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Unterlagen für Hochschullehrgang für SchülerberaterInnen an höheren Schulen Modul 5 Krisenberatung und Krisenbegleitung Einführung in die Krisenberatung und Krisenbegleitung Teil I Umgang mit Krisensituationen in der Schule Zusammengestellt von Dr. Hans Smoliner

Krisenberatung und Krisenbegleitung Teil I€¦ · (nach Erika Schuchardt) Ungewissheit. Was ist eigentlich los? Gewissheit. Eingangsstadium I. Ja aber das kann doch nicht sein

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Unterlagen für Hochschullehrgang für SchülerberaterInnen an höheren Schulen

Modul 5 Krisenberatung und Krisenbegleitung

Einführung in die Krisenberatung und Krisenbegleitung Teil I

Umgang mit Krisensituationen in der Schule

Zusammengestellt von Dr. Hans Smoliner

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INHALT

TEIL I KRISE UND KRISENINTERVENTION 1. ZUM VERSTÄNDNIS VON KRISE ......................................................................................................... 1 2. ALLGEMEINE PRINZIPIEN der KRISENINTERVENTION .................................................................. 7 3 SPEZIELLE NOTFALLSITUATIONEN.................................................................................................. 13 TEIL II KRISENBERATUNG UND KRISENBEGLEITUNG 1 PSYCHOLOGISCH- PÄDAGOGISCHER UMGANG MIT LEIDERFAHRUNGEN.............................. 14 2 UMGANG MIT TRAUMATISIERTEN MENSCHEN ............................................................................. 16 3 UMGANG MIT SUIZIDALEN MENSCHEN.......................................................................................... 18 4 UMGANG MIT KRISENSITUATIONEN IN DER SCHULE ................................................................. 21 TEIL III KRISENINTERVENTION AN SCHULEN 1 SCHULISCHES KRISENMANAGEMENT ............................................................................................. 24 2 KATASTROPHEN.................................................................................................................................... 27 3 UNFÄLLE................................................................................................................................................. 28 4 VERMISSTER SCHÜLER VERMISSTE SCHÜLERIN.......................................................................... 29 5 GEWALTHANDLUNGEN - ERPRESSUNG........................................................................................... 30 6 AMOKLAUF............................................................................................................................................. 32 7 BOMBENDROHUNG.............................................................................................................................. 33 8 VERDACHT AUF SUCHTMITTELMISSBRAUCH................................................................................ 34 8 UMGANG MIT KLASSEN ANLÄSSLICH EINER KRISE...................................................................... 36 LITERATURHINWEISE:............................................................................................................................ 38 Dr. Hans Smoliner Schulpsychologe, Klin. und Gesundheitspsychologe Dipl. Kunsttherapeut Psychotherapeut und Supervisor Schulpsychologie – Bildungsberatung Feldkirchen 9560 Feldkirchen, Obere Tiebelgasse 5 Tel.: 04276/37 700 Mobil: 0699/100 95 316 [email protected] www.schulpsychologie-kaernten.ksn.at

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Zum Verständnis von Krise

TEIL I KRISE UND KRISENINTERVENTION

1. ZUM VERSTÄNDNIS VON KRISE

Krise lässt sich allgemein definieren als: – Labilisierung eines Systems (Person, Gruppe, Institution...), – einer Gefährdung des Bestandes / der Identität des Systems

Als psychosoziale Krisen könnten bezeichnet werden(aus Reiter/Strotzka, 1977):

– vorwiegend akute Ereignisse und/oder Erlebnisse – die überraschend eintreten, – in der Regel einen Verlust mit sich bringen, – den Charakter des Bedrohlichen haben, da sie – Ziele und Werte in Frage stellen; – von Angst, Insuffizienzgefühlen und Hilflosigkeit begleitet sind, – Entscheidungen und Anpassungsleistungen in relativ kurzer Zeit erzwingen, dabei die Problembe-

wältigungskapazität aufs äußerste beanspruchen, bzw. überfordern; – deren Ausgang ungewiss ist und die – die Chance zur Neuorientierung bieten.

1.1 Definition von Krise Unter psychosozialen Krisen verstehen wir: „den Verlust des seelischen Gleichgewichts, den ein Mensch verspürt, wenn er mit Ereignissen und Le-bensumständen konfrontiert wird, die er im Augenblick nicht bewältigen kann, weil sie von der Art und vom Ausmaß her seine durch frühere Erfahrungen erworbenen Fähigkeiten und erprobten Hilfsmittel zur Erreichung wichtiger Lebensziele oder zur Bewältigung seiner Lebenssituation überfordert“ (Sonneck, 1995, 31)

1.2 Arten von Krisen Krisen sind Ereignisse, die sich im Leben jedes Menschen immer wieder einstellen. Wir unterscheiden 3 Arten von Krisen: die "Traumatische" Krise (nach Cullberg), ausgelöst durch plötzliche, meist unvorhergesehene Schick-salsschläge, wie z.B. Krankheit oder Invalidität, Tod eines nahestehenden Menschen, Trennung, Entlas-sung. die Veränderungskrise (nach Caplan), die in jedem Lebenslauf durch seine natürliches Fortschreiten ent-steht, also durch Heranwachsen, Verlassen des Elternhauses, Heirat, Geburt eines Kindes, Ablösung der Kinder, Altern etc. Krisensysteme: Die Systemtheorie kennt noch Krise als Epiphänome systemischer Dysfunktion: Ohne das a) oder b) auftritt, eskaliert eine soziale Situation in einem System, sodass der Zusammenhalt existen-tiell in Frage gestellt wird

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Zum Verständnis von Krise

1.2.1 Veränderungskrise (nach Caplan, 1964)

Treten auf, wenn entwicklungsbedingt größere Veränderungen anstehen und diese für den Betroffenen übermäßig schwierig erscheinen und Angst auslösen. Kritische Entwicklungsschritte können sein: Puber-tät, Heirat, Auszug aus Elternhaus, eigene Elternrolle, Berufswechsel, Arbeitslosigkeit, Pensionierung …

KONFRONTATION

VERSAGEN

MOBILISIERUNG BEWÄLTIGUNG

RÜCKZUG – RESIGNATION CHRONIFIZIERUNGSGEFAHR

VOLLBILD DER KRISE

– In der Konfrontation mit dem problematischen Ereignis bleibt das gewohnte Problemlösungsverhal-

ten wirkungslos und führt zum Aufkommen von Spannung und Unbehagen. – Die zweite Phase erlebt der Betroffene derart, dass er die Belastung nicht bewältigt, d.h. er erlebt

sich als Versager. Das Selbstwertgefühl sinkt, die Spannung steigt. – In der dritten Phase führt der innere Druck zur Mobilisierung aller inneren und äußeren Bewälti-

gungskapazitäten. Sie kann zu: – Bewältigung der Krise führen (damit führt die Spannung zu einer Veränderung), kann aber auch zu – Rückzug und Resignation mit der Gefahr der Chronifizierung führen.

Es besteht die Gefahr, dass es in der vierten Phase zum Vollbild der Krise kommt, die von unerträglicher Spannung geprägt ist. Es kommt zu innerem Chaos, entweder sind Verhalten und Äußerungen ungesteu-erte, ziellose Aktivitäten zur Spannungsabfuhr (Schreien, Toben, Suizidhandlungen), oder die Person ist innerlich gelähmt, was Denken, Fühlen und Handeln erfasst. Der Betroffene ist jetzt von Interaktionen und Reaktionen der Umwelt abhängig (Bezugspersonen, professionelle Helfer etc.). Der weitere Verlauf ähnelt der “traumatischen Krise“

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Zum Verständnis von Krise

1.2.2 Traumatische Krise (nach Cullberg, 1978)

Traumatische Krisenanlässe sind meist unvorhergesehene Schicksalsschläge (plötzliche Krankheit oder Invalidität, Tod einer nahestehenden Person, Trennung etc.)

SCHOCK

REAKTION Chronifizierung Krankheit Alkohol-, Drogen- und Medikamentenabhängigkeit Suizidales Verhalten

BEARBEITUNG

NEUORIENTIERUNG

In der Reaktionsphase handelt es sich primär um eine emotionale Reaktion z.B. mit

– Fixierungsgefahr: wenn intrapsychische Konflikte aktiviert werden – Chronifizierungsgefahr: wenn äußere Hilfsmöglichkeiten versage – Alkohol-, Drogen- und Medikamentenmissbrauch als inadäquates Coping – suizidales Verhalten als Reaktion auf ein “Wechselbad der Gefühle“

1.2.2.1 Interventionsmöglichkeiten:

Schockphase:

Haltung: Ich bin für Sie/Dich da – Geborgenheitsgefühl geben bei starken Schock: Betroffenen nicht alleine lassen bei Toben: vor körperlichen Schaden schützen Hinweis: in der Schockphase keine vernunftmäßige Bearbeitung

Reaktionsphase:

wahrnehmen, ermutigen, einordnen und verstehen den Betroffenen: sprechen lassen Resonanzboden für Gefühle sein Wut und Trauer zulassen Konfrontation mit der Realität durch behutsames Stützen

Bearbeitungsphase: bereits bekannte Möglichkeiten reaktivieren (Was haben sie schon gemacht? Was gibt es noch? etc.)

Während sich der Schock von der Reaktion klar abgrenzen lässt, gibt es häufig einen Wechsel von Reak-tions- und Bearbeitungsphase!

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1.2.3 Kritisches Ereignis – Plötzlich und unerwartet auftretend – Gewohnte Bewältigungsmechanismen überfordert – Psychische Stressbelastung

Beispiele: Verlust oder Tod eines nahe stehenden Menschen, Unfall, schwere Krankheit, Trennung, Ge-walt, Überfall, sexueller Missbrauch, Großschadensereignisse, Naturkatastrophen... Nicht jedes kritische Ereignis muss in eine Krise führen und nicht jede traumatische Krise muss zu psy-chischen Störungen führen! Bei entsprechenden Bewältigungsmöglichkeiten kann die Person nach Durchleben der verschiedenen Phasen ihr gewohntes Leben wieder aufnehmen. Nicht mit der gleichen psychischen Ausstattung wie vor-her, sondern durch die Erfahrung reicher eine Krise bewältigt zu haben. Viele der Betroffenen können das Erlebte, nach einem entsprechenden Bearbeitungszeitrahmen und mit Hilfe der Unterstützung ihres so-zialen Umfeldes, bewältigen, d.h. in ihre Lebensgeschichte einordnen, sodass es ein Stück ihrer psychi-schen Identität ist.

1.2.4 Traumatisches Erlebnis Traumatische Erlebnisse sind Grenzerfahrungen - sie bringen Individuen an die Grenze ihrer Belastbar-keit, ihrer Flexibilität, ihres Handlungsvermögens, ihres Fassungsvermögens und oft an die Grenze zwi-schen Leben und Tod. (Butollo, 2003) Ein traumatisches Erlebnis wird als vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten erlebt, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzlo-ser Preisgabe einher geht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewir-ken kann.

1.2.5 Traumatische Reaktion Biphasischer Wechsel zwischen Intrusion und emotionaler Dumpfheit (emotionale Anästhesie), der ge-wissermaßen mit Hilfe einer Schaukelbewegung zur Verarbeitung der traumatischen Erfahrung beitragen kann. Intrusionen oder „Flashbacks": Belastende und sich aufdrängende Erinnerungen und Eindrücke, meist in Form von sensorischen Wahrnehmungen (Bilder, Gerüche, Töne, Geschmack ...). Der Betroffene er-lebt es so, als wäre es im Hier und Jetzt – er kann nichts dagegen tun - erlebt das Trauma sozusagen wie-der.

1.3 Beurteilung von Krisen Um das Ausmaß einer Krise erfassen zu können, hat es sich bewährt, Krisen in Bezug auf die Zahl der be-troffenen Dimensionen zu betrachten: Welche und wie viele Säulen der Identität sind "angeknackst", welche und wie viele sind stabil, geben Si-cherheit und wirken kompensierend?

