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Prof. Dr. Friedhelm Hufen Lehrstuhl für Öffentliches Recht - Staats- und Verwaltungsrecht UNIVERSITÄT MAINZ Kommunalrecht in Rheinland-Pfalz Skript zur Einführung und zur Wiederholung (Stand: April 2010)

Kommunalrecht in Rheinland-Pfalz · 2 Anleitung zur Arbeit mit diesem Skript Das Skript, das Sie vor sich haben, dient – mangels geeigneter Lehrbücher – zur Ein-führung in das

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Prof. Dr. Friedhelm HufenLehrstuhl für Öffentliches Recht -Staats- und VerwaltungsrechtUNIVERSITÄT MAINZ

Kommunalrecht in Rheinland-Pfalz

Skript zur Einführung und zur Wiederholung

(Stand: April 2010)

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Anleitung zur Arbeit mit diesem Skript

Das Skript, das Sie vor sich haben, dient – mangels geeigneter Lehrbücher – zur Ein-führung in das Rheinland-Pfälzische Kommunalrecht, wenn Sie noch keine Gelegen-heit hatten, die entsprechende Vorlesung zu hören.

Es dient aber vor allen zur Wiederholung der Vorlesung.

Deshalb soll es die Vorlesung in der Regel nicht ersetzen.

Um mit dieser Vorlage sinnvoll arbeiten zu können, benötigen Sie:

- (Falls vorhanden) Ihre eigene Mitschrift der Vorlesung

- Aktuelle Gesetzestexte (GemO, LandkreisO, VwVfG, VwGO)

- Empfehlenswert: Winkler, Kommunalrecht, in: Hendler/Hufen/Jutzi, Staats-und Verwaltungsrecht für Rheinland-Pfalz, 5. Aufl. 2009 oder ein wenigstensannähernd die rhl.-pfälz. Rechtslage berücksichtigendes Lehrbuch des Kommu-nalrechts; z.B. Geis, Kommunalrecht;zum Thema kommunale Selbstverwaltung: Schoch, Jura 2001, 121

- Kenntnisse im allgem. Verwaltungsrecht und im Verwaltungsprozessrecht

- Hilfsweise:Die Lehrbücher von Maurer, Allgem. Verwaltungsrecht, 17. Auflageund Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 7. Auflage.

Das Skript ist zwar nach der Gliederung der Vorlesung aufgebaut, folgt aber dem„Frage- und Antworten-Schema“.

Das heißt:Bearbeiten Sie die Fragen zunächst, als befänden Sie sich in der mündlichen Prüfungbzw. bereiteten sich darauf vor.

Bearbeiten Sie die Fälle wie eine Klausur in der Großen Übung oder im Examen.

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§ 1 Einführung

I. Übersicht

Frage 1

Warum ist das Kommunalrecht in den einzelnen Bundesländern und damit auchin der Juristenausbildung so unterschiedlich?

Kommunalrecht gehört zum Kern der Gesetzgebungskompetenz der Länder (Art. 70GG). Unterschiede ergeben sich aber insbesondere aufgrund der historischen Ent-wicklung. Sehr vereinfacht lassen sich, was den organisatorischen Aufbau betrifft,"norddeutsche", durch die preußische Regelung beeinflusste, und "süddeutsche", mehroder weniger am bayerischen Modell orientierte Kommunalverfassungen unterschei-den. Einzelheiten dazu in § 8.

Frage 2

Wie ordnen Sie das rheinl.-pfälzische Kommunalrecht ein?

So wie Rheinland-Pfalz teilweise aus früher preußischen und teilweise aus früher bay-erischen Gebieten besteht, lassen sich auch norddeutsche und süddeutsche Elemente inseinem Kommunalrecht nachweisen. Im Laufe der Zeit hat es aber eine starke Annähe-rung an süddeutsche Modelle, insbesondere die bayerische Gemeindeordnung, gege-ben. Das gilt vor allem für die Stellung des Bürgermeisters (nachfolgend BM) und desGemeinderats (nachfolgend GRat). Einen neuen "Schub" der Angleichung an das süd-deutsche System brachte die letzte größere Reform des rheinl.-pfälzischen Kommunal-rechts, die am 12. Juni 1994 in Kraft getreten ist.

Frage 3

Nach welchem Gliederungsprinzip sind Vorlesung und Gemeindeordnung aufge-baut?

Beide folgen einem mehr oder weniger "natürlichen" Prinzip: Nach historischen undverfassungsrechtlichen Grundlagen geht es um die Träger kommunaler Selbstver-waltung - also Gemeinden, Landkreise, Städte usw. -, dann folgen die wichtigstenkommunalen Aufgaben (eigener Wirkungskreis und übertragener Wirkungskreis) so-wie die Hoheitsbefugnisse der Gemeinden gegenüber dem Bürger. Anschließend gehtes um die "Kreation" der Gemeindeorgane, also das kommunale Wahlrecht sowie dieeigentlichen Organe der Gemeinde und deren Kompetenzen. In § 9 der Vorlesungund in den entsprechenden Abschnitten des Gesetzes steht das Verfahren im GRat im

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Mittelpunkt. Damit ist die eigentliche "Gemeindeverfassung" abgeschlossen und Vor-lesung wie Gemeindeordnung wenden sich dem Verhältnis der Gemeinde zum Ein-wohner (kommunale öffentliche Einrichtungen - dazu aber schon wichtig: § 14 IIGemO) sowie dem Verhältnis der Gemeinde zu der staatlichen Aufsichtsbehörde zu(§ 12 der Vorlesung). Den Abschluss bilden wenige Hinweise auf die Rechtsformenund Funktionen kommunaler Zusammenarbeit.

Frage 4

Erläutern Sie den Begriff "Kommunalrecht". Warum heißt es nicht Gemeinde-recht?

Kommunalrecht ist Oberbegriff - ebenso wie Kommune.

Kommunen

Gemeinde Verbandsgemeinde Landkreis

Stadt (verbandsfreie) (verbandsangehörige)(kreisfrei/kreisangeh.) Gemeinde Ortsgemeinde

Frage 5

Und was bedeutet "Kommune/kommunal"?

Der Begriff hat zwei lateinische Elemente: cum = gemeinsam und munus, muneris =Amt, Leistung, Pflicht. Freie Übersetzung also: gemeinsame Aufgabe.

Frage 6

Wo finden Sie die wichtigsten verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Grund-lagen des Kommunalrechts?

Verfassungsrecht: Art. 28 II GG (auch 28 I GG - Homogenitätsgebot beachten). Art.49 LV Rheinland-Pfalz.

Nicht vergessen: Art. 93 I Ziff. 4 b GG (Verfassungsbeschwerde), Art. 104a GG undArt. 106 GG hinsichtlich Finanzverfassung.

Gesetze:

Gemeindeordnung (ähnlich aufgebaut wie Vorlesung)

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Grundbegriffe = §§ 1 - 12 GemOEinwohner, Rechte und Pflichten (§§ 13 - 23 GemO)Gemeindeverfassung (§§ 28 - 56 GemO)Staatsaufsicht (§§ 117 ff. GemO)

Wichtig: Landkreise haben eigenes Kommunalgesetz, die LandkreisO. Diese istähnlich aufgebaut wie die GemeindeO.

Vorsicht: Beide Gesetze nicht verwechseln.

Weniger wichtig: Bezirksordnung. Gesetz ist nicht wichtig, da es nur den historischgewachsenen Bezirksverband Pfalz (bayerisches Vorbild) betrifft.

Frage 7

Wie ist das "Kommunalrecht" in das Gesamtsystem des Öffentlichen Rechts ein-gegliedert?

Jedenfalls nicht nur als "Besonderes" Verwaltungsrecht. Eher überlappt es sich mitdem Verfassungsrecht, dem Allgem. Verwaltungsrecht, dem Verwaltungsprozessrecht,dem Polizeirecht und dem Baurecht - soweit zum Pflichtfachstoff. Enge Überschnei-dungen bestehen natürlich auch mit dem öffentlichen Dienstrecht, dem öffentlichenSachenrecht und dem Abgabenrecht (s. Einweggeschirr-Abgabe).

Übungsaufgabe:

Sehen Sie sich den typischen Aufbau einer verwaltungsprozessualen Klage am Beispielder Zulässigkeit und Begründetheit einer Anfechtungsklage einmal an (Hufen,VwProzR, § 14, Rdnr. 117 und § 25, Rdnr. 50).Bei welchen Gliederungspunkten spielen kommunalrechtliche Fragen eine besondereRolle?

Zur Antwort die Übersicht 1.

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Kommunalrecht im Fallaufbau

(Beispiel: Anfechtungsklage gegen Bescheid über Anschluss- und Benutzungszwang)

I. Sachentscheidungsvoraussetzungen

1. Rechtsweg (Kommunalrecht = Sonderrecht)

2. Beteiligtenfähigkeit Gemeinde ist juristische Person(Vertretung durch BM, § 47 I 1 GemO)

3. Statthaftigkeit 4. Klagebefugnis

5. Widerspruchsverfahren Stadtrechtsausschuss - Kreisrechtsausschuss(Aufbau der Behörde)

II. Begründetheit

1. Passivlegitimation Gemeinde, nie Staat 2. Rechtswidrigkeit a. Eingriffsgrundlage b. Zuständigkeit nach Spezialgesetz oder GemO c. Verfahren

(1) Spezialgesetz(2) GemO(3) VwVfG

d. Eingriffsgrundlage des VA(1) Gesetz = § 26 GemO(2) Satzung auf gesetzlicher Grundlage (a) Zuständigkeit (b) Verfahren (c) Ermächtigungsgrundlage (d) Kein Verstoß der Satzung gegen sonstiges Recht

d. kein Verstoß gegen sonstiges Recht 3. Rechtsverletzung

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Frage 8

Zur geographisch-politischen Übersicht: Welches sind die kreisfreien Städte inRheinland-Pfalz? Wie viele Landkreise gibt es? Wo hat die Aufsichts- undDienstleistungsdirektion, wo haben die Struktur- und Genehmigungsdirektionenihren Sitz?

Die kreisfreien Städte sind: Mainz, Ludwigshafen, Kaiserslautern, Trier, Koblenz,Frankenthal, Worms, Neustadt, Pirmasens, Zweibrücken, Landau, Speyer.

Rhl.-Pfalz hat 24 Landkreise und ca. 2.000 kreisangehörige Gemeinden. Nur 12 % derBevölkerung leben in Großstädten. Zahlreiche kleine Gemeinden haben (wenn auchals verbandsangehörige Gemeinden) "überlebt". Die Aufsichts- und Dienstleistungsdi-rektion hat ihren Sitz in Trier, die Struktur- und Genehmigungsdirektionen in Koblenzund Neustadt/Weinstraße.

Frage 9

Erläutern Sie das nebenstehende Strukturschema zum Aufbau der Verwaltung.Wo verläuft die Grenze zwischen “kommunalem” und “staatlichem” Bereich"?

(siehe Seite 8)

(Ähnliches Schema in Maurer, AVwR, § 21, Rdnr. 14)

Zur Antwort und Erklärung die wichtigsten Merkmale:

Dreigliedriger Aufbau der Landesverwaltung;Verbindung von Landesverwaltung und Kommunalverwaltung, vor allem imBereich der Landkreise;Kommunen sind „Außenbereich“ gegenüber der "juristischen Person Staat".Hierarchie mit Weisungsbefugnis im Staatsaufbau; "gebrochene Hierarchie"gegenüber dem Kommunalbereich.Kommunen und Staat sind dem Bürger gegenüber in der Regel einheitlicher„Innenbereich“.

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Kommunen im Aufbau der rheinland-pfälzischen Verwaltung

STAAT KOMMUNEN

Ministerien (oberste Landesbehörden)Landesoberbehörden

besondere Struktur- und Aufsichts- undLandesmittel- Genehmigungs- Dienstleistungs-behörden direktionen direktion

untere Kreisverwaltung: Stadtverwaltung:Sonder- als Staats- in Auftrags-/in Selbstverw.- in Auftrags-/in Selbstverw.-

behörden behörde angelegenheiten als angelegenheiten als BehördeBehörde des Landkreises der Kreisfreien Stadt

bzw. derGemeindeverwaltung der kreisangehörigen Gemeinde Großen kreisangehörigen

(Verbandsgemeinde/verbandsfreie Gemeinde/Ortsgemeinde) Stadt

Zwischen Staat und Kommunen:FachaufsichtRechtsaufsicht

Innerhalb der Staatsverwaltung: Weisungsrecht

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Frage 10

Wenn Sie nun den Gesamtaufbau der Verwaltung zwischen Bund und Ländern(außer Stadtstaaten) zeichnen würden: Wie lässt er sich kennzeichnen? Unter-schied zu anderen föderativen Staaten, z. B. USA?

Kein "Säulenmodell" = getrennter Aufbau, sondern Verschränkung (Landes-verwaltung führt Bundesgesetze aus, Landesverwaltung und Kommunalverwal-tung sind verbunden).

Doppelfunktion der Kommunen: Selbstverwaltungsbereich und Auftragsbereich(übertragener Wirkungskreis) - dazu unten mehr.

Frage 11

Erläutern Sie die folgenden, im Zusammenhang mit dem Kommunalrecht stehen-den besonders wichtigen Begriffe:

Mittelbare Staatsverwaltung / unmittelbare StaatsverwaltungJuristische Person des ÖRKörperschaftAnstaltRegiebetriebEigenbetriebBeteiligungsgesellschaftDekonzentrationDelegationDezentralisierung

Lesen Sie vor der Antwort Maurer, AVwR, §§ 21 - 24.

- Mittelbare Staatsverwaltung: Staat verwaltet nicht selbst, sondern überträgt auf rechtlich selbständige Einheiten (passt für die Gemeinden nur bedingt). Gemeinde ist nie Teil der Staatsverwaltung, auch wenn sie im weiteren Sinne staatliche Auf-gaben erfüllt.

Unmittelbare Staatsverwaltung: Staat verwaltet selbst, Gliederungsprinzipien Konzentration, Hierarchie.- Juristische Person des ÖR: stammt aus dem Zivilrecht, Gegensatz zur natürlichen Person, Rechtsfähigkeit und Beteiligungsfähigkeit.

Beispiele: Gemeinde, rechtsfähige Anstalt, Stiftung, auch der Staat selbst.- Körperschaft: Korporation = Verband = grds. Vereinigung von Mitgliedern. Ge-meinden sind aber Gebietskörperschaften. Staat, Universität, Kirchen, Hand-werkskammern sind Personalkörperschaften.- Anstalt: Bestand von Personen und Mitteln mit öffentlichem Zweck.

Beachte: Gemeinden sind nicht Anstalten, sie können aber Anstalten haben.

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- Regiebetrieb: Betriebe der Gemeinden ohne jede Verselbständigung, die organi- satorisch Teil der Kommunalverwaltung sind (Hallenbad, Stadthalle usw.).- Eigenbetrieb: wirtschaftlich und organisatorisch verselbständigter Betrieb mit eigener Betriebssatzung und eigener Haushaltsführung, aber keine eigene Rechts- persönlichkeit.- Beteiligungsgesellschaft: Kapitalgesellschaft, die von der Gemeinde mit anderen Verwaltungsträgern oder mit Privatpersonen zusammen betrieben wird.- Dekonzentration: Innerhalb des Verwaltungsaufbaus wird räumlich "an die Rän- der" verschoben (Beispiel: Auslagerung der Datenverarbeitung für das ganze Land).- Dezentralisierung: Dauerhafte Verlagerung auf andere Träger.- Delegation: Dauerhafte Übertragung einer Aufgabe auf einen selbständigen Trä-ger zur eigenen Wahrnehmung (Ausführung von Bundesgesetzen durch Länder [Art.83 GG - Juristenausbildung bei Universitäten]).

§ 2 Wenige historische Unerlässlichkeiten

Frage 12

Art. 49 III LV Rheinl.-Pfalz regelt die Selbstverwaltung im Hauptteil "Grund-rechte und Grundpflichten". Art. 28 II GG regelt das Recht auf Selbstverwaltungim Abschnitt "Der Bund und die Länder". Können Sie sich das erklären?

Nach § 1 der RPGemO sind die Gemeinden "Grundlage und zugleich Glied desStaates". Art. 11 der BayV benennt die Gemeinden als "ursprüngliche Gebiets-körperschaften". Erklären Sie das.

Das BVerfG (E 7, 358, 364) definiert die Aufgaben der kommunalen Selbstver-waltung in ihrem Kern als "historisch gewachsenen Bestand". Gibt es eine ge-wachsene Tradition der Selbstverwaltung?

Hier nur die wichtigsten Stichworte:Kommunale Erscheinungen (Stadtrepubliken) in der Antike; Mittelalter: Unterschied-liche Entwicklung in Stadt und Land; Dorf und Gemeinde als typisch germanischeErscheinungsformen; Einbindung in Landesherrschaft, Lehensverfassung, Bindungvon Eigentum und persönlicher Freiheit an Grund und Boden.

Dagegen Stadt: Gründungen der Territorialherren an strategisch wichtigen Stellen;Kampf um freien Status gegenüber der Landesherrschaft (Muntgewalt); Stadt- undMarktrechte als Privilegien durch Landesherren verliehen; Beginn der Selbstverwal-tung im Inneren (Aristokratie, Patriziat); wirtschaftliche Selbstverwaltung in Zünftenund Gilden.

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Aus dieser Entwicklung kommt der Begriff der Gemeinde als "ursprüngliche Gebiets-körperschaft".

