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Konkret 12/08, S. 47 | Thomas Uwer Germanisch denken in Deutschland ist jedes Jahr Carl-Schmitt-Jahr. Er ist »kein Einzelfall«, schrieb Nicolaus Sombart über den Staatsrechtler Carl Schmitt. »Er ist auch nicht originell. Er ist vielleicht nur der prominenteste Exponent einer ganzen Generation ›deutscher Männer‹ ... (und seine wissenschaftliche Theoriebildung) das Symptom einer Krankheit.« Ein hierzulande besonders beliebtes Symptom, weshalb auch 75 Jahre nachdem Carl Schmitt den Deutschen Juristentag darüber belehrte, daß »der Wille des Führers Recht ist« resp. sein »Wille heute der Nomos des deutschen Volkes«, kein Jahr vergeht, in dem das deutsche Feuilleton nicht durch eine weitere Neuerscheinung zum Sauerländer Arcanum in eine Art Ausnahmezustand gerät. Mitunter schafft allein die Zeitrechnung Abstand. Als das letzte internationale Jahr der Frau begangen wurde, ließ der »liebe Herr Staatsrat« a. D. Carl Schmitt noch seinen »lieben Herrn Jünger« nebst Gemahlin herzlich grüßen, auch von seinem »guten Hausgeist Fräulein Stand«. In Deutschland hingegen vergeht kein Jahr, das nicht Carl-Schmitt-Jahr wäre. Daß es nicht um die deutsche Krankheit selbst, sondern um die klassische Schönheit des Symptoms gehe, ist die Ausrede, die zur Rechtfertigung der jeweils letzten Neuauflage Schmitts bemüht wird. Schmitt, so wird üblicherweise behauptet, sei schlechterdings zu »brillant« gewesen, um ihn seiner politischen Unkorrektheit wegen zu ignorieren. Sein beflissenes Wirken für die Nazis wird zum biographischen Makel, der Makel zum rätselhaften Phänomen, das Phänomen zum »Arcanum«. Geheimnis und Täuschung aber liegen da so nahe beieinander, daß die Grenzen verschwimmen. »Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler und der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes« – setzt Gerd Giesler im Nachwort zur jüngsten Schmitt-Veröffentlichung ( Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber) präzise an, nur um Schmitts Beitrag zum NS-Staat um so effektvoller verdampfen zu lassen – »war Carl Schmitt bereit, in der neuen Regierung mitzuarbeiten, um im Umkreis der Macht zu wirken.« Und er wirkte: »Deutsches Blut und deutsche Ehre (sind die) Hauptbegriffe unseres Rechts«, schrieb Schmitt über die Nürnberger Rassegesetze; den NSDAP-Parteitag von 1935 nannte er den »Reichsparteitag der Freiheit«. 1936 organisierte und leitete er die Tagung »Das Judentum in der Rechtswissenschaft«, auf der es darum ging, den »Kampf gegen die Herrschaftsansprüche jüdischen Wesens und jüdischen Geistes« auch wissenschaftlich zu führen. »Indem ich mich des Juden erwehre«, zitierte Schmitt Adolf Hitler im Eröffnungsvortrag, »kämpfe ich für das Werk des Herren«; er befaßte sich sodann mit der Klärung der »vielen Einzelfragen« wie »der Frage nach Halbjuden, jüdisch Versippten usw.«. Der ganz persönliche Nomos des Carl Schmitt war sein Judenhaß. Und auch da war er wenig originell. Das Geheimnis Carl Schmitts ist, daß es keines gibt. Das belegen insbesondere die postum veröffentlichten Texte. Schmitt war, im Privaten noch schlimmer als in seinem öffentlichen Wirken, ein paranoider Antisemit, der »die reale Möglichkeit der physischen Tötung« von Menschen als das »Wesentliche« pries und sich selbst zugleich als »vergewaltigtes« Opfer eines alliierten »Vernichtungseifers« sah, weil ihn bei der Naßrasur in der Nürnberger Haft ein amerikanischer GI bewachte. Die von Schmitt selbst zur existentiellen Haltung stilisierte Pose, sein »Recht auf Arcana«, war einerseits Ausdruck der eitlen Lebenslüge, »nichts anderes getan (zu haben), als wohlüberlegte, wohldurchdachte, uneigennützige und wohlwollende Warnungen auszusprechen«. Andererseits ist der Begriff des Arcanums von ebenso zentraler Bedeutung für den gesamten Schmittschen Theoriesumpf wie derjenige des Nomos. Letzterer bezeichnet das sowohl christlich wie auch völkisch begründete Gegenmodell zum jüdischen Gesetzesdenken (und insbesondere zum verhaßten Rechtspositivismus des von Schmitt als »Jude Kelsen« denunzierten Rechtswissenschaftlers Hans Kelsen). »Die verschiedenen Völker und Rassen sind verschiedenen Denktypen zugeordnet«, schrieb Schmitt in Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, »und mit der Vorherrschaft eines bestimmten Denktypus kann sich eine geistige und damit politische Herrschaft über ein Volk verbinden.« Der Nomos entspricht dem »germanischen Denktypus«, er bezeichnet ein Recht, das über dem Gesetz steht, ein konkretes räumliches »Ordnungsdenken«. Arcanum ist der Weg dorthin. Das »Geheimnis«, das Schmitt seit den zwanziger Jahren umtrieb, ist nicht viel mehr als der seit Beginn der bürgerlichen Gesellschaft gehegte Verdacht, als wahr und ewig angenommene Güter und Werte könnten sich in Wahrheit als zur Disposition der Mächtigen stehende Lügen erweisen. Daß das Recht die unmittelbare Gewalt durch Gesetz abzuschaffen verspreche, zugleich aber von der Fähigkeit zur Anwendung ebensolcher Gewalt lebe, war schon immer Gegenstand der Kritik am liberalen Denken. Hinter dem Gesetz steht stets der Staat als Souverän, der die Fähigkeit zur Gewalt lediglich verdrängt, nicht aber abgeschafft hat. Um diesem Widerspruch zu entkommen, hat sich Schmitt auf die Suche nach dem »wahren« Wesen des Politischen begeben. Arcanum ist hier nicht mehr als die Vorstellung, daß das Wesen des Politischen sich hinter dem Vordergründigen verberge. »Zu jeder Politik gehört das Arcanum«, ihr geheimes, eigentliches Wesen, jenseits und über Vernunft und Gesetz, die Wahrheit hinter der Wahrheit. Die Wahrheit hinter dem verlegerischen Interesse an Carl Schmitt hängt aufs engste damit zusammen. Der Antiliberalismus nicht nur Schmitts verabscheut an der bürgerlichen Vergesellschaftung zuförderst ihre Widersprüchlichkeit. Daran hat sich nichts geändert, vielmehr scheint es, als wachse zugleich mit diesen Widersprüchen das Bedürfnis, sie zugunsten einer Wahrheit aufzulösen, die um so wertvoller erscheint, je reiner und klarer, also widerspruchsloser sie ist. Nicht immer war Schmitt so gefragt wie heute. Als der Hessische Rundfunk 1954 ein Gespräch mit ihm aufzeichnen wollte, fand sich niemand, der mit Schmitt reden mochte. Schmitt schlug daher vor, das Manuskript in Dialogform kurzerhand selbst zu verfassen. Entstanden ist das unlängst erneut veröffentlichte Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber , ein spannungsloses Lehrstück, dessen einziger Reiz in der abenteuerlichen Schlingerfahrt liegt, mit der Schmitt jeder Erinnerung an den Nationalsozialismus ausweicht. Der Autor tritt als gütiger Lehrer auf, sein Gegenüber, den er »J. – ein junger Jahrgang« nennt, kauert ihm zu Füßen. »Woher stammt die ungeheure Macht, die, sagen wir, Stalin oder Roosevelt oder wen immer man hier nennen mag, über Millionen anderer Menschen ausgeübt hat?«, fragt J. in einer der schönsten Passagen seinen Meister. Schmitt: »Die Macht, die ein Mensch über andere Menschen ausübt, stammt von den Menschen selbst.« J.: »Dann ist es ja gut. Auch Stalin war ein Mensch; auch Roosevelt oder wen immer man hier nennen mag.« Fünfzehn Jahre zuvor hatte Schmitt noch geantwortet, daß der Wen-immer-man-hier- nennen-mag seine Macht aus wahrer Führerschaft beziehe, weil »Führen etwas ist, das auf Artgleichheit zwischen Führer und Gefolgschaft beruht«. Daß er davon 1954 nichts mehr wissen wollte, ist ein Arcanum, das er mit anderen Deutschen teilte. Einen Tag nach Ausstrahlung des Stücks im Rundfunk bedank te sich Schmitt bei der Redaktion. »An manchen Stellen«, schreibt er, »hat mich die Kraft und die Eindringlichkeit des Vortrags ergriffen.« ? Carl Schmitt: Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber. Klett-Cotta, Stuttgart 2008, 96 Seiten, 16 Euro Christian Linder: Der Bahnhof von Finnentrop. Eine Reise ins Carl Schmitt Land. Matthes & Seitz, Berlin 2008, 478 Seiten, 34,90 Euro Tomas Uwer kommentierte in KONKRET 11/08 in der Serie »’68 – What’s left« die Notstandsgesetze

Konkret Schmitt

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Page 1: Konkret Schmitt

Konkret 12/08, S. 47 | Thomas Uwer Germanisch denken in Deutschland ist jedes Jahr Carl-Schmitt-Jahr.

Er ist »kein Einzelfall«, schrieb Nicolaus Sombart über den Staatsrechtler Carl Schmitt. »Er ist auch nicht originell. Er ist vielleicht nur der prominenteste Exponent einer ganzen Generation ›deutscher Männer‹ ... (und seine wissenschaftliche Theoriebildung) das Symptom einer Krankheit.« Ein hierzulande besonders beliebtes Symptom, weshalb auch 75 Jahre nachdem Carl Schmitt den Deutschen Juristentag darüber belehrte, daß »der Wille des Führers Recht ist« resp. sein »Wille heute der Nomos des deutschen Volkes«, kein Jahr vergeht, in dem das deutsche Feuilleton nicht durch eine weitere Neuerscheinung zum Sauerländer Arcanum in eine Art Ausnahmezustand gerät. Mitunter schafft allein die Zeitrechnung Abstand. Als das letzte internationale Jahr der Frau begangen wurde, ließ der »liebe Herr Staatsrat« a. D. Carl Schmitt noch seinen »lieben Herrn Jünger« nebst Gemahlin herzlich grüßen, auch von seinem »guten Hausgeist Fräulein Stand«. In Deutschland hingegen vergeht kein Jahr, das nicht Carl-Schmitt-Jahr wäre.

Daß es nicht um die deutsche Krankheit selbst, sondern um die klassische Schönheit des Symptoms gehe, ist die Ausrede, die zur Rechtfertigung der jeweils letzten Neuauflage Schmitts bemüht wird. Schmitt, so wird üblicherweise behauptet, sei schlechterdings zu »brillant« gewesen, um ihn seiner politischen Unkorrektheit wegen zu ignorieren. Sein beflissenes Wirken für die Nazis wird zum biographischen Makel, der Makel zum rätselhaften Phänomen, das Phänomen zum »Arcanum«. Geheimnis und Täuschung aber liegen da so nahe beieinander, daß die Grenzen verschwimmen. »Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler und der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes« – setzt Gerd Giesler im Nachwort zur jüngsten Schmitt-Veröffentlichung (Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber) präzise an, nur um Schmitts Beitrag zum NS-Staat um so effektvoller verdampfen zu lassen – »war Carl Schmitt bereit, in der neuen Regierung mitzuarbeiten, um im Umkreis der Macht zu wirken.« Und er wirkte: »Deutsches Blut und deutsche Ehre (sind die) Hauptbegriffe unseres Rechts«, schrieb Schmitt über die Nürnberger Rassegesetze; den NSDAP-Parteitag von 1935 nannte er den »Reichsparteitag der Freiheit«. 1936 organisierte und leitete er die Tagung »Das Judentum in der Rechtswissenschaft«, auf der es darum ging, den »Kampf gegen die Herrschaftsansprüche jüdischen Wesens und jüdischen Geistes« auch wissenschaftlich zu führen. »Indem ich mich des Juden erwehre«, zitierte Schmitt Adolf Hitler im Eröffnungsvortrag, »kämpfe ich für das Werk des Herren«; er befaßte sich sodann mit der Klärung der »vielen Einzelfragen« wie »der Frage nach Halbjuden, jüdisch Versippten usw.«. Der ganz persönliche Nomos des Carl Schmitt war sein Judenhaß. Und auch da war er wenig originell.

