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Fraktur - ein gebrochenes Verhältnis zur gebrochenen Schrift. Die Überschrift eines Artikels, der der Redaktion von Idee und Bewegung vor einiger Zeit zur Veröffentlichung vorlag, war der Auslöser, daß ich mich etwas mit diesem Thema beschäftigte. Sie war in ei- ner heutzutage kaum noch gebräuchlichen Schriftart gesetzt, die wir zwar noch in den Texten vieler älterer Bücher in unseren Regalen, sonst jedoch allenfalls auf Urkun- den, Namensschildern einiger Gaststätten oder Titelzeilen einiger Zeitungen finden. Mit „Fraktur“ wird diese Schriftart be- zeichnet, und da ich finde, daß sie nicht nur eine Schrift ist, sondern manche Aus- führungen durchaus als Kunstwerke ihrer Urheber, der Schriftzeichner, Stempel- schneider, Setzer und Drucker gesehen werden können, sollen ihr hier einige Zei- len gewidmet werden. Der Ausdruck „Fraktur“ (lateinisch für „Bruch“) besagt, daß die aus dem Alter- tum (Antike) stammenden runden Linien der Buchstaben Brechungen erfuhren. Seit dem 13. bis 15. Jahrhundert wurden in Deutschland, Frankreich, England und den Niederlanden, auch in Spanien und Böh- men alle liturgischen und religiösen Bü- cher in lateinischer Sprache und in goti- scher Schrift geschrieben. Diese hatte sich aus der Unziale und der karolingischen Minuskel entwickelt, deren Regelmäßig- keit und Klarheit des Schriftbildes mit ih- ren rundlichen Buchstaben der romani- schen Stilform entsprach. Römische Kapitalschrift Unziale gotische Buchschrift Die bisher runden Elemente der Buchstabenformen erfuhren unter dem Einfluss des gotischen Stils eckige Strich- zusammensetzungen (Brechungen), teil- weise auch zusätzliche Zierfüßchen und -köpfchen. Diese schmale, enge und feier- liche Schrift war parallel mit der gotischen Architektur entstanden, und ihr Entstehungsdatum wird mit dem Bau der gotischen Kathedrale Notre-Dame in Pa- ris gleichgesetzt. Von Paris ausgehend ver- teilten sich die gotische Architektur und Schrift in die benachbarten Länder. Diese hohe, schmale Schrift wurde von Johan- nes Gutenberg als erste Druckschrift des Abendlandes in seiner 42-zeiligen Bibel von 1455 nachgebildet. Karolingische Minuskel und Unziale Bei den Kleinbuchstaben führte die völli- ge Brechung aller Rundungen zu einer verminderten Lesbarkeit und einem Gewe- be oder Gitter ähnlichen Schriftbild, das dem Buchgotisch mit seinen typischen quadratischen Füßen und Köpfen die Be- zeichnung Textur einbrachte. Diese monu- mental wirkende Schriftform diente vor- nehmlich dem Gottesdienst und der Re- präsentation. Sie trat besonders häufig in Meßbüchern auf. Buchtextur Südlich der Alpen war die Textur nie recht heimisch geworden; die Bezeichnung „go- tisch“ wurde in Italien kritisch zu den einst in Norditalien eingefallenen Goten gese- hen, die als Barbaren geschmäht wurden. Dagegen setzte sich hier die Rundgotisch oder Rotunda durch, die die Ablehnung des gotischen Stilprinzips deutlich macht und stärker an den Rundungen der karolingi- schen Minuskel festhält, ohne den rauten- ähnlichen Abschluß der Buchstaben- schäfte oben und unten. Die Rotunda wur- de zur vorherrschenden Schrift des 15. Jahrhunderts in Italien, Spanien und Por- tugal. Rotunda Auf der Apenninhalbinsel hatte sich durch neu entstehende Manufakturen, durch eine größere Arbeitsteilung und den wachsen- den Handel mit den Anrainerländern des Mittelmeeres und den transalpinen Staa- ten ein reiches und selbstbewußtes Bür- gertum entwickelt. Das aus der arabischen Welt importierte technische und medizi- nische Wissen führte zu neuen Erkennt- nissen. Im Zuge einer wissenschaftlichen und künstlerischen Renaissance erinnerte man sich an die Kunst der Antike, an die klassischen Inschriften in der römischen Kapitalschrift in den Ruinen der frühen Kaiserzeit, zudem fand man beim Ab- schreiben lateinischer Manuskripte die schöne und gut lesbare karolingische Mi- nuskel der vorgotischen Periode. KULTUR

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Fraktur -ein gebrochenes Verhältnis zur gebrochenen Schrift.

