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Konversatorium zum Grundkurs im Bürgerlichen Recht I 1 Duldungsvollmacht und Anscheinsvollmacht A) Definition I. Beide Vollmachten setzen zuerst voraus 1) Geschäftsfähigkeit des Vertretenen. 2) Ein zum Handeln in fremden Namen nicht Befugter tritt als Vertreter auf. 3) Der Geschäftsgegner muss den maßgeblichen Vertrauenstatbestand kennen, d.h., kein Schutz wenn er weiß oder wissen müsste, dass der Duldende keine Vollmacht erteilen wollte! Aus diesen ihm bekannten Tatsachen (Vertrauenstatbestand) muss der Geschäftsgegner den Schluss der Bevollmächtigung des Vertreters durch den Vertretenen gezogen haben. 4) Kausalität des berechtigten Vertrauens des Geschäftsgegners für den Vertragsabschluß. II. Duldungsvollmacht erfordert darüber hinaus: 1) Wissen des Vertretenen, dass ein anderer für ihn handelt. 2) Aber: Trotz Wissen zurechenbare bewusste Duldung dieses Verhaltens! Beachte: Da es um wissentliches Dulden geht, kann schon ein einmaliges Gewährenlassen eine DVM begründen (Pal/Heinrichs § 173/12); bei MüKo/ Schramm § 167/36 heißt es "Handeln während einer gewissen Dauer und wiederholtes Auftreten". Es ist allerdings nicht einsehbar, warum ein wiederholtes Auftreten erforderlich sein soll, um eine DVM bejahen zu können, denn es liegt ja gerade ein

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Konversatorium zum Grundkurs im Bürgerlichen Recht I

1

Duldungsvollmacht und Anscheinsvollmacht

A) Definition

I. Beide Vollmachten setzen zuerst voraus

1) Geschäftsfähigkeit des Vertretenen.

2) Ein zum Handeln in fremden Namen nicht Befugter tritt als

Vertreter auf.

3) Der Geschäftsgegner muss den maßgeblichen

Vertrauenstatbestand kennen, d.h., kein Schutz wenn er weiß oder

wissen müsste, dass der Duldende keine Vollmacht erteilen wollte!

Aus diesen ihm bekannten Tatsachen (Vertrauenstatbestand)

muss der Geschäftsgegner den Schluss der Bevollmächtigung des

Vertreters durch den Vertretenen gezogen haben.

4) Kausalität des berechtigten Vertrauens des Geschäftsgegners für

den Vertragsabschluß.

II. Duldungsvollmacht erfordert darüber hinaus:

1) Wissen des Vertretenen, dass ein anderer für ihn handelt.

2) Aber: Trotz Wissen zurechenbare bewusste Duldung dieses

Verhaltens!

Beachte: Da es um wissentliches Dulden geht, kann schon ein

einmaliges Gewährenlassen eine DVM begründen (Pal/Heinrichs §

173/12); bei MüKo/Schramm § 167/36 heißt es "Handeln während

einer gewissen Dauer und wiederholtes Auftreten". Es ist allerdings

nicht einsehbar, warum ein wiederholtes Auftreten erforderlich sein

soll, um eine DVM bejahen zu können, denn es liegt ja gerade ein

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wissentliches Dulden vor! Beachte: Die Kenntnis des Vertretenen

vom Vertreterhandeln muss sich auf den Zeitpunkt des

Vertreterhandelns beziehen. Das bedeutet, dass ein Handeln dann

nicht von der Duldungsvollmacht erfasst ist, wenn sich die Kenntnis

alleine auf vorangegangenes Handeln bezieht, zum aktuellen

Zeitpunkt des Handelns diese Kenntnis aber nicht vorliegt.

III. Anscheinsvollmacht erfordert darüber hinaus:

1) Kein Wissen des Vertretenen, dass ein anderer für ihn handelt.

2) Aber: Bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte Vertretener es erkennen

und verhindern können!

3) Es bedarf einer gewissen Häufigkeit und Dauer des Auftretens!

B) Rechtliche Behandlung

I. Rechtsprechung

Nach BGH ist in beiden Fällen die fehlende Vollmacht (bzw.

Vollmachtserteilung) zugunsten eines redlichen Dritten durch einen

Rechtsscheinstatbestand ersetzt (konkret: Das Vertrauen auf eine

bestehende Vollmacht ersetzt die fehlende Vollmacht);

dementsprechend sind nach BGH die Rechtsfolgen bei Vorliegen einer

DVM und einer AVM gleich, das heißt, der Vertretene müsse sich so

behandeln lassen, als hätte er Vollmacht erteilt! Demnach steht dem

Dritten sowohl bei Vorliegen einer DVM als auch einer AVM ein

Erfüllungsanspruch1 gegen den Vertretenen zu. Der Vertretene wird

1 Unterscheide Erfüllungsanspruch – Schadensersatzanspruch synonym mit dem Begriffspaar Primäranspruch – Sekundäranspruch!