Das Geheimnis Carl Schmitts ist, daß es keines gibt. Das belegen insbesondere die postum veröffentlichten Texte. Schmitt war, im Privaten noch schlimmer als in seinem öffentlichen Wirken, ein paranoider Antisemit, der »die reale Möglichkeit der physischen Tötung« von Menschen als das »Wesentliche« pries und sich selbst zugleich als »vergewaltigtes« Opfer eines alliierten »Vernichtungseifers« sah, weil ihn bei der Naßrasur in der Nürnberger Haft ein amerikanischer GI bewachte. Die von Schmitt selbst zur existentiellen Haltung stilisierte Pose, sein »Recht auf Arcana«, war einerseits Ausdruck der eitlen Lebenslüge, »nichts anderes getan (zu haben), als wohlüberlegte, wohldurchdachte, uneigennützige und wohlwollende Warnungen auszusprechen«. Andererseits ist der Begriff des Arcanums von ebenso zentraler Bedeutung für den gesamten Schmittschen Theoriesumpf wie derjenige des Nomos. Letzterer bezeichnet das sowohl christlich wie auch völkisch begründete Gegenmodell zum jüdischen Gesetzesdenken (und insbesondere zum verhaßten Rechtspositivismus des von Schmitt als »Jude Kelsen« denunzierten Rechtswissenschaftlers Hans Kelsen). »Die verschiedenen Völker und Rassen sind verschiedenen Denktypen zugeordnet«, schrieb Schmitt in Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, »und mit der Vorherrschaft eines bestimmten Denktypus kann sich eine geistige und damit politische Herrschaft über ein Volk verbinden.« Der Nomos entspricht dem »germanischen Denktypus«, er bezeichnet ein Recht, das über dem Gesetz steht, ein konkretes räumliches »Ordnungsdenken«. Arcanum ist der Weg dorthin.

Das »Geheimnis«, das Schmitt seit den zwanziger Jahren umtrieb, ist nicht viel mehr als der seit Beginn der bürgerlichen Gesellschaft gehegte Verdacht, als wahr und ewig angenommene Güter und Werte könnten sich in Wahrheit als zur Disposition der Mächtigen stehende Lügen erweisen. Daß das Recht die unmittelbare Gewalt durch Gesetz abzuschaffen verspreche, zugleich aber von der Fähigkeit zur Anwendung ebensolcher Gewalt lebe, war schon immer Gegenstand der Kritik am liberalen Denken. Hinter dem Gesetz steht stets der Staat als Souverän, der die Fähigkeit zur Gewalt lediglich verdrängt, nicht aber abgeschafft hat. Um diesem Widerspruch zu entkommen, hat sich Schmitt auf die Suche nach dem »wahren« Wesen des Politischen begeben. Arcanum ist hier nicht mehr als die Vorstellung, daß das Wesen des Politischen sich hinter dem Vordergründigen verberge. »Zu jeder Politik gehört das Arcanum«, ihr geheimes, eigentliches Wesen, jenseits und über Vernunft und Gesetz, die Wahrheit hinter der Wahrheit.

Die Wahrheit hinter dem verlegerischen Interesse an Carl Schmitt hängt aufs engste damit zusammen. Der Antiliberalismus nicht nur Schmitts verabscheut an der bürgerlichen Vergesellschaftung zuförderst ihre Widersprüchlichkeit. Daran hat sich nichts geändert, vielmehr scheint es, als wachse zugleich mit diesen Widersprüchen das Bedürfnis, sie zugunsten einer Wahrheit aufzulösen, die um so wertvoller erscheint, je reiner und klarer, also widerspruchsloser sie ist.

Nicht immer war Schmitt so gefragt wie heute. Als der Hessische Rundfunk 1954 ein Gespräch mit ihm aufzeichnen wollte, fand sich niemand, der mit Schmitt reden mochte. Schmitt schlug daher vor, das Manuskript in Dialogform kurzerhand selbst zu verfassen. Entstanden ist das unlängst erneut veröffentlichte Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber, ein spannungsloses Lehrstück, dessen einziger Reiz in der abenteuerlichen Schlingerfahrt liegt, mit der Schmitt jeder Erinnerung an den Nationalsozialismus ausweicht. Der Autor tritt als gütiger Lehrer auf, sein Gegenüber, den er »J. – ein junger Jahrgang« nennt, kauert ihm zu Füßen. »Woher stammt die ungeheure Macht, die, sagen wir, Stalin oder Roosevelt oder wen immer man hier nennen mag, über Millionen anderer Menschen ausgeübt hat?«, fragt J. in einer der schönsten Passagen seinen Meister. Schmitt: »Die Macht, die ein Mensch über andere Menschen ausübt, stammt von den Menschen selbst.« J.: »Dann ist es ja gut. Auch Stalin war ein Mensch; auch Roosevelt oder wen immer man hier nennen mag.«

Fünfzehn Jahre zuvor hatte Schmitt noch geantwortet, daß der Wen-immer-man-hier- nennen-mag seine Macht aus wahrer Führerschaft beziehe, weil »Führen etwas ist, das auf Artgleichheit zwischen Führer und Gefolgschaft beruht«. Daß er davon 1954 nichts mehr wissen wollte, ist ein Arcanum, das er mit anderen Deutschen teilte. Einen Tag nach Ausstrahlung des Stücks im Rundfunk bedankte sich Schmitt bei der Redaktion. »An manchen Stellen«, schreibt er, »hat mich die Kraft und die Eindringlichkeit des Vortrags ergriffen.« ?

Carl Schmitt: Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber. Klett-Cotta, Stuttgart 2008, 96 Seiten, 16 Euro Christian Linder: Der Bahnhof von Finnentrop. Eine Reise ins Carl Schmitt Land. Matthes & Seitz, Berlin 2008, 478 Seiten, 34,90 Euro Tomas Uwer kommentierte in KONKRET 11/08 in der Serie »’68 – What’s left« die Notstandsgesetze

Page 2: Konkret Schmitt

Konkret 03/04, S. 64 | Helmut Ess l Macht schafft Recht Ein Spaziergang durch das Gedankengebäude des Staatsrechtlers Carl Schmitt.

Die Renaissance des Staatsrechtlers und einstmaligen Nazi-Apologeten (Der Führer schützt das Recht) Carl Schmitt, der seit Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem öffentlichen Bewußtsein nahezu verschwunden war und seit Anfang der neunziger Jahre wieder in den Köpfen herumspukt, ist merkwürdig und irritierend zugleich. Hobbes’ »geistiger Nachfahr im 20. Jahrhundert« (Helmut Rumpf) ist mega-in. Nicht nur die hiesige extreme Rechte (»Criticón«, »Junge Freiheit«) verehrt den Theoretiker des starken Staates, amerikanische Konservative wie Robert Kagan haben Schmitt »inzwischen sogar mit wachsen- der Begeisterung in den Vereinigten Staaten rezipiert«, und »auch im jüngsten postmodernen Diskurs«, schreibt die »Frankfurter Rundschau«, sei Schmitt »längst angekommen«.

Woher rührt die Lust an der Revitalisierung eines obsoleten Ordnungsdenkers und Konstrukteurs des starken und homogenen Kommandostaates? Der Hobbesianismus ist schon immer »die Schlechtwetter-Philosophie der bürgerlichen Gesellschaft« (Walter Euchner) gewesen, seine schlichte Herrschaftsformel lautet »Legitimität durch protectio«, Gewährung von Schutz vor dem äußeren und inneren Feind. Als Gegenleistung darf Gehorsam erwartet werden – der Preis für das Niederhalten des Chaos.

In den USA hat der 11. September Involutionstendenzen beschleunigt, und mit Carl Schmitts souverän-dezisionistischem »Recht der hostis-Erklärung« läßt sich das Supra-legem-Vorgehen auf Guantanamo bestens rechtfertigen. Die »Blätter für deutsche und internationale Politik« haben schon versucht, eine geistige Seilschaft von Carl Schmitt über Leo Strauss zu Paul Wolfowitz und Richard Perle nachzuweisen.

Auch hierzulande ist schlecht Wetter, seitdem die rheinische Formel »Legitimität durch Prosperität«, das Zusammenspiel von Wachstum und Wohlfahrt nicht mehr funktioniert. Wie immer in Zeiten der Krise und verschärfter Verteilungskonflikte besinnt der etatistische Konservatismus sich auf sein Credo, daß der Staat letztlich auf Zwang beruhe, nicht auf Konsens. Nur mit Zwang kann er Privilegien vor dem Ansturm der Depravierten schützen. Und da kommt Carl Schmitt gerade recht. Wes Geistes Kind der Hofierte ist, zeigt ein Spaziergang durch das Gedankengebäude dieses »konservativen Revolutionärs«:

Carl Schmitts 1927 erschienene Schrift Der Begriff des Politischen und der darin aufgestellte Feindbegriff sind so etwas wie der geistige Fluchtpunkt seiner Staatstheorie. Schmitt bedauert, daß im 20. Jahrhundert die Suprematie des Staates über die Gesellschaft verlorengegangen sei und damit die Möglichkeit, den Begriff des Politischen aus dem Begriff des Staatlichen herzuleiten. Nun müsse das Politische auf etwas zurückgeführt werden, das außerhalb des Staatlichen stehe bzw. es erst begründe: die Unterscheidung zwischen Freund und Feind. Sie sei die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen. Das gelte wie zwischen den Staaten auch im Staat, der als politische Einheit von sich aus ... auch den »inneren Feind« bestimmt. Nur dadurch lasse sich die Suprematie des Staates über die Gesellschaft wiederherstellen – worauf es ankommt, ist immer nur der Konfliktfall. Politik ist Krieg, Innenpolitik ist Bürgerkrieg.

Schmitts Feindtheorie verwahrt sich gegen jeglichen anthropologischen »Optimismus«. Sie richtet sich zugleich gegen moderne pluralistische Ideen von Staat und Gesellschaft, die das Prinzip einer umfassenden, alle innenpolitischen Gegensätzlichkeiten relativierenden politischen Einheit untergraben, indem sie an die Stelle des Feindbegriffs die politische Konkurrenz und den Konsens, an die Stelle des Staates die Gesellschaft, an die Stelle des Kampfes die soziale Programmatik und an die Stelle natürlicher Macht die Polarität von Ethik und Ökonomie setzten. Doch das modern-liberale System habe auf Dauer keine Chance, weil es selbst neue Feindgruppierungen produziere und folglich der Konsequenz des Politischen nicht zu entrinnen vermöge.

Dieses Gemenge aus verquaster Existenzphilosophie und apodiktischer Herrschaftstheorie, das Schmitts Begriff des Politischen ausmacht, vermag natürlich jeden Etatisten, dem der Staat zum Fetisch seiner Männerphantasien (Nicolaus Sombart) wird, zu begeistern. Wenn ein von der Kette gelassener Wirtschaftsliberalismus soziale Normen zur Disposition stellen soll, wird natürlich sofort an eine obrigkeitsstaatliche Nuancierung real existierender Demokratie, sprich: an Präventivstrategien zur Sicherung der vermeintlich gefährdeten bürgerlichen Ruhe gedacht. Ökonomisches Laisser-faire hat seinen ordnungspolitischen Preis.

1923 legte Schmitt erstmals seine Streitschrift Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus vor. Darin findet sich der Satz: Jede wirkliche Demokratie beruht darauf, daß nicht nur Gleiches gleich, sondern, mit unvermeidlicher Konsequenz, das Nichtgleiche nichtgleich behandelt wird. Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen. Die Nazis haben den Satz auf ihre Weise interpretiert. Seiner ethnisch fundierten »Demokratie« bescheinigt Schmitt, sie dürfe einen Teil der vom Staate beherrschten Bevölkerung ausschließen ..., ohne aufzuhören, Demokratie zu sein. Als Beispiel nennt er die Aussiedlung der Griechen aus der damaligen Türkei und die frühere australische Einwanderungsgesetzgebung, die nur den right type of settler ins Land ließ.

Page 3: Konkret Schmitt

Das Ideal einer homogenen Gemeinschaft, welche die Demokratie erst konstituiere, findet Schmitt in der Republik Rousseaus, die keine Heterogenität, sprich: konkurrierende egoistische Interessen, kenne. Die volonté générale, wie Rousseau sie konstruiert, ist in Wahrheit Homogenität. Das ist wirklich konsequente Demokratie . In Volksentscheid und Volksbegehren treibt Schmitt seine merkwürdige Rousseau-Interpretation auf die Spitze: Denn die eigentliche Tätigkeit, Fähigkeit und Funktion des Volkes, der Kern jeder volkshaften Äußerung, das demokratische Urphänomen, das, was auch Rousseau als eigentliche Demokratie vorgeschwebt hat, ist die Akklamation, der zustimmende oder ablehnende Zuruf der versammelten Menge.

