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K A & C ISSN 1016-0744 The Royal Tombs of the Joseon Dynasty ISSN 1975-0617 Jongga-Stammfamilien Koreanische Kunst und Kultur Jahrgang 5, Nr. 1 Frühjahr 2010

Koreana Spring 2010 (German)

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Koreana Spring 2010 (German)

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K o r e a n a r t & C u l t u r e vol. 24, no. 2 Summer 2009

ISSn 1016-0744

The Royal Tombs of the Joseon Dynasty

ISSn 1975-0617

Jongga-Stammfamilien

koreanische kunst und kultur Jahrgang 5, nr. 1 Frühjahr 2010

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KOREANISCHER SCHÖNHEITSSINN

Tteoksal

teoksal ist eine Form, die verwendet wird, um den Reiskuchen Jeolpyeon mit dekorativen Mustern zu ver-sehen. Diese Reiskuchenformen sind seit der Goryeo-

Zeit (918-1392) in Gebrauch. Es gibt viele Tteoksal-Formen mit Motiven von hohem ästhetischem Anspruch, so dass sie heutzutage als Bewahrer der traditionellen koreanischen Muster angesehen werden. Besonders in der Honam-Region, die als Getreidekammer der koreanischen Halbinsel bekannt ist, wurden viele alte Reiskuchenformen gefunden.Es gibt zwar viele verschiedene Reiskuchensorten, aber Jeol-pyeon gilt als Standardreiskuchen, der selten auf einer Festtafel fehlt. Für Jeolpyeon wird der in Wasser vorgequellte Rundkorn-reis zerstoßen und anschließend gedämpft. Danach wird die Reismasse geknetet oder in einem großen Mörser kräftig gesto-ßen. Anschließend reißt man angemessen große Stücke von der Teigmasse ab und bringt sie in die gewünschte Form. Dann drückt man den Tteoksal wie einen Stempel auf den Teig. Wenn der Teig angemessen fest geworden ist und das Muster deutlich erscheint, wird der Reiskuchen mit Sesamöl bestrichen, um ihm einen schönen Glanz zu verleihen.Für die Koreaner ist Reiskuchen eine Delikatesse, die in enger Verbindung mit Zeremonien steht. Eine bis heute überlieferte Redensart lautet daher: „Man sieht Reiskuchen und hält eine Ahnenverehrungszeremonie ab.“ Reiskuchen wird bis heute an den hohen Feiertagen oder an den Ahnengedenktagen auf die Opfertafel für das Ahnenritual gestellt. Für Festlich-keiten im Familienkreis oder als Geschenk für die Nachbarn bereitet man ebenfalls gern Reiskuchen vor. Und nach einer Feier packt man den Gästen oft Reiskuchen als Geschenk ein. Jeolpyeon, der länger haltbar und formbeständiger ist als andere Reiskuchensorten, die z.B. in Bohnenpulver gewälzt werden oder gefüllt sind, eignet sich besonders gut zum Ver-teilen unter den Nachbarn oder als Wegzehrung für die Gäste.

Die Reiskuchenform Tteoksal wurde innerhalb der Familie von Generation zu Generation weitergegeben, sodass den Nachbarn ein Blick auf das Reiskuchenmuster genügte, um die Herkunft des Reiskuchens zu bestimmen. Zur Muster-vielfalt gehören Blumenmuster, Streifen- oder Blitzmuster, Fischmuster wie Karpfenmotive, Schriftzeichen, die für den Wunsch nach Reichtum, Geburt eines Sohnes, Gesundheit oder Langlebigkeit stehen, Taegeuk-Kreis-Muster (kore-anische Variante des Symbols von Yin und Yang) usw. Das jeweils verwendete Reiskuchenmuster variierte je nach Cha-rakter der Festlichkeit: Für Jeolpyeon für den ersten Geburts-tag eines Kindes wurden meistens Karpfenmuster genom-men; für Reiskuchen für einen 60. Geburtstag wählte man Muster wie Blumen oder Schriftzeichen, die Langlebigkeit symbolisieren. Daher gab es in jedem Haus für die verschie-denen Anlässe verschiedene Sorten von Reiskuchenformen. Wie auf der Abbildung zu sehen ist, gab es auch Reiskuchen-formen mit unterschiedlichen Mustern je nach Seite.Nach dem Material lassen sich Porzellan- und Holz-Tteoksal unterscheiden. Für Holz-Tteoksal wurden harte Holzsorten wie Japanische Rotkiefer, Eiche, Persimonenbaum, Eisen-Bir-ke, Ginkgo oder Chinesische Jujube verwendet. Dabei wurden die Formen nie aus einem Baum angefertigt, in den der Blitz eingeschlagen hatte, da die Reiskuchen meistens für Zere-monien gebraucht werden. Auch heutzutage finden sich noch Kunsthandwerker, die die traditionellen Tteoksal-Formen aus Holz und deren Muster zu ihrem Hauptthema gemacht haben, sie bewahren und zugleich weiterentwickeln. Auch gibt es noch heute Hausfrauen, die die Tradition für besonders wichtig halten. Diese Frauen benutzen bei der Herstellung von Jeolpyeon jedoch leichte und praktische Tteoksal-Formen aus Silikon. Und auch beim Plätzchenbacken finden die Tteoksal-Muster Verwendung.

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© Ahn Hong-beom

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Jongga-Nachfahren aus dem ganzen Land versammeln sich in den Herrengemächern des Stammsitzes der Jongga von Yi Won-jo, um das Ritual der „Unverrückbaren Ahnentafel“ vorzubereiten. Zu den Vorbereitungen gehört auch, dass die Teilnehmer vereinbaren, wer welche Rolle bei der Zeremonie übernimmt.

© Seo Heun-kang

Jongga-Stammfamilien8 Wasbedeutet„Jongga”fürdiemodernenKoreaner? YiSoonHyung

16 AhnenverehrungszeremonienundOpferspeisenderJongga LeeYeunja

24 EineReisedurchdieJongga-MuseeninKorea CharlesLaShure

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34 FOKUS

Creative City Projekte, die rege vorangetrieben werden | Lee Sun-chul

40 INTERvIEw Ahn Eun Me

Ahn Eun Me: Neo-schamanistische Choreographin des 21. Jahrhunderts | Kim Nam-Soo

46 KUNSTHANDwERKER Kim Young Hee

Jade: eine Metapher für edle Menschen und Liebe Park Hyun Sook

52 MEISTERwERKE

Seungseongyo: eine Brücke zwischen der säkularen und der heiligen Welt | Cheon Deukyoum

56 KUNSTKRITIK

Ein neues Zuhause für Koreas zeitgenössische Kunst: das Nationalmuseum von Seoul | Chung Jae Suk

62 KOREA ENTDECKEN

Wie bin ich hierher gekommen? | Robert J. Fouser

66 AUF DER wELTBÜHNE Bae Bien-U

Tuschebilder aus Fotos: die malerische Fotowelt von Bae Bien-U Yoon Seyoung

72 UNTERwEGS Daejeon

Daejeon: eine Stadt der langsamen Lebensart | Kim Hyungyoon

80 KÜCHE

Tintenfisch-Deopbap: gesund und preisgünstig | Shim Young Soon

84 BLICK AUS DER FERNE

Deutsche Persönlichkeiten im Königreich Joseon | Hans-Alexander Kneider

86 LEBEN

Der Makgeolli-Boom im Jahr 2009 | Huh Shi Myung

91 REISEN IN DIE KOREANISCHE LITERATUR

JeoNg Ji A Das Entdecken des Alters und dessen Literarisierung

Kim Kyung-soo

Frühlingslicht | Übersetzung: Ahn in-kyoung/Anneliese Stern-Ko

IMPRESSUM HerausgeberThe Korea Foundation2558 Nambusunhwan-ro, Seocho-gu, Seoul 137-863, Korea PRÄSIDENT Kim Sung-yupREDAKTIONSDIREKTOR Hahn Young-heeCHEFREDAKTEURIN Ahn In-kyoungKORREKTURLESERIN Anneliese Stern-KoREDAKTIONSBEIRAT Cho Sung-taek,Han Kyung-koo, Han Myung-hee, Jung Joong-hun, Kim Hwa-young, Kim Moon-hwan, Kim Youngna LAYOUT & DESIGN Kim’s Communication Associate REDAKTIONSMITGLIEDER Lim Sun-kunFOTODIREKTOR Kim Sam KUNSTDIREKTOR Lee Duk-limDESIGNER Han Su-hee, Kim Su-hye Herausgabezweck: ideell

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Koreana ist als Vierteljahresmagazin beim Ministerium für Kultur und Tourismus registriert (Reg. Nr. Ba-1033 vom 8.8.1997) und erscheint auch auf Englisch, Chinesisch, Französisch, Spanisch, Arabisch, Japanisch und Russisch.

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Jongga-Stammfamilien

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Unter „Jongga“ versteht man eine Familie, die über generationen hinweg in direkter Linie über den jeweils ältesten Sohn vom gründer des Familienclans abstammt. in Korea existieren viele solcher

Stammfamilien, deren geschichte sich fast 400 Jahre bis in die Mitte der Joseon-Zeit zurückverfolgen lässt. eine solche Stammfamilie ist das Medium, das die Traditionen des Konfuzianismus überliefert.

Sie fungiert daher in der modernen koreanischen gesellschaft, in der mittlerweile die Kernfamilie all-gemein verbreitet ist, als Schatztruhe und Musterexemplar traditioneller Werte und Lebensart.

Jongga-Stammfamilien

Takcheongjeong, ein Pavillon der Jongga von Kim Hyo-ro im Dorf Gunja, Andong, Provinz Gyeongsangbuk-do; Webseite: www.gunjari.net (nur auf Koreanisch)

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Wasbedeutet„Jongga”fürdiemodernenKoreaner?Durch das traditionelle System derJongga-Familien haben die Koreaner den Glauben bewahrt, dass Leben und Geist der Ahnen durch „Mich“, den Nach-kommen, überliefert werden. Erfahren Sie anhand der Forschungsergeb-nisse einer Wissenschaftlerin, die sich 18 Jahre lang der Jongga-Forschung gewidmet hat, mehr über Entstehung und Entwicklung, Konzept und Cha-rakter dieses Familiensystems sowie über dessen Gegenwart und Zukunft.

Yi Soon Hyung Professorin für Kinder- und Familienwissenschaften, Seoul National University

Fotos: Seo Heun-kang, Lee Dong-chun

Das Bildungsfieber der Koreaner lässt sich an der Tatsache ablesen, dass rund 80% aller Oberschüler in Korea nach der Reifeprüfung ein Studium aufneh-

men. Der Drang nach Bildung, den die Koreaner an den Tag legen, ist dermaßen le-gendär, dass sogar US-Präsident Obama seine Landsleute dazu aufforderte, sich daran ein Beispiel zu nehmen. Die Koreaner stellen auch den höchsten Anteil der auslän-dischen Studenten in den USA. Dank dieser Leidenschaft für Bildung verbesserte sich die Qualität der Humanressourcen in Korea, was dazu führte, dass Korea zur weltweit neuntstärksten Exportmacht aufrücken und zugleich eine demokratische Gesell-schaft entwickeln konnte. Dieses Bildungsfieber, das als treibende Kraft hinter der gesellschaftlichen Entwicklung steht, basiert auf der traditionellen konfuzianistischen Lehre.

Geistiges Vorbild: SeonbiDie Gründungs- bzw. Leitphilosophie des Joseon-Reichs, das 1392 gegründet wurde, war der Konfuzianismus. Und es ist der stabilen Kraft der auf der konfuzianistischen Lehre beruhenden geistigen Kultur zu verdanken, dass das Reich über 600 Jahre be-stehen konnte. Der Konfuzianismus ist eine geistige und zugleich praktische Lehre. Auf der geistigen Ebene legt er den Schwerpunkt auf die moralische Gerechtigkeit und das Gute im einzelnen Menschen und gibt zugleich auf der praktischen Ebene konkrete Prinzipien und Normen des Handelns vor. Es handelt sich also um eine Lehre, die sich auf das Leben im Diesseits konzentriert und nicht auf das im Jenseits. Das ideale Menschenbild des Konfuzianismus von Joseon verkörperten die Seonbi. Die Seonbi waren Gelehrte, die durch intensives Studium die von Menzius, dem Nachfolger von Konfuzius, hervorgehobenen Werte Humanität und Gerechtigkeit (仁義) anstrebten und praktizierten. Unter Gerechtigkeit (義) ist das zwischen-menschliche Ethos (人倫) zu verstehen, das im Einzelnen im Sittenkodex Drei Grundregeln und Fünf Grundbeziehungen der konfuzianistischen Lehre (三綱五倫)) ausgeführt wird. Der Begriff des zwischenmenschlichen Ethos wurzelt in den

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Das Jongga-Haus von General Nam I-heung aus dem Kreis Dangjin-gun, Provinz Chungcheongnam-do; Webseite: www.chungjanggong.or.kr (nur auf Koreanisch). Die Gräber der Ahnen sind links auf dem sonnigen Hügel hinter dem Haus zu sehen.

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menschlichen Beziehungen. Während das Menschenbild des Westens den Menschen als einsames Wesen darstellt, begrün-den nach dem von Joseon vertretenen Menschenbild die zwi-schenmenschlichen Beziehungen die Existenz des Einzelnen. Daher war es wichtig, die moralische Pflicht innerhalb des Beziehungsgeflechtes zu erfüllen, d.h. Loyalität und Treue zu wahren. Treue war eine Tugend, die nicht nur in der Bezie-hung zwischen König und Untertan, sondern auch in denen zwischen Lehrer und Schüler, Eltern und Kindern, Ehemann und Ehefrau sowie unter Freunden praktiziert werden musste.Auf dem Weg zu einem Seonbi galten Ehrlichkeit, Selbstdiszi-plin und Geduld als die wichtigsten Tugenden. Die Ehre eines Seonbi, und manchmal sogar sein Leben, hingen von der Wah-rung seiner Ehrlichkeit ab. Selbstdisziplin, die Fähigkeit, seine instinktiven Bedürfnisse zu beherrschen und den Drang nach Befriedigung zu unterdrücken, wurde nicht nur im Alltag oder in den zwischenmenschlichen Beziehungen erwartet, sondern auch in Bezug auf die Ernsthaftigkeit, mit denen man seine Studien verfolgte. Zuletzt benötigte ein Seonbi zur Erkenntnis des Grundes, warum der Mensch seine Bedürfnisse kontrol-lieren muss und welcher Wert dem zukommt, eine weitere Tugend: Geduld. Die Selbstdisziplin eines Seonbi war unmög-lich von der Geduld zu trennen. Ein wahrhaft Gelehrter war daher ein Mensch, der diese Tugenden nicht nur als abstraktes Wissen besaß, sondern sie auch in seinem konkreten Handeln praktizierte.

Jongga: Mittelpunkt des LebensDie konfuzianistische Lehre hebt hervor, dass die Grund-einheit des Staates die Familie oder der Clan ist, wobei die Führungsprinzipien von Staat und Familie identisch sind, i.e. Loyalität und kindliche Pietät (忠孝). Das bedeutet, dass Wahrung und Führung eines Staats und einer Familie nach der gleichen Richtschnur erfolgen. In Joseon galt Familismus, ein Zweig des Kollektivismus, als sozialstrukturelle Leitidee. In der familistischen Gesellschaft von Joseon wurden die Familien-mitglieder als Teil der Familie betrachtet, während alle Nicht-Familienmitglieder als Außenstehende galten. Das individuelle Handeln der einzelnen Familienmitglieder musste dabei aufein-ander abgestimmt und integriert werden, um das Familienziel zu erreichen. Auch bei Erwerb und Nutzung von Grundstü-cken, Geld und materiellem Vermögen galt die Entscheidung bzw. Meinung der Familie als Ganzes und nicht die einzelner Familienmitglieder. Wenn die Familie etwas verlangte, musste der Einzelne das Verlangte zur Verfügung stellen. Dafür kamen die Familienmitglieder dem Einzelnen bereitwillig zur Hilfe, wenn er mit Außenstehenden in Schwierigkeiten geriet. Die einzelnen Familienmitglieder starteten den Erwartungen der ganzen Familie entsprechend ihre wirtschaftlichen Aktivitäten und führten sie in diesem Sinne; das galt auch für die Grün-dung einer eigenen Familie. All dies basierte auf dem Gedan-ken, dass jedes Familienmitglied die Pflicht zum Erhalt der

ganzen Familie hat.Mit Jongga wird die Stammfamilie, also die Familie des je-weils ältesten Sohns jeder Generation eines Familienclans be-zeichnet. Eine Große Jongga ist die vom den Familiennamen begründenden Urvater direkt abstammende Stammfamilie, unter denen es auch welche gibt, die bereits über tausend Jahre bestehen. Eine Kleine Jongga ist eine Zweigfamilie einer Gro-ßen Jongga, die von einem Stammfamilienmitglied abstammt. Verdienstreiche Männer, die z.B. das Land aus einer Krise geführt hatten oder über herausragende Kenntnisse und Ein-sichten verfügten, so dass sie als landesweit geistige Führer angesehen wurden, ernannte man zum Urvater einer Zweig-familie. Laut Regierungsanordnung durfte dessen Wipae (Na-menstafel) nicht aus dem Schrein des Clans entfernt werden. In Joseon besaß jeder Clan einen Familienschrein, in dem die Namenstafeln der verstorbenen Vorfahren bis zur vierten Ge-neration aufbewahrt wurden. Die Mitglieder der Königsfamilie verehrten ihre Ahnen hingegen im königlichen Schrein Jong-myo, während das Reich als solches die Namenstafeln seiner geistigen Führer im staatlichen Schrein Munmyo in Seong-gyungwan (Nationale Konfuzianische Akademie) aufbewahrte. Während der Joseon-Zeit wurden im Munmyo rund 500 Jahre lang Namenstafeln von 18 Weisen aufbewahrt, deren Lehren zu geistigen Säulen der Nation wurden.Die Menschen von Joseon verstanden sich als Vermittler zwi-schen den Vor- und Nachfahren und als Übermittler der Lehre und des Geistes der Vorfahren, die sie an die Nachkommen weiterzugeben hatten. Da für sie die Lehren und Erkenntnisse der Ahnen wichtig waren, hielten sie diese schriftlich fest und bewahrten sie auf, indem sie die von Generation zu Generation tradierten Schriften unter den Dachziegeln versteckten oder Briefe in Wandschränken deponierten, die mit Lehm versiegelt wurden, um sie vor Feuer zu schützen. Für die Menschen von Joseon waren die geistigen Lehren ihrer Familie sogar noch kostbarer als ihr materielles Vermögen und sie neigten dazu, Armut als Zeichen der moralischen Integrität eines Seonbi zu verstehen.Ein solches Idealbild des wahrhaften Seonbi führte manchmal zu Schwierigkeiten beim Bestreiten des Lebensunterhalts. Vie-len Jongga fehlte es an den notwendigen Mitteln, die Ahnen-verehrungszeremonie Jesa abzuhalten oder Gäste zu bewirten. Da dies jedoch für das Oberhaupt der Stammfamilie und seine Frau von großer Bedeutung war, waren sie bereit, dafür auch ein Leben in dürftigen Verhältnissen hinzunehmen, wobei

1 Die Decke von Simsujeong (Wichtiges Volkskundliches Gut Nr. 81), einem Pavillon im Dorf Yangdong, Stadt Gyeongju, Provinz Gyeongsangbuk-do; Englische Webseite: www.invil.org/english/village/daegu/contents.jsp?con_no=23876

2 Ahnenschrein der Jongga von Yi Won-jo im Dorf Hangae, Kreis Seongju-gun, Provinz Gyeongsangbuk-do

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Das in der Joseon-Zeit vom Konfuzianismus angestrebte angemessene Menschenbild sowie das ethische gemeinwesen-Bewusst-sein, nach dem der Mensch nicht als individuum, sondern als Wesen im Kontext zwischenmenschlicher Beziehungen die Bedeu-tung seiner existenz erlangt, sind womöglich Tugenden, die sich in der zukünftigen gesellschaft als notwendiger denn je erweisen könnten.

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ihnen der Respekt sowie die materielle und geistige Unterstüt-zung der Clanmitglieder halfen, den Haushalt des Stammfami-lienhauses zu führen.Die Stammfamilien hofften darauf, dass aus der Jongga-Fa-milie oder dem Familienclan eine Person von herausragender Bedeutung hervorgehen würde. Sie ersehnten sich die Geburt eines Sohns mit großem Talent und suchten nach vielverspre-chendem Nachwuchs im Clan, der sich um die Nation verdient machte und damit zum Ruhm des Clans beitrug. Wie wichtig das war, zeigt auch die Tatsache, dass eine Stammfamilie, die keinen leiblichen Sohn besaß, einen intelligenten Jungen aus der Verwandtschaft adoptierte, wobei es keine Rolle spielte, wie entfernt die verwandtschaftliche Beziehung war. Ein Clan bzw. eine Familie konnte durch einen Nachkommen, der in Studi-um oder anderen Fähigkeiten brillierte, aufsteigen, und man glaubte, dass durch solch ein Talent die Verdienste der Ahnen fortgeführt würden. Damit verharrte das Denken der Jongga-Mitglieder nicht nur in der Gegenwart, sondern reichte in die Vergangenheit und in die Zukunft. Und sie waren nicht nur auf ihr persönliches Schicksal und Wohl bzw. das der Einzel-familie bedacht, sondern sahen stets den Gesamtkontext von Gründung, Aufstieg und Untergang des ganzen Clans.

Die Koreaner der Joseon-Zeit glaubten, dass Leben und Geist der Ahnen durch „Mich“, den Nachkommen, überliefert werden. Nach diesem Geschichtsverständnis der Jongga-Mit-glieder wurde durch die Vergangenheit (Leben und Denken der Ahnen, Geschichte des Clans) das gegenwärtige „Ich“ ge-formt und der wertvolle Geist der Vergangenheit der zukünf-tigen Generation (Bildung und Sozialisierung der Nachkom-men) übermittelt.

Erziehung und Bildung der JonggaDie Bildung der Seonbi erfolgte in den Familien. Die Familie ist eine gesellschaftliche Einheit, die zu Sippen gebündelt wird. Im Zentrum dieser Verwandtschaftsnetzwerke, die die Joseon-Gesellschaft ausmachten, stand die Stammfamilie Jongga. Um die Prosperität des Clans zu erzielen und zu wahren, legte die Jongga größten Wert auf die persönlichen Verdienste des äl-testen Sohnes zusammen mit den Interessen des Clans. Der älteste Sohn hatte drei Aufgaben zu erfüllen: Erstens, er musste

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Ein Haus im Dorf Yangdong in Gyeongju, Provinz Gyeongsangbuk-do

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sich durch das Lernen und Praktizieren der konfuzianistischen Lehren zu einem Seonbi entwickeln. Zweitens, er hatte sich mit der Clan-Genealogie vertraut zu machen, so dass er die Jesa-Zeremonien und Traditionen der Ahnenverehrung korrekt durchführen und weiterpflegen konnte. Drittens, es war auch seine Aufgabe, mit den Verwandten harmonische Beziehungen zu pflegen und jederzeit Gäste gebührend zu empfangen, um so die Existenz des Clans zu sichern.Es war, wie erläutert, die Pflicht des ältesten Sohns der Stamm-familie, fleißig zu lernen, sich höflich und angemessen zu benehmen und sich somit Wissen und Charakter eines Seonbi anzueignen. Ein Gelehrter, der durch Bücher und Erziehung im Alltagsleben den Geist des Konfuzianismus und eines wahr-haften Seonbi gewonnen hatte, konnte anhand seiner Kennt-nisse Karriere machen und geistiges Prestige sowie materiellen Reichtum genießen. Zu diesem Zweck musste er allerdings erst einmal das Staatsexamen Gwageo bestehen, das die Tür zu einer Beamtenlaufbahn öffnete. Der erste Schritt in diese Rich-tung war das Erlernen der klassischen chinesischen Schriftzei-chen, die damals die offizielle Schriftsprache darstellten.Der Sohn einer Stammfamilie lernte ab dem fünften oder sechsten Lebensjahr in den Herrengemächern vom Großvater die chinesische Schrift. Zuerst lernte man mit Büchern für Anfänger wie dem Tausend-Zeichen-Klassiker (Qinziwen (千字文)) und danach mit Gyeongmongyogyeol (擊蒙要訣, Nützliches Wissen zur Belehrung der Kinder) oder Sohak (小學, Kleine Lehre). Gyeongmongyogyeol ist ein Lehrbuch für Kinder, das der große Gelehrte YI I (auch Yi Yul-gok genannt; 1536-1584) im Jahre 1557 verfasste. Anschließend studierte man mit Privatlehrern oder mit Lehrern der Lernanstalt Se-odang chinesische Klassiker wie Jungyong (中庸, Mitte und Maß) und Daehak (大學, Das Große Lernen) und entwickelte so Weltanschauung und Wertekodex sowie die grundlegenden ethischen Prinzipien eines Seonbi. Bei dieser Vorgehensweise gingen Studium der Schriftzeichen und moralisch-ethische Er-ziehung Hand in Hand, wobei die Schüler lernten, dass Wissen und Handeln übereinstimmen müssen.Erziehung und Bildung des Nachwuchses der Stammfami-lien entsprach der Struktur eines traditionellen koreanischen Hauses, bei dem der innere Teil, die Frauengemächer, und der äußere Teil, die Herrengemächer, getrennt waren. In den ersten Jahren lebte der Sohn in den Frauengemächern, wo er lernte, sich selbst zu helfen und sich an die Notwendigkeiten und Gegebenheiten des Alltagslebens anzupassen. Die Erzie-hung von Kindern im Kleinkindalter oblag dabei meist der Großmutter der Familie. Die Großmütter besaßen nämlich reichlich Erfahrung im Umgang mit Kleinkindern, hatten viel freie Zeit und waren gelassener. Das machte das Bonding mit den Kindern leicht und vermittelte ihnen ein Gefühl der Si-cherheit.Mit vier oder fünf, wenn der Sohn sauber war und eine gewisse Selbstständigkeit erreicht hatte, zog er zum Großvater in die

Herrengemächer. Auf diese Weise verbrachte ein Kind in Joseon in seinen ersten Lebensjahren viel Zeit mit den Großeltern, von deren Beispiel es lernte. Die Großeltern, die zwar nicht mehr so flink wie junge Menschen sein mochten, brachten dem Kind durch ihre langsamere Art Selbstkontrolle bei und halfen ihm so, einen ruhigen Charakter zu entwickeln. Das sicherlich nicht einfache Zusammenleben mit den älteren Familienmitgliedern in einem Zimmer lieferte den kleinen Kindern die Verhaltens-normen der Erwachsenen und lehrte sie, ihre Wünsche und Begierden zu zügeln und sich der Gesellschaft anzupassen. Daher besaßen diejenigen, die in traditionellen Familien aufge-wachsen waren, ein hohes Maß an Selbstkontrolle und Geduld und konnten sich zu Personen entwickeln, die Aggressivität und Versuchungen zu widerstehen vermochten. Auf diese Weise wurde der Charakter eines hochgradig verantwortungs-bewussten Seonbi, der danach strebt, dem Gesellschaftssystem und seinem eigenen hohen Standards zu entsprechen, heran-gebildet.In einer Stammfamilie bedeutete Sozialisierung Anpassung an das Kollektiv der Gesellschaft, was hauptsächlich durch Er-fahrung und Schaffung kollektiver Lebensbedingungen erzielt wurde. Mit den kollektiven Lebensbedingungen ist das kon-fuzianistisch ausgerichtete Lebensumfeld in der Stammfamilie gemeint, das als Sozialisierungsumfeld eines Kindes wirkt und so die Bildung von Charakter und Verhaltensmuster sowie den Sprachgebrauch des Kindes maßgeblich steuert. Es ist derselbe Prozess wie der Sozialisierungsprozess der Kinder nach der so-zialen Lerntheorie. Mit Erfahrung ist das Lernen durch Sehen und Hören, also das Lernen am Vorbild der Erwachsenen, die die Kinder beobachten und denen sie zuhören, gemeint. In der Erfahrungssammlung sind drei psychologische Mechanismen involviert: Identifizierung mit dem Vorbild, Beobachtung und Imitation sowie Verstärkung und Belohnung. Das Lernen am Vorbild korrespondiert mit den Theorien westlicher Psycho-logen wie Alfred Bandura, der Lernen am Modell propagierte, während Verstärkung und Belohnung mit dem sozialen Ler-nen aus der Lernpsychologie identisch sind. Diese westlichen Psychologie-Theorien haben sich erst Ende der 1960er Jahre entwickelt. Ihnen entsprechende Sozialisierungsmethoden fan-den in den koreanischen Stammfamilien allerdings bereits in der frühen Joseon-Zeit Anwendung und wurden Ende des 17. Jahrhunderts systematisiert und von Generation zu Generation weitergegeben.

Lernen und Leben des Oberhaupts einer JonggaDer Politiker und Neokonfuzianist Jo Gwang-jo (1482-1519), der zur Regierungszeit von König Jungjong (reg. 1506-1544) lebte, erläuterte in seinem Buch Jeongams Lehren in Bezug auf die Familie, dass auch mit überdurchschnittlicher Begabung Geborene erst durch Lernen bzw. Studieren die Prinzipien der Welt erkennen können. Wer nicht lernt, kann das Leben und die Welt nicht verstehen und kann nicht erfassen, was er

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1 Irdene Vorratskrüge, in denen nach über viele Generationen überlieferten Rezepten sorgfältig zubereitete Sojasoße und Sojabohnenpaste aufbewahrt werden.

2 Clanmitglieder versammeln sich in Okdong Seowon in Sangju, um sich auf das Ahnenverehrungsritual vorzubereiten.

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tun soll. Ein solcher Mensch erkennt noch nicht einmal den Wert seiner eigenen Existenz. Dieser Gedanke wird auch in der Schrift zur Ermunterung zum Lernen von Liu Yong, einem Dichter des chinesischen Song-Reichs (960-1279), deutlich:

Eltern, die ihre Kinder beim Aufziehen nicht lehren, sind Eltern ohne Liebe für ihre Kinder.

Eltern, die ihre Kinder lehren, aber nicht mit Strenge lehren, tun dies, weil sie sie nicht lieben.

Kinder, die die Lehren der Eltern nicht annehmen, sind ohne Liebe für sich selbst.

Daher muss man beim Aufziehen von Kindern diese unbedingt lehren und das Lehren muss streng sein.

Wenn die Erziehung streng ist, werden die Lernenden fleißiger;

Wenn sie fleißiger werden, werden sie zweifelsohne Erfolg haben.

Das Lernen wurde aus zwei Gründen gefördert: Erstens des-halb, weil man glaubte, dass ein Mensch erst durch Lernen ein wahrhafter Mensch wird. Das Lernen im konfuzianistischen Sinne umfasste nämlich nicht nur Wissenserwerb, sondern war auch Morallehre und betonte die Wichtigkeit der Umsetzung von beidem. Unter Lernen wurde also nicht wie heutzutage nur die reine Wissensakkumulation verstanden, sondern auch das Erkennen des Weges zu wahrhafter Menschlichkeit. Da-her war das Lernen an sich für die Menschen von Joseon sehr wichtig. Sie strebten danach, sich durch Lernen Lebensziele zu setzen, die Denkart großer Männer zu erschließen und sich de-ren Geist anzueignen, um sich zu einem Gelehrten mit einem geistig reichen Leben zu entwickeln und das Gedankengut des Konfuzianismus zu tradieren. Gelehrte aus dem südöstlichen Teil der koreanischen Halbinsel (Yeongnam-Region) wie z.B. aus Andong, ermutigten nicht um des materiellem Erfolgs willen zum Lernen. Sie schätzten das Lernen vielmehr aus der Erkenntnis heraus, dass man sich dadurch zu einem kenntnis-reichen Seonbi von moralischer Verstandeskraft entwickeln konnte.

Außerdem war das Lernen auch deshalb wichtig, weil man von einem fleißig lernenden Sohn erwarten konnte, dass er das Staatsexamen Gwageo schaffte und die Laufbahn eines Regierungsbeamten einschlug, was für die gesamte Familie eine große Ehre war. Demjenigen, der das Gwageo-Examen be-standen hatte, waren eine erfolgsversprechende Laufbahn und – je nach Rang und Position in der Gesellschaft – Ansehen und Privilegien sicher.Der Lerneifer der Menschen von Joseon führte zur Herausbil-dung von zwei interessanten Lebensstilen. Einerseits verankerte sich die Tradition der Ahnenverehrung, nach der man in sei-nem Heimatort durch die Ahnengedenkzeremonie Jesa den Vorfahren Respekt zollte und über das Land der Ahnen wachte. Daher hatten das Oberhaupt der Stammfamilie Jongga und seine Frau die Pflicht, im Stammfamilienhaus in der Heimat zu leben, die zahlreichen Ahnenrituale abzuhalten, den zu den verschiedenen Zeremonien anreisenden Gästen Unterkunft und Verpflegung zu gewähren und die Clanmitglieder zu be-treuen, die keine Beamtenkarriere machten und in der Heimat lebten. Andererseits war aber für die Stammfamilie auch der Aufstieg des Clans wichtig, weshalb man sich nicht als beschei-dene Gelehrtenfamilie auf dem Land vergraben wollte. Man hielt es vielmehr für wichtig, neues Wissen aufzunehmen und an einem Ort zu leben, der in Bezug auf das Lernen fortge-schritten war und wo man mit den Nachbarn kommunizieren konnte. Daher besorgten Stammfamilien-Oberhäupter mit solcher Denkungsart ein Haus innerhalb der Stadtmauern von Seoul und schickten ihre jungen Söhne in die Hauptstadt, wo sie entweder von einem Privatlehrer unterrichtet wurden oder zusammen mit etwa gleichaltrigen Kindern hochangesehener Familien lernten. Dahinter stand der Gedanke, dass aus einem Sohn, der im Heimatdorf bliebe, nur ein engstirniger Land-mensch von geringer Bildung werden könne. Die Söhne wur-den mit der Erwartung nach Seoul geschickt, dass sie sich im Herzen der Hauptstadt neues Wissen und Informationen an-eigneten und sich mit Gleichaltrigen anfreundeten, mit denen sie dann eine lebenslange Freundschaft verbinden würde. Selbst wenn die geistigen Fähigkeiten des Sohnes nicht für eine hohe Beamtenposition reichten, betrachtete man doch die in Seoul geschlossenen Freundschaften als wertvolles Kapital.Diese Denkweise, die die Eltern der Joseon-Zeit in Bezug auf die Erziehung und Bildung ihrer Kinder an den Tag legten, bildet das Fundament für die Einstellung der Eltern in der mo-dernen koreanischen Gesellschaft. Das traditionelle Prinzip, seinen Kindern Bildung zukommen zu lassen, um den Geist

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der Ahnen zu tradieren und die Familie fortzuentwickeln, ist auch im heutigen Zeitalter immer noch ein wichtiges Ziel der Eltern. Der unbewusst in der Psyche der Koreaner existierende, leidenschaftliche Bildungseifer transzendiert die Grenzen der Zeit und fließt in den Adern aller Koreaner.

Zukunft der JonggaViele der Jongga-Oberhäupter, die noch bis in die 1980er Jahre skeptisch waren, ob das Stammfamilien-Konzept überleben würde, wurden sich in den 1990er Jahren sicher, dass die Jong-ga-Tradition doch noch Zukunft hat. Denn der Wohlstand, den das enorme Wirtschaftswachstum in den 1980er Jahren be-schert hatte, brachte eine ausreichende Sicherung der Lebens-grundlage, so dass sich immer mehr Menschen auf ihre Wur-zeln besannen und die Traditionen ihres Clans pflegen wollten. Darüber hinaus war das Bewusstsein der koreanischen Gesell-schaft gegenüber der traditionellen Kultur in dieser Zeit gereift und die Stammfamilienhaushalte, die gut bewahrt geblieben waren, wurden als Kulturerbe des gesamten koreanischen Volkes betrachtet, das gepflegt und geschützt werden muss. Heutzutage erhalten die Stammfamilien von der Regierung fi-

nanzielle Unterstützung, um Grundstücke und Familienhäuser instand zu halten, aber auch, um Ahnenverehrungszeremonien und Küche bzw. Esskultur zu wahren.Natürlich verlieren Werte wie Stammfamilie und Primat der direkten Blutlinie ihren Einfluss, da sie in der modernen Gesell-schaft negative Auswirkungen auf unabhängiges Denken und Entscheiden des Individuums haben können. Jedoch könnten das in der Joseon-Zeit vom Konfuzianismus angestrebte an-gemessene Menschenbild sowie das ethische Gemeinwesen-Bewusstsein, nach dem der Mensch nicht als Individuum, sondern als Wesen im Kontext zwischenmenschlicher Bezie-hungen die Bedeutung seiner Existenz erlangt, Tugenden sein, die sich in der zukünftigen Gesellschaft als notwendiger denn je erweisen könnten. Die Stammfamilien und ihre Mitglieder werden das von ihnen tradierte immaterielle und materielle Kulturerbe weiterpflegen. Vor allem wird die geistige Tradition der Jongga, die über materielles Wachstum und Wohlstand hinaus auf den bescheidenen Geist der Seonbi großen Wert legt und daher Lernen, also die geistige Entwicklung, fördert, als Grundstein der zukünftigen Entwicklung der koreanischen Gesellschaft dienen.