Absolutismus: Staatsform gegen Selbstverwaltung. In Deutschland nur im Rahmender Territorialstaaten durchgesetzt; Kampf um Freiheit von Landesherrschaft geht vor(s. Freie Reichsstädte, Städtebünde, eigene Gerichtsbarkeit). Landgemeinden undLandstädte unter Herrschaft der Territorialherren. Wesentlich geringerer Zentralisie-rungsgrad als in vergleichbaren absolutistischen Staaten.

Nun zu den beiden wichtigsten Selbstverwaltungstraditionen: "Freiheit von oben" und"Freiheit von unten".

- Selbstverwaltung von oben: Frh. v. Stein (Städteordnung 1808/09) - Teilnahme desBürgers an örtlichen Angelegenheiten des Staates; keine Reorganisation auf der al-ten körperschaftlichen Basis.

- Gegenkonzeption: Paulskirche, Freiheit von unten, Selbstverwaltung der Gemein-den als Grundrecht (s. heute noch BayV und RPLV).

- Weimarer Republik (Art. 127 WRV): Selbstverwaltung wird geschützt, aber Redu-zierung auf den historischen Kern i. S. der Konzeption des Frh. v. Stein.

- Nationalsozialismus: Zerschlagung durch DGO von 1935 und Gesetz zum Neuauf-bau des Reichs (1933).

Frage 13

Wie verlief die Entwicklung unter dem Grundgesetz?

- Wiederentstehung der deutschen Staatlichkeit "von unten".

- Starke Betonung der Subsidiarität (Individuum - Familie - Verein - Gemeinde -Land - Bundesrepublik); aber nicht Wiederherstellung des grundrechtlichen Selbst-verwaltungskonzepts. Art. 28 II GG als "grundrechtsähnliches Recht" im organi-satorischen Teil der Verfassung. Trotzdem: Kommunale Verfassungsbeschwerde(Art. 93 I Nr. 4 b GG) ab 1951.

- Tendenz zur Zentralisierung und Verstaatlichung; derzeit Versuch der "Rekommu-nalisierung" - Rückkehr zur "kleineren Einheit".

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§ 3 Verfassungsrechtliche Grundlagen

Frage 14

Die Gemeine Mörfelden wehrte sich gegen die Startbahn West des FrankfurterFlughafens, weil die dazugehörige Lärmschutzzone ihre Planungshoheit ein-schränke; die Gemeinde Rastede kämpfte um die Beibehaltung der örtlichenMüllentsorgung gegen die Verlagerung der Aufgabe auf den zuständigen Land-kreis; die Stadt Mainz fragt, ob sie wegen der stark gestiegenen Belastung mitSozialleistungen Verfassungsbeschwerde erheben könne.

Lesen Sie zunächst exakt Art. 28 II GG und Art. 49 RPLV.

Beides keine Grundrechtsnormen, aber verfassungsrechtliche Garantien, die mit Bun-des- und Landesverfassungsbeschwerden verteidigt werden können.

Können die Gemeinden sich daneben eigentlich auch auf Grundrechte berufen?

Die Frage ist in Art. 19 III GG geregelt.

Seit BVerfGE 61, 82 (102 – Sasbach) besteht eine stark restriktive Tendenz in derRechtsprechung des BVerfG. Gemeinden können sich nur auf rechtliches Gehör (Art.103 GG) und ggf. auf den Gleichheitssatz berufen, nicht aber auf andere Grundrechte,insbesondere Art. 14 GG. (zur Kritik: Hufen, VwProzR, § 14, Rdnr. 97.)

Frage 15

Welches der beiden historischen Selbstverwaltungskonzepte kommt inArt. 28 GG zum Ausdruck?

Mobilisierung der Bürger für die örtlichen Angelegenheiten, nicht Selbstverwaltungals Grundrecht. Aber auch nicht ein "funktionales Selbstverwaltungsverständnis" = dieGemeinden erfüllen nur eine Funktion im Staatsaufbau. Vorsicht vor einer Aus-drucksweise, die die Gemeinden lediglich zur Untergliederung des Staates macht. Ge-meinden sind immer selbständige rechtsfähige Körperschaften mit eigenen verfas-sungsrechtlich verbürgten Aufgaben und Strukturen.

Frage 16

Welche einzelnen Gewährleistungen werden zur Selbstverwaltungsgarantie ge-rechnet?

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1) Selbstverwaltung i. e. S. = Regelung aller örtlichen Angelegenheiten, Allzustän-dig-keit, Freiheit von staatlicher Weisung.

2) Satzungsautonomie (Recht zur Normsetzung im örtlichen Bereich).3) Planungshoheit (vgl. § 1 BauGB), die bodenrechtliche Entwicklung soll bei den

Gemeinden liegen; Schutz durch § 36 BauGB (Achtung: Verklammerung mit derBaurechts-Vorlesung).

4) Organisations- und Personalhoheit (Gemeinde ist selbst Dienstherr, hat Recht zurOrganisation der Verwaltung und zur Auswahl des Personals - stark eingeschränktdurch Beamtenrecht, Besoldungsrecht und PersVRecht).

5) Finanzhoheit = Recht zur eigenverantwortlichen Haushaltswirtschaft (Einnahmenund Ausgaben; streitig ob Mindestfinanzausstattung); Problem der finanziellen Un-terdeckung hier nicht erfasst, es geht wohl eher um Beschränkung staatlicher Auf-gaben für die Gemeinden.

Frage 17

Was ist ganz generell über die Schranken der Selbstverwaltung zu sagen?

Art. 28 II GG gewährleistet die Selbstverwaltung nur im Rahmen der Gesetze. DieGemeinden haben also keinen Bestandsschutz z. B. gegen die Gebietsreform (BVerf-GE 50, 50), keinen grundsätzlichen Schutz vor Aufgabenübertragung oder -entzug;keinen Schutz vor gesetzlich bedingter überörtlicher Planung. Dem Gesetzgeber ge-genüber geschützt war zunächst nur ein "historisch gewachsener Kernbereich"(BVerfGE 22, 180, 205).Aber: Neue Tendenz seit der Rastede-Entscheidung ("Hochzonung der Abfallbeseiti-gung " - BVerfGE 79, 125: Gemeinde hat Anspruch auf eigenen Aufgabenkreis; zent-rale Wahrnehmung durch Landkreise oder Staat nur, wenn nachweislich bessere Auf-gabenerfüllung).

Lösung der Ausgangsfälle:

1. Mörfelden: Gemeinde ist zwar in Planungshoheit betroffen, solange aber die Pla-nung nicht praktisch unmöglich wird und sich das Vorhaben auf einen Teil der Ge-meinde beschränkt, bleibt die Startbahn West zulässig (anders Fall Memmingen -BVerfGE 56, 248: ganzer Innenstadtbereich in Lärmschutzzone eines Militär-flughafens). Achtung: Keine Berufung auf Lärmschutz im Interesse der Einwohner.

2. Fall: Rastede: Schutz gegen "Hochzonung" wurde grundsätzlich erkämpft. Aufga-benentzug nur bei Nachweis der besseren Erfüllung auf höherer Ebene.

3. Mainz - Sozialleistungen: Diese sind Selbstverwaltungsaufgabe der kreisfreienStadt ohne jeden Spielraum der Gemeinden. Äußerste Grenze erreicht, wenn für frei-willigen SV-Bereich keine Finanzmittel mehr bleiben.

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Frage 17a

Durch ein Änderungsgesetz zum Landespflegegesetz (heute: Landesnaturschutz-gesetz) hat der Landesgesetzgeber die Vorgaben der FFH-Richtlinie sowie derVogelschutzrichtlinie in Landesrecht umgesetzt und damit die bundesrechtlichenRahmenvorschriften in §§ 33 - 38 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) ausge-füllt. Eine rheinland-pfälzische Ortsgemeinde fühlt sich dadurch in ihrem Rechtauf Selbstverwaltung unzulässig beeinträchtigt. Denn das Vogelschutzgebiet er-fasst nahezu das gesamte Gemeindegebiet, ausgenommen lediglich die bebauteOrtslage. Das FFH-Gebiet rückt im Westen, Norden und Nordosten überein-stimmend mit dem festgesetzten Vogelschutzgebiet ebenfalls bis an die vorhande-ne Bebauung heran. Lediglich im Osten der Ortslage ist eine größere Fläche imBereich eines landwirtschaftlichen Betriebs nicht in das FFH-Gebiet einbezogen.Dies gilt auch für den Süden der Ortslage.Ist die Ansicht der Ortsgemeinde zutreffend?(nach VerfGH RP, DÖV 2006, 28)

Art. 49 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 LV garantiert den Gemeinden das Recht der Selbst-verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten. Zum Bereich der eigenverantwortlich zuerledigenden Aufgaben zählt auch die Planungshoheit im Sinne der Befugnis, Art undWeise der Bodennutzung in der Gemeinde zu bestimmen. Das Recht der Selbstverwal-tung besteht jedoch nur im Rahmen der Gesetze. Wird die Planungshoheit einer Ge-meinde durch eine überörtliche Planung berührt, so ist dies nach Art. 49 Abs. 1 undAbs. 3 Satz 1 LV nur dann gerechtfertigt, wenn die Gemeinde zuvor angehört wurdeund die Einschränkung der Planungshoheit durch überörtliche Interessen von höheremGewicht geboten ist.Allerdings werden die insoweit bestehenden landesverfassungsrechtlichen Anforde-rungen durch höherrangiges Recht verdrängt.Für das Bundesrecht folgt dies aus dem ihm in Art. 31 GG eingeräumten Vorrang.Folgt die landesgesetzliche Normsetzung zwingenden Vorgaben des (auch einfachen)Bundesrechts, setzen sich diese gegenüber entgegenstehendem Landesverfassungs-recht durch.Für das Recht der Europäischen Gemeinschaft folgt die Verdrängung von Landesver-fassungsrecht aus dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts, der im Grundsatz allgemeinanerkannt ist und bundesverfassungsrechtlich auf der Integrationsermächtigung in Art.23 I 2 GG beruht.Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung allerdings klargestellt,dass eine unbegrenzte Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Unionnicht zulässig ist. Die Identität der geltenden Verfassungsordnung der BundesrepublikDeutschland dürfe nicht durch Einbruch in ihr Grundgefüge aufgegeben werden. Des-halb stellt sich auch bei Beurteilung des Anwendungsvorrangs von Gemeinschafts-recht die Frage, ob die - jetzt in Art. 23 I 1 GG niedergelegten - grundgesetzlichenSchranken der Integrationsermächtigung gewahrt sind. Zum Grundgefüge der gelten-den Verfassung rechnen zunächst die Rechtsprinzipien, die dem Grundsrechtsteil desGrundgesetzes zugrunde liegen.

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Die im Grundgesetz verankerte Garantie kommunaler Selbstverwaltung (Art. 28 IIGG) zählt dagegen nach allgemeiner Meinung nicht zu den integrationsfesten Prinzi-pien im Sinne von Art. 23 Abs. 1 i.V.m. Art. 79 III GG. Daneben wird aber die Auf-fassung vertreten, dass der in Art. 23 I 1 GG genannte Grundsatz der Subsidiaritätauch verlange, die kommunale Selbstverwaltung zu berücksichtigen.Nach beiden Auffassungen wären dem innerstaatlichen Geltungsanspruch von Rechts-akten der Europäischen Gemeinschaft nur dann Grenzen gesetzt, wenn den Kommu-nen kein eigenverantwortlich wahrnehmbarer Gestaltungsspielraum mehr verbliebe,gleichsam eine Art "europäischer Entmündigung" der Gemeinden stattfände. Dieskann für die hier zu beurteilenden Regelungen zur Festsetzung von FFH-Gebieten undEuropäischen Vogelschutzgebiete einschließlich des dazu angeordneten Schutzregimesnicht angenommen werden. Denn den Kommunen bleibt trotz der hierdurch ausgelös-ten Beschränkung noch Raum für die Ausübung ihrer Planungshoheit. Damit bleibt esbeim grundsätzlichen Vorrang der für diesen Bereich erlassenen gemeinschaftsrechtli-chen Normen.Allerdings gebietet die Garantie kommunaler Selbstverwaltung, die Normen gemein-defreundliche auszulegen und anzuwenden.

Frage 18

Können sich in den genannten Fällen die Gemeinden vor dem BVerfG wehren?

Ja, mit der sog. kommunalen Verfassungsbeschwerde - Art. 93 I Nr. 4 b GG,§ 91 BVerfGG.

Die Voraussetzungen sind: 1. Antragsfähigkeit - Gemeinde und Gemeindeverbände 2. Gegenstand, nur Gesetz - nicht Einzelentscheidung 3. Antragsbefugnis. Verletzung der Selbstverwaltung muß möglich sein 4. Erschöpfung des Rechtswegs 5. Subsidiarität gegenüber Landes-VB (diese ist in Rhl.-Pfalz vorrangig gegeben)

Achtung: In Rheinland-Pfalz auch kommunale VB gegen Einzelentscheidungen.

Frage 19

Welche Rolle spielt die Selbstverwaltungsgarantie im Verwaltungsprozess?Worauf kann sich die Gemeinde exakt berufen?

Die Frage spielt für die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) und für die Rechtsverletzung(§ 113 VwGO) eine ausschlaggebende Rolle (näheres dazu bei Hufen, VwProzR § 14,94 ff.

Die Gemeinden können sich im allgemeinen berufen:

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- auf die Selbstverwaltungskompetenz i. S. der Eigenständigkeit der Aufgaben- wahrnehmung - auf die Planungshoheit (Achtung! Nur bei konkretisierter eigener Planung) - auf den Schutz bestehender Einrichtungen zur Aufgabenwahrnehmung

Beachte: Bei Anwendung der sog. "Adressatentheorie" nicht auf Art. 2 I GG,sondern allenfalls auf Art. 28 II GG abstellen (umstritten).

Wdh.: Keine Berufung auf Grundrechte.

Frage 20

Wo und Wie ist die kommunale Finanzausstattung geregelt?

Die kommunale Finanzausstattung ist im wesentlichen in Art. 28 II 3, Art. 106 V -VIII GG, Art. 49 V LVerf-RP und im LFAG (Landesfinanzausgleichsgesetz) geregelt.Art. 28 II 3 GG stellt klar, daß die kommunale Finanzhoheit zur Selbstverwaltungs-garantie gehört. Sie gibt den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht zur eigen-verantwortlichen Einnahme- und Ausgabewirtschaft im Rahmen des geltenden Haus-haltsrechts. Umstritten ist, ob dazu auch ein Anspruch auf aufgabengerechte Finanz-ausstattung oder finanzielle Mindestausstattung gehört (NdsStGH, DÖV 1998, 382;Hufen, DÖV 1998, 276; Volkmann, DÖV 2001, 497).Zu diesem Problemkreis gehört die Frage, ob Bund und Länder mit der Übertragungvon Aufgaben auf die kommunale Ebene zugleich verpflichtet sind, die dafür notwen-digen finanziellen Mittel bereitzustellen (Konnexitätsprinzip). Das Grundgesetz nor-miert in Art. 104a I GG die Konnexität von Aufgabenverantwortung und Ausgabenlastfür das Verhältnis von Bund und Ländern, nicht jedoch für das Verhältnis vonBund und Kommunen. Gemäß Art. 49 V 1 LVerf-RP hat das Land den Gemeindenund Gemeindeverbänden lediglich die zur Durchführung ihrer eigenen und übertrage-nen Aufgaben erforderlichen Mittel zu sichern, in Rheinland-Pfalz besteht damit allen-falls eine relative Konnexität zwischen Aufgabenübertragung und Mittelzuweisung(siehe Dreier, in: ders., GG, Art. 28 Rn 147). Art. 28 II GG schützt die Gemeindenaber vor einer Aushöhlung ihrer freiwilligen Selbstverwaltungstätigkeit durch eineÜbertragung und Ausweitung von Staatsaufgaben und pflichtigen Selbstverwaltungs-aufgaben und gibt ihnen ohne Umweg über das Konnexitätsprinzip einen Anspruchauf Finanzzuweisungen (Hufen, DÖV 1998, 276 [279]).Die einzige nennenswerte eigene Finanzquelle der Gemeinden ist gemäß Art. 106 VI 1GG die in ihrem Aufkommen starken konjunkturell bedingten Schwankungen unter-worfene Gewerbesteuer. (Dramatische Einbrüche in den Jahren 2002/2003 aufgrundbundesrechtlicher Änderungen; 2004-2008 Verbesserung, 2009 aber wieder dramati-sche Einbrüche im Zuge der Finanzkrise). Das Aufkommen der Grundsteuer ist relativ

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gering. Ansonsten erhalten die Gemeinden gemäß Art. 106 V und Va GG Anteile amAufkommen der Einkommen- und der Umsatzsteuer. Von Art. 106 V 3 GG ist bisherkein Gebrauch gemacht worden (dazu Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 106 Rn. 41). DieZuweisungen des Landes an die kommunalen Gebietskörperschaften erfolgen auf derGrundlage des LFAG.Eine wichtige Einnahmequelle der Kreise ist die auf Art. 106 VI 6 GG gestützte und in§ 25 LFAG geregelte Kreisumlage. Diese erhebt der Landkreis von den kreisan-gehörigen Gemeinden und Verbandsgemeinden. Dabei kommt es immer wieder zuAuseinandersetzungen über die Aufgaben, für die der Kreis eine Umlage erhebt undüber ihre Höhe (dazu Schink, DVBl. 2003, 417).