Rousseaus direkte Demokratie, der Prozeß »freier Vereinbarung und diskursiver Willensbildung« (Habermas), schrumpft bei Schmitt zum bloßen Akklamationsritual, der Ort der Souveränität wird nach außen verlagert: Ein Volk ... vertraut einem Führer und billigt einen Vorschlag aus dem politischen Bewußtsein der Zusammengehörigkeit und Einheit mit dem Führer, ... und seine Entscheidungen sind immer richtig, solange es ungebrochene politische Instinkte hat und Freund und Feind zu unterscheiden weiß. Schöner ließ sich die Sportpalastdemokratie der Nazis nicht vorwegnehmen.

Die auf Pluralität und Repräsentation beruhende parlamentarische Parteiendemokratie aber erschöpfe sich in einem gegenstandslosen, inhaltsleeren Funktionalismus rein arithmetischer Mehrheitsfeststellung, der die natürliche völkische Interessenidentität zugunsten der Herrschaft einer formal zustande gekommenen Mehrheit über eine Minderheit aufhebe. Schon allein das parlamentarische Wahlverfahren widerspreche einer unmittelbaren und homogenen Demokratie, da jeder einzelne Bürger in tiefstem Geheimnis und völliger Isoliertheit ... seine Stimme abgibt.

Schmitts Volksgemeinschaft kommt gänzlich ohne Parlament aus, diese künstliche Maschinerie, die den einheitlichen Staat zu einem mehrschichtigen Sozialgebilde herabmindere. Die Parteien seien aufgrund ihrer egoistischen Interessen nicht zur Bildung eines übergeordneten einheitlichen Staatswillens in der Lage, sondern verwandelten im Gegenteil alle öffentlichen Angelegenheiten in Beute- und Kompromißobjekte. Der Parteienstaat als Emanation des Gesellschaftlichen sei im eigentlichen Sinne keine über alles und allem stehende echte Kraft, sondern ein schwaches und mediokres Gebilde, das wegen der ständigen Konkurrenz um Machtanteile den Bürgerkrieg bloß begünstige.

Wie eine in seinem Sinne echte Kraft zu definieren sei, hat Carl Schmitt in seiner 1922 erschienenen Politischen Theologie dargelegt: Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Diese Instanz braucht, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben. Schmitt bezieht sich dabei auf Hobbes’ Prämisse, daß Macht und nicht Wahrheit Recht schaffe. So legitimiert sich auch der Schmittsche Souverän bloß durch seine Fähigkeit, im dräuenden Chaos Ordnung zu stiften.

Das reale Pendant zum fiktionalen Idealtypus fand Schmitt vor der Machtübergabe an die Nazis in der durch die Weimarer Verfassung 1919 festgelegten Stellung des Reichspräsidenten als Hüter und Wahrer der ... Einheit und Ganzheit, der die pluralistischen Verirrungen des Parteienstaates zu korrigieren und, wo nur herumdebattiert werde, zu entscheiden habe. Das in Artikel 48,2 der Weimarer Verfassung verankerte präsidiale Notverordnungsrecht, sprich: die präsidiale Diktatur, wird von Schmitt uminterpretiert zum demokratischen Nonplusultra. In ihm findet seine Vorliebe für eine reine, nicht räsonierende und nicht diskutierende, sich nicht rechtfertigende, also aus dem Nichts geschaffene absolute Entscheidung ihre Erfüllung.

Die Funktionsweise dieses gelenkten, regressiven Systems ist simpel: Autorität von oben, Vertrauen von unten. Das Gerüst, mit dem Schmitt den modernen Staat des 20. Jahrhunderts vor dem Einsturz bewahren will, ist ein Konstrukt der Vormoderne. Wie für Hobbes ist auch für Schmitt die Staatsgewalt alles, der einzelne nichts.

Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus:

Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien. Berlin 1963 Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus. Berlin 1961 Carl Schmitt: Volksentscheid und Volksbegehren. Ein Beitrag zur Auslegung der Weimarer Verfassung und zur Lehre von der unmittelbaren Demokratie. Berlin und Leipzig 1927 Carl Schmitt: Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität. München und Leipzig 1934 Carl Schmitt: Der Hüter der Verfassung. Tübingen 1931 Helmut Essl ist Redakteur der »Schwäbischen Tagblatts« in Tübingen

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Konkret 04/03, S. 54 | Gerhard Scheit Politische Theologie In seiner »Theorie des Partisanen« hat Carl Schmitt die Rechtfertigung des Selbstmord-Attentats vorweggenommen.

Carl Schmitt war der erste Globalisierungskritiker. Mitten im Zweiten Weltkrieg malte sich der konservative Staatsrechtler und Nazi-Apologet eine Weltordnung aus, die weit über den Kalten Krieg hinauswies: die One World, in der eine einzige Supermacht übriggeblieben ist.

Die mit dem Westen verbündete Sowjetunion spielt in Schmitts Überlegungen schon 1942 kaum eine Rolle mehr. Vermutlich ging er davon aus, daß der Feind im Osten von den Armeen Hitlers bereits so gut wie zerschlagen sei. Damit verliert auch der manifeste Antikommunismus wesentlich an Bedeutung. Um so mehr gewinnt die Westfront: Denn in den Vereinigten Staaten sieht Schmitt einen »Beschleuniger wider Willen«, der letztlich doch nur die Sache der Deutschen besorge. »Das große Thema des gegenwärtigen Weltkrieges liegt gerade in dem Gegensatz gegen eine solche universale Weltmacht und ihren Weltordnungsanspruch. Gegen den Universalismus anglo-amerikanischer Weltherrschaft hat sich der Gedanke einer in kontinental zusammenhängende Großräume sinnvoll eingeteilten Erde durchgesetzt. Es kann keine gelenkte Weltwirtschaft geben.« Jeder aufmerksame Beobachter habe auch »die Selbstwidersprüche bemerkt, an denen die westliche Hemisphäre seit langem krankt und die seit dem Beginn der imperialistischen Zeit, seit 1898, so erstaunlich gewachsen sind, daß der Gedanke einer von dort her kommenden neuen Weltordnung grotesk erscheint« (»Beschleuniger wider Willen«, 1942).

Da wird erkennbar, daß Schmitt in seiner Depotenzierung der Rechtsidee, in der Unterwerfung der Rechtsordnung unter den Begriff der Souveränität, die Ordnung des Kapitals treffen wollte, wie sie ihm als deutschem Staatsrechtler eben erschien. Zu der »imperialistischen Wirklichkeit eines ökonomischen Welthandelsanspruchs ... gehört die grenzenlose, universale Intervention. Die Interessen eines Weltkapitalismus zwingen zu einer allgegenwärtigen, ›ubiquitären‹, Einmischungs- und Nicht-Anerkennungspolitik, die sich anmaßt, zu jeder an irgendeinem Punkt der Erde eintretenden Änderung der Lage von Washington aus das Placet zu erteilen oder zu verweigern.« Die Regierung in Washington agiert Schmitt zufolge nicht als Souverän der Welt, der im Ausnahmezustand aktiv werden muß und soll, sondern als Organ, das lediglich auf die Verletzung des Rechts reagiert – mit dem Staatsrechtler und Schmitt-Antipoden Hans Kelsen gesprochen: das also den Zwangsakt exekutiert, der im Recht selbst vorgesehen ist und wodurch allein der bedingende Tatbestand als Unrecht, der bedingte als Recht qualifiziert wird; mit einem Wort: als Weltpolizist.

Die Vereinigten Staaten »überziehen die ganze Erde mit einem System von Luftstützpunkten und Luftfähren und proklamieren ein ›amerikanisches Jahrhundert‹ unseres Planeten ... Nachdem die letzte dieser globalen Linien, die Linie der westlichen Hemisphäre, in einen grenzenlosen, globalen Interventionismus umgeschlagen ist, hat sich eine völlig neue Situation ergeben. Gegen die Ansprüche einer universalen, planetarischen Weltkontrolle und Weltherrschaft verteidigt sich ein anderer Nomos der Erde, dessen Grundidee die Einteilung der Erde in mehrere, durch ihre geschichtliche, wirtschaftliche und kulturelle Substanz erfüllte Großräume ist.« So wie er stets aus der Ausnahme von der Regel seinen Dezisionismus ableitete, so hält Schmitt nun – über die kommende Niederlage Deutschlands hinausdenkend – fest, »daß die Erde immer größer bleiben wird als die Vereinigten Staaten von Amerika und daß sie auch heute noch groß genug ist für mehrere Großräume, in denen freiheitsliebende Menschen ihre geschichtliche, wirtschaftliche und geistige Substanz und Eigenart zu wahren und zu verteidigen wissen« (»Die letzte globale Linie«, 1943).

Theorie des Partisanen

Den freiheitsliebenden Menschen, also den Deutschen, ihre geschichtliche, wirtschaftliche und geistige Substanz und Eigenart zu wahren und zu verteidigen, hieß, immer neue Steigerungsformen von Vernichtung und Krieg herbeizuführen. Nachdem diese Beschleunigung zuletzt aber durch den »Beschleuniger wider Willen« gestoppt, der Großraum der Vernichtung durch die Alliierten des Universalismus gestürmt werden konnte, meinte Carl Schmitt voller Resignation, daß nun auch das wichtigste Organ der freiheitsliebenden Menschen abstirbt: die Souveränität als das Monopol der politischen Entscheidung, die bei Schmitt, wie Karl Löwith bereits früh festgehalten hat, auf der »Bereitschaft zum Nichts, welches der Tod ist«, gründet, auf dem »Opfer des Lebens an einen Staat, dessen eigene ›Voraussetzung‹ schon das Entscheidend-Politische ist«. Die Epoche der Staatlichkeit, so Schmitt, gehe jetzt zu Ende: »Darüber ist kein Wort mehr zu verlieren. Mit ihr geht der ganze Überbau staatsbezogener Begriffe zu Ende, den eine europa-zentrische Staats- und Völkerrechtswissenschaft in vierhundertjähriger Gedankenarbeit errichtet hat. Der Staat als Modell der politischen Einheit. Der Staat als Träger des erstaunlichsten aller Monopole, nämlich des Monopols der politischen Entscheidung, dieses Glanzstück europäischer Form und occidentalen Rationalismus, wird entthront« (Der Begriff des Politischen, Vorwort von 1963). Was Schmitt bereits vor dem Nationalsozialismus befürchtete und dann durch diesen abgewendet sah, das werde nun doch verwirklicht: »Der Souverän, der im deistischen Weltbild, wenn auch außerhalb der Welt, so doch als Monteur der großen Maschine geblieben war, wird radikal verdrängt. Die Maschine läuft von selbst« (Politische Theologie, 1922).

Aber der politische Theologe hörte nicht auf, nach dem Sandkorn im Getriebe zu suchen. Und er fand es trotz seiner politischen Herkunft und bereits mitten im Kalten Krieg – also in jener Ordnung, die er als abstrakte so sehr verabscheute –

Page 5: Konkret Schmitt

im Phänomen des Partisanen. Von ihm war er offenkundig fasziniert, ihm widmete er eine eigene Theorie (Theorie des Partisanen, 1963) – denn der Partisan erscheint wie der Retter des Politischen in einer Welt, in der die Souveränität des Staates preisgegeben wird. Mit seinem »intensiv politischen Charakter« ist der Partisan für Schmitt gewissermaßen der letzte Vertreter einer Existentialpolitik, die ad personam noch realisiert, was einstmals Sache des »erstaunlichsten aller Monopole«, des Gewaltmonopols, war: die Bereitschaft zur Vernichtung.

Schmitt gibt mehrere Bestimmungen des Phänomens: »Irregularität, gesteigerte Mobilität des aktiven Kampfes und gesteigerte Intensität des politischen Engagements.« Der Partisan ist sozusagen der Einzelkämpfer des Ausnahmezustands, Stellvertreter einer Souveränität, die objektiv verdrängt worden ist. Er ist das Gefährliche, das aus der rechtlichen Sphäre des Staats herausfällt. Allein in der gleichsam persönlichen Feindschaft des Partisanen findet der atomisierte Bürger »den Sinn der Sache und den Sinn des Rechts, wenn das Gehäuse von Schutz und Gehorsam zerbricht, das er bisher bewohnte, oder das Normengewebe der Legalität zerreißt, von dem er bisher Recht und Rechtsschutz erwarten konnte. Dann hört das konventionelle Spiel auf.« Der Partisan als eingeschrumpfter Souverän; er ist der einzige, der weiterhin die Entscheidung um der Entscheidung gegen das Gesetz, um des Gesetzes willen hochhält – aber er tut es doch in einer gewissen Abhängigkeit von den übergeordneten Mächten, er rettet darum den Willen, der das Nichts will, nicht unbedingt.

