, OECD 2009.

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12

politischen Druck zusätzliche Mittel für sich beanspruchen, führt aus der Gesamtsicht gera-

de nicht zu einer gerechten bzw. gesundheitsoptimalen Verteilung der Mittel.

Während die Einnahmen der GKV jedes Jahr grundsätzlich nur so stark steigen, wie es die

Entwicklung der Löhne und Gehälter, auf denen die Beiträge berechnet werden,29 abbildet,

liegt die Entwicklung der Ausgaben regelmäßig deutlich darüber30. Die damit aufklaffende

Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben führt so zu einem permanenten Defizit bei den

gesetzlichen Krankenkassen, was durch Beitragssatzanpassungen, Eigenbeteiligungen, Zu-

satzbeiträge oder Steuerzuschüsse aufgefangen werden muss.

Die folgende Abbildung zeigt wesentliche Faktoren für die Entwicklung der Einnahmen und

Ausgaben in der Gesetzlichen Krankenversicherung.

Abbildung 5: Ausgabe- und Einnahmefaktoren in der GKV

Einnahmefaktoren

Ausgabefaktoren

Leistungskatalog

Ansprüche

Versicherte

Vergütung

Leistungserbringer

Tarif-

abschlüsse

Abgrenzung

Sozialversicher-

ungspflichtiges

Einkommen

Versicherungs-

pflichtiger

Personenkreis

Zuzahlungen

Kapazitäten

Lebensstil

Demographie

Quelle in Anlehnung an: IfG Institut für Gesundheitsökonomie – Prof. Dr. G. Neubauer,

Vortrag auf dem Führungsforum der AOK Niedersachsen am 1.9.2010 in Sarstedt

Die im Vergleich mit den Einnahmen stärkere Ausgabenentwicklung ist jedoch kein system-

immanentes Problem der gesetzlichen Versicherungen, im Gegenteil: Während die GKV

über die Jahre hinweg ein zunehmend konsequenteres und systematischeres Kosten- und

Leistungsmanagement betrieben hat und der Gesetzgeber mit Gesundheitsreformen immer

wieder kurzfristige Kostendämpfungsmaßnahmen einleitete, blieb die Ausgabendynamik in

der PKV eher ungebremst31. Ohne Konsolidierungsmaßnahmen stößt vor allem die Vollver-

29 Neben der Entwicklung der Löhne und Gehälter hängen die Beitragseinnahmen von der Höhe der Beitragsbemessungs-

grenze und dem Anteil der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen ab, ebenso von dem Einkommen der (freiwil-lig versicherten) Selbständig Beschäftigten.

30 Siehe GESUNDHEITSBERICHTERSTATTUNG DES BUNDES unter www.gbe-bund.de. 31 Was im Übrigen auch darauf hinweist, dass die häufig geforderte Instrument einer Patientenquittung keine ausreichende

Lösung für die Vermeidung unnötiger Kostensteigerungen darstellt. Privat Versicherte erhalten nicht nur eine Auflistung über alle erfolgten Leistungen, sie müssen für diese sogar das Geld vorstrecken – dennoch wachsen die Ausgaben der PKV weit stärker als die der GKV.

RATUBS 3/2012 Entwicklungsperspektiven im Gesundheitswesen: Chancen einer Veränderung

13

sorgung der Privatversicherten zunehmend an ihre Grenzen. Dies belegen auch die teilweise

deutlichen Beitragssatzerhöhungen im PKV Bereich32.

Die folgende Abbildung zeigt die Entwicklung der Ausgaben 1998-2008 in der gesetzlichen

im Vergleich zur privaten Krankenversicherung, differenziert nach Ausgabenblöcken.

Abbildung 6: Ausgabenentwicklung in der GKV und PKV im Vergleich

Quelle: Verband der privaten Krankenversicherung, 2010/2011

Sichtbar wird, dass zwar der Verlauf innerhalb von Ausgabenblöcken zwischen GKV und

PKV relativ ähnlich ist, dass die PKV aber überall deutlich stärkere Kostenanstiege ver-

zeichnet – trotz Risikoselektion ihrer Versicherten. Bezogen auf die demographische Her-

ausforderung wird daraus deutlich, dass ein System mit individuellen Altersrückstellungen,

wie es in der PKV existiert, einem Umlagesystem keinesfalls überlegen ist. Die PKV ver-

sucht, die im Alter steigenden Ausgaben der Versicherten mit Altersrückstellungen abzusi-

chern. Nicht einkalkulierbare Ausgabensteigerungen bei PKV-Vollversicherten, bedingt

durch eine höhere Inanspruchnahme bei höherem Vergütungsniveau, fehlendem Kostenma-

nagement bzw. ungesteuerter Kostenübernahme neuer Verfahren und Medikamente (die

zum einen das Wertversprechen der PKV ausmachen, zum anderen aber auch unerwünschte

Folgen für die Patienten nach sich ziehen können) können zu deutlichen Prämiensteigerun-

32 Dies wird zunehmend auch in der Politik offen diskutiert, wie die Äußerungen von Jens Spahn (Vgl. Interview in der

Welt online vom 14. März 2012) und die darauf folgende Diskussion in der Presse zeigt. In Frage zu stellen ist auch der Anachronismus, dass Beamte als Staatsdiener nicht im solidarischen System der GKV verortet sind.

RATUBS 3/2012 Entwicklungsperspektiven im Gesundheitswesen: Chancen einer Veränderung

14

gen führen, insbesondere bei älteren Versicherten33. Nicht zuletzt aufgrund des konsequen-

ten Kostenmanagements und den Möglichkeiten potenzieller Einsparungen durch

evidenzbasierte Kosten-Nutzen Bewertungen bei medizinisch-technischen Innovationen

besitzt die GKV eine gewisse Demographiefestigkeit.

Ferner bleibt festzustellen, dass durch die gesetzlich vorgeschriebene Einführung des Basis-

tarifs und der Unisextarife in der PKV ein Schritt in Richtung Abbau der Risikoäquivalenz

gegangen wurde. Auch treiben die Neuordnungen im Arzneimittelmarkt, die eine teilweise

Partizipation der PKVen an den GKV-Preisverhandlungen vorsehen, sowie Maßnahmen zu

mehr Wettbewerb beim Versicherungswechsel durch die teilweise Mitnahme von Alters-

rückstellungen von PKV zu PKV die Konvergenz der beiden Systeme voran.

Ärztepräsident Montgomery warnt allerdings vor einer Änderung des dualen Systems. Er

sieht den Wettbewerb zwischen GKV und PKV als erforderlich an, um die Qualität des

jetzigen Gesundheitssystems trotz begrenzter Ressourcen zu erhalten34.

