5
Nachrichten aus der Chemie| 59 | Dezember 2011 | www.gdch.de/nachrichten 1142 S Wasserstoff ist zwar das häu- figste Element des Universums, er kommt aber in molekularer Form auf der Erde nicht konzentriert vor. Zudem besitzt Wasserstoff mit 0,0899 kg·m –3 eine sehr geringe Dichte. Um H 2 sinnvoll zu nutzen, muss er also als sekundärer Ener- gieträger durch Umwandlung aus anderen Energieformen, z. B. durch Wasserelektrolyse erzeugt, und dann in verdichteter Form gespei- chert werden. Die Wasserstoffspeicherung ist ein seit 20 Jahren stark wachsender Forschungszweig (Abbildung 1). Trotzdem ist die sichere, einfache und effektive Speicherung von Wasserstoff bis heute ungelöst. Zurzeit stehen neben den kon- ventionellen Methoden einige neue Ansätze zur Diskussion (Abbildun- gen 2 und 3). 2) Grundsätzlich las- sen sich die Methoden, Wasserstoff zu speichern, in zwei Bereiche glie- dern: physikalische und chemische Speicherung. Konventionelle physikalische H 2 -Speicher arbeiten unter hohem Druck (compressed hydrogen, CH 2 ; bis 700 bar) oder bei niedri- gen Temperaturen (liquid hydro- gen, LH 2 , etwa – 253 °C). Obgleich diese Methoden schon Anwendung finden – flüssiger Wasserstoff dien- te zum Beispiel als Raketentreib- stoff beim Spaceshuttle – sind sie mit einem Wirkungsgrad von etwa 85 % für die Druckspeicherung 3) und rund 70 % für die Speicherung in flüssiger Form 3) wenig effektiv. Selbst bei einem so hohen Druck wie 700 bar lassen sich maximal 6 Gew.-% und bei Verflüssigung 7,5 Gew.-% H 2 speichern. Zusätz- lich muss bei der Tieftemperatur- speicherung häufig Wasserstoff ab- gelassen werden, weil durch Wär- meeintrag Wasserstoff verdampft und hohe Drücke in den Tanks ent- stehen. Ein Vorteil der konventio- nellen Methoden ist jedoch die schnelle Beladung der Tanks. 4) Eine weitere Möglichkeit zur phy- sikalischen Wasserstoffspeicherung ist die Speicherung an Adsorbentien mit hoher spezifischer Oberfläche, die Physisorption. Als potenziell ge- eignete Materialien wurden unter- sucht: Zeolithe, 5) metallorganische Gerüstverbindungen (metal organic frameworks, MOFs), 6) poröse Koh- lenstoffmaterialien 7) und mikropo- röse Polymere (microporous poly- mers, MOPs, auch polymers of in- trinsic microporosity, PIMs, ge- nannt) 8) . Diese Materialien bieten mit ihren Käfigstrukturen die Mög- lichkeit, Wasserstoff in die Hohlräu- me der Strukturen einzulagern. Die Van-der-Waals-Wechselwirkungen zwischen physisorbierten Wasser- stoffmolekülen und einem porösen Material sind mit H ads < 10 kJ·mol –1 sehr schwach, so dass kaum Proble- me hinsichtlich der Reversibilität oder der Wärmeentwicklung beim Beladen zu erwarten sind. Als Folge der geringen Wechselwirkungsener- gie wird Wasserstoff aber oft erst bei Temperaturen von –196 °C adsor- biert. Grundsätzlich sollte die Ad- sorption bei Raumtemperatur und geringen Drücken möglich sein, um mit den etablierten Methoden kon- kurrieren zu können. Bei Raumtem- peratur adsorbieren selbst MOFs und Kohlenstoffmaterialien mit den größten Oberflächen bis heute ledig- lich 1 – 2 Gew.-%. 9) Alternative: chemische Speicher S Eine Alternative zu den physi- kalischen H 2 -Speichermethoden sind chemische Speicher: reversible Hydride, N-basierte Materialien Albert Boddien, Henrik Junge, Matthias Beller Unter den kohlenstoffbasierten Materialien bietet das Ameisensäure-Bicarbonat-System ein großes Potenzial zur Wasserstoffspeicherung. Moderne Homogenkatalysatorsysteme können hier selbst bei milden Temperaturen und Drücken sowohl die H 2 -Speicherung als auch die H 2 -Freisetzung katalysieren. Katalyse für die chemische Wasserstoffspeicherung BNachhaltige ChemieV VV Nach dem Vorbild der Natur bietet sich eine che- mische Speicherung des Wasserstoffs mit CO 2 als Wasserstoffträger an. VV Obwohl von den chemischen Reduktionsproduk- ten des Kohlendioxids die Ameisensäure und ih- re Derivate die geringste Wasserstoffdichte auf- weisen, besitzen sie eine Reihe von Vorteilen: Im Gegensatz zur Hydrierung von CO 2 zu Methanol oder Methan wird kein Wasserstoff für die Bil- dung von Wasser verschwendet und die effizien- te Hydrierung und Dehydrierung ist reversibel unter milden Bedingungen durchführbar– zum Teil bei Raumtemperatur oder darunter. S QUERGELESEN

