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TOP 2 werbewoche 05 | 12.02.2009 werbewoche 05 | 12.02.2009 TOP 2 W er Geld für Werbung und Marketing ausgibt, will klare Ergebnisse sehen: gesteigerten Umsatz oder eine stärkere Wirkung seiner Marke. Am besten gleich beides. Aber wann kaufen Konsumenten? Und warum greifen sie zu bestimmten Marken und ver- schmähen andere? Auf der Suche nach dem Buy-But- ton im Käuferkopf liefert die Hirnforschung wichtige Erkenntnisse. Diese nutzt die Münchner Mediaagentur Mediaplus in ihrem neuen Geschäftsbereich «Neuro Impact». «Wir untersuchen, wie und warum Kommu- nikationsmassnahmen wirken», sagt Barbara Evans (37), die Leiterin von Neuro Impact. «Wir können zum Beispiel herausfinden, ob eine Kampagne besser im TV, im Radio, in Print oder Online platziert wird, in welcher Länge ein Spot am besten funktioniert und wie stark Sponsoring-Elemente von unterschiedlichen Zielgruppen aufgenommen werden oder eben nicht.» Bei der Entwicklung von Kommunikationsmassnah- men und Marken und bei der Mediaplanung setzen Evans und ihr vierköpfiges Forscherteam auf die For- schungsmethode Steady State Topography (SST, siehe Kasten). Bei dieser Methode, die vom australischen Hirnforscher Richard Silberstein entwickelt wurde, tragen die Probanden eine Kappe mit Elektroden so- wie eine Spezialbrille, während ihnen beispielsweise ein TV-Spot gezeigt wird. «Die Elektroden erfassen auf die Millisekunde genau, was während der Rezeption des Spots in welcher Region des Gehirns geschieht», erklärt Barbara Evans. Die gereizten Bereiche des Gehirns leuchten auf dem Bildschirm tief rot auf: Leuchtet es hinten, nimmt der Betrachter die visuellen Reize im Fernsehspot be- Bei der Entwicklung und Optimierung von Werbe- und Marketingmassnahmen arbeitet die Münchner Agentur Mediaplus mit Erkenntnissen und Methoden der Hirnforschung. Sie betritt damit in Deutschland, Österreich und der Schweiz Neuland. sonders stark wahr. Leuchtet es etwas weiter vorne, lateral, sind seine Emotionen in Aufruhr. Und färbt sich der präfrontale Kortex direkt hinter der Stirn vor lauter Aktivität farbig, empfindet der Betrachter etwas für sich persönlich als höchst relevant – eine sehr gute Voraussetzung dafür, das er die gezeigten Bilder oder Botschaften im Langzeitgedächtnis abspeichert und sich später an sie erinnern kann. Werbung mit Intuition Und warum fragt Barbara Evans ihre Probanden nicht einfach, was ihnen am Spot besonders gut oder gar nicht gefällt, ob sie sich eher rational oder emotional angesprochen fühlen und ob sie gedenken, die ge- zeigten Produkte zu kaufen? Ganz einfach: Weil sie es nicht wissen. Denn ein Grossteil der Reizverarbeitung im menschlichen Gehirn läuft unbewusst. Das Gehirn ist in der Lage, Eindrücke direkt von den Augen ins Langzeitgedächtnis zu schicken, ohne dass sie je die bewusste Wahrnehmung erreichen. Das erklärt auch, warum in unserem Kopf manchmal Gedanken oder Erinnerungen auftauchen, von denen wir nicht sagen können, woher sie eigentlich kommen. Ausserdem sind Entschlüsse und Urteile, die unser Intellekt fällt, oft das genaue Gegenteil von intuitiv getroffenen Ent- scheidungen. Angenommen, ein Raucher sieht einen TV-Spot gegen das Rauchen: In den ersten Sekunden zündet sich jemand eine Zigarette an, dann folgt ein Böse-böse-Text. Beim Anblick der brennenden Ziga- rette bekommt der Durchschnittsraucher sofort von seinen Spiegelneuronen die Botschaft: «Rauchen! Du auch!» Sie blockiert alle anderen Reaktionen. Die War- nung vor den Folgen des Zigarettenkonsums kommt beim Raucher gar nicht mehr an, selbst wenn er schon lange mit dem Rauchen aufhören will. Wer etwas über die tieferen Wirkungsmechanismen im Gehirn erfahren und sie für sich nutzen möchte, muss also das Bewusste aussen vor lassen. Das gelingt mit SST. Marmelade im Test Richard Silberstein wollte die Wirkung eines Marmela- denspots testen. Dazu bat er 200 Frauen, aus diversen Food-Segmenten je eine Marke auszuwählen und in eine Tüte zu tun. Zur Wahl standen neben anderen Pro- dukten auch verschiedene Konfitüren. Dann sollten die Probandinnen die Beutel mit den Nahrungsmitteln ab- geben und sich, ausgestattet mit Elektrodenkappe und Spezialbrille, einige Werbespots anschauen – darunter der zu testende Marmeladenwerbefilm. Die Tüten mit den ausgewählten Produkten bekämen sie danach zu- rück. Nach der Spotvorführung aber gaukelte Silber- stein den Damen vor, er hätte die Tüten vertauscht und bat sie, die Produktauswahl noch einmal zu treffen. An den Aufzeichnungen der Hirnreaktionen bei der Aus- strahlung der Werbespots hatte Silberstein bereits be- obachtet, was er nun bestätigt sah: Die Frauen, die auf die Markenbotschaft in dem zu testenden Konfitüre- spot mit starker Gehirnaktivität reagiert hatten, wähl- ten bei der zweiten Marmeladenauswahlrunde andere Produkte. «Das Branding und die Kernaussage müs- sen entlang des Storytelling richtig platziert