Frage 21

Nennen Sie Stichworte für aktuelle Probleme der verfassungsrechtlichen Selbst-verwaltungsgarantie.

Zunehmende Verrechtlichung führt zu immer stärkerer Rechtsaufsicht.

Finanzieller Spielraum bewegt sich am Minimum, ungewisse Einnahmen, neuePflichtaufgaben.

Strenge gerichtliche Kontrolle der Planungshoheit, Einbindung in überörtlichePlanungen.

Einbindung in Parteipolitik, aber auch Blockade wichtiger Vorhaben auf Ge-meindeebene.

§ 4 Die Träger kommunaler Selbstverwaltung

Frage 22

Wer ist Träger der Selbstverwaltungsgarantie und wie sind diese Träger jeweilsrechtlich konstruiert?

Träger der Selbstverwaltungsgarantie sind Gemeinden, Landkreise und sonstige Ge-meindeverbände. Diese sind eigenständige juristische Personen, Körperschaften miteigener Rechtsfähigkeit und auch Beschwerdefähigkeit vor dem BVerfG. Auf Bezirks-ebene gibt es in Rhl.-Pfalz außer dem Bezirksverband Pfalz (der nicht dasselbe Gebietumfasst wie der frühere Regierungsbezirk Rheinhessen-Pfalz) keine körperschaftlichstrukturierten juristischen Personen. Die Regierungsbezirke sind nur Verwaltungsein-heiten des Landes.

Nun eine sehr formelle Definitionsfrage:

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Was ist eigentlich erforderlich, damit eine "Gemeinde" vorliegt?

Es geht um die konstituierenden Merkmale kommunaler Gebietskörperschaften. InAnlehnung an die Staatsmerkmale der Allgemeine Staatslehre werden diese definiertmit:

Gemeindegebiet, Gemeindeeinwohner, Hoheitsbefugnis.

Frage 23

Ein Teil des Friedhofs der Gemeinde A gehört gebietsmäßig zur Gemeinde B.Wie kann die Eingliederung in das Gebiet von A erfolgen?Kann die Gemeinde A die Eingliederung erzwingen; kann die Gemeinde B sichggf. wehren?

Die Frage betrifft das Gemeindegebiet in § 9 GemO und Gebietsänderungen in § 10GemO. Anders als in Bayern gibt es in Rhl.-Pfalz keine gemeindefreien Gebiete mehr.Streitigkeiten über den Gebietsstand können aber noch entstehen. So im vorliegendenFall: Eingliederung von Teilen in die Gemeinde.

Zu den Klagemöglichkeiten: Eingliederung erfolgt durch Rechtsverordnung des Mi-nisteriums (nicht der Landesregierung); Normenkontrolle auf Antrag der Gemeinde Bnach § 47 VwGO also möglich.

Klage der Gemeinde A auf Eingliederung: diese wäre Normerlassklage. Keine eigeneKlageart. Näheres bei Hufen, VwProzR § 20.

Frage 24

Gibt es einen verfassungsrechtlichen Abwehranspruch gegen Gebiets-änderungen?

Nach h. L. hat die Gemeinde keinen Anspruch aus Art. 28 II GG auf einen unveränder-ten Bestand ihres Gebiets. Nur institutionelle Garantie - Gemeinden müssen aber betei-ligt werden. Eingliederung nur mit Gemeinwohlbezug (Abwägungsentscheidung).

Frage 25

1. Fall: Karl Knast sitzt in der JVA in einer rhl.-pfälz. Gemeinde ein. Er möchtesich in der Gemeindebibliothek weiterbilden.

2. Fall: Der seit neun Jahren in der Gemeinde ansässige Ausländer A hat voneiner "Bürgerversammlung" gehört und möchte daran teilnehmen.

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Beide Fragen betreffen die Grundbegriffe Einwohner und Bürger (§ 13 GemO). In-halt bitte dort nachlesen. Insasse der JVA hat keinen Wohnsitz in der Gemeinde, weiler sich nicht aus eigenem Willen dort aufhält. Er ist nicht Einwohner, kann also auchnicht nach § 14 II GemO die Gemeindebibliothek benutzen.Im zweiten Fall hat der Gesetzgeber die "Bürgerversammlung" in eine Einwohner-versammlung umgewandelt (§ 16 GemO) - nachlesen!

Ratschlag: Unterschied Einwohner und Bürger unbedingt merken.Einwohner = faktischer Zustand, rechtliche Folgen: Nutzungsrechte,Teilnahme an Einwohnerversammlung, Pflicht zur Tragung der Lasten.Bürger = Wahlrecht = polit. Beteiligungsrecht, vergleichbar mitStaatsangehörigkeit.

Frage 26

Sind Gemeinden eigentlich Träger hoheitlicher Gewalt?

Ja, sie üben hoheitliche Tätigkeiten im Selbstverwaltungsbereich und im Bereich über-tragener Angelegenheiten aus. Sie haben damit aber nur mittelbar an der "Staatsge-walt" teil. Die Hoheiten im einzelnen: Verwaltungshoheit, Personalhoheit, Finanzho-heit.

Frage 27

Welche Rolle spielen die Begriffe Stadt, kreisfreie Stadt, große kreisangehörigeStadt?

Stadt = nur historischer Begriff. Die Städte sind Gemeinden (Stadtrechtsverleihungheute eher symbolischer Akt, vgl. § 4 II GemO).

Große kreisangehörige Städte sind wichtig (§ 6 GemO); Einzelheiten dort nachlesen.Wichtigster Punkt: Gr. kr. Städte nehmen diejenigen Auftragsangelegenheiten derKreise wahr, die ihnen nach § 6 II GemO übertragen sind. Bezeichnung in anderenBundesländern: große Kreisstadt, große Stadt usw.

Kreisfreie Stadt - Legaldefinition in § 7 GemO - nachlesen. In Rhl.-Pfalz 12 an derZahl, zumeist Großstädte und besonders herausgehobene Mittelpunktstädte.

Wichtig: Sie nehmen alle Funktionen wahr, die sonst die Landkreise übernehmen.Wichtig ist das wiederum besonders im übertragenen Wirkungskreis.

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Frage 28

Welche beiden "Weichenstellungsnormen" aus der LandkreisO sind für den juri-stischen Fallaufbau besonders wichtig?

§§ 55 und 41 LKO: Doppelfunktion der Kreisverwaltung (im folgenden: KV) und desLandrats. Die KV ist sowohl Behörde der Selbstverwaltungskörperschaft Landkreis alsauch untere Staatsbehörde. Der Landrat ist sowohl Chef der KV als Landesbehörde alsauch Chef der KV als Behörde des Landkreises ("Oberbürgermeister des Landkrei-ses"); er ist Kreisbeamter. Zu beachten sind hier besonders § 55 II LKO und Art. 7 IIund VI KomRÄndG. Nur noch in den in § 55 II Nr. 1 - 3 LKO aufgeführten Bereichenwird die KV als untere Behörde der allgem. Landesverwaltung tätig.

§ 5 Die kommunalen Aufgaben

Frage 29

Was spricht für, was gegen die Privatisierung kommunaler Aufgaben?

Pro:- Kostengünstigere Gestaltung- Flexiblerer Einsatz- Subsidiarität: Chance für freie Unternehmer- europäische Wettbewerbsgleichheit

Contra:- "Rosinen-Herauspick-Effekt" (Gewinnorientierung führt zur Vernach-

lässigung kostenträchtiger Aufgaben und zur Sozialisierung der Verluste)- Gleichheit, Sicherheit, Grundrechtsbindung- Sozialisierung der Verluste- geringe Steuerungsfähigkeit

Frage 30

Was versteht man unter der Doppelfunktion der Kreisverwaltung? Deckt sichdieser Begriff mit dem des Aufgabendualismus?

Die Doppelfunktion der Kreisverwaltung betrifft ihre Stellung als Kreis- und alsStaatsbehörde. Sie ergibt sich aus § 55 I 1 LKO und wird in § 41 I 2 LKO vor-ausgesetzt. Im Gegensatz zu diesem Begriff bezieht sich der des "Aufgabendualismus"nur auf die kommunalen Angelegenheiten (auch) des Landkreises. Er besagt, dass sich

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diese in Selbstverwaltungs- und Auftragsangelegenheiten gliedern. Auftragsangele-genheiten erledigt der Landkreis zwar für den Staat, aber im eigenen Namen.

Frage 31

Wo sind die eigenen, wo die übertragenen Aufgaben der Landkreise im Gesetzgenannt?

- Eigene ( = Selbstverwaltungs-)Aufgaben: § 2 I LKO- Übertragene ( = Auftrags-)Angelegenheiten: § 2 II LKO; nicht zu verwechseln mit der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben nach § 55 II LKO!

Frage 32

Definieren und gliedern Sie den verfassungsrechtlich geschützten Aufgaben-bereich der Gemeinden!

Verfassungsrechtlich geschützt sind nur die Selbstverwaltungsaufgaben der Gemein-den, nicht auch Auftragsangelegenheiten und nicht die Aufgaben der Gemeindever-bände. Gegenstand der Selbstverwaltung sind diejenigen Bedürfnisse und Interessen,die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug ha-ben. Art. 28 II 1 GG schützt einen Kernbereich der gemeindlichen Selbstverwaltungund enthält darüber hinaus ein verfassungsrechtliches Aufgabenverteilungsprinzip hin-sichtlich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zugunsten der Gemeinden(zum Ganzen BVerfGE 79, 127, 150 f. m. w. N.).

Die Selbstverwaltungsaufgaben zerfallen in einen "pflichtigen" und einen freiwilli-gen Teil. Pflichtaufgaben sind etwa die Abfallbeseitigung, die Jugendhilfe und dieBauleitplanung. Zu den freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben gehören kulturelleAufgaben, z. B. auch die Sportförderung und die Erwachsenenbildung. Die Erfüllungder Pflichtaufgaben geht der Inangriffnahme freiwilliger Aufgaben vor. (Deshalb ge-rade in diesen Bereichen erhebliche Sparzwänge).

Frage 33

Nennen Sie Beispiele für den übertragenen Wirkungskreis der Kommunen!Stimmt der Satz: Auftragsangelegenheiten sind staatliche Angelegenheiten?

Beispiele: Straßenverkehr, Passwesen, gesamtes Sicherheitsrecht.Staatliche Aufgaben werden auf die Gemeinde übertragen. Sie werden dadurch zwarnicht zu Selbstverwaltungsaufgaben, sind aber Gemeindeaufgaben.Merke: Die Gemeinde ist nie Teil oder bloßes Werkzeug des Staates.

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Frage 34

Gibt es einen Rechtsschutz für die Gemeinden im Bereich der übertragenen Auf-gaben? Gegen wen muss ggf. der Bürger klagen?

Ein historisches Missverständnis lautet: Auftragsverwaltung sei Staatsverwaltung, da-her befinde sich die Gemeinde hier im staatlichen "Innenbereich"; justiziable Außen-beziehungen beständen nur dem Bürger gegenüber. Das ist nicht richtig: Auch im Auf-tragsbereich sind die Gemeinden juristische Personen mit eigener Rechtsstellung; des-halb wird in Bayern und Hessen besonderer Schutz vor überzogenen Weisungen auchin diesem Bereich gewährt. In folgenden Fragen des Prozessrechts wird die alte Auf-fassung aber weiter mitgeschleppt:

a) Statthaftigkeit von Klagen: keine Anfechtungsklage der Gemeinden gegenFachaufsichtsmaßmaßnahmen, mangels Außenwirkung, nur Unterlassungs- oderFeststellungsklage (a. A.: Hufen, VwProzR, § 14 Rdnr. 40).

b) Klagebefugnis: keine Berufung auf Art. 28 II GG im Bereich der Auftragsange-legenheiten, aber auch keine Anwendung der Adressatentheorie, da nicht VA.Die K. kann sich daher faktisch nur aus Gleichheitsanspruch, Ermessensanspruchoder Verhältnismäßigkeitsprinzip ergeben.

c) Rechtsverletzung: schwer zu konstruieren. Bayern: Anspruch auf sachgerechteErmessensausübung, d. h. gegen überzogene Weisungen im Auftragsbereich.Rheinland-Pfalz hat keine entsprechende gesetzliche Regelung.

Frage 35

Welche Möglichkeiten der privatrechtl. Betätigung der Gemeinde gibt es?

Man trifft hier die aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht bekannte Unterscheidungzwischen:

1) Fiskalischen Hilfsgeschäften der Verwaltung,

2) Erfüllung öffentlicher Aufgaben in Privatrechtsform, sog. Verwaltungsprivatrecht,

3) erwerbswirtschaftlicher Betätigung.

Frage 36

Wodurch unterscheiden sich diese verschiedenen Handlungsformen und wie sindsie jeweils rechtlich zu qualifizieren? Nennen Sie Beispiele!

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a) Fiskalische Hilfsgeschäfte der Verwaltung: Hier werden die für die Verwaltungerforderlichen Sachgüter beschafft, wie z. B. Büromaterial, Verwaltungsgebäudeusw. Die Verwaltung tritt hier wie jeder Private auf und schließt privatrechtlicheVerträge (z. B. Kaufverträge, Mietverträge ...). Maßgebend sind daher die Vor-schriften des Privatrechts und zuständig im Streitfall die Zivilgerichte (bzw.

Arbeitsgerichte). Achtung: große Bedeutung des VergabeR und des entsprechen-den Rechtsschutzes (Vergabekammern und OLG).

b) Sog. Verwaltungsprivatrecht: Hierbei werden Verwaltungsaufgaben in der Formdes Privatrechts erledigt, d. h. privatisiert.

Beispiele: Stadtwerke AG oder GmbH, privatrechtlich organisiertes Theater, pri-vatrechtlich organisiertes Schwimmbad.

c) Erwerbswirtschaftliche Betätigung: Für die Gemeinden enthält § 85 GemO eineausdrückliche Regelung (lesen!). Hier nimmt die Gemeinde wie jeder private Un-ternehmer mit Gewinnerzielungsabsicht am Wirtschaftsleben teil. Entweder wirdsie selbst unternehmerisch tätig oder sie errichtet hierfür eigens Handels-gesellschaften oder beteiligt sich an solchen. Maßgeblich sind auch hier die Vor-schriften des Privatrechts, BGB, HGB, UWG usw.Achtung: Die Gewinnerzielungsabsicht zur Verbesserung des kommunalen Haus-halts ist kein öffentlicher Zweck i. S. d. § 85 I Nr. 1 GemO.

Beispiele: Weinbau in Staatsdomänen, Bierbrauereien (dies kommt aber wohl nurfür den Staat in Betracht);

für die Gemeinde ist denkbar: Verkaufsstelle für Autokennzeichen (Zulässigkeitzweifelhaft, vgl. unten) oder gemeindliches Bestattungsunternehmen (zur Zuläs-sigkeit vgl. ebenfalls unten).

Faustregel: Öffentlich-rechtliche Bindung um so größer, je mehr sich eine Tätigkeitder öffentlichen Aufgabe annähert.

Frage 37

Welche Organisationsformen stehen den Gemeinden bei der Erfüllung ihrer Auf-gaben zu und unter welchen Voraussetzungen ist die Privatisierung von kommu-nalen Einrichtungen zulässig?

Die Eingriffsverwaltung kann wegen der hierfür erforderlichen Zwangsbefugnisse nurvon der Gemeinde selbst durchgeführt werden.Die Gemeinde hat aber bei der Erfüllung ihrer Aufgaben in dem Bereich der Leis-tungsverwaltung, der nicht öffentlich-rechtlich geregelt ist (also dem Bereich der frei-en Selbstverwaltung, z. B. Stadtwerke, Theater, Schwimmbad u. ä.), grundsätzlich einWahlrecht, in welcher Rechtsform sie handeln möchte (zu Problemfeldern vgl. untenFrage 39).Ihr stehen dabei folgende Organisationsformen zur Verfügung:

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Einerseits öffentlich-rechtliche:- Regie- oder Eigenbetriebe- rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts- Zweckverbände und Sparkassen (= rechtlich verselbständigte Organisationsformen)

Andererseits privatrechtliche:

Die Gemeinden dürfen nur solche Gesellschaften gründen oder sich nur an solchenbeteiligen, die die Haftung auf einen bestimmten Betrag begrenzen (§ 87 I GemO).Damit bleiben im wesentlichen nur die folgenden Gesellschaftsformen:

- AG oder GmbH;- bei einer KG – Gemeinde nur als Kommanditistin.

Frage 38

Hat der Einwohner einer Gemeinde, wenn diese beispielsweise ihr Theater oderihre Stadthalle privatisiert hat (z. B. Theater GmbH, oder Stadthallen GmbH),einen Anspruch auf Zugang zu dieser Einrichtung?

Hier bleibt es beim Verwaltungsrechtsweg, wenn der Bürger die Gemeinde verklagtund das "Ob" der Nutzung infrage steht (Zweistufentheorie).Der Benutzungsanspruch wandelt sich aber in einen Verschaffungs- oder Einwir-kungsanspruch gegen die Gemeinde. Diese muss also im Rahmen ihrer rechtlichenMöglichkeiten auf die GmbH einwirken, damit der Einwohner die Einrichtung benut-zen kann. Daraus ergibt sich, dass die Gemeinde bei der Privatisierung ihren Einflussnicht völlig aus den Händen geben darf: Sie muss später immer noch den Verschaf-fungsanspruch des Bürgers erfüllen können.Statthafte Klageart ist nicht die Verpflichtungsklage, sondern die allgemeine Lei-stungsklage auf Einwirkung auf die GmbH.Ein Anspruch gegen die GmbH folgt aus dem Gesichtspunkt des Kontrahierungs-zwangs (seltener Ausnahmefall) und ist auf dem Zivilrechtsweg durchzusetzen.