Katalyse für die chemische Wasserstoffspeicherung

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Katalyse für die chemische Wasserstoffspeicherung

Nachrichten aus der Chemie| 59 | Dezember 2011 | www.gdch.de/nachrichten

1142

S Wasserstoff ist zwar das häu-figste Element des Universums, er kommt aber in molekularer Form auf der Erde nicht konzentriert vor. Zudem besitzt Wasserstoff mit 0,0899 kg·m–3 eine sehr geringe Dichte. Um H2 sinnvoll zu nutzen, muss er also als sekundärer Ener-gieträger durch Umwandlung aus anderen Energieformen, z. B. durch Wasserelektrolyse erzeugt, und dann in verdichteter Form gespei-chert werden.

Die Wasserstoffspeicherung ist ein seit 20 Jahren stark wachsender Forschungszweig (Abbildung 1). Trotzdem ist die sichere, einfache und effektive Speicherung von Wasserstoff bis heute ungelöst.

Zurzeit stehen neben den kon-ventionellen Methoden einige neue

Ansätze zur Diskussion (Abbildun-gen 2 und 3).2) Grundsätzlich las-sen sich die Methoden, Wasserstoff zu speichern, in zwei Bereiche glie-dern: physikalische und chemische Speicherung.

Konventionelle physikalische H2-Speicher arbeiten unter hohem Druck (compressed hydrogen, CH2; bis 700 bar) oder bei niedri-gen Temperaturen (liquid hydro-gen, LH2, etwa – 253 °C). Obgleich diese Methoden schon Anwendung finden – flüssiger Wasserstoff dien-te zum Beispiel als Raketentreib-stoff beim Spaceshuttle – sind sie mit einem Wirkungsgrad von etwa 85 % für die Druckspeicherung3) und rund 70 % für die Speicherung in flüssiger Form3) wenig effektiv. Selbst bei einem so hohen Druck wie 700 bar lassen sich maximal 6 Gew.-% und bei Verflüssigung 7,5 Gew.-% H2 speichern. Zusätz-lich muss bei der Tieftemperatur-speicherung häufig Wasserstoff ab-gelassen werden, weil durch Wär-meeintrag Wasserstoff verdampft und hohe Drücke in den Tanks ent-stehen. Ein Vorteil der konventio-nellen Methoden ist jedoch die schnelle Beladung der Tanks.4)

Eine weitere Möglichkeit zur phy-sikalischen Wasserstoffspeicherung ist die Speicherung an Adsorbentien mit hoher spezifischer Oberfläche, die Physisorption. Als potenziell ge-eignete Materialien wurden unter-

sucht: Zeolithe,5) metallorganische Gerüstverbindungen (metal organic frameworks, MOFs),6) poröse Koh-lenstoffmaterialien7) und mikropo-röse Polymere (microporous poly-mers, MOPs, auch polymers of in-trinsic microporosity, PIMs, ge-nannt)8). Diese Materialien bieten mit ihren Käfigstrukturen die Mög-lichkeit, Wasserstoff in die Hohlräu-me der Strukturen einzulagern. Die Van-der-Waals-Wechselwirkungen zwischen physisorbierten Wasser-stoffmolekülen und einem porösen Material sind mit �Hads < 10 kJ·mol–1 sehr schwach, so dass kaum Proble-me hinsichtlich der Reversibilität oder der Wärmeentwicklung beim Beladen zu erwarten sind. Als Folge der geringen Wechselwirkungsener-gie wird Wasserstoff aber oft erst bei Temperaturen von –196 °C adsor-biert. Grundsätzlich sollte die Ad-sorption bei Raumtemperatur und geringen Drücken möglich sein, um mit den etablierten Methoden kon-kurrieren zu können. Bei Raumtem-peratur adsorbieren selbst MOFs und Kohlenstoffmaterialien mit den größten Oberflächen bis heute ledig-lich 1 – 2 Gew.-%.9)

