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Forstw. Cbl. 1~0 (199l), 149-157 1991 Verlag Paul Parey, Hamburg und Berlin ISSN 0015-8003 Konsequenzen aus den Ergebnissen der Totholzforschung fiir die forstliche Praxis 1 Von U. AMM~R Man sagt sicher nichr zuviel, wenn man das ~lema Totholz neben den Fragen der Baumartenverteilung und der Biotopkartierung zu den naturschutzpolitisch wichtigsten Anliegen im Bereich der Forstwirtschaft z~ihlt, und die vorstehenden Referate (in diesem Heft) haben einmal mehr unterstrichen, welche Bedeutung totes und absterbendes Holz fiir den Artenschutz im Walde hat. Von daher mug man nicht nur VerstS.ndnis sondern grundsatzliche Sympathie haben fur ein Programm, das im Wirtschattswald den Nischen- reichtum fiir totholzbewohnende Pilze urld Insekten f6rdern will. Abet wie so oft, geraten spezielle Hilfsprogramme in die Gefahr - gut meinend - Extrempositionen zu beziehen und aus der Sorge um einige bedrohte Arten Zust~inde anzustreben, die aus gesamtokologi- scher Sicht mehr als fraglich erscheinen. So ist es sicher richtig, dag heideartig verlichtete Wa]dbereiche oder parkartig strukturierte Weidelaadschaften einen wichtigen Beitrag zum Schutze der xerothermophilen Hoizk~iferarten leisten wiirden, aber man dad bei der Forderung nach solchen Landschaftsstruktt, ren (Abb. 1) wie sie GF.ISER(1989) auf grof~er Fl~iche fordert, nicht v~,rgessen, dag die Schaffung yon Lebensraumstrukturen for Ka.fer- arten (wie z.B. Cerambyx cerdo), die in Mitteleuropa ohnehin am Nor&and ihres Ver- breitungsgebietes leben, ein grof~es Opfer und Biotopverluste fiir das grof~e Heer der schattenliebenden Arten einscb.liet~lich der Waldvegetation darste]len w6rden. M6g!icher- weise sind solche lichthungrigen Hoizinsekten in unseren Breiten urspr6nglich auf relativ wenige waldfreie oder waldarme Sonderstandorte wie Felsheiden, Wildfluglandschaften ode.r Moorkomplexe beschr~inkt ~ewesen. Ahnlich extrem horen sich Forderungen der Projektgruppe Aktionsprogramm Okolo- gie bzw. der Arbeitsgruppe ,,Leitlinien des Naturschutzes und der I-.andschaftspflege bei der BI'ANL" (1989) an, wenn aus naturschiitzerischer Sicht 5-10 % der Waldfl~iche aus Naturschutzgebieten bestehen und weitere 10 % Wald als Vorranggebiete des Nau,rschut- zes faktisch einer wirtschaftlichen Nutzung entzogen werden sollen. Ein anderes Denkmodell aus den Reihen des Naturschutzes mochte mit dem Ankauf von jet Alteiche/100 ha im Privatwald dutch den Naturschutz den Totholzanteil erh6hen. Was mit diesen Beispielen gesagt sein will ist dies: wit sollten vorsichtig sein mit einseitigen Programmen (und Artenschutzkonzepte sind dies fast immer), auch wenn anzuerkennen ist, da.g wit nicht warten k6nqen, bis wit ,iber.~l! ausreichende wissenschaft- liche Kennmisse besitzen. Es macht keinen Sinn, mit hohem Aufwand und 6kologischen Verzichten reife Alt- und Totholzbiotope herzustellen, die dennoch fur seltene Urwald- reliktarten kein Refugium darstellen k6nnen, well sie entweder keine Faunentradition besitzen und/oder well die Entfernung zum Mchsten Reliktstandort die zum Tell augeror- dentlich geringe Migrativit~t (yon nur 20-50 m bei manchen K~iferarten) um das Hundert- oder Tausendfache iiberschreitet. Wie aber k6nnte dann ein realistisches Naturschutzkonzept f/ir den Wald aussehen, das auch den Faktor Totholz ausreichend berticksichtigt? Zun~.chst: es mLilke aus einem System gesch(itzter FlSchen bestehen, daf/.ir aber sind nicht 20 % der Waldfl~iche sondern maximal 2 % notwendig, ' Herrn Professor Dr. W. LtesE zum 65. Geburtstag gewidmet. U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0015-8003/91 / 11002-000149 $ 0.2.50/0