Frage 39

Welche verfassungsrechtlichen und kommunalrechtlichen Positionen spielen inder gegenwärtigen Diskussion um die Privatisierung eine Rolle?(näheres vgl. von Mutius, Kommunalrecht, Rn. 28 ff.)

1. Verfassungsrechtliche Positionen:- Art. 33 IV GG - Funktionsvorbehalt des öffentlichen Dienstes,

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- Art. 12 I, 14 I GG - Grundrechtsschutz eines eine öffentliche Aufgabe übernehmenden Privaten,- Grundrechte der Einwohner als Leistungsempfänger - Stichworte:

+ Keine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte, d. h. der Ein-wohner kann sich gegenüber einem privaten Träger nicht aufGrundrechte berufen;

+ Grundrechte als Teilhaberechte; kein Anspruch auf Schaffungvon Einrichtungen, aber Anspruch auf Zugang zu bestehendenmonopolisierten Einrichtungen.Beachte: Bei privatisierten Einrichtungen besteht nur dann einZugangsanspruch (und zwar aus dem Gesichtspunkt des Kontra-hierungszwangs), wenn diese eine Monopolstellung innehaben.

- Art. 20 I, 28 I GG - Sozialstaatsprinzip. Aber nur verletzt bei grundsätzlicher Abkehr des Trägers öffentlicher Gewalt - hier der privatisierenden Gemeinde - vom Grundbestand des sozialen Rechtsstaates. - Rechtsstaatsprinzip

2. Kommunalrechtliche Positionen: - Benutzungsanspruch, § 14 II GemO - Kommunalrechtliches Subsidiaritätsprinzip, § 85 I Nr. 3 GemO

Frage 40

Die Gemeinde Kleindorf verfügt über keine eigene Feuerwehr, keinen Kinder-garten und keine Kläranlage. Sie will eine Eissporthalle für 5000 Zuschauer bau-en, weil sonst der EC Kleindorf die Lizenz zur Eishockey-Bundesliga verliert. DieKommunalaufsicht beanstandet den Beschluss. Zu Recht?

Brandbekämpfung, Jugendhilfe und Abwässerbeseitigung gehören zum Pflichtbereichder Selbstverwaltung, die Förderung örtlicher Sportvereine ist eine freiwillige Aufga-be. Solange die Erfüllung der Pflichtaufgaben nicht gesichert ist, darf die Gemeindefreie Aufgaben nicht übernehmen. Daher ist die Beanstandung berechtigt.

Frage 41

Die Mehrheit im Rat der Stadt Treudorf beschließt, dass im GemeindegebietHühner nur noch artgerecht gehalten werden dürfen, d. h. mit einer individuellenScharrzone von je 5 m2. Ist der Beschluss rechtmäßig?

Für einen solchen Beschluss könnte der Gemeinde die Verbandskompetenz fehlen.Außerhalb des Kernbereichs der Selbstverwaltung dürfen sich Gemeinden nur mit An-gelegenheiten befassen, die ihnen gesetzlich zugewiesen sind. Gegenstände der Bun-

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desgesetzgebung können die Länder nicht den Gemeinden übertragen. Der Tierschutzist Inhalt einer konkurrierenden Bundeskompetenz (Art. 74 Nr. 20 GG), von der derBund mit dem TSchG und der LegehennenVO Gebrauch gemacht hat. Die Hühnerhal-tung wird in dem Beschluss der Gemeinde unter Gesichtspunkten der Artgerechtigkeitgeregelt und somit als Frage des Tierschutzes; damit hat der Gemeinderat die Ver-bandskompetenz der Gemeinde überschritten.

Frage 42

Kennen Sie Fallgruppen, in denen derselbe Problemkreis in jüngerer Zeit beson-ders häufig berührt wurde?

- Erklärung der Gemeinde zur atomwaffenfreien Zone: abstrakter Beschluss unzuläs-sig, ein örtlicher Bezug muss vorhanden sein (BVerwGE 87, 228) - Städtepartner-schaft mit Nagasaki genügt aber. Andere Möglichkeit: Stationierung im Ortsgebietist konkret geplant. Ähnl.: gentechnikfreie Zone.

- Verbot von Einwegverpackungen; keine "kommunale Abfallpolitik", BVerwG,NJW 1993, 411. Eine Einweggeschirr-Abgabe ist auch als örtliche Verbrauchssteu-er nach Art. 105 IIa GG nicht zulässig (Abfallsatzung der Stadt Kassel - BVerfGE98, 106, 125).

Frage 43

Worin besteht der Unterschied zwischen kreisfreien und großen kreisangehöri-gen Städten?

Kreisfreie Städte gehören keinem Landkreis an. Ihre Aufgaben umfassen gemäߧ 7 II GemO- sowohl die Selbstverwaltungsaufgaben als auch die Auftragsangelegenheiten der

Gemeinden und des Landkreises,- aber auch bestimmte Aufgaben als Auftragsangelegenheit, die der Kreisverwaltung

als Landkreisbehörde übertragen wären.

Großen kreisangehörigen Städten sind neben den gemeindlichen Auftragsangelegen-heiten auch bestimmte Aufgaben aus dem übertragenen Wirkungskreis des Land-kreises anvertraut; ein praktisch besonders wichtiges Beispiel ist die Bauaufsicht.- In Rheinland-Pfalz erfolgt die Übertragung an Städte über 25 000 Einw. durch Ge-

setz oder RVO im Einzelfall (§ 6 GemO). Zur Rechtsaufsicht vgl. § 118 GemO.Soweit die Aufgabenübertragung reicht, unterliegen die großen Kreisstädte nichtder Aufsicht durch die Kreisverwaltung, sondern durch die Aufsichts- und Dienst-leistungsdirektion.

- In Hessen dagegen haben alle Städte über 50 000 Einw. kraft Gesetzes diese Stel-lung (§ 4a HessGemO).

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§ 6 Hoheitsbefugnisse der Gebietskörperschaften

Frage 44

Welche Rechtsnormen kann eine Kommune erlassen? Welcher Rechtsschutzkommt dagegen in Betracht?

- Satzung = generell-abstrakte Regelung mit Außenwirkung dem Bür-ger gegenüber

- Gefahrenabwehr- = generell-abstrakte Regelung mit Außenwirkung speziell im verordnung Bereich des Ordnungsrechts

- Rechtsnormen besonderer Art = insbesondere: Geschäftsordnung des Gemeinderates

Rechtsschutz ist nach § 47 VwGO möglich, allerdings immer unter der Voraussetzung,dass der Antragsteller auch antragsbefugt ist (mittlerweile enthält § 47 II VwGO einedem § 42 II VwGO entsprechende Regelung, so dass auch bei der Normenkontrollenach § 47 VwGO die Verletzung in eigenen Rechten möglich sein muss). - Sehr um-stritten: Klage auf Normerlass.

Frage 45

Gilt für den gemeindlichen Normerlass das VwVfG?

Nein. Es ist nur auf Verwaltungsverfahren anwendbar; Verwaltungsverfahren sind in§ 9 VwVfG aber definiert durch ihr Ergebnis: Verwaltungsakt oder Verwaltungsver-trag, nicht dagegen Rechtsnormen. Umstritten ist die analoge Anwendung einiger Vor-schriften des VwVfG - etwa § 28: Das BVerwG hält auch vor Erlass grundrechtsrele-vanter Normen keine Anhörung für erforderlich (BVerwGE 59, 48, 55) - Bedenklich!

Frage 46

Kann ein Bürger geltend machen, eine ihn betreffende Satzung seiner Gemeindeverstoße gegen Art. 3 I GG, weil in der Nachbargemeinde etwas anders geregeltist?

Nein. Art. 3 I GG schützt nicht gegen Ungleichbehandlungen vergleichbarer Sach-verhalte durch verschiedene Hoheitsträger.

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Frage 47

Nennen Sie wichtige Beispiele für kommunale Satzungen!

- Hauptsatzung: Pflichtsatzung (§ 25 I GemO); notwendiger Inhalt ergibt sich auseinzelnen Vorschriften der GemO.

- Benutzungssatzungen für öffentliche Einrichtungen (vgl. § 14 II GemO). Heute oftdurch Allgemeinverfügung - § 35 S. 2 VwVfG - ersetzt. Ausnahme: Anschluss- undBenutzungszwang nur durch Satzung regelbar (§ 26 GemO).

- Abgabensatzungen (§ 3 II KAG)- Satzungen nach dem BauGB und der LBauO: Bebauungsplan, Erschließungs-

satzung, örtliche Bauvorschriften.- Als Ergänzung für den Wahlfachbereich: umweltschutzrechtl. Satzungen (Abfall-

satzung); straßenrechtliche Satzungen (Sondernutzungssatzung nach § 42 II LStrG).

Frage 48

Erstellen Sie zur Übung selbst ein Prüfungsschema für die Rechtmäßigkeit einerkommunalen Satzung.

a) Zuständigkeit:aa) Angelegenheit der örtl. Gemeinschaft i. S. v. § 2 I GemO / Art. 28 II GGbb) Organkompetenz des GRates (§ 24 II GemO)

b) Verfahren:aa) Spezialgesetzliche Normen (z. B. BauGB)

bb) Für das Verfahren im Gemeinderat: § 24 GemOBei Verfahrensfehlern ist in der Regel eine rückwirkende Inkraftsetzungmöglich; das ändert grds. nichts an der Begründetheit der Normenkontrolle.

cc) Genehmigungspflicht: Früher wichtiges Thema; heute zumeist abgeschafft.

c) Ermächtigungsgrundlage:Merke: Kompetenz zur Satzungsgebung allein schafft noch keine Eingriffs-grundlage; nötig ist eine gesetzliche Befugnisnorm - Gesetzesvorbehalt (BVerf-GE 6, 247; 33, 125) - Die Ermächtigungsgrundlage muß schließlich auch an-wendbar sein.

d) Kein Verstoß gegen höherrangiges Recht. Prüfungsreihenfolge: Bundes- undLandesgesetz (z. B. § 2 II BauGB); Grundrechte; Satzung muß verhältnismäßigsein und darf nicht gegen den Gleichheitssatz verstoßen.

Näheres bei Hufen, VerwProzR, § 30, Rn. 6 ff.

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Frage 49

Was ist der verfassungsrechtliche Hintergrund der §§ 43 ff. POG?

Diese Vorschriften ermächtigen die Landkreise und Gemeinden zum Erlaß von Gefah-renabwehrverordnungen, und zwar als Auftragsangelegenheit (§§ 89 I, II und 75 IIPOG); § 75 I POG ist insoweit einschränkend auszulegen.

Da das Sicherheitsrecht grundsätzlich nicht zum Selbstverwaltungsbereich gehört,können die Kommunen hier nicht ohne hinreichend bestimmte gesetzliche Ermäch-tigung tätig werden; Art. 28 II GG gilt nicht für übertragene Aufgaben. Einer gesetzli-chen Grundlage bedürfen alle Verordnungen als abgeleitetes Recht aufgrund des Art.110 I LV. Er ist eine besondere Ausprägung des Demokratieprinzips, das eine ununter-brochene Legitimationskette verlangt.

Frage 50

Erstellen Sie zur Übung selbst ein Prüfungsschema für die Rechtmäßigkeit einerkommunalen Gefahrenabwehrverordnung.

1. Zuständigkeit, § 43 POG

2. Verfahren, § 43 POGz.B. Zustimmung des Kreisausschusses, § 43 III POG, Anhörung von Betroffenen,Zustimmung des Gemeinderates, § 43 III POG, Vorlagepflicht, § 44 POG, nichtmehr Genehmigung

3. Form, § 46 POG(Überschrift, Bezeichnung als GefahrenabwehrVO, Zitierpflicht, Geltungsbereich,Zustimmungspflichten, Behörde)

4. Eingriffsgrundlage, § 43 POG i.V.m. abstrakt-generellen Regelungen des Gesetzes(polizeiliche Aufgaben, Gefahrentatbestand mindestens abstrakt).

5. Grenzen nach POG (§ 45 POG)Bestimmtheit, VO darf nicht nur der Erleichterung der Aufsicht dienen und nichtauf allgemeine Bestimmungen verweisen.

6. Übereinstimmung mit höherrangigem Recht (z.B. kein Eingriff in Art. 8 GG)

Beachte: VGH Mannheim, VBlBW 2010, 33 ff., Unwirksamkeit einer Gefahrenab-wehrverordnung, mit der der Alkoholgenuss an bestimmten Orten untersagt werdensollte.

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§ 7 Kommunales Wahlrecht

Frage 51

Darf das passive Wahlrecht in den Gemeinden über die Beschränkung auf voll-jährige Deutsche hinaus auf bestimmte Personenkreise begrenzt werden?

Ja - Art. 137 I GG -, aber nur durch Gesetz und in folgenden Grenzen:Passives Wahlrecht = Wählbarkeit in kommunale Wahlämter. Die Übernahme vonEhrenämtern ist nach § 18 GemO Berechtigung und Verpflichtung der Gemeinde-bürger. Genauere Voraussetzungen enthält § 4 KomWahlG. Der Gemeindebürger-begriff ist definiert in § 13 II GemO; die 3-Monats-Frist dort ist verfassungsgemäß(BVerfG, NVwZ 1993, 55). Altersgrenzen für die Wählbarkeit, die mit der Kontinuitätder Amtsführung u. ä. begründet sind, beschränken den Zugang zu öffentlichen Äm-tern ebenfalls zulässigerweise (BVerfG, DVBl. 1994, 43). Das kommunale Wahlrechtvon EU-Bürgern beruht auf Art. 20 II AEUV.

Frage 52

Was bedeuten die Begriffe „kumulieren“, „panaschieren“ und „Listenstimme“?

Kumulieren: Der Wähler kann bis zu drei Stimmen auf einen Kandidaten "häufeln"(§ 32 I 3 GemO); in Baden-Württemberg und Bayern lange bewährt,in Rheinland-Pfalz erst 1994 eingeführt. Es handelt sich um ein Ele-ment direkter Demokratie i. w. S., da die Wähler die Reihenfolge derListe verändern können.

Panaschieren: ist eine Wahl verschiedener Kandidaten "quer durch die Listen". Eskompliziert die Wahl und erschwert die Findung von Mehrheiten, istaber durch den Gewinn an direktem Bürgereinfluss gerechtfertigt.

Listenstimme: Kreuzt ein Wähler nur die Liste an, so wählt er damit die Kandidatenin der Reihenfolge der Liste.

Frage 53

Vor der Gemeindewahl in der rhld.-pfz. Gemeinde Krähwinkel kandidiert alsdritte Partei neben A und B eine Liste "Junge Bürger", die sich ausschließlichaus Mitgliedern der Jugendorganisation der A-Partei zusammensetzt. Der dannnicht gewählte Kandidat der B-Partei fragt, was zu tun sei.

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Es handelt sich um eine sog. "Tarnliste", die nicht zur Wahl zugelassen werden darf(BVerwG, DVBl. 1992, 436). Parteien dürfen nur eine Liste aufstellen, sonst wird derVorteil des Wahlsystems für die kleineren Parteien wieder aufgehoben.Die Beurteilung mutmaßlicher Tarnlisten enthält ein großes Risiko: die Nichtzu-lassung einer berechtigten Partei macht die Wahl ungültig; die Zulassung einer nicht-berechtigten Partei macht die Wahl aber auch ungültig (besonders streng: derBayVGH; so hatte etwa München im Jahr 1994 mehrere Monate lang keinen Stadtrat.Vgl. aber: BayVerfGH, DVBl. 1993, 836). Das VG Neustadt (NVwZ 1991, 603) siehtdas Problem offenbar eher als politisch an.

§ 8 Die Organe der Gemeinde

Frage 54

Kann der (Ober-)Bürgermeister als Exekutive, der Gemeinderat als Legislativeder Gemeinde beschrieben werden?

Nein. Auch der Gemeinderat ist - trotz der in Art. 28 I GG garantierten demokrati-schen Repräsentation - ein Exekutivorgan der Gemeinde, kein Parlament (BVerfGE78, 344, 348). Auch steht der OB als Vorsitzender und i. d. R. Mitglied des Gemeinde-rats nicht diesem "gegenüber".

Frage 55

Wie wird der Bürgermeister in Rheinland-Pfalz gewählt?

§ 53 GemO: Von den Bürgern der Gemeinde in allgemeiner, gleicher, geheimer, un-mittelbarer und freier Wahl (unmittelbar seit 12. Juni 1994) = "Urwahl" = direkteWahl des BM. Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der Stimmen erreicht hat. Wennkeiner der Bewerber mehr als die Hälfte der Stimmen erhält, erfolgt eine Stichwahl;gewählt ist dann, wer die einfache Mehrheit der Stimmen erreicht hat.

Frage 56

Kann der Bürgermeister in Rheinland-Pfalz abgewählt werden?