Alternative: chemische Speicher

S Eine Alternative zu den physi-kalischen H2-Speichermethoden sind chemische Speicher: reversible Hydride, N-basierte Materialien

Albert Boddien, Henrik Junge, Matthias Beller

Unter den kohlenstoffbasierten Materialien bietet das Ameisensäure-Bicarbonat-System ein großes

Potenzial zur Wasserstoffspeicherung. Moderne Homogenkatalysatorsysteme können hier selbst bei

milden Temperaturen und Drücken sowohl die H2-Speicherung als auch die H2-Freisetzung katalysieren.

Katalyse für die chemische Wasserstoffspeicherung

BNachhaltige ChemieV

VV Nach dem Vorbild der Natur bietet sich eine che-

mische Speicherung des Wasserstoffs mit CO2

als Wasserstoffträger an.

VV Obwohl von den chemischen Reduktionsproduk-

ten des Kohlendioxids die Ameisensäure und ih-

re Derivate die geringste Wasserstoffdichte auf-

weisen, besitzen sie eine Reihe von Vorteilen: Im

Gegensatz zur Hydrierung von CO2 zu Methanol

oder Methan wird kein Wasserstoff für die Bil-

dung von Wasser verschwendet und die effizien-

te Hydrierung und Dehydrierung ist reversibel

unter milden Bedingungen durchführbar– zum

Teil bei Raumtemperatur oder darunter.

S QUERGELESEN

Page 2: Katalyse für die chemische Wasserstoffspeicherung

Nachrichten aus der Chemie| 59 | Dezember 2011 | www.gdch.de/nachrichten

und C-basierte Materialien (Abbil-dung 3). Für Hydrierung und De-hydrierung entsprechender organi-scher Substrate ist die Katalyse eine Schlüsseltechnologie: Katalysato-ren sollen Metall-H-, N-H- oder C-H-Bindungen unter möglichst geringem Energieaufwand reversi-bel lösen und wieder knüpfen, um diese Stoffe sinnvoll als Wasser-stoffträger einsetzen zu können.

In der Vergangenheit wurden be-sonders Metallhydride als reversi-ble Wasserstoffspeicher für mobile Anwendungen diskutiert.10) MgH2 zum Beispiel besitzt 7,7 Gew.-% Wasserstoff, kann ihn aber erst bei Temperaturen von über 200 °C schrittweise abgeben.11)

Eine weitere bemerkenswerte Gruppe von Materialien sind stick-stoffbasierte Materialien wie Hy-drazin, Ammoniak, Ammoniakbo-ran und Aminoborane (z. B. RNH2·BH3).

12,13) So besitzt Ammo-niakboran eine außergewöhnlich hohe Wasserstoffdichte von 19,8 Gew.-%. Leider waren bisher nur Zwischenprodukte erfolgreich regenerierbar.14) In der Regel sind mit homogenen oder heterogenen Katalysatoren Temperaturen von über 100 °C erforderlich, um Was-serstoff aus solchen N-basierten Verbindungen freizusetzen. Dane-ben besitzen viele ein hohes Gefah-renpotenzial, zum Beispiel durch ihre Giftigkeit.

C-basierte Wasserstoffspeicher wie Alkohole, Formiate oder zykli-sche Kohlenwasserstoffe haben ge-genüber den bisher genannten Ver-fahren mehrere Vorteile:15)

• eine Speicherung bei Raumtem-peratur und Umgebungsdruck ist möglich;

• die Speicher besitzen eine hohe Energiedichte und

• sie sind flüssige Energieträger.

Ameisensäure: bestes C-basiertes Speichermaterial?