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Die koreanischen Stammfamilien Jongga haben Zeremonien zu den vier Anlässen Volljährigkeit, Hoch-zeit, Beerdigung und Ahnenverehrung auf jeweils eigene Art und Weise weitergepflegt. Von diesen Ritualen wird die Ahnenverehrungszeremonie Jesa am strengsten befolgt. Jesa hat auch einen großen Beitrag zur Wahrung und Entwicklung der traditionellen koreanischen Küche geleistet.

Lee Yeun ja Leiterin der Ulee Tea Culture AssociationFotos: Lee Dong- chun, Seo Heun-kang

AhnenverehrungszeremonienundOpferspeisenderJongga

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Der Jongmyo-Schrein an der historischen Hauptverkehrs-straße Jongno im Herzen von Seoul wurde im Dezember

1995 in die Weltkulturerbeliste der UNESCO aufgenommen. An diesem Königsschrein, in dem die Namenstafeln der Kö-nige und Königinnen von Joseon aufbewahrt werden, wird jeden Mai eine Ahnenverehrungszeremonie veranstaltet, wobei Ritualmusik, Ritualkleidung und Opferspeisen nach genau festgelegten Vorschriften vorbereitet werden. Zeremonien zur Ahnenverehrung, die streng nach den traditionellen konfuzia-nistischen Regeln abgehalten werden, sind in Asien heutzutage nur noch in Korea zu finden, weshalb der Besucherstrom aus anderen konfuzianistischen Ländern nicht abreißt.

Schreine der JonggaWährend der Königsschrein Jongmyo als Veranstaltungs-

ort der königlichen Ahnenrituale von großer Bedeutung ist, besitzen die Schreine der Jongga der verschiedenen Clans besonderen Wert und Lebenskraft in dem Sinne, dass sie sich in unmittelbarer Nähe des Familienstammsitzes, in dem die Nachkommen leben, befinden.Die Jongga-Familien leben an dem selben Ort, an dem sich ihre Urväter vor 400 oder 500 Jahren niedergelassen hat-ten und wo im Laufe der Zeit ein Clan-Dorf entstand. Dort wohnen sie auf traditionelle Art und Weise in alten Hanok-Häusern. Zu den regelmäßig stattfindenden Zeremonien, mit denen den Vorfahren, deren Namenstafeln sich im Familien-schrein befinden, Respekt bezeugt wird, ist eine Vielzahl von rituellen Speisen mit äußerster Sorgfalt vorzubereiten. Wäh-rend des Gedenkrituals, das nach einem strikten Regelement abläuft, ist die vorgeschriebene Zeremonialkleidung zu tragen. Nach der Zeremonie werden die Köstlichkeiten der Ahnen-tafel mit den Nachbarn geteilt, was zu den Tugenden einer Stammfamilie zählt. Die Opfergaben einer Ahnenverehrungs-zeremonie trugen nicht nur in Zeiten der Armut dazu bei, dem im Volk grassierenden Nährstoffmangel abzuhelfen, sondern beförderten auch Küche und Esskultur des Landes.Die Ahnenverehrungszeremonien blicken auf eine rund 2.000 Jahre alte, ungebrochene Geschichte zurück, die sich vom Zeitalter der Drei Königreiche (57 v.Chr.-668 n.Chr.) über das Vereinigte Silla-Reich (676-935) bis zu den Reichen Goryeo (918-1392) und Joseon (1392-1910) erstreckt. Es handelte sich dabei nicht um einen dem Königshaus und Adel vorbe-haltenen Ritus, sondern um einen allgemeinen Brauch, den jedermann auf der koreanischen Halbinsel ausübte, weshalb ihm besonders große Bedeutung zugeschrieben wird. Unter dem Aspekt, dass diese Zeremonien außerdem im Kontext der kindlichen Pietät Hyo (孝, Liebe und Respekt gegenüber den Eltern) stehen, stellen sie ein wertvolles Kulturerbe dar, das ge-hütet werden muss.

Verschiedene Arten von AhnenverehrungszeremonienBei dem Begriff „Jesa“ (Ahnenverehrungszeremonie) denken die Koreaner automatisch an Jongga, die Stammfamilie, die diese Zeremonien durchführt. Denn eine Jongga-Familie, die sich ihrer Jesa-Pflicht entzieht, kann nicht als wahre Jongga anerkannt werden. Auch meine Jongga-Forschung, die ich über zehn Jahre hinweg anhand eines Umfragebogens mit 490 Fragen unter rund 120 Stammfamilien durchgeführt habe, orientierte sich am Kriterium der wahren Jongga, die einen vom Oberhaupt der Stammfamilie instand gehaltenen Famili-enschrein besitzen und dort regelmäßig Ahnenverehrungsze-

Mitglieder der Jongga Choe aus Gyeongju kommen auf dem Stammsitz des Clans in der Provinz Gyeongsangbuk-do zusammen, um die Riten für ihren ehrwürdigen Vorfahren General Choe Jin-rip abzuhalten.

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Nachdem die Mitglieder der Jongga von Kim Hyo-ro im Dorf Gunja, Andong, Provinz Gyeongsangbuk-do, sich über die Rollenverteilung und Details des Ahnenrituals geeinigt haben, werden die Einzelheiten schriftlich festgehalten und an einer allgemein leicht zugänglichen Stelle ausgehängt.

remonien abhalten. Tradition und Kultur einer Jongga können nämlich nur durch Nachfahren, die sie selbst pflegen, authen-tisch vermittelt werden.Die Stammfamilien Jongga halten zahlreiche Ahnenvereh-rungszeremonien mit jeweils verschiedenen Namen ab. Zu den wichtigsten Zeremonien gehören die, die in den ersten Mor-genstunden des Todestages des Vorfahren (Gije), am Morgen des Erntedank- und des Neujahrsfestes nach Lunarkalender (Charye) und am Grabhügel der Vorfahren (Myoje) abgehal-ten werden. Im Prinzip werden durch solche Riten nur die Vorfahren bis zur vierten Generation verehrt. Eine Ausnahme gilt für Ahnen, die sich besonders um das Land oder den Clan verdient gemacht haben und deren Namenstafeln nicht aus dem Schrein des Clans entfernt werden dürfen: In diesem Fall hat jede nachkommende Generation des Clans Bulcheonjiwi-Jerye, die „Zeremonie der unverrückbaren Ahnentafeln“ durchzuführen. In Andong in der Provinz Gyeongsangbuk-do, einer konservativen Region, in der der Konfuzianismus sich besonders großer Wertschätzung erfreut, gelten streng genommen nur solche Familien als Jongga, die eine „Zeremo-nie der unverrückbaren Ahnentafeln“ abhalten. Dann gibt es noch ein spezielles Einschreinungsritual (Gilje), wenn die Na-menstafel des Oberhaupts einer Stammfamilie nach der vor-geschriebenen dreijährigen Trauerzeit in den Familienschrein gebracht wird, und die Zeremonie Goyuje, mit der die Ahnen über jede kleinere oder größere Angelegenheit in der Familie gewissermaßen unterrichtet werden. Weitere Zeremonien sind: Zeremonie zur Opferung der ersten Ernte an die Vorfahren (Cheonsinje); Zeremonie zur Feier des ersten Vollmonds nach Lunarkalender (Jeongwol-Daeboreum-Charye); Zeremo-nie zur Ankündigung des Frühlings im dritten Lunarmonat (Samjitdarye), bei der mit Azaleenblüten dekorierte Hwajeon (Pfannkuchen aus Reismehl) auf den Altartisch kommen; Ritual zum Dano-Fest (fünfter Tag des fünften Monats nach Lunarkalendar), zu dem Surichwi-Tteok (Reiskuchen mit den jungen Blättern des Distelgewächses Synurus deltoides) und Aengduhwachae (Fruchtpunsch aus Koreakirschen) zubereitet werden; Zeremonie zum Chilseok-Fest (siebter Tag des siebten Monats nach Lunarkalendar), an dem als Opfergabe Nudelge-

richte aus dem Mehl der neuen Getreideernte dargebracht wer-den. Die im zehnten Monat nach Lunarkalender stattfindende Erntedank-Ahnenverehrungszeremonie und das Ritual zu Dongji (Wintersonnenwende), das mit Patjuk (Brei aus roten Bohnen mit Klebreisklößchen) gefeiert wird, dürfen auch nicht vergessen werden. Und im ersten Monat nach Lunarkalendar wird für den Schutzgott des Hauses eine spezielle Zeremonie abgehalten, um den Familienfrieden im Haus zu sichern.Es existieren insgesamt rund 30 Arten von Ahnenverehrungs-zeremonien, die eine Jongga grundsätzlich im Jahr abhalten muss. Es gibt aber auch Stammfamilien, die im Jahr insgesamt etwa 50 verschiedene Ahnenriten pflegen. Dank dieser zahl-reichen Zeremonien konnten traditionelles Geschirr, Sitten und Esskultur, die den Kern der koreanischen Kultur ausma-chen, erhalten bleiben, was die Koreaner ihrer Wurzeln be-wusster und auf ihre Identität stolz macht.

Zeremonien abhalten und Gäste empfangenIm Mittelpunkt einer Jongga stehen das Oberhaupt der Stammfamilie und seine Frau. Es ist die Pflicht des Ober-hauptes, die Namenstafeln der Vorfahren instand zu halten, die Jesa-Zeremonien zu veranstalten und durch einen Sohn die direkte Familienlinie fortzusetzen. Hat das Familienoberhaupt keinen eigenen Sohn, ist es Sitte, durch Adoption eines männ-lichen Nachkommens aus dem Clan den Fortbestand der Fa-milienlinie zu gewährleisten. Einer der Hauptgründe dafür ist, dass die Abhaltung der Ahnenverehrungszeremonien sicherge-stellt werden muss.Die vielen Jongga-Oberhäupter, die ich während meiner Nach-forschungen kennen lernte, erfüllten auch in der heutigen modernen Welt die ihnen von der Tradition abverlangte Rolle relativ gut. Es gab sogar einige, die gar keinen Beruf besaßen, weil sie ansonsten die Aufgaben gegenüber dem Clan und die Jesa-Zeremonien nicht der Norm entsprechend erfüllen bzw. durchführen könnten. Außerdem waren sie mit der Gene-alogie des Clans äußerst gut vertraut, wodurch sie Ansehen und Autorität als Jongga-Oberhaupt in den Augen der stets zahlreichen Gäste und zu Besuch kommenden Clanmitglieder gewannen. Sie kannten sich nicht nur mit den Namen und der

es existieren rund 30 Arten von Ahnenverehrungszeremonien, die eine Jongga grundsätzlich im Jahr abhalten muss. es gibt aber auch Stammfamilien, die im Jahr insgesamt etwa 50 verschiedene Ahnenriten pflegen. Dank dieser zahlreichen Zeremonien konnten traditionelles geschirr, Sitten und esskultur, die den Kern der koreanischen Kultur ausmachen, erhalten bleiben, was die Koreaner ihrer Wurzeln bewusster und auf ihre identität stolz macht.

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jeweiligen Position eines Ahnen in der genealogischen Folge aus, sondern sogar mit deren Beamtenpositionen und Ver-diensten. Nur dem gebührt Respekt als Clan-Oberhaut, der die Geschichten der Vorfahren kennt und Kenntnisse über die da-mit in Zusammenhang stehenden Hintergründe des jeweiligen Zeitalters besitzt. Die Jongga-Oberhäupter kannten nicht nur die zahlreichen Tage, an denen die Ahnenverehrungszeremo-nien für die direkten Vorfahren abgehalten werden mussten, sondern auch die genaue Lage ihrer Gräber. Oft waren sie in der Lage, alte Schriften in klassischen chinesischen Zeichen zu lesen und hatten Kalligraphie gelernt. Da das Familienoberhaupt jeden Namen der in enger Verwandtschaft stehenden Clanmit-glieder und ihre Position innerhalb der Familie sowie die Tage, an denen für sie Jesa-Zeremonien stattfinden müssen, zu ken-nen hat und die jeweiligen Familien der Etikette entsprechend bei allen Anlässen, ggf. mit Geldgeschenken, besuchen muss, versteht es sich von selbst, dass das Jongga-Familienoberhaupt eine gewisse materielle Sicherheit besitzen muss.Man sagt, die Frau eines Clan-Oberhaupts muss wenigstens über ein Mindestmaß an Gi, der nach der geomantischen Leh-re von den Bergen ausgehenden Lebensenergie, verfugen, um der ihr abverlangten Verantwortung gerecht zu werden. Das bedeutet, dass ihre Rolle kein Kinderspiel ist und eine enorme Stärke voraussetzt. Ihr Leben, heißt es, besteht nur aus stän-digen „Ahnenverehrungszeremonien und Gäste empfangen“ – Aufgaben, die wesentlich schwieriger als die normale Haus-haltsführung sind.Im Jongga-Familiensitz des Kwak-Clans von Hyeonpung tref-fen z.B. im Frühjahr gleichzeitig mehrere Busse voller Clanmit-glieder ein. Wenn man jeden dieser Gäste der Etikette gemäß mit Mahlzeiten und Wein bewirten will, reichen zehn Hände nicht aus. Die Jongga-Hausherrin muss aber im Jahr zig Jesa vorbereiten, die gewöhnlich eine ganze Nacht in Anspruch nehmen, und jeden Gast oder Reisenden mit Essen versorgen. Früher hat eine Jongga-Haussherrin oft auf ihre eigene Mahl-zeit verzichtet, um damit einen Besucher zu bewirten. So hart war ihr Leben. Trotzdem sagt die Frau des Kwak-Clan-Ober-haupts, dass sie wieder als Frau des Oberhaupts der Stammfa-milie leben möchte, wenn sie noch einmal auf die Welt käme. Wie stark ihr Stolz und Selbstbewusstsein als Clan-Mutter ist, ist auch daran zu sehen, dass sie nichts gegen die Heirat ihrer eigenen Töchter mit Jongga-Oberhäuptern hatte.Diese starke geistige Kraft der Jongga-Oberhäupter und ihrer Frauen, die als Eltern des Clans nicht an das „Ich“, sondern an das „Wir“ denken und mit Selbstbewusstsein und Unnachgie-bigkeit den Clan aufrecht erhalten, ist ein vorbildliches Beispiel

für den verweichlichten Menschen der Moderne. Schon allein an der Tatsache, dass die Tradition einer Jongga ausschließ-lich über den ersten Sohn jeder Generation über 400 Jahre im selben traditionellen Hanok-Haus weitergepflegt wird, ist das Potential einer hochgeachteten Familie von exemplarischer moralischer Kraft spürbar.

Wein und Tteok nach FamilienartDer Stammfamiliensitz des Yi-Clans von Jaeryeong in Won-ri, Seokbo-myeon, Yeongyang-gun, Provinz Gyeongsangbuk-do, ist die Wiege des ersten, im koreanischen Alphabet Hangeul verfassten Kochbuchs, des Eumsikdimibang (Den Geschmack von Speisen verstehen), das vor rund 350 kompiliert wurde. Unter den insgesamt 146 Rezepten finden sich 51 Anleitungen für die Zubereitung von traditionellen koreanischen alkoho-lischen Getränken. Verfasserin des Kochbuchs ist die Dame Jang von Andong (1598-1680), die im November 1999 zur „Kulturperson des Monats“ ernannt wurde.In der Küche der Jongga-Familiensitze entwickelten sich verschiedene Arten von Weinen, weil in den Stammfamilien zahlreiche Jesa-Zeremonien stattfanden und Gäste zu bewirten waren. Da es in alten Zeiten, in denen es noch keinen Kühl-schrank gab, schwierig war, Wein mit niedrigem Alkoholgehalt aufzubewahren, wurde der Wein erst hergestellt, wenn der Tag der Zeremonie näher rückte. Die verschiedenen Weine wurden in Anlehnung an die Jahreszeiten verschieden bezeichnet wie z.B. Pflaumenbaumblüten-, Chrysanthemen- und Lotusblät-ter-Wein, oder nach der Gärungsdauer benannt; so gab es z.B. Sieben-Tage-Wein und Zehn-Tage-Wein.In der Zweigfamilie Yean des Clans Kim aus Gwangsan, der im Dorf Gunja in Andong, Provinz Gyeongsangbuk-do, seine Heimat hat, wurde das Kochbuch Suunjapbang (Verschie-dene Rezepte der hohen Küche), das die tausend Jahre alte Geschichte der koreanischen Küche enthält, über die letzten 450 Jahre von einer Generation an die nächste weitergereicht. Auch in diesem Buch findet man 60 verschiedene Arten von alkoholischen Getränken. Es enthält aber nicht nur Rezepte für Alkoholika, sondern auch für die kleinen Köstlichkeiten, die auf den Altartisch gestellt werden.Der Yi-Clan von Yean im Dorf Oeam, Asan, Provinz Chung-cheongnam-do, ist bekannt für seinen Lotusblüten-Wein, der anlässlich der Jesa-Zeremonien als Opferwein für die Vorfah-ren zubereitet wurde. Auch Gyeongju Beopju, der mittlerweile erfolgreich kommerzialisiert wurde, war ursprünglich der Jesa-Wein einer wohlhabenden Jongga der 12. Generation aus Gyeongju.

Eins der älteren Mitglieder der Jongga von Nam I-heung bringt während einer Zeremonie der „unverrückbaren Ahnentafel“ Reiswein vor der Namenstafel dar.

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Der Kwon-Clan von Andong im Dorf Bonghwa, Provinz Gyeongsangbuk-do, hat über 300 Jahre wunderschöne tradi-tionelle Süßigkeiten wie farbenfrohe Gangjeong bzw. Sanja (frittierte Klebreis-Kekse) und Yakgwa (frittierte Honigku-chen) hergestellt. In der Yang-Stammfamilie von Jeju wurde Tteok (Reiskuchen) für die Zeremonie in besonderen Formen zubereitet, die Sonne, Mond, Sterne und Erde darstellten. Die Reiskuchen brachten den Wunsch nach gutem Wetter zum Ausdruck, da das Wetter auf der Insel Jeju-do etwas unbestän-dig ist.In der Stammfamilie des Clans des Patrioten Bak Mun-su wur-de für die Ahnenverehrungszeremonie kein Tteok vorbereitet. In seinem letzten Willen legte Bak Mun-su fest, dass kein Reis-kuchen auf den Altartisch gestellt werden sollte: Es sei nicht angemessen, dass in den Häusern der Adligen Kuchen aus Reis fürs Ahnenritrual zubereitet werde, wenn ein Großteil des Volkes v.a. in den Monaten vor der Gerstenernte unter Hunger zu leiden hätte. Diese Jongga feiert daher auch heute noch ihre Zeremonien mit Tteok aus Kastanien statt Reis.Es gab auch Familien, bei denen zu den Ritualen der Reisku-chen so hoch gestapelt wurde, dass er bis zu den Köpfen der auf dem Boden sitzenden Erwachsenen reichte. Dafür wurde

auf eine Basisschicht aus Sirutteok (einfacher gedämpfter Reis-kuchen mit roten Bohnen oder grünen Mungobohnen) noch über zehn weitere farbenfrohe Tteok-Arten gestapelt wie Joak (in der Pfanne ausgebratene Reiskuchen), Hwajeon (Blumen-pfannkuchen), Gyeongdan (süße Reisbällchen), Kkaekkuri (in schwarzen Sesamkörnern gewälzter Reiskuchen) usw., um den Beamtenrang der Vorfahren zu demonstrieren und Würde und Stolz des Clans zu wahren. Selbst eine bescheidene, auf moralische Integrität bedachte Gelehrtenfamilie war bemüht, reichlich Opferspeisen zuzubereiten, auch wenn manchmal die Hausfrau sogar ihre Haare verkaufen musste, um das Geld für die Zutaten zu besorgen. Dahinter stand der Gedanke, dass das Schicksal des Clans von den Opferspeisen abhänge.An den Speisen auf dem Altartisch ist zu erkennen, aus wel-chem Haushalt sie stammen, weil jede Frau eines Stammfami-lien-Oberhauptes für ihren Clan charakteristische Rezepte und Zubereitungsmethoden entwickelte, die dann weitergegeben wurden. Die einzelnen Speisen wurden nach der Zeremonie eingepackt und als Zeichen der „Verteilung von Glück“ an andere Familien und Personen von niedrigerem Stand verteilt, so dass sie für das gemeine Volk zum allgemeinen Vorbild für Jesa-Speisen wurden. Die Tradition, die reichlichen und viel-

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fältigen Zeremonialspeisen zu verteilen, war auch ein Grund dafür, warum v.a. in mageren Zeiten die Tage, an denen in den Adelshäusern Ahnenverehrungszeremonien abgehalten wur-den, für die einfachen Bürger ein größerer Grund zur Freude waren als die traditionellen Fest- und Feiertage. Die Frau eines Clan-Oberhaupts verstand es, aus einer einzigen Zutat Dut-zende von unterschiedlichen Speisen zu zaubern, und das war wohl nur möglich, weil sie so viele Zeremonien zur Verehrung der Ahnen und zur Verehrung von Himmel und Erde vor-bereiten musste. Es war die Hauptaufgabe der Frau des Clan-Oberhaupts, bis zum Beginn der Zeremonien neben Tteok und Wein alle Opferspeisen perfekt vorzubereiten. Sie erachtete diese Aufgabe der Vorbereitung der Opferspeisen für genau so wichtig wie ihr eigenes Leben.

Opferspeisen mit tausendjähriger GeschichteGijesa (oder auch Gije), also die Ahnenverehrungszeremonie in den ersten Morgenstunden des Todestages eines Vorfahren, ist ein Ritual zur Verehrung von jeweils nur einem einzigen Vorfahren. Die Charye-Zeremonien zu Festtagen wie Lunar-Neujahr (Seollal) oder Erntedankfest nach Lunarkalender (Chuseok) werden hingegen für mehrere Vorfahren abge-halten. Das Ritual am Erntedankfest wird auch „Cheonsinje“

genannt, weil den Vorfahren Gaben der neuen Ernte darge-bracht werden: „Cheonsinje“ bedeutet „Opferung der neuen Ernte an die Geister“. Zum Neujahrsfest wird zudem anstatt Reis die Reiskuchensuppe Tteokguk auf den Altartisch gestellt und zum Erntedankfest gibt es Songpyeon (halbmondförmige, gefüllte Reiskuchen). Die Jongga des Volkskundedorfs Hahoe in Andong halten sogar das Ahnenverehrungsritual zum Ern-tedankfest (normalerweise fünfzehnter Tag des achten Monats nach Lunarkalender) am neunten Tag des neunten Monats nach Lunarkalender ab, um den Sinn von Cheonsinje streng zu bewahren. Denn erst um diese Zeit werden die ersten Feld-früchte, mit denen die Opferspeisen zubereitet werden, reif.Charye ist ein Ritual, zu dem kein aufgezeichnetes Bittgebet vorgetragen, sondern den Vorfahren lediglich eine Schale Wein geopfert wird, wodurch es sich von Gijesa unterscheidet. Über die Speisen für den Altartisch am Neujahrs- oder Erntedank-fest nach Lunarkalender finden sich einige Eräuterungen im Kapitel Garakgukgi (Geschichte des Gaya-Reichs) der Sam-gugyusa (Memorabilia der Drei Königreiche). Laut den Auf-zeichnungen befahl König Munmu von Silla, als er nach der Vereinigung der Reiche den Thron bestieg (661), die Jesa-Ze-remonien zum Andenken an den ersten Gaya-König Suro, der einer seiner Vorfahren mütterlicherseits war, auch weiterhin

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Teilnehmer eines Grab-Rituals der Jongga von Sim On in Suwon, Provinz Gyeonggi-do, begeben sich zu den Grabstätten der Vorfahren.

abzuhalten. Auch wenn das Reich Gaya nun nicht mehr beste-he, solle Suro an den Feiertagen am dritten und siebten Tag des ersten Mondmonats, am fünften Tag des fünften Mondmonats und am achten sowie fünfzehnten Tag des achten Mondmo-nats, Reispunsch, Tteok, Reis, Tee und Obst geopfert werden.Erstaunlich ist, dass diese sechs Arten von Opferspeisen auch nach 1.400 Jahren heute noch ohne Ausnahme zur Jesa-Zere-monie vorbereitet werden. Da die Opferspeisen eine so alte Tra-dition und Geschichte besitzen, während es nur wenige Länder mit einer über 1.000-jährigen Geschichte gibt, kann sich das koreanische Volk als Kulturvolk nennen. Es ist dabei besonders beachtenswert, dass Tee zu den Opfergaben zählt.

Bedeutung der OpferspeisenFür die Zeremonie in den ersten Morgenstunden des Todes-tages eines Vorfahren werden verschiedene Opfergaben zube-reitet. Die Art der Speisen variiert zwar je nach Familie etwas, die Prinzipien fürs Decken des Opfertisches bleiben aber weit-gehend gleich.Direkt vor der Namenstafel werden in der ersten Reihe Reis-, Wein- und Suppenschale zusammen mit Löffel und Stäbchen sowie ein Schälchen mit Essig-Sojasoßen-Dipp angeordnet. Die nächste Reihe besteht aus Nudeln, Fleisch-, Gemüse- und Fischspießen sowie Tteok (Reiskuchen) mit Getreide-Sirup als Dipp. Drei Suppen, eine Fisch-, eine Fleisch- und eine Tofu-suppe, kommen in die dritte Reihe, wobei zwischen die Suppen verschiedene Jeon-Arten (in Ei und Mehl getauchte, gebratene Gemüse-, Fleisch- und Fischsorten) platziert werden. Die vierte Reihe ist für getrocknete Snacks zum Wein gedacht wie ge-trockneten Alaska-Pollack, getrocknete Rindfleischstreifen und getrocknete Riesenkrake sowie für drei Arten von Namul (Ge-müse- und Wildgewächsgerichte) in den Farben schwarz (oder braun), weiß und grün, Nabak-Kimchi (Wasser-Kimchi) und Sikhye (Reispunsch). In der fünften Reihe steht Obst, wobei die Prinzipien der Aufreihung je nach Familie etwas variieren z.B. „rotes Obst nach Osten und weißes Obst nach Westen“ oder „Jujuben, Kastanien, Birnen und Persimonen in der genannten Reihenfolge von links nach rechts“. Alte Schriften, die sich mit der Anordnung des Obstes befassen, nennen nicht die Namen der einzelnen Obstsorten. Allerdings kommt jeder Opfergabe, die für die Zeremonie vorbereitet wird, eine eigene symbolische Bedeutung zu, was bei genauer Betrachtung deutlich wird. „Weiße Namul“ unter den drei Arten von Gemüse- und Wildge-wächsgerichten sind Wurzelgerichte wie z.B. Doraji (Glocken-blumenwurzeln) und Rettich. „Schwarze Namul“ sind braune Adlerfarnstiele, und grüne die Blätter von Wasserfenchel oder Spinat. Die Wurzeln stehen für die Vorfahren, die Stiele für die

Eltern und die Blätter für das Ich.Die drei Spießarten haben auch ihre jeweils eigene Symbolik. Beim Darbringen der drei Schalen Wein wird dem Ahnen sym-bolisch jeweils eine andere Spießart vorgelegt: Fischspieße mit Zutaten aus dem Meer, Fleischspieße mit Zutaten vom Land, Gemüse- oder Tofuspieße. Im Geiste der kindlichen Pietät wurden dem Ahnen so die verschiedenen Gaben der Natur mit ihren verschiedenen Geschmäcken dargebracht.Unter den Obstarten, die wiederum in drei Farben eingeteilt werden, stehen die Jujuben für den Wunsch nach Prosperität der Nachkommenschaft und die Kastanien für das ewige Band, das die Nachfahren mit den Vorfahren verbindet. Denn der erste Samen der Kastanienfrucht, der in den Boden kommt, verfault nicht, selbst wenn daraus ein großer Baum wächst. Daher werden die Namenstafeln der Vorfahren aus Kasta-nienbaumholz gefertigt, um dem Verstorbenen metaphorisch die Eigenschaft des ewigen Bestehens zu verleihen. Eine wei-tere typische Obstart auf der Ahnentafel ist die Persimone. Sät man Persimonensamen, trägt der spätere Baum erst nur kleine Früchte. Nur, wenn man nach drei bis fünf Jahren Zweige des Baums nimmt und auf einen anderen Baum pfropft, kann man durch diese Veredelung hochwertige Früchte gewinnen. Gera-de aufgrund dieses Charakters der Persimone wird sie für das Ahnenritual genutzt: Ein Mensch wird erst dadurch zum guten Menschen, dass er von außen Lehren in sich aufnimmt.Das für die Zeremonie zu Lunar-N27eujahr vorbehaltene Ge-richt Tteokguk (Reiskuchensuppe) wird in dem Buch der Jose-on-Zeit Nonggawollyeongga (Lieder des Bauernalmanachs) erwähnt: „Die klare Suppe mit in runde Scheiben geschnittenen weißen Reiskuchen ist eine Opferspeise für das Charye-Ritual am Neujahrstag nach Lunarkalender.“ Außerdem heißt es, dass „der Reiskuchen in Form von Münzen zugeschnitten wird.“ Die runde Form soll nämlich die am Neujahrstag aufgehende Sonne darstellen. Daher ist der wie eine daumendicke Wurst aussehende Reiskuchen für die Suppe Tteokguk, die für das Charye-Ritual zubereitet wird, nicht schräg in ovale Scheiben zu schneiden, sondern gerade in runde Scheiben; nur so erhält er als Opferspeise seine symbolische Bedeutung.Die Vorfahren des koreanischen Volkes haben die Ahnenver-ehrungszeremonie mehr als tausend Jahre lang gepflegt, um durch dieses Ritual den Respekt gegenüber den Eltern und die Liebe unter den Geschwistern, aber auch freundschaftlich enge Beziehungen unter der Verwandtschaft zu schaffen bzw. zu vertiefen. Dass die Tradition der Ahnenverehrung als wich-tigstes Element dazu gedient hat, die Familie, diese großartige Erfindung der Menschheit, gesund zu entwickeln und zu wah-ren, ist an den Opferspeisen zu erkennen.

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Jeder assoziiert mit dem Begriff „Museum“ andere Bilder. Für manche sind die kühlen, ruhigen Hallen ein idealer Ort zum Denken und Reflektieren; für andere sind Museen ein Tor zur Vergangenheit, Fenster zur Ge-schichte der Menschheit. Jeder hat seine Lieblingshalle oder –ausstellung, die ihn inspiriert oder mit Ehrfurcht und Staunen erfüllt. So sollte es auch sein, denn schließlich stammt die Bezeichnung „Museum” von dem griechischen Wort „mouseion” ab, was „Platz“ oder „Schrein der Musen“ bedeutet; bekanntermaßen waren die Musen die Schutzgöttinnen der Künste, die künstlerische und literarische Inspiration verliehen. Die Jongga-Museen sind ebenfalls Orte der Inspiration, die uns nicht nur wertvolle Einblicke in die Vergangenheit Koreas ermöglichen, sondern aus der Vergangenheit Gegenwart machen, indem sie das Andenken an Vorfahren wah-ren, die zwar physisch schon lange nicht mehr unter uns weilen, die aber im Geiste immer noch bei uns sind, so dass ihr Geist weiterhin lebendig bleibt.

Charles La Shure Professor der Graduate School of Interpretation and Translation, Hankuk University of Foreign Studies Fotos: Seo Heun-kang

EineReisedurchdieJongga-MuseeninKorea

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Der Begriff „Jongga“ bedeutet buchstäblich „Stammfamilie oder -haushalt“, was aber nicht viel hilft, das dahinter

stehende Konzept zu verstehen. Jongga sind nämlich genauer gesagt Familien von Nachkommen namhafter Vorfahren, die von diesen Gründern des Clans in direkter Linie über den je-weils ältesten Sohn abstammen. Gründer eines Familienclans waren die Urväter von einzelnen Familiennamen, aber auch oft Clanmitglieder, die aufgrund einer Heldentat oder eines gro-ßen Beitrags zur Nation zu ihrer Zeit gewürdigt wurden und deren Namenstafeln nach dem Tod nicht aus dem Schrein des Clans entfernt werden („unverrückbare Ahnentafeln“).

Ursprung der JonggaWie der Begriff Jongga selbst, so wurzelt auch die Tradition der Ahnenverehrungsrituale im Konfuzianismus von Joseon (1392-1910). Im Mittelpunkt der konfuzianistischen Lehre ste-

hen die zwischenmenschlichen Beziehungen wie z.B. die zwi-schen König und Untertan oder Eltern und Kindern sowie die diesen Beziehungen immanenten Verpflichtungen, die über den Tod hinaus zu erfüllen sind. Daher wurden Schreine zur Aufbewahrung der Ahnentafeln errichtet. Eine Ahnentafel ist eine kleine Namenstafel, die mit dem Namen des verstorbenen Vorfahren beschriftet ist und die als symbolischer Sitz des Geistes des Verstorbenen fungiert.Die Verantwortung und das Vorrecht, Ahnenverehrungsze-remonien abzuhalten, kommt dem ältesten Sohn der Jongga-Familie zu. Jedes Jahr zum Todestag der einzelnen Vorfahren wird von den Mitgliedern der Stammfamilie eine Gedenkfeier vorbereitet, zu der das Jesa-Ritual zur Verehrung der Ahnen abgehalten wird. Denn man glaubte, dass im Gegenzug dafür die Geister der Vorfahren den Nachkommen Schutz gewähren und ihre Prosperität sichern. Diese Tradition ist in der kore-anischen Kultur so fest verwurzelt, dass sie von den meisten Jongga bis heute gepflegt wird.Diese Zeremonien werden traditionell zum Andenken der Vorfahren bis zur vierten Generation durchgeführt. Wenn das Familienoberhaupt stirbt und dessen Namenstafel zur Auf-bewahrung in den Schrein kommt, wird die Namenstafel des Vorfahren, der bis dahin die vierte Generation darstellte, ent-fernt, es sei denn, es handelt sich um eine der oben erwähnten „unverrückbaren Ahnentafeln“. Hat ein Vorfahr sich z.B. um das Land besonders verdient gemacht oder auf andere Weise besondere Größe erreicht, kann der König höchstpersönlich oder ein anderer Amtsbefugter die Anordnung erlassen, dass die Verehrungrituale unabhängig von der Generationenfolge in alle Ewigkeit fortgesetzt werden. Eine solche Namenstafel wird dann nicht von ihrem Platz im Schrein verrückt.Die meisten Jongga stammen von Urvätern ab, denen solch eine Ehre zukam. Diese Jongga pflegen nicht nur die Vereh-rungrituale, sondern hüten auch die von Generation zu Ge-neration weitergegebenen wertvollen Schriften und Artefakte. Manche Stammfamilien sind noch einen Schritt weiter gegan-gen und haben kleine Museen oder Ausstellungshallen zur Prä-sentation ihrer Familienschätze eröffnet. Begeben wir uns auf eine Reise durch die einzigartigen Museen der Jongga in Korea.