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danach also durch das Vertretergeschäft genauso gebunden wie im

Falle einer wirksamen Vollmacht.

1. Lehre (insbes. Flume2)

Flume trennt zwischen DVM und AVM; seine Argumentation ist dabei

folgende: Bei Kenntnis und Duldung (DVM) stellt sich das Verhalten des

Vertretenen als eine konkludente Vollmachtserteilung dar; diese sei

analog den §§ 171, 172 BGB zu behandeln.

Bei der AVM fehle dagegen eine solche konkludente

Vollmachtserteilung; vielmehr führe alleine Fahrlässigkeit zu dem

Anschein einer Vollmacht, diese aber ist lediglich eine Form des

Verschuldens und keine Willenserklärung (WE)3. Nur aber die WE

führt zu Vertrag und damit zu Primäransprüchen, das heißt

Erfüllungsansprüchen! Deshalb ist nur bei der DVM ein

Erfüllungsanspruch zu bejahen, während das fahrlässige Verhalten

bei der AVM nur zu Ansprüchen aus culpa in contrahendo (§§ 280 I

1, 311 II, 241 II BGB) führen kann, damit nur zu Schadensersatz!

2. Konsequenz der rechtlichen Behandlung

Die Unterscheidung führt zu folgenden Unterschieden in der rechtlichen

Behandlung. Zum einen stellt sich die Frage, ob positiver oder negativer

Vertrauensschutz zu gewähren ist, zum anderen gilt, dass WE

angefochten werden können. Deshalb muss auch gefragt werden, wie

es sich bei der DVM und bei der AVM mit der Möglichkeit der

Anfechtung4 verhält.

2 Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1993, § 49, 3. und 4. 3 Wiederholen: Voraussetzungen bzw. Elemente einer WE. Hierzu: Medicus BR Rn. 130-132! 4 Zur Frage, ob eine Vollmacht (bzw. die Vollmachtserteilung) überhaupt angefochten werden kann siehe Übersicht 14 und Brox BGB AT Rn. 568 ff

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Die Rspr. (s.o.) gewährt positiven Vertrauensschutz mit der Folge des

Erfüllungsanspruches des Geschäftsgegners gegen den Vertretenen

auch bei der AVM, der zurechenbar einen Rechtsschein gesetzt hat, auf

den der Geschäftsgegner vertraute.

Ein Teil der Lehre dagegen will bei der AVM nur Ansprüche aus cic

gewähren (keinen Erfüllungsanspruch!).

Hinsichtlich der Anfechtungsmöglichkeit ist zu unterscheiden:

Folgt man der Rechtsprechung und der wohl hL, die DVM und AVM

gleichsetzen und darin einen vom Vertretenen gesetzten

Rechtsscheinstatbestand erkennen, so spricht vieles dafür, dass sich

dieser Rechtsschein nicht rückwirkend im Wege der Anfechtung

beseitigen lassen kann.

Eine Anfechtung der Vollmacht soll deshalb nach Abschluss des

Geschäfts mit dem Geschäftsgegner ausgeschlossen sein, wenn die

Voraussetzungen der AVM vorgelegen haben (vgl. Pal/Heinrichs §

167/3, § 173/19; Larenz/Wolf § 47/35). Der Vertretene ist gebunden und

einem Erfüllungsanspruch ausgesetzt. Die AVM ist also nicht

anfechtbar, da es sich hierbei nicht um eine konkludent erteilte

Vollmacht (=WE) handelt, sondern um eine Form des Verschuldens.

Problematisch und äußerst umstritten ist aber die Möglichkeit einer

Anfechtung der DVM:

Folgt man der Rspr., so müsste man die Möglichkeit einer Anfechtung

der DVM verneinen, denn der gesetzte Rechtsschein kann nicht

rückwirkend vernichtet werden. Allerdings hat sich der BGH hierzu -

soweit ersichtlich- noch nicht geäußert.

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Folgt man hingegen Flume und auch Medicus, so gelangt man zu einer

Anfechtbarkeit der DVM ; beachte hierzu aber Pal/Heinrichs §

173/13,19: Da die DVM auf einer schlüssigen WE beruht, gelten für sie

die allgemeinen Vorschriften über Rechtsgeschäfte und WE. Eine

Anfechtung wegen Irrtums über die Bedeutung des Duldens ist jedoch

ausgeschlossen. Außerdem haftet der Vertretene im Falle einer

Anfechtung in der Regel nach den Grundsätzen über die

Anscheinsvollmacht. Eine Anfechtung kann die Wirkung einer AVM

wiederum nicht beseitigen, da der gesetzte Rechtsschein nicht

rückwirkend vernichtet werden kann. Ist eine (Duldungs-) Vollmacht

angefochten, kann sich aus dem entstandenen Rechtsschein eine

Haftung nach den Grundsätzen der AVM ergeben, wenn den

Vertretenen hinsichtlich des Anfechtungsgrundes Verschulden trifft. Dies

wird wiederum bei einer bewussten Duldung in der Regel zu bejahen

sein!

