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Eine Pilgerampulle in Jena Verena Paul-Zinserling In der Sammlung Antiker Kleinkunst der Friedrich-Schiller-Universität Jena befindet sich ein kleines flaches, tropfenförmiges Gefäß aus hellorangefarbe- nem glimmerhaltigen hartgebrannten Ton (5 YR 6/6) mit Spuren eines hellen Überzugs 1 . In Schulterhöhe sitzen zwei runde Durchbohrungen, durch die ein Trageband gezogen werden kann. Vorder- und Rückseite zeigen Reliefs, die aus einer sehr abgenutzten Form stammen. Ein frontal stehender bärtiger Mann im knöchellangen Pallium hält einen hochrechteckigen Gegenstand vor die Brust – wohl ein Buch, dessen Deckel ein schräg gestelltes Kreuz zeigt. Rechts und links flankieren zwei große Palm- blätter die Gestalt. Das sehr verschliffene Gesicht lässt kreisrunde, als aufge- setzte Ringe gestaltete Augen, eine breite Nase und einen spitz zulaufenden Bart erkennen. Haupt- und Barthaar sind in grober Ritzung differenziert, eine kleine Mundspalte ist eingestochen (Taf. 47, 1). Auf der Gegenseite sitzt ins Dreiviertelprofil gekehrt auf einem Lehnstuhl mit gekreuzten Beinen ein in ein faltenreiches Gewand eingehüllter Schreibender. Er hat den Kopf zu einem auf seinen Knien liegenden aufgeschlagenen Buch geneigt, in das er mit einem langen Griffel schreibt. Im Gegensatz zum Stehenden der Vorderseite hat er weich gelocktes Haar und einen runden Bart. Die eng zusammengestellten Beine sind unter den Sitz gezogen. Vor ihm am Boden liegt ein unbestimm- barer Gegenstand, weiter rechts erhebt sich eine torsierte Säule mit einem Volutenkapitell (Taf. 47, 2). Bei dem Jenaer Eulogium 2 handelt es sich um ein bislang in der Forschung nicht bekanntes Exemplar, das sich in das verhältnismäßig kleine Korpus der kleinasiatischen Pilgerflaschen einfügen lässt. Weitaus bekannter sind die ägyptischen Menas-Ampullen und die palästinischen Blei-Ampullen in Monza und Bobbio, denen die aus Kleinasien stammenden in Zahl, handwerklicher Gestaltung und auch ihrem Bilderreichtum nachstehen. Dennoch gehören sie Abbildungsnachweis: Taf. 47, 1. 2: Photo U. Thomas. – Taf. 47, 3; 48, 1–3: Paris, Musée du Louvre (Photo M. u. P. Chuzeville). 1 SAK T 190. H 6,5 cm; B 4,7 cm; T 1,9 cm. V. Paul-Zinserling, Die Terrakotten der Sammlung Antiker Kleinkunst der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jenaer Hefte zur Klassischen Archäologie 4 (Jena 2002) 103 Nr. 100. 2 RBK I (1966) 138–142 s. v. Ampullen (K. Wessel); RBK II (1971) 427–433 s. v. Eulo- gia (K. Wessel); B. Kötting, Peregrinatio religiosa 2 (Münster 1980) 403–413. Brought to you by | St. Petersburg State University Authenticated | 93.180.53.211 Download Date | 12/18/13 2:55 PM

Keraunia (Beiträge zu Mythos, Kult und Heiligtum in der Antike) || Eine Pilgerampulle in Jena

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Eine Pilgerampulle in Jena

Verena Paul-Zinserling

In der Sammlung Antiker Kleinkunst der Friedrich-Schiller-Universität Jena befindet sich ein kleines flaches, tropfenförmiges Gefäß aus hellorangefarbe-nem glimmer haltigen hartgebrannten Ton (5 YR 6/6) mit Spuren eines hellen Überzugs1. In Schulterhöhe sitzen zwei runde Durchbohrungen, durch die ein Trageband gezogen werden kann. Vorder- und Rückseite zeigen Reliefs, die aus einer sehr abgenutzten Form stammen.