§ 55 GemO: Die Abberufung (Abwahl) ist an keine bestimmten gesetzlichen Tatbe-stände gebunden. Sie kann dann rechtmäßig ergehen, wenn zwischen der Gemeinde-vertretung und dem Wahlbeamten - aus welchen Gründen auch immer - nicht mehr dasvon der Gemeindevertretung für wünschenswert gehaltene Vertrauen besteht. Sie istjedoch dann rechtswidrig, wenn

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sie in einem den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprechenden Verfahren er-geht (dezidiert beschrieben in § 55 I GemO !), oderihr in Wirklichkeit nicht vorhandene Tatsachen zugrunde gelegt werden , odermit ihr verfassungswidrige oder sonstige mit dem Gesetz nicht zu vereinbarendeZwecke verfolgt werden (BVerwGE 20, 160, [165]).

Frage 57

Welche Rechtsnatur hat die Abwahlentscheidung ?

Die Rechtsprechung (BVerwGE 20 [(162)]; OVG RhPf, Beschlüsse vom 16.12.1974 -7 B 30/74 - und vom 14.03.1975 - 2 B 13/75, AS 14, 33) und Stimmen in der Literatur(Gern, Kommunalrecht, 2. Aufl., Rdn. 356) sehen in der Abwahlentscheidung einenVerwaltungsakt, der den Außenrechtsstatus des Gewählten beschränkt.

Nach anderer Ansicht (v. Mutius, Kommunalrecht, Rdn. 812; Waechter, Kommunal-recht, Rdn. 370) handelt es sich bei der Abwahlentscheidung bzw. deren schriftlichenBekanntgabe an den Betroffenen nicht um einen VA iSd § 35 VwVfG. Begründet wirddies damit, dass

eine Mitteilung über die erfolgte Abwahl an den Betroffenen keine Regelung ent-halte, sondern nur die kraft Gesetzes eintretende Rechtsfolge der Abwahl kundtue,die Abwahl ein Akt der politischen Willensbildung des Volkes und der kommuna-len Selbstgestaltung sei, der nicht mit der Ausübung von Verwaltungstätigkeitgleichgesetzt werden könne.

Die erstgenannte Auffassung verdient den Vorzug.

Merke: Betrifft eine Entscheidung den Grundstatus des Amtes = Außenwirkung.Gleiche Entscheidung wie bei Gemeinderatsmitgliedern.

Zum Problem der Altersgrenzen von kommunalen Wahlbeamten VerfGH RP, NVwZ2007, 1052.

Frage 58

Der Bürgermeister von Krähberg stimmt ohne Mitwirkung des Gemeinderatsder Schließung einer Schule zu. Ist die Zustimmungserklärung wirksam?

§ 47 I GemO regelt nur die Vertretung nach außen, nicht die interne Zuständigkeits-verteilung und die Folgen fehlender Zuständigkeit im Organverhältnis.

1. Eine Kompetenz des Bürgermeisters kann sich ergeben für:

- Vollzug von GemRats-Beschluss (§ 47 I 2 GemO) - Dauernde Übertragung einer Aufgabe (§ 47 I, letzter Satz, GemO) - Sehr wichtig: Auftragsangelegenheiten (§ 47 I 4 i. V. m. § 2 GemO)

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- Laufende Angelegenheiten (§ 47 I 4 GemO - nur wiederkehrende, alltägliche Angelegenheiten ohne große Bedeutung)

- Eilbedürftige Maßnahmen, die nicht bereits unter die anderen Aufgaben fallen.

2. Heilung eines evtl. Zuständigkeitsmangels: Wenn der BM nicht zuständig war, kann der GRat mit heilender Wirkung zustim-

men. Das gilt nach h. L. sogar nach Ablauf einer für den Außenakt geltenden Frist.

3. Wenn keine Heilung eingetreten ist, wirken nach Rh.-Pf. VerfGH AS 12, 153 dieentsprechenden Handlungen trotzdem für und gegen die Gemeinde im Außen-verhältnis (sehr umstritten).

a) Prozesshandlungen sind ohne interne Zuständigkeit grundsätzlich wirksam.

b) Unwirksam sind m. E. aber öffentlich-rechtliche Erklärungen, wenn eine Zustim-mung der Gemeindevertretung erforderlich ist.

c) Bei der Zusicherung - § 38 VwVfG - war früher sehr umstritten, ob sich das Feh-len einer Ermächtigung durch den Gemeinderat auf die "Zuständigkeit" des BMzur Erklärung auswirkt. Siehe BVerwG, NVwZ 1987, 46 (47): nicht ermächtigterBM ist nicht "zuständige" Behörde (zum Baden-Württ. Landesrecht).

d) Für zivilrechtliche Verpflichtungserklärungen reicht die Vertretungsmacht (einestrengere Linie verfolgt allerdings der BGH; NJW 1986, 1758).

e) Ein vom BM erlassener VA ist i. d. R. nicht nichtig, sondern allenfalls rechtswid-rig (§ 43 VwVfG).

Die Zustimmungserklärung zur Schulauflösung gehört zu Fallgruppe b) und ist damitnach außen unwirksam (s. OVG Koblenz, NVwZ 1986, 1037).

Frage 59

Kann ein einzelnes Gemeinderatsmitglied eine Fraktion bilden und als solche dieMitwirkung in allen Ausschüssen des Rates verlangen?

Die Bildung einer Fraktion ist wichtig wegen des damit verbundenen Unterrichtungs-rechts (§ 33 IV GemO) und des Einflusses auf die Tagesordnung gem. § 34 V GemO.Das Quorum setzt § 30a I 2 GemO: eine Fraktion muss mindestens zwei Mitgliederhaben. Ob die Geschäftsordnung des Gemeinderats diese Mindestzahl je nach Größedes Gemeinderats auch höher ansetzen kann, ist fraglich. Dem Wortlaut der Vorschriftist nicht eindeutig zu entnehmen, wie diese Bestimmung auszulegen ist: In Betrachtkommt einerseits eine einheitliche Festlegung der Mindeststärke einer Fraktion aufzwei Ratsmitglieder. Andererseits könnte diese Regelung auch dahingehend zu verste-hen sein, dass eine Geschäftsordnung als Mindeststärke nicht eine Zahl unter zweivorsehen darf. Nach der Rechtsprechung des OVG Rheinland-Pfalz (Beschl. vom

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23.5.1996 - Az.: 7 A 10099/96) stellt diese Norm eine gesetzliche Festlegung der Frak-tionsgröße unter Ausschluss eines Geschäftsordnungsspielraums dar. Dies ergebe sichaus der Entstehungsgeschichte, der Systematik und nach Sinn und Zweck der Rege-lung.Unübersehbar liegt eine Gefahr der Anerkennung der Fraktionen darin, dass die Stel-lung des einzelnen GRats-Mitgliedes zurückgedrängt wird.Das zeigt sich auch bei der Zusammensetzung von Ausschüssen. Sie wird nach derFraktionsstärke bestimmt (§ 45 I GemO). Ein Ausschuss muss nicht so aufgestocktwerden, daß alle Fraktionen vertreten sein können (OVG Saarlouis, NVwZ 1992, 289).Um so weniger kann ein einzelnes Ratsmitglied verlangen, in allen Ausschüssen zusitzen. Es muß aber die Möglichkeit zur Mitarbeit in wenigstens einem Ausschuss ha-ben (komplizierter zum Bundestag: BVerfGE 80, 188 - Fall Wüppesahl).

Frage 60

Gemeinderatsmitglied Bockig hat mehrmals gegen seine eigene Fraktion ge-stimmt und unterstützt den der Gegenpartei angehörigen OB Graus. Die Frakti-on schließt ihn aus. Dagegen will er klagen.

Hauptproblem ist die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs. Die einsame Stellungdes BayVGH - Fraktionen seien private Vereine - ist nicht mehr haltbar.

Nach h. L., vertreten von OVG Münster, VGH Mannheim u. a., sind die Fraktionenöffentlich-rechtliche Teilorgane; der Streit ist daher öffentlich-rechtlich (OVG Müns-ter, NJW 1989, 1165).

Begründetheitsprobleme: Der Ausschluss ist rechtswidrig, wenn er nicht in einem ord-nungsgemäßen Verfahren zustande kam (Anhörung, ordentliche Tagesordnung, Mehr-heitsentscheidung ohne Beteiligung Dritter, förmliche Begründung).

Inhaltlich könnte er begründet sein durch grob fraktionsschädigendes Verhalten. Störtein Mitglied den Grundkonsens der Fraktion, so ist ihr eine Zusammenarbeit nichtmehr zumutbar. Beispiele wären eine Unterstützung der Republikaner, die Kandidaturfür eine parteifremde Liste, nicht aber ein einzelnes Abstimmungsverhalten oder dieUnterstützung des frei gewählten OB.

Frage 61

Zur Einwohnerversammlung über eine Müllverbrennungsanlage will die A-Frak-tion den bekannten Müllverbrennungsgegner Dr. Luft aus der Landeshauptstadteinladen. Muss er zugelassen werden?

Teilnahme eines Ortsfremden (BayVGH, BayVBl 1990, 178) nur nach Ermessen; Ord-nungsrecht des BM nach § 16 III GemO: "Bei der Aussprache können nur Einwohner

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und Bürger das Wort erhalten; der Versammlungsleiter kann hiervon Ausnahmen zu-lassen".Kein Rechtsanspruch auf Teilnahme; Ortsfremde können jedoch zugelassen werden, indiesem Fall darf einzelnen der Zutritt nicht willkürlich, gleichheitswidrig verwehrtwerden.

Frage 62

Nennen Sie die wichtigsten Organe des Landkreises

1. Allgemeine Tendenz: Landkreis wie kreisfreie Stadt; starke Stellung des Landrats.2. Landrat: Alles wie beim OB (Wahl, keine staatliche Bestätigung - Legitimations-

problem gelöst durch Begrenzung außenwirksamer staatlicher Angelegenheiten).Wichtigster Unterschied: Landrat ist Chef der staatlichen Kreisverwaltung undChef der Landkreisverwaltung (§ 41 I LKO) als Verwaltung der KörperschaftLandkreis. Dem Landrat zugeordnet: Kreisverwaltung (nicht Organ). § 55 LKO:Doppelfunktion als untere staatliche Behörde - hier nur Aufsicht und neu zugewie-sene Aufgaben - und als Verwaltungsbehörde des Landkreises.

3. Kreisbeigeordnete: § 47 LKO - wie Stadt.4. Der Kreistag (könnte auch "Kreisrat" heißen). Ähnlich wie der Stadtrat mit Aus-

schüssen, Fraktionen usw.; auch Ausländerbeirat nach § 40a LKO.

§ 9 Das Verfahren im Gemeinderat

Frage 63

Verstößt die Durchführung einer Gemeinderatssitzung im Hinterzimmer desGasthauses "Blaue Birn" gegen § 35 GemO?

Sitzungen des Gemeinderats sind öffentlich, sofern nicht etwas anderes bestimmt ist(§ 35 GemO). Grenzen, aufgrund derer etwas abweichendes bestimmt werden kann,sind Geheimnisse der Bürger, Personalangelegenheiten und sonstige gesetzlich gere-gelte Fälle.

Die Gemeinderatssitzung im Gasthaus ist jedoch öffentlich, es sei denn, dass die Zu-gänglichkeit nicht gewährleistet ist (z. B. in einem verschlossenen Hinterzimmer). DasOVG Münster (NVwZ 1990, 186) lässt sogar Sitzungen in einer Kaserne zu.

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Frage 64

Gemeinderatsmitglied Bockig hat seine frühere Linie aufgegeben und gibt diesdurch eine Plakette mit der Aufschrift "Stoppt Graus" zu erkennen. Der OBschließt ihn deshalb von der Sitzung aus. Kann sich Bockig unter Berufung aufArt. 5 I 1, 1. Alt. GG gegen den Ausschluss wehren? Wie könnte er eine gericht-liche Kontrolle erreichen?

Ob sich Gemeinderatsmitglieder auf Grundrechte berufen können, ist hoch umstritten.H. L.: Grundrechte sind bürgerliche Rechte, nicht Organrechte. Die Meinungsfreiheitspiele deshalb bei Ausübung des Amtes keine Rolle.Gegenauffassung: Die Rechte des Ratsmitglieds sind nicht trennbar. Die Ausübung derMeinungsfreiheit durch Tragen einer Plakette ist also geschützt, die Gemeindeordnungist aber allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5 II GG (so jetzt auch BVerwG, NVwZ1989, 975). Die Ordnungsbefugnisse des Vorsitzenden nach § 38 GemO schränken dieMeinungsfreiheit demnach ein.Eine gerichtliche Überprüfung des Ausschlusses hat sich nach h.L. ganz an dem Leit-satz zu orientieren: Organe haben nur organschaftliche, nicht bürgerliche Rechte. Esgibt daher keine Außenwirkung bei inter- und intraorganischen Rechtsverhältnissen.

Auswirkungen:

1. Rechtsweg (§ 40 I VwGO) - schwierig, wenn die Subordinationstheorie herange-zogen wird. Nach der modifizierten Subjekttheorie ist aber die GemO insgesamtöffentliches Recht.

2. Beteiligtenfähigkeit (§ 61 VwGO)Einigkeit besteht nur darüber, dass Ratsmitglieder weder als natürliche Personenbeteiligtenfähig sind noch als Organe. Eigentlich sind sie auch nicht juristischePersonen (vielleicht aber deren Teile). H. L. ist wohl, dass § 61 Ziff. 2 VwGOangewandt wird; Ratsmitglieder klagen als Teil einer juristischen Person oder ei-ner Vereinigung.

3. Klageart (§§ 42, 43 VwGO / 35 VwVfG)Maßnahmen im GRat haben keine Außenwirkung, also sind nicht A.- und V.-Klage, sondern nur die Leistungs- oder die Feststellungsklage statthaft.

4. Klagebefugnis: In Frage kommen nur eigene Rechte des Ratsangehörigen - nichtsolche der Gemeinde oder ihrer Organe. Als Organmitglied kann er sich nicht aufbürgerliche Rechte berufen (auch nicht auf die Meinungsfreiheit), nur auf Mit-wirkungsrechte i. S. v. § 30 GemO. An dieser Hürde wird Bockig also scheitern.

Frage 65

Zusatzfrage:

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Welche Mitwirkungsrechte hat das GRatsmitglied? Welche Pflichten?

Mitwirkungsrechte:

a) Allgemeines Mitwirkungsrecht aus § 30 I GemO (weiter als Gesetzeswortlaut). Mitwirkungsrecht durch ordnungsgemäße Information (auf Funktion begrenzt), ord-

nungsgemäße Einberufung, Ladung und Schutz vor persönlichen Gefahren (An-spruch auf Rauchverbot, OVG Münster, DVBl 1991, 498).

b) Wichtig: Antragsrecht nach § 30 IV GemO Anträge im GRat müssen gestellt werden können und auch begründet werden kön-

nen. Besonders wichtig, da in Rhl.-Pfalz der BM allein über die Setzung der Tages-ordnung bestimmt.

Antragsrecht nur für das Gremium, dem der einzelne angehört, also nicht im "frem-den Ausschuss" (VGH Mannheim, NVwZ 1990, 893).

c) Recht auf Mitentscheidung (§ 40 GemO - Beschlussfassung); GRat darf nicht inrechtswidriger Weise ausgeschlossen werden.

d) Statusrechtlicher Schutz: Arbeitsrecht, Kündigungsverbot - § 18 a GemO, Sonder-urlaub (aber keine Ermäßigung des Lehrdeputats für Lehrer und Professoren).

e) Recht auf Auslagenersatz (§ 18 IV GemO) Wichtig: GRat ist aber nicht Beruf wie der des Abgeordneten.

Pflichten:

a) Allgemeine Pflicht jedes Bürgers zur Übernahme eines Ehrenamtes gilt nicht fürdas Amt im GRat (§ 18 I GemO).

b) Schweigepflicht (§ 20 GemO) - bußgeldbewehrt.c) Treuepflicht (§ 21 GemO). Verpflichtung auf Verfassung und freiheitlich-demokra-

tische Grundordnung.d) Vertretungsverbot: GRat darf nicht gegen Gemeinde auftreten oder in staatlicher

Aufsichtsbehörde sitzen. Grundsatz: Trennung von Staat und Gemeinde - wichtig vor allem für Rechtsan-

wälte, (§ 21 I 2 GemO).e) Mitwirkungspflichten aus § 30 I GemO (nicht nur Rechte).

Frage 66

Ist ein Gemeinderat von der Mitwirkung an der Abstimmung über einen Auftragausgeschlossen, den die Gemeinde an seinen Cousin 3. Grades vergibt?Wann liegt ganz allgemein "Befangenheit" vor?

1. Das Mitglied könnte nach § 22 I Nr. 1, 3. Alt. GemO von der Mitwirkung ausge-schlossen sein, weil ein unmittelbar durch den Beschluss Begünstigter sein Ver-

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wandter bis zum dritten Grade ist. Eine Auftragsvergabe begründet einen Son-dervorteil des Auftragnehmers und erfordert dafür keine Zwischenschritte mehr.

Unter Cousins dritten Grades versteht man jedoch in der Umgangssprache Perso-nen, die ein Ur-Urgroßelternteil gemeinsam haben. Diese sind nach der Definitiondes § 1589 S. 3 BGB nur im achten Grad miteinander verwandt. Das Gemeinde-ratsmitglied ist damit nicht von der Teilnahme ausgeschlossen.

2. Befangenheit allgemein nur bei: - Vorteil für GRat selbst oder benannte Personengruppe bzw. Organisation - unmittelbarem Vorteil gerade durch die Entscheidung und - besonderem Vorteil (Abgrenzung von Gruppenvorteil).

Frage 67

Wo ist die Geschäftsordnung des GRats geregelt?Was wissen Sie über die Rechtsnatur?Kann die Geschäftsordnung eines GRats nach § 47 VwGO überprüft werden?