Zum einen setzt Schmitt mit seinen sehr allgemeinen Bestimmungen verschiedenste Phänomene gleich: den spanischen Kampf gegen Napoleon im frühen 19. Jahrhundert, die Theorie gebliebenen Ansätze der Preußen (Kleist, Scharnhorst, Gneisenau, Clauswitz), die von der spanischen Guerilla sich inspirieren ließen, und die von Lenin, Stalin, Tito und Mao angeleitete Praxis im 20. Jahrhundert. Zum anderen aber differenziert Schmitt nach einem entscheidenden Kriterium: dem zufolge habe der Konflikt zwischen Moskau und Peking seinen »tiefsten Ursprung« in der »konkret-verschiedenen Wirklichkeit eines echten Partisanentums«, das von Mao repräsentiert werde, während Lenins und Stalins Partisanentum indirekt als unecht denunziert wird. Schmitt hebt hervor, daß die russischen Bolschewisten vom nationalen Standpunkt aus eine Minderheit waren, geführt von einer in der Mehrheit aus Emigranten zusammengesetzten Gruppe von Intellektuellen. Mao aber erscheint als der wahre Erbe des preußischen Widerstands gegen Napoleon, als »konsequente und systematisch-bewußte Weiterführung der Begriffe« von Clausewitz. »Im Vergleich zu der konkreten, tellurischen Wirklichkeit des chinesischen Partisanen« habe Lenin »etwas Abstrakt-Intellektuelles in der Bestimmung des Feindes«.

Lenin wird schließlich enttarnt als unechter Partisanenführer, als Agent einer universell ausgerichteten Weltmacht, die der US-Amerikanischen aufs Haar gleicht, die letztlich die Partisanen nur verheizt, deren konkreten Kampf mißbraucht zum Aufbau ihrer abstrakten Ordnung. »Die autochthonen Verteidiger des heimatlichen Bodens, die pro aris et focis starben, die nationalen und patriotischen Helden, die in den Wald gingen, alles, was gegenüber der fremden Invasion die Reaktion einer elementaren, tellurischen Kraft war, ist inzwischen unter eine internationale und übernationale Zentralsteuerung geraten, die hilft und unterstützt, aber nur im Interesse eigener, ganz anders gearteter, weltaggressiver Ziele, und die, je nach dem schützt oder im Stich läßt. Der Partisan hört dann auf, wesentlich defensiv zu sein. Er wird zu einem manipulierten Werkzeug weltrevolutionärer Aggressivität. Er wird einfach verheizt und um alles das betrogen, wofür er den Kampf aufnahm und worin der tellurische Charakter, die Legitimität seiner partisanischen Irregularität, verwurzelt war.« Wofür nahm er den Kampf auf, worin war seine Irregularität verwurzelt, und woraus resultierte sein tellurischer, sprich: bodenständig-nationaler Charakter? In der Bereitschaft zum Nichts, im Opfer für einen echten Staat, welche Chancen zu dessen Realisierung auch immer bestehen mögen.

Darum sieht Schmitt auch Mao in einem nahezu tragischen Widerspruch verfangen: in dem Widerspruch, »der einen raumlosen, global-universalen, absoluten Weltfeind, den marxistischen Klassenfeind, mit einem territorial-begrenzbaren, wirklichen Feind der chinesisch-aisatischen Defensive gegen den kapitalistischen Kolonialismus in sich verbindet«. Der marxistische Klassenfeind wird den echten Partisanen vom falschen Universalismus vorgesetzt oder besser: vorgespiegelt; der wirkliche Feind aber entspringt der Notwendigkeit, einen Großraum gegen diesen Universalismus gewaltsam zu besetzen und zu sichern. In diesem Sinn zitiert Schmitt das – von Rolf Schneider übersetzte – Gedicht Maos. »Kunlun«: »Wär mir der Himmel ein Standort, ich zöge mein Schwert / Und schlüge dich in drei Stücke: Eins als Geschenk für Europa, / Eins für Amerika, / Eins aber behaltend für China. / Und es würde Frieden beherrschen die Welt.«

Offen auszusprechen, daß der Universalismus, der dieser himmlischen Zerschlagung der Erde entgegensteht, genau wie vor 1945 als einer des jüdischen Gesetzes zu betrachten sei, vermeidet Schmitt. Er hat es nur dem Tagebuch anvertraut: »Die Emigranten ... führen den gerechten Krieg, das Schauerlichste, was menschliche Rechthaberei erfunden hat.« – »Als wir uns uneins wurden, haben die Juden sich subintroduziert. Solange das nicht begriffen ist, gibt es kein Heil ... Heute erleben diese Subintroduzierten eine Restauration mit kolossalen Entschädigungsansprüchen und Rückzahlungen« (Glossarium. Aufzeichnungen aus den Jahren 1947-1951, 1993).

Theorie des Selbstmord-Attentats

Nun wird die Begeisterung der deutschen Linken 1968 ff. für Carl Schmitt verständlich: Dieser Theoretiker des Ausnahmezustands vereinigte die deutsche Vergangenheit mit der maoistischen Gegenwart im gemeinsamen Kampf gegen USA und Sowjetunion. Die Frage aber ist, wer wirklich die Kraft haben sollte, die Erde dem Universalismus zu entreißen und in drei Stücke zu zerschlagen. »Vorläufig bedeutet der Partisan immer noch ein Stück echten Bodens; er ist einer der

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letzten Posten der Erde als eines noch nicht völlig zerstörten weltgeschichtlichen Elements.« Aber was wird aus ihm »im Zeitalter der atomaren Vernichtungsmittel? In einer technisch durchorganisierten Welt verschwinden die alten feudal-agrarischen Formen und Vorstellungen von Kampf und Krieg und Feindschaft. Das ist offensichtlich. Verschwinden deshalb auch Kampf und Krieg und Feindschaft überhaupt und verharmlosen sie sich zu sozialen Konflikten?« Hier vertraut Schmitt letztlich doch seinem alten Begriff des Politischen – darauf also, daß es weiterhin eine unbedingte Bereitschaft zum Opfer gibt: »Wie aber, wenn es einem Menschen-Typus, der bisher den Partisanen lieferte, gelingt, sich an die technisch-industrielle Umwelt anzupassen, sich der neuen Mittel zu bedienen und eine neue, angepaßte Art von Partisanen, sagen wir den Industrie-Partisanen zu entwickeln? Gibt es eine Gewähr dafür, daß die modernen Vernichtungsmittel immer in die rechten Hände fallen und daß ein irregulärer Kampf undenkbar wird?«

Wie in einer Anspielung auf die Entwicklung im Nahen Osten schreibt Schmitt: »Im Schatten des heutigen atomaren Gleichgewichts der Weltmächte, unter der Glasglocke sozusagen ihrer riesigen Vernichtungsmittel, könnte sich ein Spielraum des begrenzten und gehegten Krieges ausgrenzen, mit konventionellen Waffen und sogar Vernichtungsmitteln, über deren Dosierung die Weltmächte sich offen oder stillschweigend einigen können. Das würde einen von diesen Weltmächten kontrollierten Krieg ergeben und wäre so etwas wie ein dogfight. Es wäre das scheinbar harmlose Spiel einer genau kontrollierten Irregularität und einer ›idealen Unordnung‹, ideal insofern sie von den Weltmächten manipuliert werden könnte.« Daß dieses Spiel nur scheinbar harmlos ist, wie alles auf Regeln beruhende Recht, darauf setzt der positive Theoretiker des Ausnahmezustands wie eh und je seine Hoffnung: »Der Acheron läßt sich nichts vorrechnen ...«

In der Gegenüberstellung von Konkretem und Abstraktem, konkreter deutscher Großraumordnung und abstrakter Weltherrschaft der USA bzw. des Kommunismus antizipiert Schmitt das ideologische Muster der deutschen Friedensbewegung der achtziger Jahre: »Die Feindschaft wird so furchtbar werden, daß man vielleicht nicht einmal mehr von Feind oder Feindschaft sprechen darf und beides sogar in aller Form vorher geächtet und verdammt wird, bevor das Vernichtungswerk beginnen kann. Die Vernichtung wird dann ganz abstrakt und ganz absolut. Sie richtet sich überhaupt nicht mehr gegen einen Feind, sondern dient nur noch einer angeblich objektiven Durchsetzung höchster Werte, für die bekanntlich kein Preis zu hoch ist.«

Wenn Schmitt sich selbst dagegen als Theoretiker des »gehegten Kriegs des europäischen Völkerrechts« darstellt, der den abstrakten unmenschlichen Krieg »revolutionärer Klassen- und Rassenfeindschaften«, den »gerechten Krieg« als äußersten Gegensatz zur konkreten und humanen Großraumordnung perhorresziert, dann schließt genau dieser gehegte Großraum die Feindschaft um der Feindschaft willen, die Bereitschaft zum Nichts ein, da doch der Theoretiker an seinem Souveränitätsbegriff festhält. Darin liegt die Bedeutung, die er dem Partisanen beimißt: Er möchte ihn am liebsten aus der Konstellation des Kalten Krieges herauslösen, befreien von den übergeordneten Mächten und zur Perspektive seiner Großraumordnung machen. Im Jahre 1914 seien »die Völker und Regierungen Europas ohne wirkliche Feindschaft in den ersten Weltkrieg hineingetaumelt. Die wirkliche Feindschaft entstand erst aus dem Kriege selbst, der als ein konventioneller Staatenkrieg des europäischen Völkerrechts begann und mit einem Weltbürgerkrieg der revolutionären Klassenfeindschaft endete.« Es ist kein Zufall, daß Schmitt hier den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg überspringt: Im Übersprungenen liegen nach wir vor seine Hoffnungen, daß sich der Großraum doch noch realisiere: »Wer wird es verhindern, daß in einer analogen, aber noch unendlich gesteigerten Weise, unerwartet neue Arten der Feindschaft entstehen, deren Vollzug unerwartete Erscheinungsformen eines neuen Partisanentums hervorruft? Der Theoretiker kann nicht mehr tun als die Begriffe wahren und die Dinge beim Namen nennen. Die Theorie des Partisanen mündet in den Begriff des Politischen ein, in die Frage nach dem wirklichen Feind und einem neuen Nomos der Erde.«

Die Theorie des Partisanen hat den Untertitel: »Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen«. Und damit hält sie die Hoffnung fest, daß dem Partisanen wieder ein Souverän entspringe; daß aus wirklicher Feindschaft und dem echten Partisanen ein Großraum der Vernichtung hervorwächst. Wäre Schmitt so alt geworden, die Selbstmord-Anschläge in Israel und das Attentat auf das World Trade Center noch zu erleben, er hätte darin die Konsequenz seines Lebenswerks sehen können: Seine Partisanen-Theorie erscheint wie eine Beschwörung des islamistischen Selbstmordattentäters. (Das Glänzen in den Augen Scholl-Latours, wenn er diese Ereignisse kommentiert, gibt einen Eindruck von der Befriedigung, die Schmitt darüber empfunden haben würde.) Der Partisan, der einmal gegen Faschismus und NS-Herrschaft rebellierte, verkehrt sich allmählich in sein Gegenteil; anverwandelt sich dem Feind. Gerade jene rein formalen Merkmale seiner politischen Aktivität, die Schmitt konsequent von allen inhaltlichen Voraussetzungen abgetrennt hatte und in dieser Abstraktion fetischisierte, werden nun unmittelbar inhaltlich und realisieren, worauf die Theorie vom Ausnahmezustand immer zielte: Opfer und Vernichtung. Suicide attack ist der neue Begriff des Politischen.

So kehrt im Märtyrer des Djihad der »politische Theologe« wieder; er streift die Bindung an die übergeordnete, international agierende, unpolitische Macht, die im Kalten Krieg dominierte, ab – wie Bin Laden nach dem Partisanenkrieg gegen die Sowjetunion in Afghanistan die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten – und besinnt sich auf den tellurischen Charakter seines Kampfes, auf Blut und Boden: Er verliert nicht die Verortung in einem Großraum, sondern nimmt im Gegenteil von diesem Großraum aus den ebenso irregulären wie unversöhnlichen Kampf mit eben jener Macht auf, in deren Dienst er einst stand.