Eine eindeutige Stärke des gesetzlichen Systems ist zudem der Risikostrukturausgleich zwi-

schen den Gesetzlichen Krankenversicherungen. Auch wenn der Risikostrukturausgleich

nicht perfekt ist, trägt er viel dazu bei, die Selektion von gesunden und wohlhabenden Ver-

sicherten zu vermindern und Krankenkassen einen Anreiz zu geben, in ein verbessertes Ver-

sorgungsmanagement für Kranke zu investieren. Insbesondere zu Beginn der Einführung

des Wettbewerbs zwischen gesetzlichen Krankenkassen 1996 konkurrierten die Kranken-

kassen vorwiegend um den günstigsten Beitragssatz, statt um die besten Leistungen bzw.

um die beste Qualität. Diese Tendenz hat sich durch die Einführung von Zusatzprämien ab

2009 wieder verstärkt, konnte aber durch die parallel eingeführte Morbiditätskomponente

im Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) zumindest abgemildert werden.

Insofern kann der Morbi-RSA als Beispiel für die Gestaltung zielführender Rahmenbedin-

gungen angeführt werden. Erschwerend wirkt bei der Gestaltung von Rahmenbedingungen

im Gesundheitswesen, dass durch die starke Aufgabenspezialisierung eine erhebliche Viel-

falt von Organisationen und Strukturen existiert. Hieraus ist über die Zeit eine außerordent-

liche Komplexität entstanden, die es bedingt, dass das Gesundheitssystem für die Bürgerin-

nen und Bürger als Nutzende, aber auch für die Akteure selbst sowie die mit der Steuerung

beauftragten Entscheidungsträger, wie die Politik, kaum bis ins erforderliche Detail zu über-

sehen ist.

33 Hinzu kommt u.a. die starke Abhängigkeit vom Finanzmarkt (Zinsniveau). 34 Vgl. FRANK ULRICH MONTGOMERY im Interview der Welt online vom 11. Mai 2012.

RATUBS 3/2012 Entwicklungsperspektiven im Gesundheitswesen: Chancen einer Veränderung

15

Abbildung 7: Komplexes System Gesundheitswesen...

Quelle: eigene Darstellung

Mit der Komplexität einhergehend zeigt sich im System der gesundheitlichen Versorgung

häufig eine mangelnde Abstimmung auf unterschiedlichen Steuerungs-, Planungs- und Leis-

tungsebenen, was als Schnittstellenproblematik bezeichnet wird. Speziell im deutschen

Gesundheitswesen kommt noch hinzu, dass eine Verteilung von Zuständigkeiten und Ent-

scheidungsbefugnissen einerseits auf der Ebene Bund, Länder und Gemeinden (Föderalis-

mus) und andererseits auf der Ebene der Selbstverwaltungsorgane (Korporatismus) besteht.

Dies kann je nach betrachtetem Aspekt sowohl Schwäche als auch Stärke sein.

Eine weitere Ursache für die Mittelknappheit im Gesundheitswesen und somit eine Schwä-

che des Systems dürften wie oben bereits andiskutiert Fehlallokation, Ineffizienz und Res-

sourcenverschwendung in einem von Lobbyinteressen beeinflussten Gesundheitssystem sein

(siehe Kapitel 2.3). Die Merkantilisierung des Gesundheitswesens führte beispielsweise zu

einer nicht medizinisch begründbaren Ausweitung teurer Geräteleistungen. Diese werden

zudem besser dotiert als die Disziplinen der „sprechenden“ Medizin, was von vielen Seiten

zu Recht kritisiert wird.35

Deutlich wird insgesamt, dass der Weg zu effektiveren und effizienteren Strukturen über

eine stärkere bzw. bessere Vernetzung und vor allem Reorganisation vorhandener Ressour-

cen, Potenziale und Strukturen erfolgen muss. Parallel dazu müssen Rahmenbedingungen,

vorrangig die finanziellen Anreize, reformiert werden (Vergleiche Kapitel 3 Lösungsansät-

ze).

35 WEHLING 2010, S. 33ff.

Häusliches Umfeld

Umwelt Rettungsdienst

PATIENT KRANKENHAUS

REHA

HAUSARZT 1

HAUSARZT 2

Facharzt

Apotheke

Apotheke

Krankenkas-

Konsil

Überweisungen

Genehmigung

OTC-

Verschreibung

Facharzt 2

Weiterbildung

Medizin-Consulting

Gesundheitsamt

Telemedizin

Abrechnung

Ärztekammer IV-

Aufträge

Labor

AU-Bescheinigung

Pharmaindustrie

Entlassbrief

Physiotherapie

Pflegedienst

Aufträge Aufträge Aufträge

Überweisungen Überweisungen

RATUBS 3/2012 Entwicklungsperspektiven im Gesundheitswesen: Chancen einer Veränderung

16

2.3 Strategisches Verhalten und Veränderungsmöglichkeiten

Umfeld und systemimmanente Stärken und Schwächen des Gesundheitswesens begünstigen

bestimmte Verhaltensweisen, die aus der jeweiligen Perspektive des Handelnden heraus

rational erscheinen, sich allerdings mit den Zielen eines effektiven und effizienten Gesund-

heitssystems reiben. So wurde mit der stärkeren Einführung marktwirtschaftlicher Elemente

im Gesundheitswesen eine Vielzahl positiver Effekte erwartet. Diese sind in kleinen Teilen

sicher eingetreten. Es gibt aber auch eine ganze Reihe negativer Auswirkungen, die unter

dem Stichwort „Marktversagen“ zusammengefasst werden können.

Unter den vielen unterschiedlichen Formen und Gründen für Marktversagen im Gesund-

heitsbereich werden wir im Folgenden den Aspekt des strategischen Verhaltens näher in den

Blick nehmen. Übertrieben gesagt:

• Politiker maximieren Wählerstimmen,

• Krankenkassen maximieren die Anzahl ihrer Versicherten oder minimieren ihre

Kosten,

• privatwirtschaftlich organisierte Leistungserbringer (Ärzte, Krankenhäuser, phar-

mazeutische und medizintechnische Unternehmen etc.) maximieren ihren Gewinn,

• der Patient möchte das Beste, was auf dem Markt ist, bei möglichst geringen Zuzah-

lungen und

• der Versicherte minimiert seine Beiträge.

Natürlich ist zu bedenken, dass Annahmen über strategisches Verhalten in der Realität nur

in Teilen zutreffen. So beispielsweise die aus der Ökonomie übertragene Annahme eines

Versicherten als homo oeconomicus36, der bei einmal gezahltem Beitrag möglichst viele

Leistungen, da kostenlos, auszuschöpfen gewillt ist, nur sehr begrenzt zutreffend: Für den

Patienten z.B. ist die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen im Normalfall kein „ge-

nussvoller Konsum“, den er übermäßig auszudehnen gewillt ist. Richtig ist freilich, dass

Sozialsysteme die Schwelle der Inanspruchnahme heruntersetzen, was auch gewollt ist37.

Problematisch scheint jedoch die Beobachtung, dass – obwohl oder gerade weil immer mehr

Finanzmittel in das Gesundheitssystem fließen, immer weniger Menschen empfinden, dass

dieses als Solidarsystem geschaffen wurde und somit opportunistisches Verhalten wächst,

d.h. das Bestreben, das was einbezahlt wurde, wieder herauszubekommen38.