Ein frontal stehender bärtiger Mann im knöchellangen Pallium hält einen hochrechteckigen Gegenstand vor die Brust – wohl ein Buch, dessen Deckel ein schräg gestelltes Kreuz zeigt. Rechts und links flankieren zwei große Palm-blätter die Gestalt. Das sehr verschliffene Gesicht lässt kreisrunde, als aufge-setzte Ringe gestaltete Augen, eine breite Nase und einen spitz zulaufenden Bart erkennen. Haupt- und Barthaar sind in grober Ritzung differenziert, eine kleine Mundspalte ist eingestochen (Taf. 47, 1). Auf der Gegenseite sitzt ins Dreiviertelprofil gekehrt auf einem Lehnstuhl mit gekreuzten Beinen ein in ein faltenreiches Gewand eingehüllter Schreibender. Er hat den Kopf zu einem auf seinen Knien liegenden aufgeschlagenen Buch geneigt, in das er mit einem langen Griffel schreibt. Im Gegensatz zum Stehenden der Vorderseite hat er weich gelocktes Haar und einen runden Bart. Die eng zusammengestellten Beine sind unter den Sitz gezogen. Vor ihm am Boden liegt ein unbestimm-barer Gegenstand, weiter rechts erhebt sich eine torsierte Säule mit einem Volutenkapitell (Taf. 47, 2).

Bei dem Jenaer Eulogium2 handelt es sich um ein bislang in der Forschung nicht bekanntes Exemplar, das sich in das verhältnismäßig kleine Korpus der kleinasiatischen Pilgerflaschen einfügen lässt. Weitaus bekannter sind die ägyptischen Menas-Ampullen und die palästinischen Blei-Ampullen in Monza und Bobbio, denen die aus Kleinasien stammenden in Zahl, handwerklicher Gestaltung und auch ihrem Bilderreichtum nachstehen. Dennoch gehören sie

Abbildungsnachweis: Taf. 47, 1. 2: Photo U. Thomas. – Taf. 47, 3; 48, 1–3: Paris, Musée du Louvre (Photo M. u. P. Chuzeville).

1 SAK T 190. H 6,5 cm; B 4,7 cm; T 1,9 cm. V. Paul-Zinserling, Die Terrakotten der Sammlung Antiker Kleinkunst der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jenaer Hefte zur Klassischen Archäologie 4 ( Jena 2002) 103 Nr. 100.

2 RBK I (1966) 138–142 s. v. Ampullen (K. Wessel); RBK II (1971) 427–433 s. v. Eulo-gia (K. Wessel); B. Kötting, Peregrinatio religiosa 2(Münster 1980) 403–413.

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zu den bislang ältesten Zeugnissen frühchristlicher Ikonographie, die in vor-ikonoklastischer Zeit zur Ausbildung der frühbyzantinischen Kunstsprache beigetragen haben.

Diese kleinen Tonflaschen, die als Behälter für heiliges Wasser oder – aus Blei gefertigt – für heiliges Öl dienten, das die Pilger von den sacra loca als Heilsspender mit sich nahmen, zeigen auf ihren nur wenig gerundeten, ca. 7 × 5  cm messenden Wänden ein erstaunlich reiches Bildprogramm, dessen Erschließung über Herkunft und Sinngehalt frühchristlicher Glaubensinhalte in der kleinasiatischen Küstenregion Aussagen erlauben und deren Bedeutung in umgekehrtem Verhältnis zur Schlichtheit der kleinen Reliefs steht: finden sich doch auf dieser volkstümlichen Kleinkunstgattung Hinweise auf an be-stimmte Kirchen und Martyrien gebundene Heiligenverehrung, auf Kultstät-ten und wohl auch auf Mosaiken und Gemälde frühchristlicher Kirchen, die die Jahrhunderte nicht überdauert haben.

An ihrer kleinasiatischen Herkunft kann nicht gezweifelt werden: Die wichtigsten Fundorte sind Smyrna, Ephesos, Priene, Sardes, Antiochia, Hamas, die Inseln Naxos, Knidos, Kalymnos, das Balkangebiet mit Garizingrad und Armenien3 mit einigen Exemplaren. Die Mehrzahl stammt aus den Städten der Küstenregion des ägäischen Meeres, wobei offensichtlich eine Werkstatt in Ephesos, einem bedeutenden Zentrum der frühchristlichen Welt, bestanden hat. Nicht zuletzt weist auch der feine orangefarbene Ton, der in ähnlicher Be-schaffenheit für die sog. Ephesoslampen Verwendung fand, in diese Richtung.

