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Krise als Chance. Interview mit dem neuen Bundesvorsitzenden der FDP Christian Lindner

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8/13/2019 Krise als Chance. Interview mit dem neuen Bundesvorsitzenden der FDP Christian Lindner

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Herr Lindner, gibt es die FDP noch?

(lacht) Wir sind ganz lebendig. Mit fast 60.000 Mitgldern und Tausenden Engagierten vor Ort. Über hunliberale Abgeordnete in Landtagen und in Europa sesich für Bürgerrechte und wirtschaftliche Vernunft Unverändert haben siebzig Prozent der Deutschen eunmittelbaren parlamentarischen AnsprechpartnerFDP. Wir sind vorübergehend aus dem Deutschen Bdestag ausgeschieden, aber wir sind weiter im Spiel

Dennoch war die Bundestagswahl eine historis

Zäsur. Zum ersten Mal gibt es keine liberale Par

im Parlament. Wo steht die außerparlamentaris

FDP nach der Bundestagswahl?

Seit der Wahl sind 1.500 Menschen in die FDP eingeten. Die Wählerinnen und Wähler haben einen Neufang der FDP erzwungen. Das ist mit vielen politischund menschlichen Härten verbunden. Aber wir gehdiesen Weg und suchen die Gründe nicht außerhalboder bei anderen. Die Niederlage verpflichtet uns, zuBesinnung zu kommen und die liberale Partei von e

unverändert starken Fundament aus neu aufzubaue

Muss die FDP sich ganz neu erfinden?

Die FDP sollte nicht gänzlich anders werden, aber wimüssen neu über Schwerpunkte und die Art unsere Auftretens nachdenken. Was ist die liberale DNA? Wsind die Partei der Lebenslaufhoheit: Jeder soll Autoreigenen Biografie und Experte für sein eigenes Lebe

Alles neu bei der FDP? Nicht ganz, sagt

Christian Lindner: Die Werte sind unverän-

dert, aber über Schwerpunkte und Auftre-

ten muss man nachdenken und die liberale

Partei von einem nach wie vor starken Fun-

dament neu aufbauen. Gegen mehr Gleich-

heit und Umverteilung und weniger Frei-

heit, Dynamik und Vielfalt hilft nur eine FDP

als Bürgerbewegung, die auf Maß und Mitte

achtet und ihre Werte nachvollziehbar auf

die Probleme der Zeit anwendet. Wie, er-

läutert er in diesem Interview.

DIE KRISEALS CHANCE

„Wir sind

 weiterim Spiel“Das Wahlergebnis war bitter. Doch es wie

Weg zum Neuanfang. Für den steht Ch

Lindner. Ein Gespräch über das Umdenk

 // INTERVIEW // KIRSTIN HÄRTIG   // FOTOS // TINA MERKA

DIE ZUKUNFT DER FDP

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... die alle belegen, dass es off ensichtlich doch ein libera-

les Milieu in Deutschland gibt. Und dass die Positionie-

rung der FDP als Partei wirtschaftlicher Vernunft und

 gesellschaftspolitischer Liberalität attraktiv ist. Ist es aber glaubwürdig, wenn jene Parteien, die gerade noch das

Leben bürokratisieren wollten, die die Menschen in ihrer

Privatsphäre überwachen oder ihnen die finanziellen

Spielräume nehmen wollten, nun plötzlich von Freiheit

sprechen? Für die ist Liberalsein nur eine Marktlücke, für

uns hingegen eine Haltung.

Man könnte aber auch umgekehrt sagen, es brauche

 jetzt keine liberale Partei mehr, denn alle Parteien

seien ja irgendwie liberal.

Das klingt eher nach Beliebigkeit als nach Liberalismus.

Die Debatten der letzten Zeit und die Vorhaben der

Großen Koalition belegen doch genau das Gegente

 vom Griff  in die Sozialkassen, der Verriegelung des

 Arbeitsmarktes über die planwirtschaftliche Ener

tik bis zur Vorratsdatenspeicherung. Die anderen Pen wollen die Beweislast umkehren: Nicht diejenig

sollen sich rechtfertigen, die unsere Freiheit einsch

ken, sondern derjenige, der weiter auf die Mündig

der Menschen vertraut. Alles läuft auf mehr Gleich

und mehr Umverteilung und auf weniger Freiheit

Dynamik und Vielfalt hinaus. Umso mehr braucht

FDP, die auf Maß und Mitte achtet.

 Wie werden Sie sich dann zur voraussichtlich

Großen Koalition positionieren?