36 Zur Kritik am Konzept des Menschen als „homo oeconomicus“, der rein rational handele, siehe KAHNEMANN 2003. 37 REIMERS 2009, S. 106. 38 WASEL 2011, S. 28.

RATUBS 3/2012 Entwicklungsperspektiven im Gesundheitswesen: Chancen einer Veränderung

17

Die zu beobachtende zunehmende Inanspruchnahme und Ausweitung einzelner Leistungen

hat darüber hinaus viel mit einem als Medikalisierung39 bezeichneten Effekt zu tun, also

einer Verschiebung sozialer Aufgaben in das Medizinsystem, sowie mit einer Herabsetzung

von Krankheitsschwellen40. Medikalisierungstendenzen sind jedoch eher ein gesellschaft-

lich-ökonomisches Problem, und haben weniger mit dem Bestreben der Versicherten zu tun,

möglichst viel für sich herauszuschlagen41.

Kritisch ist, dass wohlfahrtsökonomische Einstellungen im Sinne eines Gesamtnutzens ge-

rade dann als Teil der Motivation bei den handelnden Akteuren verschwinden, wenn sozia-

les oder auf bestimmte Ergebnisse hin orientiertes Handeln nur noch finanziell belohnt wird.

Dies kann beim Einzelnen im Extremfall zu Verlust von Identität und Motivation führen

und dazu, dass nur noch gemacht wird, was den höchsten monetären Gewinn verspricht. In

der Gesamtschau führt es somit zu deutlichen wohlfahrtsökonomischen Verlusten.

Um aus dem Verständnis dieser strategischen Verhaltensweisen Lösungsansätze zu entwi-

ckeln, greifen wir im Folgenden das sogenannte Verbundprinzip auf.42 Mit Hilfe eines man-

gelnden Verbundprinzips lassen sich Ursachen für Unwirtschaftlichkeit im öffentlichen

Sektor verdeutlichen bzw. erklären. Knappe Ressourcen können der Theorie gemäß nur

dann effizient verwendet und Nutzen gerecht verteilt werden, wenn das Verbundprinzip

beachtet wird. Hierzu müssen Nutzer, Zahler, Entscheider und Anbieter öffentlicher Güter

und Dienstleistungen miteinander verbunden sein, soweit dies wirtschaftlich und politisch

sinnvoll ist.

Überträgt man dieses Prinzip auf das Gesundheitswesen, so wird deutlich, dass Zahler

(Krankenkassen, Beitragszahler), Nachfrager (Patient, Versicherter), Entscheider (Politik,

Selbstverwaltung) und Anbieter (Leistungserbringer) im Gesundheitswesen überwiegend

auseinanderfallen. Die Politik setzt den gesetzlichen Rahmen fest, in dem die Krankenkas-

sen agieren und ihre Mittel verwenden. Diese wiederum verhandeln mit Krankenhäusern

und Ärzten hauptsächlich Kollektivverträge zur Versorgung der Patienten bzw. Versicher-

ten. Die Mitglieder zahlen ihre Beiträge an die Krankenkassen und präferieren in ihrer Rolle

als Beitragszahler solche Krankenkassen, die günstige „Tarife“ anbieten, während sie in

ihrer Rolle als Patient solche Kassen präferieren, die möglichst viele Leistungen überneh-

men.

39 Unter Medikalisierung wird ein Prozess verstanden, in dessen Verlauf ein gesellschaftliches Phänomen, das bis dahin

nicht ausschließlich als medizinisch relevant wahrgenommen worden ist, nunmehr in medizinischen Termini definiert wird. CONRAD / BARKER 2010.

40 Also mit der Frage, ab wann jemand als krank und damit behandlungsbedürftig gilt: Die vor einigen Jahren noch gar nicht bekannte Diagnose von ADHS im Kindesalter, die mittlerweile inflationär vergeben wird, ist ein anschauliches Beispiel.

41 Damit soll nicht gesagt sein, dass es keine Versicherten bzw. Patienten mit sehr hoher Anspruchshaltung gibt oder solche, die das System zu ihren Gunsten ausnutzen.

42 Das Verbundprinzip gehört nach Recktenwald zu den zentralen Erklärungs- und Handlungsmaximen der modernen politischen Ökonomie. Es verbindet die Theorie des öffentlichen Gutes mit neueren Einsichten in die Ursachen für die Unwirtschaftlichkeit und Ineffizienz im Angebot, im Konsum und in der Finanzierung staatlicher Leistungen. RECKTENWALD 1983, S. 667.

RATUBS 3/2012 Entwicklungsperspektiven im Gesundheitswesen: Chancen einer Veränderung

18

Eine nutzenoptimale Steuerung kann schon von daher nicht wie in anderen Feldern über

einen freien Markt erfolgen. Es wird deutlich, dass die unterschiedlichen Interessenslagen

der unterschiedlichen Akteure schwierig ökonomisch auszuhandeln sind, Marktgesetze also

nur in Teilbereichen gelten.

Effektive und effiziente Lösungen zeichnen sich dort ab, wo die Interessen kooperativ, fair

und in einer längerfristigen Perspektive austariert werden43. Verknüpft man diese Erkennt-

nisse mit dem neueren Forschungsfeld der Spieltheorie44, so zeigt sich, dass eine kooperati-

ve Verhaltensstrategie zu einem nachhaltigen Nutzen aller Akteure führen kann. Kooperati-

ves Verhalten – ohne sich jedoch ausnutzen zu lassen – ist gemäß modellhaften Experimen-

ten aus der Spieltheorie45 eine Gewinnerstrategie, die nicht nur für die Gesellschaft als Gan-

zes, sondern auch für einzelne Akteure langfristig die beste Wahl darstellt. Selbst dann,

wenn –wie es in der Realität zutrifft– immer auch Individuen Teil des Systems sind, die es

ausnutzen wollen.

Verhalten kann natürlich nicht vorgeschrieben werden. Es müssen deshalb solche politi-

schen bzw. gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die eine kooperative Ver-

haltensstrategie bzw. das gewünschte Ergebnis (eine gute und effiziente Versorgung der

Patienten) belohnen.46

Den „richtigen“ Rahmen zu finden, ist in einem komplexen und lobbygesteuerten System

freilich keine triviale Aufgabe, die „auf einen Schlag“ zu lösen wäre. Hierbei wird es

zwangsläufig Versuch und Irrtum geben müssen, und auch die Politik ihrerseits ist abhängig

von Kompromissen und Eigeninteressen. Somit wird es permanent eine Aufgabe bleiben,

das System bzw. einzelne Elemente des Gesundheitssystems zu beobachten, zu bewerten

und den derzeitigen Stand evolutionär weiterzuentwickeln.

3. Lösungsansätze

Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass es mittel- und langfristig nicht

akzeptabel ist, einfach nur immer mehr Geld ins Gesundheitssystem zu geben. Vielmehr

sollte stärker darauf hingewirkt werden, dass die hohen finanziellen Ressourcen, die bereits

über Pflichtbeiträge, Zuzahlungen und andere Mittel aufgebracht werden, sinnvoll einge-

setzt werden.