Gerhard Scheit schrieb in KONKRET 1/03 über Traktate zum Fanatismus

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Konkret 02/02, S. 58 | Gerhard Scheit Eine deutsche Rechtslehre Ein neues Buch zeigt zum ersten Mal das ganze Ausmaß des Antisemitismus im politischen Denken des Staatsrechtlers Carl Schmitt

Es geht um den Kern der deutschen Rechtslehre. Die Studie von Raphael Gross über Carl Schmitt und die Juden widerlegt die apologetische Schmitt-Rezeption, die immer behauptete, es habe sich bei den antisemitischen Äußerungen des Staatsrechtlers »lediglich« um eine partielle Anpassung an den NS-Staat gehandelt. Vor 1933 ist der antisemitische Kern seiner Einlassungen allerdings durchaus noch verborgen: Souveränität, Entscheidung und Ausnahmezustand – so lautet die »wertfreie« Terminologie, die später in »deutsches Blut«, »dämonische Entartung« und »volkhafte Großraumordnung« übersetzt werden sollte. Aber ähnlich wie bei Heidegger ist es die Bezugnahme auf »Volk« und »Opfer«, die von Anfang an diese Substantialisierung impliziert: »Die politische Einheit muß gegebenenfalls das Opfer des Lebens verlangen«, heißt es 1932.

Auf welche Weise, durch welches Opfer das Volk »sich auf sich selber und seinesgleichen« besinnen könne, wird bald nach 1933 deutlich. Es ist, so Schmitt, »eine erkenntnistheoretische Wahrheit, daß nur derjenige imstande ist, Tatsachen richtig zu sehen, Aussagen richtig zu hören, Worte richtig zu verstehen und Eindrücke von Menschen und Dingen richtig zu bewerten, der in einer seinsmäßigen, artbestimmten Weise an der rechtschöpferischen Gemeinschaft teilhat und existentiell ihr zugehört«. Die Gleichartigen erkennen sich nur durch Andersartige, die Gemeinschaft schließt sich nur durch deren Ausschluß zusammen.

Die »Dezision«, der persönliche Befehl, war bereits früher Schmitts Antwort auf das allgemein geltende, »entpersonalisierte« Gesetz gewesen. Nun aber, da die Entscheidung in Deutschland wirklich gefallen ist, stellt er das konkrete wahre Recht des deutschen Volks als »Nomos« dem falschen abstrakten Gesetz der Juden entgegen. Denn das jüdische Gesetz sei aufgrund des Fehlens von konkreter persönlicher Autorität und Opferbereitschaft nicht in der Lage, eine politische Form zu schaffen.

»Nomos« ist also nur eine bildungsbürgerliche Umschreibung der »Nürnberger Gesetze«: Das jüdische Gesetz der abstrakten Gleichheit aller Staatsbürger (dessen Gesetzgeber sich in einer für immer unerreichbaren Sphäre befindet und auf ewig abwesend bleiben wird) sei durch ein konkretes »Rassengesetz« der Ungleichheit zu ersetzen (das vom Führer gebracht und geschützt wird). Es geht darum, dem abstrakten jüdischen Universalismus und der Herrschaft des Gesetzes einen konkret erscheinenden Gott und die »Herrschaft des Menschen« entgegenzustellen – und der Katholik Schmitt fühlt sich berufen, die Wiederkehr von Gottes Sohn in der Gestalt des Führers zu kodifizieren. Sehr schlüssig macht Raphael Gross hier an der Entwicklung der nationalsozialistischen Rechtsprechung deutlich, wie fließend die Übergänge zwischen religiösem Antijudaismus und rassistischem Antisemitismus sind, wie sehr beide in Theorie und Praxis der Verfolgung sich wechselseitig ergänzen.

Nachdem Schmitt 1935 die »Nürnberger Gesetze« als »Die Verfassung der Freiheit« kommentiert hatte, wobei die »Stimme des deutschen Blutes« endgültig das entscheidende Kriterium der Rechtslehre geworden ist, erreicht das antisemitische Engagement seinen Höhepunkt in der von ihm organisierten Tagung der »Reichsgruppe Hochschullehrer des Nationalsozialistischen Rechtswahrerverbundes« im Oktober 1936. Hier wird eine geistige Rampe errichtet, an der etwa genau entschieden werden soll, wer nur fremd ist, also einer fremden »Rasse« angehört – und wer darüber hinaus schlechthin anders, die Gegenrasse, ist. »Wenn wir dabei von Juden und Judentum sprechen, so meinen wir wirklich den Juden und nichts anderes ... Machen wir hier aus den Fremden einen Allgemeinbegriff, der unterschiedslos Artverwandte und Artfremde umfaßt, so kann die spezifisch jüdische Beeinflussung nicht mehr wissenschaftlich erkannt werden. Dann erscheint der Einfluß, den z.B. die italienische Musik auf unsere großen Musiker Händel, Bach und Mozart gehabt hat, in einer Reihe mit der jüdischen Infektion, die von Marx und Heine ausging.« In der »Judenfrage« geht es immer ums Ganze: Hier gibt es »überhaupt keine nebensächlichen Angelegenheiten mehr«. Denn die Juden könnten sich überall verbergen: Der »Maskenwechsel von dämonischer Hintergründigkeit« gehört zu ihrem Wesen; diese »Virtuosität der Mimikry« ist »durch lange Übung noch gefördert« worden.

Spätere Schriften wie der Leviathan, die oftmals analog zu den Marmorklippen von Ernst Jünger oder Heideggers späten Vorlesungen als ein Werk des Rückzugs vom NS-Staat und seiner Ideologie interpretiert wurden, sind demgegenüber als bloße Neuorientierungen ganz im Sinne dieses Staats und seiner augenblicklichen Lage zu verstehen – und zwar in Richtung auf die »nationalsozialistische Großraumtheorie«, die nun der abstrakten, universellen, bodenlosen Ordnung der Alliierten entgegengesetzt wird.

Nachdem diese »volkhafte Großraumordnung« zunächst einmal von den Alliierten verhindert worden ist, war für den »Kronjuristen des Dritten Reichs« an eine Rückkehr an die Universität nicht zu denken. In seinen Geburtsort Plettenberg sich zurückziehend, betrachtete er die Welt hinfort wie Heidegger von Todtnauberg aus – im insgeheimen Vertrauen darauf, daß letztlich doch die im Augenblick Besiegten gesiegt hätten, aber begleitet von unerträglichem Selbstmitleid: »Mir geschieht immer nur Unrecht ... Sie werfen uns den Emigranten zum Fraße hin ... Die Emigranten ... führen den gerechten Krieg, das Schauerlichste, was menschliche Rechthaberei erfunden hat ...« Der Verfolgungswahn, der hier dem Tagebuch anvertraut wird, geht nach wie vor mit der Identitätsbildung der deutschen Gesellschaft konform und erscheint heute aktueller denn je: »Als wir uns uneins wurden, haben die Juden sich subintroduziert. Solange das nicht begriffen ist, gibt es kein Heil ... Heute erleben diese Subintroduzierten eine Restauration mit kolossalen Entschädigungsansprüchen und Rückzahlungen.«

Im Tagebuch auch vollendet sich unter den Bedingungen des Kalten Kriegs die christliche Identifikation: »Die meisten wahrhaft Armen sind nicht Volkskommissare geworden; sie wurden von den Ausbeutern des Volkes gehenkt, unter dem Applaus der Armen. So geschah es mit Jesus Christus, und ich hoffe, daß dies auch mich erwartet.«

Die Banalität des Staates

Raphael Gross führt den Nachweis, daß eine Herauslösung der politischen Theorie Carl Schmitts aus ihrem rassistischen und antisemitischen Kontext nicht möglich ist, und schließt daraus, daß auch berühmte Begriffe der frühen Schriften wie jener der Souveränität nur »provozierende Scheinklarheit« vermitteln. Das Buch liest sich in dieser Hinsicht wie eine notwendige Ergänzung zu Wolfgang Pohrts Artikel anläßlich des 100. Geburtstags von Schmitt, worin von der »Banalität« dieses politischen Denkers die Rede ist (KONKRET 8/88). In der (nicht zuletzt von ehemaligen deutschen Maoisten) vielbewunderten Prägnanz der Schmittschen Schriften konnte Pohrt nichts als einen »agitatorischen Trick« sehen, »eine durch Banalität überzeugende Behauptung wie eine messerscharfe Schlußfolgerung aussehen zu lassen ... Denkschrott als erlesene Kostbarkeit zu präsentieren, die Kapitulation des Verstandes als Produkt tieferer Einsicht ...«

Aber es handelt sich hier um die Banalität des Staates selber, die darum so originell erscheinen konnte, weil sie in Vergessenheit geraten war. Die »Brillanz« der frühen Schriften Schmitts, die Intellektuelle wie Walter Benjamin, Otto Kirchheimer und Franz Neumann so sehr beeindruckte,

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konnte sich nur ausbilden im Kontext einer in sozialdemokratischer und liberalistischer Tradition hartnäckig und nachhaltig eingeübten Verdrängung dessen, was den Staat ausmacht. »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.« So lautet der erste Satz der Schmittschen Politischen Theologie von 1922 – geschrieben also, nachdem in Deutschland ebenso wie in Rußland über den Ausnahmezustand fürs erste entschieden worden war. Im Unterschied zu Lenin, der hierüber jederzeit Klarheit besaß, wehrten die Demokraten in Deutschland und Deutschösterreich diese Fragestellung ab. »Einer muß den Bluthund machen« – ein anderer aber das Schoßhündchen: Es ist Aufgabe der demokratischen Ideologie, die konstituierende Bedeutung der Gewalt in der Demokratie, die Noske ausplauderte, wieder auszublenden.

Am konsequentesten unter ihnen erscheint Hans Kelsen, der doch selbst als persönlicher Referent des habsburgischen Kriegsministers im Ersten Weltkrieg dem Bluthund in Aktion eine Zeitlang zur Seite gestanden hatte; er sagt offen: »Der Souveränitätsbegriff muß radikal verdrängt werden.« Raphael Gross rekonstruiert die Kontroverse dieses prominentesten Verfechters einer strikt antimetaphysischen Staatslehre mit dem politischen Theologen Schmitt. Kelsen, der von Schmitt schließlich als Hauptvertreter, ja als Inkarnation des abstrakten jüdischen Gesetzes angegriffen wurde, wollte nicht wie Marx den Staat abschaffen, sondern wegdenken: Er behandelt ihn wie Religion, wie die Gottesvorstellung – das heißt, er sieht vom Gewaltmonopol einfach ab. Die Omnipotenz Gottes findet in der Souveränität des Staates ihre Entsprechung; daraus folgert Kelsen: Die Souveränität existiert nur, wenn man an sie glaubt. Die Hypostasierungen Gottes und des Staates wären also bloß in ihre individualpsychologischen Elemente aufzulösen, und schon wäre der Staat zur Vernunft geworden, Herrschaft rationalisiert, die Welt zu ihrem Besten vollständig entzaubert.

Mit einem erstaunlichen Gespür dafür, daß der nächste Ausnahmezustand naht, erkennt Carl Schmitt sofort die Schwächen von Kelsens »reiner Rechtslehre«, die die Metaphysik bloß abwehrt. Darin ist Schmitt als Theoretiker von Anfang an Hitler ähnlich, der im Praktischen die verwundbaren Stellen der Weimarer Ordnung schlagartig erfaßte. Mit Hobbes Leviathan hält Schmitt Kelsen entgegen: »Autoritas, non veritas facit legem«; die Autorität beweise, »daß sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht«; die Rechtsidee könne sich »nicht aus sich selbst umsetzen«. Denn in der entscheidenden Situation gehe es nicht um Begriffe, sondern um die »konkrete Anwendung«; darum, »wer im Konfliktfall entscheidet, worin das öffentliche oder staatliche Interesse, die öffentliche Sicherheit und Ordnung, le salut public usw. besteht. Der Ausnahmefall, der in der geltenden Rechtsordnung nicht umschriebene Fall, kann höchstens als Fall äußerster Not, Gefährdung der Existenz des Staates oder dergleichen bezeichnet, nicht aber tatbestandsmäßig umschrieben werden.« Der Souverän aber »entscheidet sowohl darüber, ob der extreme Notfall vorliegt, als auch darüber, was geschehen soll, um ihn zu beseitigen. Er steht außerhalb der normal geltenden Rechtsordnung und gehört doch zu ihr, denn er ist zuständig für die Entscheidung, ob die Verfassung in toto suspendiert werden kann.« Die Tendenzen der modernen rechtsstaatlichen Entwicklung scheinen aber diesen Souverän beseitigen, ihn mit der normal geltenden Rechtsordnung selbst vollkommen identisch machen zu wollen, so daß er völlig in ihr aufgeht. »Aber ob der extreme Ausnahmefall wirklich aus der Welt geschafft werden kann oder nicht, das ist keine juristische Frage.«

Genau hier – wo die Form der Gesellschaft zur Debatte steht – bricht Schmitt die Reflexion ganz bewußt ab, um sie weltanschaulich zu revozieren: Ob man das Vertrauen und die Hoffnung hat, der Ausnahmezustand lasse sich tatsächlich beseitigen, hänge »von philosophischen, insbesondere geschichtsphilosophischen oder metaphysischen Überzeugungen ab«. Und was diese Überzeugungen betrifft, hat Schmitt sich längst entschieden – indem er dieselben nämlich nicht auf ihren gesellschaftlichen Charakter durchsichtig machen möchte.