1.3.1 Säulen der Identität 1. Körper, Sexualität, phys. Gesundheit, 2. Soziales Netz, Freunde, Beziehungen, 3. Tätigkeiten, Arbeit, Freizeitgestaltung, 4. Wohnen, Geld, Materielles, 5. Werte, Religion, Spiritualität Wie Krisen erlebt und verarbeitet werden, hängt allerdings nicht nur davon ab, wie tiefgreifend und allum-fassend die Erschütterungen sind, sondern auch davon, welche Erfahrungen ein Mensch in seinem bishe-rigen Leben mit Krisen und deren Überwindung gemacht hat.

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Zum Verständnis von Krise

1.3.2 Betroffene Personen Primäropfer: vom Ereignis selbst unmittelbar traumatisiert, also z.B. Verletzte, Verschüttete, Miss-brauchsopfer... Secundäropfer: die durch den Anblick der Unfallstelle oder durch die Hilfe für die Opfer traumatisiert wurden. Das können Zuschauer, Angehörige, Notärzte, Sanitäter, Feuerwehrmänner, Exekutivbeamte, Notfallpsychologen, -Seelsorger, freiwillige Helfer, etc. sein. Tertiäropfer: die nicht vor Ort waren, aber durch die Nachricht des Ereignisses traumatisiert wurden, al-so z.B. Angehörige und Freunde der Opfer, Nachbarn, Hinterbliebenen, aber auch Telefonisten in Orga-nisationen.

1.4 Phasen der Krisenbewältigung Die hinderlichen und hilfreichen Bewältigungsstrategien können den Phasen der Krisenbewältigung zuge-ordnet werden, wobei hinderlich nicht für die momentane Krisensituation verstanden werden soll, son-dern nur im sinne einer schlussendlich konstruktiven Bewältigung. Janke, Erdmann und Kallus (1985) beschreiben 19 Copingstrategien, Folkman und Lazarus (1990) erfassen 8 Dimensionen:

Phase Janke, Erdmann & Kallus Folkman & Lazarus

Nicht-Wahrhaben-Wollen

– Bagatellisieren – Herunterspielen durch Vergleich mit

anderen – Ablenkung von der Situation – Vermeidungstendenz – Fluchttendenz – Pharmakaeinnahme

– Distanzieren – Flucht und Vermeidung

Emotionale Phase

– Schuldabwehr – Ersatzbefriedigung – Suche nach Selbstbestätigung – Soziale Abkapselung – Bedürfnis nach

sozialer Unterstützung – Gedankliche Weiterbeschäftigung – Resignation – Selbstbemitleidung – Aggression

– konfrontierendes Coping – Selbstkontrolle

Bewältigungsphase – Situationskontrollversuche – Reaktionskontrollversuche – Positive Selbstinstruktion

– Suche nach soz. Unterstützung – Übernahme von

Verantwortung – geplante Problemlösung – positive Neueinschätzung

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Zum Verständnis von Krise

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1.4.1 Phasen der Krisenbewältigung (nach Erika Schuchardt)

Ungewissheit

Was ist eigentlich los?

Gewissheit Eingangsstadium I

Ja aber das kann doch nicht sein... Kognitiv-reaktiv fremdgesteuerte Dimension

Aggression

Warum gerade ich?

Verhandlung

Wenn... dann muss aber?

Depression Durchgangsstadium II

Wozu..., alles ist sinnlos? emotional ungesteuerte Dimension

Annahme

Ich erkenne jetzt erst

Aktivität Ziel Stadium III

Ich tue das reflexiv-aktional selbstgesteuerte Dimension

Solidarität

Wir handeln

1.4.2 Zum Verlauf von Krisen Ein "typischer Krisenverlauf" lässt sich - schematisch und grob vereinfacht - folgendermaßen darstellen: Ein krisenhaftes Geschehen wird durch innere und/oder äußere Ereignisse (Konflikt/Trauma) ausgelöst (z.B. Kündigung, Tod der Mutter) Es entsteht Turbulenz, Unsicherheit, Verwirrung, Angst (Engpass-Gefühl). Die alten Abwehrstrukturen sind labilisiert, drohen sich aufzulösen. Diese Phase dauert unter-schiedlich lange und verläuft unterschiedlich dramatisch bis zum Höhepunkt / Wendepunkt im Krisenver-lauf (Crisis heißt "Höhepunkt") Lösung der Krise im positiven Sinn - wenn nicht, wird dieser Kreislauf viel-leicht einige Male durchlebt, durchlitten, bis mehr und mehr losgelassen werden kann - sofern dieser Pro-zess nicht an irgendeiner Stelle "chronisch" blockiert ist.

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Allgemeine Prinzipien der Krisenintervention

2. ALLGEMEINE PRINZIPIEN der KRISENINTERVENTION

2.1 Grundlagen Notfallpsychologischer Interventionen „Krisenbewältigung umfasst alle Handlungen und Aktivitäten, die dem Betroffenen bei der Bewältigung seiner aktuellen Schwierigkeiten helfen und seine innere Anspannung verringern. Dazu zählen emotionale Unterstützung und Gespräche sowie praktische und materielle Hilfeleistungen aller Art. Wichtig ist die rasch einsetzende Entlastung." (Hausmann, 2003) Dem Betroffenen und seinem sozialen Umfeld soll es dadurch gelingen, so rasch wie möglich sich wieder selbst helfen zu können. Während oder nach einem kritischen Ereignis soll Unterstützung auf 3 Ebenen erfolgen:

– 1. Ebene: Einfache soziale Unterstützung Das allgemein menschliche Da-sein! Kann von fast jeder Person geleistet werden (Passant, Einsatz-kräfte jeder Organisation ...)

– 2. Ebene: Psychosoziale Betreuung – Erfolgt durch Personen die im Führen von hilfreichen Gesprächen geschult sind und die zu ihren

Aufgaben in der Hilfsorganisation gehören, daher haben sie die nötige Zeit. Berufsgruppen: KIT-Angehörige, Akutbetreuer, Seelsorger, Psychologen, Psychiater ...

– 3. Ebene: Spezifisch-professionelle Hilfe – Hier differenzieren sich die Tätigkeiten von Psychiatern, Seelsorgern, Psychologen, Psychothera-

peuten zunehmend.

Krisenintervention sollte sein: 1. Einfach 2. Pragmatisch 3. Problemorientiert

4. Innovativ 5. Rascher Beginn 6. Kurz

2.2 Allgemeine Prinzipien der Krisenintervention (nach Sonneck 2000)

– Rasche, aktive Hilfe geben. Der Berater/Therapeut muss ev. organisierend eingreifen. – Beziehung anbieten: Sehr persönlicher Kontakt und Mitgefühl (nicht Mitleid) ersetzen für eine

Zeit die erlebte persönliche existentielle Verunsicherung. Dieses Kontaktangebot muss über die Zeit der tiefsten Verunsicherung halten.

– Die emotionale Situation ansprechen, es erleichtert den/die Betroffene. Wenn dies nicht geschieht, besteht die Gefahr für Suizid.

– Den aktuellen Anlass erfragen. Damit kann eine Problemlösungsstrategie erarbeitet werden. Bei Veränderungskrisen sind diese Anlässe oft nicht so einfach zu finden.

– Spezifische Gefahren müssen erkannt werden wie Überforderung, Chronifizierung, Zögern beim Annehmen von Hilfe.

– Die soziale Situation des/der Betroffenen hat für die Bewältigung große Bedeutung. Je mehr ein-gebunden jemand ist, desto besser sind seine Chancen auf baldige Bewältigung.

– Vorhandenen Hilfsmöglichkeiten einbeziehen heißt: Information geben, andere problembezogene Beratung (z.B. Rechtsanwalt, Bank, ...) nutzen, sich mit der Familie kurzschließen, Entlastungs-möglichkeiten ausfindig machen, Ressourcen aus früheren Krisen nutzen.

– Weiteres Vorgehen erarbeiten und teilweise festlegen.

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Allgemeine Prinzipien der Krisenintervention

2.3 Bella - Kriseninterventionskonzept (Sonneck, 2000)

B eziehung aufbauen E rfassen der Situation L inderung von Symptomen L eute einbeziehen/, die unterstützen A nsatz zur Problembewältigung

1. Beziehung aufbauen – Schaffe einen einladenden Anfang – Höre dem Klienten aufmerksam und einfühlsam zu – vermittle dem Klienten, dass du ihn ernst nimmst und dir seiner Schwierigkeiten bewusst bist

2. Erfasse die Situation: Befasse dich – mit den Gründen des Kommens (der Situation) – mit dem Krisenanlass und den davon unmittelbar Betroffenen – mit der derzeitigen Lebenssituation des Klienten (mit dem Hier und Jetzt) – mit möglichen Veränderungen durch die Situation

3. Linderung der schweren Symptomatik Gehe auf die emotionale Situation des Klienten ein

– Panik – Depression – Suizidrisiko erhellen!!!

Versuche, den Klienten – zu entlasten – ordnen zu lassen – durch Übungen entspannen – falls unbedingt notwendig: auch medikamentöse Hilfe (vor allem bei Suizidgefahr)

4. Leute einbeziehen, die unterstützen – Versuche, Hilfssysteme des Klienten von ihm selbst einsetzen zu lassen – Wenn notwendig auch Hilfssysteme wie Selbsthilfegruppen, Institutionen

5. Ansatz zur Problembewältigung Verhilf dem Klienten

– das eigentliche Problem zu definieren – Widersprüchlichkeiten zu sehen – die gefühlsmäßige und reale Bedeutung des Problems zu erfassen – sich für eine Veränderung zu entscheiden!!

Bella ist die unmittelbare Hilfe, die sofort einsetzen soll!

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Allgemeine Prinzipien der Krisenintervention

2.4 Ziele einer Krisenintervention = Safer-Modell – Stimulationsreduktion:

Zunächst soll eine Reduktion der emotionalen Überforderung der Person erreicht werden. Die Emotionen sollen für die Person wieder ein bewältigbares Maß erreichen.

– Akzeptieren der Krise: durch Annehmen aller Äußerungen

– Falsche Bewertungen der Person korrigieren: Menschen glauben oft, nur sie zeigen diese Reaktionen, aber diese "Einzigartigkeit" ist nicht gege-ben.

– Erklären von Stressreaktionen: Stressreaktionen sind übliche Reaktionen auf nicht-übliche /Traumatisierende) Ereignisse

– Wiederherstellen unabhängigen „Funktionierens“: Sie sollten so lange bei der Person bleiben, bis sie wieder in der Lage ist, selbständig zu „funktionie-ren“ oder Sie sorgen dafür, dass jemand anderer diese Aufgabe übernimmt

2.5 Die Grundhaltung von Helfern (Brigitte Riemer, 2005)

Es geht darum, dass Sie der betroffenen Person helfen, die Kontrolle über ihre eigenen Gefühle wieder zu finden. Dazu braucht es Ihre einfühlsame Anteilnahme mehr als heftige emotionale Reaktionen. Sie als Helfer/in sollten in der Lage sein, extreme Gefühle von Betroffenen auszuhalten ohne vorschnell zu versuchen, diese einzudämmen. Wenn die Person von ihren Gefühlen überwältigt wird, müssen Sie ihr dabei helfen, damit zurecht zu kommen. Sie müssen der/diejenige sein, der/die „normal funktioniert“ und müssen der Person, die Sie betreuen, die nötige Ruhe und Struktur zur Verfügung stellen, die sie braucht, um zu irgendeiner Form des Alltags zurückzukehren. Helfer/innen sind in bestimmten Situationen alles andere als mächtig und müssen Ohnmacht aushalten können! Sie müssen zwar empathisch sein und sich einfühlen können, Sie dürfen sich aber auf keinen Fall mit der Person, die Sie betreuen, überidentifizieren. Sie müssen auch fähig sein, Distanz zu wahren!