Die Überschrift eines Artikels, der derRedaktion von Idee und Bewegung voreiniger Zeit zur Veröffentlichung vorlag,war der Auslöser, daß ich mich etwas mitdiesem Thema beschäftigte. Sie war in ei-ner heutzutage kaum noch gebräuchlichenSchriftart gesetzt, die wir zwar noch in denTexten vieler älterer Bücher in unserenRegalen, sonst jedoch allenfalls auf Urkun-den, Namensschildern einiger Gaststättenoder Titelzeilen einiger Zeitungen finden.Mit „Fraktur“ wird diese Schriftart be-zeichnet, und da ich finde, daß sie nichtnur eine Schrift ist, sondern manche Aus-führungen durchaus als Kunstwerke ihrerUrheber, der Schriftzeichner, Stempel-schneider, Setzer und Drucker gesehenwerden können, sollen ihr hier einige Zei-len gewidmet werden.

Der Ausdruck „Fraktur“ (lateinisch für„Bruch“) besagt, daß die aus dem Alter-tum (Antike) stammenden runden Liniender Buchstaben Brechungen erfuhren. Seitdem 13. bis 15. Jahrhundert wurden inDeutschland, Frankreich, England und denNiederlanden, auch in Spanien und Böh-men alle liturgischen und religiösen Bü-cher in lateinischer Sprache und in goti-scher Schrift geschrieben. Diese hatte sichaus der Unziale und der karolingischenMinuskel entwickelt, deren Regelmäßig-keit und Klarheit des Schriftbildes mit ih-ren rundlichen Buchstaben der romani-schen Stilform entsprach.

Römische Kapitalschrift

Unziale

gotische Buchschrift

Die bisher runden Elemente derBuchstabenformen erfuhren unter demEinfluss des gotischen Stils eckige Strich-zusammensetzungen (Brechungen), teil-weise auch zusätzliche Zierfüßchen und-köpfchen. Diese schmale, enge und feier-liche Schrift war parallel mit der gotischenArchitektur entstanden, und ihrEntstehungsdatum wird mit dem Bau dergotischen Kathedrale Notre-Dame in Pa-ris gleichgesetzt. Von Paris ausgehend ver-

teilten sich die gotische Architektur undSchrift in die benachbarten Länder. Diesehohe, schmale Schrift wurde von Johan-nes Gutenberg als erste Druckschrift desAbendlandes in seiner 42-zeiligen Bibelvon 1455 nachgebildet.

Karolingische Minuskel und Unziale

Bei den Kleinbuchstaben führte die völli-ge Brechung aller Rundungen zu einerverminderten Lesbarkeit und einem Gewe-be oder Gitter ähnlichen Schriftbild, dasdem Buchgotisch mit seinen typischenquadratischen Füßen und Köpfen die Be-zeichnung Textur einbrachte. Diese monu-mental wirkende Schriftform diente vor-nehmlich dem Gottesdienst und der Re-präsentation. Sie trat besonders häufig inMeßbüchern auf.

Buchtextur

Südlich der Alpen war die Textur nie rechtheimisch geworden; die Bezeichnung „go-tisch“ wurde in Italien kritisch zu den einstin Norditalien eingefallenen Goten gese-hen, die als Barbaren geschmäht wurden.Dagegen setzte sich hier die Rundgotischoder Rotunda durch, die die Ablehnung desgotischen Stilprinzips deutlich macht undstärker an den Rundungen der karolingi-schen Minuskel festhält, ohne den rauten-ähnlichen Abschluß der Buchstaben-schäfte oben und unten. Die Rotunda wur-de zur vorherrschenden Schrift des 15.Jahrhunderts in Italien, Spanien und Por-tugal.

