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Kernenergie und Kerntechnik in Deutschland und weltweit

Kernenergie und Kerntechnik in Deutschland und weltweit · 2019. 11. 27. · Kernenergie zu verzichten. Spätestens 2022 soll das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet werden. Bis dahin

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Kernenergie und Kerntechnik in Deutschland und weltweit

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4 KernenergieundEnergiemix

9 DiedeutscheEnergiewende

14 StilllegungundRückbauvonKernkraftwerken

18 SicherheitundStrahlenschutz

24 EndlagerungradioaktivenAbfalls

27 KerntechnikinderZukunft:KompetenzerhaltundBerufsperspektiven

31 AlternativeAnwendungen

34 Kernenergieweltweit

Inhaltsverzeichnis

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Kernenergieund

Energiemix1

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Die friedliche Nutzung der Kernenergie be-

gann in Deutschland vor über 50 Jahren. Von

den 50er- bis zu den 70er-Jahren wurde diese

Hochtechnologie als Lösung für viele Heraus-

forderungen der Energieversorgung angese-

hen. Auch infolge von gesellschaftlichen und

politischen Entwicklungen wandelte sich mit

der Zeit der Diskurs in Deutschland. Die deut-

sche Bundesregierung beschloss zunächst

2000 und dann 2011, schrittweise auf die

Kernenergie zu verzichten. Spätestens 2022

soll das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet

werden. Bis dahin ist die Kernenergie noch

ein relevanter Bestandteil der zuverlässigen

Stromversorgung in Deutschland.

In vielen anderen Ländern werden erneuerba-

re Energien und Kernenergie wie auch fossile

Energieträger als sich sinnvoll ergänzende

Komponenten für eine nachhaltige Energie-

zukunft bewertet.

KernenergiealsTeildesdeutschenEnergiemix.

Ein Kernkraftwerk produziert Strom aus

Wärme, wie bei Kohle- oder Gaskraftwer-

ken. Dabei entstehen keine Treibhaus-

gase. Die Kernspaltung läuft im Reaktor

eines Kernkraftwerks ab – unter genau

festgelegten Bedingungen. Ein Atomkern

des Isotops Uran-235 fängt ein Neutron

ein. Der Kern wird instabil, bricht aus-

einander und Energie wird freigesetzt.

Gleichzeitig entstehen zwei bis drei freie

Neutronen. Diese können wiederum von

anderen Uran-235-Atomkernen einge-

fangen werden, die sich dann ebenfalls

spalten. In einem Kernkraftwerk wird

diese Kettenreaktion kontrolliert gesteu-

ert. Die Energie, die bei der Kernspaltung

frei wird, heizt unter hohem Druck Was-

ser auf. Es entsteht heißer Dampf. Dieser

wird auf die Turbinen geleitet. Die Turbi-

nen rotieren und treiben einen mit ihnen

verbundenen Generator an. Im Generator

entsteht Strom, der über das Stromnetz

zu den Verbrauchern gelangt.

Exkurs:EnergiegewinnungdurchKernspaltung.

„Es ist schwieriger, eine vorgefasste

Meinung zu zertrümmern als ein Atom.“

Albert Einstein (1879-1955)

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Für den Beitrag, den ein Energieträger zur

Versorgungssicherheit leistet, ist neben der

erzeugten Strommenge vor allem die Rund-

um-die-Uhr-Verfügbarkeit entscheidend

– die sogenannte Grundlast. Zur Brutto-

Grundlaststromerzeugung trug die Kern-

energie im Jahr 2013 34,9 Prozent bei, die

Braunkohle 58,2 Prozent und Laufwasser

6,9 Prozent. Der Beitrag der Kernenergie zur

Brutto-Stromerzeugung, d. h. der insgesamt

produzierten Strommenge, verringerte sich

von 2005 bis 2013 von 26,2 auf 15,4 Prozent,

die Anteile der Braun- und der Steinkohle-

Stromerzeugung blieben nahezu unverän-

dert bei ca. 25 bzw. ca. 20 Prozent. Der Anteil

der Windkraft stieg von 4,4, auf 8,5 Prozent,

der Beitrag der erneuerbaren Energien ins-

gesamt von 10 auf 24,1 Prozent.

DerStrommixinDeutschland.

24,1%erneuerbare

Energiendarunter:

Windkraft 8,1%Biomasse 6,5%

Photovoltaik 4,8%Wasserkraft 3,6%

Hausmüll 0,9%1,1%Mineralölprodukte

10,7%Erdgas

19,2%Steinkohle

25,4%Braunkohle

15,4%Kernenergie

4,1%übrige

Energieträger

Abb. 2

Brutto-Grundlaststromerzeugung

(295,9 Mrd. kWh) 2013 2

Abb. 1

Brutto-Stromerzeugung

(633,2 Mrd. kWh) 20131

58,2%Braunkohle

6,9%Laufwasser

34,9%Kernenergie

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Rohstoff für die Stromproduktion

Quelle: http://www.kkl.ch

Kernenergie stabilisiert das Stromnetz. Im

Stromnetz muss immer so viel Strom verfügbar

sein, wie von Industrie, Gewerbe und Privat-

haushalten verbraucht wird. Kernkraftwerke

können durch ihre Regelbarkeit eine schwan-

kende Produktion der erneuerbaren Energien

zügig ausgleichen und so die Balance zwischen

Energieerzeugung und -verbrauch herstellen.

Damit sorgen Kernkraftwerke für ein stabiles

Netz und eine sichere Stromversorgung.

Kernenergie ist umweltfreundlich. Ne-

ben Wasserkraft fallen auch bei der Strom-

erzeugung aus Kernenergie praktisch keine

Treibhausgasemissionen an. Daher hilft die

Kernkraft, das Ziel der Bundesregierung, die

Treibhausgasemis-sionen in Deutschland bis

2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu sen-

ken, zu erreichen.

VorteilederStromerzeugungdurchKernkraft.

Abb. 3 Natururan

Kernenergie ist volkswirtschaftlich vorteil-

haft. Die Stromerzeugung aus Kernenergie

ist häufig preisgünstiger als aus anderen

Energiequellen. Dabei wurde die kommer-

zielle Stromerzeugung aus Kernenergie zu

keinem Zeitpunkt staatlich finanziell geför-

dert. Angesichts der aktuellen Preissituation

an den Strommärkten in Europa ist der wirt-

schaftliche Betrieb von neuen Kraftwerken

nahezu überall herausfordernd. Dies gilt für

die in der Regel nicht in den Markt einge-

bundenen erneuerbaren Energien, genauso

wie für Gas-, Kohle- und Kernkraftwerke. Um

diesem Umstand entgegenzuwirken, sorgt

beispielsweise die britische Regierung in

Zusammenhang mit dem Neubau von Kern-

kraftwerken für gleiche Marktbedingungen

unter den Energieträgern.

Uran in angereicherter Form wird in

Kernkraftwerken als Brennstoff verwen-

det. Dabei ist der Bedarf sehr gering. Ein

Kilogramm Natururan hat einen so hohen

Energiegehalt wie etwa 12.600 Liter Erdöl

oder 18.900 Kilogramm Steinkohle. Uran

ist weltweit verfügbar, leicht zu transpor-

tieren und gut zu bevorraten. Hauptlie-

ferländer sind Australien, Kasachstan und

Kanada.

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Strom kann in großem Umfang nicht ge-

speichert werden, er muss in dem Moment

erzeugt werden, in dem er gebraucht wird.

Versorgungssicherheit ist daher eine schwie-

rige Aufgabe. Denn der Beitrag der erneuer-

baren Energien schwankt im Gegensatz zur

Kernenergie. Eine künftige Herausforderung

ist es deshalb, Technologien zur Zwischenspei-

cherung von erneuerbaren Energien zu finden.

Denn bis heute gilt: Bläst kein Wind, scheint

keine Sonne, müssen konventionelle Quellen

den Bedarf abdecken.

