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Konzept Weltatelier

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Erziehungskonzept der Maison Relais in Niederanven

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Horn, Nicole; Rotink, Georges; Schronen, Danielle

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Welt-Atelier - Ein pädagogisches Konzept für Maison Relais Richtlinien zur Gestaltung und Entwicklung von Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Kinder von 3-12 Jahren Autoren: Horn, Nicole; Rotink, Georges; Schronen, Danielle – Caritas Luxembourg

1. Maison Relais: mit Kindern die Welt entdecken und gestalten Familien haben seit 2005 die Möglichkeit, das Angebot einer Maison Relais in Anspruch zu nehmen. Schulkinder verbringen hier ihre Freizeit, während ihre Eltern arbeiten. Die UNESCO geht davon aus, dass sich Kinder und Jugendliche 80% ihres Wissens und Könnens außerhalb der Schule aneignen. Da immer mehr Kinder immer mehr Zeit in Kindertageseinrichtungen verbringen, kommt auf diese demnach eine große Verantwortung zu.

Maison Relais sind Orte der Gemeinschaft, in der sich Kinder wohlfühlen, ein soziales Netz aufbauen und sich für Neues öffnen. Es sind Bildungsorte – anregungsreiche und herausfordernde Orte, wo Kinder ihren Ideen, Interessen und Fragen nachgehen und dadurch lernen. Es sind Orte, wo kreative und problemlösende Herangehensweisen an eigene Fragestellungen ermöglicht werden - Orte, wo sich Kinder und Erwachsene gemeinsam und täglich neu auf Lern- und Entdeckungsreisen begeben. Die Bereiche, in denen durch diese „Reisen“ Bildungsprozesse angeregt werden, werden in Kapitel 2.2 beschrieben.

Bildungsprozesse im außerschulischen Bereich (Freizeit) entstehen besonders durch freiwillige Aktivität, die Freude bereitet. Gelernt wird in Zusammenhängen, die das Umfeld (Familie, Freunde, Kindertageseinrichtung, Verein, Medien) bietet; informelle Bildung findet statt. Es geht nicht in erster Linie um die Vermitttlung von Wissen, sondern um den Aufbau von Lern- und Problemlösungskompetenz. Darüber hinaus sollen Kompetenzen erworben werden, die lebenswichtig in einer Wissensgesellschaft sind: Kommunikation und Kooperation, Autonomie, Initiativgeist und Verantwortung, Flexibilität, Kreativität und Kritikfähigkeit, sowie Selbstvertrauen und emotionale Stabilität. Diese informellen Bildungsprozesse stehen aber nicht im Gegensatz zu formellen, schulischen Bildungsprozessen, sondern ergänzen sie. Bildung ist auf individueller Ebene ein lebenslanger, offener Prozess. Bildung ist aber auch immer ein sozialer Prozess, der im Austausch mit anderen erfolgt. Daher zielen Prinzipien wie Diversität, Vernetzung oder Zusammenarbeit mit den Eltern nicht nur auf soziale Integration, sondern haben einen direkten Einfluss auf die Bildungsprozesse.

Informelle Bildung und Kinderbetreuung bedürfen der Umsetzung von pädagogischen Haltungen und Prinzipien. Diese Prinzipen werden in Kapitel 2.1 dargestellt - sie bilden die Basis des pädagogischen Handelns in einer Maison Relais. Sie sind das feste Fundament – für die Maison Relais als Institution, wie auch für das pädagogische Team.

Schließlich wird anhand eines Beispiels erläutert (Kapitel 3), wie beide Bereiche – Prinzipien und Bildungsbereiche - miteinander verwoben sind und wie der pädagogische Alltag dadurch gestaltet wird.

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2. Prinzipien und Bildungsbereiche Folgendes Schaubild zeigt Prinzipien und Bildungsbereiche, die in diesem Kapitel vorgestellt werden.

2.1. Prinzipien

Folgende Prinzipien liegen dem pädagogischen Handeln in der Maison Relais zugrunde.

