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Kommandant in Auschwitz Autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß Bearbeitet von Rudolf Höß, Martin Broszat 1. Auflage 1998. Taschenbuch. 296 S. Paperback ISBN 978 3 423 30127 5 Format (B x L): 12,4 x 19,1 cm schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

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Kommandant in Auschwitz

Autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß

Bearbeitet vonRudolf Höß, Martin Broszat

1. Auflage 1998. Taschenbuch. 296 S. PaperbackISBN 978 3 423 30127 5

Format (B x L): 12,4 x 19,1 cm

schnell und portofrei erhältlich bei

Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft.Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programmdurch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr

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Das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz (Oswie-cim), in der Nähe der gleichnamigen Stadt (Woiwodschaft Kra-kau) gelegen, wurde nach dem deutschen Angriff auf Polen imZweiten Weltkrieg errichtet. Im Mai 1940 wurde der damaligeSS-Obersturmbannführer Rudolf Höß mit dem Ausbau desLagers beauftragt, das er als Kommandant dreieinhalb Jahre langbefehligte. Auschwitz gehörte zu den größten Vernichtungsla-gern des Dritten Reiches und bestand bis zum Januar 1945. Hößwurde am 2. April 1947 vom polnischen Obersten Volksgerichtzum Tode verurteilt und am i6. April 1947 in Auschwitzgehenkt.Der Kommandant, dessen Laufbahn 1934 in Dachau begann,dann über Sachsenhausen nach Auschwitz führte und schließlich

1 945 in der Zentrale der »Inspektion KL« endete, berichtet vondem Inferno einer maschinell und »hygienisch« betriebenenErmordung der Hunderttausende, die fast täglich mit Trans-portzügen aus ganz Europa in Auschwitz eintrafen. Er schildertEntstehung, Organisation und Entwicklung der Konzentrati-onslager, besonders aber seine Tätigkeit in Auschwitz. Dabeibemüht er sich um Exaktheit und Sachlichkeit; er erweist sichkeineswegs als sadistischer Henkersknecht, sondern vielmehr alsein Mann, der Ordnung und Disziplin liebte, der in der Freizeit»innerlich« tierlieb und ein guter Familienvater, im Dienst aberals »anständiger« SS-Führer stets beflissen und bereit war, auchden unmenschlichsten Befehl zur Zufriedenheit seiner Vorge-setzten auszuführen.

Der Herausgeber, Professor Dr. Martin Broszat, war Direktordes Instituts für Zeitgeschichte in München.

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Rudolf Höß

Kommandant in Auschwitz

Autobiographische Aufzeichnungen

Herausgegeben von Martin Broszat

Deutscher Taschenbuch Verlag

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Das Buch erschien erstmals 1958 als Bd. S der >Quellenund Darstellungen zur Zeitgeschichte< (Veröffentlichun-gen des Instituts für Zeitgeschichte, München).

i. Auflage 1963

14., durchgesehene Auflage Januar 1 994zo. Auflage März 2006

Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, Münchenwww.dtv.deDas Werk ist urheberrechtlich geschützt.Sämtliche, auch auszugsweise Verwertungen bleiben vorbehalten.Lizenzausgabe des R. Oldenbourg Verlags GmbH, MünchenUmschlagkonzept: Balk & BrumshagenUmschlagfoto: Rudolf Höß wird an die poln. Behörden zurAburteilung ausgeliefert (© dpa, Frankfurt/München)Gesamtherstellung: Druckerei C. H. Beck, NördlingenGedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in GermanyISBN -13: 978-3 -423-30127-5

ISBN- i o: 3-423-30127-9

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Inhalt

Einleitung ............................. 7

I. Meine Psyche. Werden, Leben und Erlebeni. Kindheit und Jugend (i9oc-1916) ......... 312. Kriegsfreiwilliger (1916-1918) ........... 393. Freikorps und Fememord (1919-1923) ... .. 474. Im Zuchthaus Brandenburg (1924-1928) .... 565. Nach der Entlassung: Über die Artamanen

zur SS (1929-1934) ................... 746. Konzentrationslager Dac

Rapportführer (1934-193 8)..................8o • • • • • • • • • • 7.Adjutant und Schutzhaftlagerführer im Kon-

zentrationslager Sachsenhausen (1939-1940) . 102B. Kommandant von Auschwitz (194o-1943). . . 1339. Amtschef bei der Inspektion der Konzentra-

tionslager (Dezember 1943—Mai 1945) ...... 202io. Nach dem Zusammenbruch (1945-1947). . . . 223

II. Aufzeichnungeni. Die »Endlösung der Judenfrage« im Konzen-

trationslager Auschwitz ............... 2 37z. Der Reichsführer-SS Heinrich Himmler .... 260