43 Deshalb sind Modelle wie der Pflegepakt oder die Gesundheitsregionen in Niedersachsen, in denen alle Akteure im

Gesundheitswesen zusammen agieren und die auf einen längerfristigen Prozess angelegt sind, wichtige Ansätze. 44 Als Spieltheorie wird die Lehre der strategischen Interaktionen bezeichnet. Unter anderem wurden die Wirtschaftsnobel-

preise 1994 und 2005 an Spieltheoretiker vergeben. 45 HOFSTADTER 1998. 46 Dem stehen wichtige weitere Argumente entgegen, wie dem Charakter von Gesundheit als öffentliches Gut und die

erhebliche Informationsasymmetrie im Gesundheitswesen.

RATUBS 3/2012 Entwicklungsperspektiven im Gesundheitswesen: Chancen einer Veränderung

19

Im Folgenden soll zunächst aufgezeigt werden, welche grundsätzlichen Möglichkeiten be-

stehen, mit begrenzten Ressourcen umzugehen. In Kapitel 3.2 versuchen wir Beispiele dafür

zu geben, wie regionale und sektorübergreifende Lösungsansätze für mehr Qualität und

Wirtschaftlichkeit in einer integrierten Gesamtperspektive aussehen könnten.

3.1 Umgang mit begrenzten Ressourcen

Aus unserer Sicht ist es wie erwähnt nicht akzeptabel und auch nicht gerecht, immer mehr

finanzielle Mittel ins System zu leiten, denn diese müssen ja irgendwo herkommen: von den

Versicherten, von den Patienten, von den Arbeitgebern oder aus Steuermitteln. Damit stehen

sie konkurrierenden Bedürfnissen nicht mehr zur Verfügung. Als inzwischen unbestritten

gilt jedoch, dass gesellschaftliche Problemlagen die Gesundheit entscheidend beeinflussen –

manchmal mehr noch als das Gesundheitssystem selbst. Arbeitslosigkeit, Armut, Bildungs-

chancen oder Umweltbedingungen spielen eine sehr große Rolle und sie sind regional noch

sehr unterschiedlich ausgeprägt. Abgesehen von weiteren Bedürfnissen einer Gesellschaft

könnte also sogar der Grenznutzen für die Gesundheit höher liegen, investierte man diese

zusätzlichen Mittel nicht direkt ins Gesundheitswesen, sondern in andere Bereiche wie Bil-

dung und Umwelt.

Um den begrenzten Ressourcen im Gesundheitswesen zu begegnen, stehen grundsätzlich

vier Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung.

Abbildung 8: Optionen zum Umgang mit Mittelknappheit

Rationierung (Leistungsbegrenzung)

Nach Leistung(z.B. Zahnersatz)

Mittelknappheit im

Gesundheitswesen

Erhöhung der Mittel

Zuzahlungen (Patienten)

Beitragssatz(Versicherte oder Arbeitgeber)

Zusatzbeiträge(Versicherte)

Rationalisierung(Effizienzsteigerung)

Nach Adressat(z.B. 90-jährige)

Über-und Fehlversorgung reduzieren, vorhandene

Effizienzreserven realisieren

Priorisierung (Leistungsrangfolge)

Festlegung einer Vorrangigkeit nach Evidenz, Grenznutzen und Bedarf

Steuerzuschuss (Steuerzahler)

Quelle: eigene Darstellung

Über die Festlegung der Höhe des Mitteleinsatzes, also das, was eine Volkswirtschaft bereit

ist, für die Gesundheitsversorgung auszugeben, muss im Rahmen politischer Entschei-

dungsprozesse auf der Makroebene entschieden werden. Die (gesundheits-)politischen Pro-

RATUBS 3/2012 Entwicklungsperspektiven im Gesundheitswesen: Chancen einer Veränderung

20

gramme der einzelnen Parteien unterscheiden sich dabei hinsichtlich der Ausgestaltung und

der jeweiligen Belastung der Beitragszahler. Das Konzept der Gesundheitsprä-

mie/Zusatzbeiträge hat zukünftige Ausgabensteigerungen auf die Mitglieder der Kranken-

kassen verlagert, während das Konzept der Bürgerversicherung die paritätische Beteiligung

der Arbeitgeber wieder herstellen will und damit auch die Arbeitgeber belasten würde. Des

Weiteren ist im Rahmen einer Bürgerversicherung vorgesehen, die Schnittstelle zur privaten

Krankenversicherung neu zu definieren und zukünftige Versicherungsverhältnisse in ein

einheitliches System zu überführen. Entsprechende Überlegungen betreffen die ärztlichen

Vergütungssysteme: ein einheitliches Versicherungssystem mit dem Ziel, die Zweiklassen-

medizin47 aufzugeben, würde insbesondere in die ambulant ärztliche Vergütung eingreifen

müssen, um die heute sehr unterschiedlichen Vergütungsmodalitäten zwischen PKV und

GKV zu vereinheitlichen.

Aber auch für den zweiten Punkt in der oben gezeigten Grafik, eine Effizienzsteigerung

bzw. Rationalisierungsmaßnahmen, müssen gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen

werden. Dabei versteht man unter Rationalisierung im Allgemeinen das Ausschöpfen von

Wirtschaftlichkeitsreserven, ohne dass dadurch die Versorgungsqualität für irgendeinen der

Betroffenen eingeschränkt würde48. Diese Art der Rationalisierung im System ist offenkun-

dig ethisch unproblematisch und daher prioritär zu fordern Ein Beispiel zur Realisierung

vorhandener Effizienzreserven sind die jüngsten Maßnahmen im Arzneimittelbereich 49 .

Erhebliche Potenziale liegen noch in dem Abbau von Über-, Unter und Fehlversorgung,

beispielhaft etwa in den in Kapitel 2.2 beschriebenen Feldern.

Zur Effizienzsteigerung gehört auch, das System so transparent zu gestalten, dass Betrug

aufgedeckt und entsprechend verfolgt werden kann. Der Missbrauch von Geldern der Soli-

dargemeinschaft ist kein Kavaliersdelikt und muss entsprechend geahndet werden, allein

schon deshalb, um Nachahmer abzuschrecken.