Unjanggak der Jongga von Kim Seong-ilErstes Reiseziel ist Andong in der Provinz Gyeongsangbuk-do, eine Stadt, die als Hauptstadt der geistigen Kultur Koreas be-kannt ist. Sie war über lange Zeit hinweg Zentrum der Gelehr-samkeit und der Kunst und erst recht der konfuzianistischen Lehre und Kultur. Kein Wunder, dass sich in und um Andong zahlreiche Jongga-Museen befinden.Im Nordwesten der Stadt, an der Straße zum Tempel Bong-jeong-sa, liegt der Stammsitz der Jongga von Kim Seong-il. Wir treten durch das Tor des Anwesens und kommen auf einen großen, grasbewachsenen Innenhof. Rechter Hand liegt ein kleiner Garten mit sorgfältig gepflegten Bäumen und

Das Museum Chunghyeon der Jongga von Yi Won-ik (Webseite: www.chunghyeon.org)

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Pflanzen, zwischen denen sich dekorative Natursteine und Steinarbeiten finden. Das Wohnhaus steht auf der linken Seite am Fuße eines niedrigen Hügels, der mit koreanischen Kiefern bedeckt ist.Wir werden von Kim Jong-gil begrüßt, der in der 15. Gene-ration in direkter Linie von Kim Seong-il abstammt. Er ist allerdings noch nicht das Oberhaupt der Stammfamilie. Ob-wohl sein Vater bereits vor über zwei Jahren verstarb, muss er warten, bis die vorgeschriebene dreijährige Trauerzeit vorbei ist. Kim zeigt uns einen kleinen Raum im Wohnhaus, der als Trauerzimmer immer noch von Trauergästen aufgesucht wird, die dem Verstorbenen ihren Respekt bezeugen wollen. An der Wand hängt das Trauerkleid, das vom Haupttrauernden getra-gen wird. Wenn im Mai eine angenehm warme Frühlingsbrise aufkommt, geht die Trauerzeit zu Ende und die Familie wird zur Einschreinung, also zur Hinzufügung der Namenstafel des verstorbenen Vaters in den Clan-Schrein, ein Ritual abhalten. Gleichzeitig wird die Namenstafel des Ur-Ur-Ur-Großvaters von Kim Jong-gil aus dem Schrein entfernt und in der Erde begraben. Natürlich bleibt die Tafel des Clan-Gründers Kim Seong-il unverrückt am linken Ende des Schreins stehen, da ihm die Ehre der ewigen Verehrung verliehen wurde.Während wir neben Tee die von der Hausherrin zubereiteten süßen Köstlichkeiten wie getrocknete Persimonen, traditio-nelle Süßigkeiten aus Honig und Kiefernpollen (Dasik) und frittierte Honigkuchen (Yakgwa) kosten, erzählt Kim über die Herausforderungen, mit der sich eine Jongga in der modernen Gesellschaft konfrontiert sehen, d.h. über die Aufgabe, einen Mittelweg zwischen Tradition und Moderne zu finden. „Die traditionelle Gesellschaftsstruktur, in deren Mittelpunkt Fa-milie und Clan stand, ist am Zusammenbrechen. Wir können diese Entwicklung nicht stoppen, allerdings sind die Jongga-Stammfamilien für die Erhaltung unserer Tradition von ent-scheidender Bedeutung. Natürlich ist es auch notwendig, sich der modernen Gesellschaft anzupassen.“ Er spricht auch über

den Urvater seines Clans, dessen Geist und Gesinnung er zu wahren hat.Kim Seong-il (1538-1593) war ein Schüler von Toegye, einem der großen Gelehrten des Konfuzianismus. Dieser Clan-Gründer schlug bereits mit 30 Jahren die Laufbahn eines Regie-rungsbeamten ein, bekleidete verschiedene Ämter und bereiste als Mitglied der diplomatischen Vertretung China und Japan. Als Japan Ende des 16. Jahrhunderts in Korea einfiel, widmete er sich bis zu seinem Tod der Aufgabe, die Kampfgebiete zu besuchen und die dortigen Widerstandskämpfer zu ermutigen. Er war bekannt für seine Gelehrsamkeit, aber auch für sein Interesse für die Belange des gemeinen Volkes und für seine Vaterlandsliebe.Das kleine Museum Unjanggak befindet sich gleich neben dem Jongga-Haus und beherbergt insgesamt rund 20.000 Artefakte und Schriften, von denen 200 aus der Hinterlassenschaft von Kim Seong-il stammen. Das Gebäude war ursprünglich vom Clan errichtet worden, um die vielen Relikte und Artifakte, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden, zu lagern. Im Laufe der Zeit wurde es aber immer schwieriger, die Schätze der Familie unterzubringen und instand zu halten, so dass der Kim-Clan von Uiseong mit Unterstützung der Regie-rung das Gebäude zum Museum umgestaltete.Da sich immer mehr Menschen für die wertvollen Relikte von Kim Seong-il und des Clans Kim von Uiseong interessieren, entstand also ein Museum mit Ausstellungsräumen, in denen eine Handvoll Schätze des Clans zu sehen sind. Interessenten, die die Exponate sehen und erklärt bekommen möchten, kön-nen einen Besuchs- und Führungstermin mit dem Museums-manager vereinbaren. Es ist geplant, ein neues Museum zu er-richten, um weitere Clan-Schätze der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.Das berühmteste Ausstellungsstück des Museums ist die Brille von Kim Seong-il mit dem dazugehörigen Brillenetui, die äl-testen Stücke ihrer Art in Korea. Darüber hinaus gibt es auch

Zeremonialgeschirr und Altartische der Jongga von Kim Seong-il (links) und eine Hängerolle (rechts). Die Zeichen auf der Hängerolle bedeuten wortwörtlich „Lange Jahre frischer Wind“. Dahinter steht die Symbolik, dass die guten Familientradi-tionen Generation auf Generation bewahrt werden mögen.

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Aufzeichnungen der Jongga von Kim Hyo-ro, die von einer Generation an die nächste weitergegeben wurden und die Verfahren und traditionellen Gebräuche für das Ahnenritual im Detail beschreiben.

einen hölzernen Sattel, der wahrscheinlich der erste Holzsattel in Korea ist, was aber noch durch historische Untersuchungen bestätigt werden muss. Zur Sammlung gehören auch Hopae, Täfelchen aus Holz oder Knochen, die während der Joseon-Zeit als Personalausweis dienten. Auch bekannte Schriften wie die Hefte Gyeongyeonilgi (Notizen über Vorlesungen im Königspalast), die von den Hofchronisten, die bei Vorlesungen angesehener, hoch gelehrter Untertanen für den König anwe-send waren, verfasst wurden, befinden sich im Besitz des Muse-ums. Der Inhalt dieser Schriften war so streng geheim, dass so-gar hochrangige Minister und selbst der König nicht berechtigt waren, sie zu lesen. Diese Notizen dienten als kostbares Quel-lenmaterial für die Kompilierung der königlichen Annalen. Die Gyeongyeonilgi im Unjanggak-Museum wurden sämtlich von Kim Seong-il angefertigt. Andere Schriftstücke, die für die so genannte Mainstream-Geschichte von geringerem Belang sein dürften, erlauben einen faszinierenden Blick in das Leben im Joseon-Reich. Dazu gehört z.B. das Original des von Kim Seong-il für das Staatsexamen Gwageo verfassten Textes. In diesem Text sind bis heute die roten Markierungen, mit denen der Prüfer besonders gut gelungene Stellen kennzeichnete, so-wie Punkte bzw. Ranking zu erkennen. „Er hat nach heutigem Bewertungsstandard etwa 80 von 100 Punkten bekommen,“ erklärt unser Führer Kim Yong-su. „Das ist eine sehr hohe Punktzahl.“Nun ist es Zeit, die stille Halle des Unjanggak zu verlassen. Als wir das Museum durch das Haupttor des Anwesens verlassen, sehen wir, dass sich ein neues Gebäude im Bau befindet. Es soll eine Ausstellungshalle für die zahlreichen, derzeit im Unjang-gak-Museum gelagerten Relikte werden, die hoffentlich viele interessierte Besucher anlocken.

Sungwongak der Jongga von Kim Hyo-roUnsere Reise bringt uns jetzt ein Stück weiter nach Osten zur konfuzianistischen Akademie Dosan Seowon. Ein enger Pfad

windet sich über einen kiefernbestandenen Hügel. Am Ende des Kiefernwaldes erscheint ein traditionelles Dörfchen. Es ist die Historische Stätte Ocheon, die allgemein als Gunja-Dorf bekannt ist. Das Dorf wurde „Gunja“, „tugendhafter Mensch“ oder „Gentleman“, genannt, weil einst der Magistrat von An-dong sagte, dass „es im Ocheon-Dorf keinen gibt, der kein Gentleman ist“. Das Dorf befand sich ursprünglich weiter östlich, wurde jedoch 1974, als der Andong-Damm gebaut und die Gegend überflutet wurde, hierher verlegt, um es vor dem Untergang zu bewahren. Das Volkskundedorf mit seinen niedrigen Häusern, die sich unter kobaltblauem Himmel auf einem Hügel unter Kiefern ducken, erinnert von Weitem an ein Landschaftsgemälde. Auf der rechten Seite reckt sich eine riesige Zelkova so weit in den Himmel, dass sie sogar über die Dächer der Häuser, die am weitesten oben auf dem Hügel lie-gen, reicht.Am Dorfeingang treffen wir Kim Bang-sik, der uns heute das Dorf zeigen wird. Er ist der jüngere Bruder des Oberhaupts des Kim-Clans von Ocheon und Leiter des Museums sowie Verwalter anderer Einrichtungen des Volkskundedorfes. Kim ist ein freundlicher Mann von umsichtigem Charakter, dessen Lieblingszeitvertreib darin besteht, künstlerische Aufnahmen vom Dorf zu machen. Wenn man den Charakter von Kim Hyo-ro (1454-1534) in Betracht zieht, scheint dieses Hobby nur passend zu sein. Dieser Clan-Gründer verzichtete näm-lich im Gegensatz zu vielen anderen Jongga-Urvätern auf eine Laufbahn als Regierungsbeamter und entschied sich für das ruhige und zurückgezogene Leben eines Gelehrten. In seiner Grabmalinschrift, die von Toegye verfasst wurde, heißt es: „Er hing nicht am Staatsexamen Gwageo und war von makellosem und rechtschaffenem Charakter. Er nahm nicht die Unterwei-sungen anderer auf, sondern vertiefte sein Wissen durch Selbst-studium. Er erfüllte die Pflicht der Abhaltung von Ahnenver-ehrungszeremonien mit Respekt und Hingabe gegenüber den Vorfahren und stellte mit seiner Liebe für Eltern und Geschwi-

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ster ein vorbildhaftes Beispiel für die Nachfahren dar. Er war in seinem Verhalten und Handeln edel und außergewöhnlich.“ Nach dem Tod von Kim Hyo-ro ließen konfuzianistische Ge-lehrte einen Schrein zur Aufbewahrung seiner Namenstafel errichten.Kim führt uns zum Eingang des Dorfes zurück. Hier sehen wir das Museum Sungwongak. Es ist wie die übrigen Gebäude des Dorfes zwar im traditionellen Stil gebaut, unterscheidet sich aber von ihnen in Bezug auf das moderne Baumaterial, i.e. Beton. Bei der Verlegung des Dorfes im Jahr 1974 wurden in dem 450 Jahre alten Holzhäuschen Hujodang unter dem Dach 1.200 Bücher und Schriften entdeckt. Um diese Relikte aufzubewahren und auszustellen, wurde 2007 mit Unterstützung der Regierung das Museum Sungwon-gak errichtet. Allerdings werden die laufenden Kosten für Strom sowie andere Ausstattungen vom Clan übernommen, so dass das Museum Besuchern nur auf vorherige Anmel-dung und Vereinbarung zugänglich ist. Dies erklärt uns Kim, als er das Rolladentor aus Metall vor der Ein-gangstür hochschiebt.Wir betreten das Gebäude und be-ginnen mit unserer Besichtigung, merken aber bald, dass wir nicht die einzigen Besucher sind. Eine andere Gruppe schließt sich uns an und ist von den wert-vollen Schriften und anderen Relikten beeindruckt und faszi-niert. Die ersten Exponate, die unsere Aufmerksamkeit fesseln, sind eine Reihe von königlichen Edikten, darunter an erster Stelle auch das, mit dem der König Clan-Gründer Kim Hyo-ro seinen posthumen Titel, eine der Voraussetzungen einer wah-ren Jongga, verlieh. Weitere Dokumente von Interesse sind Dankesbriefe an die Brautfamilie und Testamente. Diese Dan-kesbriefe wurden vom künftigen Bräutigam geschrieben und zusammen mit zahlreichen Brautgeschenken an die Familie der Verlobten geschickt. Die noch kindlich-unsichere Schrift verrät, in welch jungen Jahren die Männer damals verheiratet wurden. Ein Testament hatte in Joseon dieselbe Funktion wie im Westen. Aber

die hier ausgestellten Testamente sind besonders interessant, da sie ein neues Licht auf die Gesellschaft der frühen Joseon-Zeit werfen. Oft wird angenommen, dass in der Joseon-Gesellschaft die Männer dominant waren, die Testamente erzählen jedoch eine andere Geschichte: Vor der japanischen Invasion auf der koreanischen Halbinsel gegen Ende des 16. Jahrhunderts waren Söhne und Töchter bei der Erbschaft gleichberechtigt und die Frauen verwalteten auch nach der Eheschließung ihr Vermögen selbst. Dies änderte sich erst im

Zuge der japanischen Invasionen, weil der Konfuzianismus während dieser Krisenzeiten des Landes dog-matischer wurde, so dass Freiheit und Rechte der Frauen mehr als frü-her beschränkt wurden.Neben diesen wertvollen Schriftstü-cken gibt es auch einen Bronzespie-gel, der laut Kims Vermutungen aus Japan stammt. Kunstvoll und auf-wändig gearbeitete Holzschatullen, die einst zur Aufbewahrung der Na-menstafeln der Vorfahren verwendet wurden, sind ebenfalls beachtens-wert. Andere Exponate erinnern an schlechte Zeiten: Ein Schaukasten ist voller Pfeile mit dem eingravierten Namen des Besitzers; auf diese Wei-se konnten die Kriegschronisten

feststellen, wer den auf dem Schlachtfeld gefundenen Soldaten getötet hatte.Die anderen Besucher sind genauso begeistert wie wir und un-terhalten sich aufgeregt. Als unsere Tour durch das kleine Mu-seum endet, führt uns Kim zum Hujodang. Das Gebäude wur-de zwar während der Joseon-Zeit errichtet, aber viele architek-tonische Stilelemente erinnern an die Goryeo-Zeit (918-1392): Sparren und Türrahmen spiegeln den Goryeo-Stil wider. Unter dem Dach kann man die Stelle erkennen, an der die Schriften aufbewahrt wurden.Wir verlassen das Hujodang, denn Herr Kim muss sich nun

um andere Besucher kümmern, die eine Übernachtung in einem der traditionellen Häuser hier gebucht haben. Wir

begeben uns über die Steintreppe in Richtung Eingang, gehen an der Zelkova vorbei und verlassen das

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© Park Tae-shin

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1 Weihrauchgefäß der Jongga von Yi Won-jo

2 Brille und Brillenetui, die einst von Kim Seong-il benutzt wurden; zu sehen in einem kleinen Museum der Jongga von Kim Seong-il (Fotos: Park Tae-shin)

3 Kleidungsstücke, aufbewahrt in Schaukästen des Stammsitzes der Jongga von Nam I-heung. Links ein Königsgewand mit aufgesticktem Drachenmotiv. (Fotos: Park Tae-shin)

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Dorf der „Tugendhaften Männer“.

Yeongmogak der Jongga von Ryu Seong-ryongUnsere Reise führt jetzt nach Süden in Richtung Andong und dann weiter nach Westen zum Volkskundedorf Hahoe. Das tief innerhalb einer Schlinge des Flusses Nakdong-gang gelegene malerische Dorf besteht aus über 100 traditionellen Häusern, von denen 12 unter Kulturerbeschutz stehen. Das Volkskun-dedorf erhielt seinen Namen „Hahoe“, der wörtlich übersetzt „Biegung des Flusses” bedeutet, aufgrund seiner topogra-phischen Gegebenheiten. Es zieht zahlreiche Besucher an, die kommen, um die traditionellen Gebäude zu besichtigen, die traditionelle Kultur Koreas zu erleben und sich verschiedene Vorführungen wie das jährliche Talchum-Festival (Masken-tanz-Festival) und traditionelle Feuerwerke anzusehen. Unser heutiges Ziel ist allerdings das Yeongmogak-Museum, eine kleine Ausstellungshalle, die Relikte und Artefakte der Jongga von Ryu Seong-ryong beherbergt.Das Hahoe Volkskundedorf war ursprünglich ein Dorf, in dem nur Mitglieder eines einzigen Clans ansässig waren, und zwar des Ryu-Clans von Pungsan. Eins der bekanntesten Clanmitglieder ist Ryu Seong-ryong (1542-1607), der unter König Seonjo (reg. 1567-1608) Premierminister war und zum Oberbefehlshaber der Joseon-Truppen ernannt wurde, als Ja-pan in den 1590er Jahren die koreanische Halbinsel überfiel. Dieser kompetente Staatsmann und Heerführer war aber auch ein großer Gelehrter, der nach der japanischen Invasion das Buch Jingbirok (Ermahnungen zur Vorbeugung künftigen Unglücks) verfasste, in dem er manchmal bis zur peinlichen Genauigkeit alle Fehler, die die herrschende Schicht vor und während des Krieges gemacht hatte, auflistete.Wir gehen vom Eingangstor des Hahoe-Dorfes den westlichen Hauptweg entlang geradeaus, wobei wir der Versuchung, die Seitengässchen zu erkunden, widerstehen müssen. Bald kommen wir zum Chung-hyodang, dem Stammsitz der Jongga von Ryu Seong-ryong, hinter dem das Museum Yeongmogak liegt. Im Museum, das das ganze Jahr über für die Öffentlichkeit zu-gänglich ist, befinden sich bereits Besucher, die ruhig die Exponate bewundern. Das

Yeongmogak präsentiert neben der Schrift Jingbirok (Ermah-nungen zur Vorbeugung künftigen Unglücks) verschiedene Schriftstücke, die der Clan von Generation zu Generation weitergegeben hat. Meist handelt es sich um Berichte über verschiedene Ereignisse oder weitere Dokumente, die in Zu-sammenhang mit der japanischen Invasion stehen. Ein könig-liches Edikt belobigt Ryu Seong-ryong für seinen Verdienst, die Königsfamilie nach dem Einfall der Japaner sicher nach Uiju eskortiert zu haben.Diese Dokumente sind die wertvollsten Schätze der Familie Ryu. Daneben gibt es aber auch noch Erbstücke, die etwas über das Leben von Ryu Seong-ryong selbst verraten. Rüstung und Helm, die er als Oberbefehlshaber der Truppen trug, erinnern an Herausforderungen und Strapazen, die er zu meistern hatte. Von seinem Alltagsleben erzählen Lederschuhe und mehrere mit Perlen versehene Hutschnüre; von seinem Beamtenleben eine Art Zeremonialstab aus Elfenbein, den er bei Ahnenver-ehrungsritualen der Königsfamilie oder bei Audienzen beim König trug.Wir verlassen das Yeongmogak-Museum und schlendern durchs Dorf zurück zum Eingangstor. Im Volkskundedorf gibt es noch viel mehr zu sehen, aber eine nähere Besichtigung müs-sen wir auf einen späteren Besuch verschieben. Heute soll es von Andong nämlich gleich in Richtung Nordwesten zur Halb-insel Taean in der Provinz Chungcheongnam-do weitergehen. Etwa 30 Kilometer westlich von dem kleinen Ort Dangjin liegt unser nächstes Reiseziel: die Jongga von General Nam I-heung.

Chungmogwan der Jongga von General Nam I-heung

Wir werden von Nam Ju-hyeon, dem Familienoberhaupt, begrüßt, der uns

die zwei kleinen Museen zeigen wird. Beide Museen wurden 1980 von der Regierung erbaut und erhielten den Namen „Mochunggwan“, was soviel wie „Chungjang-Gedächtnishalle“ bedeutet. „Chungjang“ ist der po-

stume Titel von General Nam I-heung (1576-1627). Wie die meisten Persön-lichkeiten, über die wir bereits etwas gehört haben, lebte auch General Nam in gefährlichen Zeiten. 1624, als sich

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1 Der Stammsitz der Jongga von Kim Hyo-ro

2 Yeongmogak, ein Spezialmuseum des Stammhau-ses der Jongga von Ryu Seong-ryong im Dorf Hahoe, Andong, Provinz Gyeongsangbuk-do (Webseite: www.hahoe.or.kr)

General Yi Gwal gegen König Injo erhob, schlug General Nam die Truppen der Rebellen, die drei Mal stärker als seine eigenen waren, nieder und erstickte damit den Aufstand. Für diesen Verdienst verlieh ihm König Injo (reg. 1623-1649) den Ehrenti-tel „Verdienstvoller Untertan ersten Ranges“. Drei Jahre später griffen die Jurchen das Land an und General Nam musste die Festung Anju gegen einen Feind verteidigen, der mit einem zehnfach mächtigeren Heer angriff. Er hatte die Invasoren eine Zeitlang aufhalten können, aber die Verstärkungstruppen, die ihn unterstützen sollten, machten noch vor Anju kehrt, als klar wurde, dass die Situation nicht mehr zu retten war. Gene-ral Nam öffnete daraufhin die Tore der Festung und ließ den Feind herein, allerdings nicht mit der Absicht, sich zu ergeben. Er führte die feindlichen Soldaten vielmehr in eine Kammer voller Pulverfässer, die er in die Luft sprengte, wobei nicht nur er, sondern auch zahlreiche Feinde ums Leben kamen. Als Kö-nig Injo von seinem Tod erfuhr, empfand er tiefe Trauer und ließ ein Staatsbegräbnis für ihn ausrichten.Nam Ju-hyeon erzählt voller Stolz von seinem Vorfahren, ver-sucht aber zugleich Bescheidenheit zu wahren. Direkt am Ein-gang der ersten Gedächtnishalle hängt an der Wand ein Porträt des Generals, und einen Moment lang stelle ich mir vor, dass er dort in persona alle Besucher begrüßt. Es ist ein Bild, das ihm König Injo schenkte, nachdem Nam die von Yi Gwal ge-führten Rebellen niedergeschlagen hatte. Auf der linken Seite sind Schaukästen voller wertvoller Artefakte, die von Leben und Tod General Nams erzählen, zu sehen. Als erstes fällt ein prächtiges, königliches Gewand aus weißer Seide mit handge-sticktem Drachenmuster ins Auge. Das hat aber General Nam nie getragen. Es handelt sich vielmehr um das Gewand, das Kö-nig Injo zur Trauerfeier des Generals trug, und das er aus tiefer Trauer um den Feldherrn abnahm und über den Sarg legte. Im

Schaukasten ist eine Reproduktion ausgestellt, aber Nam Ju-hyeon holt das Original für uns aus dem Lager. Das Gewand ist teilweise ausgefranst, aber die gestickten Drachen springen und winden sich immer noch wie lebendig auf dem prachtvollen Kleidungsstück.Daneben ist ein Kleidungsstück aus Leder zu sehen, das Gene-ral Nam unter seiner Rüstung trug und das vier Jahrhunderte erstaunlich gut überdauerte. Laut Erklärung von Nam Ju-hyeon stammen die kleinen Löcher, um die immer noch Blut-spuren zu sehen sind, von Pfeilen, die sich durch die Rüstung bohrten. Es ist, als würde man in die Vergangenheit blicken und historische Ereignisse mit eigenen Augen sehen statt da-rüber aus Geschichtsbüchern zu lernen. Die beiden erwähnten Kleidungsstücke waren in einem großen irdenen Vorratskrug aufbewahrt, der unter dem Lehmfußboden des Hauses vergra-ben war und auf diese Weise die Turbulenzen der koreanischen Geschichte unversehrt überdauerte.Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Exponate wie einen Kö-cher und einen Reiterbogen, die an das Leben General Nams als Krieger erinnern, aber auch Hopae (Täfelchen, die als Personal-ausweis dienten) aus Holz, Elfenbein und Knochen, die Einblick in die friedlichere Seite seines Alltags geben. Unter den vielen Ausstellungsstücken erregt eins besondere Aufmerksamkeit: Es ist ein mit blaugrüner Farbe bestrichener und teilweise moosbe-deckter Dachziegel, der unter der Beleuchtung des Schaukastens fast wie mit Blattgold bezogen wirkt. Es handelt sich nicht um einen gewöhnlichen Ziegel: Blaugrüne Dachziegel waren grund-sätzlich dem König vorbehalten. König Injo schenkte jedoch zwei Stück General Nam als Zeichen seiner Dankbarkeit. Ein Ziegel zerbrach vor einigen Jahren bei Dachreparaturen, aber zum Glück ist der andere noch erhalten geblieben.Wir verlassen die erste Halle und steigen den Hügel hinauf. Vor

Das Chunghyeon Museum ist eine Stiftung und zugleich ein eingetragenes Privatmuseum. Yi Seung-gyu, der Leiter der Stiftung, betont, dass auf diese Weise auch nach seinem Tod und dem seiner Frau die Stiftung weiter bestehen wird und damit die Zukunft des Chunghyeon Museums gesichert ist.

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uns erscheint das Tor zum Clan-Schrein, aber wir biegen davor rechts ab, um zur zweiten Gedächtnishalle zu gelangen. In der kleinen Halle fallen zwei große Holzkästen auf der rechten Seite auf. Nam zeigt uns aber zuerst eine Reihe von Schriftstücken: persönliche Briefe, Testamente, königliche Edikte und andere wertvolle Aufzeichnungen, in denen die Geschichte des Clans festgehalten ist. Erst danach wendet er sich den Kästen zu und erklärt, dass es sich um die Särge von General Nam und seiner Frau handelt. Sie sind aus dicken Holzplatten robust gebaut. Als man sie aus der Erde gehoben hatte, musste man erst lange nach den Saumstellen der Deckel suchen.Als wir am Ende unserer Besichtigungstour bewundernd vor handwerklichen Exponaten stehen, die Handwerksmeister vor mehreren Jahrhunderten schufen, betont Nam: „Es ist nicht wichtig, was diese Artefakte wert sind. Wichtig ist der Geist, der in ihnen verborgen ist. Die Erhaltung von solchen Relikten ist wichtig, um den Geist der Vorfahren spüren und erleben zu können.“ Denkt man an das Gewand des Königs, das pfeil-durchbohrte und blutbefleckte Kleidungsstück aus Leder und an all die anderen Relikte, die für den Geist unbeugsamen Wi-derstands bis zum Ende stehen, dann kann man ihm nur Recht geben.Wir lassen Dangjin hinter uns und fahren weiter nach Norden. Die Endstation unserer Reise, das Chunghyeon Museum, be-findet sich am Rande der Hauptstadt Seoul.

Das Chunghyeon Museum der Jongga von Yi Won-ikDas Chunghyeon Museum unterscheidet sich von den anderen Museen, die wir bereits besucht haben: Erstens liegt es nicht weit von Seoul, so dass es von dort leicht mit öffentlichen Ver-kehrsmitteln zu erreichen ist. In der Hauptstadtregion sind nur sehr wenige Jongga erhalten geblieben, was seinen guten Grund hat: Anders als Gebiete wie z.B. Andong war Seoul während des Koreakrieges eine heiß umkämpfte Stadt, so dass ein Großteil der historischen Bauwerke in der Hauptstadtregion zusammen mit den dort aufbewahrten Artefakten zerstört wurde. Glückli-cherweise überstand das Jongga-Haus des Clans von Yi Won-ik unbeschadet den Krieg. Ein zweiter Unterschied besteht darin, dass das Chunghyeon Museum eine Stiftung und zugleich ein eingetragenes Privatmuseum ist. Dr. Yi Seung-gyu, der Leiter der Stiftung (ein emeritierter Medizinprofessor der Yonsei Universität), betont, dass auf diese Weise auch nach seinem Tod und dem seiner Frau die Stiftung weiter bestehen wird und damit die Zukunft des Chunghyeon Museums gesichert ist.Dr. Yi ist ein Nachfahre der 13. Generation von Yi Won-ik (1547-1634). Yi Won-ik diente als Premierminister unter drei Königen und zeichnete sich während der japanischen Invasion militärisch und politisch aus. Er war nicht nur ein äußerst kompetenter Führer, sondern auch einer jener selten anzutreffenden Beamten, dem das Wohlergehen des einfachen Volkes am Herzen lag. Er ist auch als makellos korrekter Beam-

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ter bekannt, der unbestechlich war und sich mit aller ihm zur Verfügung stehenden Macht dafür einsetzte, die Leiden des ge-meinen Volkes zu lindern. Als der König Yi Won-iks beschei-denes Haus sah und beschloss, ihm ein neues, seinem Rang entsprechendes Haus bauen zu lassen, lehnte Yi drei Mal mit der Begründung ab, dass er das Volk nicht belasten wolle. Als er schließlich dem königlichen Willen nachgeben musste, tat er das nur unter der Bedingung, dass das Haus vergleichsweise klein sein sollte. Nach dem Tod von Yi Won-ik wurde seine Namenstafel in den Schrein von König Injo eingeschreint.Das Museum war wie alle anderen Museen, die wir besuchten, ursprünglich eine kleine Ausstellungshalle für die im Famili-enbesitz befindlichen Erbstücke. Im Jahr 2003 rief der Clan die Chunghyeon-Stiftung ins Leben und ließ die gesamte Fläche des Stammfamilienhauses als Privatmuseum registrieren. „Die wichtigste Aufgabe eines Jongga-Museums ist die geistig-kul-turelle Bildung“, erklärt Dr. Yi. „Und den Kern bilden der Ge-danke der Loyalität und der kindlichen Pietät, die im Konfuzia-nismus der Joseon-Zeit wurzeln.“ Ham Geum-ja, die Frau von Dr. Yi, ist Museumsleiterin sowie Präsidentin des Koreanischen Verbands der Privatmuseen. Sie erklärt uns, dass das Museum regelmäßig für Bildungs- und Kulturveranstaltungen genutzt wird. Unter anderem bietet es auch Bildungsprogramme für Kinder aus der Umgebung an, in denen ihnen die traditionelle Kultur und deren Wichtigkeit vermittelt werden.

Unsere Museumstour beginnt in der zweistöckigen Ausstel-lungshalle, die wir beim Eintritt durch das Eingangstor auf der rechten Seite als erstes sehen. Im Erdgeschoss sind verschiedene Arten von Alltagsgegenständen wie Kohlepfannen, Bügeleisen und Bettschüsseln ausgestellt. Es gibt auch Schaukästen mit wertvollen Möbelstücken sowohl aus den Herren- als auch aus den Frauengemächern. Die Möbel aus den Frauengemächern sind weitaus aufwändiger und feiner im Design als die Stücke aus den Herrenzimmern. Es erwartet uns auch eine kleine Kol-lektion traditioneller Tabletttischchen aus der Sammlung von Frau Ham. In der adligen Gesellschaftsschicht von Joseon wur-den jedem Familienmitglied die Mahlzeiten auf einem separa-ten Tabletttischchen serviert, so dass man an der Anzahl dieser Tischchen den Reichtum der Familie erkennen konnte. Im letzten Raum des Erdgeschosses überraschen uns unerwartete, aber sehr interessante Exponate. Es sind Gegenstände, die Dr. Yi und seine Frau in den ersten Jahren nach der Eheschließung benutzten, als sie noch im Haus der Vorfahren lebten: Die Armbanduhren, die sie als Verlobungsgeschenke austauschten, das Transistorradio, das Dr. Yi für seine Frau kaufte, und das Geschirr, das sie benutzten, dienen als Erinnerungen daran, dass die Geschichte und Traditionen der Jongga noch in ihren Nachfahren lebendig sind.In der zweiten Etage sind als erste Exponate zwei Porträts von Yi Won-ik zu sehen. Das rechte wurde im Auftrag des Königs

Im Chunghyeon Museum der Jongga von Yi Won-ik sind vier Porträts von Yi Won-ik zu sehen.

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gemalt und spiegelt die Tradition der traditionellen Hofpor-trätmalerei wider. Das linke stammt von einem privaten Ma-ler und zeigt Yi Won-ik in jüngeren Jahren. Seine Anhänger wollten Yi noch zu Lebzeiten eine besondere Ehre erweisen und ließen einen so genannten „Schrein des Lebenden“ (Schreine werden im Prinzip nur für Verstorbene errichtet) für ihn bau-en. Yi Won-ik geriet darüber jedoch dermaßen in Zorn, dass er den Schrein niederreißen ließ. Das für den Schrein bestimmte Porträt blieb jedoch erhalten und hängt jetzt neben seinem offi-ziellen Porträt.In einem anderen Schaukasten ist ein Gedicht zu sehen, das Yi Won-ik anlässlich des Todes seiner Frau selbst verfasste. Die beiden waren zwar ein Ehepaar, konnten jedoch wegen Krieg und Unruhen nicht viel Zeit miteinander verbringen. Das Gedicht bringt Yis tiefstes Bedauern und Leid zum Ausdruck. Die Museumsleiterin erzählt, dass sie sich von diesem Gedicht selbst sehr berührt fühlt und liest es uns vor. Die letzten Zeilen sind besonders bewegend: „Ich würde dir so liebend gern fol-gen, / und verspüre nicht den Wunsch, lange auf dieser Erde zu verweilen. / Sollte uns das Schicksal in der jenseitigen Welt wieder zusammenführen, / wird unsere karmische Verbindung so stark wie zuvor sein.“Das Testament von Yi Won-ik ist ebenfalls von Interesse, da es seinen äußerst praktischen Geist widerspiegelt. Er bittet seine Familie darin, eine bescheidene Bestattungszeremonie abzuhalten, keinen Schamanen oder Mönch mit der Leitung der Zeremonie zu beauftragen, und sich bei der Suche nach einem Standort für sein Grab nicht nach dem Aberglauben der geomantischen Lehre Feng-Shui zu richten. Sein Körper solle nur in ein einfaches Leichentuch gewickelt und an einem Ort begraben werden, der leicht aufzusuchen sei; auch solle nur ein bescheidener Leichenschmaus vorbereitet werden. Briefe, die Yi an seine Nachfahren richtete, sprechen ebenfalls für seine prak-tische Einstellung und bezeugen seine Weisheit.Natürlich ist die Ausstellungshalle nur ein Teil des Museums. Das Museum bzw. das Haus der Jongga besteht aus dem alten Stammsitz der Vorfahren, dem kleinen Haus, das Yi vom Kö-nig geschenkt wurde, einem Schrein mit dem Porträt von Yi Won-ik, zwei Pavillons, einem Hof, auf dem einst eine private konfuzianistische Akademie stand, und dem Friedhofshügel des Clans. Das Wohnhaus der Vorfahren wurde nach der Heirat von Dr. Yi modernisiert, da das Paar hier lebte, aber es bewahrt immer noch seinen ursprünglichen traditionellen Stil und Charme. Das kleine Haus, das der Clan-Gründer vom Kö-nig erhielt, ist als „Gwangamdang“ bekannt, was wörtlich über-setzt „Haus des Sehens und des Fühlens“ bedeutet. Auch dieser Name wurde vom König verliehen, der damit zum Ausdruck bringen wollte, dass man Yi Won-iks Verhalten sehen und es in seinem Herzen verinnerlichen sollte. Vor dem Gwangamdang befindet sich ein 400 Jahre alter Orientalischer Lebensbaum (Thuja orientalis), an dessen Seite ein breiter flacher Stein zu sehen ist, auf dem Yi Won-ik im Schatten des damals jungen

Baumes das traditionelle Saiteninstrument Geomungo spielte. Damit endet unsere Besichtigung des Chunghyeon Museums und auch unsere Tour durch die Welt der koreanischen Jong-ga-Museen.

Reflexionen über unsere ReiseObwohl wir nur einen Ausschnitt von dem gesehen haben, was Korea an Jongga-Museen zu bieten hat, sind einige Dinge klar geworden: Diese kleinen Museen und ihre Exponate wie Artefakte und Schriftstücke sind ein wertvoller Schatz der ko-reanischen Kultur und Geschichte. Viele der Ausstellungstücke wie z.B. die älteste Brille Koreas sind Exponate, die man in einem Museum zu finden erwartet. Aber die enorme Zahl von Büchern, Briefen, königlichen Edikten und anderen Doku-menten, die die Jongga bewahrt haben, stellen eher eine Über-raschung dar. An nicht vielen Orten auf der Welt dürften solch große Privatsammlungen von historischen Aufzeichnungen zu finden sein. Manche Schriften waren selbstverständlich von entscheidender Bedeutung zur Dokumentation der Familien-linie, aber viele waren es nicht. Diese Sammlungen der Clans können nur als Beweis für die Liebe der Koreaner zur Weisheit ihrer Vorfahren interpretiert werden.Der wahre Wert und die Bedeutung der Jongga-Museen liegt denn auch darin, dass durch sie Geschichte kein abstraktes Konzept bleibt, sondern lebendig atmender Teil des Familien-lebens wird. Leider existieren im Vergleich zur Anzahl der Jongga nur sehr wenige Jongga-Museen. Viele Stammfamilien, die bis heute im Stammhaus der Vorfahren leben, meinen, dass die Verwaltung und Instandhaltung der handwerklichen Erb-stücke und alten Schriften zu aufwändig sei, und vermachen sie daher großen Museen. So bleibt der Schatz zwar glücklicher-weise erhalten, aber die einzelnen Artefakte sind in großen Mu-seen nur historische Relikte wie alle anderen auch und bar ihres lebendigen Kontextes. Einige von ihnen vermögen vielleicht die Besucher zu faszinieren, aber es war ja gerade einer der aufregendsten Aspekte unserer Reise, dass wir die Geschichten hinter den Exponaten von jemandem hören konnten, der in besonderer Weise damit verbunden und daran interessiert ist.Es sind bereits sechs Jahre vergangen, seitdem das Chungyeon Museum als Privatmuseum registriert wurde. Es ist bisher im-mer noch das einzige eingetragene Jongga-Museum in Korea. Über diese Tatsache scheint Dr. Yi mehr traurig als stolz zu sein. Denn die übrigen Museen, die wir besuchten, besitzen ebenfalls viele Schätze von hohem Wert, haben aber Schwie-rigkeiten, sie der Öffentlichkeit zu präsentieren. Es war ermuti-gend zu sehen, dass die Jongga von Kim Seong-il in Andong ein neues Museumsgebäude baut und andere Stammfamilien sich bemühen, ihre Museen leichter zugänglich zu machen. Es ist zu hoffen, dass dieser Trend weiterhin anhält, die Jongga-Museen sich zu einer Quelle der Inspiration für jedermann entwickeln und eine zentrale Rolle bei der geistig-kulturellen Bildung ein-nehmen.