Rotunda

Auf der Apenninhalbinsel hatte sich durchneu entstehende Manufakturen, durch einegrößere Arbeitsteilung und den wachsen-den Handel mit den Anrainerländern desMittelmeeres und den transalpinen Staa-ten ein reiches und selbstbewußtes Bür-gertum entwickelt. Das aus der arabischenWelt importierte technische und medizi-nische Wissen führte zu neuen Erkennt-nissen. Im Zuge einer wissenschaftlichenund künstlerischen Renaissance erinnerteman sich an die Kunst der Antike, an dieklassischen Inschriften in der römischenKapitalschrift in den Ruinen der frühenKaiserzeit, zudem fand man beim Ab-schreiben lateinischer Manuskripte dieschöne und gut lesbare karolingische Mi-nuskel der vorgotischen Periode.

KULTUR

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Auf der Grundlage jener Minuskel schufman die sogenannte humanistische Anti-qua. Neben dem langen s wird nun auchein Schluß-s verwandt. Neben der huma-nistischen Antiqua entwickelte sich eineschrägliegende Antiqua-Kursive, die zu-nächst als Verkehrs- und Kanzleischriftgepflegt und erst um die Wende vom 15.zum 16. Jahrhundert in den Buchdruckübernommen wurde.

Karolingische Minuskel

humanistische Antiqua

Bastarda

Im Laufe des 16. Jahrhunderts drang derGebrauch der Antiqua in Italien bereitsvollkommen durch, in Frankreich gewannsie seit 1530 mehr und mehr an Einfluß.In England konnten sich die gebrochenenSchriften relativ lange behaupten; im Jah-re 1612 kam zwar eine englischsprachigeBibel in Antiqua heraus, doch konnten sichbis ins 18. Jahrhundert die gebrochenenSchrift in juristischen Werken halten.

In Deutschland benutzte man um das Jahr1500 für liturgischen Bücher die Textur,für juristische Werke in lateinischer Spra-che bevorzugte man die Rotunda und beianderen wissenschaftlichen Werken in la-teinischer Sprache eine mit gotischen Ru-dimenten behaftete Antiqua, die Gotico-Antiqua. Für Texte in der Nationalsprache,für die deutsche, die französische, dietschechische, die englische und die nieder-ländische Sprache wurde eine der entspre-chenden regionalen Varianten der goti-

schen Bastarda einge-setzt - ein Spiegel derZerrissenheit auch imSchreibwesen des dama-ligen „Heiligen Römi-schen Reiches DeutscherNation“ (als Bastardabezeichnete man Aus-führungen, die sich alsÜbergangsformen zwi-

schen Buchschrift und Handschrift entwik-kelten). Aus der humanistische Antiquaentstanden in der Folgezeit die nachkom-menden handschriftlichen Formen der run-den Schriften, die in die sogenannte latei-nische Schreibschrift mündeten.

Schwabacher Schreibschrift

Die deutschsprachigen Gebiete sowie diemit diesen kulturell verbundenen skandi-navischen und slawischen Länder bliebenvon dem grundlegenden Wechsel derSchriftform zur Antiqua ausgenommen. Imskandinavischen Raum konnten die gebro-chenen Schriften ihre Vormachtstellunggegenüber der Antiqua bis ins 18. Jahr-hundert behaupten. In den deutschenSprachgebieten wurden die rundenSchriften sogar erst im 20. Jahrhundertallein führend. Hier bahnte sich schonzwischen 1490 und 1525 eine Zwei-schriftigkeit an, indem die Rotunda häu-fig für lateinisches Schrifttum und dieneugeschaffene Schwabacher Schrift ver-stärkt für deutschsprachige Werke alsDruckletter eingesetzt wurde.

Die Schwabacher Schrift trat gegen Endedes 15. Jahrhunderts zum ersten Mal inNürnberg auf. Martin Luther, der mit sei-ner Bibelübersetzung zur Entstehung ei-ner einheitlichen deutschen Schriftsprachebeitrug, ließ diese sowie seine übrigenWerke in den Schwabacher Lettern setzen.Sie wurde im ersten Viertel des 16. Jahr-

hunderts zur führenden Schrift für deutsch-sprachige Druckwerke. Im Vergleich zurTextur fallen die Formen der Schwabacherrunder aus. Auch fehlen ihr die für die Tex-tur bezeichnenden Rautenfüße.