Die größten Hindernisse bei der Einführung effizienterer Regelungen dürfte in der weit ver-

breiteten Verfolgung von Partikularinteressen bestehen50 (siehe auch Kapitel 2.3). Die Ver-

besserung der Versorgung steht häufig erst an zweiter Stelle hinter eigenen wirtschaftlichen

oder politischen Interessen, es besteht kein wirkliches Interesse an Transparenz, überlebte

Strukturen werden abgeschottet und Studien, die zu unliebsamen Konsequenzen führen

47 Ulla Schmidt sprach während ihrer Amtszeit lieber davon, dass wir „vielleicht einen 2-Klassen-Service hätten, aber keine

2-Klassen-Medizin“. Dies scheint sich zu bestätigen: In manchen Praxen müssen gesetzlich Versicherte länger auf einen Termin warten als privat Versicherte. Dies belegte eine aktuelle Studie des wissenschaftlichen Instituts der AOK: wäh-rend 25% der gesetzlichen Versicherten zwei Wochen auf einen Termin warten mussten, traf dies nur bei 8% der privat Versicherten zu. Allerdings hat eine bevorzugte Behandlung nichts damit zu tun, dass gesetzlich Versicherte qualitativ schlechter behandelt werden als privat Versicherte. Gewissermaßen kann sogar das Gegenteil der Fall sein. Während ge-setzlich Versicherte nach festgelegten Qualitätsrichtlinien und strengen Vorgaben behandelt werden, gilt dies häufig nicht bei privat Versicherten. D.h. bei privaten Leistungen kann alles – auch unnötiges - abgerechnet werden.

48 SCHÖNE-SEIFERT 2011, S. 7 49 Vgl. beispielsweise die Einführung der Kosten-Nutzen Bewertung, die Anhebung des Herstellerrabatt von 6 auf 16 Pro-

zent, die Möglichkeit Rabattverträge zu schließen, etc. 50 Mit anderen Worten: Wenn Mittel eingespart werden, gibt es mindestens einen Betroffenen, der weniger verdient als

vorher und entsprechend protestiert.

RATUBS 3/2012 Entwicklungsperspektiven im Gesundheitswesen: Chancen einer Veränderung

21

könnten, werden erst gar nicht durchgeführt. Hier ist insgesamt ein Mentalitätswandel erfor-

derlich.

Grundlegende strukturelle Veränderungen sind – insbesondere langfristig –in unserem häu-

fig als „verkrustet“ bezeichneten Gesundheitswesen durchaus möglich. Beispielsweise hat

sich seit Anfang der 1990er Jahre in den Krankenkassen vieles verändert. Die ursprünglich

eher als Verwaltungseinheiten agierenden Krankenkassen haben einen Wandel hin zu

Dienstleistungsunternehmen vollzogen. Nach und nach konsolidierten die Kassen ihre inter-

nen Finanzen und Prozesse und professionalisierten ihr Management. In den letzten Jahren

nehmen vor allem die großen Versorgerkassen zunehmend ihre Rolle in der Gestaltung

komplexer Versorgungsprozesse wahr.

Möglich wurde dies durch erweiterte gesetzliche Regelungen, aber auch durch Rahmenbe-

dingungen wie dem Morbi-RSA. Denn, wie u.a. Porter & Guth (2012) schreiben: „In einem

nutzerorientierten System konkurrieren die Krankenversicherer eher darum, ihren Versi-

cherten überlegene Gesundheitsergebnisse im Verhältnis zu den Beiträgen zu verschaffen,

als darum, ihre Beiträge zu minimieren.“51

Abbildung 9: Sich wandelnde Rolle der Krankenkassen

Reiner ZahlerAdministration der Finanzierung

Aktiver EinkäuferManagement des Leistungseinkaufs

VersorgungsgestalterInteraktive Arbeit mit Leistungserbringern und Patienten zur Verbesserung der Versorgung

Häusliches Umfeld

Umwelt Rettung

sdienst

PATIEN

T

KRANKEN

HAUS

R

E

H

A

HAUSA

RZT 1

HAUSARZT

2

Fachar

zt

Apotheke

Apoth

eke

Krankenkasse

Konsil

Überweisungen

Genehmigung

OTC-Präparate

Verschreibung

Facharzt 2

Weiterbildung

Medizin-Consulting

Gesundh

eitsamt

Telemedizin

Abrechnung

Ärztekammer

IV-Management

Aufträge

Labor

AU-

Bescheinig

ung

Pharmai

ndustrie

Entlassbrief

Physiotherapie Pflege

dienst

AufträgeAufträgeAufträge

ÜberweisungenÜberweisungen

Quelle: eigene Darstellung

Neben der im Gesetz von Anfang an definierten Aufgabe, auf die Wirtschaftlichkeit von

Leistungen zu achten, umfasst die sich wandelnde Rolle der Krankenassen heute eine Art

Lotsenfunktion für ihre Versicherten und darüber hinausgehend auch die eines aktiven Sys-

temgestalters. So können die Krankenkassen ihre Versicherten unterstützen, indem sie für

51 PORTER & GUTH (2012), S. 281

RATUBS 3/2012 Entwicklungsperspektiven im Gesundheitswesen: Chancen einer Veränderung

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eine koordinierte Behandlung zwischen verschiedenen Leistungsanbietern sorgen und neue

Modelle erproben, sie können Informationen über Leistungserbringer und Behandlungsver-

fahren bereitstellen, Behandlungsergebnisse oder zumindest Inanspruchnahmedaten über die

gesamte Behandlungskette ermitteln und damit einen Qualitätswettbewerb vorantreiben und

auch die Bewertung des vergleichenden Nutzens unterschiedlicher Verfahren unterstützen.

Rationalisierung kann freilich – aus den oben gezeigten Motiven – das Problem der Mittel-

knappheit nicht komplett lösen bzw. ist in der Realität nie vollständig umsetzbar.

Daher sollte komplementär dazu stärker über eine Priorisierung von Leistungen nachgedacht

werden, wobei hier unter dem Begriff der „Priorisierung“ von Leistungen eine stärkere Be-

wertung ihres Nutzens, ihrer (Schadens-)potenziale und Kosten und daraus folgend die De-

finition einer Leistungsrangfolge verstanden werden soll52. Die Voraussetzung wäre, dass

zunächst ein breiter Diskurs und eine Verständigung auf Makroebene über grundsätzliche

Vorgehensweiten und Kriterien gelingt. Kriterien könnten etwa sein, dass

• in einem solidarisch finanzierten System sichergestellt bleiben muss, dass jeder das

medizinisch Notwendige erhält,

• eine Vorrangigkeit anhand der verfügbaren Evidenz und dem erwartbaren Nutzen je

Indikation austariert wird,

• auf der Arzt-Patienten-Krankenkassenebene in medizinisch begründete individuelle

Lösungen Ausnahmen in Einzelfällen möglich sind.

Eine wichtige Voraussetzung wäre ferner, dass der mögliche Nutzen bzw. Schaden jedes

medizinischen Verfahrens, Produktes oder Versorgungsprogrammes quantifizierbar ist.

Nicht nur in diesem Kontext sollten künftig stärker solche Studien gefördert werden, die

auch Möglichkeiten von besserer Versorgung ohne Mehrausgaben eröffnen. Zu selten wird

danach gefragt, ob nicht vielleicht das Prinzip „weniger ist mehr“ für den Patienten Vorteile

hat, oder ob nicht die älteren oder kostengünstigeren Methoden die besseren sind. Evidenz

ist zu häufig noch nur für solche Verfahren verfügbar, die neu und teuer sind und für die

seitens eines Herstellers Umsatzinteresse besteht.