Abkürzungen ........................ 284Literaturhinweis ....................... 28 5Personenregister ....................... 286

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Martin Broszat:Einleitung

Die Veröffentlichung von Aufzeichnungen, die der ehe-malige Kommandant des Konzentrationslagers Ausch-witz nach Kriegsende niederschrieb, wird verständlicher-weise auf mancherlei Bedenken stoßen. Können die Nie-derschriften eines Mannes, der unvorstellbaren Massen-mord befehligte, außer dem sensationellen Aufsehen, dassie erregen mögen, denn überhaupt irgendwelche Glaub-haftigkeit verdienen und als geschichtliches Zeugnis vonBedeutung sein? Verbieten nicht einfach der Gedanke andie unzähligen Toten von Auschwitz und das Taktgefühlgegenüber den Überlebenden, daß dem ehemaligen Kom-mandanten dieses größten aller Vernichtungslager nach -

träglich öffentlich Gehör verschafft und damit womög-lich gar ein sentimentales Interesse für seine Person er-weckt wird? Soll er, der jahrelang im Lager den Tonangab, als Schrecken und Vernichtung die Häftlingestumm machten, jetzt als historischer Kronzeuge aber-mals das letzte Wort haben?

Außer Einwänden solcher Art mag schließlich auch eingewisses Mißtrauen gegenüber der Echtheit eines Doku-mentes bestehen, das in der Zelle eines polnischen Unter-suchungsgefängnisses entstanden ist, wenige Monate, eheden Schreiber die Hinrichtung erwartete. Der Herausge-ber hält es deshalb für seine Pflicht, sehr genau über dieEntstehung und den Charakter seiner Quelle Auskunftzu geben und ferner darzulegen, weshalb er in ihr einzeitgeschichtliches Dokument sieht, das es verdient, derÖffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden.

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Entstehung, äußerer Charakter und Edition der Höß-Aufzeichnungen

Der ehemalige SS-Obersturmbannführer Rudolf Höß,der das vom Sommer 194o bis zum Januar 1945 bestehen-de Konzentrationslager Auschwitz dreieinhalb Jahre langleitete und deswegen mit Recht als der Kommandant vonAuschwitz gilt, wurde am I I . März 1946 in der Nähe vonFlensburg in Schleswig-Holstein von der britischen Mili-tärpolizei verhaftet. Auf die erste protokollarisch festge-haltene Vernehmung vom 13/14. 3. 1 946 durch die briti-sche Field Security Section I folgten weitere Verhöre inNürnberg, wo Höß im April als Zeuge für den Hauptan-geklagten Kaltenbrunner und Mitte Mai von der amerika-nischen Anklagebehörde im Zusammenhang mit dem so-gen. »Pohlprozeß« und dem »I. G.-Farben-Prozeß« ver-nommen wurde. 2

Am 25. Mai 1946 wurde Höß nach Polen ausgeliefert, wodie Staatsanwaltschaft des zur Aburteilung von Kriegs-verbrechern errichteten polnischen Obersten Volksge-richtes gegen Höß Anklage erhob. Bis zum Prozeß inWarschau vergingen jedoch zehn Monate. Erst am2. April 1947 fällte das polnische Oberste Volksgerichtdas Todesurteil gegen Höß, das 14 Tage später in Ausch-witz durch den Strang vollstreckt wurde (i6. 4. 1 947).

Nürnbg. Dok. NO-121o.Die hierüber vorliegenden Zeugnisse sind: Höß' Eidesstattliche Er-

klärung für das Internat. Militärgericht in Nürnberg vom 5. 4. 1 946(veröffentlicht in IMG, XXXIII als Dok. PS-3868) und seine Zeugen-aussage während der Hauptverhandlung am 1 5.4. 1 94 6 (IMG, XI,S. 4 .38 ff.); ferner die Protokolle der Vernehmungen vom 14. bis 22. S.1946 (Nürnbg. Dok. NI-o35/o37 und NI-o39/o4i). Aus der gleichenZeit stammen die Aufzeichnungen des amerikanischen Gefängnis-psychiaters Dr. Gilbert, der zwischen dem 9. und 16. 4. 1946 mehrereUnterredungen mit Höß hatte, die er täglich gewissenhaft notierte; vgl.G. M. Gilbert: Nuremberg Diary. New York 1947, S. 249-270; deut-sche Ausgabe: G. M. Gilbert: Nürnberger Tagebuch. Frankfurt a. Main1961.

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Die Zeit zwischen der Auslieferung nach Polen und sei-ner Verurteilung brachte Höß größtenteils im Untersu-chungsgefängnis in Krakau zu, wo vom September 1946bis zum Januar 1947 eine eingehende Voruntersuchunggegen ihn stattfand.