Die Kernenergie wird zunehmend durch

fossile Energieträger wie Kohle und Erdgas

ersetzt. Wird Erdgas zukünftig verstärkt

verwendet, muss auch seine Verfügbarkeit

geklärt werden. Auf längere Sicht hängt

die Versorgungssicherheit davon ab, ob ge-

nügend Erzeugungs- und Netzkapazitäten

vorhanden sind. Eine weiterer Aspekt ist die

Sicherstellung der Übertragungs- und Vertei-

lernetze, damit der Strom vom Ort der Erzeu-

gung dahin kommt, wo er verbraucht wird.

Versorgungssicherheitgewährleisten.

„Der Systembetrieb befindet sich an

einer wachsenden Zahl von Tagen in

einem angespannten Zustand, der für

das operative Handeln zunehmend eine

Herausforderung darstellt.“3

Die Netzbetreiber erstellen deshalb regel-

mäßig eine Leistungsbilanz, in der sie Ver-

brauch und Kapazität gegenüberstellen.

Sofern die gesicherte Leistung größer ist als

die Last (verbleibende Leistung), ist die Ver-

sorgungssicherheit auf der Erzeugungsseite

gewährleistet. Bisher ist die Bilanz nur auf

die nationalen Grenzen bezogen, doch für

die Zukunft soll der europäische Verbund

stärker berücksichtigt werden. Die Versor-

gungssicherheit ist in Frage gestellt, wenn

der Umbau der Stromerzeugung und der

Ausbau der Netze nicht synchron erfolgen.

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Diedeutsche

Energiewende2

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Der Beschluss, endgültig aus der Kernenergie

auszusteigen, wurde in Deutschland 2011 ge-

troffen. Dieser Entscheidung geht eine mehr

als zehnjährige Geschichte voraus.

Im Jahr 2000 kam es zu einer Verständigung

zwischen der Bundesregierung aus SPD und

Bündnis 90/Die Grünen und den vier gro-

ßen Energieversorgungsunternehmen. Die

Gesamtlaufzeit jedes Kernkraftwerks wurde

auf eine Produktionsmenge beschränkt, die

durchschnittlich etwa 32 Jahren entsprach.

2010 wurde das Atomgesetz durch eine

Laufzeitverlängerung für deutsche Kern-

kraftwerke modifiziert; die sieben vor 1980

in Betrieb gegangenen Kernkraftanlagen er-

hielten zusätzliche acht Betriebsjahre, die

übrigen zehn Kernkraftwerke zusätzliche 14

Jahre Laufzeit – ebenfalls über Strommen-

gen. Die immer stärker werdende Importab-

hängigkeit im Energiebereich – im Januar

2009 unter anderem beim Gasstreit Russ-

lands mit der Ukraine deutlich geworden

– rückte die Versorgungssicherheit wieder

DerdeutscheAusstiegsbeschlussunddieEnergiewende.

vermehrt in den Mittelpunkt der deutschen

Energiepolitik.

Am 11. März 2011 ereignete sich nach einem

Seebeben und einer dadurch ausgelösten

Serie von Tsunamis an der Nordostküste Ja-

pans ein nuklearer Unfall im Kernkraftwerk

Fukushima Daiichi. Dieser Unfall hatte dra-

matische Veränderungen in der deutschen

Energiepolitik zur Folge.

Drei Tage nach den Ereignissen in Fukushima

entschied sich die deutsche Bundesregierung

für das sogenannte „Atom-Moratorium“ und

beschloss, alle 17 deutschen Kernkraftwerke

einer Sicherheitsprüfung zu unterziehen und

die sieben ältesten Kernkraftwerke drei Mo-

nate lang stillzulegen. Die Reaktor-Sicher-

heitskommission (RSK) überprüfte anschlie-

ßend bei allen deutschen Kernkraftwerken

die Auslegungsgrenzen und den Robust-

heitsgrad bei Erdbeben, Hochwasser oder

Starkregen und stellte fest, dass „initiieren-

de Ereignisse, die zu derartigen Tsunamis

Am 30. Juni 2011 stimmte der Bundestag

für den Ausstieg aus der Nutzung der

Kernkraft zur Stromerzeugung. Bis zum

31. Dezember 2022 werden alle Kernkraft-

werke in Deutschland abgeschaltet.

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führen können, ... nach dem jetzigen Kennt-

nisstand für Deutschland praktisch ausge-

schlossen [sind]... Alle deutschen Anlagen

haben mindestens eine zusätzlich gesicherte

Einspeisung und mehr Notstromaggregate,

wobei mindestens zwei davon gegen äußere

Einwirkungen geschützt sind.“

Zusätzlich wurden deutsche Anlagen dem

EU-Stresstest unterzogen, einer Überprü-

fung aller Kernkraftwerke in der Europäi-

schen Union anhand EU-weiter Kriterien

durch die Europäische Kommission und die

Europäische Gruppe der Regulierungsbe-

hörden für nukleare Sicherheit (ENSREG). In

Deutschland wurden zudem auch mensch-

lich beeinflusste Ereignisse wie Flugzeugab-

stürze, Gasexplosionen außerhalb der Anla-

ge, terroristische Angriffe sowie der Einfluss

von Unfällen in benachbarten Anlagen un-

tersucht. Bei dem EU-Stresstest belegten die

guten Ergebnisse der deutschen Kernkraft-

werke das hohe Sicherheitsniveau kerntech-

nischer Einrichtungen in Deutschland.

Trotz dieser positiven Ergebnisse wurde 2011

der endgültige Ausstieg aus der friedlichen

Nutzung der Kernenergie in Deutschland bis

2022 beschlossen. Von den 17 Kernkraftwer-

ken in Deutschland erlosch bei acht unmit-

telbar die Betriebsgenehmigung. Die letzten

Kernkraftwerke gehen bis Ende 2022 vom

Netz. Die Sicherheitsüberprüfung und die

EU-Stresstests haben gezeigt, dass diese

Entscheidung in Deutschland nicht aufgrund

sicherheitstechnischer Aspekte nötig war,

sondern aus rein politischen Erwägungen

getroffen wurde.

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1955: Einrichtung des Bundesministeriums

für Atomfragen

1956: Errichtung von Kernforschungszent-

ren in Hamburg, Jülich, Geesthacht,

Berlin und Karlsruhe

1957: Inbetriebnahme des ersten deut-

schen Reaktors, des Forschungsreak-

tors „Garchinger Atomei“

1958: Bildung der Reaktorsicherheitskom-

mission (RSK)

1959: Gründung des Deutschen Atomfo-

rums e.V. (DAtF), eine Plattform für

Wirtschaft, Wissenschaft und Politik

zur Förderung der friedlichen Nut-

zung der Kernenergie

1960: Inkrafttreten des Atomgesetzes als

Rechtsgrundlage für den Bau und

Betrieb von Kernkraftwerken

1966: Inbetriebnahme des ersten kommer-

ziellen KKWs der DDR in Rheinsberg

1969: Gründung der Kerntechnischen Gesell-

schaft e.V. (KTG), einer Vereinigung

von Wissenschaftlern, Ingenieuren

und Experten zur Unterstützung des

DieHistoriederKernenergieinDeutschland

Fortschritts in der Kerntechnik

1987: Vorstellung eines integrierten Mess-

und Informationssystems zur perma-

nenten Überwachung der Umweltra-

dioaktivität (IMIS)

1989: Gründung des Bundesamts für Strah-

lenschutz (BfS)

1990: Stilllegung der Kernkraftwerke in der

ehemaligen DDR

1998: Der rot-grüne Koalitionsvertrag be-

schließt den Kernenergie-Ausstieg

2000: Vereinbarung zur Beschränkung der

Gesamtlaufzeit der Kernkraftwerke auf

eine bestimmte Produktionsmenge

2002: Novellierung des Atomgesetzes zur

geordneten Beendigung der Nutzung

der Kernenergie

2010: Beschluss zur Laufzeitverlängerung

von Kernkraftwerken

2011: „Atom-Moratorium“ und Beschluss

zum endgültigen Ausstieg aus der

Kernenergie

2013: Beschluss zum Standortauswahl-

gesetz (StandAG)

Abb. 4 „Garchinger Atomei“

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Am 11. März 2011 schalteten sich

während eines schweren Seebebens

in Japan und einer dadurch ausgelös-

ten Serie von Tsunamis drei Reaktoren

des Kernkraftwerks Fukushima Daiichi

auslegungsgemäß ab. Nach dem Auf-

treffen der größten Flutwelle versagten

zwölf von 13 Notstromdieselgeneratoren.

