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Nach der Reichsgründung 1871 und dem rasanten wirtschaftlichen Auf-schwung der nachfolgenden Jahre wollten die politischen Verantwortli-chen im Deutschen Reich auch kolonialpolitisch mit den europäischen Großmächten gleichziehen. Innerhalb weniger Jahre wurden die letzten noch nicht okkupierten Gebiete in Afrika und der Südsee zunächst haupt-sächlich durch Kaufl eute für »Jung-Deutschland« und Kaiser in Besitz genommen. Industrie und Handel erhofften sich neue Absatzmärkte und billige Rohstoffe zur Stärkung der heimischen Wirtschaft. Aber auch Aben-teurer, Forschungsreisende und Auswanderer sahen in den »Deutschen Schutzgebieten« neue Möglichkeiten der Selbstverwirklichung. Bis zu Be-ginn des Ersten Weltkrieges entstanden deutsche Verwaltungsstrukturen in Gebieten der heutigen Staaten Togo, Kamerun, Tansania, Namibia, Ru-anda, Burundi, Papua-Neuguinea und auf einigen Südseeinseln. Auf dem Höhepunkt umfassten die deutschen Kolonien rund 3 Millionen Quadrat-kilometer mit 14 Millionen Einwohnern, darunter etwa 24 000 Deutsche. Trotzdem blieb der erwartete wirtschaftliche Erfolg aus. Politisch endete das Abenteuer schon in der Anfangsphase des Ersten Weltkriegs, als die Kolonien verloren gingen.

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Die Kolonialpolitik des Deutschen Kaiserreichs in Afrika

Am 6. Dezember 1897 überraschte der Außenminister des Deut-schen Reiches, Bernhard von Bülow, den Reichstag in seiner ersten parlamentarischen Rede mit der forschen Devise: »Die Zeiten, wo der Deutsche dem einen seiner Nachbarn die Erde überließ und dem andern das Meer und sich selbst den Himmel reservierte, [...] diese Zeiten sind vorüber. Wir wollen niemand in den Scha� en stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne!« Zu diesem Zweck ha� e Deutschland um die Wende zum 20. Jahrhundert eine Flo� e mit der eigentlich unbe-zahlbaren Planstärke von 62 Großkampfschiff en und unzähligen kleineren Einheiten vorgesehen, die sie aber nie erreichte. Wenig später schickte die Reichsregierung rund 22 000 Mann nach Ostasien, um bei der – dann doch nicht erfolgten – Au� eilung Chinas nicht zu kurz zu kommen. Gewonnen hat das Deutsche Reich dabei 1899 Samoa (2572 Quadratkilometer) und 1911 Neu-kamerun (»Schla� ongo«, 282 000 Quadratkilometer). Verloren haben die Deutschen hingegen 1918 den Ersten Weltkrieg gegen die Staaten, welche die Erde bereits vor dem Krieg unter sich aufgeteilt ha� en.

Diese Entwicklung hat eine lange Vorgeschichte: Im Jahre 1657, nach den Demütigungen des Dreißigjährigen Krieges, for-derten national Gesinnte: »Wohlan denn, dapff ere Teutsche, ma-chet, dass man auf der map neben neu-Spanien, neu-Franckreich und neu-Engelland auch kün� ig ein neu-Teutschland fi nde!« Zwischen 1683 und 1717 erfreute sich der preußisch-branden-burgische Staat an afrikanischen Stützpunkten zum Zwecke des Sklavenhandels und an »treuen preußischen Negern«, die das Fort Großfriedrichsburg (Ghana) gegen die koloniale Konkur-renz verteidigten. Im Triumphgefühl der Reichsgründung von 1871 eignete sich das Deutsche Reich 1884/85 dann ein respektab-les Kolonialreich an. Aber schon 1895 forderten Befürworter der Kolonialidee im Reich weitere Gebietszuwächse, und so empfan-den viele Untertanen des deutschen Kaisers, dass die nationale Einigung besser unterblieben wäre, »wenn sie nur ein Abschluss, und nicht der Ausgangspunkt einer deutschen Weltmachtpoli-

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tik sein sollte«. Der politisch sehr geschickte Außenminister von Bülow schwamm also ganz auf der kolonialen Welle mit.