Im Zusammenhang mit Priorisierung gibt es derzeit zudem widersprüchliche Aussagen aus

der organisierten Ärzteschaft, die einerseits klare Kriterien fordern, was auf GKV-Kosten

52 Wie SCHÖNE-SEIFERT erläutert, ist „Priorisierung – also das Erstellen von Ranglisten nach Bestimmten Gesichtspunk-

ten – zwar für sich genommen ein Akt des bloßen Ordnens [...]. Doch wenn Prioritäten unter der Bedingung von Kanppheit und mit der daraus resultierenden Absicht der Kostenersparnis erstellt werden, geht es letztlich um Posteriorisierung – also um die Einschränkung oder Begrenzung bestimmter medizinischer Leistungen durch Zurückstel-len in der Wichtigkeitsrangfolge. Nichts anderes ist aber Rationierung im angloamerikanischen Sprachgebrauch. Dort werden nämlich ganz allgemein Leistungsbegrenzungen aus Kostengründen als rationing, also Rationierung bezeichnet, ohne dass dadurch etwas über den Rang der limitierten Güter gesagt sei. In Deutschland wird der Rationierungs-Begriff demgegenüber häufig viel enger verstanden – nämlich so, dass es dabei klarerweise um das (natürlich aus jeder Perspek-tive unerwünschte) Vorenthalten lebensrettender oder anderer elementar wichtiger Maßnahmen aus Kostengründen ge-he.“ S. 7-8.

RATUBS 3/2012 Entwicklungsperspektiven im Gesundheitswesen: Chancen einer Veränderung

23

getan und abgerechnet werden dürfe, andererseits die Freiheit der ärztlichen Berufsaus-

übung als unantastbar bezeichnen. Die Entscheidung allerdings, was im konkreten Einzelfall

hilft und angemessen ist, will und kann dem Behandelnden niemand abnehmen. Die Gesell-

schaft bzw. die gewählte Makroebene kann (nur) Rahmen und Entwicklungsrichtung vorge-

ben, wie es derzeit in Teilbereichen schon durch das Gremium des Gemeinsamen Bundes-

ausschusses erfolgt, der u.a. für Zulassung und Ausschluss bestimmter Leistungen zuständig

ist. Das Thema Priorisierung wird somit noch aus ganz unterschiedlichen Aspekten disku-

tiert werden müssen 53.

In Abgrenzung zur Rationalisierung und Priorisierung versteht man unter Rationierung zu-

meist eine klar definierte Ausgrenzung medizinisch notwendiger Leistungen aus finanziel-

len Gründen54. Dies kann sowohl eine Ausgliederung von Leistungsblöcken umfassen (die

dann ggf. zusätzlich privat abgesichert werden müssten) oder theoretisch auch nach anderen

Kriterien wie z.B. Altersgrenzen oder Krankheitsentitäten geregelt werden. Dies lehnen wir

für unser solidarisches Gesundheitssystem ab.

Nicht wegzudiskutieren bleibt bei allen Ansätzen freilich das ethische Dilemma des medizi-

nisch-technischen Fortschritts, das entsteht, wenn in bestimmten Bereichen extrem teure

Verfahren entwickelt werden, die wenige Leben mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit für

eine kurze Zeit retten könnten und dafür einen sehr hohen Anteil an Solidarmitteln binden.

Was ist dann „gerecht“? Wofür soll das Geld eingesetzt werden? Hierauf eine Antwort zu

finden, ist nicht trivial und wird nur auf systemischer Ebene fair und akzeptanzfähig gelin-

gen können, bevor es also um einen konkreten Patienten, ein individuelles Schicksal, geht.

3.2 Umsetzung sektorübergreifender Modelle

In kaum einem anderen europäischen Land ist die ambulante – auch fachärztliche – Versor-

gung so frei zugänglich und dicht wie in Deutschland. Fast 90% der Bevölkerung erreichen

ihren Hausarzt innerhalb von 15 Minuten Wegezeit. Auch der Zugang zur fachärztlichen

Versorgung ist nach wie vor im Vergleich zu anderen Ländern gut. In Hinblick auf die me-

dial sehr verbreitete Angst vor Unterversorgung (im Gegensatz zu dem kaum je erwähnten

Schadenspotenzial von Überversorgung, und sei es nur in Form von Opportunitätskosten)

hat die derzeitige Regierungskoalition begonnen, Antworten im 2012 in Kraft getretenen

Versorgungsstrukturgesetz vorzubereiten. So wurde z.B. die Residenzpflicht für Ärzte auf-

gehoben, d.h. Ärzte können ganz normal, wie andere Selbständige oder Arbeitnehmer auch,

hier praktizieren und dort leben, in diesem Fall also eher auf dem Land praktizieren und in

der Stadt leben. Des Weiteren wurden monetäre Anreize gesetzt um vor allem Allgemein-

mediziner zu motivieren, sich in strukturschwachen Gebieten niederzulassen. Den Rahmen

53 Viele Aspekte der Diskussion finden sich z.B. in der Veranstaltungsdokumentation des Frankfurter Forums für gesell-

schafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen Nr. 3/2011 und 4/2011. 54 Wobei auch hier die Grenzbereiche zwischen Priorisierung und Rationierung in der Diskussion häufig verschwimmen.

RATUBS 3/2012 Entwicklungsperspektiven im Gesundheitswesen: Chancen einer Veränderung

24

hierfür sollen flexiblere Organisationsmodelle (Zweigstellen, Ärztenetze, delegierbare Leis-

tungen) sowie eine veränderte Bedarfsplanung bilden55. Insgesamt setzt das Gesetz einen

deutlichen Schwerpunkt auf eine Regionalisierung, d.h. die Probleme sollen vor Ort gelöst

werden.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass Strukturwandel grundsätzlich ein normales Phänomen ist.

Die gesundheitliche Versorgung muss allerdings kritischer betrachtet werden als zum Bei-

spiel der Wandel im Lebensmitteleinzelhandel, Stichwort „Tante-Emma-Läden“. Bei realis-

tischer Betrachtung wird es jedoch künftig nicht (mehr) möglich sein, in jedem kleineren

Ort einen niedergelassenen Facharzt vorzuhalten, vor allem dann nicht, wenn im benachbar-

ten Krankenhaus ein Facharzt der gleichen Richtung tätig ist. Dafür werden neue, konstruk-

tive Lösungen entstehen, wie mobile Arztpraxen, Delegationsmodelle 56 oder Gemein-

schaftspraxen, in denen sich auch Beruf und Familie besser vereinbaren lassen. Fortschritt

sollte also auch im Sinne eines strukturellen Fortschritts verstanden werden.