Während dieser Krakauer Untersuchungshaft machteHöß die z. T. umfangreichen handschriftlichen Aufzeich-nungen, deren wichtigster Teil hier zum ersten Male imdeutschen Original veröffentlicht wird. Sie umfassen ins-gesamt 237 Blatt und sind beiderseits beschrieben. Nachder Zeit und dem Anlaß ihrer Entstehung sowie nachihrem Inhalt ist dabei zwischen zwei Teilen zu unter-scheiden. Die eine Hälfte der Aufzeichnungen stellt einezusammenhängende Darstellung von i 14 Blatt dar, dieHöß unter dem Titel >Meine Psyche. Werden, Leben undErleben< über seinen äußeren und inneren Lebensganggeschrieben hat (Autobiographie). Den anderen Teil bil-den 34 gesonderte Niederschriften sehr ungleichen Um -

fangs. In ihrer Mehrzahl handeln sie von führenden Per-sonen der SS (Himmler, Pohl, Eicke, Globocnik, Hein-rich Müller, Eichmann u.a.>) und einer Reihe in Ausch-witz hauptverantwortlich tätig gewesener SS-Funktionä-re. Daneben steht eine kleinere Gruppe von Aufzeich-nungen über bestimmte Sachkomplexe (Durchführungder Judenvernichtung in Auschwitz, Arbeitseinsatz derHäftlinge, Lagerordnung u. a.). Während Höß seinen au-tobiographischen Bericht erst nach Abschluß der Vorun-tersuchung und ohne direkten Bezug auf sie im Januar/Februar 1947 schrieb, als er auf die Prozeßeröffnung war-tete, standen die zwischen Oktober 1946 und Januar 1 947angefertigten Einzelaufzeichnungen in mehr oder weni-ger engem Zusammenhang mit den von dem Krakauer

Die 6 Blatt umfassende Aufzeichnung über Pohl wurde später fürden Prozeß des amerikanischen Militärgerichts in Nürnberg gegen Pohlund Genossen als Beweisstück verwandt und liegt mithin auch alsNürnberger Dokument (NO-336i) vor.

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Untersuchungsrichter Dr. Jan Sehn geleiteten Verneh-mungen. Da man polnischerseits in dieser Voruntersu-chung gegen Höß nicht nur schnell Belastungsmaterialheranschaffen wollte, das zu einer Verurteilung ausge-reicht hätte, sondern angesichts der unheilvollen histori-schen Bedeutung von Auschwitz darnach trachtete, einemöglichst umfassende Dokumentation über dieses Lagerzustande zu bringen, weitete sich auch die Vernehmungvon Höß auf andere als nur ihn selbst betreffende Fragenund Zusammenhänge aus'. Dabei spielte auch eine Rolle,daß in Krakau ein weiterer Prozeß des polnischen Ober-sten Volksgerichts gegen 4o Angehörige des SS-Stabesvon Auschwitz bevorstand 2 . Ebenso gewiß ist jedoch,daß der Verlauf und die Dauer von Höß' Krakauer Un-tersuchungshaft nicht unbeeinflußt blieben von einemUmstand, der schon in Nürnberg vermerkt worden war:Der Auschwitzer Kommandant erwies sich nämlich alsein höchst mitteilsamer Untersuchungsgefangener, der inunerwarteter Gewissenhaftigkeit und unterstützt durchein gutes Gedächtnis die an ihn gestellten Fragen meistsehr genau und zutreffend beantwortete. Höß entwickel-te, was sich schon aus den »Interrogations« der amerika-nischen Anklagebehörde in Nürnberg3 entnehmen läßtund durch Mitteilungen Dr. Sehns über seine Verneh-

Laut Mitteilung von Dr. Sehn umfassen die Protokolle der mündli-chen Aussagen von Höß aus seinen Vernehmungen in der KrakauerVoruntersuchung (erste Vernehmung am 28 .9. 1 94 6, letzte Verneh-mung am I I . I. 1 947) insgesamt 104 Schreibmaschinenseiten. Sehn gibtferner an, Höß sei in deutscher Sprache verhört worden, die in polni-scher Sprache abgefaßten Protokolle seien ihm ins Deutsche übersetztworden, und er habe sie sämtlich als wörtliche oder als sinngemäßeWiedergabe seiner Aussagen anerkannt und eigenhändig unterschrie-ben.

Die Urteile in diesem Prozeß wurden am 27. 12. 1947 gefällt. Vgl.dazu Jan Sehn: Konzentrationslager Oswiecim-Brzezinka (Auschwitz-Birkenau). Warschau 1957, S. i 88 ff.

