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JOHANN WOLFGANG VON GOETHE Seefahrt Taglang nachtlang stand mein Schiff befrachtet ; Günst'ger Winde harrend saß mit treuen Freunden, - Mir Geduld und guten Mut erzechend - Ich im Hafen . Und sie wurden mit mir ungeduldig: Gerne gönnen wir die schnellste Reise , Gern die hohe Fahrt dir; Güterfülle Wartet drüben in den Welten deiner, Wird Rückkehrendem in unsern Armen Lieb und Preis dir . __________________________________ _______ Und am frühen Morgen ward's Getümmel, Und dem Schlaf entjauchzt uns der Matrose , Alles wimmelt, alles lebet, webet, Mit dem ersten Segenshauch zu schiffen . __________________________________ _______ Und die Segel blühen in dem Hauche, Und die Sonne lockt mit Feuerliebe; Ziehn die Segel , ziehn die hohen Wolken, Jauchzen an dem Ufer alle Freunde Hoffnungslieder nach im Freudetaumel Reisefreuden wähnend wie des Einschiffmorgens Wie der ersten hohen Sternennächte. __________________________________ _______ Aber gottgesandte Wechselwind e treiben Seitwärts ihn der vorgesteckten Fahrt ab, Und er scheint sich ihnen hinzugeben, Strebet leise sie zu überlisten, Treu dem Zweck auch auf dem schiefen Wege. Aber aus der dumpfen grauen Ferne Kündet leise wandelnd sich der Sturm an, Drückt die Vögel nieder aufs Gewässer , Drückt der Menschen schwellend Herze nieder; Und er kommt. Vor seinem starren Wüten Streckt der Schiffer weis' die Segel nieder, Mit dem angsterfüllten Balle spielen Wind und Wellen . Und an jenem Ufer drüben stehen Freund' und Lieben, beben auf dem Festen: Ach, warum ist er nicht hier geblieben! Ach, der Sturm! Verschlagen weg vom Glücke Soll der Gute so G e f ä h r d u n g d e r R e i s e n d e n d u r c h d e n S t u r m B e g i n n d e r R e i s e g l ü c k l i c h e r V e r l a u f A u f b r u c h W a r t e z e i t i m H a f e n

K12 Deutsch Mitschrift - Gedichtbesprechung "Seefahrt" von Goethe

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Page 1: K12 Deutsch Mitschrift - Gedichtbesprechung "Seefahrt" von Goethe

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE

Seefahrt

Taglang nachtlang stand mein Schiff befrachtet;Günst'ger Winde harrend saß mit treuen Freunden,- Mir Geduld und guten Mut erzechend - Ich im Hafen.

Und sie wurden mit mir ungeduldig:Gerne gönnen wir die schnellste Reise,Gern die hohe Fahrt dir; GüterfülleWartet drüben in den Welten deiner,Wird Rückkehrendem in unsern ArmenLieb und Preis dir._________________________________________Und am frühen Morgen ward's Getümmel,Und dem Schlaf entjauchzt uns der Matrose,Alles wimmelt, alles lebet, webet,Mit dem ersten Segenshauch zu schiffen._________________________________________Und die Segel blühen in dem Hauche,Und die Sonne lockt mit Feuerliebe;Ziehn die Segel, ziehn die hohen Wolken,Jauchzen an dem Ufer alle FreundeHoffnungslieder nach im FreudetaumelReisefreuden wähnend wie des EinschiffmorgensWie der ersten hohen Sternennächte._________________________________________Aber gottgesandte Wechselwinde treibenSeitwärts ihn der vorgesteckten Fahrt ab,Und er scheint sich ihnen hinzugeben,Strebet leise sie zu überlisten,Treu dem Zweck auch auf dem schiefen Wege.

Aber aus der dumpfen grauen FerneKündet leise wandelnd sich der Sturm an,Drückt die Vögel nieder aufs Gewässer,Drückt der Menschen schwellend Herze nieder;Und er kommt. Vor seinem starren WütenStreckt der Schiffer weis' die Segel nieder,Mit dem angsterfüllten Balle spielenWind und Wellen.

Und an jenem Ufer drüben stehenFreund' und Lieben, beben auf dem Festen:Ach, warum ist er nicht hier geblieben!Ach, der Sturm! Verschlagen weg vom GlückeSoll der Gute so zugrunde gehen?Ach, er sollte, ach, er könnte! Götter!_________________________________________Doch er stehet männlich an dem Steuer;Mit dem Schiffe spielen Wind und Wellen;Wind und Wellen nicht mit seinem Herzen:Herrschend blickt er auf die grimme TiefeUnd vertrauet, scheiternd oder landend,Seinen Göttern .