Geregelt ist nur die allgemeine Regelungsbefugnis in § 37 GemO. Gegenüber demBürger entfaltet die GeschO keine Außenwirkung, da sie nur die internen Verhältnissedes GRats regelt. Gegenüber den Ratsmitgliedern ist die GeschO aber eigene Rechts-quelle. Insoweit ist die Normenkontrolle statthaft und eine Antragsbefugnis gegeben(BVerwG, NVwZ 1988, 1119).

Frage 68

Nennen Sie die wichtigsten Stationen einer Prüfung von Gemeinderatsbeschlüssen!

- Ordnungsgemäße Ladung zur und Bekanntgabe der Sitzung (§ 34 II, VI GemO)- Beschlussfähigkeit (§ 39 GemO)- Keine Mitwirkung ausgeschlossener Mitglieder (§ 22 V 1 GemO)- Ordnungsmäßigkeit des Beschlusses (§ 40 GemO)- kein Widerspruch zu sonstigem höherrangigen Recht

Frage 69

Welche Ordnungsbefugnisse hat der BM im Gemeinderat:- den Mitgliedern gegenüber?- randalierenden Zuhörern gegenüber?Was ist im Hinblick auf den Rechtsschutz zu beachten?

Allgemeine Regel: § 36 II GemOVorsitzender sorgt für Aufrechterhaltung der Ordnung und übt das Hausrecht aus.Wichtig: Hier nur Zuständigkeit, nicht Eingriffsbefugnis.

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Für Eingriffsgrundlage zu unterscheiden:a) Gegenüber Mitgliedern - nur § 38 GemO. Voraussetzung: grobe Ungebühr, Verstoß

gegen die Bestimmungen der Geschäftsordnung. Voraussetzung: dreimaliger Ordnungsruf, Einspruch möglich (tritt anstelle des Wi-

derspruchsverfahrens). Voraussetzungen der Störung sind streng (VGH Kassel, DÖV 1990, 622): - Erheblich, Störung des Ablaufs kausal kein berechtigtes Interesse - auch harter Angriff auf BM, wenn Anhaltspunkte möglich (OVG Koblenz, DVBl 1992, 449). - Verhältnismäßigkeit

Rauchen kann Ordnungsverstoß sein, wenn es ein Mitglied stört (OVG Müns-ter, NVwZ 1983, 485).

b) Gegenüber Bürgern (auch der bereits auf der Tribüne sitzende Ausgeschlossene): Hier fehlt eine Rechtsgrundlage in der Gemeindeordnung. Allgemeines Hausrecht;

aber umstritten, ob sich dieses aus dem Polizeirecht oder aus dem öffentlichen Sa-chenrecht ergibt.

M. E.: Überschreitung der Nutzung von Gemeindeeinrichtungen (§ 14 II GemO - Allgemeines Sicherheitsrecht/Öffentliches Recht). Bürger kann sich voll auf Meinungsfreiheit berufen. Hausrecht ist aber ein allgemeines Gesetz i. S. v. Art 5 II GG. (vgl. zur Rechtsnatur des Hausrechts

Maurer, AVwR, § 3, Rn. 24 und Hufen, VwProzR, § 11, Rn. 38).

Rechtsschutzprobleme:

Leitsätze:Keine Außenwirkung bei inter- und intraorganischen Rechtsverhältnissen. Organe ha-ben nur Organrechte, keine bürgerlichen Rechte.

Auswirkungen:1. Rechtsweg - schwierig, wenn Subordinationstheorie (§ 40 VwGO), ansonsten heute

Klärung, Streitigkeit ist justitiabel, d. h. sie wird nach rechtlichen Gesichtspunktenbeurteilt.

2. Beteiligtenfähigkeit des Ratsmitgliedes (§ 61 VwGO) - Einigkeit: nicht natürliche Person, Organ. - Eigentlich auch nicht juristische Person (möglicherweise aber deren Teil). H. L. wohl: Teil einer JP oder Vereinigung (Ziff.2).3. Klageart (§ 42 VwGO / 35 VwVfG) Maßnahmen im GRat haben keine Außenwirkung, also nur Leistungs- oder Fest-

stellungsklage.4. Klagebefugnis: Nicht auf bürgerliche Rechte berufen (Meinungsfreiheit), es können

nur Mitwirkungsrechte i. S. v. § 30 GemO geltend gemacht werden. Nur eigeneRechte - nicht Rechte des Organs oder der Gemeinde.Beispiel:

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GRat klagt gegen Maßnahmen der Staatsaufsicht. Keine Klagebefugnis, da hier nurRechte der Gemeinde betroffen sein können.

5. Passivlegitimation (Wer ist zu verklagen?): § 78 VwGO - Gemeinde als Ganzesoder Organ. Mindermeinung: Nur das Organ.

6. Begründetheit = Rechtsverletzung. Nur Mitwirkungsrechte, nicht bürgerliche Rech-te.

§ 10 Rechte und Pflichten der Bürger und Einwohner

Frage 70

Nochmals: Was ist der Unterschied zwischen Gemeindeeinwohner und Gemein-debürger und welche Bedeutung hat diese Unterscheidung?

Gemeindeeinwohner ist jede natürliche Person, die im Gemeindegebiet wohnt (§ 13 IGemO). Maßgeblich ist hierbei der öffentlich-rechtliche Wohnungsbegriff, d. h., diePerson muß tatsächlich eine Wohnung im Gemeindegebiet unterhalten und es müssenUmstände vorliegen, die auf ihre Beibehaltung und Benutzung schließen lassen. Dasschließt insbesondere in der Gemeinde wohnende Ausländer ein.Im Gegensatz dazu ist Gemeindebürger nur derjenige Einwohner, der Deutscher i. S.des Art. 116 I GG oder Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaates der Euro-päischen Union ist (§ 13 II 1 Nr. 1 GemO), das 18. Lebensjahr vollendet hat (Nr. 2)und mindestens drei Monate im Gemeindegebiet wohnt (Nr. 3). Allerdings ist dasBürgerrecht - anders als das Einwohnerrecht - an den Hauptwohnsitz i. S. des § 16 IMeldeG gekoppelt (§ 13 II S. 2 GemO).

Bedeutung hat die Unterscheidung für die Wahlberechtigung nach § 1 I KWG, derinsoweit eine mit § 13 II GemO gleichlautende Bestimmung enthält.Bedeutung hat die Unterscheidung auch für die einzelnen Mitwirkungsrechte der §§ 14ff. GemO, wo nach Einwohner und Bürger differenziert wird.

Frage 71

Welche Pflichten treffen die Gemeindeangehörigen (Bürger und Einwohner)?

In erster Linie haben die Gemeindeeinwohner und -bürger die Lasten, die im Bereichder Investitionen für öffentliche Einrichtungen anfallen, zu tragen. Diese bestehenhauptsächlich in Steuern, Beiträgen und Gebühren.

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Frage 72

Was ist der Unterschied zwischen kommunalen Steuern, Beiträgen und Gebüh-ren? Nennen Sie Beispiele!

Kommunale Steuern sind zweckunabhängige Geldleistungen zur allgemeinen Finan-zierung. Beispiel: Grundsteuer, Hundesteuer.Kommunale Beiträge sind das Entgelt für den abstrakten wirtschaftlichen Vorteil, derdem Gemeindeangehörigen aufgrund der Möglichkeit der Inanspruchnahme einer öf-fentlichen Einrichtung oder Anlage erwächst. Sie sind also unabhängig von der tat-sächlichen Inanspruchnahme. Beispiel: Erschließungsbeiträge nach §§ 127 ff. BauGBi. V. m. einer kommunalen Satzung.Kommunale Gebühren sind das Entgelt für die tatsächliche Inanspruchnahme eineröffentlichen Einrichtung oder Anlage. Beispiel: Benutzungsgebühren für ein kommu-nales Schwimmbad. Verwaltungsgebühren für begünstigenden VA.

Frage 73

Welche Mitwirkungsrechte – abgesehen vom Wahlrecht -stehen den Gemeinde-angehörigen zu?

Bürger und andere Einwohner:1. Unterrichtung und Beratung (§ 15 GemO)2. Einwohnerversammlung (§ 16 GemO)3. Fragestunde (§ 16a GemO)4. Anregungen und Beschwerden (§ 16b GemO)5. Einwohnerantrag (ab dem 16. Lebensjahr, § 17 GemO)6. Ehrenamtliche Tätigkeit (§ 18 II GemO)

Nur Bürger:7. Bürgerbegehren und Bürgerentscheid (§ 17a GemO)8. Ehrenämter (§ 18 I GemO)

Frage 74

Welche Elemente direkter Demokratie sieht das rheinland-pfälzische Kommunal-recht vor?

1. Einwohnerantrag, § 17 GemO Stellung durch Einwohner - Bürgereigenschaft nicht nötig. Bezieht sich nur auf Be-

ratung im GRat.

2. Bürgerbegehren

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Hier nur Bürger i. S. v. § 13 II GemO = Machtausübung; Bürgerbegehren ist An-trag auf Bürgerentscheid; praktisch Initiativrecht. Ausgeschlossen in Angelegenhei-ten, die nicht in die GRat-Kompetenz oder den Selbstverwaltungsbereich fallen, §17a II GemO. Neuer Versuch erst nach drei Jahren (§ 17 a IV GemO).

Typischer Fall: Staatliche Angelegenheit Tierschutz, Atomwaffenfreie Zone.

Merke: Erfolgreicher Bürgerentscheid entspricht GRats-Beschluss, § 17a VIIIGemO.

Frage 75

Erläutern Sie die Rechtsnatur des Bürgerbegehrens, § 17a GemO !

Die Rechtsnatur des Bürgerbegehrens ist umstritten. Relevant wird dieses Problembspw. bei der Frage nach der statthaften Klageart oder der Frage, ob Maßnahmen ge-genüber dem Bürgerbegehren Außenwirkung haben, somit Verwaltungsakte iSd. § 35VwVfG sein können. Fall: Der Gemeinderat lehnt die Zulassung eines Bürgerbegeh-rens ab. Die Positionen :

Kein Übertritt in das innergemeindliche Kompetenzgefüge durch Einreichungdes Bürgerbegehrens, nur ein plebiszitäres Instrument für die Bürger. § 17a I 1GemO spricht von „Bürgern“. Diese treten als Außenstehende der Gemeindegegenüber, wenn sie ein Bürgerbegehren einleiten. Außenrechtsverhältniszwischen Bürger und Gemeinde (OVG Greifswald, NVwZ 1997, 306, 307;VGH BW, DÖV 1988, 476; van Danwitz, DVBl 1996, 134, 141, Schliesky,DVBl 1998, 169, 170). Die Entscheidung über die Zulässigkeit eines Bürgerbe-gehrens stellt daher ein Verwaltungsakt dar. Wird die Zulassung eines Bürger-entscheids begeht, so muss die Verpflichtungsklage gewählt werden

DAGEGEN: Trotz abschließenden Aufzählung der Gemeindeorgane in § 28GemO ist Bürgerbegehren als Quasi-Organ anzusehen. Die hinter einem Bür-gerbegehren stehende, aus dem vorstaatlichen, gesellschaftlichen Bereichstammende Initiative tritt mit der Konstituierung ihrer Handlungsfähigkeit nachEinreichung des Begehrens bei der Stadtverwaltung – jedoch nur bezogen aufdes vertretene Sachanliegen – in die Ebene einer gemeindlichen Quasi-Organstellung ein (OVG RP, NVwZ-RR 1997, 421). Die hinter dem Bürgerb-ehrens stehenden Initiatoren werden somit nicht in Rechten ihres Außenrechts-kreises tangiert (OVG RP, NVwZ-RR 1997, 241). Da die Unterzeichner mitEinreichung des Bürgerbegehrens eine verbindliche Entscheidung für die Ge-meinde anstreben, die an Stelle des Ratsbeschlusses treten soll, entsteht zwi-schen Rat und den Unterzeichnern ein Konkurrenzverhältnis (zwei möglicheEntscheidungsträger). Wenn der Gemeinderat die Zulässigkeit eines Bürgerbe-gehrens verneint, handelt es sich bei der Entscheidung somit nicht um einenVerwaltungsakt. Eine anderslautende gesetzliche Bestimmung für diesen Fallkennt das rheinland-pfälzische Landesrecht nicht (OVG RP, NVwZ-RR 1997,

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241, 242). es liegt ein Kommunalverfassungsstreit in Form eines Interorgan-streits vor (OVG RP AS 25, 285, 288 – 290; NVwZ-RR 1995, 411,412;OVGRP, NVwZ-RR 1997, 241, VG Leipzig, LKV 2000, 556; Fischer, DÖV 1996,181, 182).

§ 11 Kommunale öffentliche Einrichtungen

Frage 76

Wie definieren Sie "öffentliche Einrichtung"?

Als einen Bestand von Personal- und Sachmitteln zur Erfüllung einer öffentlichenAufgabe.

Beispiele: Musikschule, Müllabfuhr, aber auch Mitteilungsblatt, Homepage der Ge-meinde. Damit ist eine Vielzahl heterogener Erscheinungen erfasst, denen gemeinsamist, dass sie dem wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Wohl der Gemeindeein-wohner dienen sollen (Seewald, Kommunalrecht, in: Steiner, BesVerwR, 8. Aufl.,Rdnr. 140).

Wie entsteht eine Einrichtung – rechtlich gesehen?

Ihre öffentliche Zweckrichtung erhalten die kommunalen Einrichtungen durch den Aktder Widmung. Sie kann in Form der Satzung, der Allgemeinverfügung oder auchdurch schlichten Ratsbeschluss, ja (wenn nicht anders vorgeschrieben) sogar konklu-dent durch faktische Eröffnung vorgenommen werden, wenn nur der Wille zur Über-gabe an die Allgemeinheit vorhanden ist.

Frage 77

Unterliegt die Benutzung öffentlicher Einrichtungen der Gemeinden öffentlichemRecht oder Privatrecht, und haben die Gemeinden dabei die Grundrechte zu be-achten?

Nach der Zwei-Stufen-Theorie ist zunächst zwischen dem Zugang und der Ausgestal-tung des Benutzungsverhältnisses zu differenzieren.

Soweit die Einrichtung auch der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dient, muss der Zu-gang auch öffentlich-rechtlich geregelt werden; im übrigen ist die Gemeinde in derWahl der Rechtsform für den Zugang frei. Mit der Entscheidung für eine privat-rechtliche Organisationsform ist allerdings der Zugriff auf öffentlich-rechtliche Nut-zungsregelungen versperrt (einmal Privatrecht, immer Privatrecht). Hat die Gemeindedagegen den Zugang zur Einrichtung öffentlich-rechtlich gestaltet, so kann sie für dasBenutzungsverhältnis noch zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichenFormen auswählen.

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Die Bindung der Kommunen als Träger öffentlicher Gewalt an die Grundrechte wirdvon der Wahl einer - evtl. auch rechtlich verselbständigten - privaten Rechtsform deröffentlichen Einrichtung nicht berührt. Nur wandelt sich u. U. der Anspruchsinhalt desGrundrechts von einem direkten Zugangsanspruch in ein Recht auf Einwirkung derGemeinde auf den Einrichtungsträger um (Verschaffungsanspruch). Besonders Art. 3 IGG gilt unverändert (nicht unumstritten).

Frage 78

Nennen Sie die Anspruchsvoraussetzungen des § 14 II GemO.

Einwohner

Öffentliche Einrichtung (Widmung), Gemeingebrauch oder Anstaltsgebrauch(nicht nur Verwaltungsgebrauch)

Nutzung im Rahmen der Widmung

Kapazität

Nutzung ansonsten rechtmäßig

Frage 79

Wem steht der Benutzungsanspruch aus § 14 II GemO zu?

- Gemeindeeinwohnern, d. h. natürlichen Personen, die in der Gemeinde wohnen(Definition: § 13 I GemO);

- Juristischen Personen mit Sitz in der Gemeinde (§ 14 V i. V. m. § 14 II GemO); - Natürlichen und juristischen Personen, die in der Gemeinde Grundeigentum

haben oder ein Gewerbe betreiben (§ 14 III GemO, ggf. i. V. m. § 14 V GemO).

Frage 80

Was ist zu beachten, wenn die Kapazität für alle Einwohner nicht ausreicht?

Öffentliche Einrichtungen können in ihrer Kapazität ausgelastet sein. Dann ist der An-spruch begrenzt. Hintergrund: Kein originärer Anspruch, d. h. kein Anspruch aufGründung oder Erweiterung einer Einrichtung (originäres Teilhaberecht), nur Teilhabeam Vorhandenen (Derivatives Teilhaberecht - BVerfGE 33, 303 – Numerus Clau-sus).

Bei knapper Kapazität ist Differenzierung nötig.Bekannte Beispielfälle: Volksfest, Zirkusplätze, Stadthallenkapazität.

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Früher: Weites Ermessen, "bekannt-bewährt-Kriterien" reichten aus (z. B. VGH Mün-chen, NVwZ 1989, 120 - Augsburger Plärrer).Heute: Zugang muß zunächst einmal durch allgemeine Richtlinien, am besten durchSatzung, festgelegt sein (VGH Mannheim, NVwZ-RR 1992, 1990). Gemeinde mußsich Gedanken über die Zuteilung gemacht haben.Bei Volksfest: Platzkonzeption.Auch muss jeder neue Bewerber mindestens eine Chance haben. Es dürfen nicht allePlätze auf Dauer verteilt sein (OVG Münster, DÖV 1991, 653).