Demokratie und Volksgemeinschaft

Durch die minutiöse Darstellung von Raphael Gross wird vor allem klar, daß Schmitt nur durch die Weimarer Republik hindurch zum Nationalsozialisten werden konnte; daß er, wie Gross schreibt, »die Idee der Nation und den unumkehrbaren Legitimitätswechsel vom Gottesgnadentum zur Volkssouveränität resp. vom monarchischen zum demokratischen Legitimitätsgedanken akzeptierte« – und darüber erst den Weg zum Nationalsozialismus fand.

Als demokratischer Initiator dieser Entwicklung erscheint Max Weber, der bereits im Ersten Weltkrieg gefordert hatte, die Volksmasse als »Mitherren des Staates in diesen einzugliedern«, und der im Unterschied zu Kelsen auch den Ausnahmezustand und die Frage der Souveränität nicht einfach verdrängen konnte: »Die wirkliche Herrschaftsstruktur bestimmt sich nach der Beantwortung der Frage: was geschehen würde, wenn ein satzungsmäßig unentbehrlicher Kompromiß (z.B. über das Budget) nicht zustandekäme.« Schmitt formulierte die Frage dann nicht mehr so »wertfrei«, substantialisierte sie vielmehr schrittweise, wodurch er die »entzauberte Welt« realer Abstraktion schließlich mit den Scheinkonkretheiten der »Rasse« – mit »deutschem Blut« und »dämonischer Entartung« – neu verzaubern konnte.

Wer die Souveränität ausfüllt, das wird auch von Schmitt Anfang der zwanziger Jahre noch offengelassen: ob nun »Gott souverän ist, das heißt derjenige, der in der irdischen Wirklichkeit widerspruchslos als sein Vertreter handelt, oder der Kaiser oder der Landesherr oder das Volk, das heißt diejenigen, die sich widerspruchslos mit dem Volk identifizieren dürfen ...«. Und doch ist der Übergang zum NS-Staat schon mit Händen zu greifen: Die Volksgemeinschaft als Souverän konstituiert sich darin, daß sie diejenigen identifiziert, die sich nicht mit ihr identifizieren dürfen.

Wenn Schmitt die Kelsensche Jurisprudenz »als die Ideologie des bei wechselnden politischen Verhältnissen arbeitenden juristischen Bürokraten« betrachtet, »der unter den verschiedensten Herrschaftsformen, mit relativistischer Überlegenheit über die jeweilige politische Macht, die ihm zugeworfenen positiven Anordnungen und Bestimmungen systematisch zu verarbeiten sucht«, so kann umgekehrt seine eigene politische Theologie als die Ideologie des unter den verschärften Bedingungen der Krise die Entscheidung erwartenden Akademiker-Nachwuchses verstanden werden – eine Ideologie, die es erlaubt, in den Apparat zum Teil gewaltsam einzudringen und die alte Bürokratie zu beseitigen oder zurückzudrängen, um den Staat selbst auf den Vernichtungskrieg umzustellen. Kelsen ist der Apologet des stummen Zwangs der Verhältnisse, Schmitt ist der Apologet der offenen Gewalt.

So ist die Schmittsche »Klarheit« mehr als nur »Scheinklarheit«. Sie ist klar im selben Maß, als sie den nächsten politischen Schritt, der im Sinne der Erhaltung von Staat und Kapital möglich ist, vorzeichnet. Anders die gedankliche Konsequenz in Kelsens »reiner Rechtslehre«. Sie verwischt die drohende Gewalt, je größer die Krise wird. Kelsen phantasiert einen Staat ohne Krise, einen Staat, der nicht auf der Möglichkeit der Krise beruht, recht eigentlich einen Rechtsstaat ohne Staat, analog zu den Phantasien einer »einfachen Warenproduktion«, einer Warenproduktion ohne Kapital. An einer Stelle wird der historische Zusammenhang dieser Ideologie unmittelbar deutlich – und Gross kann solcher Relativierung des Relativismus nicht widersprechen: Eine antimetaphysische Staatslehre könne »nur in Epochen sozialen Gleichgewichts gedeihen«.

Raphael Gross: Carl Schmitt und die Juden. Eine deutsche Rechtslehre. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2000, 442 Seiten, 27,80 Euro

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Konkret 08/88, S. 44 | Wolfgang Pohrt Die Banalität als Offenbarung Carl Schmitt zum Hundertsten: Dem alten Nazi huldigen alte Nazis, konservative Leitartikler und selbst konvertierte Maoisten. Alle scheinen fasziniert von den »Doppelmoppeleien des wissenschaftlichen Bürokratismus (Pohrt), der Selbstverständlichkeiten als messerscharfe Schlußfolgerungen verkleidet – wie bei Heidegger und Mao, so auch bei Schmitt

Vor drei Jahren erst beerdigte man Carl Schmitt, schon feiert das Feuilleton seinen hundertsten Geburtstag. »Ein Ereignis europäischer Geistesgeschichte« rühmt unabsichtlich vieldeutig der »Rheinische Merkur« das »Werk« dieses an Zählebigkeit nur noch von Rudolf Hess, Albert Speer und Ernst Jünger übertroffenen Mannes. Obgleich Publikationstiteln wie »Der Führer schützt das Recht« (1934) oder »Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist« (1936) Zweideutigkeit nicht vorgeworfen werden kann, gilt der Autor als »umstritten«.

Anlehnungsbedürftige und herrschsüchtige Intellektuelle, die einmal dem Proletariat oder dem Volke dienen wollten, selbstverständlich als Führer von dessen starkem Arm, spüren im Ton von Schmitts wissenschaftlicher Prosa die harte Hand, die sie schätzen. Um die Leiche herum hat sich daher mittlerweile ein nekrophiler kleiner Fanclub gebildet, dem Günter Maschke präsidiert, ein Opfer des Revolutionstourismus. Der Ende der 60er Jahre für strebsame junge Menschen obligatorische Cuba-Trip wurde für ihn wie für viele seiner Landsleute – man denke an Enzensberger – eine Reise nach innen, in Havanna fand der Internationalist zu sich selbst zurück, zu seinen deutschnationalen Wurzeln. Aber auch Linke mit weniger sprunghafter Biographie raunen einander zu, in Schmitts Broschüren sei für den Feinschmecker mancher Leckerbissen zu entdecken. Ein kultivierter Mensch, für welchen das schlimmste Verbrechen darin besteht, Fisch mit dem Messer zu essen, habe die Pflicht, für derlei Genüsse empfänglich zu sein, und er dürfe nicht engstirnig und kleinlich darauf insistieren, daß Schmitt ein übler Nazi war, zumal das auch niemand bestreitet. Diese im Habitus maniriert bis affig wirkende Schicht – immer um die Imitation bildungsbürgerlicher Manieren bemüht, die in Deutschland ihrerseits schon eine Imitation krautjunkerlicher Unsitte waren, und Toleranz grundsätzlich an der falschen Stelle fordernd – ist im Normalfall der enge Kreis, innerhalb dessen Schmitts Broschüren ihre Wirkung entfalten. Zuweilen freilich werden sie schubartig auch von einem breiteren Publikum goutiert, und solche Schübe sind Symptome einer Geisteskrankheit, deren Ursachen lange zurückliegen.

Bekanntlich begann mit der Machtergreifung im Jahr 1933 die nationalsozialistische Gewaltherrschaft. Erst riß ein Rohling der demokratisch gewählten Regierung die Macht aus der Hand, dann legte er das murrende Volk in Ketten. Zwölf Jahre später schon wurden die Geknebelten abermals das Opfer nackter Gewalt. Auf ihrer Kultur trampelten Amis und Iwans herum, nur weil sie militärisch die Stärkeren waren. Seither sind die Landsleute das friedfertigste Volk auf der Erde.

In allen Kasernen wird gehäkelt und gestickt, weshalb es bei Strafe verboten ist, Soldaten als potentielle Mörder zu verleumden. In jeder Friedensbewegung marschieren die Deutschen vorn, wie es sich für Leute schickt, die nicht die Hauptverursacher, sondern die Hauptleidtragenden vergangener Kriege waren. Anderswo trägt man im Fußballstadion Wettkämpfe aus, hier werden, wie der Sprecher der Tagesschau verkündet, »Begegnungen« zwischen den Bundesligavereinen zelebriert. Dialogbereit gehen die Konfliktpartner aufeinander zu, um plaudernderweise ein Feindbild nach dem anderen abzuräumen. Den obersten Grundsatz deutscher Friedenspolitik, daß ein Deutscher zur Anwendung von Gewalt gar nicht fähig, daß jegliche Gewalt daher ausnahmslos die der anderen sei, haben die Grünen sogar ins offizielle Parteiprogramm übernommen. Gewaltfrei, wie sie per Beschluß geworden sind, können sie ruhig zwei Jahre Mindeststrafe für das Delikt Vergewaltigung fordern, obgleich gutes Zureden allein den Sittenstrolch kaum hinter Gitter bringt. Kracht in die Sonntagsruhe hinein doch mal ein Schuß, so hat ein Freund und Helfer seine Maschinenpistole mit einem Palmwedel verwechselt und beim Schwenken nicht aufgepaßt. Anderswo ist die Gesellschaft in Arbeiter und Fabrikanten, in Linke und Rechte und durch die Konkurrenz eines jeden gegen alle zerteilt. Hier aber gilt es, und seit Barschel mehr denn je, im Gegner wie im Konkurrenten stets den Menschen zu sehen und zu achten.

So schürt man den Zorn, weil der Minister Fritzchen Fischer als Minister betrachtet immer noch eine ganz passable Figur abgibt, was von seiner menschlichen Seite nicht behauptet werden kann. Sinnvoller im Interesse eines konfliktfreien Miteinanders ist es daher, im anderen beispielsweise einen Hund zu sehen, weil man dies Tier umso lieber mag, je mehr es dankbar mit dem Schwanz wedelt und seinem Herrn die Hand leckt. Der fromme Wunsch, die Menschen nicht als die Gegner, Konkurrenten, Rivalen, Interessenvertreter und Charaktermasken zu betrachten, die sie in der bürgerlichen Gesellschaft sind, tendiert obendrein dazu, die Menschen ihrer gesellschaftlichen Bestimmtheit zu entkleiden, und übrig bleibt der Mensch als solcher, die nackte, rohe Kreatur. Von Zeit zu Zeit treibt die Frömmelei mit kreatürlicher Wildheit die Animositäten hervor, auf denen sie beruht, und die sie überhaupt erst begründen und erzwingen. In unregelmäßigen Abständen erreicht daher die allgemeine Stimmungslage den Punkt, wo beispielsweise aus der obligatorischen allseitigen Dialogbereitschaft der starke Wunsch entsteht, dem anderen Quasselfritzen das Mundwerk mit der Klobürste zu stopfen.