O� o von Bismarck sah sich von Beginn seiner politischen Karriere an mit Forderungen konfrontiert, die heute als »im-perialistisch« bezeichnet würden. Viele Bürger im Land und insbesondere große Handelsfi rmen verlangten immer wieder von ihren Regierungen, Kolonien nach britischem oder fran-zösischem Vorbild zu schaff en. So beschloss die Deutsche Na-tionalversammlung schon 1848 den Au� au einer Marine, die in afrikanischen Staaten deutsche Stützpunkte errichten sollte. Wegen des Krieges mit Dänemark 1848-1850 wurde das Vorha-ben jedoch nicht in vorgesehenem Umfang durchgeführt. Es gab zu dieser Zeit aber bereits auch privatwirtscha� liche Initiativen mit dem gleichen Ziel. So wurde beispielsweise 1849-1852 dem Hamburger Reiseschri� steller Friedrich Gerstäcker die Erkun-dung überseeischer Auswanderungs- und Kolonialgebiete von verschiedenen Finanziers bezahlt.

Jede Übersee-Expedition preußisch-deutscher Schiff e war von massiven öff entlichen Forderungen begleitet: 1859 sollte die Marine das menschenleere Patagonien, die Südspitze Südameri-kas, besetzen, 1860 sich am zweiten Opiumkrieg beteiligen und Taiwan annektieren. Bismarck hielt aus strategischen Gründen nichts davon: »Ihre Karte von Afrika ist ja sehr schön«, sagte er einem Verfechter deutscher Kolonien, »aber hier liegt Russland und hier liegt Frankreich, und wir sind in der Mi� e – das ist meine Karte von Afrika!«

Der Au� au des Kolonialreiches

Dennoch hat sich der erste Reichskanzler im Laufe der 1880er Jahre den Forderungen nicht mehr verschließen können. Noch während seiner Amtszeit wurde ein Kolonialreich geschaff en, dessen Bodenfl äche die des Deutschen Reiches fünfmal über-stieg. Unter der Regentscha� Kaiser Wilhelms II. hingegen, der im Übrigen ein sehr großer Befürworter des Kolonialismus war, fi elen die Gebietseroberungen nur noch vergleichsweise gering aus.

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Die »deutsche« Sansibar-Prinzessin Emily RueteDie Lebensgeschichte der deutschen Sansibar-Prinzessin Emily Ruete gehört zu den Dauerbrennern der europäischen Trivialliteratur. Ihr persönlicher Erfahrungs- und Lebensbericht erlebte von 1886 bis heute zahlreiche deutsch-, englisch- und französischsprachige Aufl agen. Als Tochter des bedeutenden Herrschers Said bin Sultan wurde sie unter dem Namen Salima bin Said 1844 geboren und genoss auf Sansibar für Frauen ungewöhnliche Freiheiten. Ihre Liebe zu dem Hamburger Kaufmann Heinrich Ruete führte 1866 zu Schwangerscha� , Flucht, Taufe und Heirat. Da sie recht großen politischen Einfl uss besaß, ließ ihr inzwischen regierender Bruder Madjid bin Said – bei gebotener äußerer Missbilligung – sie gerne nach Hamburg ziehen. Sie lebte mit ihrem Ehemann seitdem in Norddeutschland, ohne jedoch in der hanseatischen Gesellscha� Anerkennung zu fi nden. Nach dem plötz-lichen Tod ihres Mannes 1870 verließ sie Hamburg und arbeitete als Lehrerin. Durch die Veröff entlichung ihrer tragisch-romantischen Memoiren 1886 wurde Emily Ruete, alias Prinzessin Salima, deutsch-landweit bekannt. Die exotische Prinzessin, die als hoff ähig galt, fand viel Anteilnahme, namentlich bei der deutschen Kronprinzessin Vic-toria. Trotz der Sehnsucht nach ihrer alten Heimat konnte Emily bis zu ihrem Tod 1924 nur noch zwei Mal, 1885 und 1888, für kurze Zeit nach Sansibar zurückkehren. Dabei wurde sie zum Instrument der deutschen Kolonialpolitik: Bis -marck wollte einen ihrer Söhne als Sultan von Sansibar einset-zen lassen, um den Einfl uss des Deutschen Reiches in dieser Re-gion abzusichern. Das Vorhaben scheiterte. Ihre letzten Lebens-jahre verbrachte die streitbare Prinzessin aus Afrika in Palästi-na. Beerdigt wurde sie auf dem Hamburger Zentralfriedhof an der Seite ihres Mannes.