Wegen einer unzureichenden Kühlwas-

sereinspeisung kam es in drei Blöcken

zur Freilegung der Reaktorkerne und zur

Überhitzung der Brennstoffhüllrohre. Es

kam zu Explosionen.

Der schwerwiegende Reaktorunfall in

Fukushima Daiichi war Folge einer feh-

lerhaften Auslegung des Kraftwerks ge-

gen Tsunamis und damit unzureichen-

der Sicherheitsstandards, die nicht dem

Stand der Sicherheitsphilosophie und

genehmigungsrechtlichen Anforderun-

gen entsprachen, wie sie zum Beispiel

in Deutschland üblich sind. Nach Mei-

nung von Experten reichten zudem die

Notfallmaßnahmen nicht aus und wur-

den zu spät eingeleitet. Die Freisetzung

radioaktiver Stoffe in die Umgebung von

Fukushima entspricht fünf bis zehn Pro-

zent der beim Reaktorunfall in Tscher-

nobyl freigesetzten Menge an Strahlung.

Rund 1.500 Quadratkilometer waren von

Evakuierungsanordnungen oder Evakuie-

rungsempfehlungen betroffen. Das ent-

spricht rund 15 Prozent der Fläche nach

dem Unfall von Tschernobyl. In nicht be-

troffenen Gebieten wurden die Evakuie-

rungsanordnungen zwischenzeitlich wie-

der gelockert, Dekontaminationsmaßnah-

men werden großflächig durchgeführt.

Die japanischen Behörden haben den Re-

aktorunfall in Fukushima auf der sieben-

stufigen International Nuclear and Radio-

logical Event Scale INES mit der Stufe 7

„Katastrophaler Unfall“ bewertet.

DerReaktorunfallinFukushima.

Abb. 5

Lage der Reaktoren am

Standort Fukushima Daiichi.

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Sti l l legungund

Rückbauvon

Kernkraftwerken

3

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In Deutschland müssen gemäß der Atomgesetz-

Novelle (AtG) von 2011 nun stufenweise 17

Kernkraftwerke stillgelegt und dann direkt oder

später zurückgebaut werden. Der Rückbau ist für

Deutschland kein Neuland: Es wurden bereits

vier Kernkraftwerke und andere kerntechnische

Anlagen vollständig abgebaut – wie sich gezeigt

hat, effizient und ohne Risiko für die Bevölke-

rung, die Umwelt und das Personal. Erfahrene

Fachleute stehen ausreichend zur Verfügung

und Rückbau-Technologien sind erprobt. Geneh-

migung und Management der Stilllegung erfol-

gen nach eingespielten Vorgehensweisen.

Bis zur Erteilung der ersten Stilllegungsgeneh-

migung befindet sich ein Kernkraftwerk nach

seiner Abschaltung in der Nachbetriebspha-

se. Für das Genehmigungsverfahren braucht

es etwa vier bis fünf Jahre. Der Rückbau dau-

ert zehn Jahre oder mehr und endet mit der

Entlassung der Anlage aus dem Atomgesetz.

Daran schließt sich eine konventionelle, nicht-

nukleare Nachnutzung von verbliebenen Ge-

bäuden oder langfristig deren Abriss bis zur

„Grünen Wiese“ an.

RückbauimFokus.

Gundremmingen

Grafenrheinfeld

Grohnde

Emsland

Krümmel

Brokdorf

Brunsbüttel

Neckarwestheim

Philippsburg

Isar

Biblis

Unterweser

Kraftwerk in Betrieb

Außer Betrieb genommen gemäß Atomgesetz-

Novelle (AtG) von 2011

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Der Betreiber eines Kernkraftwerks ist im

Rahmen des § 7 Atomgesetz verpflichtet,

dieses nach endgültiger Abschaltung und

Stilllegung auf eigene Kosten abzubauen.

Unmittelbar nach der Abschaltung befindet

sich das radioaktive Inventar noch in der An-

lage. Das Kernkraftwerk unterliegt deshalb

weiter dem Atomrecht. Für die Stilllegung

sind gesonderte Genehmigungen erforder-

lich. Dasselbe gilt auch für andere kerntech-

nische Anlagen wie Forschungsreaktoren

und Anlagen zur Versorgung mit und Entsor-

gung von Kernbrennstoffen. Im allgemeinen

Sprachgebrauch wird „stilllegen“ häufig mit

„abschalten“ gleichgesetzt. Tatsächlich be-

ginnt die Stilllegung in der Regel erst einige

StilllegenistmehralsAbschalten.

Jahre nach der endgültigen Abschaltung der

Anlage, weil erst das für die Stilllegung er-

forderliche Genehmigungsverfahren durch-

laufen werden muss.

Kernstück der Stilllegung ist der Rückbau

des nuklearen Teils der Anlage und das Ma-

nagement der radioaktiven Abfälle. Die Still-

legung ist eine technisch und organisato-

risch anspruchsvolle Aufgabe und erfordert

spezifische Fachkenntnisse. In Deutschland

und im Ausland gibt es bereits umfassende

Erfahrung, sowohl hinsichtlich der Planung

und Durchführung als auch bezüglich spezi-

eller Techniken zur Dekontamination und zur

Zerlegung von Anlagenteilen.

Abb. 6

Reaktorbecken des Kernkraftwerks Stade

vor der Rückbauphase 3.

Video: Rückbau von Kernkraftwerken.

bit.ly/rueckbau

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Ziel der Stilllegung ist die Beseitigung des Kern-

kraftwerks, unter Einhaltung der allerhöchsten

Sicherheitsstandards. Reststoffe sollen verwer-

tet, radioaktive Abfälle zwischen- und später

endgelagert werden. Für das Vorgehen lassen

sich zwei Konzepte unterscheiden: 1. der di-

rekte Rückbau, 2. die Herstellung des sicheren

Einschlusses (eventuell nach Teilrückbau) mit

späterem Rückbau nach einer

Wartezeit von mehreren

Jahrzehnten. In dieser Zeit

kann die Radioaktivität in

der Anlage abklingen.

Grundlage ist eine sorgfältige Stilllegungs-

planung durch den Betreiber. Dazu werden

die Anlagenteile im Kontrollbereich und alles

radioaktive Inventar erfasst, die Abfolge des

Abbaus geplant und über die einzusetzenden

Techniken für Dekontamination und Zerle-

gung der Anlagenteile entschieden. Zur Still-

legungsplanung gehört auch die Erstellung

des Konzepts für die Behandlung und Verpa-

ckung der radioaktiven Abfälle. In der Nach-

betriebsphase können die Brennelemente

aus dem Reaktor entladen und nach einer

mehrjährigen Abklingzeit in Brennelement-

lagerbecken in das Zwischenlager gebracht

werden. Anlagenteile, vor allem im nicht-nu-

klearen Teil des Kraftwerks, können abgebaut

und der Rückbau des nuklearen Teils vorbe-

reitet werden. Des Weiteren beginnt die Rei-

nigung nuklearer Systeme von anhaftenden

radioaktiven Partikeln. Der Rückbau selbst

kann erst nach Erteilung der Stilllegungsge-

nehmigung beginnen. Der Zeitraum, auf den

sich die Stilllegungsgenehmigung erstreckt,

wird als Restbetriebsphase bezeichnet.

ZweiStrategienderStilllegung.

Stilllegungsplanungund-genehmigung.