Nötig sind vor allem neue, sektorübergreifende Versorgungsformen. Diese lassen sich nur

gemeinsam mit allen Beteiligten finden. Sie sind unter anderem deshalb so schwierig umzu-

setzen, weil die Finanzierungstöpfe bzw. -systeme sektorbezogen ausgestaltet sind. Daher

müssen innovative Versorgungsformen zunächst in kleinerem Maßstab ausprobiert und

„gelernt“ (und evaluiert) werden. Hierbei gibt es keinen Königsweg. Regional gefundene

Lösungen können dann pragmatisch weiterentwickelt werden.

Gesundheitsregionen beruhen auf dem Gedanken, dass lokale Netzwerke gestärkt und ge-

nutzt werden sollten, um mit Kenntnissen der jeweiligen Gegebenheiten vor Ort eigene

Ideen und Lösungen für Probleme zu suchen und diese direkt umzusetzen. Gesundheitliche

Risiken und Ressourcen sollen dabei – idealerweise – unter umfassenden Gesichtspunkten

betrachtet werden, indem also Überlegungen zur Infrastruktur, zur Verbesserung von Bil-

dung oder ökologischen Faktoren einbezogen werden.

Ob Gesundheitsregionen den schwierigen Spagat leisten können, übergreifende Reformvor-

gaben mit den vor Ort bekannten regionalen Bedürfnissen und Prioritäten zu verknüpfen,

die gegebenen gesetzlichen Handlungsmöglichkeiten in adäquate Lösungsansätze zu gießen

und diese gemeinsam mit den handelnden Akteuren umzusetzen, ist eine spannende Frage.

In Niedersachsen soll diese Frage auf Initiative des niedersächsischen Sozialministeriums

55 Kaum ausgesprochen gab es schon die ersten Berechnungen und Modelle, wie eine zukünftige flexiblere bzw. kleinteilige Bedarfsplanung aussehen könnte. Das Ergebnis ist nicht überraschend – durch die Verkleinerung der Regionen wären nach Berechnungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung 12.000 bis 20.000 zusätzliche Allgemeinmediziner nötig, um den Bedarf an Versorgung zu decken. Sogar in manchen Ballungszentren würde auf dem Papier Unterversorgung entstehen. Da es diese zusätzlichen Ärzte nicht gibt, müssten also flächendeckende Zuschüsse aufgrund von Unterversorgung gezahlt werden und die Abstaffelung von Punktwerten würde in zahlreichen Regionen entfallen. 56 D.h. dass beispielsweise nicht jeder Hausbesuch zum Verbandswechsel vom Hausarzt geleistet werden muss, der viel Zeit verliert, sondern auch von einer speziell weitergebildeten Fachkraft übernommen werden kann. Dieses wurde bereits in Mo-dellprojekten erprobt und ist vielen Ländern üblich; der Gemeinsame Bundesausschuss ist gemäß Versorgungsstrukturgesetz damit beauftragt, bis zum 30. Juni 2012 zu konkretisieren, welche Leistungen künftig als Delegationsleistungen ausgeführt werden dürfen. § 28 Abs. 1 SGB V.

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mit Hilfe der drei Pilotregionen im Emsland, in Soltau-Fallingbostel und im Kreis Wolfen-

büttel in den nächsten Jahren beantwortet werden. In diesen Regionen lassen sich neue Ver-

sorgungsformen regional begrenzt ausprobieren und auf ihren Nutzen hin untersuchen. Da-

mit können erfolgreiche Projekte gefiltert werden, die sich dann ggf. landesweit umsetzen

lassen.

Entscheidend ist dabei, dass sich die vorab von den Akteuren formulierten Ziele in realen

Maßnahmen niederschlagen. Sie dürfen keine theoretischen Abhandlungen auf dem Papier

bleiben. Auch kann es nicht darum gehen, einfach zusätzliche Mittel aufzubringen, sondern

es ist entscheidend, die vorhandenen Mittel bestmöglich zu verwenden und Schwerpunkte

zu setzen.

Die nächste Abbildung verdeutlicht exemplarisch anhand des S-Kurven Konzeptes,57 was

der „Sprung“ einer strukturellen Innovation von einer sektoralen Versorgung zu einer

sektorübergreifenden Versorgung bewirken könnte. Die erste S-Kurve – das heutige Modell

– stößt sozusagen an ihre Grenzen und lässt sich auch bei einer weiteren Erhöhung der

Aufwände nur noch marginal verbessern. Neue Versorgungsformen befinden sich erst am

Anfang, in der Phase des „Trial and Error“. Sie haben allerdings das Potenzial, deutlich über

das heutige System hinauszuwachsen und mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit in die Ver-

sorgung zu bringen58.

Abbildung 10: S-Kurvenansatz im Gesundheitssystem

Qualität und

Wirtschaft-lichkeit

FuE-Aufw.

Hausarzt

Facharzt

Krankenhaus

Reha

Arzneimittel

Pflege

Prävention

Weiterbildung

System heute

Prävention

Stationäre Versorgung

Rehabilitation Nachsorge

System morgen ?

Prävention

Innovation

Prävention

Arzneimittel

Arzneimittel

Pflege

Weiterbildung

Innovation

Ambulante Versorgung

?

Quelle: eigene Darstellung 57 FOSTER 1987. 58 Dabei ist zu bedenken: Selektives Kontrahieren und Integrierte Versorgungsmodelle sind ein gutes Instrument zur Weiter-entwicklung der Regelversorgung, um alte Strukturen aufzubrechen und Neues zu erproben. Allerdings schaffen sie wiederum neue Schnittstellen, bedürfen erheblichen Verhandlungsaufwandes und bedingen eine neue Art von Intransparenz (da Verträge im Wettbewerb naturgemäß nicht offengelegt werden). Selektive Modelle können und sollen daher die Regelversorgung nicht ersetzen. Ein konstruktives Nebeneinander von Selektiv- und Kollektivleistungen ist gefragt.

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26

Dies gilt auch für die Bedarfsplanung, die stärker sektorübergreifend ausgerichtet werden

sollte. Hierzu muss der finanziellen Rahmen angepasst werden, um Anreize zu setzen, aber

auch die Wirtschaftlichkeit für neue Versorgungsformen zu gewährleisten.

Auch die Versorgungsforschung, die danach fragt, wie Behandlungsansätze und strukturelle

Versorgungsmodelle unter Alltagsbedingungen tatsächlich wirken, ist erst am Anfang und

sollte systematisch ausgebaut werden. Dieser Innovationsprozess ist allerdings auch ein

sozialer Prozess – und somit vorrangig ein Kommunikationsprozess.

Diesen Paradigmenwechsel gilt es in den nächsten Jahren zu vollziehen.

4. Zusammenfassung und Fazit

„Die Zukunft ist offen“

(Karl Popper)

Ziel dieses Beitrages war es, Probleme und Herausforderungen zu benennen und Lösungs-

ansätze skizzenhaft aufzuwerfen. Deutlich wurde, dass Wettbewerb als Lösung für die Wei-

terentwicklung des Gesundheitswesens sehr differenziert zu betrachten und zu bewerten ist.

Der „Gesundheitsmarkt“ ist nicht mit anderen Märkten vergleichbar. Dementsprechend ist

die pauschale Forderung nach „mehr Wettbewerb“ keine Lösung, die zum Optimum für

unsere Gesellschaft führt.