Das kompetente Kind

Kinder werden selbst tätig: sie wählen aus, was sie machen möchten, mit welchem Material, mit wem und nach Möglichkeit wie lange sie tätig sein wollen. Immer steht die Freiwilligkeit und die Freude am Tun im Mittelpunkt.

Das Bild vom kompetenten Kind, das sich mit seiner Welt auseinandersetzt und dabei Fragen entwickelt, denen es eigenständig nachgehen möchte, ist einer der Kernpunkte des Welt-Atelier-Ansatzes. In der Reggiopädagogik wird das Kind daher mit einem

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eifrigen Forscher verglichen: durch forschendes Lernen eignen sich Kinder Wissen und Können an und bilden sich selbst. Kreativität wird unterstützt durch ein anregendes, autonom zu nutzendes Umfeld und durch Ermutigung von Seiten der Erwachsenen, sich und seine Ideen auszuprobieren. So entsteht Neues, aus dem, was man kennt: Beziehungen, Ordnungen, Sinnstiftung, Problemlösungen.  

Erziehende als Begleitende

Erwachsene begleiten und unterstützen forschendes Lernen der Kinder, lassen sich von deren Interessen leiten und begeben sich mit ihnen auf Entdeckungsreise. Sie schaffen eine „vorbereitete Umgebung“, in der Kinder ihren Fragen nachgehen und ihr Wissen über die Welt erweitern können. Sie beobachten die Kinder, dokumentieren deren Lernschritte und orientieren pädagogische Angebote daran. Es wird projektorientiert gearbeitet.

Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bilden sich kontinuierlich fort - Fortbildungen zu einzelnen hier vorgestellten Prinzipien und Bildungsbereichen des Welt-Atelier-Ansatzes sind prioritär. Im pädagogischen Alltag übernehmen sie Aufgaben und Verantwortung für Bereiche, die ihren Interessen und Kompetenzen entsprechen. In regelmäßigen Teamversammlungen findet ein Austausch über den pädagogischen Alltag und über Herausforderungen bei der Umsetzung des pädagogischen Konzepts statt. Unterstützung erhält das Team durch regelmäßige Fachberatung. Supervision bietet die Möglichkeit, das eigene professionelle Handeln kritisch zu reflektieren.

Beobachtung und Dokumentation

Wahrnehmende Beobachtung und Dokumentation ist wesentlicher Bestandteil des Welt-Atelier-Ansatzes und eine Voraussetzung für eine individuelle Förderung der Kinder. Durch die intensive Beobachtung erfahren Erwachsene viel über die Persönlichkeit der Kinder und gewinnen Einblicke in die Art, wie Kinder denken und lernen. Lernprozesse der Kinder werden dokumentiert – das gemeinsame Betrachten dieser Dokumentation (Team, Kinder) und die Reaktionen der Kinder darauf bilden den Ausgangspunkt für die weitere pädagogische Arbeit. Die Dokumentationen werden außerdem für den Austausch und die Zusammenarbeit mit den Eltern verwendet.

Der Raum als dritter Erzieher

Die Raumgestaltung hat einen großen Einfluss auf die Qualität der pädagogischen Arbeit – in der Reggiopädagogik wird der Raum daher als „dritter Erzieher“ bezeichnet. Räume der Maisons Relais geben Geborgenheit, stellen Herausforderungen und regen die Sinne an. Materialien werden anregend präsentiert und sind für Kinder frei zugänglich – dadurch werden Fantasie und Aktivität angeregt. Die verschiedenen Bildungsbereiche werden durch die Einrichtung von Lernwerkstätten räumlich verankert. Räume werden so gestaltet (vorbereitete Umgebung), dass Kinder selbst tätig werden können – alleine oder in kleinen Gruppen. So können intensive Erfahrungen und Bildungsprozesse ermöglichen werden. Der Innen- und Außenraum kann autonom von den Kindern genutzt werden.