Konsequenzen aus den Ergebnissen der Totholzforschung für die forstliche Praxis

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Page 1: Konsequenzen aus den Ergebnissen der Totholzforschung für die forstliche Praxis

Forstw. Cbl. 1~0 (199l), 149-157 �9 1991 Verlag Paul Parey, Hamburg und Berlin ISSN 0015-8003

Konsequenzen aus den Ergebnissen der Totholzforschung fiir die forstliche Praxis 1

Von U. AMM~R

Man sagt sicher nichr zuviel, wenn man das ~lema Totholz neben den Fragen der Baumartenverteilung und der Biotopkartierung zu den naturschutzpolitisch wichtigsten Anliegen im Bereich der Forstwirtschaft z~ihlt, und die vorstehenden Referate (in diesem Heft) haben einmal mehr unterstrichen, welche Bedeutung totes und absterbendes Holz fiir den Artenschutz im Walde hat. Von daher mug man nicht nur VerstS.ndnis sondern grundsatzliche Sympathie haben fur ein Programm, das im Wirtschattswald den Nischen- reichtum fiir totholzbewohnende Pilze urld Insekten f6rdern will. Abet wie so oft, geraten spezielle Hilfsprogramme in die Gefahr - gut meinend - Extrempositionen zu beziehen und aus der Sorge um einige bedrohte Arten Zust~inde anzustreben, die aus gesamtokologi- scher Sicht mehr als fraglich erscheinen. So ist es sicher richtig, dag heideartig verlichtete Wa]dbereiche oder parkartig strukturierte Weidelaadschaften einen wichtigen Beitrag zum Schutze der xerothermophilen Hoizk~iferarten leisten wiirden, aber man dad bei der Forderung nach solchen Landschaftsstruktt, ren (Abb. 1) wie sie GF.ISER (1989) auf grof~er Fl~iche fordert, nicht v~,rgessen, dag die Schaffung yon Lebensraumstrukturen for Ka.fer- arten (wie z.B. Cerambyx cerdo), die in Mitteleuropa ohnehin am Nor&and ihres Ver- breitungsgebietes leben, ein grof~es Opfer und Biotopverluste fiir das grof~e Heer der schattenliebenden Arten einscb.liet~lich der Waldvegetation darste]len w6rden. M6g!icher- weise sind solche lichthungrigen Hoizinsekten in unseren Breiten urspr6nglich auf relativ wenige waldfreie oder waldarme Sonderstandorte wie Felsheiden, Wildfluglandschaften ode.r Moorkomplexe beschr~inkt ~ewesen.

Ahnlich extrem horen sich Forderungen der Projektgruppe Aktionsprogramm Okolo- gie bzw. der Arbeitsgruppe ,,Leitlinien des Naturschutzes und der I-.andschaftspflege bei der BI 'ANL" (1989) an, wenn aus naturschiitzerischer Sicht 5-10 % der Waldfl~iche aus Naturschutzgebieten bestehen und weitere 10 % Wald als Vorranggebiete des Nau,rschut- zes faktisch einer wirtschaftlichen Nutzung entzogen werden sollen.

Ein anderes Denkmodell aus den Reihen des Naturschutzes mochte mit dem Ankauf von jet Alteiche/100 ha im Privatwald dutch den Naturschutz den Totholzanteil erh6hen.