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Bei seiner Überseepolitik folgte Bismarck dem Prinzip: »Die Flagge folgt dem Handel«. Zur konkreten Umsetzung der Kolo-nialpolitik schickte Bismarck aber dann doch die Flagge einem potenziellen Handel voraus. Am 24. April 1884 sprach er den Reichsschutz für die riesigen Besitzungen der Firma Lüderitz in Südwestafrika aus. Im Juli/August desselben Jahres ließ er in Kamerun und Togo die Reichsfl agge zugunsten der Firmen hissen, die hier expandieren wollten. Mit einem so genannten Schutzbrief unterstützte die Reichsregierung Handel treiben-de Firmen in Übersee. Das Reich garantierte damit den Schutz der Firmen durch die Flo� e. Auf diese Weise wurde in den Ge-bieten keine staatliche Kolonialverwaltung eingesetzt, sondern den Firmen militärische Hilfe für den Fall zugesagt, dass Ein-heimische oder andere Mächte ihre Interessen kreuzten. Durch Verträge mit Eingeborenenstämmen, die Hilfe bei ihren eigenen Konfl ikten suchten, wuchsen die Schutzgebiete rasant ins Bin-nenland hinein. An die Einrichtung einer Kolonialverwaltung

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Europäische und arabische Sklaven-händler im späten 19. Jahrhundert in Ostafrika(nach einer Zeichnung von E. Weedon, Holzstich von Alexander Cooper, 1883)

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war in keinem Fall gedacht worden, sie sollte von Konsortien der interessierten Firmen organisiert werden. Bereits im Dezember 1884 ha� e in diesem Sinn ein Landungskorps der Marine den Kameruner Duala-Stamm zum Verzicht auf sein altes Handels-monopol gezwungen. Das gedachte System funktionierte jedoch nur in dem winzigen Schutzgebiet der pazifi schen Marshall-inseln (181 Quad ratkilometer), wo 1888-1906 die Jaluit-Gesell-scha� herrschte. Überall sonst wurde die Schutzbrie� err scha� gar nicht erst eingesetzt (Kamerun, Togo) oder nur teilweise praktiziert (Deutsch-Südwestafrika) bzw. frühzeitig beendet. Sie entpuppte sich, wie sich später zeigte, als reines Handelsunter-nehmen mit rücksichtsloser Ausbeutung ohne Investitionen ins Land, verbunden mit überzogenen Forderungen nach Militär-einsatz und Geldzuschüssen.

Deutsch-Ostafrika

Der ausgeprägteste Fall einer – erfreulich kurzen – Schutz-brie� errscha� betraf die größte und produktivste Kolonie, Deutsch-Ostafrika. Hier besetzte 1884/85 eine von Dr. Carl Pe-ters (1856-1918) geführte Expedition die dem Sultanat Sansibar zugehörige Küste. Ohne Kenntnis und Unterstützung Bismarcks gewann Peters, der im Namen eines privaten Annexionskomitees 1884 Ostafrika bereiste, die Zustimmung zahlreicher Stammes-häuptlinge zu einem Schutzvertrag mit dem Deutschen Reich. Nach massiver Einfl ussnahme durch nationalkonservative Poli-tiker ratifi zierte Kaiser Wilhelm I. am 27. Februar 1885 schließ-lich die Verträge. Dagegen protestierte Sultan Said Bargash von Sansibar in der zutreff enden Erwartung, das binnenländische Schutzgebiet Deutschlands werde sich demnächst quer durch sein Küstenterritorium »Fenster und Türen zum Meer brechen«. Er setzte Truppen gegen Peters‘ eingeborene Verbündete ein. Damit war der Fall zu einer »nationalen Prestigeangelegenheit« geworden, wie die Kolonialagitatoren schrien, und Bismarck sah sich gezwungen, den Sultan mit Waff engewalt zum Nachgeben zu zwingen. Das »Ostafrikanische Kreuzergeschwader« mit fünf Kriegs- und zwei Versorgungsschiff en erreichte im August 1885 die Reede von Sansibar. Said Bargash erkannte umgehend die