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Creative City Projekte, die rege vorangetrieben werdenDie Projekte der kommunalen Selbstverwaltungen, aufsteigenden Künstlern einen Raum zum kreativen Schaffen und den Einwohnern Stätten zum gemeinsamen kulturellen Erleben zur Verfügung zu stellen, werden rege vorangetrieben. Im Kontext des Phänomens „Kunstfabrik“ (Art Factory), das die Kunstwelt des 21. Jahrhunderts charakterisiert, wollen wir Stand und Zukunft der Projekte zur Schaffung von „regional basierten komplexen Kunsträumen“, die von den kommunalen Selbstverwaltungen wohlüberlegt und kühn vorangetrieben werden, betrachten. Lee Sun-chul Kulturplaner, Leiter des Potato Blossom Studios

FOKUS

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Frühjahr 2010 | Koreana 35 Winter 2009 | Koreana 35

I n den fortgeschrittenen Industriestaaten zieht in letzter Zeit das Konzept der „Kreativen Stadt“ (Creative City) großes Interesse auf sich. Dieses Stadtentwicklungskonzept unterscheidet sich von den bisherigen, die unter verschiedenen Namen wie „Kulturstadt“ (Cultural City) usw. propagiert

wurden, dadurch, dass konkrete Maßnahmen statt leerer Slogans zu sehen sind. Zusammen mit den durch verschiedene Perspektiven und Herangehensweisen erzeugten Erwartungen und der Anlagen-Infrastruktur wird auch die Wichtigkeit der einzelnen Programme und Managementsysteme der Creative City Projekte betont. Besonders beachtenswert ist dabei, dass man keine groß angelegten neuen Anlagen errichtet, sondern schon bestehende Gebäude und Stätten von historischem Wert in neue Räume der Kultur umwandelt. Die Wiederverwendung profiliert sich damit als wichtiges Instru-ment zur Belebung der Städtelandschaften.Dieser Trend der fortgeschrittenen Weltstädte wird zurzeit von den koreanischen Metropolen, aber auch von den Groß- und Kleinstädten und den ländlichen Gemeinden, aktiv aufgenommen und dabei werden die jeweiligen regionalen Gegebenheiten ausgenutzt. Die kommunalen Selbstverwaltungen haben begonnen, verschiedene ungenutzte Gebäude und Einrichtungen in Kulturräume umzuwan-deln und so neue regionale Werte zu schaffen, die fürs Stadtmarketing eingesetzt werden. Die Beto-nung der Wiederverwendung stellt eine deutliche Abkehr von der bisherigen Entwicklungstradition unter dem Primat der Neuerrichtung von Anlagen dar. Dieser Trend ist auch insofern ermutigend, als dass sich darin ein zunehmendes Bewusstsein in Bezug auf die ökologischen Ressourcen und das architektionische Erbe einer Region widerspiegelt.

SeoulIn diesem Kontext ist das Projekt „Kreativer Raum der Stadt Seoul“, das von der Seoul Stiftung für Kunst und Kultur vorangetrieben wird, ein typisches Beispiel für die Strategie der Wiederverwertung von ungenutzten Gebäuden und Anlagen in der Stadt. Das Projekt zielt auf die Erhöhung der internati-onalen Wettbewerbsfähigkeit der Metropole durch die Unterstützung der kreativen Unternehmungen der Künstler und des kulturellen Lebens der Bürger im Rahmen der Kulturökonomie-Politik der Stadt Seoul. Diese Initiative wurde 2008 auf den Weg gebracht, um Künstlern einen Raum für ihre kreativen Aktivitäten zur Verfügung zu stellen und den Bürgern mehr Gelegenheit anzubieten, Kunst und Kultur zu genießen. Diese Räume der Kreativität, die seit Herbst 2009 richtig angefangen haben ihre Türen zu öffnen, haben durch die kreative Wiederverwendung ungenutzter Räume zu einer kulturellen Rennaissance der Stadt geführt und frischen Wind in die regionalen Gemeinschaften gebracht. Darüber hinaus erzielen sie auch den Effekt, dass die Interessen der Seouler in Bezug auf Kultur, Umwelt, Bildung und Wirtschaft befriedigt werden.Als erstes Ergebnis solcher Unternehmungen wurde in Seogyo-dong (in der Nähe der Hongik Univer-sität) das Seoul Art Space Seogyo eröffnet, ein Kulturraum, für den man das ehemalige Gebäude des Seogyo-dong Bezirksamtes umgestaltete. Als weitere Beispiele folgten das Seoul Art Space Yeonhi, das in die Räumlichkeiten des Kompilierungsausschusses für Aktuelle Themen einzog, das Seoul Art

1 Seoul Art Space Geumcheon, das in einer alten Druckerei in Doksan-dong, Seoul, unter-gebracht ist, bietet Räume für Workshops und Studios.

2 Eine Ausstellungsfläche im Seoul Art Space Seogyo im ehemaligen Bezirksamt von Seogyo-dong.

3 Seoul Art Space Sindang, ein Kunsthandwerk-Studio-Komplex, der aus der Renovie-rung des Sindang Untergrund-Einkaufszentrums entstanden ist, bietet Räume für Studios, Ausstellungen und Workshops.

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Space Geumcheon, das sich im Gebäude einer alten Druckerei befindet und als Austauschcenter für internationale Kultur und Kunst fungiert, das Seoul Art Space Sindang, ein Kunsthandwerk-Studio-Komplex, der in einem ehemaligen Untergrund-Ein-kaufszentrum eröffnet wurde usw. Eine Reihe weiterer kreativer Räume sind am Entstehen, so etwa in Mullae-dong innerhalb des Stahlfabrik-Komplexes, wo aus nicht mehr genutzten Fabrik-gebäuden, Gesundheitsamt, Verkehrscenter usw. Kulturräume geschaffen werden.Das Merkmal dieser kreativen Einrichtungen ist, dass sie unter Ausnutzung der Vorteile bestehender Anlagen wie z.B. der Krea-tiv-Dörfer, für die geschlossene Schulen umfunktioniert wurden, öffentlicher und privater Kreativ-Studios, der von Privatpersonen oder Gruppen eingerichteten Kreativ-Räume usw. geschaffen wurden und als „regional basierte komplexe Kunsträume“ fun-gieren. Auch werden nicht nur die Unternehmungen einzelner Künstler unterstützt, sondern durch internationalen Austausch, Förderung junger Talente und Angebote zur künstlerischen und kulturellen Bildung auch Bemühungen unternommen, einen bürgerfreundlichen Raum zu schaffen. Es geht nicht darum, groß angelegte Multikomplexe, wie sie in Großstädten überall zu finden sind, aus dem Boden zu stampfen, sondern die kleinen, ungenutzten Räume, die überall in der Stadt verstreut sind, ihrer charakteristischen räumlichen Note entsprechend mit neuen Funktionen zu versehen und so wiederzuverwenden. Dabei ist beachtenswert, dass diese Räume nicht nur als regional basierte Einzelräume genutzt werden, sondern mittels übergreifender Netzwerke einen zusammenhängenden Gürtel bilden.

DaeguDie Stadt Daegu hat das ehemalige Gebäude und das Gelände der Tabakfabrik der KT&G (Korea Tomorrow & Global) genutzt, um ein Projekt mit dem vorläufigen Namen „Daegu Creative Center“ voranzutreiben. Das Projekt steht im Rahmen des ehrgeizigen

Plans der Provinzhauptstadt, sich von der Regionalisierung los-zusagen und Daegu zu Kunst- und Kulturstadt von Weltniveau zu entwickeln. Das Gelände der Tabakfabrik umfasst auf einer Fläche von 48.843㎡ ein vierstöckiges Hauptgebäude, diverse Nebengebäude und Grünflächen, womit es sich von anderen Kulturraum-Projekten in Bezug auf Maßstab und Anwendungs-möglichkeiten abhebt. Geplant sind ein Angebot kreativer künst-lerischer Aktivitäten, die Einrichtung von Studiowohnungen und einer Medienbibliothek, die Durchführung von Kunsterziehungs-programmen für Kinder und Erwachsene, die Veranstaltung von Großkonferenzen und die Präsentation der Populärkultur, sprich, es soll ein zukunftsorientierter, integrierter Raum der Kultur ent-wickelt werden, an dem Künstler und Bürger teilhaben.

Incheon und die Provinz Gyeonggi-doDie Stadt Incheon hat die modernen architektonischen Stätten, die nach der Öffnung des Incheoner Hafens entstanden, als kre-ativen Raum für Künstler wiederverwendet und plant, sie als Incheoner Plattform der Kunst (Incheon Art Platform) zu nutzen. Incheon, das sich auf einen zweiten Sprung nach vorn vorberei-tet, hofft, dass dieser Raum, der sich in der Nähe von Bahnhof und Chinatown befindet, neuen Schwung in die Stadtmitte bringt und als neue Attraktion zusätzliche Touristen anziehen wird. Das Gyeonggi Creation Center in Ansan, Provinz Gyeonggi-do, ist Resultat der Renovierung einer von der Provinz betriebenen Berufsschule. Es ist ein Künstler-Kulturkomplex, in dem sich hauptsächlich die Studios von Malern, aber auch von Kunstschaf-fenden anderer Genres befinden. Außerdem finden hier viele Ausstellungen, Austauschaktivitäten sowie regionale Programme und Feste statt. Nicht zuletzt fungiert das Center als Archiv.

Provinz Gangwon-doDie Besonderheit der Provinz Gangwon-do, die von Gebirgszügen umgeben ist, liegt darin, dass viele der Landschulen, die aufgrund

Yi Jong-ho, Professor der Korea National University of Arts, betont: „Kunsteinrichtungen dürfen nicht von den Bürgern isoliert wer-den, sondern müssen leicht zugänglich sein. Wenn dem nicht so ist, ist zu befürchten, dass im Gegensatz zur eigentlichen Absicht des Projekts isolierte Inseln mitten in der Stadt entstehen.“

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1 Eine Werkstatt in Seoul Art Space Sindang

2 Sindang Creative Arcade bietet ein Workshop-Programm mit dem Titel Ich bin auch ein Künstler an, um die Allemeinheit zu ermutigen, stärker an Kunst und Kultur teilzuhaben.

3 Seoul Art Space Yeonhi bietet Räume fürs Schreiben, für Gäste und Gemeinschafts-aktivitäten.

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rückläufiger Schülerzahlen schließen mussten, als Kulturraum wiederverwendet werden. Ein Beispiel für diese aktiv von der Pro-vinzregierung vorangetriebene Politik ist die Stadt Pyeongchang, die in nahezu unberührter Natur liegt und darauf hofft, Austra-gungsort der Olympischen Winterspiele 2018 zu werden. Pyeong-chang kauft geschlossene Schulen auf und übergibt sie dann zur Entwicklung an private Experten, die daraus einzigartige Kultur-räume wie z.B. Kunstmuseen, Theater, Künstler-Residenzen usw. machen. Als erfolgreiche Beispiele können das Potato Blossom Studio, das Mooee Arts Center, das Moonlight Theater und die Suhasan Culture Arena genannt werden.

Unterstützung durch die ZentralregierungAuch die Zentralregierung unterstützt aktiv die von den Kommu-nen unternommenen Projekte zur Wiederbelebung ungenutzter

Anlagen. Vor allem ist es interessant, dass das Ministerium für Kultur, Sport und Tourismus als Vision für die Kulturpolitik die Schaffung einer „kreativen Kulturnation mit starker Soft Power“ in den Vordergrund gestellt hat. Einer der im Rahmen dieser Vision vorangetriebenen Pläne ist betitelt mit Kunst- und Kreativitätsgür-tel unter Ausnutzung des modernen industriellen Erbes. Dieses Projekt nutzt die Überbleibsel aus der Zeit der Industrialisierung des Landes als Grundelemente für die Schaffung von Kulturräu-men, wobei zurzeit stillgelegte Fabriken, Bahnhöfe, öffentliche Anlagen usw. im Mittelpunkt der Wiederverwendung stehen.Es ist eine Tatsache, dass viele industrielle Stätten, die als moder-nes Industrieerbe registriert sind, bislang aufgrund der damit verbundenen Schutzpolitik nicht effektiv als kulturelle Ressourcen genutzt werden konnten. Das Kulturministerium beabsichtigt jetzt, mit den einzelnen Kommunen zu kooperieren, um diese

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einst industriell genutzten Gebäude zu kreativen Kunsträumen, Kulturräumen für Bürger oder zu Tourismusressourcen umzuge-stalten. Man hofft, dass dadurch die Wirtschaft in rückständigen Stadtgebieten und ländlichen Regionen aktiviert wird und kultu-relle Gemeinwesen, die eine ansprechende Lebensqualität bieten, entstehen. Nennenswerte Beispiele für solche Projekte sind die architekturhistorisch gesehen modernen Gebäude in der Nähe des Hafens in Gunsan, das Art Valley in Pocheon, für das man einen stillgelegten Steinbruch genutzt hat, das ehemalige Salz-lager in Sinan, die geschlossene Tabakfabrik von KT&G in Daegu usw.Seit 2008 wurden vom Ministerium viele verschiedene Projekte zur Umwandlung der Erben der Industriealisierungsära in Kul-turräume unterstützt. Als Teil der Vorbereitungen, den Interna-tionalen Flughafen Incheon 2010 an das Hochgeschwindigkeits-streckennetz der Bahn anzuschließen, wird das alte Hauptbahn-hofsgebäude in Seoul, das 2004 im Zuge der Inbetriebnahme der Hochgeschwindigkeitszüge seine Türen schloss, zu einem inte-grierten Kulturraum umgestaltet, in dem Vorführungen und Aus-stellungen stattfinden. Auf dem Gelände des Wärmekraftwerks in Dangin-ri entstehen bis 2012 ein modernes Industriemuseum, ein Design-Archiv usw., um so ein „kreatives Kultur-Kraftwerk“ zu schaffen, das die kulturellen Charakteristika der Gegend um die Hongik Universität und des Seouler Stadtteils Sinchon mit denen am Fluss Han-gang verbindet.

ErfolgsstrategienBei der Umwandlung von ungenutzten Gebäuden und Anlagen in Kulturräume sind eine korrekte Richtungsbestimmung und gute Strategien unabdinglich. Tatsächlich sind eine ganze Reihe von Einzelfragen bei der Machbarkeitsanalyse zu berücksichtigen: Um was für eine Anlage handelt es sich? Wie sieht sie heute aus? Was war der ursprüngliche Nutzungszweck und wie sehen die historischen Hintergründe aus? Wie kann man sie auf Hardware-

Basis renovieren und nutzen? Welche Programme sind hier unter Berücksichtigung der örtlichen Interessen und Nachfrage durchführbar? Durch welche Art von Vernetzung können das der Region immanente Potential und Unterstützung von außen in Einklang miteinander gebracht werden? Sind Werbe- und Mar-ketingstrategien ausreichend? Unter welchen Bedingungen ist ein Langzeitbetrieb möglich und wie kann das notwendige Budget sichergestellt werden? usw. usf. Das alles sind Fragen, die im Einzelnen zu beantworten und auf das Gesamtbild abzustimmen sind.Daher ist es bei solchen Projekten absolut notwendig, bereits in der Planungsphase die essentiellen Voraussetzungen für den Erfolg zu identifizieren und das Risiko für einen Misserfolg ent-sprechend zu minimieren. Es gilt, die historischen Hintergründe und die heutige Situation der jeweiligen Region unter die Lupe zu nehmen, nach verwendbaren Ressourcen zu forschen und nach deren Entdeckung distinktive regionalspezifische Contents zu ent-wickeln. Es ist ebenfalls wichtig, machbare Programme auf den

1 Incheon Art Platform ist das Er-gebnis der Umwandlung moder-ner architektonischer Strukturen in integrierte Räume der Kultur.

2 Eine Amateur-Fotografie-Aus-stellung in Incheon Art Platform

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Weg zu bringen und sicherzustellen, dass Management und Mar-keting aller Unternehmungen von nachhaltigem Charakter sind. In Bezug auf das Management ist zu beachten, dass die Anlage als öffentliche Ressource verstanden und nicht als Immobilienver-mögen betrachtet wird. Außerdem sollte man den Bürgern noch mehr Gelegenheit geben, den neuen Raum der Kunst und Kultur zu erleben, so dass nicht nur die Kulturkreise oder die Kommu-nen, sondern auch die Bürger den Wert dieser Orte der Kunst und Kultur erkennen. Yi Jong-ho, Professor der Korea National University of Arts, betont: „Kunsteinrichtungen dürfen nicht von den Bürgern isoliert werden, sondern müssen leicht zugänglich sein. Wenn dem nicht so ist, ist zu befürchten, dass im Gegensatz zur eigentlichen Absicht des Projekts isolierte Inseln mitten in der Stadt entstehen.“Es ist notwendig, durch qualitativ hochwertige Festivals oder Events mehr Schwung in diese regionalen Kulturräume zu brin-gen, so dass sie als kultureller Katalysator für die Städte wirken können. Auch ist eine Vernetzung mit den schon in anderen

Regionen bestehenden wichtigen Kulturressourcen unbedingt erforderlich. Wenn man verschiedene Kultur- und Kunstbildungs-programme aktiv nutzt, entstehen auf natürliche Art und Weise im Alltag der Bürger kulturelle Gemeinschaften, die sich zu einer kreativen Schicht entwickeln. Auch wird eine Kommunikation zwischen Bürgern und Künstlern ermöglicht, wenn man für die Künstler ein Umfeld schafft, in dem sie sich niederlassen können, und ihre Aktivitäten unterstützt. Unabdingbar ist auch die Entwick-lung von Programmen und Contents, die sich auf die jüngst pro-pagierten Bemühungen zur Schaffung von umweltfreundlichen grünen Städten mit niedrigem Kohlenstoffausstoß beziehen. Durch solche Maßnahmen werden die neu geschaffenen Räume der Kultur besser dem regionalen Umfeld gerecht und die Besu-cherzufriedenheit kann gewährleistet werden, was wiederum als Tourismusmagnet für die Stadt fungiert. Auf diese Weise können die Einrichtungen als weit und breit bekannte attraktive Räume der Kultur sich zu originären Marken entwickeln.

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ls Ahn Eun Me 2009 mit dem erstmals vergebenen Nam June Paik Art Center Preis ausgezeichnet wurde, richtete sich das das Augenmerk des Publikums auf ihre Tanzwelt. Diese beson-

dere „Zusammenkunft“ von Nam June Paik und Ahn Eun Me war nicht nur ein außergewöhnliches Ereignis, sondern auch ein wichtiges symbolisches Zeichen für die Zukunft der koreanischen Kunst im 21. Jahrhundert. Denn während Paik im Mittelpunkt der europäischen Avantgarde der 1960er Jahre „den kulturellen Barbarismus“ der Nicht-Europäer zur Schau stellte, strebt Ahn nach einem Tanz des „kulturellen Konflikts“, der über die ostasiatische Region hinausgeht.

Ein Tanz außerhalb der ZeitAhn und Paik teilen die Gemeinsamkeit, in einem Umfeld, das kaum erlaubt, mit einem nicht-westlichen Körper seine eigene Stimme zu äußern, für einen wesentlichen Schock in der Kunst gesorgt zu haben. Paik war als ein wandernder Künstler, der durch die ganze Welt streifte, bekannt und auch Ahn Eun Me erweitert ihre künstlerische Bühne durch Auftritte in den USA und Deutschland immer stärker. Aber man darf die Erweiterung ihrer Bühne auf die ganze Welt nicht nur als einen einfachen räumlichen Umzug verstehen. Paik und Ahn erweiterten ihre Perspektive nicht nur auf die „Außenseite Koreas“ und die „Außenseite Ostasiens“, sondern gingen noch weit darüber hinaus bis auf die „Außenseite des Westens“. Das ist nicht einfach eine Frage der Wahl einer Perspektive durch Durchführung eines Dimen-sionswechsels, sondern eine Frage der Entwicklung einer neuen Per-spektive, die an der Schnittstelle verschiedener Perspektiven entsteht.Nehmen wir mal ein Beispiel: Ein Freund mit exzellentem Geschmack hat einen Artikel von mir gelobt. Dann werde ich bestimmt meinen Text noch einmal lesen, diesmal aber aus seiner Perspektive. Ich

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Szene aus Chunhyang: An Impo-ssible Love mit Ahn Eun Me, einen Fächer haltend, in der Rolle der Chunhyang

Ahn Eun Me: Neo-schamanistische Choreographin des 21. Jahrhunderts

INTERVIEW

Die Choreographin und Tänzerin Ahn Eun Me erfreut sich mit ihren koreatypischen choreo-graphischen Motiven besonders auf der euro-päischen Bühne großer Anerkennung. Sie teilt die geistige Grundlage des Schamanismus mit dem Medienkünstler Nam June Paik und be-schreibt sich selbst so: „Ich gehöre nicht zu den Choreographen, die von den mit dem Kopf zu kalkulierenden Bearbeitungsfähigkeiten leben.“ Werfen wir einen Blick auf ihre Tanzwelt und die Ästhetik ihrer choreographischen Arbeit.Kim Nam-Soo Chefkurator, Nam June Paik Art Center

Fotos: Choi Young-mo

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werde versuchen, herauszufinden, warum er meinen Text gelobt hat, und in dem kurzen Moment, in dem sich meine und seine Perspektive überschneiden, entsteht eine neue Perspektive. So verhält es sich auch mit der Tanzwelt der Choreographin Ahn Eun Me. Tanz ist eine Zeitkunstform, die auf der Gegenwart basiert, doch Ahns Zeitauffas-sung geht über das allgemeine Verständnis der zeitlichen Natur des Tanzes hinaus.„Man braucht eine Außenperspektive. Man braucht eine Kunst, für die man einen zeitlich weit gefassten Rahmen ansetzt und die hartnäckig reflektierend ist. Mein Kampf ist nicht für das gegenwärtige Zeitalter. Wenn die Bruchstücke meines Kampfes, meine Bewegungen, als Fossilien erhalten bleiben, wenn sich jemand in der Zukunft wünscht, dass die vergangene Zeit wieder auflebt - dann dehnen sich diese Bruchstücke im flexiblen Raum des künftigen Lebens plötzlich aus und ziehen lebendig durch die Welt. Mein Tanz ist eine Kunst für sol-che unerwartete Wiederbelebungen der Erinnerungen, nicht für die Gegenwart. Wenn ich dabei von bestimmten Menschen aus einem bestimmten Zeitalter als Fremde oder Außerirdische angesehen werde, dann liegt gerade in dieser Reibung das Interessante.“

Der Schamanismus von Nam June Paik und Ahn Eun MePaik und Ahn haben noch die weitere Gemeinsamkeit, dass ihre künst-lerische Welt auf dem Schamanismus basiert. Paik veranschaulichte in seinen Performances, dass seine Kunstwerke vom nordostasia-tischen Schamanismus inspiriert sind: Er sprang plötzlich auf ein Kla-vier oder kritzelte auf eine Tafel „Blauer Himmel“. „Blauer Himmel“ ist das höchste göttliche Wesen, das die Schamanen in der Mongolei verehren. Danach präsentierte er sein ganzes Leben lang Gut-Perfor-mances (Schamanistische Exorzismus-Zeremonien-Performances)

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auf der Basis des nordostasiatischen Schamanismus, was den US-amerikanischen Künstler und Kunsttheoretiker der Aktions-kunst Allan Kaprow dazu veranlasste, Paiks Kunstwelt mit der ironischen, aber anerkennenden, Dada-inspirierten Formulierung „Kultur-Terrorismus aus Asien“ zu bezeichnen.Paiks frühe Musik-Performances wie Hommage à John Cage, Etude for Piano Firte oder Originale waren Gut-Performances, die im ostasiatischen Schamanismus wurzeln und damit Walter Benjamins Konzept der „kulturellen Barbarei“ entsprechen. Das heißt, dass Paiks Performances Aktionen sind, die die westliche Tradition, die durch ihre Homogenisierung auf den Weg des Untergangs geraten ist, durch die Beimischung heterogener und zerstörerischer Elemente in Verwirrung stürzt und dadurch die von Nietzsche postulierte „große Gesundheit“ anstrebt.Nach Oswald Spengler erweiterte sich die Furcht vor dem „Unter-gang des Abendlandes“ zu einem Krisenbewusstsein in Bezug auf das Ende der Menschheitsgeschichte und man begann, heimliche Programme auf den Weg zu bringen, um in fremden Kulturen nach neuen Energien und neuer Produktivität zu suchen. Die Anthropologie hat bereits gleich einem zweischneidigen Schwert damit begonnen, sich mit dem Entwicklungsprozess der geistigen und kulturellen Welt des Westens zu befassen. Ob der Westen nun wirklich untergegangen ist oder nicht, ist eine umstrittene Frage, doch eins steht fest: Es ist immer noch der Westen, in des-sen Hand sich der Griff des Schwertes befindet.Das von Ahn verfolgte Ziel des „kulturellen Konflikts“ ist die Wie-

dergewinnung der Stimme des Körpers und diese Suche wird durch Ahns Performance in Form von Gut-Zeremonien, die den verhärteten Noten des Körpers neues Leben einhauchen und durch das schamanistische Theater der Grausamkeit die Welt heilen, zum Ausdruck gebracht. Die Besonderheit ihrer Perfor-mance liegt in dem paradoxen Ausdruck der Bejahung durch die Verneinung. Der Körper selbst wird als ein Ort des Konflikts zwi-schen dem Schatten der Modernisierung und dem Urbild der Kul-tur dargestellt. Durch die Frage „Wer bin ich?“, die dem Gut-Mes-ser gleicht, auf dem die Schamaninnen den Gut-Tanz tanzen, wird die positive Kraft des Lebens verstärkt. Ahns Werk Chunhyang: An Impossible Love, das mit großem Erfolg in Europa auf Tournee ging, war zum Beispiel eine dramatische Tanzaufführung, bei der sie die traditionelle narrative Struktur der alten koreanischen Volkserzählung Chunhyang-jeon (Die Geschichte der Chunhyang) mit der Ostasien eigentümlichen kulturellen Farbe überzog und mit der widersprüchlichen Energie von Gewalt und Liebe füllte. Die Reaktion auf das Werk war enorm und nachhaltig und sorgte auch in Korea für eine positive Wende in ihrer Künstlerlaufbahn. Die europäische Tanzzeitschrift Dance Now lobte sie damals wie folgt: „Sie ist die Pina Bausch Asiens“.„Meine Performances sind Allegorien, die über das Leben der Menschen erzählen. Dort sind Erforschung der Gewalt, Darstel-lung der Doppelbödigkeit des Gemeinwesens sowie die Anord-nung von Formen und Bildern zu finden. Eigentlich habe ich kein Interesse an der Tagespolitik, aber ich finde, dass meine Werke

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im engen Zusammenhang mit der politischen Seite der Kunst ste-hen. Auch wenn man keinen besonderen politischen Hintergrund hat, löst der Körper eine politische Resonanz aus, wenn er nach den von ihm selbst bestimmten Regeln tanzt.“

PreisträgerperformanceBei der Preisträgerperformance, die Ahn nach der Verleihungs-zeremonie des Nam June Paik Art Center Preis 2009 aufführte, brachte sie ihren Respekt vor Nam June Paik zum Ausdruck, indem sie 74 Klaviere auf der Straße und 24 Klaviere in der Luft vor dem Nam June Paik Art Center aufstellte bzw. aufhängte. Ihre Performance zeigte, dass die Kunstwelten von Ahn und Paik auf eine bestimmte Art und Weise miteinander kommunizieren. Ahn trug ein Kleid mit einem Faltenrock aus weißen Krawatten und verteilte die Krawattenstücke an die Zuschauer, was an die Per-formance von Paik, der die Krawatte des amerikanischen Kom-ponisten John Cage abschnitt, erinnerte. Außerdem tanzte sie mit Begleitung von rhapsodischer Klaviermusik einen märchenhaft-desillusionierenden Teddybär-Tanz. Ihr Performance-Werk mit dem Titel Chronicle of A Beautiful Dancer erreichte seinen Höhe-punkt, als Ahn, die gerade wie die Mutter Erde Gaben gespendet

hatte, mit Hilfe eines Baukrans in den Himmel aufstieg. Am Kran hängend versuchte sie eine Wiederbelebung von Paiks Perfor-mance, indem sie mit Beil und Schere auf das Klavier eindrosch. Durch diese geistige Verbindung mit Paik zielte sie auf „die Rück-kehr von Nam June Paik“ ab.„Ohne eine durstende Seele gibt es auch keine Erlösung. Es ist wichtig, auf die tiefen unteren Töne unseres Lebens zu hören und sie nachzuempfinden.“Was bedeutet das? Meint sie vielleicht, dass, wenn man es genauer betrachtet, der wesentliche Teil des Lebens eigentlich unverändert bleibt, obwohl es so aussieht, ob würde alles in der Postmoderne der Kompromisse und des Vergnügens verschmel-zen? Dass das Leben auf der Stelle tritt und dass man sich der Paradoxe und Widersprüche bewusst werden muss?

Ahns Tanz-ÄsthetikAhn Eun Me zeigte durch ihre Performance Synphoca Princess Bari - The Life im Jahr 2009 die Essenz ihrer Tanz-Ästhetik. Syn-phoca Princess Bari - The Life ist eine Verwandlung der mündlich überlieferten Geschichte der Prinzessin Bari, die als Ursprung des Schamanismus gilt, in eine zeitgenössische Performance-Kunst. Bei dieser Aufführung wurde Pansori (traditioneller epischer Sologesang) mit dem narrativen Schamanengesang, traditionellen Volksliedern und Tanz kombiniert. Der Begriff „Synphoca“, der auf „Synphonic Art“ zurückgeht und mit Wagners „Gesamtkunstwerk“ vergleichbar ist, stammt von dem so genannten „Renaissance-

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1~2 Szenen aus Louder! Can You Hear Me Ahn Eun Me ist die Tänzerin auf dem ersten Foto.

3~4 Vorstellung von Let Me Change Your Name

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„Es ist wichtig, den Boden der Gegenwart aufzuwühlen und einen erkenntnistheoretischen Schock zu versetzen. In meinen Worten: Jeder Moment ist ein Schlag! Die in einem kurzen Augenblick komprimierte Kraft kann den Zuschauer durch eine intensiv-angespannte Krise die Brust mit einem Schlag durchbohren und so öffnen. In diesem besonderen Moment entsteht eine geistige Energie.“

Man“ Park Yong-gu, dessen Leben fast ein Jahrhundert ostasia-tischer Geschichte umspannt.„Jesus lehrte, dass man dem, der Schuld auf sich geladen hat, selber erst vergeben soll. Der einzige Mensch, der diese Lehre umsetzen kann, ist die Schamanin. Eine Schamanin sucht weder die Herrschaft über ein Land noch die Macht, sondern sie lebt als Mutter aller Menschen, opfert für die Menschen ihre Liebe sowie ihr Leben und entscheidet sich für das Leben der Prinzessin Bari, die für ihre Eltern, die sie aus dem Palast verbannt hatten, ihr Leben hingab.“Was bedeutet der Schamanismus für Ahn Eun Me? Ahns Schama-nismus ist keine einfache kommunikative Handlung, bei der kleine Nachrichten ausgetauscht werden. Der gegenseitige Austausch von Zeichen durch Sprachen oder Bilder interessiert sie nicht. Das einzig Wichtige an ihrem Tanz ist die Öffnung der Welt der uner-klärlichen überirdischen Erfahrung. Im Schamanismus sind Him-mel und Erde sowie der Schamane, der die Kommunikation zwi-schen beiden vermittelt, die uns verloren gegangenen Elemente der flexiblen Intelligenz. Der Himmel bedeutet für sie „die krea-tive Dynamik“ und die Erde „das Gesamtfeld der Beziehungen“. Was denkt wohl Ahn, die das vibrierende Leben, das von der dyna-mischen Energie und der Ästhetik der Beziehungen gespeist wird, inszeniert?„Es ist wichtig, den Boden der Gegenwart aufzuwühlen und einen erkenntnistheoretischen Schock zu versetzen. In meinen Worten: Jeder Moment ist ein Schlag! Die in einem kurzen Augenblick komprimierte Kraft kann den Zuschauer durch eine intensiv-angespannte Krise die Brust mit einem Schlag durchbohren und so öffnen. In diesem besonderen Moment entsteht eine geistige Energie. Ich gehöre nicht zu den Choreographen, die von den mit dem Kopf zu kalkulierenden Bearbeitungsfähigkeiten leben.

Der eine Takt voller Dynamik, der mich niederschlägt, lässt die Menschen durch seine kommunikative Kraft das Aufwühlen des untersten Bodens des Lebens erfahren. Die Reaktion des Publi-kums ‚Ahn Eun Me hat mich wieder reingelegt!‘ dürfte keine ein-fache Rhetorik sein. Ich begegne immer wieder vielen Schwierig-keiten, weil eine Kommunikation durch Tanzen auch für mich eine komplizierte Welt ist, die über die Ebene der vereinbarten Zeichen hinausgeht. Die Sprache betrügt uns, aber man muss über diese grundlegende Dimension hinausgehen und Sprache verwenden. In solch schwierigen Momenten helfen mir meine spirituellen Freunde. In mir gibt es viele solche Freunde.“

Pläne für 2010Ahn Eun Me will in diesem Jahr durch Princess Bari - The Death das Leben aus einer neuen Perspektive betrachten, nämlich aus der des Todes. Durch ihre Performance will sie zeigen, wie Bari das Leben ihres Vaters rettet, sieben Söhnen das Leben schenkt, es erträgt, drei Jahre stumm und drei Jahre taub zu leben und das Schamanin-Werden durchlebt, das die Gleichheit aller Menschen und Nationen universal macht. Aber die Darstellung auf eine tief-gründige oder trockene Weise ist nicht Ahns Stil.„Das Werk basiert grundlegend auf der kindlichen Pietät. Gleich-heit oder Demokratie sind zwar auch mitschwingende Konzepte, doch ich werde alles mit comicartigen Fantasien bearbeiten. Ich stelle mir eine Performance vor, die unseren Geist durch einen Traum öffnet, von dem man hofft, dass er Wirklichkeit wird, auch wenn er nicht in dieser Welt wahr werden kann. Die Rolle der Bari wird eine 33 Jahre alte Frau, die einen zierlichen Körper wie ein kleines Mädchen hat, spielen. Sie ist eine sehr reine und nette, aber unberechenbare Person. Mit ihr als Prinzessin Bari kann das Publikum erleben, wie ein Engel herabsteigt. Ich habe vor, 6.000

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1, 3 Szenen aus Ahns Vorstellung Synphoca Princess Bari-The Life (2009)

2 Ahn Eun Me in einem aus Krawatten gefertigten Hochzeits-kleid in der Vorführung Chronicle of a Beautiful Dancer, die sie anlässlich ihrer Auszeichnung mit dem Nam June Paik Art Center Preis gab.

Menschen, die an Kleinwuchs leiden, einzuladen.“Sie hat auch vor, in Heidelberg ein neues Werk auf die Bühne zu bringen. Schon mit Let Me Change Your Name und Louder! Can You Hear Me war sie auf positive Resonanz beim deutschen Publi-kum gestoßen. Die Kunstkritikerin Annette Hoffmann beschrieb Ahns Werk Louder! Can You Hear Me als „ein vielversprechender Anfang von Ahn“. Und Ludwig Amman bewertete es wie folgt: „Es ist ein fantastisches Stillleben, das einen erstaunlichen Effekt hatte und schon ab dem ersten Moment das Publikum in seinen Bann zog. Es gab keine Sekunde Leerlauf.“Ahn Eun Me ist bekannt als eine Choreographin, die die Tänzer mit anspruchsvollem Tanz quält und die ihnen abverlangten körperlichen Kontorsionen als Kunstmotiv auf die Bühne bringt. Nicht nur von nicht-westlichen Tänzern, sondern auch von west-lichen Körpern fordert sie quälende körperliche Metamorphosen nach dem von ihr geliebten Prinzip der Kraft und Gegenkraft. Es ist erstaunlich, zu beobachten, wie sich der bescheidene Aus-druck, die Wahrheit des Körpers, in eine zeitliche und räumliche Faszination verwandelt.„Die Wahrheit bedeutet nicht, etwas ehrlich zu sagen, sondern über etwas hartnäckig nachzudenken, so lange, dass es einem schon zeitverschwenderisch erscheint. Bei der Überlegung setzt das Freudsche ‚Prinzip der Zeitlichkeit‘ ein und nach einer langen Zeit gelangt man schließlich zu ‚einer plötzlichen Erkenntnis‘. Das, was mit dem Schorf, mit der komprimierten Energie, die das Resultat hartnäckigen Überlegens ist, dargestellt wird - das ist mein Tanz.“

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ie Werkstatt des Jade-Kunsthandwerkers Kim Young Hee wird nur durch eine Plakette, die zu groß für ein Namensschild und zu klein für ein Aushängeschild ist,

ausgewiesen. Sonst gibt es nichts, was seine Werkstatt von den anderen Häusern, die sich entlang den wie feine Adern durch das Wohnviertel verlaufenden Gassen aneinanderreihen, unter-scheidet. Das zweistöckige Gebäude im Viertel Ganeung-dong in der Stadt Uijeongbu in der Provinz Gyeonggi-do besteht aus der Werkstatt des Kunsthandwerkers im Erdgeschoss und den pri-vaten Wohnräumen im ersten Stock. Anders als die Fassade, die keine besonderen Merkmale aufweist, so dass man das Gebäude für ein normales Wohnhaus halten kann, ist der Innenraum der rund 66-Quadratmeter-Werkstatt ein kleines Wunderland. Die Werkstatt unterteilt sich in vier Räume für die einzelnen Arbeits-schritte: Schneiden und Bearbeiten der Oberfläche der Rohsteine, Entwurf von elaborierten Designs, Herstellung von Metallguss-formen und kunsthandwerkliche Feinarbeiten. In den Räumen stehen an die 20 Werkbänke, die abgestimmt auf die Einzelar-beitsschritte eigens angeordnet sind. Auf den Werkbänken und an der Wand sind Hunderte von Werkzeugen und Instrumenten angehäuft.Anders als in einem modernen Betrieb, in dem Arbeitsteilung herrscht und jeder nur für seinen eigenen Arbeitsbereich zustän-dig ist, erledigen hier nur zwei Personen, Kim und sein Lehrling, alle Arbeitsschritte. Sie laufen zwischen den 20 Werkbänken hin und her und hantieren mit den Hunderten von Werkzeugen wie geschickte Fechtmeister. Kim Young Hee, Träger des Titels „Gyeonggi-do Immaterielles Kulturgut Nr. 18“ und Jade-Meister, wird als der einzige Kunsthandwerker Koreas geschätzt, der nicht nur in der Jade-, sondern auch in der Metallverarbeitung bewan-dert ist.