Was mit diesen Beispielen gesagt sein will ist dies: wit sollten vorsichtig sein mit einseitigen Programmen (und Artenschutzkonzepte sind dies fast immer), auch wenn anzuerkennen ist, da.g wit nicht warten k6nqen, bis wit ,iber.~l! ausreichende wissenschaft- liche Kennmisse besitzen. Es macht keinen Sinn, mit hohem Aufwand und 6kologischen Verzichten reife Alt- und Totholzbiotope herzustellen, die dennoch fur seltene Urwald- reliktarten kein Refugium darstellen k6nnen, well sie entweder keine Faunentradition besitzen und/oder well die Entfernung zum Mchsten Reliktstandort die zum Tell augeror- dentlich geringe Migrativit~t (yon nur 20-50 m bei manchen K~iferarten) um das Hundert- oder Tausendfache iiberschreitet.

Wie aber k6nnte dann ein realistisches Naturschutzkonzept f/ir den Wald aussehen, das auch den Faktor Totholz ausreichend berticksichtigt?

Zun~.chst: es mLilke aus einem System gesch(itzter FlSchen bestehen, daf/.ir aber sind nicht 20 % der Waldfl~iche sondern maximal 2 % notwendig,

' Herrn Professor Dr. W. LtesE zum 65. Geburtstag gewidmet.

U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0015-8003/91 / 11002-000149 $ 0.2.50/0

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150 U. A m m e r

Abb. 1. Hutweide im Staarswald ,,Forstenrieder Park ~ b. Miinchen Fig. l. Forest grazing area in the 'Forstenrieder Park' state forest near Munich

und es m6gte ergSnzt werden durch eine sp6rbare, aber wirtschaftlich und forst- schutztechnisch vertretbare Erh6hung des Totholzanteils im Wirtschaftswald

Die Formel wi.irde auch hier wie bei vielen anderen Naturschutzstrategien im Wald lauten konnen:

Kombination yon gutausgesuchten Totalreservat~,n mit verantwor- tungsvoller (naturnaher) Waldwirtschaft auf der ganzen Fkiche

Ich will versuchen, eine solche Konzeption am Beispiel Bayerns zu verdeutlichen.

1 Fl~ichenschutz

Wie Abbildung 2 zeigt, verfiigt Bayern mit den beiden Nationalparken iiber nutzungsfreie Waldfl?ichen von rund 20000 ha, die wichtige Waldgesellschaften (vom Fichtenauwald 6bet Bergmisch- und Schluchtw~ilder bis zum Hochlagen Fichtenwald bzw. den Fichten/- L/irchenw/ildern der subalpinen Stufe) verk6rpern. Nimmt man noch einmal 5000 ha fiir Waldreservate der collinen bzw. planaren Stufe hinzu, dann k6nnten mittelfristig auch wichtige Eichen- und Buchenwaldgesellschaften grogfl/ichig sich selbst/.iberlassen werden. Diese Schutzgebiete sollten allerdings nicht als Nationalparke, allenfalls als Biosph~iren- reservate, am besten als Waldreservate mit dauerhaftem Nutzungs- und Pflegeverzicht ausgewiesen werden.

In Verbindung mit dem schon bestehenden unseres Erachtens vorbildlich ausgew?/hlten Konzept der Naturwaldreservate und einer Reihe geschCitzter kleinfl/ichiger Sonderstand-

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Konscquenzen aus den Ergebmssen der Totholzforschung fur die forsthcbe Praxis 151

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152 U. Ammer

orte, wozu auch parkartige Fl~ichen und Waldnaturschutzgebiete geh6ren, ergO.be sich ein kombiniertes Schutzgebietsystem, das vielen Gesichtspunkten des Natur- und Artenschut- zes Rechnung tragen wiirde und dessen Umfang mit 45 0O0 ha, das sind 2 % der Waldfla- che Bayerns, vertretbar w~ire. Dabei entMlt diese Gr6genordnung bereits die langfristig anzustrebende Anhebung der Fl~ichenausstattung der Naturwaldreservate von derzeit 30 ha im Durchschnitt (ALBRECttT 1990) auf rund 100 ha.

Ahnliche 13rberlegungen lassen sich fiir andere Bundesl~inder anstellen, wobei die geplanten Nationalparke und Biosph~.renreservate in den L~indern der ehemaligen DDR reizvolle und vielversprechende Ansatzpunkte sind.

