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Unzeitgemäß und überflüssig Wie schön, auch mal einen Verriss schreiben zu können! Oft kann man ja Bücher, die man überflüssig findet, schweigend übergehen; auf Jakob Wilhelm Hauers Schrift Werden und Wesen der Anthroposophie aber soll den- noch hingewiesen werden – kann sie doch als Symptom für eine aktuelle Auseinandersetzung innerhalb gewisser rechtsintellektueller Zirkel gelten. Das in jeder Hinsicht unzulängliche Buch (erste Auflage 1922, zweite 1923) ist im Regin Verlag von Markus Fernbach erschienen. Der kleine junge Verlag ist dem sog. „Traditionalismus“ verpflichtet, einer konservativ-„esoterischen“ Geistesströmung, deren bekannteste Vertreter der Faschist Julius Evola und René Guenon sind. Von Evola stammt auch das Verlagsmotto (auf der Startseite der Homepage des Verlags): „Tradition ist für uns das siegreiche und schöpferische Vorhandensein in der Welt dessen, was nicht von dieser Welt ist, d.h. des Geistes, aufgefasst als eine Macht, die stärker ist als jede nur materielle und mensch- liche Kraft.“ Jakob Wilhelm Hauer (1881-1962) kam vom Pietismus her. Er wurde in Basel zum Missionar ausgebildet, stu- dierte – u.a. in Großbritannien – Theologie, Philosophie und Religionswissenschaften, war in Indien im Missi- onsdienst und nach seinem 2. Theologischen Examen 1920 kurze Zeit Vikar in Stuttgart. Den Kirchendienst ver- ließ er aber bald; später wurde er in Tübingen und Marburg Professor für vergleichende Religionswissenschaft und Indologie (Spezialgebiet: tantrischer Yoga). 1921 hielt er im Stuttgarter Siegle-Haus eine Vortragsreihe über die Anthroposophie, deren erweiterten Inhalt er 1922 publizierte. Vom Christentum hatte er sich innerlich schon vorher gelöst – und dennoch polemisiert er in seiner Schrift gegen Steiner und die Anthroposophie auch mit dem antichristlichen Ressentiment, beklagt eine „unendlich[e]“ Gottferne. Auch erhebt er den Vorwurf der Unwis- senschaftlichkeit sowie den des Eklektizismus – der sich vor allem aus der westlichen esoterischen Tradition speise. Der Neuherausgeber Markus Fernbach warnt in seinem Vorwort in aufklärerischer Attitüde vor den „okkulten Hintergründen“ der Anthroposophie, die Hauer in seiner Darstellung zeige, und legt das Buch besonders „den der heutigen Konsumwelt gegenüber kritisch eingestellten Eltern, die ihre Kinder in anthroposophische Waldorf- Einrichtungen schicken“, mahnend ans Herz. Nur seltsam: Sein eigener okkult-faschistischer Background „Tra- ditionalismus“ wird von Fernbach peinlich verschwiegen. Auch erfährt man nichts über Hauers spätere neuheid- nische Karriere: Das NSDAP-Mitglied Hauer war Mitbegründer und zeitweise einer der Führer der arisch-rassis- tischen und antisemitischen „Deutschen Glaubensbewegung“, die Jahwe und Jesus Christus bekämpfte. In einem 40seitigen anti-anthroposophischen Gutachten für das Amt Rosenberg bezeichnete Hauer 1940 Steiner als einen „Cagliostro des 20. Jahrhunderts“. – Auch nach 1945 und bis zu seinem Tode hielt er an seinem „Deutschen Glauben“ fest. Auf den wenig substanziellen (und vom heutigen Standpunkt aus erst recht überholten) Inhalt von Hauers Machwerk ist bereits 1924 Louis Werbeck in seiner Schrift Die christlichen Gegner Rudolf Steiners eingegan- gen, auf das hier verwiesen sei. Bleibt die Frage: Warum? Warum geht ein jüngerer, vermutlich nicht sehr vermögender Kleinverleger das Risi- ko des Neudrucks einer Schrift ein, die mit seinem eigentlichen Themengebiet bestenfalls marginal zu tun hat? Großen Profit kann er sich kaum erhoffen, Ruhm erst recht nicht und Renommee höchstens in den eigenen Rei- hen. Die einzige Motivation, die ich erkennen kann, ist ein tiefsitzender Hass auf die Anthroposophie, bei deren Bekämpfung jedes Mittel recht ist – selbst ein höchstens zweitklassiges, veraltetes Buch, für das sich niemand interessiert und das gottlob bisher in Antiquariats- und Bibliotheksregalen verstaubte. – 2001 erschien in Band II der Schriftenreihe SYNERGON-FORUM (Ausbruch aus den Ideologien) des neuheid- nischen Dresdner Verlages Zeitenwende neben vier Beiträgen der völkischen Scheinanthroposophen Bernhard Schaub und Andreas Ferch ein Beitrag von Markus Fernbach über Evolas „traditionale Sichtweise des Gralsmy- thos“. Im rechtsextremistischen Milieu herrschen wohl Verunsicherung und Uneinigkeit über die „rechte“ Ein- schätzung der Anthroposophie. Der Fall des ehemaligen Waldorflehrers und jetzigen NPD-Bildungspolitikers Andreas Molau sowie die Kampf-Allianz der Haverbeck-Witwe mit dem seltsamen „Deutschwilligen“ und Ober-Nationalsozialisten Horst Mahler (der zum „Kampf um die Rückeroberung dieser Erziehungseinrichtung [der Waldorfschule] für den Deutschen Geist“ aufrief und die Schülerschaft der Waldorfschulen „in eine geistige SS-Division zum Schutze der Deutschen Volksseele umformen“ will) können im Kontext dieser Verwirrung ge- sehen werden. Vielleicht wollte Fernbach mit der Herausgabe der Hauer-Schrift ein Zeichen setzen und sich als Steinergegner profilieren?