Abb. 7

Grobe Mengenbilanz des

Kontrollbereichs eines

Kernkraftwerkes156.500 t

4.100 t zur Endlagerung

(davon 500 t Sekundärabfall)

142.400 t zur freien

Verwertung

700 t zur Deponierung

9.800 t zur schadlosen

Verwertung

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Sicherheit und

Strahlenschutz4

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Radioaktivität ist die Eigenschaft von

Atomkernen, sich unter Aussendung

von ionisierender Strahlung umzuwan-

deln. Es gibt Alphastrahlung, Beta-

strahlung und Gammastrahlung. Um-

gangssprachlich wird für alle der Begriff

„radioaktive Strahlung“ benutzt. Die Zahl

der Umwandlungen eines radioaktiven

Stoffes pro Zeiteinheit, seine Zerfalls-

rate, wird Aktivität genannt und in der

Maßeinheit Becquerel (Bq) angegeben.

Die Aktivität sagt allerdings nichts

über eine mögliche Gefährdung aus.

Zur Bestimmung der Strahlenbelas-

tung biologischer Organismen dient

die Messgröße der Strahlendosis, das

Sievert.

Während des Betriebs von Kernkraft-

werken entsteht radioaktive Strah-

lung. Diese ist ebenso während des

Rückbaus von kerntechnischen Anla-

gen und der Lagerung radioaktiver

Abfälle vorhanden. Die berechnete

Strahlenbelastung der Bevölkerung

durch Kernkraftwerke ist kleiner als

0,01 Millisievert (mSv) pro Jahr. Das ist

weniger als 1 % der natürlichen Strah-

lenbelastung, der jeder Mensch unaus-

weichlich durch Nahrungsaufnahme,

Atmen und die äußere Bestrahlung

durch natürliche Strahlenquellen aus-

gesetzt ist.

WieentstehtradioaktiveStrahlung?

Abb. 8

Effektive Jahresdosis einer Person durch

ionisierende Strahlung in mSv im Jahr

2011, gemittelt über die Bevölkerung

Deutschlands und aufgeschlüsselt

nach Strahlungsursprung

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DeutscheKernkraftwerkegehörenzudensicherstenderWelt.

Wichtig ist das Vertrauen in den sicheren

Umgang mit der Radioaktivität. Mit einem

bewährten Sicherheitskonzept liefern Kern-

kraftwerke seit 50 Jahren einen verlässlichen

Beitrag zur sicheren Stromversorgung in

Deutschland. Priorität ist immer der Schutz

des Betriebspersonals und der Bevölkerung

vor radioaktiver Strahlung. Grundlage ist

das Zusammenspiel von Anlagensicherheit,

Sicherheitsmanagement, Qualifikation der

Mitarbeiter, gelebter Sicherheitskultur und

ständiger gutachterlicher wie behördlicher

Aufsicht. Dazu zählen die weitgehende Au-

tomatisierung der Störfallbeherrschung und

die Restrisikominimierung.

Bereits bei der Auslegung von Kernkraftwer-

ken in Deutschland wird immer vom Zusam-

mentreffen von Ereignissen unter ungünsti-

gen Umständen ausgegangen. Mehrfache,

räumlich voneinander getrennte Systeme

werden zur größtmöglichen Wirksamkeit der

Sicherheitsbarrieren gegen das

Austreten radioaktiver Stoffe.

1 Kristallgitter des Brennstoffs

2 Brennstabhülle

3 Reaktordruckbehälter

4 Betonabschirmung

5 Sicherheitsbehälter

6 Stahlbetonhülle

Abb. 9 Sicherheitsfunktionen von Anfang an reali-

siert. Außerdem wird auf sogenannte feh-

lerverzeihende Technik gesetzt, die Falsch-

bedienung oder Ausfälle von Bauteilen

einkalkuliert und in ihren Auswirkungen be-

grenzt. Zudem beteiligen sich die deutschen

Kernkraftwerksbetreiber aktiv am internatio-

nalen Erfahrungsaustausch.

Alle in Deutschland betriebenen Anlagen er-

füllen die neuesten Sicherheitsanforderun-

gen. Sie werden kontinuierlich an den Stand

der Technik angepasst und auch während

der verbleibenden Laufzeit auf dem höchs-

ten Sicherheitsniveau betrieben.

Die Gesamtheit dieser Maßnahmen ist unter

anderem ein Grund für die positive Betriebs-

bilanz und die im internationalen Vergleich

überdurchschnittliche Verfügbarkeit der

deutschen Kernkraftwerke.

20

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WasmachtdeutscheKern-kraftwerkesosicher?

Deutsche Kernkraftwerke sind sehr produk-

tiv und dabei mit die sichersten der Welt.

Folgende Maßnahmen tragen unter ande-

rem dazu bei:

• Sicherheitstechnische Auslegung nach

dem Stand von Wissenschaft und Technik

• Ein Regelwerk mit strengen Anforderungen

• Unabhängige Aufsicht und rechtsstaatli-

che Kontrolle

• Transparenz und Informationsaustausch zwi-

schen Betreibern und Aufsichtsbehörden

• Hochqualifizierte Betriebsmannschaften

• Kontinuierliche Weiterbildung des Personals

• Turnusmäßig Sicherheitsüberprüfungen

• Regelmäßige Investitionen zum Erhalt und

zur Aktualisierung der hohen Sicherheits-

standards

• Ständige Auswertung von Betriebserfah-

rungen und entsprechende Umsetzung

• Sicherheitstechnische Zusammenarbeit mit

internationalen Organisationen sowie Im-

plementierung von Erfahrungsrückflüssen

Grundsätzlich liegt die Verantwortung für

Sicherheit und Strahlenschutz beim Anla-

genbetreiber. Dieser wird von der jeweiligen

Landesbehörde im Auftrag des Bundes über-

wacht, die zusammen mit Gutachterorgani-

sationen regelmäßig Anlagenbegehungen

durchführt, Berichte des Betreibers auswertet,

Kontrollmessungen vornimmt und sicherheits-

technisch relevante Arbeiten begleitet. Die

Bundesländer haben zudem Systeme zur Fern-

überwachung der Anlagen. Diese übertragen

Messdaten aus der Umgebungsüberwachung

zur Auswertungszentrale. Ein umfangreiches

Regelwerk mit strengen Qualitätsanforderun-

gen sowie turnusmäßige Revisionen und Ins-

pektionen beugen sicherheitsrelevanten Män-

geln erfolgreich vor.

StändigeÜberwachungdurchBehörden.

21

Page 22: Kernenergie und Kerntechnik in Deutschland und weltweit · 2019. 11. 27. · Kernenergie zu verzichten. Spätestens 2022 soll das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet werden. Bis dahin

Seit 1977 nutzt Deutschland ein eigenes

Meldesystem, das Ereignisse in Kernkraft-

werken und kerntechnischen Anlagen ent-

sprechend ihrer Dringlichkeit und sicher-

heitstechnischen Bedeutung bewertet. Im

Jahr 1991 wurde zusätzlich das internatio-

nal vereinbarte siebenstufige Meldesystem

INES (International Nuclear and Radiologi-

cal Event Scale) etabliert. In Deutschland

werden auch Ereignisse unterhalb der Skala

MeldesystemINES.

Abb. 10

Internationale INES Skala zur

Bewertung meldepflichtiger

Ereignisse in Deutschland

gemeldet: Im Zeitraum 1991 bis 2012 lagen

von 2.986 Ereignissen in deutschen Kern-

kraftwerken 2.908 (97,4%) unterhalb der

Skala auf Stufe Null, 75 Ereignisse (2,5%) auf

Stufe 1 und 3 Ereignisse (0,1%) auf Stufe 2.

Stufen 3 bis 7 gab es in Deutschland nicht.

Die hohe Transparenz in Deutschland und

der damit verbundene Erfahrungsaustausch

stellen eine wesentliche Stärke des Melde-

systems dar.