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Allgemeine Prinzipien der Krisenintervention

2.6 Grundlegende Kommunikationstechniken (Everly/Mitchell, 2000)

In der notfallpsychologischen Betreuung haben sich folgende Techniken bewährt: – Schweigen,

kann vermeiden aufdringlich zu wirken, kann Ausdruck von Respekt für den Betroffenen zeigen. – Auf nonverbale Signale achten,

um Kommunikation leichter aufrecht zu erhalten. – Wiederholen - die gleichen Schlüsselwörter verwenden,

die auch der Betroffene verwendet hat. Genauigkeit des Zuhörens kann überprüft werden, der Be-troffene fühlt sich verstanden.

– Paraphrasieren, in eigenen Worten die wichtigsten Aussagen des Betroffenen zusammenfassen. Diese Technik äh-nelt mehr einem Gespräch als das Wiederholen. Mehrdeutigkeiten können geklärt werden, der Be-troffene hört, was er gerade gesagt hat und kann es somit überprüfen (abschwächen, verstärken).

– Spiegeln von Gefühlen wesentliche Gefühle werden dem Betroffenen gespiegelt: „Sie sehen wütend aus" oder „Sie wirken traurig". Hilft über Gefühle leichter zu sprechen, anerkennt und akzeptiert diese Gefühle.

– Offene Fragen können die Introspektion fordern. Fragen beginnen mit: „Was?", Wie?“, „Warum?", „Beschreiben Sie ..."

– Geschlossene Fragen beschränken die Antwortmöglichkeit, können Struktur bieten

2.7 Basisregeln der psychischen ersten Hilfe Bitte benutzen Sie aus den folgenden Kapiteln, was Ihnen hilfreich erscheint und ignorieren Sie, was irre-levant oder falsch ist für die Umstände, die Sie vorfinden. „Die beste Rettung ist oft die, nicht auf Rettung angewiesen zu sein!“

– Wenn Betroffenen Sie nicht kennen, so stellen Sie sich vor – Sagen Sie, dass Sie da sind und etwas geschieht

Gehen Sie zu den Betroffenen und stehen Sie nicht herum; erklären Sie, dass Hilfe verständigt wurde (die Rettung wird kommen, die Polizei, die Feuerwehr...).

– Führen Sie die Person zuerst von der unmittelbar belastenden Situation weg, sofern das möglich ist Bringen Sie Betroffene vom direkten Ort des Geschehens weg – z.B. in einen Nebenraum oder las-sen Sie sie zumindest mit dem Rücken zur Unfallstelle setzen; erfüllen Sie körperliche Bedürfnisse (gegen Kälte Decken holen, evtl. Tee anbieten, trockene Kleidung).

– Suchen Sie vorsichtig leichten Körperkontakt Berührung ist neben der verbalen Ansprache eine weitere Möglichkeit für Betroffene, ihre Verlas-senheitsängste zu mildern. Wichtig: Sanfter Druck und Halten der Hand ist angepasster als z.B. Streicheln der Hand, dies ist vielen Menschen einfach "zu nahe". Berührung immer auf unverfängliche Körperteile beziehen (Arm, Schulter, Hand). Berührungen am Kopf werden als unangenehm erlebt! Bitte passen Sie vor allem bei Jugendlichen mit Körperkontakt auf!

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Allgemeine Prinzipien der Krisenintervention

– Hören Sie zu, bevor Sie sprechen!

– Lassen Sie die Person ihre Geschichte erzählen; nach einem belastenden Ereignis muss man

niemanden zwingen, seine Geschichte zu erzählen. Erwachsene tun das normalerweise von selbst, Sie müssen nur zuhören und die Person wissen lassen, dass Sie interessiert sind.

– Sprechen kann für den/die Betroffene/n wohltuend sein. Hören Sie geduldig zu, vermeiden Sie Vorwürfe und nichtssagende Aussagen.

– Der/die Betroffene soll spüren, dass Sie ihm/ihr Ihre Aufmerksamkeit schenken, seine/ihre Äu-ßerungen ernst nehmen und versuchen, diese zu verstehen. Wenn Betroffene über ihre Emotio-nen und Ängste sprechen, sollte man Verständnis signalisieren, auch wenn deren Gedanken und Gefühle vielleicht einem selbst unwichtig oder sogar absurd erscheinen („Hoffentlich finde ich meine Schultasche wieder“).

– Aufmerksam zuhören signalisiert man durch Blickkontakt, Kopfnicken, Worte wie „ja“, „aha“, „ach so“, außerdem durch Nachfragen („Können Sie das näher erläutern?“). Sie fassen in ei-gene Worte und wiederholen, was Sie von den Gedanken und Gefühlen verstanden haben („Sie meinen also, dass...“, „Sie haben das Gefühl, dass ...“).

– Sie bewerten die Aussagen von Betroffenen nicht (also kein „Sie haben Recht!“ oder „... da lie-gen Sie ganz falsch“).

– Sie geben keine Ratschläge, Analysen und Deutungen. – Jokerfrage: „Soll jemand verständigt werden?“

– Erlauben Sie das Erleben und den Ausdruck von Gefühlen

Fragen Sie die betroffene Person, wie sie sich fühlt, aber erst nachdem sie die Geschichte erzählt hat. Lassen Sie ihr Schreien, Weinen, Jammern und andere Ausbrüche zu, wenn sie sich dabei nicht selbst oder andere gefährdet. Sie werden sich dabei oft nicht wohl fühlen und wünschen, die betroffenen Personen würden nicht so fühlen wie sie fühlen, wenn sie Schuldgefühle oder Wut äußern, oder Sie werden den Wunsch verspüren, sie von ihrem Leiden „zu heilen“.

– Umgang mit Schuldgefühlen Bei Schuldgefühlen ist dies besonders schwierig, weil Sie als Helfer/in in diesen Situationen den starken Impuls verspüren, den Personen ihre Schuldgefühle durch vorschnelle Erklärungen zu nehmen. Nahezu jede Person, die ein belastendes Ereignis erlebt hat, fühlt sich schuldig. Das ist ein Versuch der Person, der schmerzhaften Erkenntnis zu entkommen, dass Ereignisse eintreten könn-ten, die sie nicht unter Kontrolle hat. Wenn betroffene Menschen sich selbst die Schuld an einem Ereignis geben, können sie die Illusion aufrechterhalten, dass in Zukunft, wenn sie nur besser auf-passen, nichts mehr passieren kann. Lassen Sie das Sprechen über Schuldgefühle zu – Sie nehmen sonst den Betroffenen die Möglich-keit, sich auszusprechen! Sie können niemandem die Schuldgefühle nehmen. Sie sollen sie allerdings auch nicht verstärken, indem Sie zustimmen oder gar Vorwürfe äußern. Nur wenn eine Person eine andere anwesende Person beschuldigt, sollten Sie klarstellen, dass gegenseitige Schuldzuweisungen im Augenblick nicht angebracht sind. Wird ein Kind beschuldigt, dann stellen Sie sich bitte auf die Seite des Kindes! Denn Kinder sind besonders anfällig für Schuldgefühle, weil sie die Situation noch nicht wie Erwachsene begreifen können. Vorsicht bei Aussagen wie: „Ich weiß nicht, wie ich weiterleben soll", „Ich möchte nicht mehr wei-terleben". Selbstmordabsichten sollten immer ernst genommen werden. Sprechen Sie mit der Per-son, die Sie ablöst oder mit dem/der zuständigen Arzt/Ärztin darüber und lassen Sie die betroffene Person nicht allein!

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– Die Reaktionen der Person normalisieren

Sagen Sie der betroffenen Person, dass das, was sie fühlt „... eine übliche Reaktion auf ein nicht-übliches Ereignis ist“. Erklären Sie der betroffenen Person aber auch, dass sie im Zweifels-fall professionelle Hilfe aufsuchen soll und dass es kein Zeichen für eine geistige Erkrankung oder Schwäche ist, wenn man sich nach einem extrem belastenden Ereignis von jemandem helfen lässt.

– Lassen Sie betroffene Menschen nicht allein!

Sollte es notwendig sein, dass Sie aus organisatorischen Gründen den/die Betroffene/n alleine las-sen müssen, so suchen Sie zuerst eine andere Person, die sich zwischenzeitlich um den/die Betrof-fene/n kümmert. Das kann im Notfall ein/e Zuschauer/in sein, den/die Sie entsprechend instruie-ren: „Bitte bleiben Sie bei ... bis ich wiederkomme“ oder „bis die Rettung kommt ...“.

– "Todsünden" im Umgang mit Notfallopfern

Zu vermeiden sind jedenfalls Vorwürfe aller Art (diese entlasten bestenfalls den Helfer), furchter-zeugende Diagnosen und Vermutungen ("So wie der ausschaut, kann er das gar nicht überle-ben..."), Hektik (Gestik, Mimik, Tonfall, Sprechgeschwindigkeit) und "Gesprächsstörfaktoren" oder Floskeln (weil Sie Betroffenen damit vermitteln, dass Sie sie nicht ernst nehmen und ihre Be-dürfnisse und Ängste abwerten. Die Gefahr, dass dies geschieht, ist besonders groß beim Trösten, Beruhigen und Ermutigen).

2.7.1 Gesprächsstörfaktoren, die auf jeden Fall zu vermeiden sind – Verharmlosung: "So schlimm ist es ja gar nicht!" – Verallgemeinerungen: "Sie jammern ja ständig!" – Moralisieren: "Reiß’ dich doch zusammen!" – Besserwisser: "Ich hab’s Ihnen doch gleich gesagt!" – Allgemeinplätze: "Jeder hat so seine Probleme!" – Gedankenlesen: "Ich weiß schon, was Sie jetzt denken!" – Abwerten: "Sie scheinen das ja nie zu kapieren!" – Nicht-zu-Wort-kommen-lassen "… das ist mir auch schon einmal passiert!"

Everly und Mitchell sprechen von einem „Gegengift" gegen das „Gift" der Krise:

– Ruhiges und sicheres Auftreten hilft gegen Angst. – Verlangsamung hilft gegen Übererregung oder Raserei – Struktur hilft gegen Chaos (Behandlungskonzepte hilfreich!) – Rationales Denken hilft gegen überschwemmende Gefühle – Emotionale Entlastung hilft gegen Frustration und Anspannung – Information hilft gegen Kontrollverlust – Akzeptanz und soziale Unterstützung helfen gegen Entfremdung und Rückzug – Handeln hilft gegen Hilflosigkeit

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Allgemeine Prinzipien der Krisenintervention

3 SPEZIELLE NOTFALLSITUATIONEN

3.1 Großschadensereignis und Katastrophe Bei einem Großschadensereignis handelt es sich um eine große Zahl betroffener Personen, oder um einen hohen Schaden. Großschadensereignisse werden bei übersteigen der Kapazitäten der örtlichen Hilfsorga-nisationen von der Landesregierung zur Katastrophe ausgerufen.

3.1.1 Vier Arten von Katastrophen – Naturkatastrophen (Überschwemmung, Erdbeben, Lawine, Bergsturz ...) – Technische oder durch menschliches Versagen ausgelöste Katastrophen (Brand, Bus- oder

Zugsunglück, Flugzeugabsturz, Explosion, Massenpanik ...) – Absichtlich herbeigeführte Kathasthrophen(Terroranschlag, Sabotage, Kriegshandlung ...) – Soziale bzw. gesundheitliche Katastrophen (schwere Seuchen, Massenvergiftung...).

Es seien hier nur einige Probleme eines Großschadensereignisses aufgezeigt:

– Chaos – Verständigungsschwierigkeiten, z.B. Zusammenbrechen der Telefonleitungen – Mangelnder Überblick der Situation – Widersprüchliche Angaben zu Verletzten/Toten – Fehlen von Realerfahrungen – Koordination der professionellen und freiwilligen Helfern in großer Zahl – Großes Medieninteresse

Wichtig: Nicht sofort mit der psychologischen Behandlung beginnen, sondern zuerst sich einen Überblick schaffen

– Eigensicherung – Überblick – Rückmeldung an Einsatzleiter – Wenn nötig, weitere Notfallpsychologen oder KIT (Kriseninterventionsteam) anfordern – Beginn der Interventionen (Einzeln, Gruppe) – Regelmäßiger, kurzer Informationsaustausch mit den Kollegen – Ablöse organisieren

3.1.2 Regeln zur Psychischen Ersten Hilfe bei Unfällen für Laien (Lasogga/Gasch, 2002)

Regel 1: Sage, dass Du da bist und dass etwas geschieht! Regel 2: Schirme den Verletzten vor Zuschauern ab! Regel 3: Suche vorsichtigen Körperkontakt! Regel 4: Sprich und hör zu!