JWHauer Rezension info3 2005

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Page 1: JWHauer Rezension info3 2005

Unzeitgemäß und überflüssig

Wie schön, auch mal einen Verriss schreiben zu können! Oft kann man ja Bücher, die man überflüssig findet,schweigend übergehen; auf Jakob Wilhelm Hauers Schrift Werden und Wesen der Anthroposophie aber soll den-noch hingewiesen werden – kann sie doch als Symptom für eine aktuelle Auseinandersetzung innerhalb gewisserrechtsintellektueller Zirkel gelten. Das in jeder Hinsicht unzulängliche Buch (erste Auflage 1922, zweite 1923)ist im Regin Verlag von Markus Fernbach erschienen. Der kleine junge Verlag ist dem sog. „Traditionalismus“verpflichtet, einer konservativ-„esoterischen“ Geistesströmung, deren bekannteste Vertreter der Faschist JuliusEvola und René Guenon sind. Von Evola stammt auch das Verlagsmotto (auf der Startseite der Homepage desVerlags): „Tradition ist für uns das siegreiche und schöpferische Vorhandensein in der Welt dessen, was nichtvon dieser Welt ist, d.h. des Geistes, aufgefasst als eine Macht, die stärker ist als jede nur materielle und mensch-liche Kraft.“

Jakob Wilhelm Hauer (1881-1962) kam vom Pietismus her. Er wurde in Basel zum Missionar ausgebildet, stu-dierte – u.a. in Großbritannien – Theologie, Philosophie und Religionswissenschaften, war in Indien im Missi-onsdienst und nach seinem 2. Theologischen Examen 1920 kurze Zeit Vikar in Stuttgart. Den Kirchendienst ver-ließ er aber bald; später wurde er in Tübingen und Marburg Professor für vergleichende Religionswissenschaftund Indologie (Spezialgebiet: tantrischer Yoga). 1921 hielt er im Stuttgarter Siegle-Haus eine Vortragsreihe überdie Anthroposophie, deren erweiterten Inhalt er 1922 publizierte. Vom Christentum hatte er sich innerlich schonvorher gelöst – und dennoch polemisiert er in seiner Schrift gegen Steiner und die Anthroposophie auch mit demantichristlichen Ressentiment, beklagt eine „unendlich[e]“ Gottferne. Auch erhebt er den Vorwurf der Unwis-senschaftlichkeit sowie den des Eklektizismus – der sich vor allem aus der westlichen esoterischen Traditionspeise.

