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GESUNDHEIT 1 KRANKENHAUSHYGIENE Bessere Hygiene soll Krankenhauskeime bekämpfen Jedes Jahr sterben in Deutschland Tausende an den Folgen einer Infektion mit einem Krankenhauskeim. Ein neues Maßnahmen- Paket der Koalition geht vielen nicht weit genug. VON Rainer Woratschka | 24. Januar 2011 - 00:00 Uhr © Carsten Koall/Getty Images Gerade in Krankenhäusern sind resistente Keime häufig. Die Hygiene ist daher besonders wichtig Es ist eine horrende Zahl. Schätzungen zufolge sterben pro Jahr bis zu 40.000 Menschen an mangelnder Krankenhaushygiene – das wären fast zehnmal so viele wie im Straßenverkehr. Nach jahrelanger Beschränkung auf Appelle ("Hände waschen!") plant die Koalition nun strenge und auch bundesweit einheitliche Regeln. Vorgesehen sind zudem spezielle Hygienebeauftragte für die Kliniken, Empfehlungen für den Umgang mit resistenten Keimen sowie ein Extrahonorar für Praxisärzte, die Menschen mit derartigen Infektionen behandeln. In der vergangenen Woche verständigten sich die Koalitionsexperten auf ein entsprechendes Konzept. Einigen in der FDP geht das jedoch nicht weit genug. "Verbindlichkeit ist das Gebot der Stunde", sagte der Berliner Abgeordnete Lars Lindemann . Trotz der Zuständigkeit der Länder für ihre Kliniken seien bei der Hygiene einheitliche Standards "unverzichtbar". Nötig sei eine "bundeseinheitliche Hygieneverordnung", an die sich alle zu halten hätten. Die bisherigen Pläne sehen lediglich vor, den Ländern den Erlass eigener Hygieneverordnungen zu "erleichtern". Konkret forderten die FDP-Politiker Lindemann und Jens Ackermann Standarduntersuchungen auf Klinikkeime bei Risikopatienten. Zudem sei mehr Transparenz vonnöten. "Die Patienten müssen wissen, welche Krankenhäuser und

Krankenhaus Hygiene Keime

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GESUNDHEIT

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K R A N K E N H A U S H Y G I E N E

Bessere Hygiene sollKrankenhauskeime bekämpfenJedes Jahr sterben in Deutschland Tausende an den Folgen einerInfektion mit einem Krankenhauskeim. Ein neues Maßnahmen-Paket der Koalition geht vielen nicht weit genug.VON Rainer Woratschka | 24. Januar 2011 - 00:00 Uhr

© Carsten Koall/Getty Images

Gerade in Krankenhäusern sind resistente Keime häufig. Die Hygiene ist daher besonders wichtig

Es ist eine horrende Zahl. Schätzungen zufolge sterben pro Jahr bis zu 40.000 Menschen an

mangelnder Krankenhaushygiene – das wären fast zehnmal so viele wie im Straßenverkehr.

Nach jahrelanger Beschränkung auf Appelle ("Hände waschen!") plant die Koalition

nun strenge und auch bundesweit einheitliche Regeln. Vorgesehen sind zudem spezielle

Hygienebeauftragte für die Kliniken, Empfehlungen für den Umgang mit resistenten

Keimen sowie ein Extrahonorar für Praxisärzte, die Menschen mit derartigen Infektionen

behandeln.

In der vergangenen Woche verständigten sich die Koalitionsexperten auf ein

entsprechendes Konzept. Einigen in der FDP geht das jedoch nicht weit genug.

"Verbindlichkeit ist das Gebot der Stunde", sagte der Berliner Abgeordnete Lars

Lindemann . Trotz der Zuständigkeit der Länder für ihre Kliniken seien bei der

Hygiene einheitliche Standards "unverzichtbar". Nötig sei eine "bundeseinheitliche

Hygieneverordnung", an die sich alle zu halten hätten. Die bisherigen Pläne sehen lediglich

vor, den Ländern den Erlass eigener Hygieneverordnungen zu "erleichtern".

Konkret forderten die FDP-Politiker Lindemann und Jens Ackermann

Standarduntersuchungen auf Klinikkeime bei Risikopatienten. Zudem sei mehr

Transparenz vonnöten. "Die Patienten müssen wissen, welche Krankenhäuser und

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Pflegeheime gute Hygienestandards haben", es brauche "nach außen sichtbare"

Qualitätssiegel. Und schließlich müsse man "Mechanismen" zur Verknüpfung von

Hygienequalität und Klinikentgelten finden. Wer sich nicht an die Standards halten könne

oder wolle, müsse wirtschaftliche Konsequenzen zu spüren bekommen.

Auch wenn es hierzulande vorbildliche Kliniken und Netzwerke gebe, diagnostiziert

der FDP-Politiker eine "systembedingte Nachlässigkeit" – insbesondere im Vergleich

zum Hygiene-Musterland Niederlande. "Wir haben inzwischen Entwicklungen, die

anders verlaufen als in vergleichbaren Ländern." Multiresistente Keime nähmen nicht nur

zahlenmäßig zu, heißt es in dem Koalitionspapier, sie stellten die Medizin auch vor immer

größere therapeutische Herausforderungen. 400.000 bis 600.000 Patienten infizierten sich

pro Jahr in deutschen Kliniken und Arztpraxen. Durch bessere Hygiene wären 20 bis 30

Prozent dieser Infektionen vermeidbar.

Um die Infektionen künftig besser in den Griff zu bekommen, sollten von vornherein

Risikogruppen definiert werden, fordern die FDP-Politiker. Mit Ausnahme von

Notfallpatienten müssten Kranke, die von der Besiedlung durch gefährliche Keime

besonders betroffen sein könnten, dann als Erstes auf diese Gefahr hin untersucht und,

wenn nötig, sogleich isoliert und gezielt behandelt werden.

Verantwortlich für das Problem ist jedoch aus Expertensicht noch eine zweite

Fehlentwicklung: der "maßlose und undifferenzierte" Einsatz von Antibiotika . Die

Forderungen dazu klingen allerdings sehr vage. Empfehlungen zu einem "sachgerechteren"

Antibiotika-Verbrauch seitens der Kommission für Krankenhaushygiene und

Infektionsprävention müssten "größeres rechtliches Gewicht" erhalten, heißt es in dem

Koalitionspapier.

Unklar ist, woher das Geld für die Hygienevorstoß kommen soll. Die

Krankenhausgesellschaft monierte sogleich, dass man die Kliniken nicht einerseits zum

Sparen verdonnern und ihnen andererseits immer mehr abverlangen könne. Lindemann

dagegen nennt verlässliche Hygienestandards eine Selbstverständlichkeit, auf die jeder

Patient ein Anrecht habe. Die Bekämpfung der gefährlichen Keime sei "eine ethische

Notwendigkeit", sagt er. Sie müsse mit Nachdruck verfolgt werden. Und: "Sie sollte uns

auch Geld wert sein."

Erschienen im Tagesspiegel

COPYRIGHT: ZEIT ONLINE, TagesspiegelADRESSE: http://www.zeit.de/politik/2011-01/krankenhaus-hygiene-keime