3 Vgl. z. B. Nürnbg. Dok. NI -o41 über Höß' Vernehmung durch Mr.Alfred H. Booth am 20. 5. 1 94 6 .

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mung in Krakau bestätigt wurde, eine Art nachträglichenSachinteresses an dem Verhandlungsgegenstand und wardurch spontane Mitteilungen, Berichtigungen von Irrtü-mern, die ihm eingefallen waren, bemüht, den Verneh-menden in einer fast befremdlichen Weise behilflich zusein. Obwohl Höß in Krakau belehrt worden war, daßihm laut polnischer Strafprozeßordnung das Recht zuste-he, Aussagen zu verweigern, scheint er hiervon keinerleiGebrauch gemacht zu haben. Im Gegenteil, durch zu-sätzlich angefertigte Niederschriften, die er dem polni-schen Untersuchungsrichter übergab, suchte er von sichaus und unaufgefordert möglichst detaillierte und sach-kundige Aufklärung über zahlreiche Personen und ihmvertraute Zusammenhänge zu geben. Höß schrieb dieseAufzeichnungen zwischen den einzelnen Vernehmungennieder. Zum Teil stellten sie eine Art Vorbereitung aufangekündigte Verhöre, zum Teil auch nachträgliche Zu-sammenfassungen oder Ergänzungen seiner Aussagen zuden während der Vernehmungen behandelten Fragen dar,mitunter entstanden sie auch unabhängig davon. Von denpsychologischen Gründen dieses Verhaltens wird nochzu reden sein. Sicher ist jedoch, wie sich auch aus derÜberprüfung von Höß' Aussagen und Niederschriftenergibt, daß sie keinesfalls zweifelhafte Produkte red- oderschreibfreudiger Wichtigtuerei darstellen, sondern trotzmancher perspektivischen Verzeichnung und verschö-nernden Retusche im ganzen gerade durch ihre buchhal-terisch knappe und exakte Sachlichkeit frappieren.

Das Bedürfnis, seine Haftzeit durch Schreibarbeitenüber seine Vergangenheit auszufüllen und dem Gerichtmit seinen Kenntnissen und Erfahrungen zu dienen, hatschließlich auch das Motiv für Höß gebildet, einen Le-bensbericht über sich zu schreiben. Gespräche mit dempolnischen Untersuchungsrichter sowie mit dem Krakau-er Gefängnisarzt und -psychiater Prof. Dr. Batawia ha-ben diesen Gedanken gefördert; denn Höß erkannte undspürte naturgemäß das gesteigerte Interesse, das man sei-

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ner Person und ihrer psychischen Bedingtheit entgegen-brachte, nachdem sich herausgestellt hatte, daß der Kom-mandant von Auschwitz keineswegs einfach der Speziesdes »Gewohnheitsverbrechers« zuzurechnen war.

Von sämtlichen Aufzeichnungen, die Höß in Krakauangefertigt hat, besitzt das Institut für Zeitgeschichtedank der freundlichen Vermittlung von Dr. Jan Sehn unddes ehemaligen Leiters des Museums Auschwitz, Mgr. K.Smolén, Photokopien, die als Vorlage dieser Editiondienten. Die Originale befinden sich im polnischen Ju-stizministerium in Warschau und unterstehen zusammenmit anderen in Polen verbliebenen deutschen Akten ausder Zeit der deutschen Besatzung der Verwaltung derpolnischen »Hauptkommission zur Untersuchung derhitleristischen Verbrechen in Polen« (Glowna KomisjaBadania Zbrodni Hitlerowskich w Polsce). Der Bearbei-ter dieser Edition hatte im November 1956 Gelegenheit,sie an Ort und Stelle einzusehen. Die formale Authentizi-tät der Aufzeichnungen steht auf Grund des klaren hand-schriftlichen Befundes außer Frage, zumal handgeschrie-bene Zeugnisse Höß' aus früherer Zeit einen Handschrif-ten-Vergleich ermöglichen. Die Echtheit der Nieder-schriften ergibt sich aber vor allem aus ihrer inneren hi-storischen und subjektiven Stimmigkeit. Was Hößschreibt und wie er schreibt, beweist klar die Urheber -

schaft des mit seinem Gegenstand wohlvertrauten Ausch-witzer Kommandanten und ist zugleich sicheres Krite-rium dafür, daß es sich um freiwillig niedergeschriebene,nicht irgendwie beeinflußte oder manipulierte Aufzeich-nungen handelt. Überdies werden viele Einzelheiten derKrakauer Niederschriften und auch die in ihnen zutagetretende Mitteilsamkeit des Schreibers, so erstaunlich die-

So befindet sich u. a. in der aus dem SS-Personalhauptamt stammen-den Personalakte Höß ein zweiseitiger handschriftlicher LebenslaufHöß' vom 19. 6. 1936. Photokopie der Personalakte im IfZ, Arch. Sign.Fa 74 (künftig zit. als »Personalakte«); Auszug auch als Nürnbg. Dok.NO-2i42.

