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Kriminologie IGrundlagen
Kriminologie I SS 2017 Page 2
Schwerpunkt Strafrechtspflege
Vorlesungen– Kriminologie I– Kriminologie II– Jugendstrafrecht– Sanktionenrecht I (Sanktionsformen, Strafzumessung, etc.) – Sanktionenrecht II (Strafvollzugsrecht)
Seminar Materialien, Links, Vorträge, Seminare, Stellenangebote
– Webseiten zum Schwerpunkt– www.mpicc.de/de/aktuelles/veranstaltungen/lehrveranstaltungen.html– www.mpicc.de/de/aktuelles/veranstaltungen/lehrveranstaltungen/sps.
html– www.strafrecht-online.org/lehre/schwerpunkt/– www.jura.uni-freiburg.de/studium/pruefungsamt/SPB-Studium
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Um welche Fragen geht es in der Kriminologie?
Wohnungseinbruch 2016
Spiegel online, 15. April 2017 Polizeiliche Kriminalstatistik Zahl der Einbrüche in
Deutschland gesunken Die Polizei hat im vergangenen Jahr rund 151.000
Einbrüche registriert. Das sind fast zehn Prozent weniger als 2015, berichtet der SPIEGEL. Zwei Bundesländer melden allerdings gestiegene Zahlen.
Gleichwohl liegt die Zahl der Einbrüche nach wie vor deutlich höher als vor zehn Jahren: 2006 wurde nur rund 106.000-mal eingebrochen.
Richtig! Aber 1996, also vor 20 Jahren war die Zahl deutlich höher als 2016, nämlich knapp 200.000
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Tod einer jungen Mutter
Spiegel Online, 30. 3. 2016 Ermittlungen gegen Frankfurter Jugendamt Leons Mutter Jessica B. war nicht zu Hause, als die Mitarbeiter des
Jugendamts Frankfurt am Main Bornheim an ihrer Wohnungstür klingelten. Der Junge, kein Jahr alt, war allein mit seinem Vater Jozsef S. in einer verwahrlosten, verdreckten Wohnung. Wo die Mutter sei? Keine Ahnung, so der Mann, die ließe sich nur sporadisch hier blicken, habe Probleme mit Drogen. Die Sozialarbeiter nahmen Leon aus der Familie. Das war am 18. Juni 2015. Rund einen Monat später wurde Jozsef S. festgenommen. Er gestand, Jessica B., 22 Jahre alt, getötet zu haben. In der Untersuchungshaft hat er sein Geständnis widerrufen. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main ermittelte nicht nur gegen Jozsef S., sondern auch gegen zwei Mitarbeiterinnen des Jugendamts: Die Eltern der 22-jährigen Jessica B. hatten Anzeige erstattet wegen Körperverletzung mit Todesfolge im Amt durch Unterlassen. Ihrer Ansicht nach hatte die Behörde auch Verantwortung für Leons Mutter, nicht nur für den Jungen.
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Victims request justice
Colorado legalized recreational pot in 2012
The Associated Press, March 10, 2014 6:49PM ET
Colorado gets $2M in marijuana taxes in first month of legalization
State Department of Revenue recorded $14.02 million in recreational marijuana sales in January
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Gegenstandsbereiche der Kriminologie
Täter/Kriminalität– Entwicklung, Trends – Ursachen/Bedingungen
Soziale Kontrolle/Strafrechtspraktiken– Entwicklung, Trends
» Strafen» Sicherheit und Sicherheitsgefühle» Medien und Kriminalitätsberichtserstattung
– Implementation, Evaluation von Kriminalpolitik– Kritik
Opfer/Viktimologie– Häufigkeit und Ursachen der Viktimisierung– Folgen der Viktimisierung für das Opfer– Kriminalitätsfurcht– Opferschutz
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Kriminalistik – Forensische Wissenschaften
Aufklärung und Tatnachweis– DNA, Fingerabdrücke– Vernehmungstechniken– Polizeiliche Informationssysteme– Profiling
Sachverständige im Strafverfahren (Forensik)– Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB)– Gefährlichkeit und Anordnung von Maßregeln (§§ 63, 64,
66 StGB) oder die Entlassung aus Maßregeln– Glaubwürdigkeit (von Zeugenaussagen)– Blutalkoholkonzentration– Todesursachen
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Wann beginnt die Suche nach den Ursachen von Verbrechen?
Ursachenforschung fällt zusammen mit der Entstehung eines folgenorientierten Strafrechts
– § 46 Abs. 1 S. 2 StGB: „Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen“
Bedarf an empirischem Wissen über Verbrechen und Straftäter
– Kriminalprävention und Rückfallvermeidung
– Schuld und Schuldfähigkeit; psychiatrische und medizinische Sachverständige
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Entwicklungslinien der Kriminologie
Empirische (positivistische) Linie der Kriminologie
– kriminalanthropologische Schule,Lombroso „Der geborene Verbrecher“
– Soziologische Schule: Tarde, Lacassagne(Milieu ist entscheidend)
Klassische Schule der Kriminologie
– Beccaria: Verbrechen und Strafe, Kritik des Strafrechts
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Lombroso (1835 - 1909)
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Lombroso: Kriminalität ist anlagebedingt
Zentraler Ansatz: Der Verbrecher ist an äußeren Merkmalen (stigmata) zu erkennen
1876 erscheint die Schrift „Der geborene Verbrecher“ (l´ uomo delinquente)
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Lombrosos „Verbrechermenschen“
1. Mörder und Dieb. Stark entwickelte Augenbrauenbögen, enorme Jochbeine und Kiefer, Stirnrunzeln.2. Mörder. Starke Runzeln, enorme Kiefer und Jochbeine, stark disproportioniert.3. Mörder und Dieb. Sehr langes Gesicht, langer Kiefer, dichtes und struppiges Haar, Bartlosigkeit.