werden», erklärt Barbara Evans das Ergebnis. «Das führt dazu, dass ein Konsument einer Marke treu bleibt oder sie wechselt, je nachdem, welches Ziel das Unternehmen erreichen will.» Mit ähnlichen Tests fand Silberstein auch heraus, dass die Wirkung eines Markenlogos verpufft, wenn es in einem Spot nach der Conceptual Closure plat- ziert wird. Als Conceptual Closure wird der Moment bezeichnet, in dem das Gehirn den Abschluss einer Botschaft oder Handlung registriert, signalisiert zum Beispiel durch Applaus oder zwei Personen, die sich die Hände schütteln. Dann speichert unser Denkapparat das bisher Wahrgenommene ab und kann für einige Se- kundenbruchteile nichts Neues aufnehmen. Schlecht, wenn gerade jetzt das Key Visual oder der Slogan des werbenden Unternehmens eingeblendet werden. Ge- nau das ist heute allerdings Standard. Machen Sie ei- nen kurzen Selbsttest: An wie viele witzige Werbefilme können Sie sich erinnern – ohne zu wissen, für welches Produkt sie warben und welche Unternehmen dahin- tersteckten? Auch beim Sponsoring ist es nicht egal, ob das Logo des Geldgebers auf dem Boden, an der Bande oder auf der Schulter eines Spielers platziert ist. Deshalb emp- fiehlt es sich, genauestens zu prüfen, wie und in wel- chem Umfeld Kommunikationsmassnahmen bei wel- chen Konsumenten am stärksten wirken. Erinnerung durch Emotionen Barbara Evans und ihre Leute können mit SST diverse Faktoren messen: ob eine Botschaft ins Langzeitge- dächtnis aufgenommen und erinnert wird (Long Term Memory Encoding), wie hoch ihre individuelle Rele- vanz für den Rezipienten ist (Engagement), wie stark dieser bei der Rezeption empfindet (Emotional Inten- sity), ob die Botschaft ihn inhaltlich anzieht, abstösst oder traurig macht (Approach/Withdraw), wie stark sie optisch wahrgenommen wird (Visual Attention) und ob die Marke gewinnt oder verliert (Brand Salience). «Es ist wichtig, unterschiedliche Faktoren zu prüfen und die Messergebnisse miteinander zu verknüpfen», sagt Evans. «Denn wenn sich ein Proband zum Beispiel an ein Key Visual gut erinnert, scheint das erst einmal positiv zu sein – es kann aber auch daran liegen, dass er sich abgestossen fühlt. Auch dann reagiert das Ge- hirn sehr heftig. Wir müssen in diesem Fall also Enga- gement, Emotional Intensity und Approach/Withdraw miteinander in Beziehung setzen. Erst dann wissen wir wirklich, was die beobachtete Reaktion des Gehirns be- deutet.» Feuer im Denkapparat ist also nicht in jedem Fall gut. Manchmal löscht man es besser sofort. Die Messergebnisse der Elektrodenkappe offenba- ren auch, ob Betrachter einen Spot eher rational oder eher emotional wahrnehmen und verarbeiten. Das ist zentral für die Auswahl des Umfeldes, in dem ein TV- Spot oder eine Anzeige später geschaltet werden. «Wir wissen aus den Forschungen von Richard Silberstein, dass emotional dekodierte Spots in emotional deko- dierten Umfeldern geschaltet werden sollten und ra- tional dekodierte in rational dekodierten Umfeldern», sagt Evans. «Deshalb haben wir auch einige potenzielle Umfelder für Werbeschaltungen mit SST untersucht.» Silberstein analysierte zum Beispiel die amerikanische Fernsehserie «Desparate Housewives», die die alltäg- lichen Qualen der perfekten Hausfrau auf die Schippe nimmt. Was denken Sie, wie die Serie von Fernsehzu- schauern wahrgenommen wird? Emotional oder ra- tional? Falsch. Sicher haben Sie spontan «emotional» geantwortet, wie die meisten Befragten. Richtig aber ist «rational», fanden Barbara Evans und ihr Team heraus. Das bedeutet: Mediaplaner, die einen emotional deko- Konsumenten in den Kopf schauen dierten Werbespot in den Werbepausen von «Desperate Housewives» schalten, verschenken einen grossen Teil der Schlagkraft ihres Spots. Klingt wie graue eorie, Silberstein konnte diese Forschungsergebnisse aber be- reits in der Praxis verifizieren. Mit Neurokommunikati- onsplanung lässt sich also bares Geld sparen. Weniger ist mehr Diese Erfahrung konnte auch der erste Kunde von Neuro Impact machen, die zur BMW Group gehörende Automarke Mini. Mediaplus berät Mini bereits bei sei- ner Mediaplanung. Ende 2008 standen dem Marketing zwei Werbespots für das neue Cabriolet zur Verfügung, ein Siebensekünder und ein Zwanzigsekünder. Im Mar- keting gab es jedoch keine eindeutige Präferenz, wel- cher der beiden Spots geschaltet werden sollte. Ein Fall für SST. «Ich schlug unserem Kunden vor, die Wirksam- keit der beiden Spots mit unserer neuen Messmethode zu prüfen», berichtet Evans. Max Kalbfell, Leitung Mar- keting Mini Deutschland, war von der Idee begeistert. «Wir wollten die Effizienz unserer Kommunikation steigern, allerdings nicht auf Kosten der Kreation. SST schien uns eine geeignete Massnahme zu sein, um dieses Ziel zu erreichen.» Also brachte Neuro Impact 150 Probanden unter die Elektrodenhaube und prä- sentierte ihnen beide Spots. Das Ergebnis: Der längere Spot zog den Kürzeren. «Wir konnten zeigen, dass