40 Berufserfahrung im Alter von 53 JahrenSchon seit der Bronzezeit wurden in Korea kunsthandwerklich

Jade ist ein Schmuckstein, der seit alter Zeit im asiatischen Kulturkreis äußerst geschätzt wird. In Korea, Japan und China glaubte man, dass man Katastrophen verhindern, die Gesundheit schützen und Wohlstand anziehen könne, wenn man Jade am Körper trüge oder in sei-nem Haus aufbewahre. Kim Young Hee ist der einzige Kunsthandwerksmeister Koreas, der nicht nur in der Jade-, sondern auch in der Metallverarbeitung bewandert ist.Park Hyun Sook Freie Schriftstellerin | Fotos: Ahn Hong-beom

Jade: eine Metapher für edle Menschen und Liebe

DKUNSTHANDWERKER

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Produkte aus Jade hergestellt. Die Tatsache, dass 68% der Aus-grabungsstücke aus dem Cheonmachong, der „Grabstätte des himmlischen Pferdes“ in Gyeongju aus dem Silla-Reich (676-935), Jade-Schmuckstücke sind, beweist die starke Vorliebe der Korea-ner für Jade. In der Vergangenheit waren Jade-Rohsteine schwer zu bekommen und daher sehr teuer. Darüber hinaus erforderten Jade-Produkte handwerkliche Techniken von hohem Niveau. Vor diesem Hintergrund hatte die Regierung die Zahl der Jade-Meister eingeschränkt, weshalb es nur wenige gab, die sich auf die Jadebearbeitung verstanden. Die Fertigung eines Jadepro-duktes umfasst eine Reihe von Arbeitsschritten, die vom Design über Schneiden und Formen bis hin zu Gravieren und Polieren reichen. Dabei kommt einem präzisen Design, das Form, Farbe und Körnung des Steins berücksichtigt, eine elementare Bedeu-tung zu. Da zudem zur Herstellung von Jade-Schmuckstücken die Jade-Rohlinge unter Einsatz von verschiedenen Werkzeugen wie

Metallsägen, Schleifmaschinen, Diamantmühlen u.ä. bearbeitet werden müssen, werden vom Kunsthandwerker nicht nur ein entsprechend hohes handwerkliches Geschick, sondern auch ein ausgeprägter Kunstsinn verlangt. Kim Young Hee ist darauf spezialisiert, aus Edelsteinen wie weiße und grüne Jade, Achat, Kristall und Bernstein Schmuckstücke und andere Accessoires herzustellen. Der 53-jährige Kunsthand-werker wurde im Alter von 48 Jahren zum Träger des Titels „Immaterielles Kulturgut“. Obwohl Kim mindestens zehn Jahre jünger als andere Träger dieses Titels ist, weist er hinreichend Erfahrung auf, weil er in diesem Jahr bereits auf vierzig Jahre Berufsleben zurückblicken kann: 1970 begann er im Alter von 13 Jahren die Technik der Schmuckherstellung zu lernen. „Ich bin in Hongseong in der Provinz Chungcheongnam-do auf-gewachsen. Als ich 13 Jahre alt war, ist meine Mutter gestorben und die wirtschaftlichen Verhältnisse meiner Familie verschlech-

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terten sich. Daher konnte ich nicht weiter auf die Mittelschule gehen, sondern zog mit meinem Vater und zwei Schwestern nach Seoul, um dort Arbeit zu finden. Ein Bekannter meines Vaters vermittelte mir die Stelle in der Schmuckwerkstatt von Meister Kim Jae-hwan, der damals zu den besten Schmuckherstellern Koreas gehörte. Ich war der Jüngste unter seinen Lehrlingen und arbeitete und lernte 19 Jahre lang unter seiner Aufsicht. Die Leute nannten Meister Kim ‚himmlischer Handwerksmeister‘, da er eine Fingergeschicklichkeit besaß, die ihm vom Himmel geschenkt worden zu sein schien. Er war wortkarg und etwas kauzig. Im Nachhinein denke ich, dass seine Art wohl Ausdruck seiner Veranlagung für präzises handwerkliches Schaffen war. Zwar hat er nie viel gesagt, aber ich kann mich noch deutlich an einige seiner Worte erinnern wie ‚Fang nicht mit einer Arbeit an, wenn du sie nicht von Vornherein perfekt machen willst‘, oder ,Versuch nicht, deine Fehler auszubessern, sondern fang wieder ganz von vorn an.‘“Der Volkskundler Ye Yong-hae (1929-1994), der den Begriff „Träger des Immateriellen Kulturgutes“ in Korea einführte, stellte in seinem Buch Trä-ger der Immateriellen Kulturgüter (Human Cul-tural Properties) Kim Seok-chang als letzten Palast-Schmuckhandwerker des Joseon-Reichs (1392-1910) vor. Kim Jae-hwan, der jüngere Bruder von Kim Seok-chang und Lehrer von Kim Young Hee, war handwerklich genauso begabt wie sein älterer Bruder. Kim Young Hee lobte seine Lehrlinge niemals und kritisierte ihre Arbeiten dermaßen schonungslos, dass sie vor Angst zitterten. Aber irgendwann begann er damit, seinen jüngsten Lehrling aufmerksam im Auge zu behalten und ihm kontinuierlich Aufgaben zu stellen. „Damals war ich ungefähr 24 Jahre alt. Mein Lehrer, der mich bis dahin mit unnachgie-biger Strenge behandelt hatte, zeigte plötz-

lich eine weichere Seite und schlug mir vor, eigenhändig Designs zu machen und mich an bestimmten Schmuckstücken zu probie-ren. Als ich ihm ein Stück, das ich auf Grundlage seiner Vorschlä-ge angefertigt hatte, zeigte, hat er es sich nur angeschaut und mir ohne auch nur ein Wort zu sagen eine weitere Aufgabe gegeben. So ging es eine ganze Weile weiter. Der Gesichtsausdruck, mit dem er meine fertigen Stücke schweigend inspizierte, war für mich ein Lob, das mir das Herz überfließen ließ.“

Zwei Hefte der InspirationIm Alter von 20 Jahren lernte Kim Young Hee von seinem Lehrer die Herstellungstechniken von traditionellen Schmuckstücken wie Norigae (Schmuckknotenanhänger), Jangdo (kleiner orna-mentaler Dolch), Binyeo (Chignon-Haarnadel), Garakji (Ring), Gakdae (Gürtel) und Tteoljam (ornamentale Haarstecknadel). Da erfüllte ihn der brennende Wunsch, noch mehr über die Welt der traditionellen Schmuckstücke zu lernen. Er suchte Museen, Buchhandlungen und Bibliotheken auf, um sich über Ursprung,

Geschichte und Arten der traditionellen Schmuckstücke zu

„Unsere Vorfahren glaubten, dass Jade die fünf Tugenden Güte, Gerechtigkeit, Weisheit, Tapferkeit und Entschlossenheit in sich birgt. Daher geben einige meiner Kunden bereits Jadeschmuck für die Hochzeit ihrer Kinder in Auftrag, wenn diese noch in die Oberschule gehen, und einige Großeltern bestellen Jade-Schmuckstücke für ihre Enkelkinder.“

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Diese kunstvoll gearbeitete Nadel gehört zu einer von Kim geschaffenen Nachbildung von Kopfschmuck, der einst von Kaisergemahlin Sunjeonghyo getragen wurde.

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informieren. Die verschiedenen Muster, die er bis dahin, wenn er sie in die Jade-Rohlinge eingravierte, nur für schö-ne Designs gehalten hatte, waren in Wirklichkeit voller Symbolgehalt – eine Erkenntnis, die sich ihm tief ein-prägte. „Damals habe ich gelernt, dass Sonne, Berge, Wasser, Felsen, Wolken, immergrüne Kiefer, Kraut der Unsterblichkeit, Schildkrö-te, Kranich und Hirsch die zehn Symbole der Langlebigkeit und Unsterblichkeit darstellen und die Vier Edlen Pflanzen (Sagunja), Pflaumenblüte, Orchidee, Chrysantheme und Bambus, für die Tugenden eines Gunja, eines edlen Gentleman, stehen. Darü-ber hinaus habe ich herausgefunden, dass Jade-Accessoires in bestimmte Sorten und Farben den sozialen Status ihres Trägers anzeigten. Sobald ich etwas Neues gelernt hatte, wollte ich noch etwas mehr im Zusammenhang damit erfahren. Die neuen Kennt-nisse weckten bei mir eine große Neugier.“Bis heute hat Meister Kim immer noch die Gewohnheit, jede Gele-genheit zum Lernen zu nutzen. Er recherchiert weiter, macht

sich Notizen in Heften und schlägt bei Bedarf darin nach. Wenn er etwas Näheres über eine Sache wissen möchte, sucht er jemanden, der ihm vielleicht helfen könnte, wie zum Beispiel einen Professor, der über das Jade-Handwerk forscht, einen

Maler der traditionellen Muster oder einen Mineralogen. Kim hat sein Notizheft immer dabei, damit er sich, sobald sich ein Anhaltspunkt zur Lösung eines Problems, mit dem er sich schon lange herumgeschlagen hat, ergibt, Notizen machen kann. Weil die Inspiration für ein Design in entspannten Momenten zu Hause sehr schnell kom-

men und dann blitzartig

wieder ver-schwinden kann,

liegen am Kopf des Bettes und auf dem Ess-

tisch immer Heft und Stift bereit. Je stärker seine Leidenschaft für das Jade-Kunsthandwerk wurde, desto dicker wurden auch seine Hefte.Zwar wurde Kim Young Hee zum Träger des Immateriellen Kul-turguts auf dem Gebiet der Jade-Schmuckstücke ernannt, aber sein Talent beschränkt sich nicht nur auf Schmuck, sondern erstreckt sich auf den breiten Bereich des Jade-Kunsthandwerks wie seine Werke Weißjade-Räucherkasten mit Pfingstrosen-Dekor, Tuschereibstein mit Lotosblumen-Dekor und Jade-Räuchergefäß belegen. Beim 24. Wettbewerb zur Übermittlung traditioneller Handwerkskunst im Jahr 1999 (24th Korea Annual Traditional Handicraft Art Exhibition) präsentierte Kim seine Grünjade-Schatulle mit doppeltem Wundervogeldekor, für die er mit einem Sonderpreis ausgezeichnet wurde. Es handelt sich um ein Schatullenset mit fünf kleineren Weißjade-Döschen in einer größeren Grünjade-Schatulle, deren Deckel zwei ausgeschnittene mythische Wundervögel zieren. In jüngster Zeit gelang es Kim als erstem Meister in Korea, Myeollyugwan, eine Zeremonialkrone von Königen des Joseon-Reichs, zu rekonstruieren. Für diese Arbeit verbrachte er drei Monate mit unermüdlichen Nachfor-schungen über Kronen und deren Herstellungstechniken. Darü-ber hinaus stellte er eine Replik der Rolle des Porträts des Jose-on-Königs Yeongjo her und bildete die Siegel von Königin Inhyeon

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1 Jadering mit modernem Touch. Kim hofft, durch die Kombination von Traditionellem und Modernem mehr Menschen die elegante Schönheit von Kunsthandwerksprodukten aus Jade näher bringen zu können. Die lange Chignon-Haarnadel ist mit exquisiten Schnitzereien von Aprikosenblüten und Bambusblättern geschmückt.

2 Der Deckel dieser grünen Jadeschatulle ist mit einem vollendet geschnitzten doppelten Wundervogel-

Dekor, Päonien, Ranken und Wolken geschmückt. In der Schatulle befinden sich fünf ele-

gante Döschen aus weißer Jade.

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und Königin Insun nach. Viele von Kim gefertigte traditionelle Schmuckstücke sind im Seokjuseon-Volksmuseum (Seo-kjuseon Memorial Folk Arts Museum) der Dankuk-Universität ausgestellt, nachdem sie bei der Ausstellung Traditionelle Klei-dung Nordkoreas (Traditional Clothing of North Korea), die in diesem Museum stattfand, zum ersten Mal präsentiert wurden. Die Nachbildung der Krone von Kaisergemahlim (1894-1966) Sunjeonghyo, die anlässlich des Koreabesuchs der britischen Königin Elisabeth II. angefertigt wurde, befindet sich derzeit im Besitz der britischen Königsfamilie.

Wertvoll wie JadeRund 30 Prozent seiner Arbeit besteht in der Restaurierung von Artefakten. Kim bezeichnet diese Arbeit als eine äußerst ehren-volle Tätigkeit für einen Kunsthandwerker. Bei der Wiederher-stellung eines jeden Stücks bewundert er die Kunsthandwerker von einst für ihren ausgeprägten ästhetischen Sinn und ihr kunsthandwerkliches Geschick. Da es sehr unterschiedliche Sorten von Jade und ein breites Spektrum an Härtegraden

gibt, ist es unbedingt erforderlich, den für den jeweiligen Gebrauchszweck richtigen Jadestein auszuwählen und fach-kundig zu bearbeiten. Das lässt ihn auch heute noch gegen drei Uhr früh aufwachen und die Ideen, die ihm im Schlaf gekommen sind, im am Kopfende bereit liegenden Heft notieren.„Unsere Vorfahren glaubten, dass Jade die fünf Tugenden

Güte, Gerechtigkeit, Weisheit, Tapferkeit und Entschlossenheit in sich birgt. Die Koreaner

versahen wertvolle und schöne Dinge mit dem Wort ‚Ok‘, das ‚Jade‘ bedeutet. Ein kleiner Junge

wurde ‚Okdongja‘ genannt und eine ‚lieblich-zarte Stimme‘ waren ‚Klänge

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1 Kopfschmuck von Sunjeonghyo, der Gemahlin von Kaiser Sunjong.

2 Der Gürtel eines Königs, gefertigt aus Holz, überzogen mit roter Seide und mit einer in gelbe Seide eingeschlagenen Wattierung. Der mit Gold eingefasste Dekor aus weißer Jade ist mit Drachenschnitzereien geschmückt.

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3 Kim schnitzt aufwändige Designs in ein Stück Koralle.

4 Dieser Anhänger in Form eines Schmetterlings ist die Nachbildung eines Originals, das einst der Gemahlin von König Yeongchin gehörte. Der schmetterlingsförmige Metalldekor ist auf einem Stück Jade angebracht und geschmückt mit Perlen, Korallen und dunkelgrüner Jade.

von Jadeperlen, die über einen Silberteller rollen‘. Der Körper von Königen wurde als ‚Okche‘ bezeichnet und sein Thron als ‚Okjwa‘. Die Koreaner favorisieren Weißjade, denn die weiße Farbe sym-bolisiert Reinheit und Rechtschaffenheit. Was Blau- und Grünja-de betrifft, so benutze ich Jadestein aus Myanmar. Wenn es um Weißjade geht, dann ist die aus Chuncheon in Korea von hoher Qualität.“Bis zur Joseon-Zeit konnten nur die Mitglieder der Königsfamilie und einiger adliger Familien Jade-Accessoires tragen. Daher wer-den Jade-Artikel, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden, als wertvoller Schatz angesehen. Wenn Kim Young Hee Menschen trifft, die ihm ihre Familienerbstücke wie Chignon-Haarnadeln, Jaderinge oder Schmuckknotenanhänger zeigen, dann erfährt er auch die schönen Geschichten, die mit diesen Schmuckstücken verbunden sind. „Ich habe festgestellt, dass die Jadeliebhaber eher die in der Jade enthaltene schöne Geschichte schätzen als den Stein an sich. Jade trägt die Liebe zur und die Versprechen gegenüber der Familie in sich. Nun kann ich verstehen, warum einige Kun-den Jadeschmuck für die Hochzeit ihrer Kinder anfertigen las-sen wollen, obwohl diese Kinder noch in die Oberschule gehen, und warum einige Großeltern mich damit beauftragen, für ihre Enkelkinder Jade-Schmuckstücke herzustellen. Solche Aufträge machen mir bewusst, dass die Jade-Schmuckstücke, die ich fer-tige, nicht einfach Gegenstände sind, sondern Gefäße, in denen Menschen, die so rein wie Jade sind, schöne Geschichten aufbe-wahren.“Als Kim gefragt wurde, ob es für ihn irgendjemanden, der so rein wie Jade ist, gebe, stellte er seine Frau Sin Ok-sun (49 Jahre) vor, die das Handwerk der traditionellen Schmuckknotenkunst Mae-deup lernte, um die ästhetische Qualität der Jade-Accessoires ihres Mannes zu unterstreichen. Das Ehepaar wählt zusammen

die Seidenfäden, die am besten zu einem bestimmten Jade-Stück passen, aus und Sin macht daraus Schmuckknoten. Ihre Knoten verleihen dem Kunsthandwerker, der nicht nur in der Jade-, son-dern auch in der Metallverarbeitung ein Meister ist, Flügel. Mei-ster Kim versucht manchmal, das Traditionelle und das Moderne miteinander zu verknüpfen, z.B. durch eine Brosche mit moder-nem Design und traditionellen Mustern. Das ist seine Herange-hensweise, Menschen, denen die traditionelle Kultur fremd und schwierig erscheint, mit ihr vertraut zu machen. Seine Kinder sind Ideenlieferanten für die Kreierung moderner Schmuckstücke: Die älteste Tochter studierte Metallverarbeitung und Schmuckdesign, der Sohn und die jüngste Tochter studieren jeweils Bildhauerei bzw. Modedesign. In Yejibang, der von Kim Young Hee betriebenen Galerie für Palastschmuck in Gwanhun-dong, Jongno-gu, Seoul, sind neben von ihm restaurierten Artefakten moderne Acces-soires wie Broschen und Halsketten ausgestellt.„Zwar gibt es eine koreanische Redewendung, die besagt, dass man Jade und nutzlose Steine unterscheiden soll, aber ich denke, dass selbst ein Stein in einen Edelstein verwandelt werden kann, wenn man ihn sorgfältig bearbeitet und poliert. Das gilt auch für unser Leben: Wenn wir uns bemühen, mit gutem Herzen unser Leben schön zu gestalten, dann glänzt das Leben wie ein wert-voller Edelstein.“In seiner Jugend, als Kim Young Hee nur eine Schüssel Ramen-Instantnudeln aß und sich von 09.00 Uhr bis 22.00 Uhr seiner Arbeit widmete, gab ihm der Anblick seiner vollendeten Werke die Hoffnung, dass seine Zukunft wie ein Schmuckstein strahlen würde, auch wenn das Leben jetzt hart sein mochte. Im Alter von 53 Jahren ist die Jadekunst für ihn während des Tages immer noch eine Quelle der Freude, während der Nacht eine Quelle des Traums und stets eine Quelle der Metaphern für alles Gute im Leben.

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MEISTERWERKE

Die Brücke Seungseon-gyo, die am Eingang des Tempels Seonam-sa über den Fluss führt, gilt in Bezug auf Ästhetik von Form und Struktur sowie Harmonie mit der natürlichen Umgebung als ein Meisterwerk der Gewölbebrücken. Buddhistische Mönche bauten sie aus natürlichem Felsgestein mit der geistigen Kraft der buddhi-stischen Lehre.

Cheon Deukyoum Professor für Architektur, Chonnam National University

Fotos: Seo Heun-kang

etritt man das Gelände des Tempels Seonam-sa im Bezirk Seungju-eup der Stadt Sun-cheon in der Provinz Jeollanam-do, kommen zwei schöne Gewölbebrücken in Sicht, die über das kristallklare Wasser, das das Tal des Berges Jogye-san herabfließt, führen. Die flußaufwärts gelegene, größere Brücke heißt Seungseon-gyo. Die Gewölbebrücke in

Korea-typischer Art wurde im Jahr 1707 von dem Mönch Yakhyu (Hoam Daesa) errichtet. Die im Jahr 1712 durch Hochwasser beschädigte und 1713 restaurierte Brücke wurde als Natio-nalschatz Nr. 400 registriert.

LegendeSeit alter Zeit gibt es über Flüssen am Haupteingang koreanischer Bergtempel in vielen Fäl-len eine Gewölbebrücke, die die beiden Seiten des Tals verbindet und auf Grund ihrer Bogen-form „Regenbogen-Brücke“ genannt wird. Im Buddhismus sind die säkulare und die heilige Welt durch den „Verbotenen Fluss“ voneinander getrennt und die Brücken spielen die wich-tige Rolle des Vermittlers zwischen diesen beiden Welten. Da die Brücken über Wasser, ein Symbol der Reinheit, führen, verbinden die Buddhisten sie auch mit der Bedeutung des Wegs in die heilige Welt: Beim Überqueren des reinen Wassers streift der buddhistische Gläubige alle weltlichen Unreinheiten ab, bevor er den heiligen Boden betritt.Die Errichtung der Brücke Seungseon-gyo wird mit folgender Legende in Verbindung gebracht: Der Mönch Yakhyu (Hoam Daesa) hielt mit dem Wunsch, den Bodhisattwa Avalo-kitesvara (Bodhisattwa des universellen Mitgefühls) zu sehen, eine 100 Tage lange Gebets-meditation. Als seine Gebete nicht erhört wurden, beschloss er in seiner großen Verzweif-lung, seinem Leben ein Ende zu setzen. Als er von einem Felsen in den Tod springen wollte, erschien plötzlich eine Frau, die ihn rettete und gleich wieder verschwand. Der Mönch war überzeugt davon, dass es sich um den Bodhisattwa Avalokitesvara handelte. Er errichtete nicht nur den Tempel Seonam-sa, wo in der Haupthalle eine Statue des Bodhisattwas zu sehen ist, sondern baute am Tempeleingang auch die reizvolle Regenbogen-Brücke.Die jährliche Durchschnittstemperatur in Seungju-eup, Stadt Suncheon, wo sich der Tempel

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Seungseon-gyo: eine Brücke zwischen der säkularen und der heiligen Welt

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Die Brücke Seungseon-gyo ist eine Gewölbebrücke mit nur einem Bogen. In der Bogenmitte befindet sich eine Steinskulptur in Form eines Drachenkopfes (Seite 55). Der Drache soll symbolisch vor Unheil schützen und für ein sicheres Leben sorgen.

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befindet, beträgt 14°C (57°F) und die Niederschlagsmenge etwa 1.500 ml. Der Tempel liegt aber weiter oben in den Bergen, wo die Niederschlagsmenge viel höher als in der niedriger gelegenen Ebene von Suncheon ist. Daher brauchte man unbedingt eine Brücke, wenn man über den wasserreichen Fluss zum Tempel hinaufsteigen wollte. Der Bau der Steinkonstruktion dürfte zwei-felsohne beträchtliche Mittel und auch ein hohes bautechnisches Know-how erfordert haben, weshalb man vermutet, dass davor eine einfache Holzbrücke über den Fluss führte.Früher musste man unbedingt die Seungseon-gyo überqueren, wenn man den Tempel besuchen wollte. Aber heutzutage gibt es zum Schutz dieser schönen historischen Brücke auf der rechten Seite einen neuen Weg, der zum Tempel führt.

Ästhetik und Bedeutung der BrückeDie Seungseon-gyo zählt zu den schönsten Gewölbebrücken in Korea. Ein Grund dafür ist, dass die von Menschenhand errichtete künstliche Bogenkonstruktion sich harmonisch in die natür-liche Umgebung einfügt und die behauenen Natursteine in ihrer Anordnung eine Form von hoher ästhetischer Ausdruckskraft bilden. Darüber hinaus sammelt sich das Wasser direkt unter der Brücke in einer Mulde, so dass es besonders still wirkt, was die Beschaulichkeit des Gesamtbildes weiter erhöht. Wenn sich der Brückenbogen im stillen Wasser darunter spiegelt, bilden die bei-den Bogenhälften einen perfekten Kreis.Fragt man nach den koreanischen Steinbrücken, so wird jeder als erstes ohne Zögern die Brücke Seungseon-gyo nennen, die für ihre magische Schönheit bekannt ist. Und auch die Umgebung zählt landschaftlich zu den reizvollsten Stellen des Tempels Seon-am-sa. Wirft man ein Stück flussabwärts durch das Brückenge-wölbe hindurch einen Blick hinauf zum Pavillon Gangseon-ru, tut sich ein Bild der perfekten Harmonie von Himmel und Fluss, Steinbrücke und Holzpavillon sowie geraden und rund geschwun-genen Linien auf.Bedenkt man, dass in der buddhistischen Tradition bei der Benennung von Bauwerken das Zeichen „seon“ (仙, taoistischer Eremit) nur selten verwendet wird, dann sind die Bezeichnungen „Seungseon-gyo“ (Brücke der taoistischen Eremiten), und „Gangseon-ru“ (Pavillon der taoistischen Eremiten) schon etwas Besonderes. Sie beschwören mit Bildern von herumwandelnden Einsiedlern eine taoistische Atmosphäre auf. Dieser mystische Zauber vermittelt das Gefühl, sich von der säkularen Welt in eine heilige Welt zu bewegen.Wie schon erwähnt, steht die Brücke Seungseon-gyo für den Übergang von der säkularen Welt zur heiligen. Der Weg, der sich von der einen Welt in die andere erstreckt, ist lang und mit vielen Anstrengungen verbunden. Aber auch, wenn der Weg, der zu Buddha führt, lang sein mag, so ist er doch voller Freude. Außerdem wird im Buddhismus der Bau einer Brücke, mit dem man seinen Mitmenschen in einem Akt der Nächstenliebe hilft,

das Wasser zu überqueren, als eine gute Tat betrachtet. Diese Geisteshaltung der Menschen, durch ihre Teilnahme am Bau im Schweiße ihres Angesichts eine gute Tat zu vollbringen, kommt in dieser stabilen und schönen Brücke zum Ausdruck.In Korea wurden Brückenprojekte auf staatlicher oder privater Ebene oder von buddhistischen Mönchen ausgeführt. Am Bau einer Steinbrücke von solch hohem bautechnischem Niveau wie es die Seungseon-gyo aufweist, nahmen besonders viele Mönche teil. Das gilt auch für die Gewölbebrücke des Tempels Heungguk-sa, der zur Stadt Beolgyo in der Provinz Jeollanam-do gehört. Nördlich der Seungseon-gyo befindet sich ein Denkmal zu Ehren der Mönche, die zum Bau der Brücke beigetragen haben. Das Denkmal gibt detaillierten Aufschluss darüber, wer die Brücke wann aus welchen Gründen gebaut hat und stellt damit ein wich-tiges historisches Zeugnis in Bezug auf die Geschichte der Brücke dar.

BaustilAn der Stelle, an der die Seungseon-gyo gebaut wurde, hat das Flussbett eine Breite von nur zehn Metern. Die große Gewölbe-brücke, die sich graziös über den Fluss spannt, hat einen Durch-messer von 8,8 Metern und ruht fest auf dem aus Granitgneiss bestehenden Flussbett. Der Gehweg auf der Brücke ist 3,6 Meter breit, so dass zwei in entgegengesetzte Richtung gehende Fuß-gänger bequem aneinander vorbei können. Der Gewölbebogen besteht aus rund 40 Steinen, insgesamt wurden für die Brücke etwa 140 Steine verwendet.In Korea gibt es zwar zahlreiche alte Gewölbebrücken, doch nur selten eine mit einer so großen Spannweite. Es wurde keine künstliche Basis für die Pfeiler gebaut, sondern das gewaltige Gewicht der Seungseon-gyo ruht allein auf dem natürlichen Gra-nitgneiss des Flussbettes. Das Naturgestein bildet ein optimal festes Fundament, das auch gewaltigen Fluten standzuhalten vermag. Der Bogen setzt direkt an diesem Fundament an und bildet mit einer leichten Abschrägung nach innen einen vollstän-digen Halbkreis. Exakt behauene Steinblöcke wurden ohne die kleinsten Zwischenräume in Halbkreisform aneinander gereiht, so dass sich das Gewicht des Oberbaus selbsttragend seitlich ver-teilt. Der Basisteil besteht aus großen Steinblöcken, während wei-ter nach oben gehend bis zur höchsten Stelle des Bogens kleinere Steine verwendet wurden. Auf beiden Seiten des Gewölbebogens schichtete man große und kleine Natursteine auf, so dass die beiden Seiten des Tals verbunden wurden. Die flache Oberfläche des Gehwegs besteht aus Geröll und Erde. Im Vergleich zu den traditionellen Steinbogenbrücken in China, deren Gehweg in steiler Rundung über den Fluss führt, wurde bei koreanischen Gewölbebrücken die Bequemlichkeit der Fußgänger vorrangig berücksichtigt und die Gehwege flach gestaltet. Beachtenswert ist, dass in der Mitte des Halbkreises ein kleiner Stein von beson-derer Form herausragt, der in geometrischer Hinsicht den Mas-

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senschwerpunkt der Konstrukti-on bildet. Der Stein hat die Form eines Drachenkopfs, der als Sym-bol des Vertreibers böser Geister die Brücke vor Unheil schützen soll. Der Drachenkopf steht für den Wunsch der Erbauer, dass die Brücke sicher sein möge und die Menschen, die über sie von der Welt des Schmerzes in die heilige Welt Buddhas eintreten wollen, geschützt und aufgenom-men werden mögen.Sechzig Meter weiter flussab-wärts gibt es noch eine weitere Bogenbrücke, die Haseungseon-gyo genannt wird. Es handelt sich um eine kleinere und einfachere Brücke, bei der man den Bogen auf natürlich aus dem Boden herausragenden Gestein aufbaute. Sie befindet sich zwar im selben Kulturschutzgebiet wie die Seongseon-gyo, ein National-schatz ist sie jedoch nicht.

SteinbogenkonstruktionDie Steinbogen-Konstruktionstechnik der Gewölbebrücken, die ursprünglich aus Rom stammt, soll über Persien nach China gekommen sein. Es gibt zahlreiche historische Steinbogenkon-struktionen auf der Welt wie zum Beispiel die Hängenden Gärten von Babylon oder die römischen Aquädukte. Es wird vermutet, dass die mit dieser Bautechnik konstruierten Gewölbebrücken in Asien dann von China über Korea nach Japan gebracht wurden. Man nimmt an, dass diese Technik auf der kroeanischen Halbin-sel im Zeitalter des Silla-Reichs (57 v. Chr.–668 n. Chr.) aus dem chinesischen Tang-Reich (618-907) eingeführt und seitdem im Brückenbau eingesetzt wurde.Die frühesten Aufzeichnungen zum Brückenbau in Korea finden sich in Samguksagi (1145), der Chronik der Drei Königreiche. Berichtet wird über den Bau der Brücken Judae-gyo (414) und Ungjin-gyo (498) in Pjöngjang. Es handelt sich jedoch um Anmer-

kungen genereller Natur, die keinen Aufschluss über Material und Form der Brücken geben. Die ältesten der bis heute erhal-tenen Steinbrücken befinden sich im Tempel Bulguk-sa und wurden 751 errichtet. Sie hei-ßen Cheongun-gyo, Baegun-gyo, Yeonhwa-gyo und Chilbo-gyo. Cheongun-gyo und Baegun-gyo sind zwar keine Brücken, die über Wasser führen, sie zählen jedoch zusammen mit der Seung-seon-gyo zu den bekanntesten Gewölbebrücken des Landes. Im Bergtempel Bulguk-sa befin-den sich viele Buddha-Hallen auf einem hohen Steinunterbau.

Um in die Hallen zu gelangen, baute man auf der östlichen und südlichen Seite Steintreppen auf Gewölbestützen, die jeweils Cheongun-gyo und Baegun-gyo sowie Yeonhwa-gyo und Chilbo-gyo heißen. Cheongun-gyo und Baegun-gyo sind Gewölbestützen, die zum Tor Jahamun, das zur Haupthalle führt, leiten und die Verbindung zwischen der säkularen Welt und der heiligen Welt Buddhas symbolisieren.Auf der Welt gibt es zahlreiche schöne historische Bogenbrücken. Je nach Region weisen sie große Unterschiede in Stil und Kon-struktionsmethode auf. Sie weisen hinsichtlich der Größe und der tektonischen Ausgewogenheit Merkmale auf, die sie voneinander unterscheiden. In Korea gibt es zwar viele verschiedene Brücken-arten einschließlich einfacher Balkenbrücken, bei denen lange Steinquader aneinandergefügt sind, aber die Gewölbebrücken verfügen über den besonderen Reiz der Schlichtheit hinsichtlich ihrer dynamischen Struktur sowie ihrer Form. Vor allem gilt die Seungseon-gyo, die aus schwer per Hand zu bearbeitenden Steinen gebaut ist, als ein Meisterwerk der Gewölbebrücken. Sie sticht nicht nur in Bezug auf Größe und Linienführung, sondern auch auf strukturelle Ästhetik sowie Einklang mit der natürlichen Umgebung hervor.

Wirft man ein Stück flussabwärts durch das Brückengewölbe hindurch einen Blick hinauf zum Pavillon Gangseon-ru, tut sich ein Bild der perfekten Harmonie von Himmel und Fluss, Steinbrücke und Holzpavillon sowie geraden und rund geschwungenen Linien auf.

© Kwon Tae-kyun

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KUNSTKRITIK

Ein neues Zuhause für Koreas zeitgenössische Kunst: das Nationalmuseum von Seoul

as Nationalmuseum für Zeitgenössische Kunst (MOCA), quasi der Haupttempel der zeitgenössischen koreanischen Kunst, liegt wie eine alte Festung neben dem Zoo in Gwacheon in der Provinz Gyeonggi-do. Diese abgelegene Lage erschwert den Bürgern

den Zugang zum Museum, was immer wieder als Problem angemerkt wurde. Ein Kunstmu-seum sollte eigentlich leicht erreichbar sein, aber das MOCA existiert als ein fremder Ort, dessen Besuch nur mit einigem Planungsaufwand möglich ist. Da die Lage des Museums eigentlich besser für ein Forschungsinstitut oder ein Labor geeignet ist, haben einige sogar vorgeschlagen, dass das MOCA und eine Wissenschaftsstiftung in der Seouler Stadtmitte, die nicht unbedingt auf eine zentrale Lage angewiesen ist, einfach ihre Standorte miteinander tauschen.

Das neue Museumsgelände in SeoulDie Kunstkreise Koreas haben schon seit langem das Gelände des ehemaligen Hauptquar-tiers des militärischen Sicherheitsdienstes (HDSC) und des Militärhospitals im Seouler Bezirk Sogyeok-dong als möglichen Standort für eine Seouler Niederlassung des MOCA im Auge gehabt. Die Befürworter argumentierten aus der Hoffnung, dass die Eröffnung eines neuen Museums für zeitgenössische Kunst in Sogyeok-dong, in der Nähe von Samcheong-dong, einem Viertel mit einer hohen Konzentration an Galerien, das ganze Gebiet in ein neues kultu-relles Zentrum und eine wahrhafte Promenade der Kunst verwandeln würde. Die koreanische Regierung gab 2009 bekannt, auf dem Gelände des HDSC eine Seouler Niederlassung des MOCA einzurichten. Das MOCA, das letztes Jahr sein 40. Gründungsjubiläum feierte, veran-staltete vor Beginn der eigentlichen Bauarbeiten vom 22. Oktober bis zum 6. Dezember die Ausstellung Anbruch einer neuen Ära (Beginning of a New Era), aus deren Anlass das alte militärische Hauptquartier der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.

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Das wertvollste Ergebnis, das die koreanische Kunstwelt im letzten Jahr hervor-brachte, ist, dass das Nationalmuseum für Zeitgenössische Kunst (National Muse-um of Contemporary Art; MOCA) das Gelände für eine Niederlassung im Stadtzen-trum Seouls sicherstellen konnte. Das Museum, das provisorisch „Nationalmuseum von Seoul“ (National Museum of Seoul) genannt wird, soll im Jahr 2013 auf dem Gelände des ehemaligen Hauptquartiers des militärischen Sicherheitsdienstes (Defense Security Command; HDSC) und des Militärhospitals (Armed Forces Ge-neral Hospitals) im Seouler Stadtbezirk Sogyeok-dong seine Tore öffnen. Es wurde mit einer Ausstellung unter dem Titel Anbruch einer neuen Ära (Beginning of a new Era) der Öffentlichkeit zum ersten Mal vorgestellt.Chung Jae Suk Reporterin, Kulturabteilung der Tageszeitung Jungang-ilbo

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1 Für sein Werk Glückliche Revolte ließ Lim Ok-sang zahlreiche Polizeischilde, alle in Pink, an der Fassade des Gebäudes anbringen.