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Ruhe und Rückzug

Kinder brauchen Momente der Ruhe und des Rückzugs – in allen Räumen und im Außengelände der Maisons Relais gibt es daher Rückzugsmöglichkeiten. Diese Momente dienen der Erholung, der intensiven Wahrnehmung oder der stillen Beobachtung. Die Privatsphäre der Kinder wird respektiert und räumlich unterstützt. Einige kleine Kinder brauchen noch eine behagliche Schlafgelegenheit, die ihnen Geborgenheit signalisiert, autonom erreichbar und wieder zu verlassen ist. Wer nicht schlafen kann oder will findet ruhige Beschäftigungsmöglichkeiten. Ältere Kinder finden adäquate Angebote zur Entspannung vor: Energie auftanken oder Energie abgeben.

Begegnung und Gemeinschaft

Bei der Organisation des Alltags wird Wert gelegt auf Austausch und Kommunikation. Die Maison Relais schafft Platz für gemeinsame Erfahrungen und Werte und vermittelt Zugehörigkeit. Vertrauensvolle Beziehungen sind eine Voraussetzung für neugieriges Forschen und damit für Lernprozesse, aber auch für ein starkes Selbstwertgefühl. Konfliktlösungsstrategien werden erlernt. Maisons Relais sind daher Orte der Begegnung – für Kinder und Erwachsene. Viele Räume mit ihrer darauf abgestimmten Einrichtung dienen als Plattform für das soziale Leben, wie z.B. ein zentraler Platz, in Reggio „Piazza“ genannt.

Zusammenarbeit mit Eltern

Maisons Relais arbeiten auf vielfältige Weise mit den Müttern und Vätern der Kinder zusammen. Eltern werden informiert und in die pädagogische Arbeit eingebunden. Mütter und Väter werden unterstützt in ihrer erzieherischen Rolle: der Austausch von Erfahrungen in Sachen „Erziehung und Bildung“ mit anderen Eltern oder dem Team bietet eine wichtige praktische und emotionale Unterstützung und gibt Sicherheit. Eltern werden als unentbehrlichen Partner angesehen und verfügen über Mitspracherecht. Diese Zusammenarbeit vereinfacht den Übergang vom Zuhause zur Kindertageseinrichtung für die Kinder.

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Diversität

Die Länder, Kulturen und Wertesysteme, mit denen sich die Kinder und ihre Familien besonders verbunden fühlen, werden auf vielfältige Weise aufgegriffen. Vielfalt spiegelt sich in der Gestaltung der Einrichtung und den Materialien wieder, aber auch im Team: Frauen und Männer unterschiedlichen Alters, verschiedener Berufsgruppen, verschiedener Nationalitäten, mit unterschiedlichen Interessen und Kompetenzen, ergänzen und bereichern sich. Das Team vermittelt Kindern und Eltern ein Gefühl der Zugehörigkeit und jeder Besucher fühlt sich willkommen. Jeder kann stolz auf seine Identität(en) sein. In vertrauensvoller Atmosphäre können Überzeugungen, Werte und Glaubensrichtungen ausgedrückt und bei Konflikt verhandelt werden. Unterschiede und Gemeinsamkeiten werden positiv hervorgehoben. Kinder werden dabei unterstützt, sich kritisch mit stereotypischen Verhaltensweisen, Vorurteilen, Diskriminierung und sozialer Ungerechtigkeit auseinanderzusetzen. Demokratische Entscheidungsstrukturen ermöglichen die Partizipation von Team, Kindern und Eltern. Die Einrichtung sucht den Kontakt zu nicht oder unterrepräsentierten Gruppen und ermöglicht ihnen den Zugang zur Maison Relais. Die Einrichtung weist alle relevanten Akteure auf die ungleichen und sich wandelnden Bedürfnisse der Kinder und ihrer Familien hin.