Ein Beispiel für die beginnende Zwei-schriftigkeit in den deutschen Sprachge-bieten stellt eine Weltchronik dar, derendeutschsprachige Ausgabe in Schwaba-cher Lettern gedruckt wurde, während dielateinische Ausgabe bei demselben Nürn-berger Großdrucker in Rotunda erschien.

Eine solche Trennung der Schriftartenwurde zu diesem Zeitpunkt jedoch wederbewußt vorgenommen noch streng durch-gehalten. Vielmehr orientierte man sich beider Auswahl der Lettern unbefangen an derSprache der Vorlage und verband damitzunächst noch keine konfessionellen odernationalen Signale. Zu einer Festigung desZustandes der Zweischriftigkeit kam es imweiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts, in-dem sich ab 1500 die Antiqua für lateini-sche Texte durchsetzte und um 1550 dieneu entstandene Fraktur die Schwabacherals die führende Schrift für deutsche Texteabgelöste.

alte Schwabacher Druckschrift

Die Fraktur, die aus der SchwabacherSchrift erwachsen ist, entstand um dieWende vom 15. zum 16. Jahrhundert imdeutschen Sprachraum. In ihrer charakte-ristischen Form trat sie zuerst in dem un-ter der Förderung des Kaisers MaximilianI. von seinem Hofdrucker JohannesSchönsperger geschaffenen Prachtdruckeines Gebetbuches (1512/13) und in demetwas später gedruckten „Theuerdank“ inErscheinung. Zur Ausgestaltung der Frak-turschrift trugen ferner die sogenanntenDürerdrucke aus Nürnberg bei (1522-1527). Die Besonderheit der Fraktur be-steht u. a. in den sogenannten Elefanten-rüsseln, womit man den s-förmigen An-schwung mehrerer Versalien (Großbuch-staben) bezeichnet.

KULTUR

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Luther-Bibel

Fraktur-Schreibschrift

Als ein Grund für die Verdrängung derSchwabacher Schrift durch die Frakturkann der raumsparendere und somitwirtschaftlichere Charakter letzterer gel-ten. Als weitere Ursachen werden die demZeitgeschmack eher entsprechenden For-men der Frakturschrift sowie deren Aus-gewogenheit zwischen Groß- und Klein-buchstaben, die der sich im 16. Jahrhun-dert durchsetzenden Großschreibung ent-gegenkomme, genannt. Nicht unwesent-lich zur Verdrängung der Schwabacherbeigetragen hat ferner die deutsche Bibel-ausgabe des Buchdruckers und VerlegersSigmund Feyerabend von 1560, für diedurchgehend die Fraktur Schrift verwen-dete wurde. Die Fraktur und ihre späterenAbwandlungen stellten von nun an bis ins20. Jahrhundert hinein die meist-verwendete gebrochene Schriftart dar. AlsSchreibschrift entwickelte sich in den deut-

schen Sprachge-bieten im 16.Jahrhundert diedeutsche Kurrentin ihren verschie-denen Ausfor-mungen.

Zur Mitte des 16.Jahrhunder tszeichnete sicheine bewußteTrennung in derAnwendung derbeiden Schriftar-ten - gebroche-ner und runderSchriften - nachden Sprachender Textvorlageab. Während

Wolfgang Fugger befand, daß die deutscheSprache in lateinischen Buchstaben ge-schrieben nicht schön aussähe, hatte derhumanistische Erasmus von Rotterdam an-geordnet, daß alle seine Schriften in Anti-qua zu drucken seien.

Die runden Schriften (Antiqua) standenbereits ab dem 16. Jahrhundert für „nichtdeutsche Texte“ und wurden bis ins 20.Jahrhundert hinein für fremdsprachigesSchrifttum sowie für Fremdwörter undfremde Namen in deutschen Texten üblich.Im Gegensatz dazu hatten sich die gebro-chenen Schriften (Fraktur) um 1600 zumtypografischen Kennzeichen für deutsch-sprachiges Schrifttum entwickelt. Manbediente sich der Bezeichnungen „lateini-sche Schrift“ und „deutsche Schrift“, wo-bei letzte zunächst nur technische Bedeu-tung hatte und sich noch nicht auf ein ver-meintliches „deutsches Wesen“ der Frak-tur bezog.