2 N a t u r n a h e Wir t schaf t auf der Gesamtfl~iche

Der Vorschlag, die Totalreservate auf wenige Prozent der Waldfl~iche zu beschr~inken, nicht zuletzt um nachhaltig den umweltfreundlichen Rohstoff Holz zu erzeugen, setzt voraus, dag auf der iibrigen Waldfl~iche okologisch verantwortlich gewirtschaftet wird. W~ihrend fiir eine naturnahe Waldwirtschaft im Hinblick z. B. auf Baumarten, Umtriebs- zeiten oder Verjiingungsverfahren in der Regel sehr pr~izise Vorstellungen bestehen, sind in der forstlichen Praxis zum Thema Totholz noch viele Fragen often; so zum Beispiel: welche Baumarten sind zu bevorzugen, wieviel Totholz je ha ist angemessen, in welcher Dimension und in welchen Formen bzw. Zersetzungsgraden ist es anzustreben bzw. waldhygienisch vertretbar.

2.1 Totholzrelevante Baumarten

Bekannt ist die besondere Bedeutung der Eiche fiir licht- und w~irmeliebende xylobionte Arten (vgl. auch Abb. 3). Neben der Buche spielen vor allem die Weichlaubh61zer Birke, Aspe, Weide und Erie eine hervorragende Rolle. Nach den Befunden yon PFARR und SCHm~,'vlMEL (1991) bietet aber auch die Fichte Lebensraum fiir mehr als 300 Arten, das sind 25 % aller Totholzbewohner; dies ist beachtlich, wenn auch der Anteil der Rote- Liste-Arten etwas weniger spektakulSr ist als bei Eiche oder Buche.

Daf/ir ist die Fichte mit hohen FlS.chenanteilen tiberall vertreten und bietet durch ihre relative Anf~illigkeit gegen biotische und abiotische SchS, den eine gute M6glichkeit, im Rahmen der ,,zufS, lligen Ergebnisse" den Totholzanteil zu erh6hen, wobei allerdings Forstschutzgesichtspunkte beriicksicbtigt werden mtissen.

2.2 Formen des toten Holzes und Zersetzungsgrad

Alle Totholzformen und alle Zersetzungsgrade sind bedeutsam. Dies gilt auch f/.ir Astholz und Reisig, das in praktisch allen Best~inden zur Verftigung steM. Abet nicht nut im Blick auf die H6hlenbriiter betont UTSCHm~: (1991) die Notwendigkeit von starkem Totholz, worunter wir Stammdurchmesser (Brusth6hendurchmesser) von tiber 20 cm verstehen. Austrocknungs- und Temperaturverlauf oder Zersetzungsdauer werden wescntlich vom Durchmesser beeinflugt und sind ftir Xylobionte Holzbewohner mit mehrj~.hriger Ent- wicklungsphase lebenswichtig (RAuH u. Sctt.~m-r 1991). Soweit es das Bestandesalter zul~l~t, sollte deshalb ca. die H~ilfte der Totholzmasse in Dimensionen 0her 20 cm angeboten werden. Von Bedeutung ist auch die Erkennmis, dag totes Holz m6glichst nicht zerkleinert werden soil; die Schnittfl~ichen abgel~ingter Abschnitte f6rdern die Austrock- nung! Im Idealfatl entsteht das liegende Totholz, indem ,,Diirrst/inder" zusammenbrechen diirfen, wobei Stammwalze und Krone unverandert am Boden liegen bleiben solten. Anzustreben ist ein Anteil yon etwa 50 % stehendem Totholz. Dabei kann die Gefahr, die yon absterbenden B~.umen durch abbrechende Stamm- und Kronenteile ausgeht, teilweise

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Konsequenzen aus den Ergebnissen der Totholzforschung fur die/orstliche Praxis 153

Baumarten"

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900 600 300 700 500 700 600 300

70% 40% 20% 50% 36% 50% 40% 20%

des Tothotzes ~ _.----__J

N~le~e ~ stehend 50% legend 50% . '

D~ens~q Starktotho!z (:>20 cm ~ ) rrw',destens .50%

T o t t ~ 1-3 trn/ha mel~al ~rn W~schaftswald 5- I0 ~n/l'~ rnittelfr~tx:j anzustTeben