2 Die Ausstellung wurde mit Engelsoldaten eröffnet, einer Performance von Lee Yong-baek

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Raum mit Schatten der GeschichteDie Ausstellung Anbruch einer neuen Ära stellte die Räumlichkeit des Gebäudes an sich, das man nur mit großen Schwierigkeiten hatte gewinnen können, in den Mittelpunkt. Was für ein Ort war das HDSC? Das Hauptquartier war Operationszentrum eines militärischen Organs, dessen Aufgaben zwar militärische Sicher-heit und Gegenspionage waren, das aber auch heimlich illegale Befragungen der Demokratiekämpfer, die als Bedrohung für das damalige Militärregime des Landes betrachtet wurden, durch-führte. Das HDSC ist Denk- und Mahnmal der modernen kore-anischen Geschichte, das an die dunklen Zeiten der ehemaligen Militärdiktatur erinnert. Als Präsident Park Chung Hee, der ab 1961 mit eiserner Faust regiert hatte, am 26. 10. 1979 von seinem Geheimdienstchef erschossen wurde, wurde er sofort ins Militär-hospital, das auf dem Gelände des HDSC war, gebracht und dort aufgebahrt. Vor diesem historischen Hintergrund war die Aus-stellung, die erstmals das von hohen Mauern umgebene Gelände den Bürgern zugänglich machte, eine große Sensation. Der bis dahin verschlossene Raum, der die Schmerzen der modernen Geschichte Koreas in sich trägt, verwandelte sich in einen offenen Raum, der für alle Bürger da ist. In dieser Hinsicht war der Titel dieser Ausstellung Anbruch einer neuen Ära eine passende Wahl.Die Besucher betraten die Ausstellungshalle mit dem neugie-rigen Gefühl, die Schwelle zu etwas zu überschreiten, dem man sich in der Vergangenheit nicht nähern durfte. Das galt auch für die Künstler, die hier ihre Werke ausstellten. Dieser Ort war kein normaler Ausstellungsraum mit weißen Wänden und hohen Decken. Besucher und Künstler begaben sich auf das lange verboten gewesene Terrain, das noch die Spuren der vor Jahr-zehnten hier stationierten Truppen und den Atem der Soldaten in sich barg. Da gab es nicht nur den Geruch von Gewehren und Eisen, sondern auch das Stöhnen derer, die unter dem autori-tären Regime gelitten hatten. Die quadratischen oder rechte-ckigen Büros an sich wirkten bereits wie eine autoritäre Macht, die Menschen zu würgen vermag. Die leeren Innenräume, aus denen man alle Installationen herausgerissen hatte, sahen trost-los aus. Trotzdem geht von den Räumen, die lange für militä-

rische Zwecke genutzt worden waren, eine überwältigende Kraft aus: Das Gebäude an sich wirkt wie ein Werk der Installations-kunst, das eine gewaltige Kraft verströmt. In diesem Raum, der schon selbst eine Show darstellt, inszenierten die Künstler dann eine weitere Schow.

Ein zukunftsorientierter BlickDie Ausstellung bestand aus drei Teilen: Museumsprojekt: Für ein neues Kunstmuseum (Museum Project: For a New Art Muse-um), für das die Künstler die Sammlung des MOCA nutzten und MOCA-Stücke mit ihren eigenen Werken in Verbindung brachten; Raumprojekt: Ein Neubeginn für die Kunst! (Space Project: The New Beginning of Art!), für das das HDSC-Gebäude umgestaltet und umfunktioniert wurde, um die räumliche, geschichtliche, gesellschaftliche und materielle Bedeutung des Geländes in den Mittelpunkt zu rücken; Dokumentarprojekt (Documentary Pro-ject), das den Prozess der Verwandlung dieses Raums von einem verschlossenen Raum der ehemaligen Machtelite zu einem offenen Raum für alle Bürger dokumentierte.Interessanterweise wurden einige Räume, die früher für ver-schiedene Zwecke als Büros genutzt worden waren, als Solo-Ausstellungsräume für einzelne Künstler verwendet. Das vermittelte eine gänzlich andere Atmosphäre als bei normalen Ausstellungen, bei denen riesige, offene Ausstellungshallen mit Trennwänden aufgeteilt werden. Das Publikum folgte den Pfeil-markierungen auf dem Korridorboden und schaute von einem Ausstellungsraum in den nächsten. Man hatte den Eindruck, das Echo der Schritte der Menschen, die einst hier gelaufen waren, zu hören. Dort, wo die im Laufe der Zeit verloren gegangenen See-len, nein, Gespenster herumirren, wagten die Künstler mit ihren innovativen Werken jetzt den Versuch eines neuartigen Dialogs.Der Titel der Eröffnungsperformance von Medienkünstler Lee Yong-baek, die im Auditorium des HDSC stattfand, war Engelsol-daten (Angel Soldiers). 100 kräftige junge Männer in militärischen Tarnuniformen mit Blumenmuster wurden zwischen den tausend und abertausend Blumen selbst zu Blumen. Diese Uniformen waren mit den Namen berühmter Künstler versehen wie dem

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des renommierten koreanischen Videokünstlers Nam June Paik und des Avantgardekünstlers John Cage. Leben und Tod sowie Frieden und Krieg wurden auf den Körpern dieser Engelsoldaten zu Eins. Die Kampfsoldaten, die sich getarnt hatten, um nicht vom Feind entdeckt zu werden, versteckten sich gleichsam in den Blu-men. Mit dem Titel Engelsoldaten bringt der Künstler mit geist-reicher Schärfe seine Verdammung der Gewalt zum Ausdruck.Bei Vorstellung vom dreidimensionalen Raum (Imagining Three Dimensional Space) von Jheon Soo-cheon fühlte man sich, als läse man ein Epos. Jheon setzte sieben Räume ein, mit denen er seine Geschichten erzählende Installationskunst präsentierte. Er rekonstruierte die Einrichtung des Arbeitszimmers eines Kom-mandeurs und verfolgte so die Spuren der Zeit. Im Duschraum floss Wasser herunter, als würde der Kommandeur jeden Moment auftauchen, und die Toilette erinnerte unheimlicherwei-

se an die Albträume der Folter. Auf der Fläche des Betts, das das breite Schlafzimmer einnahm, wurde eine abgeschmackte ero-tische Szene gezeigt, und aus dem Lautsprecher der Telefonzen-trale kamen Geräusche, die darauf hindeuteten, dass Gespräche abgehört wurden: Reale und zugleich fantastische Geschichten, die die repressive Vergangenheit, die nur noch in der Vorstellung existierte, künstlerisch vergegenwärtigten.Lim Ok-sang nutzte das Gebäude der Militärfahrer als Stoff für sein groß angelegtes Kunstwerk. In Zusammenarbeit mit Archi-tekten installierte er am ganzen Gebäude Schilde, und zwar rosa Schilde. Der Titel Riot Felice (Glückliche Revolte), ein Wortspiel auf „Riot Police“ (Einsatzpolizei), war ziemlich provokativ und machte aus einem männlichen Raum einen weiblichen Raum. Die an ein Bordell erinnernde Innenausstattung ließ das Publi-kum daran denken, dass das Leben sich in einem ständigen Kreis

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1 Für die Sicherheit der Nation von Kim Taejun thematisiert Übergriffe wie Überwachung und Einschüchterung, mit denen die autoritären Regime der Vergangenheit die Öffentlichkeit mundtot zu machen pflegten.

2 Sublimität–Der Raum Heterotopia von Kang Airan ist eine Installation, die zur Interaktivität auffordert: Die Betrachter werden dazu ermutigt, eins der vor dem Raum zur Schau gestellten Bücher in die Hand zu nehmen.

3 Achtung von Kim Ji Min: Runde, mit konvexen Linsen bedeckte Gesichter stehen für die Begierden des Menschen in einer materialistischen Welt.

4 1025: Mit oder ohne Herrchen von Yun Suknam präsentiert 1.025 hölzerne Figuren von ausgesetzten Hunden.

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bewegt, wie es im Volksmund heißt.Die unbegrenzte Vorstellungskraft junger Künstler kann die Welt mit einem einzigen Werk auf den Kopf stellen. So durchbrach z.B. Kim Ki-ra energisch gesellschaftliche Konventionen. Ihr beson-deres Interesse gilt gesellschaftlich Marginalisierten und Minder-heiten, für die sie eintritt. In Coca Killer stellte sie durch Coca Cola, die „Ikone“ der Massenkonsumgesellschaft, die von der Logik des Marktes getriebene, weltumspannende Propaganda der kapita-listischen Gesellschaft sarkastisch dar. Ihr Werk provozierte zur Frage an die Besucher, ob sie auch nach dessen Betrachtung noch weiterhin Cola trinken würden, ein Getränk, das Kim als hochgradig süchtig machend und damit die Gesundheit der Welt-bevölkerung gefährdend darstellte.

Beginn einer neuen ÄraWelche Botschaft vermittelte die Ausstellung Anbruch einer neuen Ära, an der 63 Künstler von etablierten Veteranen bis hin zu jungen Neulingen teilnahmen? Die Installationskunst von Park Yong-seok Auf ein Wiedersehen im neuen Gewand (See You Again in the Newer Appearance) brachte die Wünsche der Öffentlich-

keit mit Satire zum Ausdruck. Fluoreszenzlampen, die im HDSC-Gebäude gesammelt worden waren, wurden auf dem Boden auf-gestapelt und erhellten das Untergeschoss. Als Begleitmusik lief Florescent Lamp von Choi Tae-hyun. Die alten Fluoreszenzlam-pen, die einst die Büros des HDSC erhellt hatten (Vergangenheit), und die, die jetzt den leeren Raum, der sich gerade im Wandel zum Kunstmuseum befindet (Gegenwart), erleuchteten, waren sowohl identisch als auch völlig anders. Was für eine Zukunft beleuchteten die Lampen? Der Künstler zeigte metaphorisch, dass der Raum als Museum, das die Bürger mit Freude genießen können, der Öffentlichkeit zurückgegeben wird.Der weitläufige Ausstellungsraum quoll über vor Kunstwerken. Es war eine Ausstellung der Superlative, für die ein Besucher mit Audioguide über zwei Stunden brauchte, um sich alle Kunstwerke anzuschauen. Anbruch einer neuen Ära ist vergleichbar mit einem gut sortierten Geschenkset, das die zeitgenössische Kunst, ange-fangen von den abstrakten Werken der informellen Kunst der 1970er Jahre bis zum Single Channel Video in den 2000er Jahren, in komprimierter Form präsentierte. Das veranlasste die Besu-cher auch dazu, auf die Vergangenheit des militärischen Sicher-

Die Ausstellung Anbruch einer neuen Ära ist vergleichbar mit einem gut sortierten Geschenkset, das die zeitgenössische Kunst, angefangen von den abstrakten Werken der informellen Kunst der 1970er Jahre bis zum Single Channel Video in den 2000er Jahren, in komprimierter Form präsentierte. Das veranlasste die Besucher auch dazu, auf die Vergangenheit des militärischen Sicherheits-dienstes, der zum rasanten Wirtschaftswachstum Koreas „beitrug“, zurückzublicken.

1 Waffe, Bakterien, Stahl von Choi Jeong Hwa besteht aus Hunderten von in bunten Phosphorfarben gehaltenen Plastikkörben, die auf der Dachterrasse des ehemaligen Hauptquartiers des militärischen Sicherheitsdienstes aufgestapelt sind. Wer über dieses Werk hinaus auf das benachbarte Umfeld schaut, dem fällt sofort der nahe gelegene Königspalast Gyeongbok-gung ins Auge.

2 Über W, Über X, Y, Z von Won Dayeon zeigt Stühle aus Holz und mit Plastik ummanteltem Kabel, auf denen die Besucher Platz neh-men können.

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heitsdienstes, der zum rasanten Wirtschaftswachstum Koreas „beitrug“, zurückzublicken. Es wurde zudem deutlich, wie hart die letzten 40 Jahre für alle waren, wie sehr sie sich anstrengen mussten.Wenn die Besucher müde vom Betrachten der vielen Werke für eine kleine Rast aufs Flachdach des Gebäudes stiegen, begrüßten sie frischer Wind, ein weiter Blick nach draußen und ein Kunstwerk von Choi Jeong Hwa, einem Einzelgänger in der koreanischen Kunstwelt. Für Choi sind Markt-plätze Stoff seiner künstlerischen Inspiration, wobei er geistig anspruchslose Stoffe zu niveauvollen macht. Auch diesmal nutzte er billige Plastikkörbe, sein Lieblingsmaterial. Sein Motto heißt: „Was ist schon Kunst? Das, was ich tue, ist Kunst“. Er verachtet Kunst, die in keinerlei Verbindung zum Leben steht. Waffe, Bakte-rien, Stahl (Gun, Germs and Steel), ein Werk, für das er Hunderte von hellroten und gelben Plastikkörben aufeinander stapelte,

ließ den Besucher den in der Ferne liegenden Berg Inwang-san aus einer anderen Perspektive betrach-ten und machte den Königspalast Gyeongbok-gung zum Privatgarten. Dass die Besucher auf dem HDSC-Gebäudedach die schöne Aussicht genießen können, ist denen zu ver-danken, die sich geopfert haben. Die Bedeutung der Umfunktionierung des militärischen Hauptquartiers in

ein Kunstmuseum beschränkt sich nicht allein auf die Änderung des Nutzungszwecks. Es ist auch Manifestation des Wirklichkeit gewordenen Traums der mutigen Seelen, die sich für die Demo-kratisierung der Gesellschaft geopfert haben. Sollten diese Seelen in diesem Sinne nicht die ersten sein, die zur Eröffnung des MOCA Seoul eingeladen werden? Man erwartet, dass das neue Museum Werke zeigen wird, die ihrem Kampf und ihren Träumen gerecht werden.

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3 Das Fossil der Angst von Ahn Kyuchul

4 Erinnerungen an den Wind; wolken-gleiche Szene von Kim Yun soo

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Im Leben ergeben sich manchmal gerade dann Chancen, wenn man es am wenigsten erwartet. Im Frühling 2008 erfuhr ich, dass die Koreanische Pädagogische Abteilung der Seoul Nationaluniversität eine feste Stelle für Korea-nisch als Fremdsprache ausgeschrieben hatte, die mit einem Ausländer besetzt werden sollte. Ich bewarb mich, bekam die Stelle und kehrte im September 2008 wieder nach Korea zurück. Die Rückkehr war für mich ein großer und zugleich glorreicher Schritt. Ich war wieder zu Hause, wirklich zu Hause. Und dann war da die Sprache. Mehr noch, als Koreanisch neu zu lernen, genoss ich, die Sprache als ein Insider, als ein Teilnehmer am Universitätsle-ben, zu lernen.

Robert J. Fouser Professor für Koreanisch als Fremdsprache, Seoul National University

Fotos: Ahn Hong-beom

Wie bin ich hierher gekommen?

KOREA ENTDECKEN

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u findest dich selbst in einem anderen Teil der Welt wie-der, [...] und du fragst dich vielleicht, [...] ‚Wie bin ich hierher gekommen?‘“ Es ist nicht leicht, diese 1980 in dem Song

Once in a Lifetime der berühmten Gruppe Talking Heads gestellte Frage zu beantworten. Aber in meinem Fall ist es nicht schwer auf die Frage „Wie sind Sie nach Korea gekommen?“, die mir oft von Koreanern gestellt wird, zu antworten. Die Antwort lautet nämlich: wegen der Sprache und der Kultur. Wie das Yin und Yang in der asiatischen Philosophie sind die Sprache und die Kultur Koreas ein untrennbares Paar, das mich an diesem Land fasziniert. In den vergangenen Jahren hat mich das eine mal stärker angezogen als das andere und meine Beziehung zu Korea in drei distinktive Pha-sen geteilt: Student, Beobachter und Teilnehmer.

Korea in den 1980er JahrenDie erste Phase, die Studentenzeit, begann im Sommer 1982 mit meinem Besuch in Japan. Zu dem Zeitpunkt studierte ich an der Universität von Michigan Japanische Sprache und Literatur. Wäh-rend meines Japanaufenthaltes fuhr ich, wie andere Studenten auch, mit der Fähre von Shimonoseki nach Busan und verbrachte eine Woche in Korea, wo ich mit dem Zug von Busan nach Seoul reiste. Ich freute mich, dass ich in den koreanischen Zeitungen einige der chinesischen Zeichen entziffern konnte. Auch erfuhr ich, dass es für Koreaner leicht ist Japanisch zu lernen. Damals klang die koreanische Sprache sehr schön in meinen Ohren.1983, als ich mich dem Abschluss meines Studiums näherte, war mein Interesse am Koreanischen noch nicht verschwunden und ich beschloss, vor dem Magisterstudium nach Korea zu gehen und für ein Jahr einen Sprachkurs zu besuchen. Von der korea-nischen Botschaft in Washington erfuhr ich, dass zwei Universi-täten Koreanischkurse anbieten, nämlich die Seoul Nationaluni-versität und die Yonsei Universität. Heutzutage haben Interessier-te eine weit breitere Auswahl. Ich entschied mich für die Seoul Nationaluniversität und lernte ein Jahr lang intensiv Koreanisch. Meine Japanischkenntnisse erleichterten mir das Lernen, da die Satzstruktur in beiden Sprachen ähnlich ist und jeweils viele Wör-ter chinesischen Ursprungs vorkommen. Nach einem Jahr konn-te ich mit einem einigermaßen fließendem Koreanisch wieder in die USA zurückgehen.Nach dem Magister im Fach Angewandte Linguistik beschloss ich, in Korea als Englischlehrer zu arbeiten, um die koreanische Sprache und Kultur näher kennen zu lernen. Japan befand sich damals in einem Boom, was ein dementsprechend gutes Arbeitsumfeld versprach. Doch ich war ganz auf Korea fixiert. Ich habe sieben Jahre lang Englischunterricht gegeben, zunächst bei den koreanischen Streitkräften, dann am KAIST (Korea Advanced Institute of Science and Technology) und anschließend an der Korea Universität, bevor ich 1993 das Land verließ, um zu promo-vieren, was keine einfache Entscheidung für mich war.Wenn ich mich an die damalige Zeit erinnere, dann waren es die Spontaneität im Alltagsleben und die Dynamik der sich schnell wandelnden Gesellschaft, die mich faszinierten. Wenn ich mor-gens aufstand, konnte ich nie genau voraussagen, was ich gegen 17 Uhr tun würde. Die koreanische Gesellschaft befand sich in den 1980er Jahren in einem tiefgreifenden Transformationspro-zess: Sie veränderte sich von einer sturen nationalistischen Dikta-tur zu einer demokratischen Gesellschaft. Die Wirtschaft gewann an Fahrt und das ganze Land sah aus wie eine einzige Großbau-stelle, da man sich auf die Olympischen Sommerspiele 1988 in

Wie bin ich hierher gekommen?

Professor Robert J. Fouser bemerkte: „Jeder Tag brachte neue Entdeckungen für mich, da ich mit einer Welt völlig neuer Wörter und Ausdrücke in Berührung kam.“

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Seoul vorbereitete. Die Liberalisierung von Auslandsreisen und Auslandsstudium führte dazu, dass die Koreaner fremde Kul-turen kennen lernten und gleichzeitig die koreanische Kultur wie-derentdeckten. Es war also eine Zeit des kulturellen Erwachens. Die 1980er waren geprägt von der so genannten 386-Generation, also der Generation, die damals in den 30ern war, in den 1980er Jahren studierte und in den 1960ern zur Welt gekommen war. Es war die erste Generation von Koreanern, die die japanische Kolonialherrschaft, Koreakrieg und Nachkriegselend nicht mehr am eigenen Leibe erfahren hatte. Damals herrschte eine antia-merikanische Stimmung, die jedoch auf mich persönlich kaum Auswirkungen hatte. Auch verstand ich dieses Phänomen als Nebenerscheinung des Demokratisierungsprozesses und des wiedererwachten kulturellen Bewusstseins. Ich war zu dieser Zeit noch ein Student, der die koreanische Kultur und Sprache lernen wollte und neugierig war, wie sich Korea in diesem Strudel des Wandels künftig weiterentwickeln würde.

Eintauchen in die koreanische Kultur1993 nahm ich mein Promotionsstudium am Trinity College in Dublin auf. Meine Rolle als Beobachter beginnt ab dieser Zeit. Mein Kontakt zu Korea bestand weiter in Form von E-Mails (damals noch eine vergleichsweise seltene Kommunikationsme-thode) und Zeitschriftenabonnements. Nach meinem Studium in Irland konnte ich an einer japanischen Universität eine Stelle als Dozent für Englisch bekommen, was es erleichterte, Kontakt zu Korea zu halten. Aus nicht genau bestimmbaren Gründen – womöglich wegen meines Aufenthalts in Irland und Japan – entwickelte ich ein großes Interesse an koreanischer Kunst und Literatur. Vielleicht war es auch deshalb, weil beides von außer-halb einfach zu beobachten war. Oder vielleicht habe ich die Dyna-mik der koreanischen Kunst und Literatur bereits empfunden, bevor „Dynamic Korea“ zum Schlagwort wurde. Wie dem auch sei, damals habe ich jedenfalls viele journalistische Beiträge wie Zeitungsartikel, Kunstkritiken usw. verfasst, dazu eine wöchent-liche Kolumne, die von 1996 bis 2002 in der englischsprachigen koreanischen Tageszeitung Korea Herald erschien. Mein tiefstes Eintauchen in die höhere koreanische Kultur stellte jedoch meine Übersetzung der von Kim Heung-gyu, einem renommierten Pro-fessor für klassische koreanische Literatur an der Korea Univer-sität, verfassten Einführung in die koreanische Literatur dar, die unter dem Titel Understanding Korean Literature erschien.

Der Internetboom, das Wunder der schnellen Überwindung der Wirtschaftskrise 1997-1998 und der aufregende Erfolg der Fußballweltmeisterschaft 2002 waren für mich Manifestationen derselben Spontaneität und Dynamik Koreas, die mich bereits 1980 fasziniert hatten. 1997 machte die Wahl von Kim Dae-jung zum Präsidenten das Ausmaß des Wandels deutlich: Als ich 1983 Korea zum ersten Mal besuchte, lebte Kim Dae-jung im Exil; aber

Es kam ihm vor, als wäre er heimgekehrt, als Fouser im Jahr 2008 nach Korea zurückkam und nach den alten Läden und Restaurants in seinen Erinnerungen suchte.

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nur 14 Jahre später – keine besonders lange Zeit für einen poli-tischen Kampf – wurde er bei einer demokratischen Präsident-schaftswahl zum Staatsoberhaupt gewählt. Ich konnte die ersten Ansätze für die Korea-Welle Hallyu entdecken, die darin begrün-det ist, dass Korea den Wandel von einem „Rezipienten fremder Kulturen“ zu einem „Produzenten der Kultur“ geschafft hat, was historisch gesehen ein seltener Fall ist. Inmitten all der Schlagzei-len über das politische und wirtschaftliche Auf und Ab schälte sich eine Gesellschaft heraus, die stabiler und gesünder als zuvor war.

Als Insider Koreanisch lernenDa sich mein Aufenthalt in Japan ins erste Jahrzehnt des neuen Millenniums hinein erstreckte, wurden meine Beiträge über Korea weniger, was mich etwas unruhig machte. Außerdem verlor der Englischunterricht für mich als Dozenten mittleren Alters an Reiz. Ich wurde von einem Gefühl der Dringlichkeit ergriffen, schaute mit nach etwas Neuem um und fand das Unwahrscheinliche: eine Stelle für Koreanischunterricht. Im Jahr 2006 stellte mich die Kagoshima-Universität ein, um ein koreanisches Sprachprogramm auf den Weg zu bringen und universitätsintern e-Learning zu entwickeln. Dies brachte mich in meiner beruflichen Laufbahn, die bis dahin auf das Unter-richten von Englisch fokussiert gewesen war, auf Neuland und stellte den Beginn der dritten Phase meiner Beziehung zu Korea, der Phase als Teilnehmer, dar. Das Koreanisch-Sprachprogramm war wie eine Show, die ich selbst moderierte. Die Arbeit war sehr aufregend: Ich entwickelte das Curriculum selbst, wählte die Lehrbücher aus, stellte eine Teilzeitlehr-kraft ein und bestellte Bücher für die Bibliothek. Ich kann mich immer noch gut an die prickelnden Momente erinnern, wenn ich bei Konferenzen für den Koreanischunterricht eintrat. Kore-anisch auf Japanisch zu unterrichten war am Anfang etwas eigenartig, aber ich gewöhnte mich schnell daran. Die beiden Sprachen sind ähnlich genug, um leicht von der einen in die andere zu wechseln und manchmal vergaß ich sogar, welche Sprache ich gerade sprach. Nachdem die koreanische Sprache seit Beginn der 1990er Jahre etwas in den Hintergrund gerückt war, trat sie nun wieder in den Vordergrund.Im Leben ergeben sich manchmal gerade dann Chancen, wenn man es am wenigsten erwartet. Im Frühling 2008 erfuhr ich, dass die Koreanische Pädagogische Abteilung der Seoul Nationaluni-versität eine feste Stelle für Koreanisch als Fremdsprache ausge-

schrieben hatte, die mit einem Ausländer besetzt werden sollte. Zukünftige Lehrer und Forscher für Koreanisch als Fremdspra-che zu unterrichten war eine natürliche Fortsetzung meiner Arbeit in Kagoshima. Ich bewarb mich, bekam die Stelle und kehrte im September 2008 wieder nach Korea zurück. Die Rückkehr war für mich ein großer und zugleich glorreicher Schritt. Ich war wieder zu Hause, wirklich zu Hause. Viele Restaurants und Läden, in die ich früher oft gegangen war, waren verschwunden, aber die Straßen waren mir immer noch vertraut. Auch bekam ich wieder Kontakt zu meinen alten Freunden und Studenten, so dass das erste Jahr eine ausgedehnte Party zur Feier meiner Rückkehr war. Wenn in Kagoshima manchmal sprachliches Durcheinander geherrscht hatte, weil ich Koreanisch auf Japanisch unterrichtet hatte, so brachte mich das Leben in Korea in zeitliches Durch-einander. Manchmal kam es mir so vor, als hätte ich Korea nie verlassen, als wäre meine 15-jährige Abwesenheit nur ein langer Urlaub gewesen.Und dann war da die Sprache. Jeder Tag brachte neue Entde-ckungen, ich traf auf eine völlig unbekannte Welt neuer Wörter und Ausdrücke. Was ich neben der Tatsache, Koreanisch wieder neu zu lernen, genieße, ist, dass ich es jetzt als Insider, als Teil-nehmer am Universitätsleben, lernen kann. Ich berate Studenten, bewerte Magister- und Doktorarbeiten, nehme an den Abteilungs-konferenzen der Professoren teil, beantrage Forschungsgelder – und das alles auf Koreanisch. Es ist eine ganz neue Welt für mich. Und das Lernen geht immer noch weiter, jeder Tag bringt neue Erlebnisse.Trotz all dieser Änderungen und neuen Entdeckungen war ich erstaunt darüber, wie doch alles gleich geblieben ist: Die Sponta-neität und die Dynamik der koreanischen Gesellschaft, die mich als Student und dann als Beobachter faszinierten, gibt es immer noch. Die koreanischen Studenten sind immer noch höflich, und der Durchschnittskoreaner hat immer noch seine großen und kleinen Träume. Jeder Tag hält neue Überraschungen für mich bereit und vieles, was zum Nachdenken anregt. Wenn ich von der Veranda meines Hauses in Nuha-dong, nahe dem Palast Gyeong-bok-gung, auf Seoul blicke, dann sehe ich die Stadt mit ihrem liebenswerten Patchwork aus dynamischen, chaotischen und attraktiven Seiten, und bin gespannt, was für Überraschungen mir das Leben künftig noch bringen wird. Meine Koreareise wird sich fortsetzen und ich bin davon überzeugt, dass ich mich nie langwei-len werde.

Im Jahr 2006 stellte mich die Kagoshima-Universität ein, um ein koreanisches Sprachprogramm auf den Weg zu bringen und uni-versitätsintern e-Learning zu entwickeln. Dies brachte mich in meiner beruflichen Laufbahn, die bis dahin auf das Unterrichten von Englisch fokussiert gewesen war, auf Neuland und stellte den Beginn der dritten Phase meiner Beziehung zu Korea, der Phase als Teilnehmer, dar.

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Bae Bien-U hat in Seoul den Königspalast Changdeok-gung und in Spanien die Stadburg Alhambra, die zum Weltkultur-erbe gehört, im Auftrag der spanischen Regierung fotografiert. In Gyeongju machte er Schwarz-Weiß-Fotos von Japa-nischen Rotkiefern und auf der Insel Tahiti nahm er prachtvolle farbenfrohe Blumen und Bäume auf. Er sagt, dass 2010 zwar Europa der Hauptort für seine künstlerischen Aktivitäten sein werde, dass aber das Motiv, dem er sich bis zum Schluss immer wieder zuwenden möchte, das Meer seiner Heimat sei.

Yoon Seyoung Chefredakteurin, Monatszeitschrift für Fotokunst SajinYesul

AUF DER WELTBÜHNE

Tuschebilder aus Fotos: die malerische Fotowelt von Bae Bien-U

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Bilder aus der Kiefernserie, Baes Markenmotiv.

010 wird Europa die Hauptbühne für Baes künstlerisches Schaffen sein. Seine Kiefernfotos werden im kommenden Sommer auf Plakaten und Postkarten der Salzburger Fest-

spiele erscheinen und im Rahmen der Festspiele auch auf einer Ausstellung zu sehen sein. Im November werden seine Werke in Paris ausgestellt. Außerdem unterrichtet er dieses Jahr an der Universität Zürich in der Schweiz als Gastprofessor.Seine Kunstwerke werden seit Ende der 1990er Jahre auch im Ausland ausgestellt. In den letzten Jahren hat er mehr Soloaus-stellungen in ausländischen Städten wie New York, Paris, London, Zürich, Berlin oder Madrid gemacht als in Korea. Die Tatsache, dass internationale Museen wie das Contemporary Arts Museum in Houston, das Museum of Contemporary Photography in Chi-cago und das National Museum of Modern Art in Tokio sowie Sol LeWitt´s Collection, Elton John´s Collection und Sisley Collection Werke von Bae in ihrem Besitz haben, belegt, dass er heute ein Künstler von internationalem Rang ist.

Das Auge der HorizontalenIm November 2009 war in der Seouler Zweigstelle Deoksugung des Nationalmuseums für Zeitgenössische Kunst eine Großaus-stellung von Bae Bien-U zu sehen. Der Veranstalter beschrieb die Ausstellung als „einen Rückblick auf die Kunstwelt von Bae Bien-U, der das Wesen der Objekte erfasst und zum Vorschein bringt und daraus malerische Fotografien macht“. Gezeigt wur-den 97 repräsentative Kunstwerke, darunter Fotos von verschie-denen Landschaften wie dem Meer seiner Heimat, Kiefern, die parasitischen Vulkankegel (Oreum) der Insel Jeju-do mit ihren zarten Linien, die für die koreanischen Bergkämme typisch sind, der Garten des aus der Joseon-Zeit stammenden Königspa-lasts Changdeok-gung mit seiner Harmonie der natürlichen und künstlichen Schönheit sowie die Stadtburg Alhambra in Spanien. Das Museum bewertete Baes Kunstwelt wie folgt: „Seine Kunst bietet Zeitgenossen aus aller Welt eine quasi formative Sprache, die es ermöglicht, trotz der Unterschiede von historischem und kulturellen Hintergrund auf der Grundlage des für Korea charak-teristischen ästhetischen Empfindens miteinander zu kommu-nizieren. Seine Großausstellung, die sein Potential voll offenbart, wird beim Publikum die Erwartung in Bezug auf seine grenzüber-schreitende Schaffenstätigkeit erhöhen.“Der besondere Reiz von Bae Bien-Us Fotos liegt darin, dass sie feminine Feinheit und maskuline Kühnheit gleichzeitig in sich bergen. Selbst wenn Bae in seinem Werk in die endlose Weite des Meeres eintaucht, vergisst er dabei nicht die Faszination für eine einzige Blume oder einen Baum. Gerade wegen dieser Doppel-bödigkeit - großangelegt im Format, aber feinfühlig und meta-phorisch im Ausdruck - lassen seine Werke Männlichkeit und Weiblichkeit gleichzeitig empfinden. An der Stelle, wo sein grund-ehrlicher Charakter, der ihn die Dinge unverblümt verbalisieren lässt, und seine Sensibilität, die auch auf kleinste Details reagiert, sich treffen, verwandeln sich die Kiefernbäume, das Meer, die Blumen auf der Insel Tahiti und die streng-würdevollen Gebäude

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1 Fotos aus Baes Meeresserie zeigen die Landschaften in der Nähe seiner Heimatstadt Yeosu.

2 Bae bemerkte einmal: „Die Kamera ist der Pinsel der Moderne.“

des Jongmyo-Schreins aus der Joseon-Zeit in einmalige Kunstwerke.Der Bildhauer Kim Jong-gu, Kunstprofessor an der Ewha Frauenuniversität in Seoul, erklärt, warum die Landschaften von Bae Bien-U über Asien hinaus auch die Menschen in westlichen Ländern ansprechen, mit dem „Auge der Horizonta-len“. Das Auge der Horizontalen bedeutet Frieden. Die Kiefern oder das Meer von Bae Bien-U erscheinen friedlich, kräftig und voller Tiefe. Es gibt viele Fotografen, die Landschaftsfotos schießen, aber die Schönheit und die Tiefe der Stille und des Schweigens in seinen Fotos ist es, die die Herzen der Menschen aus aller Welt zum Mitschwingen bringt.

Meer und KiefernBae Bien-U ist sowohl in Korea als auch international als Kiefernfotograf bekannt, doch er betrachtet das Meer als Alpha und Omega seiner Fotos und nicht die Kiefer. Bae, 1950 in der Stadt Yeosu in der Provinz Jeollanam-do geboren, malte schon seit seiner Grundschulzeit sehr gerne und studierte später Visuelles Design an der Hongik Universität in Seoul. Während des Studiums empfahl ihm ein befreundeter älterer Studienkollege, Fotografie zu lernen und alsbald begeisterte er sich fürs Fotografieren, das seine Wanderlust befriedigte und seinem Leben eine neue Richtung gab.„In meiner Kindheit habe ich das Meer gemalt, weil ich damals noch keinen Foto-apparat hatte. Man könnte also sagen, dass ich schon in der ersten Klasse mit meinen Meeresfotos angefangen habe. Das Meer ist für mich Heimat, Inspirati-on und der Ort, an dem ich mich am wohlsten fühle. Das Motiv, das ich bis zum Schluss aufnehmen möchte, ist das koreanische Südmeer, also das Meer meiner

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Heimat.“Der Vielreiser Bae war schon an mehreren schönen Küsten der Welt wie denen des Mittelmeers. Bei jeder Reise finde er jedoch die Einzigartigkeit des korea-nischen Südmeers bestätigt und er verspüre den Drang, die originäre Schönheit des Südmeers der Welt vorzustellen. „Wenn ich am Meer, das sich vor der Stadt Yeosu erstreckt, stehe, bekomme ich gute Laune, auch wenn ich keine Fotos mache.“ Bae fügt noch hinzu, ihm reiche bereits zum Glücklichsein, auf einer der kleinen Inseln im Südmeer noch eine der dort endemischen Kamelien oder eine Kiefer zu entdecken und betrachten zu können.Entgegen seinem dynamisch wirkenden Äußeren liebt Bae Pflanzen mehr als Tiere. Er erzählt von seiner Afrika-Reise, dass er den Reiseführer gebeten habe, ihn nicht mit auf Safari zu nehmen, sondern in den Wald und dass ihn dort beim Fotografieren v.a. die Baobabbäume sehr beeindruckten. Er liebt das Weideland, die Bäume und Blumen. Seine Fotos erzählen viel von Pflanzen, zum Beispiel von den Kiefern in der Stadt Gyeongju, von den pflanzenbewachsenen Vulkankegeln auf der Insel Jeju-do oder vom Wald auf Tahiti. Daher bat ihn auch die spanische Regierung, die sich auf Grund seiner Ausstellung im Thyssen-Bornemisza Muse-um in Spanien (2006) für seine Kiefernfotos interessierte und ihm den Auftrag gab, die spanische Stadtburg Alhambra zu fotografieren, die Kameralinse nicht nur auf die Gebäude von Alhambra, sondern auch auf den Garten zu richten.In seinen Fotos ist die Schönheit der traditionellen koreanischen Tuschebilder zu spüren. Die Licht-Schatten-Intensität der Tusche wird dabei durch eine Schwarz-Weiß-Graduierung ersetzt, und die Einteilung des Raums durch Linien sichert die Ästhetik der Leere. Die Äste der Kiefern durchkreuzen das Bild in geraden und

3 Foto vom Meer vor Tahiti; aus Baes Meeres­serie.

4 Foto aus Baes Serie vom Tempel Hyangiram. Während der Arbeit an diesem Projekt legte Bae jeden Tag die rund 20km von seinem Haus zum Tempel zu Fuß zurück.