Einen beträchtlichen Anteil an der Ent-wicklung zur Zweischriftigkeit schreibtman dem konfessionellen Gegensatz zwi-schen Protestantismus und Katholizismuszu: die Protestanten verbanden mit dengebrochenen Schriften ein Unterschei-dungs- und Abgrenzungsmittel (Beispiel:Luthers Bibelübersetzung). Als weitereGründe für das Vorherrschen der Frakturwerden die ursprüngliche Dominanz dertheologischen gegenüber den humanisti-schen Schriften im deutschen Sprachraumgesehen sowie die Vorbildfunktion, dieDürer und Gutenberg hatten, die sich bei-de der gebrochenen Schriften bedienten.Manche Autoren sehen in denkleinräumigen Macht- und Herrschafts-strukturen, der Schwächung lokaler Kräfte

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Ausschnitt aus dem Theuerdank Nürnberg 1517

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durch die Reformation unddie Auseinandersetzungenanläßlich des dreißigjähri-gen Krieges ein Hemmnisgegen eine reichsweiteModernisierung derSchrift in Deutschland zu-gunsten der Etablierungder Antiqua als alleinigerSchriftform.

Titelblatt aus Dürers „Underweysung“ Nürnberg 1538

Erst nach 1750 bildete sich die erste grö-ßere Bewegung gegen die Frakturschrift.Angestoßen von einigen Aufklärern undDichtern verbreitete sich rasch eine Ent-wicklung, die bewirkte, daß seit der Mittedes 18. Jahrhunderts zunehmend deutsch-sprachige poetische Texte neben wissen-schaftlichen Werken in Antiqua gedrucktwurden. Als Ursache hierfür gilt zum ei-nen der Einfluß Friedrichs des Großen, derdie französische Typographie und somitdie runden Schriften förderte; die Eliten imaufgeklärten Deutschland bevorzugtenfortan diese Schriftart. Zum anderen erhoff-te man sich durch die Verwendung derAntiqua eine bessere Aufnahme der deut-schen Literatur im Ausland. Doch entwik-kelten sich gegen das internationale Argu-ment mehr und mehr emotional-nationaleAuffassungen, die seit den Befreiungskrie-gen gegen Napoleon zu einem Rückgangder Antiqua im deutschsprachigen poeti-schen Schrifttum führten, während in derwissenschaftlichen Literatur im 19. Jahr-hundert die runden Schriften ihre Vorrang-stellung ausbauen konnten, gefördertdurch die baldige Verbreitung der ausAmerika importierten Schreibmaschinemit Antiqualettern.

In den Schulen wurde in der Wilhelmini-schen Zeit vornehmlich die deutscheSchrift als erste Schrift gelehrt. Hier gabes sogar zahlreiche lokale Schriftstile, dieim Schreibunterricht Anwendung fanden.

Mit dem Erscheinen des Buches „Dasdeutsche Schriftwesen und die Notwendig-keit einer Reform” (Friedrich Soennecken,

1881) begann ein jahrelan-ger öffentlicher Streit überpraktische, ästhetische, kul-turelle und internationaleGesichtspunkte eines Fürund Wider die lateinische(Antiqua) beziehungsweisedeutsche (Fraktur) Schrift.Es bildeten sich Vereine, diein diesem Schriftenstreit dieInteressen der jeweiligenBefürworter vertraten. Der

„Allgemeine Deutsche Schriftverein” sam-melte die Anhänger der deutschen Schrift,um die Reformbestrebungen der Antiqua-befürworter bekämpfen zu können, die ih-rerseits in dem „Verein für Altschrift“ (Mit-begründer: Friedrich Soennecken undKonrad Duden) für den ausschließlichenGebrauch der Lateinschrift eintraten. Er-stere führten immer wieder nationalistischeund völkische Argumente an, sahen in derFraktur Bestandteile „deutschen Volks-tums“ und „Ausdruck deutschen bzw. ger-manischen Sonderwesens“ und verteidig-

ten für Europa „drei Gattungen Schrift: dierussische für die Slawen, die deutsche fürdie Germanen, die lateinische für die Ro-manen“.