15-30 hWha o o ~ a l (sehr tangffist~j)

"8edeutung det ve/sch~edehen Baurnaflen fur ~ylob*onte Kaferarlen. vetandert fur $uddeutscne Verh;lllnisse nach PALM 1950

Abb. 3. Bedeutung der Baumarten fiir xylobionte K:iferarten. Formen des To~holzes und vertretbare Totholzvorrite im Wirtschaftswald Ftg. 3. hnportance of tree species for xylo-biont beetle species. Types of dead woody material, and iustifiabie volumes in dead trees in the commercial forest

durch das Ausweichen auf sogenannte ,,Hochstubben", das sind 3-5 m hohe Stiimpfe, die durch Schnee- und Windbrfiche entstehen, abgemildert werden. Wichtig ist auch, dag die Lichtschachtwirkung, die durch den Zusamrnenbruch einzelner grogkroniger Biume oder kleiner Totholznester (5-8 Biume z. B. nach Blitzschlag) entsteht fiber einige Zeit erhahen bleibt.

2.3 Menge an totem H o h

lDber den notwendigen Anteil toten Holzes kann beliebig gestritten werden. Einerseits zeigen viele Untersuchungen, dab die Artenzahlen in einem weiten Bereich mit der Totholzmenge zunehmen, andererseits weisen die Befunde yon PFARR (1990) darauf bin. daft offensichtlich auch totholzarme Phasen im Einzelbestand ohne Artenverluste fiber- brfickt werden k6nnen, wenn die Umgebung (benachbarte Waldabteilungen) fiber eine ausreichende Ausstattung mit totem Hole verfi~gen. Bezogen auf den durchschnittlichen Wirtschaftswald, dessen Totholzanteii heute im Durchschnitt bei 1-3 fm le ha liegen dfirfte, wire eine mittelfristige Anhebung des anbriichigen, absterbenden oder toten Hotzes auf 5-10 fro/ha (das sind 1-2 % des stehenden Vorrates) ein beachtlicher, okono- misch aber tragbarer Schritt. Totholzvorrite yon 15-30 fro/ha werden wohl zun~ichst auf Fkichen beschrinkt bleiben, die z. B. aus Griinden fehlender oder schlechter Erschlieflung nut extensiv gepflegt werden. Man kann aber nach unseren Untersuchungen davon ausgehen, daft schon mit einem Angebot yon 5-10 fro/ha eine deutliche Verbesserung der Lebensbedingungen xvlobionter Insekten und der auf Totholz angewiesenen Vogelarten eintritt, vor allem wenn das tote Holz wenigstens zur Hilfte in stehender Form auftritt.

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154 U. Ammer

2.4 Totholzanreicherung

Anders als bei der von Naturschutzvertretern immer wieder angemahnten Umstellung der Bestockungsziele auf einen h6heren Laubholzanteil, der selbst bei jahrzehntelanger Vorar- belt etwa dutch Tannen- und Buchen-Vorbauten in reinen Fichtenalth6lzern erst nach Jahrzehnten in der Landschaft ablesbar ist, w~ire eine relativ rasche Anhebung des Totholzvorrates dutch kfinstliche Maf~nahmen machbar: z.B. durch Umschneiden und Liegenlassen, Einleitung kfinstlicher Absterbeprozesse durch Ringeln oder Einschneiden. Abet abgesehen davon, daf~ solche ,,gewollten" Mai~nahmen nicht jedermanns Sache sind, gibt es auch wissenschaftliche Argumente, die es nahelegen, die Steigerung der Totholz- vorr~ite langsam, natiirliche Abgange ausnutzend, vorzunehmen. Dort, wo bisher wegen sehr geringer Totholzmengen ausreichende Faunentraditionen nicht bestehen, wfirde ein pl6tzliches ,,lJberangebot" an totem Holz - wie es derzeit zwangsl~iufig durch die Sturmholzanf~ille entsteht - allenfalls yon Ubiquisten oder solchen Tothoizbewohnern wahrgenommen, die fiber hohe Migrativit~,t bzw. fiber eine grof~e Reichweite ihrer Verbreitungsmechanismen (z. B. Pilzsporen) verftigen. Diese abet sind in der Regel nicht bedroht und nicht auf rasche Hilfe angewiesen. Man wird daher den Aufbau der Totholz- vorr~ite als langfristige Aufgabe sehen mfissen, wobei man gezielt dort ansetzen sollte, wo ' geeignete Baumarten oder gfinstige Alters- und Strukturverh~ilmisse vorliegen.