Catherine Metzger4 unterschied auf den kleinasiatischen Eulogien des Louvre, mit 58 Exemplaren einer der größten Bestände, im Wesentlichen drei Hauptmotive:

1. Ampullen mit Reiterdarstellungen2. Ampullen mit Personen unter Bögen bzw. ohne Bogenangabe3. Ampullen mit symbolischen und dekorativen Motiven.

Der Bildtypus der Jenaer Ampulle kommt im Louvre in zwei entsprechenden, aber nicht aus der gleichen Form stammenden sowie einem leicht abgewandel-ten Exemplar (Taf. 47, 3; 48) vor5. Weitere befinden sich in St. Petersburg6, Berlin7,

3 A. A. Калантарян, Ампула с изображением св андрея из Двина, SovA 1, 1968, 274–276 Abb. 1. 2.

4 C. Metzger, Les ampoules à eulogie du Musée du Louvre, Notes et documents des Musées de France 3 (Paris 1981).

5 Metzger a. O. (Anm. 4) 20 Nr. 113–115 Abb. 95–97.6 В. И. Залесская, Ампулы Эвлогии из Малой Азии (IV–VI вв.),VizVrem 47, 1986,

182–190 Abb. 1, 1; 2, 1. 7 O. Wulff, Altchristliche und mittelalterliche byzantinische und italienische Bild-

werke. Teil 1: Altchristliche Bildwerke. Königliche Museen zu Berlin 2(Berlin 1909) 263 f. Nr. 1349–1353 (unser Typus nicht vorhanden).

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London8, und eines, das dem Jenaer wohl am nächsten steht, stammt aus Sar-des. Ohne nähere Erläuterung sah George Hanfmann in dem Stehenden den heiligen Johannes und im sitzenden Schreiber den heiligen Lukas9. Auch von Metzger werden die Gestalten der Vorder- und Rückseite traditionell als Apo-stel- bzw. Evangelistendarstellung verstanden, wobei der Sitzende direkt vom antiken Dichter- bzw. Philosophenbildnis hergeleitet sei. Sie geht davon aus, dass die ikonografische Unterscheidung auch eine inhaltliche bedeutet. Dem stehenden Spitzbärtigen stehe die Paulus-Ikonografie und dem rundbärtigen Sitzenden die des Apostels Petrus nahe. Letztere Verbindung würde allerdings das Problem aufwerfen, ein zweites Petrusbild neben den Ampullenreliefs mit einer unter einem Bogen sitzenden mit Schlüssel und Handkreuz versehenen und traditionell als Petrus verstandenen männlichen Gestalt anzunehmen.

Dass es sich bei den ein Buch haltenden, in hierarischer Frontalität und in voller Körpergröße oder als Büsten wiedergegebenen Männerdarstellungen ebenfalls um Apostel handeln dürfte, legen die durch Namensbeischriften als Apostel und auf der gleichgestalteten Gegenseite als heiliger Andreas gesicher-ten Ampullenbüsten nahe.

Einem ganz neuartigen Verständnis führte Vera J. Zalesskaja die klein-asiatischen Ampullen der Ermitage und damit auch die gesamte, über einige Museen der Welt verstreute Gattung zu, indem sie den Schlüssel zur ikonogra-fischen Deutung der Reliefs vor allem in der schriftlichen frühchristlichen Überlieferung des kleinasiatischen Raumes suchte10. Ihr Ansatz ging von der engen Bindung der Ampullen an lokalspezifische Kulte aus, und sie fand ein wesentliches Zentrum im frühchristlichen Ephesos, das mit der Johanneskir-che, der Kirche der Gottesmutter und dem Coemeterium der Siebenschläfer bedeutende Bauten und Heilige besaß, wie den Apostel Johannes und den Bischof Timotheos, deren Legenden und Kultbräuche einen regen Devotiona-lienhandel in Gang gesetzt haben dürften.