Ausschnitt aus der 42zeiligen Gutenberg-Bibel, Mainz um 1455 (Textur)

Petitionen der verschiedenen (auch politi-schen) Parteien führten 1911 dazu, daßsich der Deutsche Reichstag in einer lei-denschaftlichen Debatte mit demSchriftenstreit befaßte, in der jedoch nichtsfür die allgemeine Zulassung der Antiquaim amtlichen Verkehr und als erstemSchreibleseunterricht in den Volksschulenentschieden wurde. So blieb es weiterhinbei der Zweischriftigkeit in Deutschland.

Der vor dem Ersten Weltkrieg zu beobach-tende Trend der Zurückdrängung der Frak-tur setzte sich in der Weimarer Republikweiter fort. Gleichzeitig bewirkte die „in-nere Rückkehr der Deutschen zu sichselbst“ nach dem verlorenen Krieg (wiewir sie auch aus der Wandervogel-

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Weimarer Republik-Plakat

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geschichte kennen) eine Besinnung aufeine spezifisch „deutsche“ Schrift. Der„Bund für deutsche Schrift“, 1918 als Zu-sammenschluß des BuchhändlerischenFrakturbundes, des Schriftbundes deut-scher Hochschullehrer und der Vereini-gung der Freunde deutscher Schrift ge-gründet, verfolgte als übergeordnetes Zieldie Pflege und die Erhaltung der deutschenSchrift und setzte sich zunächst noch un-ter Duldung der Latein-Schrift für diegrößtmögliche Verwendung „deutscherSchrift“ für „deutsches Wort“ ein.

Bis zu seiner Auflösung im Dritten Reichforderte der Bund parallel zu staatlichenMaßnahmen zur Förderung der gebroche-nen Schriften die Einschriftigkeit zugun-sten der Fraktur. Neben wirtschaftlichenInteressen, die einzelne Mitglieder ausdem Verlags- und Druckereigewerbe ander Stärkung der Fraktur haben mochten,waren es nun offen formulierte nationali-stische Gründe, mit denen man dieseSchriftform als nationale Identität schaf-fendes Mittel verteidigte und sie in Anpas-sung an die nationalsozialistische Ideolo-gie als „arteigene Schrift“ und „Ausprä-gung deutscher Rasse“ darstellte. Die An-tiqua galt als glatt und fremdländisch.Nach den Bücherverbrennungen ging dasöffentliche Interesse an der Buch- undSchriftkunst zurück, und angesichts derDiffamierung humanistischer Wertvorstel-lungen hielten sich bekannte Schrift-künstler reserviert vor einer Zusammen-arbeit mit den neuen Machthabern zurück.In die Marktlücke sprangen minderrangigeGraphiker, die einfallslose und etwas bru-tal anmutende Abwandlungen der Frakturschufen. Diese von Kritikern als„Schaftstiefelgrotesk“ bezeichneten Schrif-ten dominierten fortan auf Plakaten, inAufrufen, Anschlägen und vielen Namens-

schildern im beginnenden „Tausendjähri-gen Reich“. (Grotesk-Schrift = serifenlo-se Antiquablockschrift, wie z.B. Helveti-ca.)Obwohl es bis 1941 keine gemeinsamenRichtlinien bezüglich der Schriftpolitik inden SS-Staatsorganen und -Parteiorgani-sationen gab, verhielten sich doch allefrakturfreundlich bzw. Fraktur billigend.Besonders das Reichserziehungs-ministerium und das Reichsinnen-ministerium hatten besondere Maßnahmenzur Förderung der deutschen Schrift ergrif-

fen. Die Nationalsozialistische DeutscheArbeiterpartei (NSDAP) hatte seit ihrerGründung in allen Zeitungen, Flugblätternund Büchern die Fraktur als deutscheSchrift verwendet. Die meisten Ausgabenvon Hitlers Buch „Mein Kampf“ waren inFraktur gesetzt.