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Widerstand gegen die Kolonialherrscha� in Deutsch-OstafrikaDeutsch-Ostafrika entstand im November/Dezember 1884. Von An-fang an kam es zu massiven militärischen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Gruppen, die um die Macht in dieser Region rangen: der deutschen Kolonialmacht, der arabischen Zwi-schenschicht (zumeist Sklavenhändler-Clans und Plantagenbesitzer) und der einheimischen Urbevölkerung. Zuerst wehrten sich die Ara-ber gegen die deutsche Fremdherrscha� . Als der Sultan von Sansibar 1888 auch die von ihnen beherrschten Küstengebiete an die »Deutsch-Ostafrikanische Gesellscha� « abtrat, die das innere Schutzgebiet quasi-staatlich verwaltete, fegten sie unter Führung von Bushiri bin Salim und seines Clans al-Harthi die deutsche Kolonialpräsenz fast vollstän-dig hinweg.

Der große Umfang des »Bushiri-Aufstandes« zwang das Reich zu Bildung und Einsatz eines Kolonialkorps, welches es aufgrund des tro-pischen Klimas hauptsächlich aus afrikanischen Söldnern (»Askaris«) rekrutierte. Mit der Einnahme der Küstenstädte und der Vernichtung von Bushiris Feldarmee in der Kingani-Ebene setzten Schutztruppe und Marine 1889/90, unterstützt von einer internationalen Küstenblo-ckade, die deutsche Herrscha� , die bis dahin eher nur als Anspruch bestanden ha� e, durch.

Freilich war der Landfrieden damit keineswegs umfassend wieder-hergestellt: 1891-1905 fanden 76 Gefechte zwischen den verschiede-nen einheimischen Stämmen und der Schutztruppe sta� . Die härteste Auseinandersetzung dieser Jahre ergab sich aus dem Zusammenstoß mit dem Stamm der Wahehe, der seit 1860 das südliche Binnenland des heutigen Tansania unterworfen ha� e. Am 17. August 1891 ver-nichteten die Wahehe unter Führung ihres Sultans Mkwawa bei Lula-Rugaro ein deutsches Expeditionskorps fast vollständig. Erst 1894 ge-lang den Deutschen und ihren Askaris mit der Einnahme der Festung Kuirenga der entscheidende Sieg.

Im küstennäheren Süden Deutsch-Ostafrikas war die deutsche Macht relativ präsent, wenn auch mehr in der abgeleiteten Form afroarabi-scher Mi� elsmänner. Mit ihrer Hilfe ließen sich zwei die Ausbeutung der Kolonie unterstützende Maßnahmen durchsetzen: die Hü� ensteu-er und der Zwangsanbau von Baumwolle. Im August 1905 erhoben sich die Schwarzafrikaner dieser Zone aufgrund immer repressiveren

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Existenz von Deutsch-Ostafrika an, wofür Geschwaderchef Kon-teradmiral Eduard von Knorr au� ragsgemäß darauf verzichtete, das Feuer auf den Sultanspalast zu eröff nen. Im darauf folgen-den Jahr wurde erneut ein Ostafrikanisches Kreuzergeschwader gebildet. Es sollte den Übergang einzelner sansibarischer »Küs-tenfenster« in deutsche Verwaltung und das Inkra� treten eines im Vorjahr paraphierten Handelsvertrags sichern. Als Sultan Said Bargash 1888 starb, verpachtete sein Nachfolger Khalifa bin Said die gesamte Festlandküste an die Peterssche Kolonialgesell-scha� , so dass diese faktisch das ganze Land besaß und dessen Steuern und Zölle abschöp� e.