Vernetzung

Die Maison Relais ist eingebettet in eine Gemeinschaft. Dazu ist sie mit vielen Akteuren des lokalen Lebens – Schule, Gemeinde, Vereine, öffentliche Einrichtungen, Vertreter des wirtschaftlichen Lebens, soziale Dienste – vernetzt. Diese Zusammenarbeit garantiert den Kindern einen Zugang zur Welt über die Einrichtung hinaus, läßt aber auch das Umfeld teilhaben an den Lernprozessen der Kinder. Eine regelmäßige, interinstitutionelle Kommunikation vereinfacht die Wege und ermöglicht vielfältige Perspektiven auf die Entwicklung eines Kindes sowie präventive Sozialarbeit.

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2.2. Bildungsbereiche

Bildungsbereiche sind Themen, die in der Maison Relais räumlich und materiell verankert werden.

Gestalten & Handwerk

Gestalten und Handwerk fördert nicht nur die motorischen Fähigkeiten, sondern auch die sinnliche Wahrnehmung (Ästhetik), u.a. das Erkennen von Mustern. Durch das Schaffen eigener Werke strukturieren und verarbeiten Kinder ihre Eindrücke. Kinder übertragen ihre Umwelt in Bilder: kognitive Leistungen wie Reduzierung der Komplexität oder symbolische Ausdrucksweise werden erbracht. Die Bildersprache als elementare Denkform wird verfestigt. Gestaltende Kunst als kultureller Ausdruck wird erfahrbar. Handwerkliche und gestaltende Tätigkeiten bringen Kindern verschiedene Kulturtechniken näher, insbesondere wird das Erlernen des Schreibens wird vorbereitet.

Maisons Relais bieten daher Kindern die Möglichkeit zum Malen, Zeichnen, plastischen Gestalten und Werken. Es gibt ein gut eingerichtetes Atelier, das für die Kinder jederzeit zugänglich ist und in dem eine Vielzahl von Materialien ansprechend präsentiert werden. Es wird prozessorientiert gearbeitet und somit wird nicht das Resultat, sondern das Lernen an sich in den Vordergrund gestellt. Kinder können ihre Kreativität zum Ausdruck bringen: das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wird gestärkt.

Darstellen & Musik

Nachahmung ist eine elementare Lernform und schafft beim Kleinkind ein Gefühl der Verbundenheit. Diese Lernform kommt besonders beim Rollenspiel zum Einsatz und schöpft aus dem, was Erwachsene vorleben und auch zunehmend aus dem, was die Medien verbreiten. Rollenspiel fördert Kommunikation und Sprachentwicklung.

Maisons Relais geben Kindern die Möglichkeit, in eine andere Rolle zu schlüpfen. In Maisons Relais finden sie dazu multifunktionale Möbel, sowie Materialien aus dem Bereich Familie und Beruf („Zeug zum Spielen“), bei deren Auswahl auf Aspekte der Diversität geachtet wird. Sie bekommen die Möglichkeit, sich zu verkleiden, sich zu frisieren oder zu schminken und ihre Kreativität darstellend zum Ausdruck zu bringen – zum Beispiel im Schattentheater (Spiel mit dem eigenen Körper), im pantomischen Ausdrucksspiel („jeux dramatiques“), im Puppenspiel oder im Schwarzlichttheater. Musik und damit verbunden Tanz und Gesang sind wichtige Ausdrucksformen – verbal und non-verbal. Angebote in diesem Teilbereich sind im Alltag integriert und bieten Kindern und Erwachsenen einen guten Zugang zu fremden Kulturen.

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Sprache & Medien

Sprache ist eine wichtige Komponente der sozialen Integration, da sie die Grundlage für die Kommunikation von Ideen, Erlebtem und Emotionen bildet. Auf dieser Grundlage können Gemeinschaft und Partizipation erst aufgebaut werden. Die luxemburgische Sprache ist die Alltagssprache in den Maison Relais. Die Familiensprachen der Kinder nehmen in den Maison Relais einen wichtigen Platz ein, weil die Muttersprache eng mit der Identität der Kinder verflochten ist. Außerdem hat die Weiterentwicklung der Muttersprache einen positiven Impakt auf den Erwerb einer Zweitsprache. Sprachkompetenz ist unerlässlich für einen erfolgreichen Schulbesuch. In Maisons Relais werden daher viele Anlässe geschaffen, Sprache in Alltagssituationen zu pflegen und weiterzuentwickeln - Erwachsene sind in ihrem Sprachgebrauch ein wichtiges Vorbild. Altersgerechte Bücher sind hilfreich in der Vorbereitung auf das spätere Lesen- und Schreibenlernen. „Schreibwerkstätten“ ermöglichen Kindern einen neuen Zugang zur Kulturtechnik „Schreiben“. Kinder lernen traditionelle und neue Medien (Radio, Fernsehen, Internet) sowie den verantwortlichen, aktiven Umgang damit kennen.