der kurze TV-Spot wesentlich mehr Potenzial bei der Erin- nerungsleistung der Kernaussage und des Brandings hatte als der lange», berichtet Evans. «Auch die Channel Planner freuten sich, denn mit dem kurzen, aber im- pact-starken Spot können sie nun eine längere On-air- Präsenz schaffen.» Max Kalbfell ist mit der Studie ebenfalls zufrieden: «Die Ergebnisse waren eindeutig. Wir haben uns ent- schieden, den kürzeren Spot zu zeigen und den dafür an mehr Zielpersonen auszurichten, um eine grössere Präsenz zu schaffen. Und einen so kurzen Spot – etwas überarbeitet ist er jetzt elf Sekunden lang – können wir sogar online, mobile oder als Vodcast einsetzen.» Mini Deutschland und Mini Schweiz werben derzeit mit dem kurzen Film. Alle anderen Mini-Standorte ha- ben sich für den längeren Spot entschieden. So ist das neuronengeprüfte Filmchen nicht nur ein Test, ob Neu- rokommunikationsplanung wirklich funktioniert, son- dern für Mini auch eine Art Präzedenzfall, auf den sich im Konzern viele gespannte Augenpaare richten. Zukunft mit Nerven Trotz der guten Erfahrungen will Mini aber nicht seine komplette Kommunikation durch die Neuroprüfung schicken. Dafür wittern andere Unternehmen ihre Chance: Medienhäuser haben bereits ihr Interesse an ersten Projekten mit Neuro Impact geäussert. Aus- serdem führt Evans Gespräche mit nationalen und internationalen Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen. Aufträge für den Check von Kommunikati- onsmassnahmen, die sich an Kinder unter 14 Jahren richten, sowie die Durchführung von Studien für die Zigaretten- und die Rüstungsindustrie lehnt Neuro Im- pact aus ethischen Gründen ab. Ganz klar: Neurokommunikation hat Potenzial. So viel, dass sie Werbung und Marketing dauerhaft verän- dern könnte. Neuro Impact arbeitet deshalb weiter an der Verfeinerung der Analysetools. Auch die Rolle der Spiegelneuronen, die bei der Beobachtung eines Vor- gangs im Betrachter Gefühle erzeugen, als würde er die Aktion selbst vollziehen, könnte für die Neurokommu- nikatoren in Zukunft bedeutsam werden. «Am Beispiel Mini sieht man noch etwas anderes», ergänzt Barbara Evans, «nämlich dass Kreation und Mediaplanung Hand in Hand arbeiten müssen. Derzeit kennt der Mediaplaner oft nicht einmal die Spots oder Anzeigen, die er schaltet. Doch nur wenn Kommunika- tionsmassnahmen exakt auf ihr mediales Zielumfeld zugeschnitten sind, können sie optimal wirken – und nur dann spart das Unternehmen Geld. Reichweite und Kosten sind eben nicht alles.» Wenn Spot und Kampa- gne so den Nerv des Konsumenten treffen, funkt nicht nur das Gehirn. Anne-Friederike Wilhelm SST – WIE WIRKT WERBUNG WIRKLICH? Die Steady State Topography (SST) ist das patentierte Forschungsverfahren des australischen Marktforschungsinstituts Neuro Insight, mit dem die Wirksamkeit von Kommunikationsmassnahmen gemessen werden kann. Entwickelt wurde es von Richard Silberstein, Hirnforscher und Professor für Neurophysiologie an der Universität Swinburne. Silberstein erforscht seit 30 Jahren die Wirkung von Marketing und Wer- bung. Bei der SST-Analyse tragen die Probanden Kappen mit Elektroden, die ihre Gehirnaktivität messen, sowie Spezialbrillen. Ihnen werden Werbespots, Kampagnen, Kampagnenelemente oder Logos gezeigt und die Reaktionen des Gehirns während der Rezeption aufgezeichnet. An der Aktivität der einzelnen Hirnregionen können die Forscher ablesen, welche Kampagnenelemente in welcher Form in welchen Medien und bei welchen Verbrauchern wirken. Richard Silberstein setzt SST seit rund fünf Jahren zur Analyse von Kommunikationsmassnahmen ein. Er hat bereits Studien für die Allianz, Ferrero und Vodafone durchgeführt. Der Geschäftsbereich Neuro Impact von Mediaplus bietet die Methode nun exklusiv in Deutschland, Österreich und der Schweiz an. Der Neuro-Check eignet sich für die gesamte Kommunikationspalette: von POS- und Packaging-Massnahmen über Spots, Kampagnen und Spon- soringaktivitäten bis zur Prüfung von Mediakanälen und Umfeldern. In der Konsequenz ist mit SST auch eine Optimierung der strategischen Mediaplanung möglich. Neuro Impact arbeitet mit Silbersteins Unternehmen Neuro Insight zusammen, vor allem bei der Auswertung der Forschungsergebnisse. Neuro Impact hat aber auch eine eigene Forschungsabteilung. Die Analysen werden mit mindestens 50 Personen durchgeführt, je nach Komplexität der Fragestellung können auch mehr Probanden getestet werden. Eine einfache Studie dauert ein bis zwei Wochen, eine komplexe bis zu vier Wochen. Die Kosten bewegen sich im fünfstelligen Bereich. (afw) Szene aus dem mittels Elektroenzephalographie (EEG) optimierten TV-Spot. Seine Botschaft: immer offen. … und einer Elektrodenkappe. Messung der Hirn- aktivität mit einer Spezialbrille … LESETIPPS Martin Lindstrom: Buy-ology. Truth and Lies About Why We Buy. Bantam Dell Pub Group. Gerald Traufetter: Intuition. Die Weisheit der Gefühle. Rowohlt-Verlag. Bilder: KBild: Iris Stutz