22

Page 23: Kernenergie und Kerntechnik in Deutschland und weltweit · 2019. 11. 27. · Kernenergie zu verzichten. Spätestens 2022 soll das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet werden. Bis dahin

1. Betrieb

2. Störfall

Wasser-kühlung

Wasser-verlust

Graphit verlangsamt bei Kernspaltung freigewordene Neutronen als Voraussetzung,um ein Uran-Atom zu spalten; Wasser kühlt den Brennstab

Wasser Wasser

warm

kalt

Brennstab

ohne WasserKettenreaktion bleibt erhalten

Brennstab

Wasser Wasser

warm

kalt

Brennstab

Wasser verlangsamt bei Kernspaltungenfreigewordene Neutronen als Voraussetzung, um ein Uran-Atom zu spalten;Wasser kühlt gleichzeitig den Brennstab

Dampf

Wasser

ohne Wasserkeine Kettenreaktion

Brennstab

Falsche Entscheidungen und unzureichen-de Sicherheit führten zum Unglück.

Der Reaktorunfall von Tschernobyl (heute

auf dem Gebiet der Ukraine) am 26. April

1986 ist ein katastrophales Ereignis in der

Geschichte der friedlichen Nutzung der

Kernenergie. Ursache für den Unfall waren

eine Kette von falschen Entscheidungen

und verbotenen Eingriffen der Bedienungs-

mannschaft, das unzureichende Reaktor-

sicherheitskonzept sowie das autoritäre

Regime. Während eines Experiments mit

dem Turbinengenerator kam es zu einem

bis zu hundertfachen Leistungsanstieg im

Reaktor des Kernkraftwerkes. Durch die sich

anschließende Brennstoff-Wasser-Reaktion

wurde das Reaktorgebäude zerstört. Große

Teile der Anlage brannten. Radioaktiver

Brennstoff wurde aus dem Kern in das

Gebäude und die Umgebung geschleudert.

Nach dem Unglück wurden die Sicherheits-

standards von Reaktoren in osteuropä-

ischen Staaten verbessert. Insbesondere

über Partnerschaften mit der Europäischen

Union und westlichen Betreibern, deren

Know-how und finanzielle Unterstützung.

Abb. 11

Unterschiede im Zusammenwirken von

Moderation und Kühlung.

TScHERNOByL-REAKTOR DEUTScHER REAKTOR

23

Page 24: Kernenergie und Kerntechnik in Deutschland und weltweit · 2019. 11. 27. · Kernenergie zu verzichten. Spätestens 2022 soll das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet werden. Bis dahin

Endlagerung

radioaktivenAbfalls5

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Den Vorteilen der zuverlässigen und

sauberen Energiegewinnung durch

Kernspaltung steht die Heraus-

forderung einer sicheren Endlage-

rung der radioaktiven Endprodukte

gegenüber. Erkundung, Errichtung

und Betrieb von Endlagern sind in

Deutschland staatliche Aufgaben. Die

Kosten für die Entsorgung werden im

notwendigen Umfang von den Abfall-

verursachern getragen. Dafür haben

die Energieversorgungsunternehmen

Rückstellungen gebildet. Aktuell be-

stehen Rückstellungen in Höhe von

etwa 36 Milliarden Euro, die jährlich

von unabhängigen Wirtschaftsprüfern

begutachtet und testiert werden.

Man unterscheidet zwischen zwei Ar-

ten von radioaktiven Abfällen. Auf der

einen Seite die hochradioaktiven wär-

meentwickelnden Abfälle, zu denen

die Brennelemente aus den Reaktoren

zählen. Diese machen ungefähr zehn

Prozent des anfallenden nuklearen Ab-

fallvolumens aus, enthalten jedoch 99

Prozent der gesamten Radioaktivität.

Die übrigen 90 Prozent des nuklearen

Abfalls sind schwach- und mittelradio-

aktiv. Sie entstehen zum Beispiel bei

der Arbeit in Kernkraftwerken – etwa

Schutzkleidung, Werkzeuge oder Filter

– oder bei deren Rückbau. Auch Medi-

zin und Forschung setzen sogenannte

Radionuklide ein, die nach ihrer Verwen-

dung sachgemäß als radioaktiver Abfall

entsorgt werden müssen.

Für die Lagerung der Abfälle sind be-

stimmte geologische Eigenschaften

notwendig. International herrscht da-

rüber Einigkeit, hochradioaktive Abfäl-

le in tiefen geologischen Formationen

endzulagern, um sie dauerhaft von der

Biosphäre zu isolieren. Als Wirtsgestei-

ne kommen Salz, Ton oder Granit in

Frage. Gesucht wird in Tiefen von 300

bis zu 1.500 Metern. Ziel der Tiefenlage-

rung ist, schädliche Auswirkungen auf

Mensch und Umwelt auszuschließen.

Außerdem müssen seismische und geo-

logische Bedingungen sowie das Isola-

tionsvermögen des Gesteins stimmen.

Deutschland hat sich darüber hinaus

entschieden, auch schwach- und mittel-

radioaktive Abfälle untertägig zu lagern.

Die transparente Information der Bevöl-

kerung und vertrauensbildende Maßnah-

men sind wichtige Bausteine der sicheren

Lagerung von radioaktiven Abfällen.

ArtendesradioaktivenAbfallsundsichereEndlagerung.

Für den sicheren Transport und die Zwischenla-

gerung von abgebrannten Brennelementen und

Abfällen aus der Wiederaufbereitung werden welt-

weit Behälter vom Typ cASTOR® eingesetzt. Dabei

handelt es sich um aufwendig isolierte Behälter,

die zum einen den sicheren Einschluss des radioak-

tiven Inventars garantieren. Zum anderen bewah-

ren sie den sensiblen Inhalt vor Transportschäden,

Feuer oder sogar einem Flugzeugabsturz.

25

Page 26: Kernenergie und Kerntechnik in Deutschland und weltweit · 2019. 11. 27. · Kernenergie zu verzichten. Spätestens 2022 soll das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet werden. Bis dahin

Der schwach- und mittelradioaktive Müll

unterscheidet sich von den hochradioaktiven

Abfällen vor allem durch seine vernachlässig-

bare Wärmeentwicklung. In einem gericht-

lich überprüften Planfeststellungsverfahren

wurde im Jahr 2010 der Schacht „Konrad“ des

stillgelegten Eisenerzbergwerks in Salzgitter

als Endlager bestätigt. Dort werden nicht vor

dem Jahr 2022 schwach- und mittelradioak-

tive Abfälle endgelagert.

Schacht„Konrad“.

Für hochradioaktive Abfälle wurde viele Jah-

re lang der Salzstock Gorleben erkundet. Die

bisherigen Erkundungsergebnisse sprechen

nicht gegen seine Eignung als Endlager für

hochradioaktive Abfälle. Dennoch beschloss

der Bundestag in Abstimmung mit den Bun-

desländern im Juli 2013 mit dem sogenann-

ten Standortauswahlgesetz (StandAG) einen

Neuanfang bei der Standortsuche, in die

auch der Standort Gorleben einbezogen wer-

den soll. Eine Kommission mit Vertretern des

Bundestags, des Bundesrats, der Wissen-

schaft und verschiedener gesellschaftlicher

Gruppen arbeitet seitdem daran, Kriterien

für die Suche nach einem Endlagerstandort

festzulegen und verschiedene Formen der

Endlagerung auszuwerten. Das Standortaus-

wahlverfahren soll bis 2031 abgeschlossen

sein. Die Kraftwerksbetreiber lagern ver-

brauchte Brennstäbe bis dahin an den soge-

nannten Standortzwischenlagern.

NeubeginnbeiderSuchenacheinemEndlager.