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se sein mag, schon durch die Protokolle der NürnbergerVernehmung oder in Dr. Gilberts Bericht über Höß'weitgehend bestätigt.

Wie die zwischen den Verhören in Krakau verfaßtenEinzelaufzeichnungen entstammt auch Höß' Autobio-graphie seinem Drang, sich den Vernehmenden zu erklä-ren. Der perfekt funktionierende Lagerkommandant vonAuschwitz erweist sich als ein ebenso musterhafter Un-tersuchungsgefangener, der nicht nur seine Kenntnisseüber die Konzentrationslager und die Judenvernichtungpedantisch ausbreitet, sondern auch dem Gefängnispsy-chiater die Arbeit zu erleichtern trachtet, indem er übersich selbst, sein Leben und seine »Psyche«, so wie er sieversteht, ausführlich Rechenschaft ablegt. In diesemSachverhalt deuten sich bereits jene befremdlichen, aberfür Höß charakteristischen Züge an, die in seinem Le-bensbericht noch augenscheinlicher hervortreten: eilfer-tig-eifrige Gewissenhaftigkeit eines Mannes, der immernur im Dienst irgendwelcher Autoritäten steht, der stetsseine Pflicht tut, als Henker wie als geständiger Delin-quent, der fortgesetzt nur aus zweiter Hand lebt, immerauf ein eigenes Selbst verzichtet hat und deshalb auchbereitwillig sein eigenes Ich, ein erschreckend leeres Ich,dem Gericht in der Form einer Autobiographie übergibt,um der Sache zu dienen.

Doch wie deprimierend der Zusammenhang auch seinmag, dem das Entstehen dieser Aufzeichnungen zuzu-schreiben ist, als historisches Dokument stellen sie geradewegen der Person des Schreibers und seiner Mentalitätein Unikum dar. Dem Leser wird nicht nur eine Füllevon Fakten dargeboten, sondern zugleich Einblicke in dieDenk- und Gefühlsstruktur, wie sie normalerweise beiZeugenniederschriften nicht gewonnen werden können.Das Außergewöhnliche dieser Quelle hat die WarschauerHauptkommission schon vor einigen Jahren zu einer er-

Gilbert, Nürnberger Tagebuch, S. 249ff.

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sten Veröffentlichung von Höß-Aufzeichnungen in pol-nischer Übersetzung bewogen. Sie liegt vor im >BiuletynGlownej Komisji Badania Zbrodni Hitlerowskich wPolsce<, Bd. VII, das 1951 im Verlag des polnischen Ju-stizministeriums in Warschau erschien, und enthält außerder Autobiographie auch einen Teil von Höß' gesonder-ten kürzeren Aufzeichnungen. Die Einleitung zu dieserersten polnischen Ausgabe schrieb der bereits genanntepolnische Kriminologe Professor Dr. Stanislaw Batawia,der, wie er berichtet, in Krakau insgesamt 13 mehrstündi-ge Unterredungen mit Höß hatte. Im Jahre 1956 erschiensodann unter dem Titel >Wspomnienia Rudolfa Hoessa,Komendanta Obozu Oswiemskiego< (Erinnerungen Ru-dolf Höß', des Kommandanten des Lagers Auschwitz)eine zweite, vollständige polnische Veröffentlichung derHöß-Aufzeichnungen im Juristischen Verlag Warschau.Sie enthält sämtliche Aufzeichnungen Höß' einschließ-lich der Autobiographie, darüber hinaus auch die beidenAbschiedsbriefe, die Höß vor seiner Hinrichtung am

April 1947 an seine Frau und seine Kinder nachDeutschland schrieb und die vor Absendung in Polenphotokopiert wurden'. Diese zweite polnische Ausgabewurde von Dr. Sehn eingeleitet, auch mit vereinzeltemKommentar versehen und nach bestimmten Sachgesichts-punkten gegliedert.

Beide polnischen Ausgaben sind zwar einigen Fachleu-ten in Deutschland und dem westlichen Ausland bekanntgewordene, und das Faszinierend-Erschreckende dieserDokumente hat gar einen französischen Schriftsteller ver-anlaßt, sie in eine Romanhandlung zu übertragen3, dochscheint die Kenntnis der Höß-Aufzeichnungen über die-

Abzüge der Photokopie liegen auch dem IfZ vor.Vgl. z. B. G. Reitlinger: Die Endlösung. Hitlers Versuch der Aus-

rottung der Juden Europas 1939-1945. London 1956 oder: Josef Tenen-baum: Auschwitz in retrospect, The self-portrait of Rudolf Hoess,Commander of Auschwitz. In: Jewish Social Studies i S (Juli 1 953).