Konsumenten in den Kopf schauen · 2014-09-30 · warum greifen sie zu bestimmten Marken und ver- ... arbeitet die Münchner Agentur Mediaplus ... dass ein Konsument einer Marke treu

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W er Geld für Werbung und Marketing ausgibt, will klare Ergebnisse sehen: gesteigerten Umsatz

oder eine stärkere Wirkung seiner Marke. Am besten gleich beides. Aber wann kaufen Konsumenten? Und warum greifen sie zu bestimmten Marken und ver-schmähen andere? Auf der Suche nach dem Buy-But-ton im Käuferkopf liefert die Hirnforschung wichtige Erkenntnisse. Diese nutzt die Münchner Mediaagentur Mediaplus in ihrem neuen Geschäftsbereich «Neuro Impact». «Wir untersuchen, wie und warum Kommu-nikationsmassnahmen wirken», sagt Barbara Evans (37), die Leiterin von Neuro Impact. «Wir können zum Beispiel herausfinden, ob eine Kampagne besser im TV, im Radio, in Print oder Online platziert wird, in welcher Länge ein Spot am besten funktioniert und wie stark Sponsoring-Elemente von unterschiedlichen Zielgruppen aufgenommen werden oder eben nicht.» Bei der Entwicklung von Kommunikationsmassnah-men und Marken und bei der Mediaplanung setzen Evans und ihr vierköpfiges Forscherteam auf die For-schungsmethode Steady State Topography (SST, siehe Kasten). Bei dieser Methode, die vom australischen Hirnforscher Richard Silberstein entwickelt wurde, tragen die Probanden eine Kappe mit Elektroden so-wie eine Spezialbrille, während ihnen beispielsweise ein TV-Spot gezeigt wird. «Die Elektroden erfassen auf die Millisekunde genau, was während der Rezeption des Spots in welcher Region des Gehirns geschieht», erklärt Barbara Evans.