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70 Koreana | Frühjahr 201070 Koreana | Winter 2009

Sein Tipp für gute Fotos lautet: „Viel fotografieren!“ Auf die Frage, warum er, nachdem er bereits 25 Jahre lang Kiefernbäume fotografiert habe, immer noch Kiefern aufnehme, antwortet er: „Die Kiefern, die ich heute fotografiere, sind nicht mehr dieselben wie damals und auch ich bin nicht mehr der junge Fotograf von damals.“

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gebogenen Linien, doch die starke Botschaft des Fotos geht nicht von den kräftigen Ästen aus, sondern von den leeren Räumen zwischen den Ästen, die eine mystische Atmosphäre schaffen, als stiegen die Geister des Waldes wie Nebel auf. Genauso ist es auch bei den Fotos von den Vulkankegeln und denen vom Meer. Die Stelle, an der die runden Linien der Vulkankegel gleich einer unbestimmbaren Sehnsucht oder einem Traum, den man erfüllen möchte, an den Himmel grenzen, ist ein nicht ausge-füllter – aber deshalb trotzdem kein leerer – Raum der Leere. Bae Bien-Us Fotos, die das feine künstlerische Empfinden der traditionellen Tuschebilder, in deren Mittel-punkt der ausgesparte Raum der Leere steht, verkörpern, ziehen nicht nur in Korea, sondern auch im Ausland Aufmerksamkeit auf sich.

Endloses FotografierenIm Vergleich zu seiner Anfangszeit als Fotograf vor 30 Jahren erlebt Bae heute zwar eine ihm damals unvorstellbare, goldene Zeit. Doch an ihm ist keinerlei Aufregung oder Schwankung zu erkennen. Sein Leben als Fotograf fing einfach aus Interesse und Lust an. Als er seine Kiefern fotografierte, konnte er sich nicht vorstellen, dass ein Foto später für mehr als 100 Millionen Won (etwa 62.700 Euro) verkauft werden würde. Zu seinen Fans und Sammlern seiner Werke gehören die Geschäftsfüh-rer internationaler Marken-Konzerne wie Sisley, Mango oder Cartier. Im Juni 2009 schenkte der koreanische Präsident Lee Myung-bak auf dem amerikanisch-korea-nischen Gipfeltreffen seinem Amtskollegen Barack Obama die Fotosammlung von Bae Bien-U The Beauty of Korea. Seine Fotos sind heute eine überall verständliche universale Sprache geworden.Bae führt seinen Erfolg nicht nur auf seine Bemühungen zurück. Er erklärt, dass irgendwann der Zeitpunkt komme, zu dem das Koordinatensystem der Welt mit dem eigenen übereinstimme, wenn man wie er 30 Jahre lang beharrlich seinen Weg gehe. Er meint, wenn man sich darum kümmere, seine eigene Kunstwelt weiterzuentwi-ckeln, ohne den aktuellen Trends zu folgen, dann komme irgendwann der Moment, an dem der Zyklus der Welt mit der eigenen Kunstwelt synchron sei. Sein Erfolg von heute sei nur einer dieser Momente, der jederzeit wieder vergehen könne. Aber das sei für ihn nicht weiter wichtig, denn unabhängig davon, wie die Welt seine Werke bewerte, werde er seine Arbeit, die er liebt, fortsetzen.„Ich glaube, es wird ein Ende für meine Fotos geben, wenn ich meine Südmeer-Auf-nahmen abgeschlossen habe. Ich weiß nicht, wie lange ich noch fotografieren werde, aber ich schätze mal, ich kann wenigstens noch zehn Jahre an meinen Meeresfotos arbeiten.“Seit 30 Jahren lehrt er am Seoul Institute of the Arts und betont: „Es gibt keine Abkürzungen. Es gibt nur eins, nämlich unbedingt sein Bestes zu tun. Wenn man sein Bestes gibt, findet man dort auch seinen Weg.“ Alles steht in Relation zur Zeit, die man investiert. Es gibt kein Geheimrezept. Sein Tipp für gute Fotos lautet: „Viel fotografieren!“ Diese einfache Wahrheit ist vielleicht eine Art Eigenindoktrination. Trotz seines dichten Zeitplans, der mit zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland sowie Vorlesungen überfüllt ist, fotografiert Bae pausenlos. Auf die Frage, warum er, nachdem er bereits 25 Jahre lang Kiefernbäume fotografiert habe, immer noch Kie-fern aufnehme, antwortet er: „Die Kiefern, die ich heute fotografiere, sind nicht mehr dieselben wie damals und auch ich bin nicht mehr der junge Fotograf von damals.“Genau so ist es mit dem Meer. Das Meer liegt immer noch dort, wo es war, aber es ist nicht dasselbe Meer. Es sieht am Morgen und am Abend anders aus und verändert sich je nach Jahreszeit. Auch wenn das Meer unverändert bleiben würde, wäre doch der Blick von Bae heute anders als gestern. Das ist der Grund, warum er endlos foto-grafiert.

1 Foto aus Baes Tahiti­Serie

2 Ein Beispiel aus Baes Oreum­Serie

3 Foto des Pavillons Buyong­jeong aus Baes Changdeokgung­Palast­Serie

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UNTERWEGS

Daejeon, eine Stadt, deren Name „großes Feld“ bedeutet, liegt im Zentrum der wichtigen Autobahn- und Bahnnetze, die das Land überziehen. Die Stadt ist umgeben von elf niedrigen Bergen und seit langem be-rühmt für die nahe gelegenen heißen Quellen von Yuseong. Aber heutzutage hat sich ihr Image als Stadt der Bildung und der Forschung fest etabliert.

Kim Hyungyoon Essayist | Fotos: Ahn hong-beom

Daejeon: eine Stadt der langsamen Lebensart

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Der Historische Park Uam am Fuße des Berges Gyejok­san zollt dem hochgeehrten konfuzianistischen Gelehrten Song Si­yeol aus der Joseon­Zeit Tribut, der sich hier seinen Studien zu widmen pflegte. Zum Park gehört ein Gartenbereich von stilvoller Eleganz, wo er seinen Gedanken nachhing oder sich einfach in der ruhigen Atmosphäre entspannte.

Leb wohl, ich gehe jetzt,Ohne Abschied zu nehmen.Der erste Zug von Daejeon geht um 00:50. In dieser stillen Nacht, in der alles schläft.Wer hätte gedacht, dass ich alleine laut herausschreien würde.Ah…der Regionalzug nach Mokpo fährt immer weiter.

Mit diesen Versen beginnt das Lied Daejeon Blues. Daejeon Blues ist ein Pop-Klassiker, der seit seiner Ersterscheinung im Jahr 1959 ein halbes Jahrhundert lang immer wieder gespielt und gesungen wurde. Selbst musikalische Analphabeten wie ich, die kaum eine Note halten können und sich damit begnügen, im Hin-tergrund zu tanzen, wenn sie von Freunden ins Karaoke (Norae-

bang) geschleppt werden, kennen den Text dieses Songs. Daher ist es schwer vorstellbar, dass ein Daejeoner dieses Lied nicht auswendig kennen würde. Der Daejeon Blues, der immer wieder zur Anfeuerung im Stadion gesungen wird, wenn die Hanhwa Eagles, die Baseballmannschaft der Stadt, ein Heimspiel haben, symbolisiert Daejeon in verschiedener Hinsicht.

Berge und Flüsse: von Langsamkeit geprägtDaejeon ist eine Bahnstadt. Es liegt im Zentrum des Transport-netzwerks, das die verschiedenen Ecken des Landes miteinan-der verknüpft. Insbesondere verlaufen die Gyeongbu-Linie und Honam-Linie, die beiden längsten Bahnlinien, die zahlreiche Regionen Koreas miteinander verbinden, durch Daejeon. Der

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Daejeon Blues erzählt von jemandem, der sich davonschleicht und nach Mokpo fährt, der Endstation der Honam-Linie. Die Gyeongbu-Linie von Seoul nach Busan, wurde im Jahr 1904 fer-tiggestellt und der Bau der Honam-Linie, die Daejeon mit Mokpo verbindet, wurde zehn Jahre später im Jahr 1914 beendet. Aber nicht nur die Bahnlinien, sondern auch die wichtigen Autobahn-strecken Koreas, die das Land von Norden nach Süden und von Osten nach Westen durchziehen, verlaufen durch Daejeon. Dadurch ist die Stadt zu einem Dreh- und Angelpunkt von Verkehr und Transport geworden.Die Provinz Chungcheong-do, in der sich Daejeon befindet, ist bei den Koreanern als „Region der langsamen Menschen“ bekannt. Es ist die Heimat sanft-freundlicher Menschen, die sich beim Sprechen und Handeln Zeit lassen, und die auch nicht leicht in Wutausbrüche oder Aufregung geraten, während die Menschen in der weiter südlich gelegenen Provinz Gyeongsang-do so impulsiv-hastig sein sollen, dass man kaum zehn Minuten nach dem Ken-nenlernen bereits das ganze Wesen seines Gegenübers kennen soll. Diesen Menschen von Gyeongsang-do werden daher oft die von Chungcheong-do zum Vergleich gegenüberstellt. Die den Menschen von Chungcheong-do eigene Disposition zur Gemäch-lichkeit wird in Daejeon Blues gut zum Ausdruck gebracht. Zunächst hat das Lied an sich eine langsame und schleppende Melodie. Es erzählt von jemandem, der weggeht, ohne Abschied nehmen zu vermögen, während jemand anders allein und laut weinend im Dunkeln zurückbleibt, ohne den Weggehenden anfle-hen zu können, doch zu bleiben.In Daejeon ist sogar die Natur von freundlicher Sanftheit. Die Felder sind weitläufig und umgeben von nicht so hohen Bergen mit sanft geschwungenen Bergrücken. Durch die Mitte der wei-ten Ebenen von Daejeon fließen drei Flüsse: der Daejeon-cheon, der Yudeung-cheon und der Gap-cheon. Sie alle fließen von Nord nach Süd und münden schließlich in den Fluss Geum-gang.Bei Einbruch der Dämmerung ging ich am Ufer des Flusses Gap-cheon spazieren und wanderte, bis es dunkel wurde. Ich spazierte über die gepolsterte Oberfläche der Gehwege und durchquerte offene Grünflächen. Ich sprang auch von einem zum anderen der im breiten Flussbett liegenden Trittsteine, um von einem Ufer zum anderen zu kommen. Viele Menschen waren genau wie ich draußen unterwegs, gingen spazieren, joggten oder fuhren mit

dem Rad an mir vorbei. Aber die Uferanlagen waren breit genug, um so viel Publikumsverkehr aufnehmen zu können, und still. Ein junger Mann mit einer Angel in der Hand näherte sich mit großen Schritten dem Wasser und warf in der Dunkelheit seine Angel aus.Am nächsten Tag ging ich den Fluss Yudeung-cheon entlang spa-zieren. Es war ein friedlicher und angenehmer Spaziergang. Es ist eine der Freuden, die Daejeon zu bieten hat, dass es in der Nähe des Stadtzentrums solch ruhige Ufergebiete gibt. Ich war bereits einige Male in Daejeon gewesen, aber da es sich um Arbeitsreisen gehandelt hatte, hatte ich mich nur im Stadtzentrum aufgehalten. Diesmal hatte ich mich entschlossen, mir die Zeit zu nehmen, in aller Ruhe die natürliche Umgebung zu erkunden. Daher warf ich auch einen Blick auf die Berge, während ich die Ufer entlang schlenderte. Erst jetzt wurde mir richtig bewusst, dass diese auf einer weiten Ebene gelegene Verkehrsdrehscheibe Koreas von elf Bergen umgeben ist. Aber sie sind alle vergleichsweise niedrig und erreichen nicht mehr als eine Höhe von 400 oder 500 Metern. Der Berg Jangtae-san, der westlich von Daejeon liegt, ist sogar nur 374 Meter hoch. Es scheint, dass die hiesigen Berge den Ein-heimischen ähneln, die niemals auf den Gedanken kämen, ihren Mitmenschen das Leben schwer zu machen.Ich besuchte den Berg Gyejok-san (429m) östlich der Stadtmit-te. Der Name bedeutet „Hühnerfußberg“. Er heißt so, weil die einzelnen Bergkämme sich wie die Zehen von Hühnerfüßen in verschiedene Richtungen erstrecken. Nach einer Legende sind die Regentropfen, die nach einer Dürreperiode fallen, die Trä-nen, die der Berg weint. Auf dem Gipfel gibt es eine Festung. Sie soll im sechsten Jahrhundert während der Silla-Zeit gebaut worden sein, es gibt aber auch Behauptungen, dass sie aus dem Baekje-Reich (18 v. Chr.-660 n. Chr.) stammt. Jedenfalls wurde sie noch im Goryeo-Reich (918-1392) und danach in der Joseon-Zeit (1392-1910) bis ins 19. Jahrhundert als militärische Anlage genutzt. Steigt man von der halben Höhe des Berges zwanzig Minuten lang den steilen Weg entlang hinauf, kommt man zur Festung auf dem Gipfel, der von einem Wall aus aufeinander gestapelten Steinen umgeben ist. Der Blick von der Festung aus zeigt deutlich, dass der Berg zwar niedrig, aber von beeindru-ckendem Umfang ist: Die Bergrücken erstrecken sich tatsächlich wie Hühnerzehen in alle Richtungen.

1 Der Daejeoner Hauptbahnhof. Der Hochgeschwindigkeitszug KTX (Korea Train Express) hält 50 Mal pro Tag auf seinen Fahrten von und nach Seoul in Daejeon. Die Fahrt in eine Richtung dauert etwa 60 Minuten.

2 Das Gapcheon­Gebiet ist bei den Einwohnern von Daejeon beliebt wegen seiner Wassersportmöglichkeiten.

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Eigentlich hatte ich nur auf den Berggipfel klettern und wieder heruntersteigen wollen. Aber die sich hin und her windenden Bergrücken lockten mich und das blaue Wasser des Sees Daecheong-ho, der vom Osttor-Platz der Festung aus zu sehen ist, schien mir zuzuwinken. Der Pfad durch den Wald war ange-nehm. Bei breiten Bergpfaden, auf denen zwei oder drei Personen nebeneinander gehen können, neige ich immer zur Vorsicht, um nicht mit jemandem, der aus der Gegenrichting kommt, zusammenzustoßen. Der hiesige Pfad war zwar breit genug für eine Person, aber zu schmal für zwei, daher mussten alle im Gänsemarsch hintereinander laufen. Alles war angenehm. Das einzige Manko war, dass es an Weggabelungen entweder keine Hinweisschilder gab, oder, wenn einmal ein Wegweiser dastand, die Erklärungen eher verwirrend denn hilfreich waren. Darüber hinaus sind die Hinweisschilder meist nur in Koreanisch gehal-ten, wo doch auch ausländische Besucher die Gelegenheit haben sollten, diese schönen Bergpfade bequem zu genießen.Ich wanderte vom Berggipfel den östlichen Weg entlang zum Daecheong-ho und gelangte zu einer freien Ebene vor dem See. Da die Mittagszeit schon vorbei war, war ich hungrig. Jedoch

waren keine Raststätten am Fuße des Berges zu sehen. Ich musste also noch etwas meinen knurrenden Magen ertragen, aber das verdarb mir nicht die Laune. Man braucht nicht immer ein gutes Essen, um eine schöne Aussicht zu genießen. Aber es war schade, dass der See von einem Stacheldrahtzaun umgeben war, der den Zugang zum Wasser unmöglich machte. Bevor ich mich zum Berg Gyejok-san aufgemacht hatte, war ich frühmor-gens zum Staudamm am Oberlauf des Sees gegangen, aber auch dort konnte man nicht bis ans Wasser gehen. Nur vom Observa-torium aus, das an der Straße oberhalb des Sees steht, sah man das Wasser, näher kam man nicht heran. Als ich jetzt vom Berg herabstieg, hoffte ich, direkt vor meinen Augen das plätschernde Wasser sehen zu können. Aber auch hier musste ich mich damit zufrieden geben, durch den Stacheldrahtzaun hindurch die scha-renweise am Ufer rastenden Zugvögel zu betrachten. Aber da der See der Trinkwasserversorgung der Region dient, ist es wohl ver-ständlich, dass er aus Sicherheitsgründen eingezäunt ist.Abgesehen vom Berg Gyejok-san hatte ich keine Gelegenheit, mir die anderen Berge von Daejeon anzusehen. Laut Internetseiten und Reiseführern haben die elf Berge aber jeweils ihren eigenen

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Die Entwicklung von Daejeon brachte auch Yuseong Prosperität. Der Anschluss an das Bahnnetz führte dazu, dass viele Menschen aus dem ganzen Land nach Daejeon kamen. Das Thermalbadgebiet, das eine hohe Konzentration an Unterkünften, Kneipen, Gast-stätten und Karaoke-Räumen aufweist, ist nicht besonders weitläufig, so dass man sich innerhalb von einer Stunde zu Fuß alles anschauen kann.

1 Der Expo Park in Daejeon.

2 Die Festung Gyejoksanseong wurde irgendwann im 6. Jahrhundert, in der Zeit der Drei Königreiche, auf einem Berggipfel angelegt.

3 Besucher der heißen Quellen von Yuseong entspannen bei einem Fußbad. Gut eingepackt in dicke Winterkleidung kann man seine Füße in das heiße Quellwasser tauchen, was besonders gut gegen Stress sein soll.

Reiz, wobei es sich insbesondere lohnen soll, einmal den Bomun-san, den Sikjang-san, den Jangtae-san und den Manin-san zu besuchen, die vom Stadtzentrum aus leicht zu erreichen sind. Meinen Tagesausflug auf den Hünherfußberg nach zu urteilen, kann man diesen Empfehlungen wohl Glauben schenken.

Heiße Quellen, Motels und Jjimjilbang Ich verbrachte eine Nacht in Yuseong, einem elf Kilometer west-lich von der Daejeoner Innenstadt gelegenen Thermalbadgebiet. Eine Alkali-Radium-Quelle, eine heiße Quelle mit einer Tempe-ratur von 40 Grad, dringt hier durch die Granitschicht aus dem Archaikum, der ältesten bekannten Erdschicht auf der korea-nischen Halbinsel. Die heißen Quellen von Yuseong, die für die Behandlung von Krankheiten wie Hautkrankheiten und Neural-gien bekannt sind, reichen zwar schon über tausend Jahre in die Geschichte zurück, aber es war erst Anfang des 20. Jahrhunderts, dass sie durch die Eröffnung der Bahnlinien Gyeongbu-Linie und Honam-Linie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zogen. Als im Jahr 1932 die Provinzregierung Chungcheongnam-do von Gongju nach Daejeon umzog, wurde Yuseong zum Touris-muszentrum entwickelt.Der Name „Daejeon“, der „großes Feld“ bedeutet, rückte erst ins Blickfeld der Öffentlichkeit, als 1904 die Gyeongbu-Linie von Seoul nach Busan eröffnet und Daejeon zum Zwischenstopp in der Mitte wurde. Dadurch begann sich dieser verschlafene Ort auf dem Land, dem bislang niemand Interesse geschenkt hatte, in eine Stadt zu verwandeln. Bis dahin war Gongju die größte Stadt in dieser Provinz gewesen, weshalb sie auch als Hauptkandidat für einen Bahnhof in der Streckenmitte gegolten hatte. Aber die

konservativen Yangban, die Adligen der Joseon-Zeit, die die Ein-führung der westlichen Kultur ablehnten, waren gegen den Bau des Bahnhofs, der dann in der Nähe von Daejeon errichtet wurde.Die Entstehung der Bahnlinien, des Lieblingskindes der modernen Zivilisation, ließ auf dem „großen Feld“ einen starken Wind des Wandels aufkommen. Als Verkehrsknotenpunkt wurde die Stadt zur Drehscheibe des Transports von Gütern und Personen. Bald übernahm Daejeon die Funktion von Gongju als Wirtschaftszen-trum der Region und später auch die Verwaltungsfunktion. Die Entwicklung von Daejeon brachte auch Yuseong Prosperität. Es gehört zu den Gebieten Koreas, in denen bereits früh die natür-lichen heißen Quellen zu Thermalbädern entwickelt wurden. Die Bahnanbindung brachte Menschen aus dem ganzen Land mit dem Zug nach Daejeon. Als administrative Einheit ist Yuseong zwar riesig, aber das Thermalbadgebiet, das eine hohe Kon-zentration an Unterkünften, Kneipen, Gaststätten und Karaoke-Räumen aufweist, ist nicht besonders weitläufig, so dass man sich innerhalb von einer Stunde zu Fuß alles anschauen kann.Nach Statistiken gibt es in Yuseong insgesamt 145 Unterkünfte wie Hotels und zahlreiche Motels. Wie bei einer „Unterkunft-Expo“ gibt es verschiedene Motels, die nachts mit markanten Außen-dekorationen und Neonschildern die Gäste anlocken. Ich bin viel herumgereist und kann sagen, dass selbst in entlegeneren ländlichen Gegenden in Korea leicht Motels zu finden sind, in denen man unbesorgt übernachten kann. Die Übernachtungs-kosten betragen zwar nur knapp ein Viertel der von Hotels, aber die Motels, bei denen es sich allen Anschein nach um Neubauten handelt, sind sauber, gut ausgestattet und sicher. Meiner Mei-nung nach können sie sich in Sachen Komfort durchaus mit

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Vier-Sterne-Hotels in New York oder London vergleichen. Es ist unvorstellbar, hier das Knarren von Fußbodenbrettern zu hören, wie es in einem alten Hotel in Europa passieren kann. Betrachtet man das Preis-Leistungsverhältnis, verdienen die Motelbesitzer eine Verbeugung als Dank. In Yuseong hat das Motelzimmer, was man bei dem Preis nicht unbedingt erwartet, nicht nur einen Kühlschrank, sondern es werden auch auch kostenlos Zahnpasta, Zahnbürste, Seife, Shampoo, Rasierwasser und Handtücher zur Verfügung gestellt. Die Motels in Yuseong machen auch dafür Werbung, dass sich die Gäste auf ihren Zimmern Filme ansehen können. Ausländische Besucher sollten daher nicht zögern, in Yuseong in einem Motel zu übernachten.Beim Herumgehen schaute ich mir verschiedene Motels an und entschied mich dann für ein 24-Stunden-Jjimjilbang, eine Art Sauna-Spa-Anlage mit koreanischer Trockensauna. So ein 24-Stunden-Jjimjilbang findet sich nur in Korea. Nordeuropa und Deutschland sind zwar berühmt für ihre Saunen, aber nur das koreanische Jjimjilbang ist 24 Stunden geöffnet. Zu dieser einzig-artigen Jjimjilbang-Kultur gehört nicht nur, dass man rund um die Uhr saunen kann, man kann auch essen und sich in großen Aufenthaltsräumen ausruhen oder schlafen. Diese Räumlich-

keiten sind, im Gegensatz zum separaten Spa-Bereich, nicht nach Geschlecht getrennt und Bekleidung, meist knielange Shorts und T-Shirts, ist vorgeschrieben und wird vom Jjimjilbang zur Verfügung gestellt. Auch sind aus Rücksichtnahme auf andere Gäste grundlegende Regeln der Etikette einzuhalten. Wenn einen ein gelegentliches Schnarchen nicht um die Nachtruhe bringt, dann empfiehlt sich diese Art der Jjimjilbang-Übernachtung auch für ausländische Besucher als sehr koreatypisches Erlebnis. In der Tat sind nicht wenige ausländische Mitbürger und Besucher schon auf den Geschmack von Jjimjilbangs gekommen. Für nur ein Fünftel dessen, was ich für ein Motelzimmer bezahlt hätte, verbrachte ich die Nacht im Jjimjilbang. Das Radiumwasser im Spa-Bereich war angenehm heiß und hinterließ ein schönes Gefühl der Glätte. Beim Schlafen fühlte ich mich zwar etwas unbe-quem, aber das ließ sich ertragen.

Lernen aus der VergangenheitIn der Nähe von Yuseong befindet sich der Forschungs- und Entwicklungsbezirk Daedeok Innopolis. Auf dem 27,6 Quadrat-kilometer großen Gelände stehen verschiedene Einrichtungen wie das Nationale Wissenschaftsmuseum, der EXPO-Wissen-

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schaftspark, das Daedeok Zentrum für Wissenschaft und Kultur und ein Medizinzentrum. Außerdem sind hier über 60 verschie-dene Forschungsinstitute und Wohnhochhäuser für die Forscher und deren Familien angesiedelt.Anfang der 1990er Jahre besuchte ich diesen Bezirk zum ersten Mal. Mein erster Eindruck war der der Weitläufigkeit und Größe. Alle Forschungsinstitute befanden sich auf einem riesigen Gelän-de und alle Straßen waren breit. Obwohl es nur wenige Autos gab, war beim Überqueren der Straßen Vorsicht geboten, da die breiten Fahrwege zum Rasen einluden. Mittlerweile sind zwar zwanzig Jahre vergangen, aber abgesehen von einem erhöhten Verkehrsaufkommen hat sich kaum etwas verändert.In Daejeon befinden sich 19 Hochschuleinrichtungen mit insge-samt fast 170.000 Studenten; dazu gehört auch das Korea Advan-ced Institute of Science and Technology (KAIST) im Sonderbezirk für Forschung und Entwicklung in Daedeok. Auf diese Weise hat sich Daejeon als Forschungs- und Entwicklungsstadt Koreas eta-bliert. Dies ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass es in diesem von überall her leicht zugänglichen Verkehrsknotenpunkt des Landes noch enorme unentwickelte Flächen gab. Aber auch historische Faktoren haben eine Rolle gespielt.Im Frühling 2004 wurde die älteste Mumie Koreas in Mokdal-dong am südlichen Fuß des Gebirges Bomun-san entdeckt. Die Mumie wurde aus dem Familienfriedhof der Familie Song, der Nach-kommen von Song Hyo-sang (1430-1490), eines Gelehrten der Joseon-Zeit, geborgen und dabei wurden alte Kleidungsstücke entdeckt. Eine Ausstellung, in der vierzig der restaurierten Stücke präsentiert wurden, fand in jüngster Zeit im Prähistorischen Museum Daejeon in Yuseong statt. Die Ausstellung erregte große Aufmerksamkeit unter den Volkskundlern, da sie eine einzigartige Gelegenheit bot, einen Einblick in das Alltagsleben der Gelehrten (Seonbi) von Hoseo Sarim, Konfuzianern in der Provinz Chung-cheong-do, zu erhalten. Eine Gruppe von den Gelehrten, die der Lehre von Yi I (1536-1584), eines berühmten Neo-Konfuzianers der Joseon-Zeit, folgte, bildete die sog. Giho-Schule. Innerhalb dieser Giho-Schule waren die Gelehrten in Chungcheong-do als

Hoseo-Sarim bekannt. Die führenden Mitglieder dieser Gruppe waren Song Si-yeol (1607-1689) und Song Jun-gil (1606-1672), die von den Daejeonern seit langem für ihre aufrichtige Denkungsart, Rechtschaffenheit und ihren bescheidenen Lebensstil verehrt wurden.Am Fuß des bewaldeten Hügels in Gayang-dong im Osten von Daejeon liegt der Historische Park Uam. Der Park wurde an dem Ort angelegt, an dem der große Gelehrte Song Si-yeol (Schriftstel-lername: Uam) lernte. Er wurde im Jahr 1607 geboren und starb im Alter von 82 Jahren. Uam war berühmt für die Beharrlichkeit, die für die koreanischen Seonbi als typisch galt. Im Park sind das Gebäude, in dem er lernte, und verschiedene Hinterlassen-schaften wie Gedichtsammlungen und Schriften zu sehen. Die Hinterlassenschaften des Gelehrten Song Jun-gil, eines Zeitge-nossen von Song Si-yeol, befinden sich im Norden des Parks. Um das Nebengebäude Dongchun-dang herum, das Song Jun-gil zu seinen Lebzeiten nutzte, wurde ein Park angelegt. „Dongchun-dang“, der Schriftstellername von Song Jun-gil, bedeutet „immer wie Frühling“. Song Si-yeol, der seinen Freund und Kollegen überlebte, verfasste eigenhändig die Schrift auf der Eingangstafel, die bis heute zu sehen ist.Vor dem Hauptbahnhof Daejeon liegt die U-Bahn-Station „Hauptbahnhof“, über der sich ein Untergrund-Einkaufszentrum befindet. Während die traditionellen Märkte, die lange Zeit die Einwohner mit dem alltäglich Notwendigen versorgten, allmäh-lich verfallen, ist das Einkaufszentrum noch bis spät in die Nacht voller junger Menschen, die sich die neueste Mode oder die neu-esten Elektronikprodukte wie Mobiltelefone anschauen. Dieser Kontrast macht deutlich, dass die dynamische Kraft, die aus einem einst verschlafenen Nest auf dem Lande eine Stadt voller Energie machte, auch heute noch am Wirken ist. In Daejeon, „der Stadt der langsamen Menschen“, ereignete sich der Wandel nicht langsam, was vielleicht die wahre Kraft der Langsamen darstellt. Nachdem ich einen letzten Blick auf das Denkmal mit dem Text des Daejeon Blues, das in einer Ecke des Bahnhofplatzes steht, geworfen hatte, nahm ich beruhigt den Zug.

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1 Das Wasser des Flusses Geum­gang sammelt sich hinter den Staumauern des Dammes Daecheong und bildet einen riesigen See am Fuße der umgebenden Berge. Der Weg an den Ufern des Sees entlang bietet Szenen von atemberaubendem landschaftlichem Reiz.

2 Der herausragende Joseon­Gelehrte Song Jun­gil (1606­1672) widmete sich den Wissen­schaften in Dongchundang, ganz in der Nähe von Daejeon.

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s gibt auf der Welt ca. 500 verschiedene Arten von Tintenfisch. Aber nur 15 bis 20 Arten eignen sich gut für den Verzehr. Koreas Tintenfisch-Fanggründe verteilen sich gleichmäßig über das Ost-

meer, das Südmeer (Koreastraße) und das Westmeer (Gelbes Meer). Tinten-fisch kann man zwar das ganze Jahr über fangen, aber die Hauptfangsaison ist von

August bis Oktober. Heutzutage ist es allgemein üblich, den frisch gefangenen Fisch noch auf dem Boot einzufrieren und dann auszuliefern. Daher ist Tintenfisch eine Zutat, die immer und überall leicht zu bekommen ist.

NährstoffeTintenfisch hat einen hohen Proteingehalt und ist auch reich an Mikronährstoffen wie Vitamin A, E, B1, B2, Niazin, Kalium, Eisen, Zink, Kupfer und Phosphor. Vitamin E, Zink, Kupfer, Phosphor usw. aktivieren die Zellen und befördern die Aufnahme von Eisen. Getrockneter Tintenfisch enthält drei Mal mehr Proteine als Rindfleisch. Da Tintenfisch als hoch säurehaltiges Nahrungsmittel einen hohen Phosphorgehalt aufweist, empfiehlt es sich, ihn mit alkalischen Produkten wie Gemüse zusammen zu essen. In 100g Tin-tenfisch sind 180mg Cholesterin enthalten, weshalb der Verzehr des Fisches in der Ver-gangenheit von manchen Leuten vermieden wurde. Aber Tintenfisch wird zurzeit wieder beliebter, weil sich vor kurzem durch eine Studie herausstellte, dass das Cholesterin in Fischen und Schalentieren im Gegensatz zum Cholesterin im Fleisch in keinem Zusam-menhang mit den typischen Erwachsenenkrankheiten steht. Auch enthält Tintenfisch 2 bis 3 Mal mehr Taurin, das eine den Cholesterinspiegel senkende Wirkung hat, als ande-re Fische und Schalentiere; im Vergleich zu Fleisch ist der Tauringehalt 25 bis 60 Mal höher (327mg-854mg pro 100g). Taurin, eine Aminosulfonsäure, macht sich als weißes Puder bemerkbar, das beim Trocknen des Tintenfisches auf der Hautoberfläche entsteht. Tintenfisch enthält sehr wenig Fett, aber viele nützliche Fettsäuren wie EPA (Eicosa-pentaensäure) und DHA (Docosahexaensäure). Auch sind im Tintenfisch große Mengen Selen enthalten, das für den Zellmetabolismus unabdinglich ist. Das Selen schwächt die

Gebratener Tintenfisch mit Reis ist ein koreanisches Gericht, das wegen seiner Schmackhaftigkeit und seines hohen Nährwertes besonders beliebt ist.

Tintenfisch-Deopbap:gesund und preisgünstig

KÜCHE

Tintenfisch (zehnarmiger Tintenfisch) zählt bereits seit alter Zeit zu den beliebtesten Zutaten der koreanischen Kü-che. Dem Tintenfisch wird in letzter Zeit viel Interesse geschenkt, da auch auf wissenschaftlicher Basis nachgewie-sen wurde, dass er hochwertige Nährstoffe enthält. Hier stellen wir Ihnen Tintenfisch-Deopbap mit dickflüssiger Soße vor, bei dem der Reis mit einer Tintenfischbrühe gekocht wird.

Shim Young Soon Leiterin des Shim Young-soon Korean Food Research Institute, Autorin des Buches Best Tastes of Korean Food

Fotos: Ahn Hong-beom

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Vom Nährwert her ist es am besten, wenn man den Tintenfisch kocht, ohne ihn vorher zu enthäu-ten. Ritzt man die Haut vor dem Kochen mit senkrechten und waagerechten Messerschnitten ein, kann man nicht nur verhindern, dass er sich beim Erhitzen einrollt, sondern erzielt auch gleichzei-tig einen schönen dekorativen Effekt.

Wirkung von Schwermetallen im Körper und hemmt effektiv Krebserreger. Außer-dem besteht die Tinte des Tintenfisches aus Melaninpigmenten, die eine konser-vierende und desinfizierende Wirkung besitzen und auch effektiv der Bildung von Geschwüren vorbeugen.

Auswahl und VorbereitungFrische Tintenfische weisen einen distinktiven bläulich-braunen Farbton auf, haben eine transparente, glänzende Haut-oberfläche und hervorstehende Augen. Die Saugnäpfe sitzen fest an den Beinen an und je stärker ihre Saugkraft ist, desto frischer ist der Fisch. Fische, deren gan-zer Körper dunkelrot ist, sind nicht mehr besonders frisch. Im Sommer schmeckt der Leuchtkalmar besonders gut und im Winter der Gemeine Tintenfisch (Sepia esculenta) und der Lanzenkalmar (Loligo bleekeri). Noch lebenden Tintenfisch kann man nach dem Fang zwei bis drei Tage lang in Meerwasser am Leben halten. Lebender Tintenfisch als Kochzutat hat weicheres und frischeres

Fleisch als Tintenfisch, der

gleich nach dem Fangen bei minus 35 C̊ tiefgefroren und dann wieder aufgetaut wird.Nährstofflich gesehen empfiehlt es sich, den Tintenfisch mit der Haut zu kochen. Der Nachteil dabei ist jedoch, dass die Haut beim Kochen schrumpft und sich damit die Portion verkleinert. Auch färbt sich die Haut dunkelrot und der Fisch wird ein bisschen zäher. Die Haut nicht zu entfernen ist daher ratsam bei Gerichten, die mit einer roten Soße oder Sojasoße gekocht werden, oder auch bei Ojingeo Sundae, Tintenfisch mit verschiedenen Gemüsesorten gefüllt. Nur bei Gerichten, die weißes Fleisch und saubere Formen verlangen, sollte man die Haut abziehen. Um zu verhindern, dass der Tintenfisch sich beim Erhitzen einrollt, ritzt man die Innenseite vor dem Kochen mit dem Mes-ser ein. Dadurch kann man gleichzeitig einen dekorativen Effekt erzielen.

Verschiedene Zubereitungsmetho-denEs gibt viele verschiedene Rezepte für Tintenfisch. Die einfachste Zubereitungs-methode besteht darin, den Tintenfisch kurz zu blanchieren und mit einem Essig-Chilisoßen-Dipp zu servieren. Der Tinten-fisch wird einfach in die Chilisoße gedippt und gegessen (Sukhoe). Das Fleisch ist sehr weich und schmeckt sehr gut. Die Chilisoße bereitet man zu, indem man 5 EL Chilipaste (Gochujang), 2 EL Essig, 1 EL Zucker und 2 EL Sprite miteinander mischt.Man kann den Tintenfisch auch, nachdem man ihn ausgenommen und abgetrocknet hat, in mundgerechte Stücke schneiden, durch einen Frittierteig ziehen und frittie-ren. Beim Essen tunkt man den frittierten Tintenfisch in Sojasoße. Dieses Gericht ist bei den Koreanern sehr beliebt und gehört zusammen mit Tteokbokki (Reis-kuchenwürste in scharfer Chilisoße) zu den beliebtesten Snacks, die auch an den

Essbuden am Straßenrand angeboten werden.

Eine weitere Methode, bei

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der Geschmack und Nährstoffgehalt des Tintenfisches in höchstmöglichem Maße erhalten bleiben, besteht darin, den fri-schen, noch lebenden Tintenfisch am Stück und ohne ihn vorher auszunehmen zu grillen.Im Folgenden stellen wir Ihnen Tinten-fisch-Deopbap vor, bei dem der Reis mit einer Tintenfischbrühe gekocht und mit einer dickflüssigen Soße mit Tintenfisch als Hauptzutat serviert wird. Sollte die Zubereitung des Delikatess-Reises zu kompliziert erscheinen, kann dieser Zube-reitungsschritt auch ausgelassen und der Tintenfisch einfach mit normal gekochtem Reis und der Soße serviert werden.