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Krisenberatung und Krisenbegleitung

TEIL II KRISENBERATUNG UND KRISENBEGLEITUNG

1 PSYCHOLOGISCH- PÄDAGOGISCHER UMGANG MIT LEIDERFAHRUNGEN (nach Gertrude Bogyi Universitätsklinik für Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters)

Intervention und Empfehlungen Krisenbegleitung

– Rascher Beginn – Einbeziehen von Bezugspersonen – Konfrontation mit der Situation – Offene Kommunikation fördern – Ansprechen der Gefühle – Veränderte Alltagssituation besprechen – Veränderungen bei Erkrankung besprechen – Alltagsroutine möglichst beibehalten – Weitere Trennungssituationen vermeiden o-

der besprechen – Kind am Geschehen teilhaben lassen – Möglichkeiten zum Verabschieden geben

– Auseinandersetzung mit eigenem Erleben – Kind hat Recht auf Wahrheit – Ehrliche Aufklärung – Selbstwahrnehmung Raum geben - Vernach-

lässigung oder Missachtung der kreativen in-dividuellen Bewältigungsmechanismen ist krankmachend

– Akzeptieren der Abwehr – Variabilität und Individualität kindlicher

Trauerreaktionen respektieren

1.2 Fragen für den Tag danach (Bernhard Meißner in Anlehnung an Bernie Stein, Israel)

Nach einem kritischen Ereignis in einer Schule, bei dem Gewalttätigkeit Unsicherheit bei Kindern oder Jugendlichen auslöste, kann ein Gespräch mit den betroffenen Klassen oder Kindern dazu beitragen, das Gefühl wieder stärken, in der Schule an einem sicheren Ort zu sein. Nicht alle folgenden Fragen sind in einer bestimmten Situation zweckmäßig. Es geht darum, Gerüchte und Fakten zu trennen, Informationen zu geben, damit jeder das Geschehen „objektiv“ kennt. Die Reaktionen von einzelnen sollen auch in ihrer Unterschiedlichkeit ernst genommen werden. Sind Einzelne stark betroffen ist es wichtig festzustellen, dass in unerwarteten Situationen die Reaktionen sehr unterschiedlich sein können. Gefühlsreaktionen sollen nicht vertieft werden, sondern der Schwer-punkt auf Bewältigungsmaßnahmen gelegt werden.

1.2.1 Eindrücke und Reaktionen schildern – Wo warst du, als es geschah? – Beschreibe, was geschah, was du gesehen, gehört hast! – Erzähle, was für dich am schwierigsten, was der schlimmste Moment war! – Wie geht es dir nun? – Was macht dir am meisten Angst? – Wie ging es deinen MitschülerInnen bzw. Familienmitgliedern? – Wie geht es ihnen jetzt? ...

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1.2.2 Besseres Verständnis der Fakten und der Realität, in der wir leben – Was weißt du über das Ereignis? ... – Trennen von Tatsachen und Gerüchten ... – Zeitungsberichte ausschneiden ... – Eine Dokumentation erstellen ...

1.2.3 Reduktion von Spannungen – Malen, Schreiben, dramatisch gestalten ... – Gefühle mit anderen SchülerInnen, Eltern teilen ... – Furcht und Angst als normale Reaktionen in einer anormalen Situation ansehen, für di – man sich nicht schämen muss ...

1.2.4 Bewältigungsstrategien ansprechen – Was und wer hat dir wie geholfen? – Was und wer könnte dir jetzt wie helfen, um noch besser damit umzugehen? – Wen möchtest du in solchen Situationen am liebsten in deiner Nähe haben? – Was bräuchtest du noch, um besser mit dem Geschehen zurecht zu kommen?

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2 UMGANG MIT TRAUMATISIERTEN MENSCHEN (nach Gertrude Bogyi Universitätsklinik für Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters)

Die Frage, ob Ereignis traumatisierend ist oder nicht hängt von folgenden Faktoren ab: Stand der kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklung Spezieller traumatischer Situation Posttraumatische Konstellation Protektive Faktoren Art der Hilfestellung

2.1 Akutinterventionen durch PädagogInnen – Unverzüglichkeit – Kontaktaufnahme – Information – Bei Betroffenen bleiben

– Vermittlung von Geborgenheit und Sicherheit – Wahrnehmung der Bedürfnisse der Betroffenen – Eingehen auf Gefühle – Keine Bagatellisierung des Geschehens

2.2 Krisenintervention durch Therapeuten Möglichst frühe Interventionen durch Therapeuten Rekonstruktion des Ereignisses mit dem Kind und seinen Bezugspersonen Entpathologisierung der normalen Stressreaktion Vermittlung hilfreicher Bewältigungsstrategien

– Möglichst rasche Betreuung nach dem Ereignis – Fokusierung auf die aktuelle Situation

Intensive Einbeziehung der Umwelt – Hilfe zur Strukturierung – Emotionale Entlastung durch Ausdruck von Gefühlen

2.3 Traumaverarbeitung Grundlagen der Therapie

– Stabilisierung – Traumabearbeitung – Integration

2.3.1 Stabilisierung Somatischer Bereich Sozialer Bereich – sicheres Beziehungsnetz Psychische Stabilisierung – Stärkung des Selbstwertgefühls und der Ichfunktionen Vorherrschende Psychopathologie, komorbide Störungen, Diagnostik

2.3.2 Traumabearbeitung Direkte Auseinandersetzung mit dem Trauma Direkte Exploration des Traumas und den einhergehenden Emotionen Ziel: Wiederherstellung der Gefühle Sicherheit und Kontrolle

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2.3.3 Integration Integration des Traumas in Lebensgeschichte Überwinden der eingeschränkten Zukunftsorientiertheit (besonders bei Jugendlichen) Zukunftsbezogene Themen “Opferrolle“ vermeiden Aktive Lebensgestaltung

2.4 Behandlungsgrundsätze für Traumaverarbeitung Multimodale Therapie, Integriertes Therapiekonzept:

– Psychotherapie – Pharmakotherapie – Körperorientierter Ansatz

– Sozialarbeit – Juristische Beratung

2.4.1 Kinderbuch als Hilfe Kinderbuch als Hilfe im Auseinandersetzungsprozess mit Tod und Sterben, traumatischen Situationen:

– Informationsvermittlung – Gesprächsanlass – Gespräche über andere als Schutz vor zu viel

Nähe

– Die eigenen Gefühle in fremdem Gestalten erleben

– Gefühle finden ihre Sprache – Vorbereitung für schwierige Situationen – Als Hilfe für Eltern

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3 UMGANG MIT SUIZIDALEN MENSCHEN

Der Umgang mit suizidalen Menschen gehört zu den heikelsten Aufgaben in der Krisenintervention. Die Kontaktaufnahme ist durch die meist apathische, verengte, in sich gekehrte Haltung erschwert. Eines soll-te klar sein: auch wenn alles „richtig" gemacht wird, kann der Suizid nicht immer verhindert werden.

– Persönliche Vorstellung: zuerst der eigene Name, dann die Funktion, in der man kommt. Danach kann der Suizidale nach seinem Namen gefragt werden.

– Gleichzeitig vorsichtige Annäherung - der Helfer sollte nicht bedrohlich wirken. Es soll klar sein, dass die Rahmenbedingungen, die vom Suizidanten vorgegeben sind, vom Helfer akzeptiert werden. Auf keinen Fall zu nahe herantreten - einerseits könnte der Suizidale seine geplante Tat fortsetzen, andererseits evtl. den Helfer mitreißen (Zigarette anbieten umstritten).

– Hilfreiche Redewendungen: „Ich werde nicht näher herankommen, als Sie wünschen“ „Bitte sagen Sie Halt, wenn ich Ihnen zu nahe komme!“ „Ich werde nicht näher kommen und Sie auch nicht anfassen.“ „Ist diese Entfernung o.k.?“ „Kann ich mich hierher stellen?“ „Ich bleibe hier stehen!“

So ein Gesprächsbeginn fordert vom Suizidalen einen ersten kognitiven Akt, eine Entscheidung, die sich mit der Außenwelt beschäftigt und ihn aus seiner Eingeengtheit holen kann.

– Kommunikation anbahnen: Es kann die eigene Motivation und Betroffenheit angesprochen wer-den:„Ich bin zu Ihnen gerufen worden, um Ihnen zu helfen. Sie müssen sehr verzweifelt sein, ist das richtig?"

– Reden und reden lassen: Solange der Betroffene spricht, besteht zumindest eine minimale Bezie-hung zu einem Menschen und Beziehungen halten uns im Leben. - wer redet springt nicht - reden wirkt therapeutisch - der Helfer bekommt Information

Durch Nachfragen zu den Themen die vom Suizidalen kommen, kann das Gespräch aufrechterhalten werden: „... und wie ging es dann weiter?" „...und was waren deine Gründe dafür?" Durch Zusammenfassen dessen, was der Suizidant erzählt hat, fühlt er sich verstanden, Druck kann ab-gebaut werden und Gespräch bleibt im Fluss: „Nachdem was du erzählt hast, lag es also weitgehend an der Beziehung zu deinem Vater!" „Das also hat dazu geführt, dass es dir jetzt so schlecht geht."

3.1 Fehler von Helfern – das Problem herunterspielen („das ist ja alles nicht so schlimm") – vorschnelles Trösten („Wird schon wieder") – Ermahnungen („Reißen Sie sich zusammen") – Verallgemeinerungen („So ist das Leben") – Belehrungen („das sehen Sie falsch", „Also generell gilt...") – Ratschläge („Warum machen Sie nicht einfach ...") – Vorwürfe („Was haben Sie sich dabei eigentlich gedacht?") – Dramatisieren („Wissen Sie eigentlich, was Sie anderen damit antun?") – Vergleiche („Anderen geht es noch schlechter") – Bedrängen („Jetzt kommen Sie endlich herunter")

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3.2 Leitfaden für ein Lehrer-Schüler-Gespräch (aus www. neuhland.de)

Es ist nicht einfach, einen Leitfaden für ein Krisengespräch aufzustellen, insbesondere bei suizidalen Kri-sen. Der verständliche Wunsch nach einem "Rezept", einem allgemeingültigen Mittel ist nicht zu erfüllen. Jeder Mensch durchlebt eine Krise auf die für ihn eigene Art und Weise. Jedes Krisengespräch ist anders und sollte auf die individuelle Situation des Schülers eingehen. Es gibt jedoch einige bewährte Vorge-hensweisen und Rahmenbedingungen für ein Krisengespräch.

– Setzen Sie sich bereits vor einem Gespräch mit einem Schüler mit Ihren eigenen Gefühlen zum Thema Suizid auseinander. Nehmen Sie Ihre Betroffenheit, Ihre Angst, Ihr Unbehagen, Ihre Hilflo-sigkeit aber auch Ihren eventuellen Ärger wahr. Bleiben Sie während des Gespräches im Kontakt zu Ihren eigenen Gefühlen, sprechen Sie sie auch aus. Beispiel: "Als ich von deinem Vorhaben, dir et-was anzutun, gehört habe, bekam ich Angst um dich. Ich möchte nicht, dass dir etwas passiert."

– Bleiben Sie authentisch, täuschen Sie dem Schüler nichts vor. Jugendliche, besonders in einer Kri-sensituation, sind sehr sensibel und spüren deutlich, ob Sie ehrlich sind.