C) Sonderfall des § 56 HGB

Im Rahmen der AVM wird zumeist auch die Vermutung des § 56 HGB

erörtert. Hierzu gibt es drei Problemkreise, die kurz skizziert werden

sollen.

I. Art der Vollmacht?

Nach wohl herrschender Ansicht handelt es sich bei § 56 HGB um einen

gesetzlich geregelten Fall einer AVM5; dementsprechend liegt ein

5 Vgl. dazu Karsten Schmidt, Handelsrecht 4. Aufl. 1994 § 16 V 2. lit.a) (S.502): "Die dogmatischen Grundlagen des § 56 HGB sind sehr umstritten. Das beruht teils auf dem mißverständlichen Gesetzeswortlaut, teils auf der ganz unterschiedlichen Konstellation der in Frage kommenden Sachverhalte. Die Auffassungen schwanken zwischen der Annahme, es liege eine wirkliche Bevollmächtigung vor, und der vorherrschenden Auffassung, § 56 HGB schütze nur das Vertrauen auf den Anschein einer solchen Bevollmächtigung". Damit ist sofort die weitere Konsequenz zu assoziieren, daß nach beiden oben

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Konversatorium zum Grundkurs im Bürgerlichen Recht I

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Rechtsscheinstatbestand vor (MüKo/Schramm § 167/49, von dem § 56

HGB den gesetzlich geregelten Fällen der Rechtsscheinhaftung

zugeordnet wird; vgl. auch Canaris Handelsrecht § 16 I.1.lit b):

Rechtsscheinhaftung).

Eine andere Ansicht will eine Fiktion annehmen (Wortlaut „gilt“).

II. Welche Rechtsgeschäfte werden von § 56 HGB erfaßt?

Nach der ganz herrschenden Meinung fallen unter den Begriff der

Verkäufe auch alle damit einhergehenden und verbundenen dinglichen

Rechtsgeschäfte, das heißt § 56 HGB erfasst entgegen seinem Wortlaut

sowohl Verpflichtungs- als auch Verfügungsgeschäfte; unter die

Verpflichtungsgeschäfte fallen nach hM wegen des Wortlauts „Verkäufe“

nicht auch Werkverträge und Werklieferungsverträge (aA Karsten

Schmidt Handelsrecht § 16 V 3. lit.e; nach ihm ist der Begriff Verkäufe zu

eng gefasst, und die Werk- und Werklieferungsverträge müssen unter §

56 HGB fallen). Ebenfalls nicht erfasst sind Ankäufe!

III. § 56 HGB und redlicher Erwerb, §§ 932, 935 BGB, sowie §

54 III HGB analog

Damit der Zweck des § 56 HGB erfüllt werden kann, ist es unabdingbar,

dass § 56 HGB das Abhandenkommen iSv § 935 I 1 BGB

überwindet! Eine Weggabe durch einen Ladenangestellten im Rahmen

einer Veräußerung der Sache führt nicht zum Abhandenkommen! Aber

merke: Es müssen dann natürlich die Voraussetzungen des § 56 HGB

vorliegen!

dargestellten Ansichten eine Anfechtbarkeit ausscheidet; beachte aber gleichzeitig, daß § 56 HGB entsprechend § 54 III HGB nur zugunsten des redlichen Geschäftspartners wirkt. Hierzu Medicus BR Rn. 109!

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Konversatorium zum Grundkurs im Bürgerlichen Recht I

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Beim Dritten muss aber tatsächlich auch Redlichkeit vorliegen, und

dies dann nicht nur in Bezug auf die Berechtigung, sondern auch darauf,

dass der Ladenangestellter bevollmächtigt ist, also entweder Vollmacht

erteilt bekommen hat oder dass er ein Ladenangestellter ist;

dementsprechend wird auf § 56 HGB der § 54 III HGB analog

angewandt. Auf den guten oder bösen Glauben kann es aber nur

ankommen, wenn "nach dem vom Vertretenen darzulegenden

Sachverhalt objektiv keine Vertretungsmacht vorhanden, § 56 HGB also

als Rechtsscheinstatbestand heranzuziehen ist. ... In diesem Fall ist der

bösgläubige Kunde nicht geschützt." (Karsten Schmidt § 16 V 3. lit.f).

Beispiel hierfür ist der Kunde, der im Warenhaus bei der Verkäuferin

statt an der gut sichtbaren Kasse bezahlt.