Sicherheit für eine Million Jahre

„Ziel des Standortauswahlverfahrens

ist, in einem wissenschaftsbasierten und

transparenten Verfahren für die im Inland

verursachten, insbesondere hoch radioak-

tiven Abfälle den Standort für eine Anlage

zur Endlagerung nach § 9a Absatz 3 Satz

1 des Atomgesetzes in der Bundesrepublik

Deutschland zu finden, der die bestmög-

liche Sicherheit für einen Zeitraum von

einer Million Jahren gewährleistet.“

(§1 Standortauswahlgesetz – StandAG)

Planung

2016: Kriterien zur konkreten

Standortauswahl

2023: Entscheidung über konkrete

Standorterkundungen

2031: Abschluss des Standort-

auswahlverfahrens

Nach einer repräsentativen Umfrage des DAtF

vom Oktober 2014 halten es 95 Prozent der

Bevölkerung in Deutschland für „sehr wichtig“

oder „wichtig“, dass es bald ein Endlager für

hoch radioaktive Abfälle gibt.

26

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Kerntechnik inderZukunft:

Kompetenzerhaltund

Berufsperspektiven

6

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2011 wurde in Deutschland der politische

Ausstieg aus der Nutzung von Kernenergie

umgesetzt, was zum umgehenden Erlöschen

von Betriebsgenehmigungen für acht Kern-

kraftwerke führte und zur Abschaltung der

verbleibenden neun bis zum Jahr 2022. Der

Ausstieg macht die Situation für Fachkräfte

zwar schwieriger, für den sicheren Betrieb der

Kernkraftwerke bis zum letzten Tag sowie für

Stilllegung und Rückbau werden aber zahlrei-

che Experten benötigt. Darüber hinaus gibt

es dauerhaften Bedarf, die deutsche High-

tech-Kompetenz im Bereich Kerntechnik zu

erhalten. Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass

weiter in die Kompetenz von Ingenieuren und

Ingenieurinnen sowie anderen Fachkräften

mit kerntechnischer und interdisziplinärer

Kompetenz investiert werden muss.

Wer in einem Kernkraftwerk gearbeitet hat,

hat gute Perspektiven: Die Anforderungen,

etwa an die Sicherheit, sind in einem Kern-

JobperspektiveKerntechnik

WarumweiteraufKompetenzinderKerntechnikgesetztwird?

Um Sicherheitsfragen

der friedlichen Nutzung

der Kernenergie mit den

euro päischen Nachbarn

diskutieren zu können.

Um bis zum endgültigen

Abschalten den sicheren

Betrieb der noch laufenden

deutschen Kernkraftwerke

zu ermöglichen.

Um die Frage der Endla-

gerung in Deutschland

fachgerecht zu lösen und die

Endlagerung selbst kompe-

tent zu betreuen.

Um Deutschland

im Forschungsbereich

„Kerntechnik“ und angren-

zenden Fachgebieten weiter

eine internationale Spitzen-

position zu sichern.

Um der weltweiten

Nachfrage nach Fachkom-

petenzen in der Kerntechnik

entsprechen zu können –

wirtschaftlich sowie

wissenschaftlich.

Um das Großprojekt des

Rückbaus aller deutschen

Kernkraftwerke ressourcen-

und umweltschonend zu

planen, zu genehmigen

und zu realisieren.

„Man muss an seine Berufung glauben und alles

daransetzen, sein Ziel zu erreichen.“

Marie curie (1867-1934)28

Page 29: Kernenergie und Kerntechnik in Deutschland und weltweit · 2019. 11. 27. · Kernenergie zu verzichten. Spätestens 2022 soll das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet werden. Bis dahin

den. Neben der Kernenergie

gibt es aber auch weitere

Zukunftstechnologien in

der Kerntechnik, wie

die Nuklearmedizin,

die Kunststoff-Indust-

rie, die Sensorik oder

Bio-chemie. Das für

diese Hightech-Spar-

ten der Kerntechnik not-

wendige Know-how ist in

Deutschland vorhanden, muss

jedoch erhalten werden.

Derzeit gibt es etwa 20 Hochschul-

standorte in Deutschland, an denen

es möglich ist, im Bereich der Kern-

technik zu studieren. Trotz Aus-

stieg aus der Kernenergie gibt

es ein erhebliches Interesse an

den entsprechenden Studienfä-

chern. Das liegt auch an der gu-

ten Berufsperspektive.

Deutsche Universitäten bilden für den na-

tionalen und den internationalen Markt

aus. Momentan sind weltweit über 70 Kern-

kraftwerke im Bau. Gleichzeitig werden sich

schrittweise in Deutschland Kernkraftwerke

in der Stilllegungs- oder Rückbauphase befin-

StudiummitSchwerpunktKerntechniklohntsich–immernoch!

kraftwerk um ein Vielfaches höher als in je-

dem anderen konventionellen Kraftwerk.

Dasselbe gilt für den technischen und techno-

logischen Aspekt: Dafür braucht es Menschen

mit Erfahrung. Wer in dem komplexen und

sehr sorgfältigen Arbeitsbereich der Kern-

technik tätig war, ist als Fachkraft in jedem

Fachbereich geschätzt. Die Kerntechnik bietet

daher auch in Zukunft sichere und anspruchs-

volle Jobs im internationalen Umfeld.

KKWs in Deutschland müssen zurückgebaut

werden

KKWs gibt es weltweit

Kernkraftwerksneubauten befinden sich in der Projek-tierungs-, Planungs- oder

Genehmigungsphase

17

70

125

435

Kernkraftwerke werden weltweit gerade gebaut

„Wenn für eine Branche wenig Gegenliebe zu spüren ist, dann heißt das auch: Perspektive. Und die Arbeitsfelder in der Kerntechnik sind vielfältig und auf höchstem tech-

nischen Niveau, so dass man bei einem eventuellen späteren Arbeitsplatzwechsel in anderen technischen Bereichen weiterkommen kann. Die Leute, die jetzt anfangen,

haben Chancen, denn: In der Kerntechnik übersteigen die Stellenangebote die Nachfrage. Man muss davon ausgehen, dass uns alleine in Deutschland mindestens 70,

wenn nicht 100 Jahre die Entsorgung von radioaktiven Abfällen intensiv beschäftigen wird. Hier gibt es und wird es viele interessante Aufgaben geben.“4

Dr. Wolfgang Steinwarz, Geschäftsführer der Siempelkamp Nukleartechnik GmbH 29

Page 30: Kernenergie und Kerntechnik in Deutschland und weltweit · 2019. 11. 27. · Kernenergie zu verzichten. Spätestens 2022 soll das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet werden. Bis dahin

Bisher beruhte die Kernenergie auf der Kern-

spaltung. Neben dieser Technologie wird

weltweit an der Kernfusion geforscht. Das

Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP)

beispielsweise baut in Greifswald an der Ex-

perimentieranlage „Wendelstein 7-X“ – ei-

nem Kernfusionsreaktor. In einem Plasmaring

mit einem äußeren Durchmesser von über 10

Metern wollen Wissenschaftler Voraussetzun-

gen für Kernverschmelzungsprozesse unter-

suchen. Seit Mai 2014 wird das Experiment

schrittweise in Betrieb genommen.

EnergiefürdieZukunft–ZukunftderEnergie.

Einen Schritt weiter geht der internationale

Fusionsreaktor „ITER“ (International Ther-

monuclear Experimental Reactor). Ebenfalls

zu Versuchszwecken gebaut, soll im französi-

schen cadarache ab 2020 die Fusionsenergie

im Kraftwerksmaßstab untersucht werden.

Der Fusionsreaktor ist über 30 Meter hoch

und der Plasmaring soll einen Durchmes-

ser von über 20 Metern haben. An ITER sind

unter anderem deutsche Forscher beteiligt,

vorwiegend auf dem Gebiet der Materialfor-

schung.

Eine deutsche Beteiligung an der kerntechni-

schen Forschung ist wichtig für den nachhal-

tigen und langfristigen Wissens- und Kom-

petenzerhalt am Standort Deutschland und

somit für die uneingeschränkte deutsche

Mitsprache bei internationalen Sicherheits-

entwicklungen.Abb. 12

Querschnitt durch die Experimentier-

anlage ITER. Wissenschaftler wollen

hier zur Nutzung der Fusionsenergie im

Kraftwerksmaßstab forschen.