– Diskutieren Sie nicht mit dem Schüler über den Sinn oder die Richtigkeit von Suizid. Versuchen Sie vielmehr, seine jetzige, von ihm als ausweglos und bedrohlich empfundene Situation zu verste-hen. Vermitteln Sie dem Schüler keinen moralischen Druck, machen Sie ihm keine Schuldgefühle.

– Hören Sie einfach zu, und versuchen Sie, seine Situation zu verstehen. Tauchen Sie für einen Au-genblick in die Welt des Schülers ein, ohne gleich zu urteilen. Formulieren Sie das, was Sie verstan-den haben, sprechen Sie über die Gefühle, die das Gesagte in Ihnen verursacht. Stellen Sie Ver-ständnisfragen. Meiden Sie schnelle Lösungsmöglichkeiten, geben Sie keine Ratschläge. Nehmen Sie das Problem ernst, spielen Sie es nicht herunter.

– Setzen Sie sich nicht unter Druck mit einer unmittelbaren Lösung. Achten Sie auf Ihre Grenzen, und schalten Sie professionelle Hilfe ein. In einer Situation, in der der Schüler es zunächst verwei-gert, Hilfe von einer Beratungsstelle anzunehmen, holen Sie sich Hilfestellung in einem Beratungs-gespräch. Teilen Sie danach ihre Erfahrung dem Schüler mit, dies kann ihm helfen, die Schwellen-angst abzubauen.

3.3 Äußere Bedingungen und inneren Voraussetzungen für ein Lehrer-Schüler-Gespräch (aus www. neuhland.de)

3.3.1 Achten Sie auf folgende äußere Bedingungen: klares, eingegrenztes Gesprächsangebot, geeigneter Raum, wo Sie ungestört mit dem Schülersprechen können (nicht im Pausenhof), klarer Zeitraum, in dem das Gespräch stattfindet (z. B. "in der großen Pause habe ich Zeit und möchte mit dir über deine Probleme reden").

3.3.2 Sichern Sie folgende inneren Voraussetzungen ab: Äußern Sie schon beim Unterbreiten eines Gesprächsangebots Ihre Besorgnis. Sprechen Sie im Gespräch Ihre Vermutungen über die Suizidgefährdung eines Schülers klar und offen an. Sie bringen niemanden auf die Idee, sich umzubringen, indem Sie danach fragen. Trauen Sie sich, das Thema Suizid, Todeswunsch oder schon versuchter Suizid direkt anzusprechen. Zeigen Sie Ihr Interesse am Schüler, und machen Sie ihm ein Hilfeangebot. Versprechen Sie nicht zu viel, versprechen Sie nur das, was Sie wirklich halten können. Sagen Sie nicht: "Ich bin für dich immer da" - weil es einfach nicht stimmt. Es ist wichtig, einem Schüler, der sich in einer Krisensituation befindet, wei-tere Enttäuschungen zu ersparen.

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Machen Sie auf keinen Fall ein Versprechen von Geheimhaltung. Es gibt Situationen, in denen Sie die Ih-nen anvertrauten Informationen weitergeben müssen! Zum Beispiel wenn es um eine unmittelbare Le-bensgefahr geht, müssen Sie eingreifen. Vermitteln Sie den Schüler an Beratungsstellen, wo er professionelle Hilfe bekommen kann. Sie können den Kontakt zu der Beratungsstelle nach Absprache mit dem Schüler herstellen. Sie können ihn auch zu dem Erstgespräch begleiten, dies kann ihm helfen, die Schwellenangst zu überwinden. Sie können weiterhin im Kontakt zu dem Schüler bleiben und ihn bei der Überwindung seiner Krise be-gleiten.

3.4 WAS KÖNNEN LEHRER FÜR SICH TUN? (aus www. neuhland.de)

Hilfreich für Lehrer könnten neben thematisch weitreichenderen intensiven Fortbildungen zum Thema Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen auch kleinere Arbeitsgruppen im Sinne von "Balint - Gruppen" sein. In solchen Gruppen kann es um die Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht, Ärger und Wut im tägli-chen Schulalltag gehen. Auch eigene Erfahrungen mit Krisen können und sollten mit einfließen. Für viele ist der Faktor Zeit Grund genug, sich mit diesem Thema erst gar nicht zu beschäftigen. Ver-ständliche Einwände werden kommen wie: "Wann soll ich das auch noch machen?", "Ich investiere schon mehr Kraft als mir gut tut!", "Ich habe genügend Engagement geleistet, jetzt kann und will ich es nicht mehr!". Das sind sicher auch ernstzunehmende Argumente. Andererseits beschreiben viele Lehrer, dass sie sich ausgebrannt, kraftlos, überfordert, unterbewertet fühlen, sie möchten am liebsten aussteigen. Um dem tagtäglichen "Ausbrennen" entgegenzuwirken, können solche kollegialen Gruppen sehr hilfreich sein, neue Kraft geben, dazu verhelfen, mit den eigenen Kräften hauszuhalten und sich trotzdem zu enga-gieren. Sicher ist es nicht einfach, andere Kollegen zu gewinnen, es wird sich viel Widerstand und mögli-cherweise auch Zynismus regen. Hilfreich kann es sein, entsprechende Fachdienste zu Konferenzen ein-zuladen (zu den Themen Drogen, Gewalt, Suizidalität, sexueller Missbrauch), um auch bei den Kollegen ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass diese Themen den Schulalltag berühren und in der Schule aufge-griffen werden müssen.

3.4.1 Rechtliche Fragen Grundsätzlich sind bei Kindern und Jugendlichen im Falle einer akuten Gefährdung die Eltern einzube-ziehen, insbesondere bevor ein Schüler an einen Beratungsdienst vermittelt wird. Jedoch sind die Eltern in Absprache mit dem Schüler einzubeziehen. Aus dem Spannungsfeld zwischen dem Wunsch des Schülers "Versprechen Sie mir, meinen Eltern niemals etwas davon zu sagen?" und dem grundsätzlichen Anspruch, die Eltern einzubeziehen, ergeben sich in der Praxis Gewissens- und Entscheidungsprobleme für den Leh-rer. Oberster Wert ist immer die Hilfe für den suizidgefährdeten Schüler. Wenn zu befürchten ist, dass die Schülerin bzw. der Schüler bei einer Einbeziehung der Eltern eventuell einen Suizidversuch begehen wird, so ist die Hilfe für den Schüler auch ohne die Eltern gerechtfertigt. Dieses Problem kann in einem Vorgespräch mit einer helfenden Einrichtung besprochen werden. In der weiteren Beratung werden dann sicherlich die Gründe für die Angst vor dem Einbeziehen der Eltern deutlich.

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4 UMGANG MIT KRISENSITUATIONEN IN DER SCHULE

4.1 Grundprinzipien 1. Problemklärung 2. Rechtzeitiges Handeln 3. Auf Zuständigkeit achten

4.1.1 Problemklärung durch Beobachtung und Sammeln von Informationen: – Welches Problem besteht, wer hat das Problem etc.? – Heranziehen von Kollegen/innen zur Beobachtung und zum Austausch der Wahrnehmungen (z.B. durch Hospitation etc.) – Möglichst frühzeitiges Einbinden von Vertrauenspersonen, z.B. Schulleiter, Klassenvorstand, Beratungslehrer, Schülerbera-

ter, Peers etc. – Gespräch mit dem Schüler selbst (je nach Fragestellung und Alter des Schülers), Gespräch mit den Erziehungsberechtigten,

Schulleiter, Schularzt, Schulpsychologen etc. Wann ist der „richtige“ Zeitpunkt, um tätig zu werden?

4.1.2 Rechtzeitiges Handeln durch: – Einberufung einer Klassenkonferenz (einbeziehen aller befassten Lehrer/innen), erarbeiten von

Zielsetzungen mit individuellem Förderplan, setzen von päd. Veränderungen etc. – Hilfe holen, d.h. Inanspruchnahme von Helfersystemen (in ständiger Absprache mit Erziehungsbe-

rechtigten) - insbesondere Schulpsychologie, Beratungslehrer, SPZ – Leiter, Schularzt – mit dem Ziel einer Klärung der weiteren Vorgehensweise (auch telefonisch möglich)

– Konkrete Interventionen durch Experten (insbesondere Diagnose, Beratung), Rückkoppelung mit Schule (z.B. Helferkonferenz, Gespräch Eltern - Lehrer, Gespräch Experte - Lehrer)

– Weiterführende Maßnahmen, z.B. Behandlungen, päd. Maßnahmen etc.

4.1.3 Auf Zuständigkeit achten durch Klärung: – Wer trägt welche Verantwortung, gemeinsames Tragen von Verantwortung, d.h. Last auf mehrere

Personen verteilen, Einbeziehen der Betroffenen etc. – Rollen- und Aufgabenverteilung - Was kann ich selbst lösen, was muss ich delegieren?

4.2 Krisenplan Für Schulen Schicksalhafte Ereignisse, Notfallsituationen und schwere Krisen stellen plötzlich besondere Anforderun-gen und Belastungen. Sie können nicht vorhergesagt werden. Der Krisenplan soll zur Orientierung dienen und im Ernstfall angemessenes Handeln ermöglichen. Rasches, strukturiertes und koordiniertes Vorgehen ist notwendig. Ein Krisenteam an der Schule und ein schulspezifischer Krisenplan sind sinnvoll, um:

– den Schutz gefährdeter Personen zu gewährleisten, – Folgeschäden so weit wie möglich zu reduzieren – und spätere Vorwürfe zu vermeiden.

Die Verantwortung des unmittelbaren schulischen Krisenmanagements liegt bei der Schulleitung! Hilfreich sind:

– Leitfaden zur Krisenintervention mit schulspezifischer Umsetzung – Notfallmappe mit laufender Aktualisierung – Ev. Plakate zum Verhalten in Notfällen – Information aller Lehrer/innen und sonstiger Bediensteter der Schule und der Schulpartner – Information der Schüler in notwendigem Umfang – zusätzlich: einschlägige Fortbildungen

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Krisenberatung und Krisenbegleitung

4.3 Schulisches Krisenmanagement durch die Schulleitung Raschen Überblick gewinnen und sofort reagieren Situationsklärung (mit Dokumentation) Benachrichtigen:

– Zuständige(n) BSI bzw. LSI – Schulpartner (Elternverein, Klassen- u. Schulforum-SGA) – Personalvertretung (wenn Lehrpersonen mitbetroffen sind)

Schulisches Krisenteam einberufen und leiten Aufgaben:

– Beratung, Festlegung und Koordination der Maßnahmen zur Bewältigung und Aufarbeitung des Ereignisse

– Krisenstrategie gemeinsam erarbeiten (kurzfristig, mittelfristig, längerfristige Initiativen) – Kontakt zu weiteren Helfern und Experten – Einleitung des Beratungs- und Begleitungsprozesses – Entlastung der schulischen Helfer sichern – Ablaufschritte und Protokoll – Checkliste sinnvoll – Koordinieren der Maßnahmen und der Informationsweitergabe (bei Bedarf auch Medieninformati-

on)

4.4 Schritte zur Krisenbewältigung und Aufarbeitung

4.4.1 Kurzfristig: Erstinformation

– Für Schüler – durch den Klassenvorstand oder andere kompetente Lehrperson/en – Für Lehrer und Eltern – durch den Direktor (evtl. zusammen mit involviertem/n Lehrerkollegen)

- Über den Vorfall und aktuellen Wissensstand (soweit es für die jeweilige Zielgruppe relevant) - Grundlegende Sachinformationen im Zusammenhang mit dem Geschehen - Einzel- und Gruppengespräche - Hinweise und Vorbereitung für die nächste Initiative (z.B. Besuchsdienst, Trauergottesdienst und Beerdigung) - Bei Bedarf Zusammenarbeit mit Experten

4.4.2 Mittelfristig: Aufarbeitung der Ereignisse mit den Schülern, Lehrern und Eltern (nach Planung und Koordination des Krisenteams)

– Gemeinsame Besprechung aller direkt betroffenen, in der/den jeweiligen Klasse/n unterrichtenden Lehrer zur Koordination der Maßnahmen/Hilfen im Unterricht oder bei Schulprojekten

– Zusammenarbeit mit Experten – Rückmeldungen und Abschlussgespräch

4.4.3 Langfristig: Initiativen zur Prävention – Schulentwicklung

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4.4.4 Suizidpräventive Maßnahmen in der Schule (aus www. neuhland.de)

Lehrer sind wichtige Multiplikatoren, sie werden mit vielfältigen Verhaltensweisen ihrer Schüler konfron-tiert, werden von den Schülern angesprochen, müssen reagieren. Es wäre eine Überforderung, von den Lehrern zu erwarten, therapeutische Funktionen zu übernehmen. Sie können die Probleme der suizidge-fährdeten Kinder und Jugendlichen nicht lösen, aber oftmals können sie Entlastungen schaffen (zuhören) und Hilfsmaßnahmen in die Wege leiten. Es geht darum, die Probleme der Schüler wahrzunehmen, die soziale Kompetenz der Schüler zu stärken. Es ist weder verantwortungsvoll, die Probleme der Schüler erst gar nicht wahrzunehmen, noch sich für al-les alleine verantwortlich zu fühlen. Im Rahmen des Schulunterrichts sollte Raum und Zeit zur Verfügung stehen, um über Selbstmordgedanken sprechen zu können (die meisten Jugendlichen haben in Konfliktsi-tuationen irgendwann einmal den Gedanken, es könnte auch eine Lösung sein, das Leben zu beenden).