2.5 Nachhaltigkeit im Totholzaufkommen

Allein von den Dimensionen her, aber auch unter Belichtungsaspekten, sind Baum- und Alth61zer ffir Totholzspezialisten am interessantesten. Ausgesprochen schwierig wird im Altersklassenwald die Kuhur- und Dickungsphase, und auch in den frfihen Durchfor- stungsstadien, die meist i.iber hohe Vorr~ite an Reisig und schwachem Totholz verfiJgen, besteht ein Mangel an Starktotholz. Diesem Problem kann auf zweierlei Weise begegnet werden: 1. Indem man bewuf~t einzelne Altb?iume fiber die Umtriebszeit hinaus stehen und in die

nSchsten Altersphasen einwachsen l~igt; ich bezeichne dies bewul~t nicht als UTberhalt, well es sich nur um ganz wenige Exemplare und nicht um eine mit dem Begriff ,l~lberhalt" verbundene Wertholzproduktion handeln kann; diese eingewachsenen Altb/iume sollen ja krank werden, absterben und umfallen dfirfen!

2. Were dieser Gedanke noch ein wenig fremd ist, kann auch einen anderen Weg gehen und auf das rSumliche Nebeneinander setzen. Es gibt Hinweise (Pt:Av.P, 1990), dag starktotholzarme Phasen ohne grol~e Nachteile fiberstanden werden, wenn in der Nachbarschaft der verjfingten F1/ichen Best/inde (z. B. U - 40) stocken, die fiber ausreichende Totholzvorr/ite verf/Jgen. Es entspricht dies der Dynamik des Waldes und ist z. B. ein Gegenkonzept zu dem starren mit Schutzstatus bewehrten Altholzinselpro- gramm, das nicht zum Wirtschaftswald pagt (s. auch A.~IMER U. UTSCHICK 1985).

Diese beiden Strategien sind miteinander kombinierbar und gehen mehr und mehr ineinander tiber, je ungleichaltriger und je besser strukturiert die Best~inde sin& Insofern l/iuft - wenn ich dies richtig sehe - die generelle waldbauliche Zielsetzung in eine Richtung, die ein nachhaltiges Angebot auch an starkem Totholz relativ leicht machen wtirde. Man sollte sich allerdings auch fiber den Umfang einer nachhaltigen Versorgung mit totem Holz Rechenschaft geben: bei einer durchschnittlichen Zersetzungsdauer yon ca. 10 bis max. 20 Jahren bei Buche und Weichlaubholz, yon ca. 30 Jahren bei Fichte und etwa 90 bis 100Jahren bei Eiche erfordert ein sdindiger Totholzvorrat yon z.B. 10 fm/ha eine j~ihrliche Nachlieferung in der Gr6genordnung yon 0,I (Eiche) bis 1,0 (Buche) fro/ha im blittel (f(ir gemischte Laub- und Nadelwaldbesfiinde) wohl zwischen 0,5 und 0,3 fro/ha. Diese Zahlen machen deutlich, dat~ die laufenden 6konomischen Verluste zwar bei relativ raschwfichsigen d.h. produktiven Baumarten, wie etwa der Fichte, mit 3-5% des

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Konsequenzen aus den Er.gebnissen der Totholzforscbung f~ir die forstl~che Praxls 155

Zuwachses meines Erachtens im Bereich des Zumutbaren liegen, daf~ abet bei weniger leistungsstarken und rasch zerfallenden Baumarten, wie z.B. der Buche, schon bei m~iffigen Totholzdichten j~ihrliche Produktionsverluste in Altbest~inden yon 10-20~ auftreten k6nnen. Dies mu~ man sehen, vor allem dann, wenn man Weft darauf legt, dal~ das Totholz nicht nur aus Astholz und Stubben besteht. Hier hilft auch der oft zu b6rende Hinweis kaum weiter, man k6nne beim Totholz ja bevorzugt auf schlecht geformte, wenig wertvolle Bestandesglieder ausweichen, es sei denn, man wolle mit Ringelmesser und S~ge bestimmen, welcher Baum wann zu Totholz zu werden habe; eine Art yon Totholzmana- gement, die wir eigentlich ausschlief~en sollten.