Die FDP ist jetzt die eigentliche Opposition. Nur die

Liberalen haben ein grundlegend anderes Politikveständnis als die Große Koalition. Als Partei haben w

Fehler gemacht, unsere Bilanz als Teil der letzten R

rung ist dennoch beachtlich. Die Union hat sich nu

 widerstandslos und in einem enormen Tempo von

Prinzipien der christlich-liberalen Regierung verab

det, sodass sich die Wählerinnen und Wähler der C

CSU die Augen reiben müssten. In den Debatten im

Deutschen Bundestag wird die Große Koalition von

links-grünen Opposition künftig dafür angegriff en

den, dass sie zwar mehr Staat, aber immer noch nic

 genug Staat, zwar mehr Ausgaben, aber immer noc

nicht genug Ausgaben, zwar mehr Bürokratie, aber

mer noch nicht genug Bürokratie beschlossen hat.

 Was ist Ihr Gegenmodell?

 Wir setzen auf einen soliden und gegenüber komm

Generationen gerechten Staat, der sich aus den Ket

 Verschuldung befreit. Dazu werden wir neue Vorsc

zu erarbeiten haben, wie wir den Staat in seinen Ke

 gaben handlungsfähig halten, seine Strukturen ang

des demografischen Wandels aber modernisieren.

setzen auf die Kraft und die Fähigkeit der Marktwir

sichere Arbeitsplätze zu schaff en und Wohlstand zu

erwirtschaften. Auch hier muss mit Blick auf neue T

logien und den sich abzeichnenden Fachkräftemankonzeptionell neu gedacht werden. Wir setzen auf d

Rechtsstaat, der seinen Souverän, die Bürgerinnen

Bürger, nicht ausspioniert, sondern vor kommerzie

Datensammlern und Kriminalität schützt. Wir wolle

Europa, das große Chancen für uns bietet, wenn wi

der jetzigen Krise marktwirtschaftlicher, demokrati

und bürgernäher gestalten.

Es soll wieder aufwärts-

gehen: Christian Lindner im

Gespräch mit Kirstin Härtig,

Leiterin Presse und Kommu-

nikation bei der Friedrich-

Naumann-Stiftung für die

Freiheit. Wegen Lindners

Faible für Automobile trafen

sie sich in der Classic-Remi-

se Berlin, einem Zentrum

für Oldtimer und Liebhaber-

fahrzeuge.

DIE ZUKUNFT DER FDP

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 Apropos Europa: Ist die AfD ein dauerhafter und

ernsthafter Konkurrent der FDP? Manche dort

sehen sich schon als „Nachfolgerin“ der FDP.

Diese sogenannte Alternative versucht mit Professoren-Titeln politische Bauernfängerei. Liberale sind das nicht, wenn Protagonisten dieser Partei in der Familienpolitik Anleihen bei Putin und in der Außenpolitik bei Bismarcksuchen. Vor allem ihre ökonomischen Konzepte für den

Euro-Raum sind veraltet und wären im Fall einer Umset-zung extrem teuer und politisch hochriskant.

Manche Kritiker denken da anders, sie sehen viel-

mehr die Euro-Politik der vergangenen Jahre als

Ursache für die anhaltende Krise.

Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben stets die stabilitäts-orientierte Strategie verfolgt, Hilfe an überschuldeteLänder nur unter der Bedingung zu geben, dass dieseStaaten unverzüglich Reformen einleiten. Tatsächlichsind erste Erfolge jetzt sichtbar. Es wäre töricht, nun ausideologischen Gründen neue Turbulenzen auszulösen.Fraglich ist allerdings, ob die Große Koalition an dieserStrategie festhält. Insbesondere bei der geplanten Ban-kenunion bin ich in Sorge: Banken erhalten von derZentralbank billiges Geld. Damit decken sie sich risikolosmit Staatsanleihen ein. Das reduziert den Reformdruckauf die Euro-Staaten. Und am Ende zahlt für die Abwick-lung maroder Banken aus Südeuropa der deutscheSparer. Das wäre die völlig unkontrollierbare Transfer-union durch die Hintertür.

 Was wäre Ihre Alternative?

Die finanzpolitische Eigenverantwortung der Euro-Staa-ten muss wiederhergestellt werden. Rettungsoperatio-

nen können nur Ausnahmecharakter haben. Handelnund Haften gehören zusammen – in der Privatwirtschaftund bei den Staatsfinanzen. Für den nationalen Banken-sektor muss der jeweilige Staat verantwortlich bleiben– bei gemeinsamen europäischen Regeln. Ganz generellist es die ordnungspolitische Schlüsselaufgabe, denrenditeorientierten privaten Finanzsektor und die kre-ditsüchtigen Staaten voneinander zu trennen. Beide sind

 gegenwärtig so verwachsen, dass man kaum mehr vonMarktwirtschaft sprechen kann. Übrigens sehe ich eine vergleichbare Aufgabe im Bereich der bürgerlichenFreiheitsrechte.