Video: German Nuclear High-Tech.

bit.ly/1zyykVq

30

Page 31: Kernenergie und Kerntechnik in Deutschland und weltweit · 2019. 11. 27. · Kernenergie zu verzichten. Spätestens 2022 soll das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet werden. Bis dahin

AlternativeAnwendungen7

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Die Gewinnung von Strom ist weltweit die am

meisten verbreitete Nutzungsweise der Kern-

technik. Nukleartechnologie wird jedoch in

vielen weiteren Bereichen angewendet und in

Zukunft eine noch größere Rolle spielen. Bei-

spiele hierfür liefern die zunehmende Anwen-

dung in der Medizin, der Werkstoffforschung

oder der Materialveredelung.

TechnologienausderKerntechnik.

Material- und Werkstoffforschung sind

wichtige Arbeitsfelder innerhalb der Kerntech-

nik. Zum Beispiel die Sterilisation: Krankheits-

keime auf Oberflächen lassen sich mit energie-

reicher Strahlung beseitigen und kontrollie-

ren. In der Medizin müssen Arbeitsgeräte,

Mess-Instrumente und Prothesen steril sein.

Sterilisation durch ionisierende Strahlung

findet auch in der Halbleiter-Technologie, in

der Pharmazie und in der Verpackungsindus-

trie Anwendung.

Mit ionisierender Bestrahlung lassen sich

auch Kunststoffe optimieren. Sie werden

dadurch hitzebeständiger, rissfester oder be-

ständiger gegen Abrieb und chemische Subs-

tanzen. Verwendet werden diese Kunststoffe

anschließend überall, wo metallische Werk-

stoffe ersetzt werden sollen: in der Auto-

industrie, beim Flugzeugbau, in Maschinen,

in Sicherungskästen, als Isolatoren in der

Elektrotechnik, beim Tunnelbau oder für

Wasserleitungen.

Materialforschung:SterilisationundVeredelung.

Abb. 13

Materialforschung ist ein wichtiger

Bereich innerhalb der Kerntechnik.

32

Page 33: Kernenergie und Kerntechnik in Deutschland und weltweit · 2019. 11. 27. · Kernenergie zu verzichten. Spätestens 2022 soll das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet werden. Bis dahin

Vorgestellt werden vier industrie-relevante

Technologiebereiche für Kerntechnik außer-

halb der Kernenergie. Am Beispiel der Neu-

tronenforschung des Heinz Maier-Leibnitz

Zentrums (MLZ) in Garching.

Batterieforschung: Akkus gehören zum Alltag.

Vom Smartphone übers Elektroauto bis zum

Zwischenspeicher für erneuerbare Energien.

Aufgabe ist, die Beladungszeiten von Lithium-

Ionen-Akkus zu verkürzen und die Lebensdauer

zu erhöhen. Auch an Natrium-Metallchlorid-

Batterien wird geforscht. Sie sollen bei neu-

artigen Hybridlokomotiven Verwendung fin-

den, bei denen freiwerdende Energie beim

Bremsvorgang gespeichert wird.

Medizin: Krebszellen sterben durch Bestrah-

lung. Mit der Peptidrezeptor-Radionuklid-The-

rapie lassen sich mithilfe von Lutetium-177

bestimmte Tumore sehr effizient bestrahlen.

Und zwar so, dass umliegendes Gewebe größ-

tenteils verschont bleibt. Zudem wird künftig

die Herstellung von Molybdän-99 im großen

AnwendungsvielfaltKerntechnik.

Umfang möglich sein. Es wird in 70 Prozent

der bildgebenden Verfahren in der Medizin

eingesetzt.

Material-Analyse: Die Industrie verwendet und

entwickelt Werkstoffe. Mithilfe von Neutronen

können die Eigenschaften dieser Materialien

bis in deren Mikrostruktur hinein analysiert

werden. Dies hilft, die Eigenschaften von Werk-

stoffen zu optimieren. Schienen oder Rohre bei-

spielsweise werden so untersucht. Aber auch

die Zusammensetzung von Beton aus Zement,

Wasser und Zusatzstoffen kann mithilfe von

Neutronenspektroskopie verbessert werden.

Chemie: Die meisten Lösungsmittel für Farben

und Kleber enthalten umwelt- und gesundheits-

schädliche Stoffe. Die Idee ist, Lösungsmittel

durch Mikroemulsionen zu ersetzen. Mit Neu-

tronenstreuexperimenten können diese Mik-

roemulsionen auf Molekülebene untersucht

und ihre Zusammensetzung optimiert werden.

Dadurch entsteht ein umwelt- und gesundheits-

schonender Farblöser mit stärkerer Wirkung.

Abb. 14

Durch Kerntechnikforschung sollen Akkus

für Laptops und Smartphones verbessert

werden.

„Eine Hightech-Nation kann nicht ohne

Kerntechnik auskommen. Der Ausstieg

aus der Kernenergie bedeutet nicht den

Ausstieg aus der Kerntechnik.“ Prof. Dr.

Winfried Petry, ein Direktor des Heinz

Maier-Leibnitz Zentrums (MLZ)

33

Page 34: Kernenergie und Kerntechnik in Deutschland und weltweit · 2019. 11. 27. · Kernenergie zu verzichten. Spätestens 2022 soll das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet werden. Bis dahin

Kernenergieweltweit8

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KernkraftwerkeweltweitinBetrieb

USA | 100]

Frankreich | 58]

Japan | 49]

Russland | 33]

Korea (Republik) | 23]

Indien | 21]

china | 20]

Kanada | 19]

Großbritannien | 16]

Ukraine | 15]

Schweden | 10]

Deutschland | 9]

Belgien | 7]

Spanien | 7]

Taiwan | 6]

Tschechische Republik | 6]

Schweiz | 5]

Finnland | 4]

Slowakei | 4]

Ungarn | 4]

Pakistan | 3]

Rumänien | 2]

Mexiko | 2]

Argentinien | 2]

Brasilien | 2]

Bulgarien | 2]

Südafrika | 2]

Armenien | 1]

Iran | 1]

Niederlande | 1]

Slowenien | 1]

Gesamt

43535

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In Europa werden neue Kernkraftwerke ge-

baut. Weltweit sind etwa 70 Anlagen in Bau

und rund 125 weitere befinden sich in der Pro-

jektierungs-, Planungs- oder Genehmigungs-

phase. 28 Prozent der europäischen Strom-

erzeugung generiert die Kernenergie aktuell.

Auch im Kontext der EU-Stresstests von 2011

legte die Europäische Union Sicherheitszie-

le für nukleare Neu- und Bestandsanlagen

fest, um auch seitens der EU den Anspruch

an Sicherheit zu dokumentieren. Denn in ih-

ren energiepolitischen Konzepten von einem

cO2-armen Strommix spielt die Kernenergie

eine wichtige Rolle.

Europa

Briten bejahen Kernkraft. Großbritannien

hat einen Kernenergieanteil von 18 Prozent.

16 Kraftwerke sind in Betrieb, sechs in Pla-

nung. 2011 wurde der Neubau von Kern-

kraftwerken vom Parlament bestätigt. Der

ZukunftderKernenergieinEuropaundweltweit.

Ausbau der Kernkraft spielt eine Schlüssel-

rolle in der Klima- und Energiestrategie der

Regierung. Die Zustimmung der Bevölkerung

liegt höher als vor dem Unfall in Fukushima.

Finnland plant neue Anlagen. Finnland baut

derzeit einen Druckwasserreaktor und plant

den Bau von zwei weiteren Reaktoren. Die

Regierung hat die nationale Sicherheitsbe-

hörde aufgefordert, einen Bericht über die

Sicherheit der Kernkraftwerke für den Fall

einer Naturkatastrophe vorzulegen.

Frankreich will Kernenergieanteil senken. 58

französische Kernkraftanlagen liefern fast 80 Pro-

zent des Stroms, eine Absenkung auf 50 Prozent

ist bis 2025 geplant. Eine neue Anlage ist im Bau.