2.6 Zus~itzliche M6glichkeiten, die Totholzsituation zu verbessern

Hierher geh6rt z.B. die Empfehlung, bei allen Aufforstungen (z. B. Erstaufforstungen), bei denen wesentliche Laubholzbeimischungen (aus finanziellen oder forstschutztechni- schen Grfinden - z.B. Z~iunung, Sp~itfrost, M~iuse-) nicht unmittelbar durchgesetzt werden konnen, der Fichte wenigstens 10-20% Sukzessions- bzw. Pionierbaumarten (Birke, Aspe, Weide, t-rle) beizumischen (vgl. dazu auch .hsaI~iv:s u. PR~3BSTI. 1988), well unter anderem mit der meist kurzen physiologischen Lebensdauer dieser Weichlaubb61zer das Totholz yon morgen bereits eingeplant ist.

Mit der Erstaufforstung k6nnten z.B. auch Angebote f/.ir xerothermophile Arten geschaffen werden, indem vegetationskundlicb weniger interessante und pflegetechnisch auf Dauer nicht zu betreuende Halbtroeken- und blagerrasen ganz licht mit Eichen- oder kindenheistern fiberstellt werden, ein Vorschlag, der langfristig zu hute- oder baumheide- ~ihnlichen Bildern f/.ihren und der auf vielen Fl~ichen der vorprogrammierten Alternative einer reinen Schwarzdornw/.iste vorzuziehen w~ire (vgl. hierzu auch A.~MER et ai. 1990, Modellplanung Alfeld/Hersbrucker Alb).

Hilfreich w~ire aucb eine wachsende Toleranz gegentiber anbr[ichigen Alteichen und Linden im Trauf- oder Waldmantelbereich, und schliel~lich sollten ffir uns die grof~artigen, nieht sanierten kilome:erlangen Alleen in den k~indern der ehemaligen DDR ein Vorbild sein und uns veranlassen, dort, wo die Straf~enbauverwaltung keine Zust[indigkeit besitzt, entlang yon Forststraf~en auch alte Alleen zu dulden und zu f6rdern (Abb. 4).

Ein letzter ganz wichtiger Aspekt mui?, sein, dem Waldbesucher die Bedeutung toten Holzes n~iher zu bringen und ibm deutlich zu machen, daf~ am Boden verrottendes Holz aller Dimensionen eine grof~artige Saehe und nicht das Ergebnis einer forstlichen ,,Schlampwirtschaft" ist. Auch hier ist noch viel zu tun.

3 Schluf~ und D a n k s a g u n g

Mit den vorstehenden lJberlegungen sollten Anregungen zu einem wichtigen Thema f/_ir den Artenschutz im Walde vermittelt werden. Vieles kann kontrovers diskutiert werden und vleles ist derzeit wissenschaftlich nicht belegbar. Dies darf abet nicht bedeuten, dat~ Macbbares und Plausibles unterbleibt und dies mug bedeuten, dan Totho[z-Monitoring- Programme eingerichtet werden, die uns erlauben, z.B. besser zu verstehen, wer unter welchen Voraussetzungen und in welcher Zeit von einer Erh6hung des Totholzes in Wirtschaftswaldern profitiert. In diesem Zusammenhang d~irfen mittelfristig wichtige Beitr:ige vonder vergleichenden Forschung in Naturwaldreser~'aten und in Wirtschafts- w~ildern erwartet werden.

Wir nehmen gerne die Gelegenheit wahr, der bayerischen Staatsforstverwaltung zu danken, die diese Forschungsprogramme mittr~igt und finanziell unterstfitzt.