Die gereizten Bereiche des Gehirns leuchten auf dem Bildschirm tief rot auf: Leuchtet es hinten, nimmt der Betrachter die visuellen Reize im Fernsehspot be-

Bei der Entwicklung und Optimierung von Werbe- und Marketingmassnahmen arbeitet die Münchner Agentur Mediaplus mit Erkenntnissen und Methoden der Hirnforschung. Sie betritt damit in Deutschland, Österreich und der Schweiz Neuland.

sonders stark wahr. Leuchtet es etwas weiter vorne, lateral, sind seine Emotionen in Aufruhr. Und färbt sich der präfrontale Kortex direkt hinter der Stirn vor lauter Aktivität farbig, empfindet der Betrachter etwas für sich persönlich als höchst relevant – eine sehr gute Voraussetzung dafür, das er die gezeigten Bilder oder Botschaften im Langzeitgedächtnis abspeichert und sich später an sie erinnern kann.

Werbung mit IntuitionUnd warum fragt Barbara Evans ihre Probanden nicht einfach, was ihnen am Spot besonders gut oder gar nicht gefällt, ob sie sich eher rational oder emotional angesprochen fühlen und ob sie gedenken, die ge-zeigten Produkte zu kaufen? Ganz einfach: Weil sie es nicht wissen. Denn ein Grossteil der Reizverarbeitung im menschlichen Gehirn läuft unbewusst. Das Gehirn ist in der Lage, Eindrücke direkt von den Augen ins Langzeitgedächtnis zu schicken, ohne dass sie je die bewusste Wahrnehmung erreichen. Das erklärt auch, warum in unserem Kopf manchmal Gedanken oder Erinnerungen auftauchen, von denen wir nicht sagen können, woher sie eigentlich kommen. Ausserdem sind Entschlüsse und Urteile, die unser Intellekt fällt, oft das genaue Gegenteil von intuitiv getroffenen Ent-scheidungen. Angenommen, ein Raucher sieht einen TV-Spot gegen das Rauchen: In den ersten Sekunden zündet sich jemand eine Zigarette an, dann folgt ein Böse-böse-Text. Beim Anblick der brennenden Ziga-rette bekommt der Durchschnittsraucher sofort von seinen Spiegelneuronen die Botschaft: «Rauchen! Du auch!» Sie blockiert alle anderen Reaktionen. Die War-

nung vor den Folgen des Zigarettenkonsums kommt beim Raucher gar nicht mehr an, selbst wenn er schon lange mit dem Rauchen aufhören will. Wer etwas über die tieferen Wirkungsmechanismen im Gehirn erfahren und sie für sich nutzen möchte, muss also das Bewusste aussen vor lassen. Das gelingt mit SST.