Quelle: www. http://schulung.m-daniel.ch/index.php?nav=384,385,875,902
Lombrosos „Verbrechermenschen“
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Lombrosos Verbrechenstheorie
Verbrechen ist anlagebedingt
Grundlage der Erklärung
– Darwins Evolutionstheorie
– Verbrechen entsteht, weil ein Mensch auf einer frühen Entwicklungsstufe stehen geblieben ist
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Darwin: Evolutionstheorie und Sozialdarwinismus
Leben beruht auf einem Prozess der Evolution Evolution verläuft graduell und über lange Zeit Evolution beruht auf natürlicher Selektion Die verschiedenen Arten entstanden aus einer einzigen Lebensform
und zwar im Verlaufe eines Prozesses der Spezialisierung Unterschiede zwischen den Arten entstehen durch Zufallsprozesse Überleben und Aussterben der Arten sind bestimmt durch die Fähigkeit
von Organismen, sich an ihre Umwelt anzupassen
"On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life" (1859)
Versuch der Übertragung der biologischen Evolution auf soziale Evolution (Sozialdarwinismus)
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Die Kriminalanthropologie Lombrosos
Verbrecher sind primitive Menschen
Verbrechen sind atavistisch (Rückfall in überholte Verhaltensweisen)
Modell des „freien Willens“ ist ungeeignet: Verhalten ist determiniert
Konzept der Gleichheit – jeder Mensch wählt Handlungen frei aus, auf der Grundlage einer rationalen (vernünftigen) Entscheidung – wird abgelehnt
Verbrechen hat biologische Grundlagen– Forschungsmethode: systematischer Vergleich von Gefängnisinsassen
mit nicht auffällig gewordenen Personen– Einbezogene Merkmale in der Erklärung: äußere Merkmale
Kriminalpolitische Konsequenzen– Eugenik, Sicherung
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Milieutheorien
Lacassagne (1843-1924), Tarde (1843-1904) “Der Mensch wird zum Verbrecher, weil ihn seine Umwelt dazu macht”
– Französische kriminalsoziologische Schule: These: Die Umwelt determiniert die Entwicklung und die Handlungen
eines Menschen– Vorstellungen: Der Mensch ist formbar, erziehbar und von seiner
Umwelt abhängig (Rousseau)– Konsequenzen: Ein Schuldstrafrecht ist nicht begründbar. Aus der
Französischen kriminalsoziologischen Schule entwickelt sich insoweit konsequent die Doktrin der
Défence Sociale– Maßnahmen gegen einen Straftäter begründen sich nicht aus dessen
Schuld und Verantwortung für das begangene Unrecht, sondern aus dem Recht einer Gesellschaft, sich gegen Straftäter verteidigen zu dürfen
– Maßregelansatz
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Ferri (1856-1929)
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Ferri: Anlage-Umwelt-Formel
These: Verbrechen ist eine Funktion von Anlage des Menschen und dessen Umwelt
Hieraus entsteht in Deutschland die Vereinigungstheorie und – im 20. Jahrhundert – die Vorstellung, dass lediglich ein sog.
– multifaktorieller Ansatz
in der Erklärung von Kriminalität plausibel sei.
Zusammenfassung:
Die hiermit skizzierte Entwicklungslinie der Kriminologie ist– ätiologisch (an der Suche nach Ursachen orientiert)– deterministisch (Verbrechen als Schicksal - für das
Individuum)
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Klassische Schule der Kriminologie
Beccaria (1738-1794):“Über Verbrechen und Strafen” (1764)
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Jeremy Bentham (1748-1832)
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Klassische Schule
Unterschied zur positivistischen Linie der Kriminologie:
Aufgreifen der Fragestellung des Strafrechts und der Strafrechtlichen Sozialkontrolle
– Beeinflusst durch:
– Aufklärung– Staatsvertragstheorie
» Individuum, Staat/Gesellschaft, Kausalität
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Inhalt der klassischen Linie der Kriminologie
Grundlagen– Freier Wille– Gleichheit
Bentham – Konstanten des menschlichen Lebens sind Leid und Freude– Entscheidend ist das Nutzenkalkül– Jeder Einzelne kann am besten beurteilen, was für ihn am
nützlichsten ist Strafrechtskritik
– Forderungen Beccarias– Willkürverbot– Gesetzlichkeitsprinzip– Prävention anstelle Vergeltung (Nützlichkeit)– Abschaffung grausamer Strafen– Abschaffung der Todesstrafe
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Zusammenfassung
Zwei Entwicklungslinien
–Ursachenforschung
–Strafrechtskritik