Wichtige Bestandteile der Suizidprophylaxe sind:

– Raum zu schaffen, über solche Gedanken sprechen zu können, – ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass Suizidgedanken nicht Verrückt- oder Kranksein bedeutet,

sondern Ausdruck von schwerwiegenden Konflikten und Beziehungsproblemen sind, – die Möglichkeit zu schaffen, über Probleme und mögliche Lösungsstrategien zu sprechen, – das Thema Suizidalität zu enttabuisieren.

Eine der wichtigsten Interventionen bei Suizidgefährdung ist die Kommunikation, das "In-Beziehung-Gehen".

4.5 Tipps für den Umgang mit Medien in Krisensituationen – Agieren statt reagieren.

– Im Krisenmanagement ist Tempo gefragt.

– Wichtig ist geschlossenes Auftreten.

– Informations- und Kommunikationsinfrastruktur schaffen.

– Argumente und Informationsmaterialien rasch aufbereiten.

– Klare, unmissverständliche Information ist gefragt.

– Einfache, griffige und plakative Erklärungsmodelle.

– Mögliche Krisenszenarien lassen sich in ruhigeren Zeiten entwerfen, einschätzen und trainieren.

– Verhaltensmuster wie Abschotten, Untertauchen oder Nicht-Erreichbarkeit sind als Taktik oder Strategie völlig ungeeignet und daher zu verwerfen.

– Die schlimmsten "Killer-Phrasen", die man in Krisenfällen anwenden kann, sind: "Nein, dazu sage ich nichts..." oder "Kein Kommentar!" Vergessen Sie sofort diese Floskeln.

– Vermeiden Sie es, bei heiklen, öffentlichkeitswirksamen Themen unbedingt, ein Medium zu bevor-zugen, z.B. über "Exklusiv-News". Sie machen sich alle anderen Medien zum Feind.

Quellennachweis: Heinz Fischer: 100 Tipps für die Medienarbeit. Leykam Buchverlag, Graz 2001

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KRISENINTERVENTION an SCHULEN

TEIL III KRISENINTERVENTION AN SCHULEN

Schritt für Schritt Anleitungen der Schulpsychologie und Bildungsberatung Tirol Mag. Brigitte Riemer Notfallpsychologin, Schulpsychologin, Klinische und Gesundheitspsychologin

Dr. Hans Henzinger Schulpsychologe, Klin. und Gesundheitspsychologe, Psychotherapeut

1 SCHULISCHES KRISENMANAGEMENT

1.1 Vorbereitende Maßnahmen – Erstellung einer SCHULSPEZIFISCHEN „NOTFALLMAPPE“ mit Ergänzungen des Leitfadens,

aktuellen Informationen

– durch eine LISTE MIT SCHULSTANDORTSPEZIFISCHEN KONTAKTADRESSEN der schulinternen Helfer/innen (z.B. Lehrpersonen mit besonderen Funktionen und Ausbildungen) und den regional zuständigen schulnahen und außerschulischen Helfer/innen (Kompetenzen, Erreich-barkeit etc.)

– weitere THEMENSPEZIFISCHE INFORMATIONEN (Liste mit einschlägiger Literatur, Websi-tes, Arbeitsmaterialien, Referenten, Fortbildungen, etc.)

– „NOTFALLVORSORGE BZW. NOTFALLTRAINING“ mit dem Lehrer/innenkollegium durch Besprechung des Kriseninterventionsplans und der schulspezifischen Handlungsmöglichkeiten bei schwer wiegenden Krisensituationen (evtl. in Zusammenarbeit Schulärzten/-ärztinnen und Schul-psychologen/innen)

– FESTLEGUNG DES KRISENTEAMS (Namen, Funktion, Erreichbarkeit)

– LAUFENDE AKTUALISIERUNG wichtiger Inhalte (z.B. Ansprechpartner/innen, Institutionen, Telefonnummern usw.)

– JÄHRLICHER HINWEIS AUF DEN KRISENPLAN für alle Mitarbeiter/innen; neue Mitarbei-ter/innen damit vertraut machen

– WANDPLAKAT BZW. AUSHÄNGER über das Verhalten bei Notfällen

– INFORMATION DER SCHULPARTNER/INNEN über den schulspezifischen Krisenplan

– Teilnahme von Lehrpersonen und anderen an der Schule tätigen Personen an EINSCHLÄGIGEN FORTBILDUNGEN

– LAUFENDE AKTUALISIERUNG der Klassenschülerlisten (mit jeweils aktueller Erreichbarkeit der Erziehungsberechtigten !)

Mag. Brigitte Riemer: Krisenintervention an Schulen 24

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KRISENINTERVENTION an SCHULEN

1.2 Sofortmaßnahmen durch die Schulleitung

1.2.1 Verständigung von Rettungsdiensten, Polizei, Feuerwehr

1 2.2 Durchführung von Erste-Hilfe-Maßnahmen (körperlich, seelisch)

1.2.3 Abklärung – Was ist wo, wie, wann passiert? – Wer ist betroffen? Wie viele Personen sind betroffen? – Wie viele Personen sind verletzt?

1.2.4 Schulisches Krisenteam einberufen – Festlegung und Koordination der Maßnahmen (Wer koordiniert? Wer ist zuständig wofür? Wer

verständigt wen?) – Durchführung der vereinbarten Sofortmaßnahmen – Konkrete Terminvereinbarungen für nächstes Zusammentreffen des Krisenteams – bei Bedarf Medieninformation

1.2.5 Verständigung von – BSI/LSI/Amtsführenden Präsidenten (durch Schulleitung/Krisenteam) Lehrkörper (durch Schul-

leitung/Krisenteam) – Eltern (durch Schulleitung/Krisenteam oder Klassenlehrer/in) (bei Todesfall durch Gendarme-

rie/Polizei) – Klassen/Schüler/innen/Gruppen (durch Klassenlehrer/in) – unterstützenden Helfer/inne/n (durch Krisenteam) wie Schulpsychologinn/en, Schulärz-

te/Schulärztinnen, etc.) – anderen: ....................................

1.2.6 Übermittlung von Erstinformation – (abgestimmt auf Zielgruppe: Lehrer, SchülerInnen, Eltern) – über den Vorfall und den aktuellen Wissensstand – Grundlegende Sachinformation im Zusammenhang mit dem Geschehen – weitere geplante Maßnahmen

1.2.7 Weitere Maßnahmen können sein: – Einzelgespräche mit Betroffenen – Eltern - Lehrer/inne/n - Schüler/inne/n – Zuziehung von externen Fachleuten (Adressen-, Notfallordner) – Informationsgespräche/Gruppengespräche mit Klassen – Vorbereitung von Initiativen (Besuchsdienste, Gottesdienst/Gedenkveranstaltung, Elternabend) – Vorbereitende Maßnahmen zur Entlastung der schulischen Helfer/innen und zur Bewältigung und

Aufarbeitung des Ereignisses

Mag. Brigitte Riemer: Krisenintervention an Schulen 25

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KRISENINTERVENTION an SCHULEN

Mag. Brigitte Riemer: Krisenintervention an Schulen 26

1.3 Mittelfristige Maßnahmen durch die Schulleitung – Gemeinsame Besprechung aller direkt betroffenen, in der/den jeweiligen Klasse/n unterrichtenden

Lehrer/inne/n zur Koordination der Maßnahmen/Hilfen im Unterricht – Für Schüler/innen/Klassen: Unterstützung nach den Regeln der Psychischen Ersten Hilfe (Inter-

ventionen in Klassen), Gespräche in den Klassen anbieten Kinder und Jugendliche beobachten (z.B. auffallendes Verhalten)

– Für betroffene Lehrpersonen: Unterstützung/Betreuung/Beratung veranlassen – Durchführen eines Elternabends zur umfassenden Information und Besprechung der weiteren Vor-

gehensweise – Besuchsdienste veranlassen, Gottesdienst/Gedenkveranstaltung planen – Experten/innen (z.B. Notfallspsycholgen/innen) zuziehen (wenn nötig) – Rückmeldungen und Abschlussgespräch von Lehrpersonen und Krisenteam – Entlastung der schulischen Helfer/innen vorbereiten, Gesprächsmöglichkeiten, Unterstützung su-

chen

1.4 Längerfristige Maßnahmen durch die Schulleitung – Hilfe für Helfer/innen (Supervision für involvierte Personen, psychologische Nachbesprechungen) – Abschlussgespräch und Abschlussritual – Erstellen eines ausführlichen Protokolls (Schilderung der Situation, Betroffene/Beteiligte, Maß-

nahmen, Verlauf) – Initiativen zur Prävention, Schulentwicklungsprojekte (Projekte mit Klassen (z.B. Erste-Hilfe-Kurs,

Spendensammlung etc. ), Lehrer/innenfortbildungen, Arbeitsgruppen)

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KRISENINTERVENTION an SCHULEN

2 KATASTROPHEN

Natur- u. technische K. – Großschadensereignisse z.B. Beispiel: Seilbahnunglück, Busunglück, Flutwelle, Lawinen, Attentat mit vielen Getöteten, …

2.1 Aufgaben der Lehrpersonen – Gibt es direkt oder indirekt betroffene SchülerInnen? – Die KlassenlehrerIn oder die Lehrperson der ersten Unterrichtsstunde soll das Ereignis von sich aus

ansprechen – Geleitetes Klassengespräch nach den Regeln der Psychischen-Ersten-Hilfe durchführen (siehe un-

ten) Dem Vorfall Vorrang geben, darüber sprechen (wer darüber sprechen möchte)

– Schulstruktur (Unterrichtsablauf) beibehalten, SchülerInnen nicht vorzeitig heimschicken

2.2 Aufgaben der Schulleitung – KlassenlehrerIn, falls notwendig, unterstützen (Information, Medien, …) – Schulprojekte zum Thema oder z.B. Sammlungen ermöglichen

2.3 Psychische - Erste-Hilfe – Kinder sehen oft schreckliche Bilder im Fernsehen, haben aber oft keine Möglichkeit, mit Erwach-

senen darüber zu sprechen. – kleinere Kinder: mit den Kindern im Sitzkreis darüber sprechen und kindgerechte Erklärungen

verwenden; ergangene Hilfe als „positiven“ Abschluss erwähnen??? Kinder in sinnvolle und heilsame Aktivitäten mit einbeziehen (jemanden besuchen, für die Opfer sammeln ...), Rituale anwenden

– ältere Kinder und Jugendliche auf das Thema ansprechen, dem Vorfall vor dem Unterricht Vor-rang geben, Hilfe anbieten, nicht aufdrängen, Rituale vorschlagen