Dann stillen frustrierte Menschentümler gern bei Carl Schmitt ihren Nachholbedarf. Sie fischen seine Broschüre »Der Begriff des Politischen« aus dem Regal, denn schon der erste Satz hält für die Entwöhnten eine Offenbarung zum Mitseufzen parat: »Die eigentlich politische Unterscheidung ist die Unterscheidung zwischen Freund und Feind.« Wie der Abstinenzler nach dem ersten Glas Schnaps gleich stieren Blicks gierig zum nächsten greift, wie die Dosenfutterkatze nach Hackfleischverzehr plötzlich den Wellensittich massakriert, so schlingt nun der engagierte Kriegsspielzeuggegner beispielsweise die Erkenntnisse in sich hinein, es beziehe sich »die reale Möglichkeit des Kampfes, die immer vorhanden sein muß, damit von Politik gesprochen werden kann«, entweder auf den »Krieg zwischen organisierten Völkereinheiten« oder »auf den Bürgerkrieg«. Bislang hatte der gute Mann unter politischem Kampf vor allem die Narkotisierung und Zermürbung des Gegners durch langweilige, weitschweifige oder blödsinnige Reden verstanden, und nun liest er: »Zum Begriff des Feindes gehört die im Bereich des Realen liegende Eventualität eines bewaffneten Kampfes, das bedeutet hier eines Krieges. (...) Krieg ist bewaffneter Kampf zwischen organisierten politischen Einheiten, Bürgerkrieg bewaffneter Kampf innerhalb einer (dadurch problematisch werdenden) Einheit. Das Wesentliche am Begriff der Waffe ist, daß es sich um ein Mittel physischer Tötung von Menschen handelt. (...) Die Begriffe Freund, Feind und Krieg erhalten ihren realen Sinn dadurch, daß sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug nehmen und behalten.«

Die Doppelmoppeleien des wissenschaftlichen Bürokratismus – der reale Sinn, die reale Möglichkeit – und seine pedantische Art, auf Selbstverständlichkeiten herumzureiten; der agitatorische Trick, eine durch Banalität überzeugende Behauptung wie eine messerscharfe Schlußfolgerung aussehen zu lassen – dies alles bewirkt bei autoritätsfürchtigen Intellektuellen einen heiligen Respekt vor der ebenso schlichten wie zutreffenden Botschaft: Kein Staat ohne Polizei und Militär, keine Polizei und kein Militär ohne Waffen, und zum Kartoffelschälen oder Erbsenputzen ist ein Granatwerfer das falsche Gerät. Bösartige, aber zur Friedfertigkeit verdammte Menschen, die vor allem den eigenen Daumen gefährden, wenn sie nur zum Küchenmesser greifen, debattieren dann unter dem Eindruck der nur für sie neuen Lehre eine Weile grundsätzlich über Sinn und Zweck der Anwendung von Gewalt, ob man tun sollen dürfte, wenn man wollen können täte. Die Voraussetzung des

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Palavers ist dabei seine garantierte Folgenlosigkeit. Tanzt ein Spielverderber dergestalt aus der Reihe, daß er einen kleinen Sprengsatz plaziert, so ist die Debatte beendet, der Gleichklang wiederhergestellt, und es erschallt einstimmig das bekannte Lied: Wir sind entsetzt und betroffen darüber, daß Menschen verletzt oder getötet wurden von Personen, die dazu gar nicht befugt sind.

Dann gehen die Anhänger Carl Schmitts sorgenfrei wieder ihrer Hauptbeschäftigung nach, die darin besteht, sich selbst für eine verfemte Elite zu halten. Zwei oder drei richtige Gedanken über die Gewalt und den Staat, Überlegungen von der zitierten, ebenso trivialen wie unwiderlegbaren Art, Erkenntnisse also, deren Gewinnung zu den Unvermeidlichkeiten des Alltags zählt, während ihre Verleugnung bisweilen selbst Geisteswissenschaftler mit qualifiziertem Abschluß überfordert, vermitteln überflüssigen, von Arbeitsplatzsorgen und Identitätsproblemen geplagten Studenten und Absolventen der weichen Fächer das angenehme Gefühl, sich zum harten Kern der Eingeweihten zählen zu dürfen. Aus der prekären gesellschaftlichen Lage dieser Schicht, an welcher gute Verdienstmöglichkeiten einzelner nichts ändern, resultiert der Doppelwunsch, sich durch unkonventionelle Allüren von der Menge der Konkurrenten abzugrenzen, und gleichzeitig Loyalität mit dem Massenbewußtsein zu dokumentieren. Schmitt selber erreicht diesen Zweck, wenn er in der schon zitierten Broschüre die Vorurteile des gewöhnlichen Spießbürgers gleichsam adelt, indem er sie mit dem Attribut »existenziell« ausstaffiert. Er schreibt, immerhin im Jahr 193 3, über den Feind: »Er bleibt ein Anderer, ein Fremder. Die Möglichkeit spezifisch politischer Beziehung ist dadurch gegeben, daß es nicht nur Freunde – Gleichgeartete und Verbündete – sondern auch Feinde gibt. Der Feind ist in einem besonders intensiven Sinne existenziell ein Anderer und Fremder, mit dem im extremen Fall existenzielle Konflikte möglich sind.«

Die platte Lüge, daß der Feind ein Fremder sei, obgleich der bevorzugte Tatort von Schädeleinschlagen und Gurgeldurchschneiden, oder in Schmitts Terminologie: der Austragungsort von existenziellen Konflikten seit Kain und Abel die Familie ist und man daher bis zu einer bestimmten Gesellschaftsstufe die Intensität der verwandtschaftlichen Bindungen am besten an der Mordquote mißt – kein Verwandtschaftsgrad, der nicht eine Mordvariante bezeichnen würde – ; die platte Lüge im ersten Teil der zitierten Passage also bereitet den Betrug im zweiten vor, welcher in der Versicherung liegt, daß Feindschaft schicksalhaft, unbegreiflich, unergründlich sei, eben existenziell.

An solcher Beweihräucherung seines Selbstbildes findet dann nicht nur der deutsche Bürger im Jahr 1933 Geschmack, der seine eigenen Motive bei der anstehenden Vernichtung der Juden und der Unterwerfung der Welt nicht verstehen mag, und noch weniger die seiner politischen Gegner. Sondern die Darreichungsform, Schmitts Trick, gewöhnlichen Denkschrott als erlesene Kostbarkeit zu präsentieren, die Kapitulation des Verstandes als Produkt tieferer Einsicht, als Offenbarung, derer nur ein Berufener teilhaftig wird; der Hokuspokus, der Etikettenschwindel also, welcher das Kompositionsgesetz von Schmitts Broschüren ist, ist gleichzeitig ihr Erfolgsgeheimnis bis heute. Hier findet der ressentimentgeladene Bürger Trost, der eins mit der Masse sein mag und gleichzeitig gern ein ganz Anderer, am besten ihr Führer wäre, der große unverstandene Einzelne, der den Hauptteil seines Lebens in der inneren Emigration verbringt, weil die Welt voller Konkurrenten und Feinde ist, die grundlos ihm, dem einzig Wohlmeinenden unter allen, die Butter vom Brot stehlen wollen.

III

Seit kurzem ist »Die Technik des Staatsstreichs« von Curzio Malaparte wieder auf dem Markt.* Das Buch aus dem Jahr 1931 wurde für Leute geschrieben, welche die Anwendung von politischer Gewalt vor allem als praktisches Problem betrachten, – ein Schulungstext für moralische Grundsatzdiskussionen zwischen zwei Parteien mit vier Argumenten ist es sicher nicht. Wie der Titel verspricht, enthält es diverse vergleichende Studien über die Technik, eine Regierung zu stürzen, hinreißend geschriebene, sachkundige Essays, die gerade in dieser für Putschisten so wenig verheißungsvollen Zeit den Leser immer wieder zu kleinen Träumereien verleiten. Wer unbedingt mag, kann sich freilich auch weiterbilden, zunächst etwa dergestalt, daß er Schmitts faktenfreies dumpfes Brüten noch deutlicher als Produkt deutschen Bildungsmuffs begreifen und es daher noch lästiger finden wird. Ferner zeigt Malaparte in einem Text mit dem beziehungsreichen Titel »Hitler: Diktator aus Versehen« sehr schön, welch friedfertige politische Realität sich hinter den martialischen Parolen verbarg, mit welchen die Nazis, ihre Gegner und Carl Schmitt Propaganda machten:

»Seit Stresemanns Tod sind zwar Hitlers Reden immer heldischer und drohender geworden, aber seine Umsturztaktik hat sich nach und nach auf eine parlamentarische Lösung des Problems der Eroberung des Staates umgestellt. Die ersten Symptome dieser Entwicklung zeigten sich schon 1923. Nach dem mißglückten Staatsstreich von Hitler, Kahr und Ludendorf in München verlagerte sich die ganze revolutionäre Gewalt Hitlers in seine Reden. Die nationalsozialistischen Stoßtrupps werden nach und nach zu Verteilern von Flugschriften ihres Thronprätendenten. Ihr Führer zeigt sich in zunehmendem Maße der Gewalt abgeneigt. Schüsse tun seinen Ohren weh. (...) Ein Sturmabteilungsführer sagte mir in München, Hitler sei ein Cäsar, der nicht schwimmen kann, am Ufer eines Rubikon, der zu tief ist, um ihn durchwaten zu können. (...) Tatsächlich könnte man die gegenwärtige Krise im Nationalsozialismus als die Krise seiner 'Sozialdemokratisierung' bezeichnen. Es ist eine langsame Entwicklung zur Legalität, zu den legalen Formen und Methoden des politischen Kampfes: der Nationalsozialismus ist eine revolutionäre Armee, die im Begriff ist, eine mächtige Wählerorganisation zu werden, eine Art nationaler Block, der den Knüppel als eine seiner Jugendsünden ansieht, die zwar einen schlechten Ruf verschaffen, aber Vernunftehen nicht im Wege stehen. Er ist die Heilsarmee des deutschen Patriotismus, der keinen würdigeren Führer haben könnte als Hitler. (...) Die Eroberung des Staates ist für ihn nur durch die Eroberung des Reichstags vorstellbar. (...) Nicht als Sulla, nicht als Caesar, nicht als Cromwell, Bonaparte oder Lenin bietet sich diese Karikatur Mussolinis als Befreier des deutschen Vaterlandes an, sondern als Verteidiger des Gesetzes, als Wiederhersteller der nationalen Tradition, als Diener des Staates. (...) Vielleicht ist es das Schicksal Hitlers, durch einen parlamentarischen Kompromiß an die Macht zu gelangen: um die Rebellion seiner Kampfgruppen zu verhindern, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sie von der Eroberung des Staates abzulenken und ihre revolutionäre Aufgabe von der innenpolitischen auf die außenpolitische Ebene zu verlagern. Ist nicht die Frage der Grenzen im Osten seit einiger Zeit zum Hauptthema in Hitlers Reden geworden?«

Edition Tiamat, Berlin, 25 Mark Kasten >Lektürehinweis< auf Seite 46: Drei Bücher, die über den Furor informieren, den Schmitts Texte nach wie vor bei bundesdeutschen Wissenschaftlern und sonstigen Intellektuellen auslösen: Jacob Taubes (Hg.): Der Fürst dieser Welt Carl Schmitt und die Folgen; Ferdinand Schöningh / Wilhelm Fink Verlag, München/Paderborn/Wien/Zürich, 2. Auflage 1985, 321 Seiten, 78 Mark Klaus Hansen/Hans Lietzmann (Hg.): Carl Schmitt und die Liberalismuskritik; Verlag Leske und Budrich, Leverkusen 1988, 196 Seiten, 28 Mark Günter Maschke: Der Tod des Carl Schmitt. Apologie und Polemik; Karolinger Verlag, Wien 1987, 164 Seiten, 29 Mark

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Konkret 03/06, S. 36 | Thomas Uwer Ausscheiden, kaltstellen, vernichten Deutsche Juristen plädieren für eine Ausweitung und Verschärfung des »Feindstrafrechts«.

Das wäre ein Europa ohne preußische Pflichtethik und Militarismus gewesen: »ein wenig drollig, ein wenig platt-human, trivial-verderbt, feminin-elegant, ein Europa, schon etwas allzu ›menschlich‹, etwas preß-banditenhaft und großmäulig-demokratisch, ein Europa der Tango- und Two-Step-Gesittung, ein Geschäfts- und Lusteuropa à la Edward the Seventh, ein Monte-Carlo-Europa, literarisch wie eine Pariser Kokotte, aber etwa nicht ein Europa, in dem es für meinesgleichen sich weit vorteilhafter hätte leben lassen als in einem ›militaristischen‹«.