Der Wettbewerb in der Gesetzlichen Krankenversicherung ist kein Selbstzweck. Wettbe-

werb kann hilfreich sein, aber in den richtigen Feldern, um das Richtige – einen Wettbewerb

um eine gute Versorgung. Er soll die Effizienz und die Qualität der Leistungserbringung

und Leistungsbeschaffung im Interesse der Versicherten und Beitragszahler stärken. Die

entscheidende Herausforderung in der Zukunft bleibt es somit, das Spannungsfeld zwischen

Wettbewerb, ökonomischem Gewinnstreben und Solidarität auszutarieren.

Da im Gesundheitswesen (wie in jedem anderen Bereich auch) die Bedürfnisse immer grö-

ßer als die verfügbaren Mittel sein werden, müssen Einsparpotenziale im System realisiert

und Verschwendung konsequent vermieden werden. Hierfür sollte verstärkt eine sachver-

ständige Debatte über Priorisierung im Sinne einer konsequenten Nutzenbewertung medizi-

nischer Leistungen geführt werden.

Entscheidend ist es ferner, Ältere stärker in die Gesellschaft einzubinden und ein Leben mit

chronischer Krankheit gestaltbar zu machen. Hierauf sollten wir uns heute vorbereiten und

die Versorgungsstrukturen rechtzeitig anpassen. Dazu gehört auch die Entwicklung stärker

sektorübergreifender Modelle.

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Nötig sind funktionierende Rahmenbedingungen, die die passenden Anreize setzen. Hierfür

ist der Gesetzgeber gefordert, aber eben auch und nicht nur: Vorrangig ist das Umdenken in

den Köpfen. Denn überhöhtes Anspruchsdenken (Patient), reine Gewinnmaximierungsstra-

tegien (bei Anbietern im Gesundheitswesen), Kostenkürzung (Krankenkassen), kurzfristige

Wählermaximierung (Politik) reiben sich mit den Zielen eines effektiven und effizienten

Gesundheitssystems.

Denken kann aber nicht gesetzlich geregelt werden. Es ist die Frage, wie wir miteinander

umgehen, kooperieren und mit welchen Werten wir Versorgung gestalten. Modelle aus der

Spieltheorie zeigen dabei, dass Kooperation nicht nur das Optimum für Gesellschaft er-

reicht, sondern auch für die einzelnen Akteure langfristig die beste Strategie darstellt.

Fazit: Die Zukunft ist offen – und gestaltbar.

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Literaturverzeichnis

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Zu den Autoren

Dr. rer. pol. Jürgen Peter

Diplom-Kaufmann. Vorstandsvorsitzender der AOK – Die Gesundheitskasse für Niedersachsen.

Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg mit den Schwerpunk-

ten Unternehmensführung, Rechnungswesen und Industriebetriebslehre. Promotion über die Ein-

führung von Lean Management und Gruppenarbeit in Industriebetrieben. Währenddessen wissen-

schaftlicher Mitarbeiter in verschiedenen Forschungsprojekten und Beratung von Industriebetrie-

ben bei der Umsetzung und Einführung von Gruppenarbeits- und KVP-Konzepten. 1996 Wechsel

zur AOK Niedersachsen. Als Geschäftsführer Unternehmensentwicklung und Leiter des Zentral-

controllings für die Reorganisation der AOK Niedersachsen und ihre Konsolidierung verantwort-

lich. Seit 1.1.2005 Vorstandsmitglied und seit März 2005 alleiniger Vorstand der AOK Nieder-

sachsen. Sveja Eberhard

Epidemiologin und Diplom-Kauffrau. Leiterin des Stabsbereiches Gesundheitspolitik und Versor-

gungsforschung bei der AOK Niedersachsen. Berufsbegleitendes Studium „European Master of

Science in Epidemiology“ von 2005 bis 2008 am Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiolo-

gie und Informatik (IMBEI) an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg - Universität

Mainz. Seit 2009 Promotion am Institut für Sozialmedizin, Gesundheitssystemforschung und Epi-

demiologie der Medizinischen Hochschule Hannover. Ab 2011 Gast-Lehrtätigkeit an der MHH im

Fach Public Health und bis 2010 Dozentin im AOK-internen Betriebswirtschafts-Studiengang im

Fach Gesundheitsökonomie.

Im Jahr 2010 sind die unten aufgeführten RATUBS-Bände erschienen:

Andreas Klees Rechtswissenschaftliche Forschung und Lehre an einer Technischen Universität –

Cui bono?

16 Seiten Band 1/2010 Thomas Gawron Reorganisation von Verwaltungsstrukturen in schrumpfen-

den Regionen

102 Seiten Band 2/2010 Edmund Brandt Rechtswissenschaftliche Forschung im Spannungsfeld zwischen Disziplinarität und Interdis-

ziplinarität

23 Seiten Band 3/2010 Andreas Klees/Sebastian Max Hauser Entflechtungen von Unternehmen als Instrument des allgemeinen Wettbewerbsrechts?

Zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Entflechtungsbefugnis

vom 8. Januar 2010

49 Seiten Band 4/2010

Lothar Hagebölling Technik und Recht. Die Rechtswissenschaften an der Technischen Universität Braunschweig

mit Tradition und Zukunft

23 Seiten Band 5/2010 Ralf Kreikebohm Solidarität und Subsidiarität als Ausprägung des „Sozialen“ in den Zeiten der Finanz- und

Wirtschaftskrise

21 Seiten Band 6/2010

Günter C. Burmeister Das Diskriminierungsverbot in der dienstrechtlichen Rechtsprechung – dargestellt am Bei-

spiel der Alters- und Teilzeitbeschäftigungsdiskriminierung

33 Seiten Band 7/2010

Andreas Klees Energy Law in South Africa – Comments from a German Perspective on an Evolving Field

of Law. Part one: Legal and Regulatory Framework of the Electricity Supply Industry

92 Seiten Band 8/2010 Im Jahr 2011 sind erschienen: Edmund Brandt/Helmut Spangenberger Windenergieanlagen und Rotmilane – Anforderungen an die Bewertung des Tötungsrisikos 51 Seiten Band 1/2011 Eberhard Eichenhofer Sozialpolitik im Kontext des Lissabonner Vertrages und der Finanzmarkt- und Eurokrise

36 Seiten Band 2/2011 Ralf Kreikebohm Der Demographische Wandel: Nicht nur ein Thema für die sozialen Sicherungssysteme

31 Seiten Band 3/2011

Edmund Brandt Energierechtswende als geronnene Politik

54 Seiten Band 4/2011 Im Jahr 2012 sind bisher erschienen: Materialien zur Endlagersuchgesetzgebung I

(Zusammengestellt und eingeleitet von Edmund Brandt/Ulf Roßegger) 80 Seiten Band 1/2012 Thomas Gawron Biomasseanbau und räumliche Planung

62 Seiten Band 2/2012