Marmelade im TestRichard Silberstein wollte die Wirkung eines Marmela-denspots testen. Dazu bat er 200 Frauen, aus diversen Food-Segmenten je eine Marke auszuwählen und in eine Tüte zu tun. Zur Wahl standen neben anderen Pro-dukten auch verschiedene Konfitüren. Dann sollten die Probandinnen die Beutel mit den Nahrungsmitteln ab-geben und sich, ausgestattet mit Elektrodenkappe und Spezialbrille, einige Werbespots anschauen – darunter der zu testende Marmeladenwerbefilm. Die Tüten mit den ausgewählten Produkten bekämen sie danach zu-rück. Nach der Spotvorführung aber gaukelte Silber-stein den Damen vor, er hätte die Tüten vertauscht und bat sie, die Produktauswahl noch einmal zu treffen. An den Aufzeichnungen der Hirnreaktionen bei der Aus-strahlung der Werbespots hatte Silberstein bereits be-obachtet, was er nun bestätigt sah: Die Frauen, die auf die Markenbotschaft in dem zu testenden Konfitüre-

spot mit starker Gehirnaktivität reagiert hatten, wähl-ten bei der zweiten Marmeladenauswahlrunde andere Produkte. «Das Branding und die Kernaussage müs-sen entlang des Storytelling richtig platziert werden», erklärt Barbara Evans das Ergebnis. «Das führt dazu, dass ein Konsument einer Marke treu bleibt oder sie wechselt, je nachdem, welches Ziel das Unternehmen erreichen will.»

Mit ähnlichen Tests fand Silberstein auch heraus, dass die Wirkung eines Markenlogos verpufft, wenn es in einem Spot nach der Conceptual Closure plat-ziert wird. Als Conceptual Closure wird der Moment bezeichnet, in dem das Gehirn den Abschluss einer Botschaft oder Handlung registriert, signalisiert zum Beispiel durch Applaus oder zwei Personen, die sich die Hände schütteln. Dann speichert unser Denkapparat das bisher Wahrgenommene ab und kann für einige Se-kundenbruchteile nichts Neues aufnehmen. Schlecht, wenn gerade jetzt das Key Visual oder der Slogan des werbenden Unternehmens eingeblendet werden. Ge-nau das ist heute allerdings Standard. Machen Sie ei-nen kurzen Selbsttest: An wie viele witzige Werbefilme können Sie sich erinnern – ohne zu wissen, für welches Produkt sie warben und welche Unternehmen dahin-tersteckten?

Auch beim Sponsoring ist es nicht egal, ob das Logo des Geldgebers auf dem Boden, an der Bande oder auf der Schulter eines Spielers platziert ist. Deshalb emp-fiehlt es sich, genauestens zu prüfen, wie und in wel-chem Umfeld Kommunikationsmassnahmen bei wel-chen Konsumenten am stärksten wirken.

Erinnerung durch EmotionenBarbara Evans und ihre Leute können mit SST diverse Faktoren messen: ob eine Botschaft ins Langzeitge-dächtnis aufgenommen und erinnert wird (Long Term Memory Encoding), wie hoch ihre individuelle Rele-vanz für den Rezipienten ist (Engagement), wie stark dieser bei der Rezeption empfindet (Emotional Inten-sity), ob die Botschaft ihn inhaltlich anzieht, abstösst oder traurig macht (Approach/Withdraw), wie stark sie optisch wahrgenommen wird (Visual Attention) und ob die Marke gewinnt oder verliert (Brand Salience). «Es ist wichtig, unterschiedliche Faktoren zu prüfen und die Messergebnisse miteinander zu verknüpfen», sagt Evans. «Denn wenn sich ein Proband zum Beispiel an ein Key Visual gut erinnert, scheint das erst einmal positiv zu sein – es kann aber auch daran liegen, dass er sich abgestossen fühlt. Auch dann reagiert das Ge-hirn sehr heftig. Wir müssen in diesem Fall also Enga-gement, Emotional Intensity und Approach/Withdraw miteinander in Beziehung setzen. Erst dann wissen wir wirklich, was die beobachtete Reaktion des Gehirns be-deutet.» Feuer im Denkapparat ist also nicht in jedem Fall gut. Manchmal löscht man es besser sofort.