– sensibel sein für Verhaltensänderungen (evtl. Eltern bei Auffälligkeiten informieren) – Klassenprojekte durchführen – Möglichkeiten erlauben, den Betroffenen Unterstützung zukommen zu lassen (z.B. Sammlung von

Sach- oder Geldspenden erlauben)

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3 UNFÄLLE

3.1 Aufgaben der Lehrpersonen – Unfallort absichern – Unfallopfer erstversorgen (Erste-Hilfe-Maßnahmen) – Rettung/Notarzt Tel. 144 per Handy oder durch geeignete/n SchülerIn – Sekretariat/Direktion verständigen lassen – Schulleitung über den Unfall verständigen lassen – Erste-Hilfe-Maßnahmen weiterführen (auch Psychische-Erste-Hilfe1), bis – Rettung/Notarzt/Kriseninterventionsteam eintrifft

3.2 Aufgaben der Schulleitung – Überblick über die Situation am Unfallort verschaffen – Kontrolle, ob Einsatzkräfte verständigt sind und Verständigung des schulinternen Krisenteams (so-

fern vorhanden) – Erziehungsberechtigte/n/Eltern benachrichtigen – vorgesetzte Dienststelle (BSI, LSR) verständigen – die anderen Lehrpersonen informieren – Information Medien nach Genehmigung des LSR bzw. Weiterverweis an vorab bestimmte/n An-

sprechpartnerIn – sorgfältige Dokumentation aller veranlassten Maßnahmen – Arbeit mit betroffenen Klassen organisieren (auch mit außerschulischer Unterstützung, z.B. Schul-

psychologie)

3.2 Psychische - Erste-Hilfe – Wenn die Betroffenen Sie nicht kennen, so stellen Sie sich vor – Sagen Sie, dass Sie da sind und etwas geschieht – Führen Sie die Person zuerst von der unmittelbar belastenden Situation weg, sofern das möglich ist – Suchen Sie vorsichtig leichten Körperkontakt. – Hören Sie zu bevor sie sprechen! – Jokerfrage: „Soll jemand verständigt werden?“ – Erlauben Sie das Erleben und den Ausdruck von Gefühlen – Kinder nicht beschuldigen – Die Reaktionen der Person normalisieren: "Eine normale Reaktion auf ein nicht-normales Ereignis“ – Lassen Sie den Betroffenen nicht allein!

wichtige Telefonnummern: Polizei: 133 Rettung: 144 Feuerwehr: 122 Schulpsychologie: 1 siehe „Leitfaden zur Krisenintervention an Schulen“ und Maßnahmen zur Psychischen-Ersten-Hilfe

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4 VERMISSTER SCHÜLER VERMISSTE SCHÜLERIN

(z.B. bei Schulausflug, Schullandwoche, etc.)

4.1 Aufgaben der Lehrpersonen – MitschülerInnen um die Handy-Nummer des/der Betroffenen fragen, anrufen

(jemanden dazu einteilen). – In Erfahrung bringen, wer den/die SchülerIn wann und wo zum letzten Mal gesehen hat. – In der Unterkunft nachfragen, ob das Kind dorthin zurückgekehrt ist. – Verständigung der Schule (Direktion/Sekretariat), falls das Kind nicht gefunden wird. – Nachfragen, ob es Unstimmigkeiten zwischen SchülerInnen gegeben hat. – Die Unterkunft bzw. das nähere Gelände nach dem Schüler/der Schülerin absuchen

- Suche koordinieren - MitschülerIn nicht auf eigene Faust suchen lassen (Gefahrenabwägung)

– Sammelpunkt (plus Handy) festlegen: Wer verbleibt am Sammelpunkt? – Polizei/Gendarmerie verständigen und dieser für Fragen zur Verfügung stehen – Ist das Kind zurück, wiederum Verständigung der Schule durchführen!

4.2 Aufgaben der Schulleitung – Eltern verständigen bzw. bei Eltern anfragen, ob sich das Kind telefonisch gemeldet hat. – Sich für Nachfragen der Polizei/Gendarmerie zur Verfügung halten. – Mit Eltern in regelmäßigem Kontakt bleiben.

4.3 Psychische - Erste-Hilfe – Den SchülerInnen gegenüber Ruhe bewahren, nicht hektisch werden, keine Vorwürfe machen,

wenn es zuvor Unstimmigkeiten in der Klasse gegeben hat. – Befähigte SchülerInnen für konkrete, ungefährliche Aktivitäten einteilen (immer wieder Handy des

Kindes anrufen, in der Unterkunft/im Zimmer des Mitschülers/der Mitschülerin bleiben und mel-den, wenn er/sie zurückkommt).

– Nach Rückkehr des Kindes/Jugendlichen: dieses/diesen nicht mit Vorwürfen überhäufen, sondern in Ruhe ein Gespräch führen. Wenn Probleme vorliegen, diese ansprechen und um eine Lösung schauen.

– Wenn sich die Emotionen gelegt haben, ein Klassengespräch führen.

wichtige Telefonnummern: Polizei: 133 Rettung: 144 Feuerwehr: 122 Schulpsychologie:

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5 GEWALTHANDLUNGEN - ERPRESSUNG

5.1 Aufgaben der Lehrperson und der Schulleitung

5.1.1 allgemein: bereits bei „kleinen“ Vorfällen einschreiten und nicht wegschauen - sofortiges Reagieren ist unabdingbar Hinweise von Schülern bzgl. vorgefallener Ereignisse ernst nehmen und Bewertung der Schwere des Vor-falls sachliche Beurteilung eines Vorfalles unter Berücksichtigung der verschiedenen Perspektiven der Beteilig-ten

5.1. 2 Umgang nach akutem Vorfall: – Schulleitung informieren – die beteiligte Personen feststellen – mit dem/der TäterIn/den TäterInnen darüber sprechen ohne vorzuverurteilen – den Vorfall/die Vorfälle in geeignetem Rahmen konkret ansprechen (Schüler-Lehrer, Schüler-

Lehrer-Direktor) – gemeinsam mit Lehrperson Schwere des Vorfalls beurteilen – falls nötig, Information/Beiziehung BSI) – die Erziehungsberechtigte(n) benachrichtigen und zu einem Gespräch bitten (evtl. unter Einbezie-

hung BSI/Schulpsychologie) – gemeinsames Festlegen von Sofort- und Folgemaßnahmen, z.B. Verweis an Beratungseinrichtun-

gen/Zuziehung von Fachleuten, Möglichkeiten der Wiedergutmachung, Unterstützung durch Ju-gendwohlfahrt, „time-out-Klasse“, ….

– mögliche disziplinarische Konsequenzen ansprechen (mit Eltern) notfalls: Androhung von Schul-ausschluss bei massiver Gefährdung anderer SchülerInnen in Absprache mit dem BSI

– Aufarbeitung in der Klasse (Gesprächsrunden in Klassen – siehe Anhang) – Dokumentation der Ereignisse – Ansprechpartner/Lehrperson stellt den SchülerInnen einer Email-Adresse zur Verfügung mit dem

Auftrag, sich bei allfälligen Gewalthandlungen sofort zu melden (weitere Möglichkeit: [email protected] )

5.2 präventive Maßnahmen: – "Soziales Lernen" zur Stärkung sozialer Wahrnehmung und gewaltfreier Konfliktlösung – unbe-

dingt sinnvoll in den ersten Klassen – Klassenregeln und Konsequenzen mit den SchülerInnen erarbeiten – Ausgearbeitete Programme in den Unterricht einbauen: (z.B. Dan Olweus, „Gewalt in der Schule:

Was Lehrer und Eltern wissen sollten – und tun können (siehe Seite 2) oder gegen Ausländerprob-lematik: „DIKKAT! Wir kommen! Eine deutsch-türkische Entschleierung“)

– auf Schulebene Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Gewalt einsetzen (Ausarbeitung im Lehrer-forum, Schulklima)

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5.3 Psychische - Erste-Hilfe: – Gespräch mit dem Opfer (aktives Zuhören, einfühlendes Verstehen) – für das Opfer weiterhin als Ansprechpartner(in) fungieren (in der Schulzeit) oder per e-Mail – nur Zusagen machen, die auch eingehalten werden können: Kinder, die sich einer Lehrperson an-

vertraut haben und sich auf diese verlassen, dürfen nicht enttäuscht werden! – Möglichkeiten der Bewältigung ansprechen – Eltern massiv belasteter Kindern außerschulische Betreuung (Schulpsychologie, Beratungsstelle)

anbieten (Kontaktanbahnung) – auch Täter(innen) können Opfer sein und Unterstützung brauchen. Auch hier finden sich oft Kin-

der und Jugendliche in argen Nöten – nicht selbst zum negativen Vorbild werden, indem Gewalt mit Gewalt (auch verbal) beantwortet

wird

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6 AMOKLAUF

6.1 Aufgaben der Lehrpersonen – Sofort Polizei/Gendarmerie Tel. 133 verständigen (lassen) - per Handy, durch vertrauenswürdi-

ge/n SchülerIn, durch andere Lehrpersonen – Direktion verständigen (lassen) – Sollten SchülerInnen/Lehrpersonen verletzt sein, lebensrettende Erste-Hilfe- Maßnahmen ergreifen – Regeln zur Psychischen-Ersten-Hilfe beachten und anwenden (siehe unten) – Wenn möglich, SchülerInnen in geschützte Räume evakuieren – Auf jeden Fall außerschulische fachliche Unterstützung zur Bearbeitung des traumatischen Ereig-

nisses anfordern (Schulpsychologie, Kriseninterventionsteam) und alle weiteren Maßnahmen be-sprechen!

– Möglichst bald nach dem Ereignis wieder mit dem Unterricht beginnen, Schule keinesfalls länger schließen!

6.2 Aufgaben der Schulleitung – Sicher stellen, dass die Polizei/Gendarmerie verständigt wurde – Evakuierung des Schulhauses veranlassen, wenn notwendig – Vorgesetzte Dienststelle informieren – Medienverweis an vorgesetzte Dienststelle als Auskunftsgeber – Auf jeden Fall außerschulische fachliche Unterstützung – (Schulpsychologie, Krisenteams) zur Bewältigung im Lehrerkollegium – anfordern und weitere Maßnahmen und Vorgehensweisen besprechen!