Auch für den hier interessierenden Typus, den sie als einen der ältesten der Ampullenreliefs verstand, fand sie eine überraschende Deutung: Es handle sich bei dem Stehenden um den Evangelisten Johannes, der dem auf der Gegenseite sitzenden Prochorus sein Evangelium diktiert. Zalesskaja weist diese Ampullen dem in den Pilgeritinerarien wohlbekannten Ephesos zu, dem Ort des Johan-nesgrabes und der im 6. Jh. umgebauten Johanneskirche mit dem in griechi-schen Menologien erwähnten Fest des Heiligen am 8. Mai, an dem wunderwirk-samer Staub (Manna) sein Grab bedeckte. Diese Zuordnung wird auch durch die Provenienzen der Ampullen im Louvre und im British Museum gestützt.

8 O. M. Dalton, Catalogue of Early Christian Antiquities and Objects from the Christian East in the British Museum (London 1901) 159 Nr. 912, Ampullen glei-chen Typs auch Nr. 904–908. 910–915.

9 G. M. A. Hanfmann, Letters from Sardis (Cambridge, Mass. 1972) 164 f. Abb. 122. 123. Vgl. auch M.-H. Gates, Archaeology in Turkey, AJA 101, 1997, 290 Abb. 34.

10 Залесская a. O. (Anm. 6).

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Was nun aber die neue Prochorus-These angeht, so stößt sie doch auf einige Schwierigkeiten. Miniaturen, die beide Heilige im Schema des stehen-den, von der Hand Gottes inspirierten Johannes Evangelista und des zu seinen Füßen sitzenden Schreibers Prochorus zeigen, sind nicht vor dem Ende des 10. Jhs. nachweisbar und nehmen erst im 12. Jh. an Popularität zu. Zuvor ist der in einem Flechtstuhl sitzende, in Gedanken versunkene Evangelist der gebräuchliche Darstellungstypus, wie auch der Typus des nach dem Diktat Gottes (in seiner Hand präsent) schreibenden Evangelisten in den folgenden Jahrhunderten in Mode bleibt. Immer aber ist der Diktat-Typus als ein unge-teiltes Bild verwendet, und es wäre erstaunlich, wenn auf der nachweisbar frü-hesten Fassung, bei der die Vertrautheit des neuen Typus – zumal im einfachen Kundenkreis winziger Pilgerfläschchen – noch kaum vorausgesetzt werden kann, eine separate Darstellung der beiden Protagonisten beginnen sollte. Er-schwerend für ein zutreffendes Verständnis kommt noch hinzu, dass der sinn-stiftende Impetus, nämlich die weisende Hand Gottes, d. h. die Präsenz der über den Apostel hinausweisenden Heilsbotschaft, nicht dargestellt ist. Die literarische Quelle der angenommenen Diktat szene bildet ein hagiographi-scher apokrypher Text, der nach Theodor Zahn11 um 500 entstanden sein könnte, von anderen ins 5. Jh. gesetzt wird, die »Taten des heiligen Apostels und Evangelisten Johannes des Theologen« als deren Verfasser sich Prochorus selbst nennt und in dem dieser als Jünger und Sekretär des Johannes die Um-stände der Entstehung des vierten Evangeliums berichtet12. Die von Hugo Buchthal13 vorgestellten Miniaturen des 10. Jhs. geben die exakte bildliche Umsetzung dieses Textes, nicht aber die kleinasiatischen Evangelisten-Ampul-len. Hinzu kommt noch, dass Prochorus die Entstehung des Evangeliums auf Patmos, dem langjährigen Exil des Johannes, schildert und nicht – wie nach einem anderen Überlieferungsstrang – in Ephesos; indem er jedoch »die nach dem Diktat des Apostels auf Papier geschriebene Urschrift des Evangeliums nach Ephesos kommen ließ, mag er damit einer bereits vorhandenen Tradition über das zu Ephesos befindliche Original sich angeschlossen, oder diese […] geschaffen haben«14.

11 Th. Zahn, Acta Joannis (Erlangen 1880) S. XXIII–LX; R. A. Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden. Ein Beitrag zur altchristlichen Literatur-geschichte I (Braunschweig 1883) 348–367; Bibliotheca hagiographica graeca II 3(Brüssel 1957) 916 f.; Kötting a. O. (Anm. 2) 52; RAC XVIII (1998) 564–595, bes. 566 s. v. Johannes-Akten (K. Schäferdieck).