Ernährung

Ernährung und Ernährungsbildung in Maisons Relais sind kindgerecht, gesundheitsfördernd und nachhaltig. Lebensmittel werden regional eingekauft, stammen wenigstens zum Teil aus biologischem Anbau oder sind fair gehandelt. Hauseigene Küchen, in denen diplomierte Köchinnen und Köche täglich frisch kochen, haben einen sichtbaren Platz in der Einrichtung und lassen den Entstehungsprozess der Mahlzeiten nachvollziehbar werden. Das Küchenpersonal orientiert sich an aktuellen Ernährungskonzepten und Zubereitungsweisen – qualitativ hochwertige Mahlzeiten fördern den Genuss. Ernährung in der Maison Relais besitzt Vorbildcharakter und das Team lebt gesundheitsförderndes Essverhalten vor. Kinder erfahren, wo das Essen herkommt. Sie bekommen die Möglichkeit, Gemüse und Obst anzubauen, zu kochen und zu backen, und durch vielfältige Erfahrungen ihren Geschmackssinn weiterzuentwickeln. Die freie Wahl des Essens, der Menge, der Uhrzeit und der Dauer des Essens sowie der Tischnachbarn (verwirklicht z.B. im Buffet) wird ermöglicht. Durch das Einrichten von Restaurants werden andere Räume weitestgehend von Tischen und Stühlen befreit. Das Restaurant bietet eine warme Atmosphäre, die das Essen angenehm macht; die Tischeindeckung sowie die organisatorischen Abläufe rund ums Essen ebnen den Weg für Tischkultur. Es besteht die Möglichkeit, dass Kinder ohne Erwachsene essen können - die Einrichtung des Restaurants bietet dafür die notwendigen „privaten Ecken“ (akustische und visuelle Diskretion), wo Kinder mit Freunden in Ruhe über persönliche Angelegenheiten sprechen können.

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Bauen & Technik

Der Drang der Kinder zum Bauen lässt sie erste Schritte in Richtung Mathematik tun: durch Ordnen, Wiegen oder Zählen des Materials. Durch das Vorhandensein von gleichem Material in großen Mengen werden statische und geometrische Gesetzmäßigkeiten unmittelbar erfahrbar; Regeln, Formen und Größen werden sinnlich erfahren, wiedererkannt, zugeordnet und in Beziehung gesetzt. Die Orientierung in Raum und Zeit wird erlernt.

Maisons Relais bieten daher geeignete Materialien für die entsprechenden Altersgruppen im Innen- wie im Außenraum. Großteiliges Bauen erfordert Bewegung, ganzen Körpereinsatz sowie Zusammenarbeit. Dieses Bauen richtet sich vor allem an jüngere Kinder, während ältere Kinder mit kleinen, vielfältigen Bauteilen technische Möglichkeiten ausloten. Durch Experimente mit Magnetismus, Licht, Strom, Wasser u.v.a. können Kinder Geheimnisse der Technik lüften. Technik wird als spannende Beschäftigung erlebt und der Umgang mit den Techniken der Wissensgesellschaft wird vorbereitet.