S Abbildung 4 (S. 1144) zeigt die volumetrische und gravimetrische Energiedichte verschiedener Ener-giespeicher im Vergleich zu C-ba-sierten Materialien. Zur Wasser-

stoffspeicherung und -freisetzung kommen auch bei diesen organi-schen Materialien Katalysatoren zum Einsatz, um die für die Reak-tionen benötigten Temperaturen zu senken. Trotzdem benötigen fast alle C-basierten Materialien Reaktionstemperaturen von über 100 °C, um Wasserstoff selektiv freizusetzen. Es gibt jedoch eine Ausnahme: Ameisensäure (AS) und ihre Salze – die Formiate.16) Ein Vorteil dieser Verbindungen

ist die einfache Handhabung – Ameisensäure ist von 8 bis 101 °C flüssig – und die relative Unge-fährlichkeit der Verbindungen bei einer Wasserstoffdichte von 4,4 Gew.-% (AS). Ein Gemisch von zum Beispiel Natriumformiat mit Wasser (NaHCO2/H2O) hat eine Wasserstoffdichte von 2,35 Gew- %, ist nicht korrodierend und somit in der Handhabung sehr einfach. Die Wasserstoffdichte genügt zwar nicht den Vorgaben des US-ameri-

Abb. 1. Englischsprachige Artikel und Übersichtsartikel im jeweiligen Jahr zum Thema

Wasserstoffspeicherung (hydrogen storage).

Abb. 2. Methoden und Materialien zur physikalischen Wasserstoffspeicherung basierend auf konventionellen

Techniken und Adsorption.

1143Wasserstoffspeicherung BMagazinV

Abb. 3. Methoden und Materialien zur chemischen Wasserstoffspeicherung.

Page 3: Katalyse für die chemische Wasserstoffspeicherung

1144 BMagazinV Wasserstoffspeicherung

Nachrichten aus der Chemie| 59 | Dezember 2011 | www.gdch.de/nachrichten

kanischen Energieministeriums zur Nutzung in Automobilen (5,5 Gew.-% für 2015),17) alle weiteren Voraussetzungen wie Sicherheit oder Beladungsgeschwindigkeit sind aber prinzipiell erfüllbar.

Ein Speicherkreislauf – wie ihn unsere Arbeitsgruppe erstmals reali-sierte – ist in Abbildung 5 darge-stellt. Dabei dienten als Wasserstoff- und somit auch als Energieträger CO2 und Bicarbonat. Durch Hydrie-rung erhält man das entsprechende Formiat. Dabei ist die Hydrierung von CO2 auf Grund des großen en-tropischen Anteils energetisch sehr ungünstig (�G° = 32,9 kJ·mol–1). Mit polaren Lösungsmitteln wie H2O, DMF und Alkoholen oder Ba-sen wie Aminen lässt sich die bei der Hydrierung von CO2 entstehende Ameisensäure abfangen, und der Prozess wird exergonisch (�G° = –4 kJ·mol–1 bei Verwendung von Wasser). Im Allgemeinen erschwe-ren eine langsame Reaktionskinetik und eine komplizierte Produktab-trennung die Wasserstoffspeiche-rung über dieses Verfahren.

Seit 1990 wurden viele homoge-ne Katalysatoren für diese Reaktion

identifiziert. Jessop und Noyori nutzten den rutheniumbasierten Komplex [RuH2(PMe3)4] in Anwe-senheit von NEt3 und DMSO in su-perkritischem CO2 und stellten da-mit ein Ameisensäure - Amin - Ad-dukt mit einem Verhältnis von 1,7 HCO2H zu 1 NEt3 her.18)

Die höchste Aktivität von über 95 000 h–1 TOF (Umsatzfrequenz: nHCO2H/nKAT·h) erzielte [RuCl2

(OAc)(PMe3)4] in einem NEt3/ C6F5OH-Gemisch.19) Neuere Arbei-ten von Nozaki und Mitarbeitern zeigen, dass sich insbesondere iri-diumbasierte Katalysatoren für die Hydrierung von CO2 im Basischen besonders eignen. Der Iridium-komplex [IrH3(PNP)] (PNP: 2,6- di isopropylphosphinopyridin) er-reicht bei einer Temperatur von 120 °C eine TON (Umsatzzahl: nHCO2H/nKAT) von über 3,5 Mio. bei einer TOF von 73 000.20)

Auch die Hydrierung von Bicar-bonaten ohne zusätzliches CO2 war Gegenstand einiger Untersu-chungen. Die erreichten Aktivitä-ten bleiben jedoch weit hinter de-nen der reinen CO2-Hydrierung zurück.21–23) Sofern bei der CO2-