Die Messergebnisse der Elektrodenkappe offenba-ren auch, ob Betrachter einen Spot eher rational oder eher emotional wahrnehmen und verarbeiten. Das ist zentral für die Auswahl des Umfeldes, in dem ein TV-Spot oder eine Anzeige später geschaltet werden. «Wir wissen aus den Forschungen von Richard Silberstein, dass emotional dekodierte Spots in emotional deko-dierten Umfeldern geschaltet werden sollten und ra-tional dekodierte in rational dekodierten Umfeldern», sagt Evans. «Deshalb haben wir auch einige potenzielle Umfelder für Werbeschaltungen mit SST untersucht.» Silberstein analysierte zum Beispiel die amerikanische Fernsehserie «Desparate Housewives», die die alltäg-lichen Qualen der perfekten Hausfrau auf die Schippe nimmt. Was denken Sie, wie die Serie von Fernsehzu-schauern wahrgenommen wird? Emotional oder ra-tional? Falsch. Sicher haben Sie spontan «emotional» geantwortet, wie die meisten Befragten. Richtig aber ist «rational», fanden Barbara Evans und ihr Team heraus. Das bedeutet: Mediaplaner, die einen emotional deko-

Konsumenten in den Kopf schauen dierten Werbespot in den Werbepausen von «Desperate Housewives» schalten, verschenken einen grossen Teil der Schlagkraft ihres Spots. Klingt wie graue Theorie, Silberstein konnte diese Forschungsergebnisse aber be-reits in der Praxis verifizieren. Mit Neurokommunikati-onsplanung lässt sich also bares Geld sparen.

Weniger ist mehrDiese Erfahrung konnte auch der erste Kunde von Neuro Impact machen, die zur BMW Group gehörende Automarke Mini. Mediaplus berät Mini bereits bei sei-ner Mediaplanung. Ende 2008 standen dem Marketing zwei Werbespots für das neue Cabriolet zur Verfügung, ein Siebensekünder und ein Zwanzigsekünder. Im Mar-keting gab es jedoch keine eindeutige Präferenz, wel-cher der beiden Spots geschaltet werden sollte. Ein Fall für SST. «Ich schlug unserem Kunden vor, die Wirksam-keit der beiden Spots mit unserer neuen Messmethode zu prüfen», berichtet Evans. Max Kalbfell, Leitung Mar-keting Mini Deutschland, war von der Idee begeistert. «Wir wollten die Effizienz unserer Kommunikation steigern, allerdings nicht auf Kosten der Kreation. SST schien uns eine geeignete Massnahme zu sein, um dieses Ziel zu erreichen.» Also brachte Neuro Impact 150 Probanden unter die Elektrodenhaube und prä-sentierte ihnen beide Spots. Das Ergebnis: Der längere Spot zog den Kürzeren. «Wir konnten zeigen, dass der kurze TV-Spot wesentlich mehr Potenzial bei der Erin-nerungsleistung der Kernaussage und des Brandings hatte als der lange», berichtet Evans. «Auch die Channel Planner freuten sich, denn mit dem kurzen, aber im-pact-starken Spot können sie nun eine längere On-air-Präsenz schaffen.»

Max Kalbfell ist mit der Studie ebenfalls zufrieden: «Die Ergebnisse waren eindeutig. Wir haben uns ent-schieden, den kürzeren Spot zu zeigen und den dafür an mehr Zielpersonen auszurichten, um eine grössere Präsenz zu schaffen. Und einen so kurzen Spot – etwas überarbeitet ist er jetzt elf Sekunden lang – können wir sogar online, mobile oder als Vodcast einsetzen.» Mini Deutschland und Mini Schweiz werben derzeit mit dem kurzen Film. Alle anderen Mini-Standorte ha-ben sich für den längeren Spot entschieden. So ist das neuronengeprüfte Filmchen nicht nur ein Test, ob Neu-rokommunikationsplanung wirklich funktioniert, son-dern für Mini auch eine Art Präzedenzfall, auf den sich im Konzern viele gespannte Augenpaare richten.