Natur

Die Natur bietet ein komplexes, multisensorisches Lernumfeld, in dem Kinder allen Alters eine Vielzahl von Erfahrungsmöglichkeiten haben: Neugier und die Lust am Fragen werden unterstützt. Die Auseinandersetzung mit Phänomenen der belebten (z.B. Pflanzen, Tiere, Jahreszeiten) und der unbelebten Natur (z.B. Steine, Sterne) regt Lernprozesse an. Kinder haben die Möglichkeit, diese Phänomene durch eigenes Ausprobieren und Erkunden zu begreifen und damit eine wichtige Grundlage für ihr Wissen und Können zu schaffen. Sie erstellen Theorien zu Erlebtem und überprüfen diese – damit wird eine wichtige Grundlage u.a. für wissenschaftliche Arbeit gelegt. Ökologische und naturwissenschaftliche Zusammenhänge werden erfahrbar. Umweltbewusstsein wird erworben, Erziehung zur nachhaltigen Entwicklung findet statt. Die Maison Relais ermöglichen einen vielfältigen Kontakt mit der Natur: ein naturnah angelegtes Außengelände, ein Garten, sowie zahlreiche Ausflüge in die Natur stellen den Rahmen dar, gekoppelt mit einer in-house Forschungsstation für Naturwissenschaften. Expeditionsmaterial steht zur Verfügung. Die Erfahrungen in der Natur bieten eine Fülle von Material und Eindrücken, die in der Maison Relais auf vielfältige Weise reflektiert und aufgearbeitet werden können.

Bewegung

Bewegung ist die erste Handlung, die es Kindern erlaubt, die Welt zu begreifen. Kinder lernen ihren Körper wahrzunehmen - insbesondere ihr Gleichgewicht, ihre Orientierung im Raum, den Krafteinsatz ihrer Muskeln. Räumliches Denken wird gefördert. Körperliche Aktivität ermöglicht Kindern, die Geschicklichkeit zu entwickeln, die sie für diverse Kulturtechniken brauchen. Kindern lernen aber auch etwas über die prinzipiellen Dinge des Lebens: Herausforderungen annehmen und Ziele erreichen, Risiken einschätzen, physikalische Gesetzmäßigkeiten erleben (und intuitiv verstehen), Persönlichkeitsentwicklung durch körperliche Nähe und Auseinandersetzung, soziales Verhalten durch gemeinsame Aktivitäten. In den Maison Relais können Kinder ihrem Bedürfnis nach Bewegung jederzeit nachgehen, sowohl drinnen als auch draußen. Das

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Angebot erlaubt differenzierte Bewegungserfahrungen (klettern, springen, schaukeln, balancieren) und vielfältige Kombinationsmöglichkeiten beim Bau eigener Bewegungsanlässe. Das Planen und Ausarbeiten dieser Bewegungsanlässe in Zusammenarbeit mit anderen Kindern auf der Bewegungsbaustelle ist ein wichtiger Bildungsbereich für jüngere Kinder und ein gutes Beispiel dafür, wie das Kind seine Lernumwelt aktiv mitgestalten kann. Für ältere Kinder sind zum Beispiel Mannschaftssportarten Quelle sozialer Kompetenz.

Körpererfahrung & Gesundheit

In den Maison Relais können Kinder auf vielfältige Art den eigenen Körper fühlen und ausprobieren. In der Anregung der Sinne gründen elementare Lernerfahrungen. Sinneseindrücke bieten Orientierungspunkte für die Wahrnehmung der Welt. Das Vertrauen in die wachsenden Fähigkeiten des eigenen Körpers unterstützt die Kinder, ein positives Gefühl zu ihrem Körper aufzubauen und ein gutes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Positive Erlebnisse in Bezug auf die Körperpflege prägen die Beziehung zum eigenen Körper bereits im Kleinkindalter. Die physische und psychische Gesundheit ist eine Voraussetzung für eine optimale Entwicklung der Kinder. Damit Kinder sich wohl in ihrer Haut fühlen, erlernen sie einen verantwortungsvollen Umgang mit dem eigenen Körper: gesundheitsfördernde Verhaltensweisen werden thematisiert und vorgelebt. Kinder nehmen sich als Junge oder Mädchen wahr – ihre Fragen erhalten sachgemäße Antworten, welche den Kindern helfen, ein unbefangenes und verantwortliches Verhältnis zur eigenen Sexualität aufzubauen.