Hydrierung anorganische Basen wie KOH eingesetzt werden, kann ein maximales Verhältnis von Ameisensäure zu Base von 1:1 er-reicht werden. In neueren Arbei-ten beschäftigten sich die Gruppen um Paciello und Fachinetti mit Systemen, die Verhältnisse über 2 von Ameisensäure zu Base erziel-ten. Fachinetti et al. benutzten da-zu einen [RuCl2(PMe3)4]-Kom-plex in einem Ameisensäure-Amin-Addukt und erhielten nach Destillation ein Ameisensäure-Amin-Verhältnis von 2,35.24) Zum Vergleich: Das Addukt 5 HCO2H ·2 NEt3 hat einen Energieinhalt bezogen auf den enthaltenen Was-serstoff von 0,77 kWh·kg–1 (1,45 kWh·kg–1 für reine Ameisensäu-re). Die Gruppe um Paciello erar-beitete kürzlich einen Prozess, an dessen Ende reine Ameisensäure aus der Hydrierung von CO2 ent-steht. Der Schlüssel dazu war die Verwendung eines Amins (Tri -hexyl amin; NHex3) und eines Diols (z. B. 2-Methyl-1,3-propan-diol). Dabei entsteht während der Reaktion ein Zweiphasensystem aus Amin und lipophilem Kataly-sator {[Ru(H)2(PnBu3)4]} sowie Diol mit dem entstandenen Amei-sensäure-Amin-Addukt. Durch Extraktion und Destillation lässt sich anschließend freie Ameisen-säure in einem kontinuierlichen Prozess gewinnen.25) Die bisheri-gen Erfolge sind zwar nur Schritte auf dem Weg zu einem wirtschaft-lichen Verfahren, sie zeigen aber doch die prinzipielle Machbarkeit.

Der zweite Schritt im Speicher-zyklus ist die selektive Wasser-stofffreisetzung aus Ameisensäure oder Formiaten. Dieses vergleichs-weise wenig erforschte Gebiet er-hielt im Jahr 2008 Auftrieb durch die Arbeiten von Laurenczy et al. und unserer Gruppe.26) Wir wid-meten uns der selektiven De -hydrierung von Ameisensäure-Amin-Addukten bei milden Tem-peraturen und Umgebungsdrü-cken. Das hat für einen Prozess die Vorteile, dass die Abwärme von ge-koppelten Brennstoffzellen genutzt werden kann – Polymerelektrolyt-

Abb. 4. Energieträger, inklusive flüssiger und gasförmiger Brennstoffe.

CH2: komprimierter Wasserstoff; LH2: verflüssigter Wasserstoff; MOF: metal organic framework;

die Energiedichte der Wasserstoffspeicher wurde aus den jeweils enthaltenden Gew.-% und dem unteren Heizwert

(33,33 kWh·kg–1) bei einer Effizienz von 100 % errechnet.

Page 4: Katalyse für die chemische Wasserstoffspeicherung

1145Wasserstoffspeicherung BMagazinV

Brennstoffzellen (PEMFCs) wer-den bei bis zu 80 °C betrieben –, dass weniger Verunreinigungen aus Lösungsmitteln oder Basen einge-tragen werden und dass die Reakti-on selektiver verläuft und somit weniger CO im Gasgemisch auf-tritt. Gerade die Nebenreaktion, die Dehydratisierung der Ameisensäu-re, muss ausgeschlossen werden, will man das Gasgemisch (H2 + CO2) anschließend ohne zusätzli-che Reformierung in PEMFCs ein-setzen. Dass dieses möglich ist, zeigten mehrere Experimente von uns und nachfolgend von Wills et al.27)

Das zurzeit aktivste Katalysator-system für die Dehydrierung von Ameisensäure entsteht in situ aus [RuCl2(benzene)]2 und 1,2-Bis(di-phenylphosphino)ethan (dppe). Mit N,N-dimethylhexylamin (HexNMe2) erreichten wir damit eine TON von über 260 000 für die selektive Was-

serstofferzeugung aus Ameisensäu-re und das selbst bei Raumtempera-tur.28) Kürzlich gelang uns mit ei-nem ähnlichen Katalysatorsystem auch die Dehydrierung von wässri-gen Formiatlösungen. Außerdem ist das Katalysatorsystem in der La-ge, sowohl die H2-Speicherung (Hydrierung) als auch die H2-Frei-setzung (Dehydrierung) zu kataly-sieren, wenn man für die Hydrie-rung und Dehydrierung unter-schiedliche Bedingungen verwen-det.29)