3 Robert Merle: La mort est mon métier. Paris 1952.

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sen recht begrenzten Kreis kaum hinauszugehen. Diesmag nicht zuletzt an der Übertragung des Originals insPolnische gelegen haben. Eine Herausgabe in der origina-len Fassung der deutschen Sprache schien schon deshalbgeraten. Hinzu kommt, daß der bezeichnende Sprachstilder Aufzeichnungen, dem als Zeugnis des Schreibersnicht unwesentliche Bedeutung zukommt, praktisch nurim deutschen Original faßbar wird. Die häufige Manie-riertheit in Wortwahl und Ausdruck, durch die sich Hößals »Schöngeist« ausweisen will, seine dem Illustrierten-klischee verhafteten »Selbstenthüllungen«, schließlichauch der NS-Jargon, in den Höß vielfach unversehensverfällt — all dies geht zwangsläufig bei einer Übersetzungweitgehend verloren.

Bei der Edition der deutschen Originalfassung hielt esder Herausgeber nicht für angebracht, dem polnischenBeispiel zu folgen und eine Herausgabe sämtlicher Höß-Aufzeichnungen vorzunehmen. So erstrebenswert beiQuellenveröffentlichungen die Vollständigkeit sein mag,sie schien in diesem Falle wenig sinnvoll. Da Höß sehrhäufig in seiner Autobiographie auf Dinge zurück-kommt, die er in ähnlichen Worten schon im Zusammen-hang dieser oder jener Einzelaufzeichnung behandelt hat,wären zahlreiche Wiederholungen in Kauf zu nehmengewesen. Zudem sind Höß' Krakauer Aufzeichnungenja selbst nur ein Teil dessen, was er insgesamt seit sei-ner Verhaftung an Angaben gemacht hat. Eine wirklichlückenlose Wiedergabe aller seiner Äußerungen überAuschwitz, die Konzentrationslager usw. hätte bedeutet,auch sämtliche Vernehmungsprotokolle abzudrucken.Schließlich aber verdienen manche der handgeschriebe-nen Aufzeichnungen einfach mangels inhaltlichen Gewichtes und auch wegen der bei den Personenbeschrei-

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bungen besonders kraß hervortretenden Subjektivität derBeurteilung kaum, insgesamt veröffentlicht zu werden.

Die vorliegende Edition beschränkt sich deshalb aufden Abdruck der im Januar/Februar 1947 entstandenen

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Autobiographie und bringt anschließend lediglich zweigesonderte, von Höß im November 1946 niederge-schriebene Aufzeichnungen, die sachlich als Ergänzungder Autobiographie, vor allem des darin enthaltenen Be-richts über Auschwitz, wichtig erscheinen und außer-dem beide insofern autobiographischer Natur sind, alssie sich auf Höß' eigene Erlebnisse und Erfahrungenstützen. Mit dem Vorteil stärkerer Konzentration ver-bindet sich auf diese Weise auch eine größere Geschlos-senheit der Edition. Auf einzelne wichtige Angaben, diesich in den nichtveröffentlichten Aufzeichnungen fin-den, wird überdies verschiedentlich im Anmerkungsap-parat verwiesen.

Zum editorischen Verfahren ist im einzelnen noch dasFolgende zu bemerken: Nur an insgesamt vier Stellendes Textes erfolgten Auslassungen von einigen Seitenoder Abschnitten, die an den betreffenden Stellen kennt-lich gemacht und eigens begründet sind'. Verbessertwurden lediglich die nicht sehr zahlreichen orthographi-schen und klaren syntaktischen Fehler sowie Höß' sehreigenwillige Interpunktion. Ausdruck und Stil bliebendagegen überall unangetastet. Einige wenige zur Ver-deutlichung eingefügte Worte sind ebenso wie einzelneRekonstruktionen unleserlicher Textstellen in eckigeKlammern gesetzt. Als ratsam erwies es sich jedoch,die meisten der von Höß vorgenommenen Abkürzungenbei der Veröffentlichung aufzulösen, auch dann, wennsie (z. B. für Dienstgrade o. ä.) zwar innerhalb der SSdurchaus üblich waren, aber der Mehrzahl der Leser un-geläufig sind. Nur fest eingebürgerte und offizielle Ab-kürzungen, die überdies in Höß' Darstellung häufigwiederkehren (z. B. KL = Konzentrationslager), wurdenübernommen. Bis auf wenige Ausnahmen sind auchHöß' Unterstreichungen einzelner Wörter und ganzerSätze beibehalten und durch Kursivdruck wiedergege-

^ Vgl. U. S. I I8, 124, 259.