Antithese

Parenthese

Anapher → ungeduldig

Inversion

Anapher → Dynamik der Sprache → Aufbruch

Asyndeton → Bewegung

Anapher, Parallelismus

Hoffnung, Vorfreude

Unwetter, Gefahr

Anapher

Ausrufe → GefühleWiederholung → Eindringlichkeit

Verhalten des lyrischen

IchsG

efährdung der Reisenden durch den S

turm

Beginn der R

eise →

glücklicher Verlauf

Aufbruch

Wartezeit im

Hafen

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Äußere Handlung: - Kaufmann fährt aus, um „Drüben“ (Amerika?) sein Glück zu machen, erlebt Bedrohung während der Fahrt- begegnet der Bedrohung vorsichtiger Anpassung, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren, in Selbst- und Gottvertrauen Ballade: (→ Urform der Dichtung; Lyrik, Epik + Dramatik enthalten)- auktorialer Erzähler enthalten - Präteritum - Handlung, Vorgang steht im Mittelpunkt (→ Epik)- dramatisches Geschehen - Redeelemente (→ Dramatik)

Interpretation:Vorfreude → SchwierigkeitenEinstellung: Gelassenheit, Vertrauen auf die GötterEinstellung zu sich selbst: Beherrschung des Schicksals, unbeirrbares HerzPerspektivenwechsel: Distanz zum Schicksal, Vernunft herrscht vor, Distanz zu persönlichen Rückschlägen, nimmt sein Schicksal in die Hand, lässt sich nicht treiben, bestimmt selbst => Gegensatz äußere Handlung / SprechsituationStürme des Lebens <=> kühles, vernunftmäßiges Handeln

Sturm und Drang oder Klassik?

Das Gedicht „Seefahrt“ ist ein Gedicht des Übergangs, da es sowohl Elemente des Sturm und Drang als auch der Klassik enthält.

Bezug zu Goethes Biografie:Goethe (studierter Jurist) geht als Bürgerlicher von seiner Geburtsstadt Frankfurt an den Weimarer Hof, um dort den Sohn Anna Amalias zu unterrichten. Das Gedicht (entstanden 1776) spiegelt diese Wende in Goethes Leben wider, seine Ungeduld und Ungewissheit vor dem Aufbruch. Später erfährt Goethe Ablehnung von Seiten des Adels, was sich im Gedicht als Sturm niederschlägt. => Aufbruch zu neuen Ufern=> Stürme des Lebens=> Mutmachgedicht

Sturm und Drang Klassik

Freie Rhythmen Verhalten des Seefahrers (Inhalt)

Komposita (Wortneuschöpfungen) Anpassung, Selbstbeherrschung

Wortstellung Weitblick statt Augenblick

GefühlsintensitätWechsel ich → er (→ Streben nach Allgemeingültigkeit)

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Arbeitsauftrag:Erschließe Goethes Gedicht „Seefahrt“ nach Inhalt, Aufbau, Form und Sprache und untersuche, inwiefern dieses Gedicht auch biografisch auf Goethes Leben und seine Entwicklung bezogen werden kann.

A Seefahrt als beliebtes Bild zur Verdeutlichung des menschlichen SchicksalsB Goethes Gedicht „Seefahrt“ ist in inhaltlicher und formaler Hinsicht ein Gedicht des Übergangs bzw. der Veränderung I. Inhaltliche Erschließung des Gedichts 1. Wartezeit im Hafen 2. Aufbruch 3. Seefahrt: positiver Beginn – Aufziehen des sturms 4. Offener Schluss II. Untersuchung von Aufbau und Form 1.Balladenartiger Aufbau des Gedichts 2. Unregelmäßige Strophenform 3. Relativ freie rhythmische Gestaltung III.Untersuchung von Sprache und Stil 1. Das Wortfeld „Seefahrt“ und seine Entwicklung 2. Stilmittel der Dynamik und Bewegung im ersten Teil des Gedichts (Strophe 1-4) 3. Stilmittel zur Verdeutlichung der äußeren Bedrohung (Strophe 5-8) 4. Gegensatz zwischen der äußeren Bedrohung (Sturm) und der Gelassenheit und Ruhe des Seefahrers IV. „Seefahrt“ als Gedicht des Übergangs auch in Bezug auf Goethes schriftstellerische Entwicklung und sein Leben 1. Wandel von Sturm und Drang zur Klassik 2. Umzug Goethes von Frankfurt nach WeimarC Ausblick: Bewältigung des Wechsels durch Goethe