Der Neuherausgeber Markus Fernbach warnt in seinem Vorwort in aufklärerischer Attitüde vor den „okkultenHintergründen“ der Anthroposophie, die Hauer in seiner Darstellung zeige, und legt das Buch besonders „dender heutigen Konsumwelt gegenüber kritisch eingestellten Eltern, die ihre Kinder in anthroposophische Waldorf-Einrichtungen schicken“, mahnend ans Herz. Nur seltsam: Sein eigener okkult-faschistischer Background „Tra-ditionalismus“ wird von Fernbach peinlich verschwiegen. Auch erfährt man nichts über Hauers spätere neuheid-nische Karriere: Das NSDAP-Mitglied Hauer war Mitbegründer und zeitweise einer der Führer der arisch-rassis-tischen und antisemitischen „Deutschen Glaubensbewegung“, die Jahwe und Jesus Christus bekämpfte. In einem40seitigen anti-anthroposophischen Gutachten für das Amt Rosenberg bezeichnete Hauer 1940 Steiner als einen„Cagliostro des 20. Jahrhunderts“. – Auch nach 1945 und bis zu seinem Tode hielt er an seinem „DeutschenGlauben“ fest.

Auf den wenig substanziellen (und vom heutigen Standpunkt aus erst recht überholten) Inhalt von HauersMachwerk ist bereits 1924 Louis Werbeck in seiner Schrift Die christlichen Gegner Rudolf Steiners eingegan-gen, auf das hier verwiesen sei.

Bleibt die Frage: Warum? Warum geht ein jüngerer, vermutlich nicht sehr vermögender Kleinverleger das Risi-ko des Neudrucks einer Schrift ein, die mit seinem eigentlichen Themengebiet bestenfalls marginal zu tun hat?Großen Profit kann er sich kaum erhoffen, Ruhm erst recht nicht und Renommee höchstens in den eigenen Rei-hen. Die einzige Motivation, die ich erkennen kann, ist ein tiefsitzender Hass auf die Anthroposophie, bei derenBekämpfung jedes Mittel recht ist – selbst ein höchstens zweitklassiges, veraltetes Buch, für das sich niemandinteressiert und das gottlob bisher in Antiquariats- und Bibliotheksregalen verstaubte. –

2001 erschien in Band II der Schriftenreihe SYNERGON-FORUM (Ausbruch aus den Ideologien) des neuheid-nischen Dresdner Verlages Zeitenwende neben vier Beiträgen der völkischen Scheinanthroposophen BernhardSchaub und Andreas Ferch ein Beitrag von Markus Fernbach über Evolas „traditionale Sichtweise des Gralsmy-thos“. Im rechtsextremistischen Milieu herrschen wohl Verunsicherung und Uneinigkeit über die „rechte“ Ein-schätzung der Anthroposophie. Der Fall des ehemaligen Waldorflehrers und jetzigen NPD-BildungspolitikersAndreas Molau sowie die Kampf-Allianz der Haverbeck-Witwe mit dem seltsamen „Deutschwilligen“ undOber-Nationalsozialisten Horst Mahler (der zum „Kampf um die Rückeroberung dieser Erziehungseinrichtung[der Waldorfschule] für den Deutschen Geist“ aufrief und die Schülerschaft der Waldorfschulen „in eine geistigeSS-Division zum Schutze der Deutschen Volksseele umformen“ will) können im Kontext dieser Verwirrung ge-sehen werden. Vielleicht wollte Fernbach mit der Herausgabe der Hauer-Schrift ein Zeichen setzen und sich alsSteinergegner profilieren?

Page 2: JWHauer Rezension info3 2005

Über die Gegensätzlichkeit und Unvereinbarkeit von Anthroposophie und „Traditionalismus“ erfährt man inHauers Buch allerdings nicht das geringste. In den letzten Jahren erschienen von anthroposophischer Seite einigewertvolle Arbeiten zu Evola (L.Ravagli, R.Benedikter). Gäbe es eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der An-throposophie vom Standpunkt des „Traditionalismus“ aus, würde wohl manches Erhellende über den finster-chauvinistischen Hinter-, Unter- und Urgrund dieser „Bewegung“ zutage kommen. Evola selber hat sich übri-gens in wünschenswerter Deutlichkeit über die o.g. Gegensätzlichkeit ausgelassen. –

Rätselhaft bleibt daneben die merkwürdige Tatsache stehen, dass es im faschistischen Italien im Umkreis Evo-las auch einzelne Anthroposopophen gab. Das ist zu bedauern, aber zu leugnen ist es nicht.

Hans-Jürgen Bracker

Jakob Wilhelm Hauer, Werden und Wesen der Anthroposophie. Eine Wertung und eine Kritik. (Hrsg. v. Markus Fernbach) Kt., 158 S.,Regin Verlag, Bliestorf bei Lübeck, 3. Aufl. 2004. EUR 14,90.

Rezension erschienen in INFO3 ?/2005