Zulässige Differenzierung- Erfahrung, Ortsnähe, Einpassung in ein Konzept- rollierendes System,- wohl auch Losverfahren,- zulässig auch Abstand bei bestimmten Veranstaltungen (z. B. Zirkus, nur alle 6Monate - OVG Münster, NVwZ 1987, 518).

Unzulässig- Differenzierung nach Kriterien, die schon nach Art. 3 III GG ausgeschlossen sind (Geschlecht, Religion, Herkunft).- Verbot der Stadthalle wegen bestimmter Meinung - VGH Mannheim, NVwZ 1990, 93 - Südafrika.- Ehepartner hat schon Zulassung (Verstoß gegen Art. 6 GG).- Bloße Verwaltungsvereinfachung.- Auflage, nur Produkte aus Gemeinde zu beziehen.

Frage 81

Die Partei der Königstreuen, die für die Wiederherstellung der Erbmonarchie inDeutschland eintritt, will ihren Bundesparteitag in der Stadthalle der rheinl.-pfälz. Stadt Ruhsanft abhalten. Der OB und der Gemeinderat sind dagegen. Ha-ben sie eine Chance, den Parteitag zu verhindern?

Neben § 14 II GemO tritt ein besonderer gesetzlicher Nutzungsanspruch gemeindli-cher Einrichtungen für politische Parteien aus § 5 PartG. Dieser Anspruch auf Zugangzu öffentlichen Einrichtungen ist unabhängig von einer "Einwohnerstellung", im Un-terschied zu § 14 IV GemO.

Hauptproblem: Was ist mit verfassungsfeindlichen Parteien? Im Fall der "Königs-treuen" würde die Wiedereinführung der Erbmonarchie gegen die freiheitlich-demo-kratische Grundordnung verstoßen (Republik in Art. 20 GG geschützt). Die Parteikönnte verboten werden. Dennoch ist die Rechtsprechung bis jetzt "eisern". Nichtver-botene Parteien, auch Republikaner, NPD, Kommunisten usw. haben den Anspruchauf Hallennutzung, da das Verbotsmonopol für Parteien beim BVerfG liegt (BVerwG,NJW 1990, 134 - NPD-Parteitag; VGH Mannheim, DÖV 1990, 149).

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Im Prinzip ist dies richtig. Der Nutzungsanspruch kann nur aus Gründen der Widmungversagt werden. Wenn eine Stadthalle für politische Veranstaltungen gewidmet ist,muss sie grundsätzlich auch geöffnet werden. Vorsicht ist geboten vor allen Versu-chen, Straftaten und Ordnungswidrigkeiten schon mit der Zulassung zu verhindern(Beispiel: eine befürchtete Aufforderung zum Volkszählungsboykott). Ein Extremfallwären aber Angriffe auf die Menschenwürde (z.B. Rassismus; Ausländerfeindlich-keit).

Frage 82

Was versteht man unter Anschluss- und Benutzungszwang?

Anschlusszwang = Zwang, einen Anschluss an eine öffentliche Einrichtung zu neh-men, wobei Zuleitungen, Voraussetzungen der Benutzung (z. B. Rohrlegung, Verkabe-lung usw.) eingeschlossen sind. - Der Anschlusszwang reicht alleine nicht aus, um dieNutzung öffentlicher Ver- und Entsorgungseinrichtungen zu sichern. Daher ergänztihn derBenutzungszwang = Gebot ausschließlicher Nutzung, Verbot der Nutzung anderer -auch eigener - Versorgungseinrichtungen. Zur Durchsetzung kann etwa die Verschüt-tung eines eigenen Brunnens, die Verplombung der einzelnen Anlage o. ä. dienen.

Frage 83

Nennen Sie die einzelnen Voraussetzungen der Anordnung des Anschluss- undBenutzungszwangs im Einzelfall.

a) Zuständigkeit der Gemeindeb) Verfahren (VwVfG)c) Eingriffsgrundlage nur Gesetz (§ 26 GemO)d) wirksame Satzung

(1) Zuständigkeit für Satzung: GRat (2) Verfahren = § 24 I GemO + §§ 40 ff. GemO (3) Ermächtigungsgrundlage § 26 GemO usw. (4) Zweck nach der Ermächtigungsgrundlage (Wasserversorgung usw.) (5) Öffentliches Bedürfnis, Frage der Verhältnismäßigkeit, Gemeinwohl,

voll gerichtlich überprüfbares Ziel, z. B. Gesundheit, kein Beurteilungs-spielraum (so noch OVG Lüneburg, DVBl 1991, 1004).

(6) Kein Verstoß gegen sonstiges Recht, z.B. Eigentum, Gleichheit, Religi-onssfreiheit (schöner Beispielsfall: VGH München, NVwZ 1993, 703 -kirchliche Einsegnung in eigener Halle).

e) Anwendbarkeit auf den Einzelfallf) kein Anspruch auf Ausnahme

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(verfassungskonforme Auslegung; insbesondere unbillige Härten müssen verhindert werden); Beispiel: Kachelofen bei Fernheizung, Obstplantage mit eigenem Brunnen

§ 12 Gemeindewirtschaftsrecht

Frage 84

Was ist und wo findet sich der Haushaltsplan einer Gemeinde?

Der Haushaltsplan ist nach § 95 II Nr. 1 GemO Teil der gemeindlichen Haushalts-satzung. Er enthält eine Aufstellung aller für das kommende Haushaltsjahr geplantenEinnahmen und Ausgaben der Gemeinde (§ 96 GemO). Vergleichbar mit dem Staats-haushalt ist er auch insofern, als er nur nach innen Rechtsbindungen auslöst, wie § 96III 3 GemO zeigt.

Frage 85

Unter welchen Voraussetzungen ist die wirtschaftliche Betätigung der Gemeindezulässig?

Die Voraussetzungen ergeben sich aus § 85 I GemO.Danach sind die folgenden drei Voraussetzungen (nebeneinander) zu erfüllen:

1. Ein öffentlicher Zweck muß das Unternehmen rechtfertigen.2. Das Unternehmen muß in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit

der Gemeinde und dem voraussichtlichen Bedarf stehen.3. Der Zweck darf nicht ebenso gut und wirtschaftlich durch einen anderen erfüllt

werden oder werden können.

Die dritte Voraussetzung ist eine Subsidiaritätsklausel, d. h. die Gemeinde als öffent-liche Körperschaft darf erst eingreifen, wenn nicht ein Privater den Zweck ebenso gutund wirtschaftlich erfüllen kann. Diese Regelung verstößt nicht gegen Art. 49 III LV(VerfGH Rhl.-Pfalz, DVBl. 2000, 992).Diese Subsidiaritätsklausel ist in den Gemeindeordnungen unterschiedlich verwirk-licht. In den meisten Gemeindeordnungen ist sie mittlerweile enthalten, siehe nur Bay-ern ähnlich wie in Rheinland-Pfalz (auch dort ist die wirtschaftliche Betätigung unzu-lässig, wenn ein Privater den Zweck genauso gut wie die Gemeinde erfüllen kann).Aber oft scheitert die Zulässigkeit bereits an der ersten Voraussetzung, die in allenGemeindeordnungen in unterschiedlicher Ausprägung enthalten ist. (In Bayern, NRW,Thüringen muß der öffentliche Zweck das Unternehmen erfordern, in RP genügt esdagegen, wenn der öffentliche Zweck das Unternehmen rechtfertigt.)

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Beispielsfälle:Betrieb einer Verkaufsstelle für Autokennzeichen in oder unmittelbar vor der Zulas-sungsstelle. Hier ist kein öffentlicher Zweck ersichtlich, der eine solche Verkaufsstellerechtfertigen würde. Nicht ausreichend ist die Aufbesserung des Gemeindehaushalts.Das BVerwG verlangte (BVerwGE 39, 329, 333), dass der öffentliche Zweck in einerFörderung des gemeinsamen Wohls der Einwohner besteht. Hier ist eine solche Ziel-setzung nicht ersichtlich. Der Verkauf dient nicht etwa dem Schutz der Einwohner vorunzulässigen Autoschildern, sondern vielmehr soll der Schilderverkauf ausschließlichdazu dienen, die kommunalen Finanzen aufzubessern.Betrieb eines gemeindlichen Bestattungsunternehmens. Hier hat das BVerwG einenöffentlichen Zweck anerkannt. Ausreichend sei, dass das Unternehmen das gemeinsa-me Wohl der Einwohner fördere, was in der Regel schon dann gegeben sei, wenn dasUnternehmen nicht ausschließlich auf Gewinnerzielung gerichtet sei. Hier erkanntedas BVerwG als öffentlichen Zweck an, dass ein gemeindliches Bestattungsunterneh-men den in einer seelischen Ausnahmesituation stehenden Hinterbliebenen zu verant-wortungsbewusst festgesetzten, wettbewerbsrechtlich einwandfreien Tarifen und damitangemessenen Bestattungskosten verhelfen und soziale Belange berücksichtigen kann.Außerdem ergebe sich die Möglichkeit, die gesamte Abwicklung der Bestattung, alsodie öffentlich- und privatrechtlichen Geschäfte, in eine Hand zu geben (BVerwGE 39,329, 335 f.).Da die Vorschrift in Baden-Württemberg, die der Entscheidung des BVerwG zugrundelag, damals aber keine Subsidiaritätsklausel enthielt, blieb offen, ob in Rheinland-Pfalzdie Zulässigkeit eines gemeindlichen Bestattungsunternehmens an § 85 I Nr. 3 GemOscheitern würde.

Frage 86

Kann sich ein privater Konkurrent mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage ge-gen die sich unzulässig wirtschaftlich betätigende Gemeinde zur Wehr setzen?

I. Rechtsweg:

Zunächst ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 I 1 VwGO eröffnet, da es hier nichtum die Art und Weise der Betätigung geht (hier wäre Wettbewerbsrecht maßgebendund damit der Zivilrechtsweg eröffnet), sondern um die grundsätzliche Zulässigkeit.Diese richtet sich nach § 85 I GemO und damit nach öffentlichem Recht.

II. Zulässigkeit:

1. Statthafte Klageart wäre eine Unterlassungsklage als Unterfall der allgemeinenLeistungsklage.

2. Klagebefugnis (§ 42 II VwGO analog):Fraglich ist, ob der private Konkurrent klagebefugt wäre, § 42 II VwGO analog.

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In der zivilgerichtlichen Rechtsprechung (OLG Hamm, NJW 1998, 3504; OLG Düs-seldorf, NVwZ 2000, 111; NVwZ 2002, 248) wurde, gestützt auf § 1 UWG, ein Unter-lassungsanspruch des Privatunternehmers gegen die Gemeinde bejaht. Begründet wur-de dies damit, dass bei einem Verstoß gegen die Vorschriften über die wirtschaftlicheBetätigung der Gemeinden zugleich ein Verstoß gegen die guten Sitten im Wettbe-werb vorliege. Dem ist der BGH in seiner jüngsten Entscheidung entgegen getreten(BGHZ 150, 343). Die Sittenwidrigkeit iSd. § 1 UWG sei nicht anzunehmen, wenngegen die kommunalrechtlichen Vorschriften über die wirtschaftliche Betätigung derGemeinden verstoßen werde. Maßgeblich sei vielmehr eine Gefährdung der Lauterkeitdes Wettbewerbs, so dass eine Verletzung des § 1 UWG nur angenommen werdenkönnte, wenn die verletzte Norm zumindest eine sekundäre wettbewerbsbezogeneSchutzfunktion aufweise (BGH, NJW 2000, 3351, 3354 - Abgasemissionen). Die Fra-ge, ob eine Gemeinde sich überhaupt wirtschaftlich betätigen dürfe, sei dem Wettbe-werbsrecht vorgelagert und müsse vor den Verwaltungsgerichten geklärt werden.Nach bisheriger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (BVerwGE 39, 329,336; BVerwG; NJW 1995, 2938; OVG Münster, NVwZ 1986, 1045) hatten privateKonkurrenten keinen Anspruch gegen eine Gemeinde auf Unterlassung einer wirt-schaftlichen Betätigung. Allein ein Verstoß gegen die Vorschriften über die wirtschaft-liche Betätigung der Gemeinden rechtfertige einen Unterlassungsanspruch nicht.Vielmehr setze ein solcher ein die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts(Schutznormtheorie) voraus; dieses werde von den entsprechenden landesrechtlichenRegelungen (in RP: § 85 I GemO) nicht gewährt (so auch Ehlers, DVBl 1998, 497,503; Tettinger, NJW 1998, 3473 - a.A. von Mutius, Kommunalrecht, Rn. 521 ff.; Cos-son, DVBl 1999, 891, 895 f., Hübschle, GewArch 2000, 186, 190; Badura, DÖV 1998,818, 821 f.). Eine Klagebefugnis komme nur dann in Betracht, wenn die beruflicheExistenz des Privatunternehmers (Art. 12 GG) bedroht oder der Wettbewerb gravie-rend beeinträchtigt (Art. 2 I, 3 GG) sei.Für Rheinland-Pfalz hat der Verfassungsgerichtshof (DVBl 2000, 992; zuletzt OVGRP, LKRZ 2007, 22) entschieden, dass § 85 I Nr. 3 GemO nach Wortlaut und Geset-zeszweck drittschützenden Charakter hat. Diese Norm ist zumindest auch dem Schutzvon Individualinteressen derart zu dienen bestimmt, dass deren Inhaber die Einhaltungdes Rechtssatzes soll verlangen können (VerfGH RP, DVBl 2000, 992, 995). Bereitsaus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich eine Sperre für die erwerbswirtschaftliche Betä-tigung der Gemeinden, nämlich wenn ein Privater den öffentlichen Zweck ebenso gutund wirtschaftlich erfüllt bzw. erfüllen kann. Zudem bezweckte der Landesgesetzgebermit dieser Regelung ausdrücklich einen Schutz der Privatwirtschaft, deren Interessennicht beeinträchtigt werden sollten (LT-Drucks. 13/2306, S. 29). Dem steht der ge-meindliche Beurteilungsspielraum nicht entgegen (LT-Drucks. 13/2306, S. 36).Die Klagebefugnis ist somit - zumindest in Rheinland-Pfalz - gegeben. Ähnlich OVGMünster, DVBl. 2004, 133; siehe auch Faßbender, DÖV 2005, S. 89 ff.Beachte aber, dass die Reichweite der Subsidiaritätsklausel in Rheinland-Pfalz jüngsteingeschränkt worden ist. Unternehmen der Energie- und Wasserversorgung sowie desöffentlichen Personennahverkehrs sind ausgenommen.

III. Begründetheit:

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Ob die Unterlassungsklage begründet ist, hängt davon ab, ob dem Konkurrenten einUnterlassungsanspruch gegen die Gemeinde zusteht.Ein solcher könnte sich aus § 1004 BGB analog i.V. mit § 85 I GemO (insbes. Nr. 3)ergeben, wenn der Kläger in einer subjektiven Rechtsposition betroffen ist und die Be-tätigung der Gemeinde nicht dulden muss. [...]

§ 13 Die Staatsaufsicht und deren gerichtliche Kontrolle

(siehe Übersichten auf den Seiten 51, 52, 53)

Frage 87

Weshalb gibt es die staatliche Aufsicht über die Kommunen, und wodurch wirdsie begrenzt?

Alle verselbständigten öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten müssenunter Aufsicht stehen; Gründe sind demokratische Legitimation, Rechtsstaat undGleichheitsgrundsatz (Art. 20 und 3 GG). Selbstverwaltung und Staatsaufsicht stehenin untrennbarem Zusammenhang (BVerfGE 6, 104, 118).

Diese Kontrolle ist Bestandteil der Rechtsstaatlichkeit, also eines objektiven Verfas-sungsprinzips; sie darf daher nicht von Bürgerklagen abhängen.

Andererseits ist zu beachten: Selbstverwaltung heißt eigene Zwecksetzung. Art. 28 IIGG und 49 III LV beschränken die Aufsicht in ihrem Geltungsbereich auf eine Recht-mäßigkeitskontrolle.

Verfassungsrechtliche Lösung: Grundsätzliche Rechtsaufsicht - auch in SV-Angele-genheiten. Fachaufsicht nur bei Auftragsangelegenheiten.

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Prof. Dr. Friedhelm Hufen, Mainz

Behördenzuständigkeiten in Rheinland-Pfalz (Stand: 1. 10. 2003 – vgl. Gesetz vom 21.07.2003, GVBl. S. 212)

Körperschaft oder Einrich-tung

Grundsätzliche Kom-petenznorm

Außenakte: Wider-spruchsbehörde

Außenakte: richtiger Wi-derspruchs- und Klagegeg-ner

Aufsichtsbehörde:Rechtsaufsicht

Aufsichtsbehörde:Fachaufsicht

Aufsichtsakte:Widerspruchsbehörde

Aufsichtsakte: richtigerWiderspruchs- und Klage-gegner

Kreisangehörige (Orts- /verbandsfreie) Gemein-deSelbstverwaltungs-aufgaben

§ 2 I GemO Kreisrechtsausschuß(KRA – nur Rechtmäßig-keitsprüfung), §§ 73 I 2 Nr.3 VwGO, 6 I Nr. 1 lit. d,6 II 1 AGVwGO

Gemeinde, § 78 I Nr. 1VwGO;bei Beschränkung auf Wi-derspruchsbescheid: Land-keis als Träger der Wider-spruchsbehörde

Kreisverwaltung alsstaatliche Behörde,§ 118 I GemO und(klarstellend) § 55 IINr. 1 LKO

keine, vgl.Art. 49 III 2 LVerf

Aufsichts- und Dienstlei-stungsdirektion (ADD),§§ 73 I 2 Nr. 1 VwGO, 118I u. (deklaratorisch) 126GemO; nicht § 6 I Nr. 1 lit.a AGVwGO (s. u.)!