Daß Härte nicht nur aus gefestigter Überzeugung, sondern öfter noch aus Angst entspringt, ist eine Lehre, die in Deutschland auch ohne Psychoanalyse zum Durchbruch kam. Eingeschüchtert von der »Two-Step-Gesittung« des »feminin-eleganten« Europas fühlt sich hier beispielhaft Thomas Mann zum preußischen Militarismus hingezogen. Ihm folgten schlechtere, das Prinzip jedoch blieb das gleiche. (Unter)Ordnung statt Chaos und Anarchie, Reinheit statt Durchmischung und Dezisionismus statt politischem Streit sind die Eckpfeiler einer deutschen Pflichtethik, die außer Ordnung nichts zu bieten hat. Sie verdichtet sich als negative Gesinnung, die sich durch das begründet, was nicht sein soll, in dem von Carl Schmitt konstruierten Gegensatzpaar von Bürger und Soldat. »Soldat« ist der Träger der souveränen Entscheidung, im Ernstfall den Feind zu bestimmen, »Blut zu vergießen und zu töten«. Denn »die politische Einheit muß gegebenenfalls das Opfer des Lebens verlangen. Für den Individualismus des liberalen Denkens ist dieser Anspruch auf keine Weise zu erreichen.«

Diese Gesinnung wirkt weiter. Wenn nicht direkt Carl Schmitt, dann doch zumindest jene Härte, die seinem Antiliberalismus zugrunde liegt, bestimmt die strafrechtliche Diskussion in Deutschland auch aktuell. Ihr zur Zeit wichtigster Protagonist ist der zwischenzeitlich emeritierte Bonner Strafrechtslehrer Günther Jakobs, der bereits Mitte der 1980er Jahre den Begriff des »Feindstrafrechts« prägte. Zugrunde liegt eine einfache Erkenntnis: Gegenüber bestimmten Personengruppen greift der Staat zu Sanktionen, die zwar rechtsförmig vonstatten gehen mögen, die aber derart weit in die Rechte der Verfolgten eingreifen, daß sie sich »von einer Reaktion der Gesellschaft auf die Tat eines ihrer Mitglieder zu einer Reaktion gegen einen Feind« wandeln. Charakteristisch ist »die weite Vorverlagerung der Strafbarkeit«, was bedeutet, daß nicht erst die Tat, sondern bereits die »Organisation«, die Lebensführung und die zur Tat führende Haltung inkriminiert werden, sowie der »Übergang von der Strafrechtgesetzgebung zur Bekämpfungsgesetzgebung«. »Die Strafe im Staat setzt eine bestehende Ordnung voraus, die der Delinquent desavouiert und die durch seine Bestrafung bestätigt wird.« Feindstrafrecht hingegen ist »Strafe im Naturzustand, ... ein Zwangsmittel gegen den, der sich einer vom anderen gewünschten Ordnung nicht fügt.« – »Auf den Begriff gebracht ist Feindstrafrecht also Krieg.«

Das Problem ist bekannt. Daß es »dort, wo die Souveränität des Staates herrscht, keinen Platz für die Geltung des Rechts geben« kann, beschrieb Franz Neumann bereits Mitte der 1930er Jahre. Der bürgerliche Rechtsstaat verdrängt mit der Forderung, nicht Menschen, sondern Gesetze sollten herrschen, lediglich das, was den Staat ausmacht: die Fähigkeit zur Gewalt; er schafft es jedoch nicht ab. Hinter dem Gesetz verbirgt sich weiter der Souverän, hinter dem Recht steht, verschleiert, die Gewalt. Der Ausnahmezustand ist dementsprechend der Zustand, in dem die Gewalt hinter dem Recht hervortritt und der Staat als Souverän sichtbar wird. Der dem Rechtsstaat innewohnende, aber verdrängte Widerspruch wird kenntlich und zugunsten der Gewalt gelöst. Unter anderem daher rührt die Bedeutung, die dem Ausnahmezustand in der deutschen Rechtslehre seit Carl Schmitt zukommt: Mit seinem Erscheinen werden zugleich jene Widersprüche gelöst, die den bürgerlichen Rechtsstaat ausmachen.

Auch die neue deutsche Rechtslehre vom Feindstrafrecht kommt ohne diesen Ausnahmezustand nicht aus. Denn das »Feindstrafrecht« existiert nicht nur, weil der Staat seine Bürger als Feinde bekämpft, sondern wird notwendig erst durch die behauptete Existenz von Feinden, die sich gegen die Gesellschaft erheben. »Wenn nicht alles täuscht«, heißt es in einem Aufsatz von Jakobs, »wird die Zahl der Feinde nicht so bald abnehmen, vielmehr eher noch zunehmen. Eine Gesellschaft, der die Stützungen einer staatskonformen Religion ebenso abhanden gekommen sind wie diejenigen der Familie und in welcher die Nationalität als eine eher zufällige Eigenschaft verstanden wird, läßt den einzelnen zahlreiche Möglichkeiten, am Recht vorbei eine Identität aufzubauen, jedenfalls mehr, als es eine stärker bindende Gesellschaft bieten könnte. Hinzu kommt die Sprengkraft sogenannter Multikulturalität – ein schieres Unding ...« Genau hier schlägt der durchaus auch kritisch verwendbare Begriff des Feindrechts in Affirmation um. Denn im Feindrecht geht es darum, »erträgliche Umweltbedingungen dadurch (herzustellen), daß diejenigen ... kaltgestellt werden, die nicht die kognitive Mindestgarantie bieten, die nötig ist, um sie praktisch aktuell als Personen behandeln zu können«. Dies »muß« geschehen, »wenn man nicht untergehen will«.

Jakobs entwirft hier einen Ausnahmezustand in Permanenz. Er ist gekennzeichnet durch die grundsätzliche Abwendung des Individuums vom Recht und wird begründet mit einer dunklen Theorie der Normgeltung, die den Anfechtungen der Kultur mit einer aus Hobbes, Bodin und Kant zusammengeflickten Naturrechtslehre begegnet. Ausgangspunkt ist die »normativ grenzenlose und nur durch die physische Gewalt jedes einzelnen begrenzte Freiheit ..., zu tun und zu lassen, was man will, so man nur kann«. Die Unterwerfung der individuellen Freiheit durch die Zwangsanstalt Staat ist die Grundlage des Rechts. Dieses wiederum kann für den einzelnen nur gelten, wenn als »kognitive Mindestgarantie« gewährleistet ist, daß auch der andere sich rechtskonform verhält. Ist diese Garantie nicht gegeben, so wird das Recht selbst desavouiert. »Man greift zum Selbstschutz, indem man etwa aus Angst vor Überfällen nicht mehr in bestimmten Gegenden spazierengeht oder aus Angst vor Diebstählen sein Fahrrad dreifach verschließt.«

Daß ein Ausnahmezustand, der bereits bei der Furcht vor dem Fahrraddiebstahl einsetzt, schwer quantifizierbar ist, liegt auf der Hand. Jakobs führt daher eine qualitative Unterscheidung zwischen Bürger und Feind ein: Einen Anspruch darauf, als Bürger

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behandelt zu werden, könne nur derjenige erheben, der gewisse »personelle Qualitäten« erfülle, die wiederum zwar nicht in einer hundertprozentigen Normtreue, aber doch einem grundsätzlichen Einverständnis mit der Norm besteht. »Wirkliche Person ist, wessen Verhalten normgemäß ausfällt«, Bürger ist, wer sich erkennbar bemüht, Person zu sein. Der »homo phaenomenon, das nach Lust und Unlust bilanzierende Individuum« muß »durch Gewöhnung und Strafe« zum »rechtlich gesonnenen Kommunikationsteilnehmer gelenkt« werden. Denn Strafe als »kommunikativer Akt« zwischen Gesellschaft und Individuum setzt voraus, daß die Botschaft auch verstanden wird.

»Feind« hingegen ist der »prinzipiell Abweichende«, der »keine Garantie personellen Verhaltens (bietet)«. Strafrechtliche Kommunikation ist mit ihm nicht möglich. »Deshalb kann er nicht als Bürger, sondern muß als Feind bekriegt werden. Dieser Krieg erfolgt mit einem legitimen Recht der Bürger und zwar mit ihrem Recht auf Sicherheit; er ist aber, anders als Strafe, nicht auch Recht am Bestraften, vielmehr ist der Feind exkludiert.« Es bedarf keiner großen Vorstellungskraft, sich auszumalen, wohin die Reise geht.

Wer aber sind die Feinde? »Der Feind ist ein Individuum, das sich in einem nicht nur beiläufigen Maß in seiner Haltung ... oder seinem Erwerbsleben ... oder ... durch seine Einbindung in eine Organisation ..., also jedenfalls vermutlich dauerhaft vom Recht abgewandt hat und insoweit die kognitive Mindestsicherheit personellen Verhaltens nicht garantiert und dieses Defizit durch sein Verhalten demonstriert.« Nur selten wird Jakobs deutlicher, eine Lücke, die System hat. Nicht zufällig sind die wenigen Feinde, die er klar benennt, genau jene Tätergruppen, die von einer gesonderten »Bekämpfungsgesetzgebung« bereits erfaßt sind: Sexualtäter und Drogendealer. Was diese Klientel von anderen Tätern als »prinzipiell Abweichende« unterscheidet, ist rätselhaft – und wird es bis zum nächsten »Bekämpfungsgesetz« auch bleiben.

Wichtiger scheint Jakobs indes, die Unterscheidung überhaupt vollzogen zu haben. »Was ich will, ist eine hinreichende Trennung der Normen, die für den Ausnahmefall gelten, und der Normen, die für den Normalfall gelten«, rechtfertigte er sich im vergangenen Jahr. Er erreicht dies, indem er den Ausnahmezustand als künstliches Gehege des Naturrechts konstruiert. Dieser Ausnahmezustand ist kein zeitlich begrenzter, der auf den Normalfall folgt, von einer Regierung verhängt und wieder aufgehoben wird, sondern ein permanenter, der dem Normalfall zur Seite tritt. Um die beiden Bereiche, den des Rechts und den der Gewalt, zu trennen, schafft er einen Bereich des Identischen, in dem der Staat unmittelbare Gewalt durch Gewalttätigkeit wird.

An diesem Punkt sind sich der Strafrechtler Günther Jakobs und der Staatsrechtler Carl Schmitt bereits so nahegekommen, daß ihre Umrisse zu verschwimmen beginnen. Schmitt bekämpfte den Widerspruch zwischen Recht und Macht. Der liberale Rechtsstaat verschleiere nicht nur die ihm innewohnende Gewalt des Souveräns, er mache vielmehr die souveräne Unterscheidung über Freund und Feind unmöglich. An die Stelle des nichtidentischen Rechts tritt bei Schmitt daher der Staat, später der Führer und die Volksgemeinschaft. »Wirkliches« Recht könne es erst geben, wenn die Widersprüche bürgerlicher Legalität beseitigt sind und Gleichartigkeit hergestellt wurde. »Wir schaffen heute zunächst einmal die notwendige Gleichartigkeit«, schreibt er in Das gute Recht der deutschen Revolution, »erst dann können wieder formale Normen ihren Lauf nehmen, die eine sinnvolle Legalität in sich enthalten. Die deutsche Revolution läßt sich nicht in der Schlinge einer ihr fremden und feindlichen Legalität fangen.« Gleichartigkeit ist bei Schmitt die Voraussetzung für eine »echte participatio«, die »nötigenfalls« in Form einer Diktatur hergestellt werden müsse, welche »die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen« betreibt. Daß Schmitt 1933 die Silben verschiebt, so daß aus Gleichartigkeit Artgleichheit wird, ist nur konsequent.

Jakobs steht vor demselben Problem, vermeidet allerdings den Begriff der Souveränität. An die Stelle des gewaltsamen Souveräns tritt bei ihm die »rechtlich verfaßte Gesellschaft«, die, will sie Zwang ohne Staat ausüben, sich zu einem monströsen Konformitätsapparat wandelt. Feind ist das Individuum, das hartnäckig an seiner Subjektivität gegen die Gesellschaft festhält und sich weigert, die »kognitive Mindestgarantie personeller Qualität« zu liefern. Um den Fortbestand der rechtsförmigen Gemeinschaft zu sichern, muß der Feind vernichtet werden.

Zugrunde liegt der Theorie des Feindstrafrechts ein bekannter Mechanismus: Dem Zwang gegen das Individuum geht die Angst vor ihm voraus, die zugleich immer auch die Angst vor dem Chaos der Freiheit ist. Um sie zu bändigen, muß das Individuum unterdrückt werden. Innerhalb der bürgerlichen Sphäre des Rechts, die Feinden verschlossen bleibt, tritt der Angst (vor Fahrraddieben) daher notwendigerweise der Zwang zur Konformität zur Seite, die durch beständig zu erbringende Garantieleistungen bestätigt werden muß. Dies wird um so bedeutsamer, als sich die Qualität der Feindschaft eben nicht nach den Taten, sondern nach der Haltung und Zugehörigkeit der Feinde bemißt. Die nach außen gezeigte Härte gegenüber den Feinden wirkt grausam auch nach innen. Sie dient dazu, den Bürger vor der modernen »Tango- und Two-Step-Gesittung« der »Multikultur« zu bewahren, das »Preß-banditenhafte« draußen zu halten und die Wunden zu heilen, die durch den Verlust von »staatskonformer Religion«, »Nation« und »Familie« geschlagen wurden.

Diese Härte gegen das »nach Lust und Unlust bilanzierende Individuum« und die gegenüber einem feminin-eleganten, großmäulig-demokratischen »Lusteuropa« empfundene Abscheu von einst entspringen derselben Angst. Sie wird gebändigt durch eine Theorie, deren Freudlosigkeit sich am deutlichsten in der Verwendung des Begriffs der Freiheit zeigt, die einzig als »Freiheit im Naturzustand« eine Rolle spielt – wie bei »einem wilden Tier«. Als Beitrag zur international geführten Debatte um Sicherheit und Freiheitsrechte mag das Feindstrafrecht daher etwas dürftig erscheinen. Dafür aber trägt es ein unverkennbares Markenzeichen: Made in Germany.

Thomas Uwer ist Herausgeber des

Buchs »Bitte bewahren Sie Ruhe«. Leben im Feindrechtsstaat, das März 2006 erscheint