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156 U. Ammer

Abb. 4. Alleen mit altem Baumbesrand sind dis Vernetzungsstrukturen auch i'fir Totholzspezialisten wichtig

t:zg. 4. Tree-lined avenues with old trees are important as network structures also for dead wood specialists

Zusammenfassung Mit ether Kombination yon verschieden grot~en Waldreservaten, in denen jcde Nutzung ruht (Nationalparke, Naturwaldreservate und Waldnaturschutzgebiete), und einer naturnahen Forstwirt- schaft auf der Gesamtfl~iche kann auch dem Anliegen des Naturschutzes nach emem h0heren Tothoizanteil im Walde Rechnung getrar werden. Dabei reicht bet optimaler Gestaltum, em Fl~.chenbeitrag des 6ffentlichen Waldes in c%r Gr61~enordnung yon maximal 2 % tier Gesamtwa~dfl.i- che aus, um die wichtigsten naturschutzpolitischen Ziele zu erreichen. Fur den Wirtschaftswald erscheint eine l,m,gfrisrige Anhebung des Totholzanteils yon derzeh 1-3 fro/ha auf 5-10 frn/ha (das sind 1--2 % des Vorrats) m6glich und vertretbar. Wichtig ist, dal~ dabei jeweils die H:ilfte des toten Holzes in stehender Forrn und dis Starkholz (mit Durchmessern fiber 20 cm) anfallt. Obwohl auch Fichtentotholz fund 300 xT"lobionten Arten Lebensraum bictet, s!nd bet der Belassung yon totem Fichtenholz im Bestand Forstschutzgesichtspunkte (jahreszeitlicher Antall) zu beachtcn. Auch Weichlaubholzer dis Mischbaumarten und nicht sanierte Alleen konnen zur Erh6hung des Totholzan- tells beitragen. FOr die Umsetzun,, ist wichtig, dal~ dem Waldbesucher die Bedeutung toten Holzes im Walde verst~,ndlich gemacht wer~en kann. "

S u m m a r y

Consequences from the results of research on dead woody matertal for the forestry pract,ce

Through a combination of differently s izedfores t reserves where no timber cutting takes place (national parks, natural forest reserves, and forested nature protection areas) on the one hand, and nature-oriented forestry practices on all forest land on the other, requests by nature conservation for an increase of the proportion of dead woody material in the forest can be accomodated. The most important objectives o f nature conservation policies can be achieved by a contribution of maximal 2 % of the total public forest area for this purpose, provided optimal conditions prevail. On commercial forest land, a long-term increase of the proportion of dead woody material from presently 1-3 to 5-10 cubic meters per hectare (i.e. I-2 % of the standing volume) is pvssibie and can be justified. It is important, however, that oned~alf each of the dead timber remains standing, and consists of trees larger than 20 cm in diameter, respectively. Although dead spruce trees provide a habitat for approximately 300 xylo-biont species, aspects of forest protection risks (seasonal occurrence) have to

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Konsequenzen aus den Ergebnissen der Totholzforschung f~ir die forstliche Praxis 157

be considered if such trees are left standing. Admixed soft hardwoods in the forest and avenues lined with trees lacking proper care may contribute to the proportion of dead woodv material. In order to realize this, it is important to make the forest visitor understand the importance of such dead woody material in the forest.

L i t e r a t u r

ALBRECHT, L., 1990: Grundlagen, Ziele und Methodik der wald6kologisehen Forschung in Natur- waldreservaten. Diss. LM-Univ. Miinchen.

- - 1991: Die Bedeutung des toten HoIzes im Wald Forstw. Cbl. 110, 2, I06-113. AMMER, U.; PROBSTL, U., 1988: Erstaufforstungen und I.andespflege Forstw. CbI. 107, 60-71. AMMER, U.; UTSCHXCK, H., 1985: Okologische Wertanalyse der Gr:iflich Bernadotteschen Waldun-

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Anschrzft des Verfassers: Prof. Dr. ULRICH A.~XtER, Lehrstuhl f6r Landschaftstechnik, Winzerstrage 45, W-80C0 Munchen 40, Bundesrepublik Deutschland