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3. Den pädagogischen Alltag gestalten – ein Praxisbeispiel Das folgende Beispiel aus dem pädagogischen Alltag einer Maison Relais verdeutlicht, wie pädagogische Prinzipien und Bildungsbereiche in der Praxis miteinander verwoben sind. Es zeigt, wie es durch die Haltung der Erwachsenen (gemäß der beschriebenen pädagogischen Prinzipien) in Bezug auf die Fragen der Kinder bzgl. eines bestimmten Themas (hier Bildungsbereich Natur) zu Überlegungen, Aktivitäten und Selbstbildungsprozessen der Kinder kommt. Dadurch wird eine Spirale von Kommunikation und Bildung mit immer neuen Themen in Gang setzt.

Beispiel: Waldaktivitäten (Quelle: MR Betzdorf)

Eine Gruppe Kinder geht jede Woche in ein nahegelegenes Waldstück. Nach Absprache mit dem zuständigen Förster dürfen die Kinder das Gelände erkunden und tätig werden.

Zugang zur Welt; Vernetzung; Bildungsbereich Natur (Wald als vielfältiger Bildungsraum); Raum als dritter Erzieher

Die Kinder nehmen Materialien mit in den Wald. Sie können im Wald mit diesen Materialien ihren Interessen nachgehen und ihre Umgebung erforschen.

Kompetentes Kind; Raum als dritter Erzieher (Wald und Material als vorbereitete Umgebung)

Ein Kind fragt sich, ob es Füchse im Wald gibt. Es vermutet, dass es den Füchsen abends kalt wird und hat die Idee, ein Haus für die Füchse zu bauen. Mehrere Kinder sammeln Materialien und bauen für den Fuchs ein Haus.

Bildungsbereich Natur

Bildungsbereich Bauen und Technik

Ein Erzieher begleitet die Kindergruppe bei ihrem Vorhaben, beobachtet und dokumentiert (Fotos und Mitschriften).

Beobachtung und Dokumentation

Die Dokumentation bildet den Ausgangspunkt für neue Fragen der Kinder: hat der Fuchs Hunger? Diese Fragen werden vom Team aufgegriffen und mit den Kindern erörtert – auch andere Kinder interessieren sich jetzt für das Thema. Beim nächsten Waldausflug nehmen die Kinder altes Brot für den „Fuchs“ mit, legen es bereit – und stellen beim darauffolgenden Besuch fest, dass das Brot verschwunden ist. Auch über die Waldaktivität hinaus beschäftigen sich die Kinder nun mit dem Thema „Füchse“.

Erziehung als Begleitung

Die Dokumentation wird in der Maison Relais aufgehängt. Dies führt zu einem Austausch zwischen Kindern und Eltern, sowie Eltern und Erzieher. Eine Mutter ist sehr interessiert und bittet darum, eine Kopie der Unterlagen zu bekommen.

Zusammenarbeit mit den Eltern

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4. Der Welt-Atelier-Ansatz und seine Umsetzung

In dem vorgestellten Konzept werden Richtlinien für den pädagogischen Alltag in den Maisons Relais beschrieben. Es ist das Ergebnis eines langjährigen Prozesses, der mit der Verfassung des Qualitätshandbuchs für Maisons Relais (Schenk, 2006) begann. Im weiteren Verlauf fand eine Zusammenarbeit der Caritas Luxemburg mit Vertretern der Universität Gent und der Universität Köln statt, sowie ein stetiger Austausch mit den Akteuren der Maisons Relais vor Ort. All dieses Wissen, die Erfahrungen, Erkenntnisse und Rückmeldungen bilden die Grundlage für die Überlegungen, die in diesem Konzept beschrieben werden.