Seit dem Jahr 2010 dienen auch biologisch relevante Eisenkomple-xe als Katalysatoren für die Dehy-drierung von Ameisensäure. Im Allgemeinen sind Eisenkatalysato-ren im Gegensatz zu vergleichba-ren Edelmetallkomplexen leichter verfügbar, billiger und häufig we-niger giftig. Die Erforschung alter-nativer Katalysatoren, die nicht auf Edelmetallen basieren, ist da-

Abb. 5. Wasserstoffspeicherung mit Bicarbonat oder CO2.

her hoch aktuell. Während die ersten auf Eisen basierenden Kata-lysatorgenerationen noch deutlich weniger aktiv waren als vergleich-bare Ruthenium-Katalysatoren, zei-gen neueste Arbeiten, dass mole-kular definierte Eisenphosphin-komplexe ähnliche Aktivitäten und Produktivitäten erzielen kön-nen.30)

Abbildung 6 (S. 1146) fasst die wesentlichen heute bekannten ho-mogenen Katalysatoren für die De-

Page 5: Katalyse für die chemische Wasserstoffspeicherung

hydrierung von Ameisensäure zu-sammen. Auch in der heterogen katalysierten Ameisensäurezerset-zung gab es in den letzten Jahren Fortschritte. So ist mit Kern-Scha-le-Nanoedelmetallkatalysatoren die selektive Wasserstofffreisetzung auch aus reiner Ameisensäure bei Raumtemperatur möglich.31)

Unabhängig davon, welcher chemische Energieträger letztend-lich genutzt wird: Die Katalyse ist eine Schlüsseltechnologie für die Wasserstoffwirtschaft. Sie ermög-licht es, die notwendigen Hydrier- und Dehydrierprozesse schneller und selektiver ablaufen zu lassen. Sie wird damit einen wichtigen Beitrag zur Energiespeicherung leisten.

Literatur

1) R. E. Smalley, MRS Bulletin 2005, 30,

412–417.

2) P. Jena, J. Phys. Chem. Lett. 2011, 2,

206–211.

3) J. Wolf, MRS Bull. 2002, 27, 684–687.

4) L. Schlapbach, A. Züttel, Nature 2001,

414, 353–358.

5) H.W. Langmi, G. S. McGrady, Coord.

Chem. Rev. 2007, 251, 925–935.

6) M. Hirschner, Angew. Chem. 2011, 123,

605–606.

7) B. Panella, M. Hirscher, S. Roth, Carbon

2005, 43, 2209–2214.

8) P. M. Budd, A. Butler, J. Selbie,

K. Mahmood, N. B. McKeon, B. Ghanem,

K. Msayib, D. Book, A. Walton, Phys.

Chem. Chem. Phys. 2007, 9, 1802–1808.

9) R. E. Morris, P. S. Wheatley, Angew. Chem.

2008, 120, 5044–5059.

10) U. Eberle, M. Felderhoff, F. Schüth,

Angew. Chem. 2009, 121, 2–28.

11) E. Hevia, R. E. Mulvey, Angew. Chem.

2011, 123, 9410–9411.

12) A. Züttel, A. Borgschulte, L. Schlapbach,

Hydrogen as a Future Energy Carrier,

Wiley-VCH, Weinheim, 2008.

13) C. W. Hamilton, R. T. Baker, A. Staubitz,

I. Manners, Chem. Soc. Rev. 2009, 38,

279–293.

14) T. B. Marder, Angew. Chem. 2007, 119,

8262–8264.

15) P. Makowski, A. Thomas, P. Kuhn,

F. Goettmann, Energy Environ. Sci. 2009,

2, 480–490-

16) S. Enthaler, J. von Langermann,

T. Schmidt, Energy Environ. Sci. 2010, 3,

1207–1217.

17) U.S. Department of Energy, DOE Targets

for On-Board Hydrogen Storage Systems

for Light-Duty Vehicles, 2009,

www1.eere.energy.gov/hydrogenand

fuelcells/storage/pdfs/ targets_

onboard_hydro_storage.pdf.