Zukunft mit NervenTrotz der guten Erfahrungen will Mini aber nicht seine komplette Kommunikation durch die Neuroprüfung schicken. Dafür wittern andere Unternehmen ihre Chance: Medienhäuser haben bereits ihr Interesse an ersten Projekten mit Neuro Impact geäussert. Aus-serdem führt Evans Gespräche mit nationalen und internationalen Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen. Aufträge für den Check von Kommunikati-

onsmassnahmen, die sich an Kinder unter 14 Jahren richten, sowie die Durchführung von Studien für die Zigaretten- und die Rüstungsindustrie lehnt Neuro Im-pact aus ethischen Gründen ab.

Ganz klar: Neurokommunikation hat Potenzial. So viel, dass sie Werbung und Marketing dauerhaft verän-dern könnte. Neuro Impact arbeitet deshalb weiter an der Verfeinerung der Analysetools. Auch die Rolle der Spiegelneuronen, die bei der Beobachtung eines Vor-gangs im Betrachter Gefühle erzeugen, als würde er die Aktion selbst vollziehen, könnte für die Neurokommu-nikatoren in Zukunft bedeutsam werden.

«Am Beispiel Mini sieht man noch etwas anderes», ergänzt Barbara Evans, «nämlich dass Kreation und Mediaplanung Hand in Hand arbeiten müssen. Derzeit kennt der Mediaplaner oft nicht einmal die Spots oder Anzeigen, die er schaltet. Doch nur wenn Kommunika-tionsmassnahmen exakt auf ihr mediales Zielumfeld zugeschnitten sind, können sie optimal wirken – und nur dann spart das Unternehmen Geld. Reichweite und Kosten sind eben nicht alles.» Wenn Spot und Kampa-gne so den Nerv des Konsumenten treffen, funkt nicht nur das Gehirn. Anne-Friederike Wilhelm

SSt – Wie WirKt Werbung WirKlich?Die Steady State Topography (SST) ist das patentierte Forschungsverfahren des australischen Marktforschungsinstituts Neuro Insight, mit dem die Wirksamkeit von Kommunikationsmassnahmen gemessen werden kann. Entwickelt wurde es von Richard Silberstein, Hirnforscher und Professor für Neurophysiologie an der Universität Swinburne. Silberstein erforscht seit 30 Jahren die Wirkung von Marketing und Wer-bung. Bei der SST-Analyse tragen die Probanden Kappen mit Elektroden, die ihre Gehirnaktivität messen, sowie Spezialbrillen. Ihnen werden Werbespots, Kampagnen, Kampagnenelemente oder Logos gezeigt und die Reaktionen des Gehirns während der Rezeption aufgezeichnet. An der Aktivität der einzelnen Hirnregionen können die Forscher ablesen, welche Kampagnenelemente in welcher Form in welchen Medien und bei welchen Verbrauchern wirken. Richard Silberstein setzt SST seit rund fünf Jahren zur Analyse von Kommunikationsmassnahmen ein. Er hat bereits Studien für die Allianz, Ferrero und Vodafone durchgeführt. Der Geschäftsbereich Neuro Impact von Mediaplus bietet die Methode nun exklusiv in Deutschland, Österreich und der Schweiz an. Der Neuro-Check eignet sich für die gesamte Kommunikationspalette: von POS- und Packaging-Massnahmen über Spots, Kampagnen und Spon-soringaktivitäten bis zur Prüfung von Mediakanälen und Umfeldern. In der Konsequenz ist mit SST auch eine Optimierung der strategischen Mediaplanung möglich. Neuro Impact arbeitet mit Silbersteins Unternehmen Neuro Insight zusammen, vor allem bei der Auswertung der Forschungsergebnisse. Neuro Impact hat aber auch eine eigene Forschungsabteilung. Die Analysen werden mit mindestens 50 Personen durchgeführt, je nach Komplexität der Fragestellung können auch mehr Probanden getestet werden. Eine einfache Studie dauert ein bis zwei Wochen, eine komplexe bis zu vier Wochen. Die Kosten bewegen sich im fünfstelligen Bereich. (afw)

Szene aus dem mittels Elektroenzephalographie (EEG) optimierten TV-Spot. Seine Botschaft: immer offen.

… und einer Elektrodenkappe.

Messung der Hirn-aktivität mit einer Spezialbrille …

LesetippsMartin Lindstrom: Buy-ology. Truth and Lies About Why We Buy. Bantam Dell Pub Group.

Gerald Traufetter: Intuition. Die Weisheit der Gefühle. Rowohlt-Verlag.

Bilder: KBild: Iris Stutz