Entscheidend geprägt wird die Umsetzung des hier vorgestellten Konzeptes durch die Fortbildung „Welt-Atelier“1, die seit 2010 von Angelika von der Beek (in Zusammenarbeit mit Hilke Eden) in Maisons Relais gehalten und vom Service R&D der Caritas begleitet wird. Die Fortbildung Welt-Atelier wurde in Zusammenarbeit mit dem Service R&D eigens auf die Besonderheiten in Maison Relais zugeschnitten. Dabei ist unter anderem ein „Living Document“ entstanden, in dem konkrete Umsetzungstipps für die einzelnen Bildungsbereiche und Prinzipien gegeben werden – dieses Dokument wird kontinuierlich mit Erfahrungswissen erweitert. Zusätzlich zu den Fortbildungsterminen von Angelika von der Beek werden Vertiefungstermine angeboten, um die vermittelten Inhalte zu reflektieren oder an Beispielen zu verdeutlichen – auch im Rahmen von Hospitationen. Außerdem bestehen zu mehreren Bildungsbereichen Arbeitsgruppen, um die jeweilige Thematik mit Fachkräften aus den Maions Relais zu vertiefen – Ergebnisse aus diesen Gruppen bereichern wiederum das „Living Document“. Die Umsetzung umfasst zudem Inhouse-Fortbildungen für ganze Teams, die es ermöglichen, gezielt auf die spezifische Situation einzelner Maison Relais einzugehen.

Bei der Umsetzung und Weiterentwicklung des beschriebenen Konzepts handelt es sich um einen längerfristigen kontinuierlichen Prozess. Als lernende Organisationen befinden sich Maison Relais im stetigen Austausch zwischen Theorie und Praxis.

1 Der Name „Welt-Atelier“ wurde in Anlehnung an das von Professor Gerd E. Schäfer gegründete Fortbildungsinstitut “WeltWerkstatt” gewählt. WeltWerkstatt wiederrum stützt sich auf Konzepte, die die Selbsttätigkeit der Kinder konsequent in den Mittelpunkt der pädagogischen Praxis stellen: Reggiopädagogik, Offene Arbeit, Projektarbeit und Raumgestaltung (www.weltwerkstatt.de).

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5. Referenzen Manuel Achten, Marco Deepen, Nicole Horn, Danielle Schronen (2008): „Kinderarmut & Bildung“ – Eine kindzentrierte Perspektive. In: Danielle Schronen, Robert Urbé (Hrsg., 2008): Sozialalmanach 2008. Schwerpunkt: Kinderarmut & Bildung. Caritasverband. Luxemburg.

Angelika von der Beek (2010): Bildungsräume für Kinder von Drei bis Sechs. Verlag das Netz, Berlin.

Charlotte Bühler Institut (2009): Bundesländerübergreifender Bildungsrahmenplan für elementare Bildungseinrichtungen in Österreich. Ämter der Landesregierungen der österreichischen Bundesländer, Magistrat der Stadt Wien, Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur.

DECET (2007) : Diversity & Equity. Making sense of good practice. www.decet.org

Aldo Fortunati (2006): The education of young children as a community project. Edizioni Junior srl, Azzano San Paolo. Kerensa Lee (2010): Kinder erfinden Mathematik: Das Konzept mit gleichem Material in großer Mengen. Verlag das Netz. Berlin.

Klaus Miedzinski, Klaus Fischer (2006): Die Neue Bewegungsbaustelle. Lernen mit Kopf, Herz, Hand und Fuß. Borgmann Media, Dortmund.

Gerd E. Schäfer (2008): Bildung in der frühen Kindheit. In: Danielle Schronen, Robert Urbé (Hrsg., 2008): Sozialalmanach 2008. Schwerpunkt: Kinderarmut & Bildung. Caritasverband. Luxemburg.

Gerd E. Schäfer, Marjan Alemzadeh, Hilke Eden, Diana Rosenfelder (2009): Natur als Werkstatt. Verlag das netz, Weimar.

Manfred Schenk (2006): Qualitätshandbuch Maison Relais Caritas.

Danielle Schronen, Manuel Achten (2011): Raum für Kinder, Platz für Erfahrung, Ort für Begegnung. Confédération Caritas Luxembourg & Ordre des Architectes et des Ingénieurs-Conseils. Luxembourg.