18) P. G. Jessop, T. Ikariya, R. Noyori, Nature

1994, 368, 231–233.

19) P. Munshi, A. D. Main, J. C. Linehan,

C. C. Tai, P. G. Jessop, J. Am. Chem. Soc.

2002, 124, 7963–7971.

20) R. Tanaka, M. Yamashita, K. Nozaki, J. Am.

Chem. Soc. 2009, 131, 14168–14169.

21) J. Elek, L. Nádasdi, G. Papp, G. Laurenczy,

F. Joó, Appl. Catal. A.: General 2003, 255,

59–67.

22) C. Federsel, R. Jackstell, A. Boddien,

G. Láurenczy, M. Beller, ChemSusChem

2010, 3, 1048–1050.

23) A. Boddien, F. Gärtner, C. Federsel,

P. Sponholz, D. Mellmann, R. Jackstell,

H. Junge, M. Beller, Angew. Chem. 2011,

123, 6535–6538.

24) D. Preti, S. Squarcialupi, G. Fachinetti,

Angew. Chem. 2010, 122, 2635–2638.

25) T. Schaub, R. Paciello, Angew. Chem.

2011, 123, 7416–7420.

26) a) B. Loges, A. Boddien, H. Junge, M. Beller,

Angew. Chem. 2008, 120, 4026;

b) C. Fellay, P. J. Dyson, G. Laurenczy,

Angew. Chem. 2008, 120, 4030–4032.

27) a) Boddien, B. Loges, H. Junge, M. Beller,

ChemSusChem 2008, 1, 751–758;

b) A. Majewski, D. J. Morris, K. Kendall,

M. Wills, ChemSusChem 2010, 3, 431–434.

28) A. Boddien, B. Loges, H. Junge, F. Gärtner,

J. R. Noyes, M. Beller, Adv. Synth. Catal.

2009, 351, 2517–2520.

29) A. Boddien, F. Gärtner, C. Federsel,

P. Sponholz, D. Mellmann, R. Jackstell,

H. Junge, M. Beller, Angew. Chem. 2011,

123, 6535–6538.

30) A. Boddien, D. Mellmann, F. Gärtner,

R. Jackstell, H. Junge, P. J. Dyson,

G. Laurenczy, R. Ludwig, M. Beller,

Science 2011, 333, 1733–1736.

31) A. Boddien, H. Junge, Nat. Nanotech.

2011, 6, 265–266.

Abb. 6. Homogene Katalysatoren für die selektive Dehydrierung von Ameisensäure.

TPPTS: Tris(3-sulfophenyl)phosphintrinatriumsalz.

Matthias Beller, Jahrgang

1962, übernahm im Jahr

1998 eine C4-Professur für

Katalyse an der Universität

Rostock und die Leitung

des Instituts für Organi-

sche Katalyseforschung (Ifok). Im Jahr 2005

wurde er dann Direktor des neu gebildeten

Leibniz-Instituts für Katalyse. Beller ist Vor-

standsmitglied der Deutschen Katalysege-

sellschaft und Vorsitzender der GDCh-Ar-

beitsgruppe Nachhaltige Chemie.

[email protected]

Albert Boddien, Jahrgang

1982, ist Doktorand im Ar-

beitskreis von Matthias Bel-

ler in der Themengruppe

Katalyse für Energietechno-

logien. Seine Forschungsin-

teressen sind Energiespeichersysteme, metall-

katalysierte Hydrierungen und Dehydrierun-

gen sowie photokatalytische Prozesse.

Henrik Junge, Jahrgang

1966, beschäftigt sich seit

2003 im Arbeitskreis von

Matthias Beller mit Kataly-

seanwendungen im Ener-

giebereich, seit 2009 ist er

Themenleiter auf diesem Gebiet. Davor arbei-

tete der promovierte Chemiker an der Land-

wirtschaftlichen Untersuchungs- und For-

schungsanstalt Rostock. Er ist seit dem Jahr

2008 Vorstandsvorsitzender der Wasserstoff-

technologie-Initiative Mecklenburg-Vorpom-

mern.

1146 BMagazinV Wasserstoffspeicherung

Nachrichten aus der Chemie| 59 | Dezember 2011 | www.gdch.de/nachrichten