12 Vgl. E. Junod – J. D. Kaestli, Acta Johannis, Corpus Christianorum, Series Apocry-phorum 1/2 (Turnhout 1983) 718–736; A. de Santos Otero, Jüngere Apostelakten, in: W. Schneemelcher, Neutestamentliche Apocryphen II. Apostolisches, Apokalyp-sen und Verwandtes 5(Tübingen 1989) 385–391; zur Datierung 386.

13 H. Buchthal, A Byzantine Miniature of the Fourth Evangelist and its Relativs, DOP 15, 1961, 129–139 Abb. 1. 8.

14 Zahn a. O. (Anm. 11) S. XLIX.

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Dennoch ist es kaum denkbar, dass diese Version der Prochorus-Akten, die Ephesos deutlich in den Schatten von Patmos stellt, von den dortigen Hand-werkern favorisiert und als Bildvorlage gebraucht worden sein könnte. Sie würde eher in ein Atelier nach Patmos gepasst haben. So wird man wohl doch weiterhin von zwei namenlosen Apostel- bzw. wegen der Bücher von Evange-listendarstellungen ausgehen müssen. Nicht gänzlich von der Hand zu weisen ist allerdings, wenn, wie zu vermuten ist, Ephesos nicht nur der Fundort, son-dern auch der Ort der Herstellung und des Vertriebs dieser Ampullen gewesen ist, dass es sich in beiden Darstellungen um Johannes Evangelista als den Orts-heiligen handeln könnte, zum einen beim Schreiben seines Werkes, wobei die antike Tradition erstaunlich präsent ist, und zum anderen bei der Präsentation des Evangeliums, die im 6. Jh. als neu geprägter Darstellungstypus von großer ideologischer Bedeutsamkeit auch in gänzlich unantiker Formensprache aus-geprägt worden sein könnte.

Wahrscheinlich findet sich auf den Eulogien mit den beidseitigen Män-nerbüsten15, die einmal als Apostel und zum anderen als heiliger Andreas be-zeichnet sind und wohl die gleiche Person meinen, eine Parallele. Dies entsprä-che im weiteren Sinne auch der Bildkombination der anderen Motivgruppen der kleinasiatischen Ampullen, die zumindest in einigen Fällen als aufeinander bezogen verstanden werden müssen.

Ein Problem scheint aber bislang nicht lösbar: Vor dem Schreibenden steht eine torsierte Säule mit Basis und Volutenkapitell, und es kann nicht überzeugen, sie mit Metzger – allerdings mit Fragezeichen – als Schreib- bzw. Lesepult zu verstehen, auch wenn eine etwas abgewandelte Fassung auf einer Ampulle des Louvre (Taf. 48, 1)16 ein derartiges Gerät deutlich erkennen lässt. Auch – folgte man der Prochorus-Deutung Zalesskajas – hätte eine Säule kei-nen erkennbaren Sinn. Sie scheint offenbar auf der entsprechenden Ampulle der Ermitage nicht vorhanden zu sein, so dass sich die Autorin auch nicht da-mit befassen muss. In ihrer Form entspricht diese Säule genau denjenigen, die auf einigen Ampullen den Bogen tragen, unter dem sich stehende und sitzende Apostel aufhalten und der wohl als Zeichen ihres hohen Standes in der christ-lichen Hierarchie zu verstehen ist. Durch die Breite und Größe des Sitzenden, der auf der Wand der Ampulle stark nach links gerückt ist, so dass die Lehne seines Klappstuhles beinahe den Gefäßrand berührt, war nun seitlich wie auch oberhalb des Kopfes kein Platz mehr vorhanden, um eine Arkadenrahmung unterzubringen. Vielleicht sollte die deutlich sichtbare Einzelsäule als pars pro toto auf den architektonischen Zusammenhang hinweisen, in dem sie üblicher-weise auf den Ampullen ihren Platz hat, nämlich in einem Triumphbogen.

15 Metzger a. O. (Anm. 4) 20 Nr. 123. 124 Abb. 104. 105. Vgl. Kötting a. O. (Anm. 2) 411.

16 Metzger a. O. (Anm. 4) 20 Nr. 115 Abb. 97 a.

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