Sklavenhandel und Aufstände

Zweifellos bestand ein Unterschied zwischen der europäisch-amerikanischen und der islamischen »Negersklaverei«, aber Schrecken und Elend der Sklavenjagden und -züge im Binnen-land waren dieselben. Für Bismarck war ein Militäreinsatz gegen

Maßnahmen unter dem Schlachtruf »Maji-Maji!«, einem Wasserzau-ber, gegen die islamische Zwischenschicht und die Deutschen. Diese konnten ihre Positionen weitgehend halten, mit Verstärkungen zum Gegenangriff übergehen und den Aufstand niederschlagen. Die Ein-heimischen waren dem Irrglauben erlegen, dass sie der Maji-Zauber schützen würde, indem er die deutschen Gewehrkugeln in Wasser verwandelte. Allerdings starb die Mehrheit der Opfer des Aufstandes nicht durch Gewehrkugeln, sondern durch Hunger, weil die deutsche Schutztruppe und ihre Verbündeten 1907 deren Dörfer und Felder in Form der »Verbrannten Erde«-Taktik zerstörten. Der mit aller Grau-samkeit geführte Krieg, der nach neuesten Schätzungen über 100 000 Menschen das Leben gekostet hat, machte jeden Widerstand gegen die Deutschen aussichtslos. Zusammen mit der Niederschlagung des Herero-Aufstandes (1904-1905) in Deutsch-Südwestafrika, bei der wahrscheinlich 60 Prozent des Hererovolkes umkamen, ist der Maji-Maji-Aufstand eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Kolonial-geschichte. (wp)

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die organisierten Sklavenhändler, den die katholischen Missio-nen unter Wortführung von Kardinal Charles Lavigerie forder-ten, ein deutliches Zeichen zur Beilegung des »Kulturkampfes« gegen die Katholiken in Deutschland. Der preußische Offi zier Hermann von Wissmann (1853-1905) ha� e in einer gemeinsa-men deutsch-belgischen Expedition quer durch Zentralafrika bereits 1886/87 gegen die Sklavenjäger aufgeklärt. Ende 1888 beau� ragten Bismarck und der Reichstag Wissmann, aus deut-schen Offi zieren und afrikanischen Söldnern (Askaris) eine Schutztruppe aufzubauen, um einen von Bushiri bin Salim, dem Haupt der Sklavenhändlerdynastie al-Harthi, betriebe-nen Aufstand niederzuwerfen, den Landfrieden herzustellen und die Sklaverei zu beseitigen. Gleichzeitig führten ein dri� es Ostafrikanisches Kreuzergeschwader unter Konteradmiral Karl Deinhard und ein britisches Geschwader unter Admiral Fre-mantle gemeinsam eine international sanktionierte Blockade am Horn von Afrika gegen den Sklavenhandel durch. Wissmanns Schutztruppe und die Marine schlugen den Aufstand 1889 an der Küste vollständig nieder. Gegen den Binnenstamm der Wa-hehe ha� en sie indes schwerste Kämpfe zu bestehen. Der Stamm rieb 1891 bei Lula-Rugaro ein Viertel der deutschen Krä� e auf und konnte erst 1894 befriedet werden. Der Kampf gegen den afroarabischen Sklavenhandel stellte dann aber auch entschei-

Teile des »Ostafrikageschwaders«

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dende Weichen in der deutschen Ostafrikapolitik: Die Peterssche Kolonialgesellscha� , für die das Deutsche Reich einen kostspie-ligen Kolonialkrieg geführt ha� e, betrieb in den folgenden Jah-ren eine unmenschliche und defi zitäre Misswirtscha� , die dazu führte, dass die eroberten Gebiete durch kaiserliche Ordre vom 20. November 1890 zur deutschen Kronkolonie Deutsch-Ostaf-rika umgewandelt und die Gesellscha� von Carl Peters 1890 ihrer Funktionen enthoben wurde. Die Kontrolle über Sansibar und Kenia fi el mit dem Helgoland-Sansibar-Vertrag vom 1. Juli 1890 an Großbritannien, die über das ostafrikanische Festland an Deutschland. Das bisherige Schutzgebiet wurde in eine Kron-kolonie umgewandelt. In der Folgezeit errichtete die deutsche Kolonialverwaltung ein weißes Plantagensystem mit freien ein-geborenen Arbeitskrä� en. Die afroarabischen Zwischenschicht wollte sich jedoch mit dieser Lösung nicht zufrieden geben und die Sklaverei auf Umwegen wieder einführen. So wurden noch bis 1905 gemeinsame deutsch-britische Militäraktionen zu Land und See durchgeführt, um vergeblich die europäischen Landfrie-dens- und Menschenrechtsgebote im islamischen Einzugsgebiet entlang der Küste zwischen dem Horn von Afrika und Sansibar durchzusetzen.