6.3 Psychische - Erste-Hilfe – Ruhe bewahren, damit möglichst keine Panikreaktionen bei Tätern und Opfern eintreten! – Fluchtweg für den/die TäterIn freihalten, nicht den Helden/die Heldin spielen! – Dem/der TäterIn das Gefühl geben, er/sie habe die Situation in der Hand, ihn/sie keinesfalls in die

Enge treiben! – Mit Betroffenen/ZeugInnen nach den Regeln der Psychischen-Ersten-Hilfe verfahren – Erlauben Sie das Erleben und den Ausdruck von Gefühlen. – Die Reaktionen der Person normalisieren: – "Eine normale Reaktion auf ein nicht-normales Ereignis“ – Lassen Sie Betroffene nicht allein! – Beziehen Sie Fachkräfte oder Kriseninterventionsdienste mit ein – Wenn Menschen getötet wurden, Regeln zum Abschied von Verstorbenen beachten und Abschieds-

feier/Gottesdienst im Rahmen der Schule durchführen

wichtige Telefonnummern: Polizei: 133 Rettung: 144 Feuerwehr: 122 Schulpsychologie:

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7 BOMBENDROHUNG

7.1 Aufgaben des Empfängers der Drohung (z.B. Lehrperson)1

– nehmen Sie die Aussagen auf und notieren sie diese; – versuchen, noch während des Anrufes Hilfe zu bekommen – fragen Sie nach Details zur angeblichen Bombe – (wann?, wo? was für eine Bombe? warum? wer?) – Telefon nicht auflegen, von anderem Apparat aus die Polizei 133 – verständigen und die Bombendrohung melden – Schulleitung verständigen – Evakuierung (falls notwendig) unterstützen – Nach Evakuierung SchülerInnen abzählen und kurz sachlich informieren – Aufarbeitung/Gespräch in den einzelnen Klassen nach Wiederaufnahme des Unterrichts

7.2 Aufgaben der Schulleitung – Bewertung der Dringlichkeit – Vorgesetzte Dienststelle informieren (LSR) – nach Rücksprache mit Polizei Tel. 133 oder Feuerwehr Tel. 122 Schule evakuieren – Wenn keine Evakuierung notwendig erscheint, Schulgebäude nach – verdächtigen Gegenständen absuchen lassen – (Polizei, mit Unterstützung durch Hausmeister) – bei verdächtigem Fund Evakuierung sofort nachholen – Weitere Maßnahmen mit Einsatzleitung absprechen – Dokumentation und Bericht an vorgesetzte Dienststelle

7.3 Psychische - Erste-Hilfe2

– In der Akutsituation: Ruhe bewahren, um keine Massenpanik auszulösen – Anweisungen zur Evakuierung mit beruhigenden Appellen verbinden (ruhig, klar, gelassen, knapp,

gut verständlich). Text muss wiederholt werden – So früh wie möglich warnen und auf vorbereitete Maßnahmen hinweisen – Eltern nachträglich über den Tatbestand informieren und über die getätigten Maßnahmen

wichtige Telefonnummern: Polizei: 133 Rettung: 144 Feuerwehr: 122 Schulpsychologie: 1 Quelle: teilw. KIBBS (Krisen- Interventions- und Bewältigungsteam Bayrischer Schulpsychologen) 2 siehe „Leitfaden zur Krisenintervention an Schulen“ und Maßnahmen zur Psychischen-Ersten-Hilfe

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8 VERDACHT AUF SUCHTMITTELMISSBRAUCH (BEGRÜNDETE VERDACHTSFÄLLE)

7. 1 Aufgaben der Schulleitung – vertraulicher Umgang mit Verdachtsinformationen! – Rücksprache und Austausch mit Lehrpersonen bezüglich gemachter Wahrnehmungen – Gespräch mit dem Schüler – bei weiterem unklaren Verdacht Gespräch unter Beziehung der Eltern und bei Bedarf Empfehlung

von Hilfe von außerschulischen Einrichtungen (Drogenberatungsstelle z.B. B.I.T., Schulpsychologie)

– bei begründetem Verdacht (belegt durch konkrete Tatsachen): (1) Schularzt hinzuziehen (ärztliche Untersuchung) (2) erforderlichenfalls Beziehung der Schulpsychologie (psychologische Abklärung)

7.1.1 Möglichkeit A: Untersuchung bestätigt Suchtmittelmissbrauch:

– gemeinsames Gespräch mit Schulleiter, Erziehungsberechtigten, Schüler, Schularzt, Schulpsycho-logie

– Sicherstellung einer geeignete gesundheitsbezogenen Maßnahmen – Durchführung der gesund-heitsbezogenen Maßnahmen nach § 15 in anerkannten Einrichtungen (z.B. Beratungsstelle B.I.T., Drogenambulanz u.a.)

– Bestätigung des Schülers über durchgeführte Behandlungen (Beginn, regelmäßige Anwesenheit, Beendigung)

7.1.2 Möglichkeit B: Schüler oder Erziehungsberechtigte verweigern die schulärztliche oderschul-psychologische Untersuchung bzw. die vorgeschlagenengesundheitsbezogenen Maßnahmen werden abgelehnt:

– Schulleiter erstattet Meldung an die Bezirksverwaltungsbehörde – Amtsarzt ordnet gesundheitsbezogene Maßnahmen an – verweigert der Schüler die gesundheitsbezogenen Maßnahmen, so erfolgt Strafanzeige – unterzieht sich der Schüler den gesundheitsbezogenen Maßnahmen nach § 15 SMG, so hat er wie-

derum dem Schulleiter die entsprechende Bestätigung vorzulegen

7.2 Psychische- Erste - Hilfe – nicht überreagieren – dem Schüler und den Eltern den Anspruch auf Vertraulichkeit zusichern – sollte das Thema zum Klassenthema werden oder mehrere SchülerInnen betroffen sein, außerschu-

lisch Helfer zuziehen

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7.3 Rechtliche Bestimmungen (Suchtmittelgesetz): – § 13(1) Ist aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass ein Schüler Suchtgift missbraucht,

so hat ihn der Leiter der Schule einer schulärztlichen Untersuchung zuzuführen. Der schulpsy-chologische Dienst ist erforderlichenfalls bei zu ziehen. Ergibt die Untersuchung, dass eine ge-sundheitsbezogene Maßnahme gemäß § 11 Abs. 2 notwendig ist und ist diese nicht sichergestellt, oder wird vom Schüler, den Eltern oder anderen Erziehungsberechtigten die schulärztliche Untersuchung oder die Konsultierung des schulpsychologischen Dienstes verweigert, so hat der Leiter der Schule an-stelle einer Strafanzeige davon die Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde zu verständi-gen.

– § 11 (1) Personen, die wegen Suchtgiftmissbrauchs oder der Gewöhnung an Suchtgift gesund-

heitsbezogener Maßnahmen gemäß Abs. 2 bedürfen, haben sich den notwendigen und zweckmäßi-gen, ihnen nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen ge-sundheitsbezogenen Maßnahmen zu unterziehen. Bei Minderjährigen haben die Eltern oder ande-ren Erziehungsberechtigten im Rahmen ihrer Pflicht zur Pflege und Erziehung dafür zu sorgen, dass sie sich solchen Maßnahmen unterziehen.

– (2) Gesundheitsbezogene Maßnahmen sind – die ärztliche Überwachung des Gesundheitszustandes, – die ärztliche Behandlung einschließlich der Entzugs- und Substitutionsbehandlung, – die klinisch-psychologische Beratung und Betreuung – die Psychotherapie sowie – die psychosoziale Beratung und Betreuung durch qualifizierte und mit Fragen des Suchtgift-

missbrauchs hinreichend vertraute – Personen.

– (3) Für die Durchführung gesundheitsbezogener Maßnahmen gemäß Abs. 2 Z 3 bis 5 sind ins-besondere die Einrichtungen und Vereinigungen gemäß § 15 heranzuziehen.

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8 UMGANG MIT KLASSEN ANLÄSSLICH EINER KRISE

8.1 Vorbereitung

8.2 Verarbeitungshilfen

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8.3 Wie sage ich es meiner Klasse? Anlassfall: Tod, bei lebensbedrohlicher Verletzung od. Krankheit, oder wenn vermisst

8.3.1 Vorbemerkungen: Kinder leben meist in der Vorstellung, dass ihnen nichts passieren kann. Der Tod eines Mitschülers kon-frontiert sie mit dem Thema Tod. Im Falle von vorangehender schwerer Krankheit besteht so etwas wie langsamer Annäherung an dieses Thema. Dies ist im Falle unerwarteter Vorfälle (Unfall, Katastrophe) sehr plötzlich (mitunter liegen noch Schulsachen des Kameraden etc. herum). Offenheit, Ehrlichkeit im Gespräch als Basis für das Entstehen von Vertrauen. Getrauert soll dort werden, wo man seine Beziehun-gen lebt, d.h. auch in Schule. Für die Trauer ist die Gruppe wichtig, aus ihr wurde der junge Mensch he-rausgerissen

8.3.2 Organisatorische Maßnahmen: – Todesnachricht nicht hinauszögern – Schulzeit nach Möglichkeit nicht verkürzen, weil viele Schüler dann unbetreut alleine zuhause sind – falls Eltern nicht informiert sind: schriftliche Kurzinformation an die Eltern (was ist passiert?

Schulablauf in den nächsten Tagen, ev. Einladung zu Elternabend) – Rituale zum Abschiednehmen (Gottesdienstgestaltung, Begräbnisteilnahme überlegen)

8.2.3 Wie vorgehen? – Von der derzeitigen Situation ausgehen, nicht beschwichtigen; – wenn vermisst: nicht mit Sicherheit den Tod annehmen: etwas Hoffnung bleibt! – Todesnachricht an die Klasse durch eine vertraute Bezugsperson der Klasse überbringen (nicht allein durch

fremde Person) - 2te Lehrperson, Direktor oder externer Helfer ist als Stütze für die Lehrperson da! – Lassen Sie Ihre Gefühle zu: Tränen dürfen sein! Mittrauern verbindet! - Die 2. Person kann bei Gesprächsfüh-

rung unterstützen und diese zeitweise übernehmen, um die Bezugslehrperson zu entlasten. – Umgestaltung der Sitzordnung: Sesselkreis, Kerze in der Mitte – Vereinbarung treffen, dass das Gesprochene und die Gefühle der Schüler in der Klasse bleiben (Klasse als ge-

schützter Raum) – Information geben zu den Fakten:

o was ist gesicherte Information? o Beschreibung der Umstände, die zum Unglück führten (Todesursache) o keine Gerüchte weitergeben, keine Spekulationen anstellen, weil diese Angstphantasien schüren können o möglichst keine Schuldzuweisungen einbringen

– Zeit lassen für Reaktionen, verstehend und nicht wertend darauf eingehen – es darf auch geschwiegen werden: manchmal gibt es nichts zu sagen – mögliche Themenschwerpunkte:

was bedeutet der Tod des Mitschülers für mich? was bedeutet dieses Unglück (Tod) für mich? welche Gedanken kommen mir, wenn ich an den Tod denke? wer hat schon einen lieben Menschen verloren (Vortraumatisierungen?) Wie gehe ich mit so einer Situation um, was hilft mir?

– Gesprächsführung: nicht nur fokussieren, was Schwierigkeiten macht, auch auf angesprochene und bereits vorhandene Bewältigungsstrategien eingehen

– Kreative Verarbeitungsmöglichkeiten miteinbeziehen: Malen, Briefe schreiben, ... – was sind die nächsten Schritte: Briefe, Besuche, Bitt-/Bet-/Abschieds-Gottesdienst – Zukunftsperspektive entwickeln: Wie geht es weiter? Einen guten neuen Platz finden? – nachfragen, wer zuhause ist, wenn Schüler nach Hause kommen

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LITERATURHINWEISE

Everly, George S./Mitchell, Jeffrey T.: „CISM - Stressmanagement nach kritischen Ereignissen“ Facultas,

Wien, 2002, ISBN 3-85076-560-1 E. Erikson: „Identität und Lebenszyklus. Drei Aufsätze“, Suhrkamp, 1994

M. H. Friedrich: „Irrgarten Pubertät“, DVA, 1999

T. Gordon: „Familienkonferenz“, Heyne Sachbuch 1970

T. Gordon: „Lehrer-Schüler-Konferenz“, Heyne Sachbuch 1974

V. Kast: „Lebenskrisen werden Lebenschancen“, Herder, 2000

Ernst Kret: „Verhaltensauffällig – Was tun?“, Veritas Verlag 1998

M. Maggauer: „Krisenintervention“, Skriptum, 2006

R. Mitschka: „Die Pubertät gemeinsam bewältigen“ ÖBV, 1998

R. Mitschka: „Die Klasse als Team“ Veritas, 1999

PONS „Wörterbuch der Jugendsprache“, Deutsch-Englisch-Französisch-Spanisch; Klett Verlag; 2003

F. Petermann/U. Petermann „Training mit Jugendlichen“ Psychologie Verlags Union 1987

E. Ringel: „Selbstmord – Appell an die anderen“, Kaiser, 1989

P. Schlobinski u. N.C. Heins „Jugendliche und ,ihre' Sprache“; Westdeutscher Verlag; 1998

Sonneck G.: „Krisenintervention und Suizidverhütung“, Fakultas-Universitätsverlag, Wien (1991)

Internetadressen:

Die weiße Feder www.gemeinsam-gegen-gewalt.at/ Krisenkompass Österreich www.edyoucare.net Krisenintervention an Schulen www.krisenintervention.tsn.at/ Neuhland www.neuhland.net ÖZEPS www.oezeps.at