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ben worden, obwohl Höß hiervon sehr häufigen undnicht immer ganz logischen Gebrauch macht.

Um die im Original ohne jede Unterbrechung fortlau-fend geschriebene Autobiographie übersichtlicher zu ma-chen, wurde sie je nach den geschilderten Lebensab -

schnitten in zehn Kapitel aufgegliedert. Die Kapitelüber-schriften stammen nicht von Höß, sondern vom Bearbei-ter der Edition. Unerläßlich schien es ferner, außer demallgemeinen Kommentar der Einleitung auch eine Reihevon Anmerkungen, Erklärungen, Richtigstellungen undVerweise auf andere Quellen vorzunehmen. Diese An-merkungen beziehen sich mit Absicht nur auf Personen,Orte, Einrichtungen und einzelne für das Verständnis derAutobiographie besonders wichtige konkrete Fakten undZusammenhänge. Ihre Aufgabe konnte es jedoch nichtsein, jede Nuance subjektiver und oft falscher Beurtei-lung und Darstellung, die in Höß' Aufzeichnung enthal-ten ist, richtigzustellen.

Der Herausgeber erfuhr bei seinem Bemühen um einewissenschaftliche Edition der Höß-Aufzeichnungen vonpolnischer Seite Entgegenkommen und wertvolle Unter-stützung, wofür an dieser Stelle ausdrücklich gedankt sei.Besonderer Dank gebührt Herrn Dr. Jan Sehn (Krakau),dem Museum Auschwitz und Herrn Hermann Langbeinvom Internationalen Auschwitz-Komitee (Wien).

Wesen und Bedeutung der autobiographischen Aufzeich-nungen

Gewiß sind Dokumente über Auschwitz und die Juden-vernichtung nichts Neues. In Nachkriegsprozessen isthiervon allerorts oft die Rede gewesen, zahlreiche erbeu-tete Akten sind dabei zusammengetragen, eine Fülle vonAussagen ehemaliger Häftlinge und SS-Angehöriger ge-macht worden. Sie alle stehen der historischen Forschungzur Verfügung, beträchtliche Teile sind auch bereits ver-

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öffentlicht. Das Besondere von Höß' autobiographischenAufzeichnungen gegenüber diesen Zeugnissen ist aberdies: Hier tritt der Kommandant von Auschwitz selbstauf und berichtet ausführlich und zusammenhängendüber seine Laufbahn von Dachau über Sachsenhausennach Auschwitz und gibt eine Fülle von Details über dieKonzentrationslager und das Verfahren der Judenver-nichtung. Schon als Höß in Nürnberg über die Vorgängein Auschwitz in der gleichen schockierenden Sachlichkeitreferierte, die auch in den hier veröffentlichten Aufzeich-nungen zutage tritt, war dies für alle Anwesenden eineerschütternde und zugleich lähmende Sensation, obwohlauch zu dieser Zeit über Auschwitz vieles bereits bekanntwar. Höß' damaliger Auftritt, seine im Tone des Alltägli-chen abgegebenen Erklärungen über die AuschwitzerMassenvergasungen riefen, wie wir aus dem Bericht Dr.Gilberts wissen, selbst auf der Bank der Hauptangeklag-ten ein Unbehagen, ja ein Erschrecken hervor, das langenachwirkte und auch von Görings theatralisch bis zumEnde gespielter Unbekümmertheit nicht weggewischtwerden konnte. Wer bis dahin nicht glauben mochte, wasschon während des Krieges über Auschwitz ins Auslandgedrungen war und sich auch innerhalb Deutschlands alshartnäckig wiederkehrendes Gerücht behauptet hatte,der konnte nun, nach der Berichterstattung des ehemali-gen Kommandanten, nicht mehr länger darüber im Zwei-fel sein, daß in Auschwitz die Dämonie des Nationalso-zialismus in der Form einer ausgeklügelten, rationalisier-ten Massenvernichtungstechnik grauenhafteste, allesmenschliche Vorstellungsvermögen übersteigende Reali-tät geworden war. Diese Wirkung mag auch heute nochvon Höß' Aufzeichnungen ausgehen; denn trotz aller an-derweitig vorliegenden Beweise besteht ja gegenüber demFaktum Auschwitz, dem Judenmord der Gaskammernnoch immer ein weitverbreitetes Zweifeln, zumindestaber sehr ungenaues, seiner selbst nicht sicheres Wissen.So kann und soll diese Veröffentlichung, indem sie mit

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der abgründigsten Unmenschlichkeit konfrontiert, zu je-ner Katharsis beitragen, welche nach der Epoche desDritten Reiches Gebot nationaler Selbstachtung ist.