Zubereitung von Tintenfisch-Deopbap

Zutaten

A. 2½ Becher Reis (1Becher: 236,6g), eine Prise Salz, 1 TL Öl, ¹∕³ TL Sesamöl

B. 1 Tintenfisch (Körper und Beine), 5g Dasima (Kombu-Seetang), 30g getrocknete

Anschovis

1 EL Hyangsin-Saft, 2 Becher Wasser, 1 TL Salz

C. 1 Tintenfisch (Körper), 30g Garnelen, 1 grüne Chilischote, 10g Shiitake-Pilze, 20g

grüne Bohnen, 30g Auberginen, 20g Zwiebeln, 30g Gelbwurz, 1½ EL Öl, 1 EL

Hyangsin-Saft

1 Prise Salz, 1 Prise Pfeffer

D. 1 TL rote Chilipaste (Gochujang), ½ EL feines Chilipulver (Gochugaru)

½ EL Stärkesirup, ½ EL Sojasoße

½ Becher Brühe aus den Zutaten unter Nr. 2

1 EL Stärke oder 1½ EL Klebreispulver

* (Für den Hyangsin-Saft: Reiben Sie 200g Birnen, 200g Rettich, 200g Zwiebeln und

10g Ingwer auf einem Reibbrett oder zerkleinern Sie alles mit einem Mixer und

drücken Sie den Saft aus. Der Saft kann in ein Fläschchen abgefüllt und bei Bedarf

als Gewürz verwendet werden. Der Hyangsin-Saft ist als Zutat optional.)

Zubereitung1. Reis gründlich waschen und mit den Zutaten unter Nr. 1 leicht unter ständigem

Rühren anbraten

2. Die Zutaten unter Nr. 2 kochen und mit einem feinen Sieb Zutaten und Brühe tren-

nen. Eine angemessene Menge Brühe in den Reis von Nr. 1 geben und den Reis

kochen.

3. Den Tintenfisch in Abständen von 1cm senkrecht und waagerecht mit dem Mes-

ser einritzen und blanchieren. Danach entlang der Diagonalen in dünne Streifen

schneiden.

Die ungeschälten Garnelen leicht kochen, schälen und in kleine Stücke schneiden.

Die Shiitake-Pilze entstielen, in kleine Stücke schneiden und mit etwas Sojasoße

würzen.

Die Aubergine in etwa gleich große Streifen wie den Tintenfisch schneiden und mit

etwas Salz mischen.

Die grünen Bohnen, grünen Chilischoten und Zwiebeln blanchieren und in ange-

messene Stücke schneiden.

Die Gelbwurz in dünne Scheiben schneiden und blanchieren.

Die oben genannten Zutaten mit Hyangsin-Saft, Salz und Pfeffer in einer mit Öl

ausgestrichenen Pfanne über großer Flamme schnell braten.

4. Die heiße Soße aus den Zutaten unter Nr. 4 mit den Zutaten von Nr. 3 mischen und

danach auf den Reis geben oder getrennt servieren.

1 Kombu­Seetang, Anschovis und Salz sind die Hauptzutaten für die Zubereitung der Brühe für verschiedene koreanische Suppen.

2 Die vorbereiteten Zutaten werden kurz und unter ständigem Rühren über hoher Flamme gebraten

3 Sorgfältiges Einritzen des Fleisches hält die Haut des Tintenfisches intakt.

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Frühjahr 2010 | Koreana 83

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Am 26. Nov. 1883 unterzeichneten der deutsche General-konsul Carl Eduard Zappe einerseits und der Präsident des koreanischen Auswärtigen Amtes Min Yeong-mok andererseits in Seoul, seinerzeit noch Hanseong genannt, den Deutsch-koreanischen Handels-, Freundschafts- und Schifffahrtsvertrag. Mit diesem Akt begannen die offiziellen diplomatischen Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Joseon (seit 1897 Kaiserreich Joseon). Am 17. Nov. 1905, fast auf den Tag genau 22 Jahre später, endeten sie bereits wieder durch den Protektorats-vertrag Japans. Von dem Augenblick an, als der erste Deutsche die Halb-insel Korea betrat, bis zum 1. Jan. 1910, als das Kaiserreich quasi schon keine Eigenstaatlichkeit mehr besaß, haben mehr als 300 deutsche Reichsbürger das Land sowohl besucht, als auch dort gearbeitet und gelebt. Zu ihnen ge-hörten Diplomaten, Deutsche in koreanischen Diensten, Militär und Adel, Kaufleute und Ingenieure, Dozenten und Wissenschaftler, Priester und Patres, Abenteurer und Weltenbummler, Schriftsteller, Besatzungsmitglieder ziviler Schiffe sowie Familienangehörige.Hatte ein längerer Aufenthalt oder kürzerer Besuch der meisten von ihnen auch keinerlei oder nur geringe nachhal-tige Wirkung auf die deutsch-koreanischen Beziehungen, so muss doch den wenigen, die das deutsche Prestige in Korea bis in die heutige Zeit geprägt haben, besondere Aufmerk-samkeit geschenkt werden.Die nachweislich erste Begegnung zwischen einem Deut-schen und einem Koreaner fand indes nicht im Königreich Joseon statt, sondern ereignete sich Mitte des 17. Jahrhun-derts in Peking, als der koreanische Kronprinz Sohyeon im Jahre 1644 auf den deutschen Jesuitenpater Johann Adam Schall von Bell traf. Neben weiteren Begegnungen dieser Art in China, hatte auch der deutsche Arzt und Naturforscher Philipp Franz

von Siebold in Japan zu Beginn des 19. Jahrhunderts meh-rere Gelegenheiten, mit koreanischen Schiffbrüchigen in Kontakt zu kommen.Der erste Deutsche, der koreanischen Boden betrat, war der lutheranische Missionar aus China Carl Friedrich August Gützlaff. Er landete am 17. Juli 1832 vor der Westküste Koreas und hinterließ sowohl christliche Traktate, als auch Kartoffeln sowie Anweisungen zu deren Anbau und Kulti-vierung.Die nächste Begegnung mit einem Deutschen hinterließ alles andere als eine positive Einstellung der Koreaner zu Deutschland bzw. westlichen Nationen, und muss eher mit einem Akt der Piraterie verglichen werden. Ernst Ja-cob Oppert, deutscher Kaufmann in Shanghai, versuchte in den Jahren 1866 und 1868 gleich drei Mal vergebens, Korea zu einer Handelsbeziehung zu zwingen. Bei seiner dritten Expedition hatte er vor, die Gebeine des Vaters des Prinzregenten zu rauben, um so ein Druckmittel gegen die koreanische Regierung in der Hand zu haben. Im April 1868 scheiterte die geplante Grabplünderung jedoch und zog vielmehr eine Intensivierung der Abschließungspolitik des Landes nach sich, um ein weiteres Eindringen westlicher „Barbaren“ zu verhindern.Einen weiteren, jedoch wesentlich diplomatischeren Ver-such, Korea für Handelsbeziehungen zu gewinnen, un-ternahm Max August Scipio von Brandt, der ab 1862 als erster deutscher Konsul in Japan residierte. Im Jahre 1870 besuchte er die japanische Faktorei in Busan, nur um un-verrichteter Dinge von koreanischen Beamten nach Japan zurückgeschickt zu werden.Durch den Vertrag mit Japan im Jahre 1875 bedingt, hatte der Joseon-Hof 1882 zwar ein Außenministerium errichtet, war aber in außenpolitischen Belangen völlig unerfahren. Kaiser Gojong wandte sich daher an China mit der Bitte um einen Berater. Daraufhin wurde überraschenderweise der

Deutsche Persönlichkeiten im Königreich Joseon

BLICK AUS DER FERNE

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Von dem Augenblick an, als der erste Deutsche die Halbinsel Korea betrat, bis zum 1. Jan. 1910, als das Kaiserreich quasi schon keine Eigenstaatlichkeit mehr besaß, haben mehr als 300 deutsche Reichsbürger das Land sowohl besucht, als auch dort gearbeitet und gelebt..

Hans-Alexander Kneider Professor an der Graduate School of Interpretation and Translation, Hankuk University of Foreign Studies;

Verfasser des Buches Globetrotter, Abenteurer, Goldgräber. Auf deutschen Spuren im alten Korea

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deutsche Jurist und Sinologe Baron Paul Georg von Möl-lendorff entsandt, der sich in chinesischen Diensten befand. Während seines relativ kurzen Aufenthaltes in Korea als Generalzolldirektor von Ende 1882 bis 1885 wirkte er auch als Berater auf vielerlei Gebieten wie Finanz-, Justiz- und Militärwesen, Landwirtschaft, Handwerk und Industrie und vieles mehr. In kurzer Zeit bekleidete der deutsche Baron hohe koreanische Regierungsposten, angefangen mit dem eines Vizeministers im Ministerium des Äußeren, des Mi-nisteriums für Arbeit und des Kriegsministeriums, bis hin zum Direktor der neuen staatlichen Münze.Auch die einzige deutsche Handelsfirma in Korea, H. C. Eduard Meyer & Co., wurde auf Anregung Möllendorffs im heutigen Incheon errichtet. Mit deren Aufbau und Lei-tung wurde der Hamburger Kaufmann und Teilhaber Carl Andreas Wolter 1883 beauftragt. Ihr Chef, Heinrich Con-stantin Eduard Meyer, wurde 1886 von der koreanischen Regierung zum Ehrenkonsul ernannt und vertrat damit in Hamburg offiziell die Interessen Koreas in Deutschland. Nachdem Carl Wolter 1908 die Firma übernommen und sie in Carl Wolter & Co. umbenannt hatte, führte Paul Schirbaum die Geschäfte bis zum Ausbruch des Korea-krieges 1950 weiter.Durch das persönliche Engagement des von 1887 bis 1898 am längsten in Joseon amtierenden deutschen Vertreters Konsul Ferdinand Krien ins Leben gerufen, wurde am 15. Sept. 1898 die Kaiserlich Deutsche Sprachschule in Seoul eingeweiht. Bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1911 stand der Schule der deutsche Mittelschullehrer aus Pom-mern Johannes Bolljahn als Direktor vor. Eine weitere verdienstvolle Persönlichkeit ist der preu-ßische Militärmusikkapellmeister Franz Eckert. Nach einer 20-jährigen erfolgreichen Tätigkeit in Japan, übernahm er 1901 die Aufgabe, in Seoul eine Hofkapelle aufzubauen und koreanische Musiker an europäischen Instrumenten auszu-

bilden. Bereits ein Jahr später, am 9. Sept. 1902, wurde die erste koreanische Nationalhymne, die von ihm arrangiert und harmonisiert war, uraufgeführt. Auch der deutsche Mediziner Dr. Richard Wunsch leistete einen großen Beitrag, die Geschichte der deutsch-korea-nischen Beziehungen positiv zu formen. Als Leibarzt Kaiser Gojongs war er von 1901 bis 1905 in Seoul tätig, bis ihn sein weiterer Lebensweg über Japan nach China führte. Nicht als einzige, aber doch als wichtigste Dame gebührt der Elsässerin Antoinette Sontag ein Platz unter den besonders bedeutenden deutschen Persönlichkeiten in Korea. Im Jahre 1885 begleitete sie ihren Schwager, den russischen Mini-sterresidenten Carl Iwanowitsch Waeber, nach Joseon, um zunächst seinen Haushalt in Seoul zu führen. Nachdem die Japaner am 8. Okt. 1895 ein Attentat auf die Königin verübt hatten, flüchtete der König in die russische Gesandtschaft und verbrachte dort ein Jahr. In dieser Zeit lernte er die Fürsorge „Fräulein Sontags“ derart schätzen, dass er sie nach seiner Rückkehr in den Palast zur Haushofmeisterin ernannte. Neben ihrer äußerst einflussreichen Tätigkeit im Haushalt des Palastes unterhielt sie auch eine Pension, die später unter dem Namen „Sontag Hotel“ bekannt wurde. Ein weiterer Platz in der Reihe verdienstvoller Deutscher ge-bührt nicht zuletzt den Benediktinermönchen aus St. Otti-lien in Oberbayern, die im Jahre 1909 in Seoul ihre Tätigkeit begonnen hatten, und heute noch ein Kloster in Waegwan, in der Nähe von Daegu, als Missionszentrale unterhalten, das im Feb. 1964 durch ein römisches Reskript zur Abtei er-hoben wurde. Bonifatius Sauer, Cassian Niebauer, Martin Huber, Ildefons Flötzinger, Paschalis Fangauer und And-re Eckardt sind als Pioniere der Benediktinermission in Ko-rea zu nennen. Andre Eckardt kehrte um die Jahreswende 1928/29 nach Deutschland zurück und begründete im Jahre 1950 als Professor am Ostasiatischen Seminar in München die deutsche Koreanistik.

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m Jahr 2009 gab es zwar eine ganze Reihe von Sensationsnachrichten, aber das ganze Jahr über rissen die verschiedene Makgeolli-bezogenen Veranstaltungen und Pressemeldungen nicht ab. Dass dabei Makgeolli, ein auf erwachsene Konsumenten beschränktes Produkt, zum Hit des Jahres

gewählt wurde, ist ein außergewöhnlicher Fall. Da die Herstellung und der Transport von Makgeolli im Vergleich zu Importweinen weniger Kohlendioxid generiert, wurde Makgeolli von einem koreanischen Umweltverband zum Preisträger des Preises für den Beitrag zu einer sauberen Welt 2009 im Bereich „Umwelt und Klimawandel“ gewählt.Der Boom des koreanischen Reisweins bedeutet aber nicht, dass er im Jahr 2009 urplötzlich auf der Bildfläche erschienen wäre: Makgeolli ist das älteste alkoholische Getränk in Korea und den Koreanern am stärksten vertraut. Jeder Koreaner mittleren Alters dürfte Makgeolli mit einer Erinnerung verbin-den. Dazu gehört insbesondere die weit verbreitete Erinnerung daran, wie man als Kind für den Vater Makgeolli aus der Ortsbrauerei holte und sich dabei wunderte: „Warum trinken die Erwachsenen gerne Makgeolli?“ Viele erzählen, dass sie auf dem Rückweg dann aus dieser Neugier heraus ein Schlückchen probierten.

Traditioneller Reiswein für die BürgerBis zu den Olympischen Sommerspielen im Jahr 1988 in Seoul war Makgeolli das beliebteste Alko-

holgetränk unter den Koreanern. Aber nach den Olympischen Spielen und mit der Liberalisierung von Auslandsreisen und Importen wurde Makgeolli schon bald

als Getränk von gestern angesehen und durch den neuen Trend hin zu Bier in den Hintergrund gedrängt.

Der Reiswein, der durch die rasche Urbanisierung und Verwestlichung des Landes seinen Platz verloren hatte, erlebte im Jahr 2009 ein kome-

tenhaftes Comeback. Makgeolli fand nicht nur wieder Gefallen bei den Koreanern, sondern begann auch

zunehmend Ausländer zu begeistern. Trotz des allgemein rückläufigen Trends im Export

verzeichneten die Makgeolli-Ausfuhren im Jahr 2009 einen Anstieg von über 20% im

Vergleich zum Vorjahr. Was für eine Art von Reiswein ist nun Makgeolli, der bei den Korea-

Das Samsung Wirtschaftsforschungsinstitut wählte Makgeolli (gegorener Reiswein) zum ko-reanischen Hitprodukt 2009. Damit verdrängte Makgeolli Produkte gegen die Schweinegrippe, die die ganze Welt in Schrecken versetzt hatte, auf Platz 2, und die Eiskunstlauf-Olympiasiege-rin Yuna Kim auf Platz 3. Erfahren Sie mehr über das Comeback dieses milchig weißen Reis-weins, der zum „besten gegorenen Getränk“ aufstieg.

Huh Shi Myung Leiter der Makgeolli-Schule, Experte für traditionelle koreanische Alkoholika

Fotos: Ahn Hong-beom

LEBEN

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Der Makgeolli-Boom im Jahr 2009

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nern dermaßen beliebt ist?Makgeolli ist das repräsentativste alkoholische Getränk des klei-nen Mannes. Wegen seiner trüben Farbe wird er auch „Takju“ (trüber Wein) genannt. Eine weitere Bezeichnung ist „Nongju“, Bauernwein, da er gerne von den Bauern bei der Arbeit getrunken wurde. Makgeolli ist ein Wein, der einfach herzustellen ist und den man traditionell auch zu Hause produzierte. Aber als man in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Alkoholika zu besteuern begann, wurde die private Herstellung von Alkohol verboten. Ab 1934 war die Makgeolli-Herstellung nur noch lizensierten Brau-ereien erlaubt, doch sechzig Jahre später, im Jahre 1995, wurde das Gesetz novelliert und die private Herstellung von Wein wieder erlaubt.Nach dieser Liberalisierung stieg auch die Zahl derer, die lernten, wie man zu Hause alkoholische Getränke brauen kann. So wie man gerne selbst gezüchtetes Gemüse isst, will man auch Wein trinken, den man selbst gemacht hat und bei dem gesunde

Inhaltsstoffe garantiert sind. Es gibt auch immer mehr Ausländer, die sich für die Makgeolli-Herstellung interessieren und sich bei unserer Makgeolli-Schule nach entsprechenden Programmen erkundigen.Makgeolli wird meist aus Reis, dem Hauptnahrungsmittel der Koreaner, gemacht. Es gibt Makgeolli aus Chapssal (klebriger Reis), aus Gerste oder auch aus Hirse. Am verbreitesten ist jedoch Makgeolli aus Mepssal (nicht-klebriger Reis). Zuerst kocht man den Mepssal mit einer geringen Menge Wasser, damit er nicht zu klebrig wird. Dem gekochten Reis fügt man dann Nuruk (Wei-zenhefe) und noch etwas Wasser hinzu. Bei normalen Weinen werden einfache Hefen verwendet, aber für Makgeolli braucht man Nuruk, eine Hefe mit diastatischen Enzymen. Den gekoch-

Giuseppe Barone (rechts), ein italienischer Koch aus Sizilien, stößt in einem Restaurant in Seoul mit Gästen des 2009 Makgeolli Nouveau Galadinners an.

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ten Reis und Nuruk mischt man im Verhältnis 5:1 und und gibt dann noch einmal die 1.5-fache Menge des Reises an Wasser hinzu. Diese Mischung wird gut umgerührt und anschließend zum Gären in einen großen Tonkrug gegeben. Im Sommer braucht der Reiswein fünf Tage, um zu fermentieren, im Winter sieben. Der gegorene Wein wird dann gesiebt oder gefiltert, wobei Rückstän-de grob durch Sieb oder Filter gedrückt werden, damit er seine charakteristische trüb-milchige Farbe erhält. Diesen so herge-stellten Reiswein, bei dem die Hefe noch lebendig ist, nennt man „Roh-Makgeolli“. Wenn man ihn danach noch 30 Minuten in einem Wasserbad von 65 °C erhitzt, erhält man „pasteurisierten Makgeolli“.

Beliebt bei jungen Konsumenten und AusländernHauptantriebskraft hinter dem Makgeolli-Boom im Jahr 2009 war das große Interesse der Koreaner an der Gesundheit. Der Alko-holgehalt von Makgeolli ist nur 1,5 Mal höher als der von Bier und weniger als halb so hoch wie der von Traubenweinen. Deshalb spricht er auch Frauen an. Makgeolli hat eine milchige Farbe, weshalb Makgeolli bei den japanischen Konsumenten auch als

„Milky Sake“ vermarktet wird. Die weißliche Farbe des Reisweins rührt von den verschiedenen Ballaststoffen, Aminosäuren sowie organischen Säuren aus den Reiskörnern. Seitdem die gesunde Wirkung dieser Komponenten bekannt ist, gibt es sogar Men-schen, die ihre Diät mit Makgeolli unterstützen.Auch die neue Kombination von Makgeolli mit Sportaktivitäten trug zum Anstieg seiner Popularität bei. Früher war Makgeolli ein beliebtes Getränk für die Bauern auf dem Feld. Ein Schluck aus einer großen Schüssel Makgeolli zu nehmen, belebte den Geist, wärmte den Körper und schenkte neue Kraft zum Arbeiten. Der Alkoholgehalt ist gerade angemessen, um die Müdigkeit zu vertreiben ohne beschwipst zu werden. Im Jahr 2009 kam ein neuer Trend auf: Makgeolli als Getränk für Bergwanderer und Golfer. Bergenthusiasten, die für ihre Gesundheit jede 11

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1 Die neuen Makgeolli­Cocktails mit Früchten sind besonders bei Frauen und jüngeren Verbrauchern beliebt.

2 Huh Shi Myung (zweiter von rechts), der Leiter der Makgeolli­Schule, stößt mit japanischen Journalisten an, die zu Recherchen über Makgeolli nach Korea gekommen sind.

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Hauptantriebskraft hinter dem Makgeolli-Boom im Jahr 2009 war das große Interesse der Koreaner an der Gesundheit. Die weißliche Farbe des Reisweins rührt von den verschiedenen Ballaststoffen, Aminosäuren sowie organischen Säuren aus den Reiskörnern. Seitdem die gesunde Wirkung dieser Komponenten bekannt wurde, gibt es sogar Menschen, die ihre Diät mit Makgeolli unterstützen.

Woche einmal auf die Berge steigen, stecken sich eine Flasche gefrorenen Makgeolli in den Rucksack. Lässt man den Reiswein fünf Stunden lang im Gefrierschrank, gefriert er. Nach etwa zwei Stunden Wanderung ist er aufgetaut und hat sich in ein herrlich kühles Erfrischungsgetränk verwandelt. Ein Becher davon löscht den Durst und gibt neue Energie. Aus diesem Grund gibt es an den Wanderwegen in den Bergen am Rande der Hauptstadt Seoul viele Makgeolli-Verkäufer und am Fuße der Berge zahlreiche Makgeolli-Buden.Nach dem Abstieg trinken die Bergwanderer Makgeolli und essen Dubu-Kimchi (Tofu mit Kimchi) dazu; in diesem Fall heißt der Reiswein auch „Hasanju“, „Wein nach der Wanderung“. Auch die Golfer haben angefangen, nach dem Golfspiel Makgeolli statt der bislang üblichen teuren Alkoholsorten zu trinken. Es wurde näm-lich bekannt, dass Makgeolli das beste gegorene Getränk ist, das nach Sport und Schwitzen den Durst am effektivsten löscht und die Müdigkeit vergessen lässt.Eigentlich war Makgeolli ein Getränk der Bauern und des kleinen Mannes, aber seit seinem unglaublichen Comeback im Jahr 2009 hat sich das Image total gewandelt. Auch in den Kneipen in Uni-versitätsvierteln gibt es Makgeolli - das aber in einem völlig neuen Gewand. Farbenfrohe Makgeolli-Cocktails mit frischen Erdbee-ren, Ananas, Himbeeren oder Pfirsichen haben die Herzen und

Geschmacksnerven der jungen Frauen erobert. Im Jahr 2009 hielt das billige Alkoholgetränk, das pro 750ml-Flasche nur 1.000 Won, also nicht mal einen Euro kostet, auch Einzug in die Hotelbranche. Makgeolli wird in den Hotels in stilvollen Keramikgefäßen und zusammen mit traditionellen Köstlichkeiten angeboten und hat damit an Anspruch gewonnen. Vor allem ist er unter den auslän-dischen Hotelgästen sehr beliebt und kommt auch auf den Tisch, wenn Koreaner Gäste aus dem Ausland bewirten.

Makgeolli-Boom in JapanDie größten ausländischen Makgeolli-Fans sind die Japaner. Im zweiten Halbjahr 2008 nahm mit dem Anstieg des japanischen Yen auch die Zahl der japanischen Touristen in Korea zu. Damals war Makgeolli eins der beliebtesten koreanischen Produkte bei den japanischen Touristen. Auf die Frage nach dem Grund für diese Makgeolli-Begeisterung antwortete Tanaka Hiroshi, Journalist der Zeitschrift Die kulinarische Kultur Koreas, die in Japan bald erscheinen wird, wie folgt:„Viele japanische Frauen mittleren Alters, die manische Fans koreanischer TV-Serien oder Filme sind, besuchen Korea im Schnitt drei bis vier Mal im Jahr. Solche Touristen, deren Verständnis von Korea in die Breite und Tiefe reicht, noch zu überraschen, ist nicht

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einfach. Auf der Suche nach etwas Neuem und Urkoreanischerem als die bereits bekannten koreanischen Gerichte wie Bulgogi (gebratenes mariniertes Fleisch), Naengmyeon (Buchweizen-nudeln in kalter Rindfleischbrühe), Chuncheon Dakgalbi (gebra-tenes Huhn mit Gemüse, Spezialität der Stadt Chuncheon) und Bibimbab (Reis gemischt mit Ei, verschiedenen Gemüsen und Chilipaste), die auch in Japan zu haben sind, haben diese Japaner dann Makgeolli entdeckt.“Kim Hyo-seop, Vertreter der Firma Yidong Japan, die den Mak-geolli-Markt in Japan anführt, sagt, dass sich das Interesse der Japaner an der koreanischen Küche nach Kimchi, Galbi (gebra-tene Rippen), Gim (getrockneter Seetang) und Yuja-cha (Perga-mottzitronentee) jetzt auf Makgeolli richte. Mittlerweile gibt es in Japan auch eine Makgeolli-Brauerei, die von einem Japaner betrieben wird, und in der japanischen Hauptstadt kann man „Tokio-Makgeolli“ trinken.

Makgeolli NouveauIm Herbst des vergangenen Jahres sorgte Makgeolli aus frisch geerntetem Reis, der sog. „Makgeolli Nouveau“, für große Auf-

merksamkeit. In einem Versuch, das Image des Billigreisweins abzustreifen, brachte man den drei Mal teureren Makgeolli Nou-veau auf den Markt. Die bisherigen Makgeolli-Sorten wurden aus zwei bis drei Jahre altem Importreis und Importmehl, das als Nuruk-Ersatz verwendet wurde, hergestellt. Aber der neue Makgeolli aus dem auf koreanischem Boden angebauten Reis der neuen Ernte ist noch erfrischender und köstlicher. Da dieser Reis mehr als das Dreifache des Importreises kostet, ist auch der Preis des Makgeolli Nouveau entsprechend höher. Bemerkenswert ist zudem, dass der Makgeolli Nouveau am dritten Donnerstag im November, an dem traditionell der französische Beaujolais Nou-veau in die Geschäfte kommt, lanciert wurde und diesen in Bezug auf den Umsatz übertraf. Die neue Makgeolli-Marke zeitgleich mit dem Beaujolais Nouveau herauszubringen, war kein Zufall, son-dern eine wohl überlegte Strategie, die den Koreanern und Wein-liebhabern der Welt, die sich für den Wein aus der neuen Trau-benernte im französischen Weinanbaugebiet Beaujolais begeis-tern, gezeigt haben sollte, dass es jetzt ein gutes koreanisches Pendant zu diesem populären französischen Wein gibt. Das Event erzielte positive Reaktionen und jetzt wird Makgeolli Nouveau auch in Kaufhäusern der gehobenen Klasse rege verkauft.Auch die Einrichtung der Makgeolli-Schule wurde von den Mak-geolli-Fans enthusiastisch begrüßt. Aus der Tatsache, dass es immer mehr Menschen gibt, die über Makgeolli die koreanische Kultur kennen lernen wollen und nach neuen Geschmacksnoten suchen, ist zu schließen, dass der Makgeolli-Boom kein vorüber-gehender Trend sein wird.Welchen Alkohol trinken die Koreaner gerne? Welche Geschmacksnoten mögen sie? Wer eine Antwort darauf haben möchte, der sollte Makgeolli kosten. Als beste Kombination nennen die Koreaner Makgeolli mit Pajeon (Pfannkuchen aus Mehl, Eiern, Frühlingszwiebeln und manchmal anderen Zutaten wie Meeresfrüchten) oder Dubu-Kimchi (Tofu mit Kimchi). Viele Koreaner erinnern sich an regnerischen Tagen an Makgeolli mit Pajeon und gehen Makgeolli trinken. Dubu-Kimchi ist ein ein-faches Gericht, bei dem man Tofu mit gebratenem Kimchi isst. Der milde Geschmack des Tofu, die Schärfe des Kimchi und der süß-sauer-bittere Geschmack des Makgeolli ergänzen einander perfekt und überraschen selbst verwöhnte Gaumen.Wenn Sie einen Koreaner kennen lernen, dann schlagen Sie ihm vor, Makgeolli mit Dubu-Kimchi essen zu gehen. Das ist die schnellste Art, einen Freund zu gewinnen.

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1 Makgeolli beim Gären in einer kommerziellen Brauerei.

2 Die hohe Beliebtheit von Makgeolli hat zur Entwicklung verschiedener

Marken geführt, die jetzt auf dem Markt erhältlich sind.

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r Jeong Ji A

Die Schriftstellerin Jeong Ji A (geb. 1965) erlangte bereits Bekanntheit, als sie Mitte zwanzig

war und 1990 den Roman Die Tochter der Partisanen, der auf den Erfahrungen ihrer Eltern

beruht, herausbrachte. Im Jahr 2004 veröffentlichte sie ihren ersten Erzählband Das Glück

und 2006 erhielt sie für ihre Erzählung Landschaft den siebten Lee Hyo-seok Literaturpreis.

Frühlingslicht ist die Titelerzählung ihres 2008 erschienenen zweiten Erzählbandes.

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REZENSION

Unter den koreanischen Schriftstellern, die derzeit im Inland literarisch tätig sind, hebt sich Jeong Ji A durch ihren besonderen Hintergrund ab: Sie ist nämlich eine der wenigen aktiven

Schriftsteller, die auf dem Lande aufgewachsen sind und daher über Erinnerungen an die Natur in ihrer Ursprünglichkeit verfügen. Das liegt wohl an der raschen Modernisierung Koreas und wird durch die Tatsache belegt, dass die meisten Autoren ihrer Generation sich auf Erzählungen kon-zentrieren, die man als „Stadterzählungen“ bezeichnen kann. Jeong Ji A sticht nicht nur dadurch hervor, dass sie sich stärker zu Land-Geschichten hingezogen fühlt als zu Stadt-Geschichten,

sondern vor allem auch durch ihr besonderes Interesse für die Generation, die sich im Scheiden befindet. Das kann man „Neuentdecken der alten Menschen“ nennen.

Die Erzählung Frühlingslicht ist eine Geschichte, in der der fast fünfzig Jahre alte Sohn die Eltern in seinem Heimatort aufsucht, nachdem er von seiner Mutter benachrichtigt wurde, dass der Vater möglicherweise demenzkrank ist. Er fährt mit den Eltern zum Krankenhaus, wo sie die Diagnose „Demenz“

erfahren, und bringt Vater und Mutter dann wieder zurück nach Hause. Auf den ersten Blick scheint die Geschichte eine ganz einfache zu sein, beim nähe-ren Betrachten wird jedoch ersichtlich, dass die Erzählung die Ernsthaftigkeit

eines der Probleme, mit denen sich die heutige Gesellschaft konfrontiert sieht – nämlich das der Alten – aufzeigt. Die Autorin thematisiert nicht nur das Problem der Eltern-generation, in der Demenz keine Seltenheit ist, sondern auch das der Kinder bereits mittleren

Alters, die eine neue Beziehung mit ihren dementen Eltern eingehen müssen.In Frühlingslicht sind die Demenzsyptome des Vaters noch nicht so gravierend: Seine Bewegungen sind langsamer geworden, die Gedächtniskraft hat nachgelassen, im Umgang mit seiner Frau besteht er hartnäckig auf seiner Position usw. Man kann nicht sagen, dass diese Syptome an sich oder in ihrer Gesamtheit besonders problematisch wären. Das Problem besteht eher darin, dass sie als Funke wirken, an dem sich Hader zwischen den Eheleuten, die lange harmonisch zusam-mengelebt haben, entzündet und dass dies wiederum eine seelische Belastung für die Generation der Kinder darstellt. Die Szenen, in denen sich die Eltern des Protagonisten wegen Kleinigkeiten heftig in die Haare geraten als sei es ein alltägliches Geschäft, und der Sohn angesichts dieser für ihn höchst befremdenden Situation ganz verlegen ist, sind wohl Beispiele für die Familienland-schaft, die mit der zunehmenden Alterung der Elterngeneration entstehen kann.Der Protagonist ist völlig ratlos, als sich die Eltern wegen eines belanglosen Gerichts, das auf dem Esstisch fehlt, zanken, denn dieses Bild entspricht überhaupt nicht dem, das er von den Eltern in der Erinnerung gespeichert hat. Dieses Gefühl der Fremdheit rührt von der Erkennntnis seiner eigenen Unfähigkeit, die Tatsache anzunehmen, dass auch seine Eltern altern. Die Autorin Jeong Ji A bleibt jedoch nicht bei dieser Fremdheit und dem dadurch bewirkten Schock stehen, sondern

Kim Kyung-soo Literaturkritiker

Das Entdecken des Alters und dessen Literarisierung

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sucht nach einem Weg, darüber hinauszugehen. Der Weg besteht darin, durch die Reflexion über das Leben der Elterngeneration zu der Einsicht zu kommen, dass die Eltern, die ihre Kinder zu Erwachsenen aufgezogen haben, schon die Schwelle des Todes erreicht haben, und dass die Kin-der diesen greifbar nahe gerückten Tod ihrer Eltern auch akzeptieren müssen. Die folgende Ein-sicht des Helden, zu der er in der letzten Szene der Erzählung kommt, als er seine Eltern auf dem Rücksitz seines Wagens schlafen sieht, ist daher eine sehr schöne:

Als er, weil es plötzlich ruhig geworden war, einen Blick in den Rückspiegel warf, waren die bei-den mit den Köpfen aneinander gelehnt eingeschlafen, als hätten sie zuvor gar nicht gestritten. Die bereits achtzigjährigen Eltern mussten wohl erschöpft sein, denn sie waren in aller Herr-gottsfrühe aufgestanden und hatten schon einen langen Tag hinter sich. [...] Wie er als Kind bei langen Reisen immer quengelnd in den Armen der Eltern eingeschlafen war, so waren jetzt die Mutter und der Vater in seinem Wagen eingeschlafen, weil sie der Müdigkeit nicht länger standzuhalten vermochten. Nun musste er sie in seine Arme nehmen, genauso fürsorglich, wie sie sein Leben genährt hatten, und sie schützen, wenn sie ihr Leben – ihre Schuld auf dem Konto der Zeit – aus ihrem Griff ließen und sich auf den Weg zum Tod machten.

Es ist keineswegs leicht für den fast fünfzigjährigen Protagonisten beim Anblick seiner vor Erschöpfung eingeschlafenen Eltern, die sich am Ende ihres Lebensabends befinden, den Abschied von ihnen als unausweisliche Tatsache anzunehmen und im Zuge dessen auch über sein eigenes Leben zu reflektieren. Dem szenischen Kontrast zwischen dem machtvoll aufblühenden Früh-ling und dem so reflektierten Tod wohnt eine starke literarische Kraft inne. Mit der Erhöhung der Lebenserwartung ist es vielleicht nicht mehr so fremd, dass Eltern- und Kindergeneration zusam-men älter werden, aber eine Anleitung dafür, wie die eine Generation das Leben der anderen aner-kennen und ihr beistehen soll, ist für uns immer noch etwas Fremdes. Insofern ist das Nachdenken von Jeong über das Leben im Alter und darüber, wie man es annehmen und damit umgehen soll, von großem Wert. Es gehört sicherlich zu den Aufgaben der Erzählliteratur, die Frage zu stellen, welche Bedeutung dem Altsein des Menschen in einer zunehmend alternden Gesellschaft zukommt. Sieht man ein-mal von einer Minderheit, die noch in der traditionellen Großfamilie aufgewachsen ist, ab, so sind für die meisten modernen Menschen, für die es normal geworden ist, nach der Heirat getrennt und unabhängig von den Eltern zu leben, Altwerden und Altsein nicht mehr ohne Weiteres Selbst-verständlichkeiten ihres Erfahrungshorizontes, ja, es ist im gewissen Sinne sogar ein bisher noch nie erlebtes Leben in einer neuen Dimension. Wenn man dazu noch bedenkt, dass Alt- und Hoch-betagtsein keine Ausnahmeerscheinung mehr, sondern ein allgemeines Phänomen unserer Zeit geworden ist, so ist eine Auseinandersetzung mit dem Thema „Alter“ in der Litera-tur, die eine Art Anthropologie sein will, von besonderer Bedeutung. Die anderen Erzählungen im Erzählband Frühlingslicht sind im gewissen Sinne eine Verlängerung der Erzählung Frühlingslicht oder Bilder, die um diese Geschichte herum positioniert werden könnten. Es sind Variationen, in denen die Elterngeneration in ihrem Lebensabend und die Kindergeneration, die auf sie schaut, zusammen erscheinen. Solche Bilder zu erfassen ist die Aufgabe und die Rolle eines Schriftstellers. In diesem Sinne ist Jeong Ji A eine der wenigen, die dieser Aufgabe als Schriftsteller gerecht werden.

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