Askarikompanie unter der Führung von kaiserlichen Offi zieren in Deutsch-Ostafrika

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Zwei Faktoren, Deutschlands Kapitalmangel und die eher geringe wirtscha� liche A� raktivität der Kolonien, ließen die Erschließung der Schutzgebiete unter fortwährenden Scharmüt-zeln nur langsam voranschreiten. Erst 1904/05 erreichte sie einen Grad, den die Ureinwohner als Bedrohung empfanden. Gleich-zeitig erschü� erten der südwestafrikanische Herero- und Nama-Aufstand, der ostafrikanische Maji-Maji-Aufstand, der Anyang- und Dja-Nyong-Aufstand in Kamerun und weitere Unruhen das deutsche Kolonialreich. Über 20 000 kaiserliche Soldaten wurden zur Verteidigung der Kolonien gegen die einheimische Bevölkerung eingesetzt, dazu Tausende Krieger von verbünde-ten Stämmen, welche die Deutschen nach dem Mo� o »divide et impera« (teile und herrsche) auskömmlich von ihrer Herrscha� profi tieren ließen. Einige Stämme wurden gezielt zur Unterherr-scha� herangezogen: in Kamerun die Beti und in Ostafrika die Nyamwesi, aus deren Reihen die Kolonialverwaltung vorzugs-weise Askaris, Polizisten und Kleinbeamte rekrutierte.

Der Erste Weltkrieg

Wie sollte nach solchen Erfahrungen der »Platz an der Sonne« warm gehalten werden? Es war ein Unterschied, ob man für den Imperialismus oder für eine einzelne, vom Imperialismus profi tierende Firma kämp� e. Das Militär diff erenzierte hier sehr deutlich: In Marokko, China und der Türkei ha� e man durch den Abschluss »ungleicher Verträge« nach dem Vorbild ande-rer Kolonialmächte Verhältnisse geschaff en, die notfalls mit mi-litärischer Hilfe verteidigt werden konnten. In China half man 1900/01 mi� els des dem »General-Weltmarschall« Alfred Graf von Waldersee unterstellten »Ostasiatischen Expeditionskorps« nach, in der Türkei ab 1913 mit der Militärmission O� o Liman von Sanders, deren Entsendung eine schwere internationale Krise auslöste und als Vorspiel zum Ersten Weltkriegs gelten kann. Marokko verlor das Deutsche Reich 1911, als man während der »II. Marokko-Krise« – der scheinbaren Verteidigung der Sul-tans-Herrscha� gegen das konkurrierende Frankreich – politisch überreizte und darau� in von den anderen Kolonialmächten ge-zwungen wurde, Bergbau- und sonstige Ansprüche in Marokko

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Paul von Le� ow-VorbeckGeboren wurde Le� ow-Vorbeck 1870 in Saarlouis als Spross einer alten preußischen Adelsfamilie, der zahl-reiche Generäle entstammten. Sein Weg führte über das Kade� encorps und die Kriegsakademie geradenwegs in den Großen Generalstab. Er nahm an der Niederschlagung des Boxer-aufstands in China (1900/01) und des Herero-Aufstands in Deutsch-Südwestafrika (1904-1907) teil. Als Oberstleutnant diente er in der Schutz-truppe in Kamerun, bevor er ab 1914 das entsprechende Kontingent in Deutsch-Ostafrika befehligte. Mit nicht einmal 15 000 Soldaten fügte er mit Guerillataktiken dem Gegner empfi ndliche Niederlagen zu. Zeit-weilig waren über 100 000 britische, belgische und portugiesische Solda-ten im Einsatz, um Le� ow-Vorbeck und seine Askaris auszuschalten, was ihnen aber bis Kriegsende nicht gelang. Erst am 25. November 1918 ergab sich der mi� lerweile mit dem