In der Darbietung konkreter und detaillierter Tatsa-chen über das System der Konzentrationslager und seinezum Vernichtungswahn gesteigerte Auschwitzer Praxisliegt aber nicht der alleinige Wert der Höß-Autobiogra-phie als historischer Quelle. Mindestens ebenso wichtigscheint uns, daß sie als Selbstzeugnis dessen, der das La-ger Auschwitz errichtete und kommandierte, Aufschlußdarüber gibt, welche Art von Menschen es waren, die dieMaschinerie des Todes bedienten, aus welcher Seelen-und Geistesverfassung heraus sie dazu in der Lage waren,welche Antriebe, Gefühls- und Denkkategorien hierbeizur Geltung kamen. Was Höß unbewußt durch seineAufzeichnungen an Erkenntnis zu diesen Fragen beisteu-ert, ist vielleicht das geistig Erregendste an ihnen. AmFalle Höß wird in aller Eindringlichkeit klar, daß Mas-senmord nicht mit persönlicher Grausamkeit, mit teufli-schem Sadismus, brutaler Roheit und sogenannter »Ver-tiertheit« gepaart zu sein braucht, welche man sich nai-verweise als Attribut eines Mörders ausdenkt. Höß' Auf-zeichnungen widerlegen diese allzu einfachen Vorstellun-gen radikal und offenbaren statt dessen als Porträt desMannes, bei dem die Regie täglicher Judenvernichtunglag, einen Menschen, der alles in allem recht durch-schnittlich geartet, keineswegs bösartig, sondern im Ge-genteil ordnungsliebend, pflichtbewußt, tierliebend undnaturverbunden, ja auf seine Weise »innerlich« veranlagtund sogar ausgesprochen »moralisch« ist. Höß ist, miteinem Wort, das exemplarische Beispiel dafür, daß priva-te »Gemüts«-Qualitäten nicht vor Inhumanität bewah-ren, sondern pervertiert und in den Dienst des politischenVerbrechens gestellt werden können. Weil Höß' Auf-zeichnungen die eines durchaus kleinbürgerlich-norma-len Menschen sind, machen sie so betroffen, denn sieerlauben es nicht länger, eine kategorische Unterschei-

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dung zu treffen zwischen denen, die nur aus Idealismusund Pflichtgefühl bei der Sache waren, und denen, die —vermeintlich — von Natur aus grausam, das gute Wollender anderen durch ihr teuflisches Handwerk verdarben.Am Beispiel Höß wird damit auch offenkundig, daß dasWesen der im Dritten Reich hervorgebrochenen Un-menschlichkeit verkannt wird, wenn man die Gaskam-mern und Konzentrationslager allein auf eine besondereteutonische Grausamkeit zurückführt. Unbestreitbarsind die Konzentrationslager mit einer gewissen Zwangs-läufigkeit auch ein Sammelpunkt verkommener, verroh-ter und gefühlloser Figuren aus den Reihen der SS gewor-den, wobei die systematische Erziehung der Wachmann-schaften zur unbedingten Härte und der ideologischeAppell an niedrigste Haßinstinkte entscheidend mitwirk-ten. Himmler, Heydrich oder Eicke (Inspekteur derKonzentrationslager) duldeten und deckten auch vielfachdie Willkür und Schikane einzelner Kommandanten undBewacher gegenüber den Häftlingen und stellten sie gele-gentlich bewußt in Rechnung, um den Terror zu steigern.Doch dergleichen diabolisches Kalkül mit niedrigstenGesinnungen und Trieben machte, so gewiß sich Himm-ler — in der Attitüde des großen Machiavellisten — daringelegentlich gefiel, doch nicht das Typische des Systemsaus und entsprach auch nicht eigentlich HimmlersWunschvorstellungen. Willkürliche Quälerei der Häft-linge durch einzelne SS-Funktionäre und persönlicheLust oder gar Bereicherung am Los der Gefangenen gal-ten Himmler ebenso als »Schwäche« wie umgekehrt alleRegungen des Mitleids. Das Ideal war der disziplinierteLagerkommandant vom Schlage eines Höß, der sichrücksichtslos durchsetzte, vor keinem Befehl zurück-schreckte, aber dabei persönlich »anständig« blieb. AlsLeiter des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau er-füllte Höß aufs beste die Vorstellungen Himmlers, deram 4. Oktober 1943 vor dem obersten Führerkorps derSS im Hinblick auf die Judenvernichtung erklärte:

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