Inwiefern?

Die Enthüllungen zur Tätigkeit der NSA in Deutschlandzeigen, dass auch im 21. Jahrhundert und auch in Demo-kratien die Privatsphäre nicht unantastbar ist. Im Gegen-teil, das potenzielle Zusammenwirken von Nachrichten-diensten und den kommerziellen Datensammlern imInternet erlaubt eine lückenlose Überwachung und die

 Anlage detaillierter Persönlichkeitsprofile. Mich irritiertmitunter die Sorglosigkeit gegenüber dieser Gefahr.Privatheit ist eines der grundlegenden Bürgerrechte.Nur in totalitären Gesellschaften fallen das Private unddas Öff entliche zusammen. Liberale Aufgabe ist es,einerseits Big Brother, also den Staat, auf das rechtsstaat-lich Vertretbare zu beschränken. Andererseits Big Data,also die private Datensammlung, rechtsstaatlich zu

 „Wenn wir unsere Werte nach-

vollziehbar auf die Probleme

der Zeit anwenden, dann wird

die FDP besser als zuvor.“ 

liberal 1.2014

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DIE ZUKUNFT DER FDP

regeln. So wie systemrelevante Banken eine Aufsichtbenötigen, so halte ich auch eine Aufsicht über system-relevante Datenbanken für erforderlich. Dieser Frage

muss die FDP sich detaillierter und fundierter widmen. Weil wir eben über Europa gesprochen haben: Hier wäre eine europäische Initiative angezeigt.

Eine andere Sorge der Menschen ist die Energie-

 wende. Sie wurde in der Regierung von der FDP

mitgetragen. Die Kritik an der konkreten Ums

zung wächst aber weiter. Wird die FDP nun, oh

die Bürde der Regierungspartei, diese Kritik a

nehmen? Wir haben auch als Regierungspartei einen marktschaftlichen Neustart in der Energiepolitik gefordentsprechende Konzepte entwickelt. Die BlockadeBundestag und Bundesrat – also jener, die heute gsam regieren – hat eine grundlegende Neuorientiezum Schaden der Bürger und der Umwelt verhind

 Wie sehen die Konzepte der FDP denn aus?

Die Subvention der Erneuerbaren dient zunehmemehr ihren Investoren als der Ökologie, der Vorraihrer Einspeisung macht die stabilen Energieträge

unrentabel und destabilisiert die Netze. Ein neuesmodell für die Energiepolitik muss die Energieträgden Wettbewerb stellen. Der Einspeisevorrang mumindestens regional ausgesetzt werden können. DTempo des Ausbaus muss an das physikalisch Möund wirtschaftlich Tragfähige angepasst werden. U vor allem empfehle ich, die Energiepolitik europädenken. Es ist verantwortungslos, dass die Große Kon dagegen nur an Symptomen herumdoktern wi

Und wie sieht es mit der innerparteilichen

Demokratie aus? Wird die FDP in der neuen L

zur „Graswurzelbewegung“?

Zu einer Bürgerbewegung, ja. Wir glauben an die Mdigkeit der Bürgerinnen und Bürger, also sollten win unserer Demokratie mehr entscheiden lassen. A gen will ich bei den Mitwirkungs- und Mitentschemöglichkeiten innerhalb der FDP. Bei unserem kleParteitag in Nordrhein-Westfalen hatten zuletzt be weise nicht nur die Delegierten Rederecht, sonderanwesenden Mitglieder. Das ist sicherlich nur ein Ada ist noch mehr möglich.

 Vor Ihnen liegen vier Jahre in der außerparlam

rischen Opposition. Wie optimistisch sind Sie,

die FDP danach wieder ins Parlament zurückkDie kommenden Jahre werden nicht einfach sein.  wird Widerstände, Rückschläge und kontroverse Dten geben. Wenn wir uns aber gemeinsam erneue wenn wir einen neuen Mannschaftsgeist entwicke wenn wir unsere Werte nachvollziehbar auf die Prme der Zeit anwenden, dann wird die FDP in den schen Bundestag zurückkehren.

Z U R P E R S O N

Christian Lindner, geboren

1979, studierte Politikwis-

senschaft, Öffentliches

Recht und Philosophie in

Bonn. Selbstständiger Un-

ternehmer von 1997 bis

2004. Landtagsabgeordne-

ter in NRW von 2000 bis

2009 sowie seit 2012. Bun-

destagsabgeordneter von

2009 bis 2012. Generalse-

kretär des Landesverbandes

von 2004 bis 2010 sowie

des Bundesverbandes von

2009 bis 2011. Seit 2012

Vorsitzender von Landtags-

fraktion und Landesverband

der FDP in NRW.

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