Pour le Mérite ausgezeichnete und zum Generalmajor beförderte Le� ow-Vorbeck mit dem Rest seiner Truppen den Engländern. Viele Deutsche erinnern sich noch heute an das Lied seiner ostafrikanischen Schutztruppe »Heia, heia, Safari!«

Aufgrund seiner Teilnahme am Kapp-Putsch musste der Kriegs-held 1920 die Reichswehr verlassen. Während der Weimarer Republik engagierte er sich vehement für eine Rückgewinnung der deutschen Kolonien. Für seine Askaris setzte Le� ow-Vorbeck ausstehende Sold- und Rentenzahlungen durch. Während des Dri� en Reiches nahm er sich weiterhin Kolonialfragen an und geriet wiederholt in Konfl ikt mit der NSDAP. Vollkommen verarmt musste er sich nach dem Zweiten

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gegen den bereits ausgeplünderten, kranken »Schla� ongo« (Teil der französischen Kolonie Kongo) zu tauschen.

Infolgedessen suchte das Kaiserreich ab 1907 diejenigen Kolonien, die es wirklich besaß, durch Überzeugungsarbeit für sich zu gewinnen. Mit erheblichen Kosten, die keineswegs mit entsprechenden wirtscha� lichen Gewinnen bilanzierten, schu-fen die Kolonialverwaltungen zivilisatorische, medizinische und wirtscha� liche Infrastrukturen. Nach Kriegsausbruch 1914 kämp� en die zahlenmäßig kleinen Schutztruppen der isolierten Kolonien nur hinhaltend, um diese Gebiete möglichst über den Krieg hinwegzure� en. Eine Ausnahme stellte der Kampf der deutschen Schutztruppe unter dem Kommando von Paul von Le� ow-Vorbeck in Ostafrika dar, der bis Kriegsende andauerte.

Der Friede von Versailles legte die vollständige Dekolonisati-on Deutschlands fest. Die Siegermächte teilten die ehemals deut-schen Kolonien unter sich auf. Vom »Platz an der Sonne« kehrte Deutschland wieder zurück in Bülows »Himmel, wo die reine Doktrin thront«. Le� ow-Vorbeck und seine Askaris in Deutsch-Ostafrika entwickelten sich dagegen zum populären Helden epos, das unter Hitler in großen Spielfi lmen gefeiert wurde. Selbst nach 1945 zog der Westzonendirektor Hans Schlange-Schönin-gen nach der NS-Katastrophe Ermutigung für die Zukun� aus der Vorstellung, dass »unsere Kolonialverwaltung ganz erstklas-sig gewesen ist – sonst würden nicht bis zuletzt viele Tausend Askaris mit von Le� ow-Vorbeck ausgeharrt haben«.

Weltkrieg in Hamburg als Gärtner verdingen. Dort starb er am 9. März 1964. Der Respekt seiner ehemaligen Gegner war so groß, dass sie ihn in seinen letzten Lebensjahren mit Spenden unterstützen. Einige sei-ner früheren Askaris kamen eigens zur Beisetzung nach Pronstorf bei Bad Segeberg. Die Trauerrede hielt im Übrigen der damals amtierende Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel.

Die Nachwelt urteilt sehr gegensätzlich über Paul von Le� ow-Vor-beck. Seine Gegner sehen in ihm einen »Kolonialschlächter«, der den Tod unzähliger Afrikaner mit zu verwantworten habe, seine An hänger konstruieren aus der Wertschätzung seiner Soldaten und Gegner das Bild des guten deutschen Kolonialherren. (� )

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Der Erwerb von Kolonien verscha� e dem Deutschen Reich weder politisch noch wirtscha� lich den erho� en Platz unter den großen Kolonialmächten. Im Gegenteil, ein übersteigertes Bedürfnis nach Weltgeltung, maßgeblich von Kaiser Wilhelm II. gefordert, führte zur internationalen Isolation des Deutschen Reiches am Vorabend des Ersten Weltkriegs.

Wolfgang Pe� er