Der EU-Stresstest ergab, die Anlagen sicherheit

ist ausreichend und keine sofortige Abschal-

tung einer Anlage erforderlich. Das älteste

Kernkraftwerk soll bis 2016 stillgelegt werden.

Polen steigt in Kernenergie ein. Polen hat

bisher keine Kernkraftwerke. Vier sind in Pla-

Abb. 16

China: Bau des neuen AP1000®

Kernkraftwerks in Sanmen, china.

(Foto mit freundlicher Genehmigung der

Sanmen Nuclear Power company Ltd.)

36

Page 37: Kernenergie und Kerntechnik in Deutschland und weltweit · 2019. 11. 27. · Kernenergie zu verzichten. Spätestens 2022 soll das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet werden. Bis dahin

nung. Im Mai 2011 wurde die Nationale

Atomenergieagentur gegründet. Ende

2012 wurde der Bau und der Betrieb des

ersten Kernkraftwerks beschlossen.

Weltweit

In China boomt die Kernkraft. chi-

na baut in den nächsten Jahren mehr

neue Anlagen, als es bisher betreibt.

26 Kernkraftwerke sollen zu den 20 be-

stehenden hinzukommen. Momentan

beträgt der Anteil des Stroms aus Kern-

energie nicht einmal zwei Prozent am

Gesamtbedarf.

Japan ist unentschieden. Im Septem-

ber 2012, eineinhalb Jahre nach dem

Unfall von Fukushima, kündigte Japan

den schrittweisen Ausstieg aus der

Atomenergie bis spätestens 2040 an.

Wenige Tage später wurde das entspre-

chende Strategiepapier verworfen.

Alle Kraftwerke wurden nur vorrüber-

gehend abgeschaltet. 2015 soll das

erste Kernkraftwerk seinen Betrieb

wieder aufnehmen.

Nordamerika als Vorreiter. Die USA

sind weltweiter Spitzenreiter. 100

Kernkraftwerke generieren knapp 20

Prozent der Gesamtenergie. Das Land

setzt daneben auf seine großen Erdöl-

und Erdgasvorkommen. In den letzten

Jahren wurden 23 Anlagen stillgelegt,

fünf befinden sich im Neubau. In Ka-

nada produzieren 19 Kernkraftwerke

knapp 16 Prozent der Gesamtenergie.

Republik Korea und Indien setzen auf

die Kernkraft. Die 23 existierenden

koreanischen Anlagen werden in den

nächsten Jahren um fünf erweitert, die

21 indischen um sechs Neubauten.

Russland baut und exportiert. Russ-

land generiert mit 33 Kernreaktoren

bisher knapp 18 Prozent seines Strom-

Gesamthaushalts. Fünf Reaktoren wur-

den bis heute stillgelegt, zehn neue

werden gebaut.

Südamerika plant Neubauten. In Süd-

amerika operieren derzeit sechs Kern-

kraftwerke, zwei werden neu gebaut.

Südafrika weitet Kernenergienutzung

aus. Südafrika verfügt bisher über zwei

Kernkraftwerke. Bis 2023 soll ein wei-

teres Kraftwerk hinzukommen.

Saudi-Arabien und Türkei setzen auf

Stromerzeugung aus Kernenergie.

Beide Länder wollen in die Stromer-

zeugung aus Kernenergie einsteigen.

Dabei beabsichtigt Saudi-Arabien bis

2030 den Bau von 16 Kernkraftwerken.

In der Türkei sind bis zu drei Kernkraft-

werke geplant.

37

Page 38: Kernenergie und Kerntechnik in Deutschland und weltweit · 2019. 11. 27. · Kernenergie zu verzichten. Spätestens 2022 soll das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet werden. Bis dahin

Abb. 1: Brutto-Stromerzeugung 2013, S. 6, DAtF (Deut-

sches Atomforum e.V.)

Abb. 2: Brutto-Grundlaststromerzeugung 2013, S. 6,

DAtF (Deutsches Atomforum e.V.)

Abb. 3: Uran, S.7, http://www.kkl.ch

Abb. 4: Garchinger Atomei, S. 12, FRM II, Technische

Universität München

Abb. 5: Reaktorenlage Fukushima, S. 13, atw –

International Journal for Nuclear Power

Abb. 6: Reaktorbecken Kernkraftwerk Stade, S. 16,

E.ON Kernkraft GmbH

Abb. 7: Reststoffe und Abfälle KKW, S. 17, VGB

Abb. 8: Jahresdosis, S. 19, Parlamentsbericht 2011

Quellen-undAbbildungsverzeichnis

Abb. 9: Sicherheitsbarrieren, S. 20, DAtF

Abb. 10: INES-Skala, S. 22, IAEA

Abb. 11: Moderation und Kühlung, S.23, DAtF

Abb. 12: ITER, S. 30, Forschungszentrum Jülich

Abb. 13: Schienenuntersuchung, S. 31,

momosu/photocase.de

Abb. 14: Laptop S.33, Umberto Shtanzman/

shutterstock.com

Abb. 15: Kernkraftwerke weltweit, S. 34, DAtF

Abb. 16: AP1000® Kernkraftwerk Sanmen, S. 36,

Sanmen Nuclear Power company Ltd.

Fotos: AREVA, DAtF (Deutsches Atomforum e.V), E.ON Kernkraft GmbH, Getty-images, dpa Picture-Alliance, istockpho-

to, NASA, ixpert/shutterstock.com, nimon/shutterstock.com, momosu/photocase.de, RWE Power AG. schachspieler/

photocase.de, Technische Universität München FRM II/Wenzel Schürmann, christian Lagerek/shutterstock.com,

38

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Quellen

Kernenergie weltweit: PRIS (http://www.iaea.

org/PRIS/countryStatistics/countryDetails.

aspx?current=US)

VGB PowerTech e.V.: Entsorgung von Kernkraft-

werken: Eine technisch gelöste Aufgabe. 2011

www.vgb.org/abfallmanagement.html

Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit

(GRS): Stilllegung kerntechnischer Anlagen.

Februar 2012 www.grs.de/sites/default/files/

pdf/GRS-S-50.pdf

E.ON Kernkraft GmbH: www.eon-kernkraft.

com/pages/ekk_de/Standorte/_documents/

kernkraft-rueckbau_Stade_de.pdf

Bundesamt für Strahlenschutz (BfS): Stilllegung

kerntechnischer Anlagen www.bfs.de/de/kern-

technik/stilllegung

Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung:

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-rueckbau.php

Video: bit.ly/rueckbau

Standortauswahlgesetz: http://www.gesetze-im-

internet.de/bundesrecht/standag/gesamt.pdf

http://www-ns.iaea.org/tech-areas/emergency/

ines.asp

DAtF: Reaktorunfall in Fukushima Daiichi,

Februar 2014: http://www.kernener-

gie.de/kernenergie-wAssets/docs/

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DAtF: Der Reaktorunfall in Tschernobyl,

April 2011: http://www.kernener-

gie.de/kernenergie-wAssets/docs/

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DAtF: Deutsche Sicherheitstechnik im Vergleich

zum Tschernobyl-Reaktor, April 2014,

http://www.kernenergie.de/kernenergie-wAs-

sets/docs/service/623tschernobyl_2014.pdf

Fußnoten

1 BDEW; Stand: März 2014.

2 AG Energiebilanzen (AGEB);

Stand: 12. Dezember 2014

3 BMWi (2014). Monitoring Bericht

Versorgungssicherheit im Bereich der

leitungsgebundenen Versorgung mit

Elektrizität. Berlin. S. 23.

4 core – Das Magazin zu Berufen in der

Kerntechnik. INFORUM Verlags- und

Verwaltungsgesellschaft mbH (Hrsg.), S. 12

39

Page 40: Kernenergie und Kerntechnik in Deutschland und weltweit · 2019. 11. 27. · Kernenergie zu verzichten. Spätestens 2022 soll das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet werden. Bis dahin

Deutsches Atomforum e.V.Robert-Koch-Platz 4 10115 Berlin [email protected]

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