Land Rheinland-Pfalz,§ 78 I Nr. 1 VwGO

Auftragsangelegen-heiten

§ 2 II GemO KRA (unbeschränkt),§§ 73 I 2 Nr. 1 VwGO, 6 INr. 1 lit. d AGVwGO

Gemeinde, § 78 I Nr. 1VwGO; bei Beschr. aufWiderspruchsbescheid:Landkreis als Träger derWiderspruchsbehörde

Teil der Fachaufsicht Kreisverwaltung, ADD,SGD oder Sonderbe-hörde, Art. 49 IVLVerf, § 2 II GemOi. V. m. Fachgesetzen

ADD, Struktur- und Genehmi-gungsdirektion (SGD) oderbesondere Landesmittel-/-oberbehörde, § 73 I 2 Nr. 1,2VwGO i. V. m. Fachgesetzen

I. d. R. Land Rheinland-Pfalz, § 78 I Nr. 1 VwGO; jenach fachgesetzlicher Rege-lung. Landkreis (vgl. §§ 49III Nr. 2, 50 II Nr. 1, 51 S. 1Nr. 3 LStrG)

Verbandsgemeinde

Selbstverwaltungs-aufgaben

§ 67 GemO KRA (nur Rechtmä-ßigkeitsprüfung),§§ 73 I 2 Nr. 3 VwGO,6 I Nr. 1 lit. c,6 II 1 AGVwGO

Verbandsgemeinde,§ 78 I Nr. 1 VwGO;bei Beschränkung auf Wider-spruchsbescheid: Landkreisals Träger der Widerspruchs-behörde

Kreisverwaltung alsstaatliche Behörde,§ 118 I GemO und(klarstellend) § 55 IINr. 1 LKO

keine, vgl.Art. 49 III 2 LVerf

ADD, §§ 73 I 2 Nr. 1 VwGO,118 I u. (deklaratorisch)126 GemO; nicht § 6 INr. 1 lit. a AGVwGO (nurfür Kreisverwaltung alsKreisbehörde)!

Land Rheinland-Pfalz,§ 78 I Nr. 1 VwGO

Auftragsangelegenheiten § 68 GemO KRA (unbeschränkt),§§ 73 I 2 Nr. 1 VwGO,6 I Nr. 1 lit. c AGVwGO

Verbandsgemeinde,§ 78 I Nr. 1 VwGO;bei Beschr. auf Wider-spruchsbescheid: Land-kreis als Träger der Wi-derspruchsbehörde

Teil der Fachaufsicht Kreisverwaltung, ADD,SGD oder Sonderbe-hörde, Art. 49 IVLVerf, § 2 II GemOi. V. m. Fachgesetzen

ADD, SGD oder Sonder-behörde, § 73 I 2 Nr. 1, 2VwGO i.V. m. Fachgeset-zen

I. d. R. Land Rheinland-Pfalz, § 78 I Nr. 1 VwGO;je nach fachgesetzlicherRegelung u. U. Landkreis

Große kreisangehörigeStadtSelbstverwaltungs-aufgaben

§ 2 I GemO Stadtrechtsausschuß (SRA– unbeschränkt), §§ 73 I 2Nr. 3 VwGO, 6 I Nr. 2AGVwGO

Stadt,§ 78 I Nr. 1 VwGO

ADD, § 118 I GemO keine, vgl.Art. 49 III 2 LVerf

ADD, §§ 73 I 2 Nr. 1 VwGO,118 I und (deklara-torisch)126 GemO; nicht § 6 INr. 1 lit. a AGVwGO

Land Rheinland-Pfalz,§ 78 I Nr. 1 VwGO

Auftragsangelegenheiten §§ 2 II, 6 II GemO SRA, §§ 73 I 2 Nr. 1VwGO, 6 I Nr. 2 A-GVwGO

Stadt,§ 78 I Nr. 1 VwGO

Teil der Fachaufsicht Kreisverwaltung, ADD,SGD oder Sonderbehör-de, Art. 49 IV LVerf, § 2II GemO iVm. Fachge-setzen

ADD, SGD oder Sonder-behörde, § 73 I 2 Nr. 1, 2VwGO i.V. m. Fachgeset-zen

I. d. R. Land Rheinland-Pfalz, § 78 I Nr. 1 VwGO;je nach fachgesetzlicherRegelung u. U. Landkreis

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Körperschaft oder Einrich-tung

Grundsätzliche Kom-petenznorm

Außenakte: Wider-spruchsbehörde

Außenakte: richtiger Wi-derspruchs- und Klagegeg-ner

Aufsichtsbehörde:Rechtsaufsicht

Aufsichtsbehörde:Fachaufsicht

Aufsichtsakte:Widerspruchsbehörde

Aufsichtsakte: richtiger Wi-derspruchs- und Klagegegner

Kreisfreie Stadt

Selbstverwaltungs-aufgaben

§ 2 I GemO SRA (unbeschränkt),§§ 73 I 2 Nr. 3 VwGO, 6I Nr. 2 AGVwGO

Stadt,§ 78 I Nr. 1 VwGO

ADD, § 118 I GemO keine, vgl.Art. 49 III 2 LVerf

ADD, §§ 73 I 2 Nr. 2 VwGO,118 I GemO; § 126 Hs. 2GemO ist deklaratorisch

Land Rheinland-Pfalz§ 78 I Nr. 1 VwGO

Auftragsangelegen-heiten

§§ 2 II, 7 II GemO SRA, §§ 73 I 2 Nr. 3VwGO, 6 I Nr. 2AGVwGO

Stadt,§ 78 I Nr. 1 VwGO

Teil der Fachaufsicht ADD, SGD oder Son-derbehörden, Art. 49IV LVerf, § 2 II GemO i.V. m.Fachgesetzen

ADD, SGD oder Sonder-behörde, § 73 I 2 Nr. 1, 2VwGO i.V. m. Fachgeset-zen

Land Rheinland-Pfalz,§ 78 I Nr. 1 VwGO

Landkreis

Selbstverwaltungs-aufgaben

§ 2 I, III - V LKO KRA, §§ 73 I 2 Nr. 3VwGO, 6 I Nr. 1 lit.a AGVwGO

Landkreis,§ 78 I Nr. 1 VwGO

ADD, § 61 I LKO keine, vgl.Art. 49 III 2 LVerf

ADD, §§ 73 I 2 Nr. 2 VwGO,61 II LKO; § 69 Hs. 2 LKOist deklaratorisch

Land Rheinland-Pfalz,§ 78 I Nr. 1 VwGO

Auftragsangelegen-heiten

Fachgesetze(vgl. § 2 II LKO)

KRA, §§ 73 I 2 Nr.1 VwGO, 6 I Nr. 1lit. a AGVwGO;Baurecht: SGD,§ 6 III AGVwGO

Landkreis,§ 78 I Nr. 1 VwGO;bei erstmaliger Beschwereines Dritten durch WSpr-Bescheid: LK, §§ 78 II, I Nr.1 VwGO, 7 I 2 Hs. 1AGVwGO; bei Beschrän-kung auf W-Bescheid imFall von § 6 III AGVw-GO: Land

Teil der Fachaufsicht ADD, SGD oderSonderbehörden,Art. 49 IV LVerf,§ 2 II LKO (nicht § 55I 2 oder § 61 I LKO!)

ADD, SGD oder Sonder-behörde, § 73 I 2 Nr. 1, 2VwGO i.V. m. Fachgeset-zen

Land Rheinland-Pfalz,§ 78 I Nr. 1 VwGO

Kreisverwaltung alsstaatliche Behörde(= untere Behörde derallgemeinen Staatsver-waltung)

§ 55 II LKO bzw.Fachgesetze

ADD, § 73 I 2 Nr. 1VwGO i. V. m.Fachgesetzen

Land Rheinland-Pfalz,§ 78 I Nr. 1 VwGO;

vorgesetzte Dienststellen; keine Aufsicht,sondern unbeschränktes Weisungsrecht,§ 55 I 2 LKO

keine nicht gegeben

Mittel-/Oberbehörden

ADD, SGD,Sonderbehörden

Fachgesetze, bei ADDund SGD i. V. m. §§ 7ff. VerwORG

ADD/SGD/Sonder-behörde,§ 73 I 2 Nr. 2 VwGO

Land Rheinland-Pfalz,§ 78 I Nr. 1 VwGO

vorgesetzte Dienststellen; keine Aufsicht,sondern unbeschränktes Weisungsrecht

keine nicht gegeben

Oberste Landesbehörde

(= Landesministerium) Art. 105 II 1 LVerf entfällt, vgl. § 68 I 2Nr. 1 VwGO (außer §126 III Nr. 2 BRRG)

Land Rheinland-Pfalz,§ 78 I Nr. 1 VwGO

Aufsicht durch den Minister, Richtlinien-kompetenz des Ministerpräsidenten,Art. 104 S. 1, 2 LVerf

keine nicht gegeben

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Kommunalaufsicht in Rheinland - Pfalz

Entscheidung derGemeinde

rechtmäßig rechtswidrig

Satzung usw. Genehmigungsanspruch§ 119 GemO

Verpflichtungsklage begründet

keine Genehmigung§ 119 GemO

Verpflichtungsklage unbegründet

positiveEinzelentscheidung

Unterrichtung§ 120 GemO

Unterlassungs-/evtl. Feststellungsklage

* * *

kein Eingriffsrecht -Aufsichtsmaßnahme selbst

rechtswidrig

Anfechtungsklage begründet

Unterrichtung§ 120 GemO

Unterlassungs-/evtl. Feststellungsklage

* * *

- Beanstandung§ 121 GemO

- Aufhebungsverlangen§ 121 GemO

- Anordnungsrecht§ 122 GemO

- Aufhebungsrecht,bei Nichttätigwerden der Ge-meinde Ersatzvornahme hin-sichtlich “Wiederherstellung”

§ 123 GemO- Bestellung eines Be-

auftragten§ 124 GemO

Anfechtungsklage unbegründet(außer bei Unverhältnismäßigkeit)

Unterlassen,Nichterfüllung

- Unterrichtung§ 120 GemO

- keine Zwangsmittel, daSelbstverwaltungsaufgabe

Anfechtungsklage begründet

- Unterrichtung§ 120 GemO- Anordnung§ 122 GemO

(Achtung: Ermessen beach-ten !)

- Ersatzvornahme§ 123 GemO

Anfechtungsklageunbegründet

(außer wenn verbleibendes Ermessenmißachtet; dann Klage evtl. teilweisebegründet oder unverhältnismäßigesAufsichtsmittel)

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Frage 88

Stellen Sie den Zusammenhang der Unterscheidung zwischen Rechts- und Fach-aufsicht mit der Trennung der Kommunalaufgaben in eigene und übertrageneeinerseits, mit dem Gegensatz von unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermes-sensnormen andererseits dar!

Selbstverwaltung nur Rechtsaufsicht

Auftragsverwaltung Fachaufsicht (einschließlich Rechtsaufsicht)

Unbestimmte Rechtsbegriffe durch Rechtsaufsicht voll überprüfbar

Ermessen in Selbstverwaltungs- nur auf Ermessensfehler überprüfbar,angelegenheiten konkrete Anweisung nur bei Ermes-

sensreduzierung auf Null zulässig.

Frage 89

Welche Mittel der Rechtsaufsicht kennen Sie? Rechtsschutzmöglichkeiten?

1. Präventives Mittel = Genehmigungsvorbehalt (§ 119 I GemO)

2. Repressive Mittel= Aufsicht im eigentlichen Sinnea) Unterrichtung, Information (§ 120 GemO)b) Aufsichtsmittel gegen rechtswidriges Tun der Gemeinde

- Beanstandung (§ 121 GemO)- Aufhebungsverlangen (§ 121 GemO); Entscheidung bleibt wirksam- Aufhebung durch die Aufsichtsbehörde (§ 123 GemO), Wirksamkeit

fällt weg- Ersatzvornahme hinsichtlich der "Folgenbeseitigung"

Wichtig ist diese Reihenfolge i. S. d. Verhältnismäßigkeit: Das je-weils mildere Mittel muß zuerst angewandt werden (Stufenfolge).

c) Aufsichtsmittel gegen rechtswidriges Unterlassen der GemeindeVoraussetzung: Handlungspflicht (Achtung: Nicht aus zivilrechtlichen

Ansprüchen)- Anordnung (§ 122 GemO)- Ersatzvornahme (§ 123 GemO)

d) Ultima ratio: Einsetzung eines Staatskommissars bei grober Pflichtver-säumnis oder Entscheidungsunfähigkeit der Gemeinde (§ 124 GemO) undAuflösung des GRats nach § 125 GemO (disziplinarrechtliche Maßnahmengegen den BM bleiben unberührt).

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Zum Rechtsschutz der Gemeinde: Regelungen der Rechtsaufsicht haben grundsätzlichAußenwirkung, sind also Verwaltungsakte. Die Klagebefugnis folgt aus Art. 28 II GG.Adressatentheorie hier umstritten.

Frage 90

Kann sich die Gemeinde gegen Fachaufsichtsakte wehren? Gegen wen müsste sieggf. klagen?

Immer zulässig: Klage auf Feststellung, dass es sich nicht um eine der Fachaufsichtunterliegende Materie handelt.

H. L. in Rhl.-Pfalz und Hessen ist, dass Fachaufsichtsmaßnahmen schon mangels Au-ßenwirkung nicht angegriffen werden können. Die Gemeinde habe überdies keine"wehrfähige Position", die eine Klagebefugnis begründen könnte. Hier zeigt sich einegravierende Vernachlässigung der Eigenständigkeit der Gemeinden. Die Gemeindewird fälschlich als Teil des Staates begriffen. Typisch für den Fall der Bauge-nehmigung ist die Entscheidung des VGH Kassel in BauR 1989, 450. Hier spricht derVGH nur von einer Anweisung der höheren an die untere Bauaufsichtsbehörde.

Maßnahmen der Fachaufsicht können die Selbstverwaltung aber sehr stark tangieren(z. B. im Straßenverkehrsrecht die Anordnung von Halteverbotszonen). M. E. mußdeshalb ein Recht zur Anfechtung unverhältnismäßiger Fachaufsichtsmaßnahmen be-stehen. Richtig löst diese Frage der BayVGH (BayVBl. 1985, 368): Eine "wehrfähigePosition" gegen unverhältnismäßige Eingriffe in Straßenverkehrsangelegenheiten wirddort abgeleitet aus Art. 109 BayGO.

Richtiger Beklagter wäre immer der Staat, d.h. das Land als Träger der Fachauf-sichtsbehörden; dies folgt aus § 78 VwGO. Eine Ausnahme enthält das rhl.-pf.AGVwGO für die Klage eines erstmalig durch den Widerspruchsbescheid des Kreis-rechtsausschusses gem. § 6 I Nr. 1a AGVwGO beschwerten Dritten. Träger der Aus-schüsse ist der Landkreis (§ 7 I 2, 1. Hs. AGVwGO). Daher muss der Dritte nach§ 78 II, I Nr. 1 VwGO den Landkreis verklagen.

Die Klagebefugnis folgt nach h.L. nicht aus Art. 28 II GG, da der Selbstverwaltungs-bereich jedenfalls nicht unmittelbar angesprochen ist. Vertretbar: Klagebefugnis ausArt. 28 II GG i.V. mit Anspruch auf zweckentsprechende Ermessensausübung.

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§ 14 Verbandsgemeinden und Gemeindeverbände

Frage 91

Welche Arten kommunaler Zusammenarbeit kennen Sie? Ordnen Sie Stellungund Funktion der Verbandsgemeinde ein.

Die Verbandsgemeinde ist als die rh.-pf. Form der Verwaltungsgemeinschaft – dieForm der engsten Zusammenarbeit zwischen Gemeinden. Sie ist nicht selbst Gemein-de, sondern ein Gemeindeverband mit eigener Rechtspersönlichkeit (§ 64 GemO), ne-ben dem die Ortsgemeinden rechtlich selbständig bestehen bleiben. Diesen verbleibenallerdings nicht viele eigene Zuständigkeiten. Immerhin ist die Bildung einer Ver-bandsgemeinde gegenüber der verfassungsrechtlich möglichen völligen Auflösungsicherlich das mildere Mittel. (Zur Vertiefung: Frers, DVBl. 1989, 449 ff.)

Weitere Formen der kommunalen Zusammenarbeit sind - in aufsteigender Intensität -:

- die verschiedenen Möglichkeiten informeller Kooperation (Gemeindetag, Städte-tag, Landkreistag sind wichtige und mächtige Verbände),

- die Kommunale Arbeitsgemeinschaft,- die Zweckvereinbarung, auch schlicht "öffentlich-rechtliche Vereinbarung" ge-

nannt, und- der Zweckverband, d. h. eine eigenständige Körperschaft mit begrenzten Aufga-

ben, deren Mitgliederkreis Kommunen verschiedener Ebenen, aber auch privateRechtsträger umfassen kann; er ist geregelt im ZweckVG (Hu-fen/Jutzi/Westenberger, Landesrecht RP Nr. 36).