Das geheime Rundschreiben im Januar1941 vom Stellvertreter des „Führers“

Martin Bormann an alleReichsleiter, Gauleiter undVerbändeführer kam daher fürdie meisten völlig überra-schend: in ihm wird die goti-sche Schrift nicht mehr als‚deutsche Schrift’ bezeichnet,

sondern als Schrift aus „SchwabacherJudenlettern“. Die in Deutschland ansäs-sigen Juden hätten sich bei Einführung desBuchdrucks in den Besitz der Buchdruk-kereien gebracht und so sei es zu der star-ken Einführung der Schwabacher Juden-lettern gekommen. Der „Führer“ hatte ent-schieden, daß zukünftig die Antiqua-Schrift als ‚Normal-Schrift’ zu bezeichnensei und daß nach und nach sämtlicheDruckerzeugnisse auf diese umgestelltwerden sollten. Sobald es schulbuchmäßigmöglich sei, sollte fortan in den Dorf-

schulen und Volksschulen nur mehr dieNormal-Schrift gelehrt werden. Die Ver-wendung der Fraktur durch Behördenwurde verboten. Zeitungen und Zeitschrif-ten, die bereits Auslandsverbreitung hat-ten, mußten auf Normal-Schrift umstellen.

Das Motiv dieser Entscheidung nach Hit-lers erfolgter Besetzung Polens, Frank-reichs, der Niederlande und Belgiens undden geplanten Feldzügen gegen Jugosla-wien, Griechenland und die Sowjetunionerscheint plausibel: die Fraktur behinder-te die Verständigung der Nazis mit derBevölkerung in den besetzten Gebieten;erlassene Gesetze und Befehle könntenu.U. nicht gelesen und somit nicht befolgtwerden.

Für die detaillierte Planung der Reihenfol-ge der Umstellung im Bereich des Schrift-tums war das Propagandaministerium ver-antwortlich, die nachgeordnete Reichs-presse- und die Reichsschrifttumskammerhatten die Beseitigung der Fraktur im Pres-se- und Buchwesen umzusetzen. DemBund für deutsche Schrift wurden nahe-gelegt, mit seiner Auflösung einem Ver-bot zuvorzukommen.

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Ausschnitt aus dem Bormann-Rundschreiben

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Nach dem Zweiten Weltkrieg stellten dieBesatzungsmächte bei der Erteilung vonLizenzen für neue Zeitungen neben denpolitischen Forderungen einer Zusammen-arbeit mit ihnen auch die Bedingung, daßdie neuen Zeitungen und Zeitschriftennicht in Fraktur gesetzt werden dürften.Den Franzosen, Engländern und Amerika-nern galt damals die Fraktur als Schrift desdeutschen Nationalsozialismus, der end-gültig zerschlagen werden mußte.

Heute gilt das Verbot der Verwendung vonFrakturschriften nicht mehr. Unter Verle-gern und Druckern der vier deutschspra-chigen Staaten fanden sich Liebhaber dergebrochenen Schriften, die Bücher in Frak-tur herausbrachten, und beim Zeitungs-stand auf den Bahnhöfen fällt mir jetzt, woich mich mit dem Thema etwas beschäf-tigt habe, auf, daß es etliche deutschspra-chige Tageszeitungen gibt, deren Namenim Titel in einer der vielfältigen Fraktur-schriften gesetzt sind. Ein Verfahren ge-gen die Berliner Verkehrsbetriebe BVG,gegen die ein in der Schweiz lebender Ber-liner, der von den Nazis verfolgt wordenwar, Anzeige erstattet hatte, wurde 1989eingestellt; er hatte gegen die Neuauf-stellung von alten Nazi-Symbolen auf Ber-liner Bahnhöfen wegen Verherrlichung desHitler-Regiems geklagt; Gutachter wiesenvor Gericht auf das Fraktur-Verbot von1941 hin.

KULTUR

Straßenschild in Würzburg 2002

Allerdings ist die Schrift noch nicht wie-der so weit rehabilitiert worden, daß Kul-tusminister bereit wären, ihr einen Platzin den Lehrplänen einzuräumen. In mei-ner Grundschulzeit hatten wir ganze zweiDeutschstunden, um etwas von der deut-schen Schrift zu lernen; dies bezog sichallerdings auf die auch als deutsche Schriftbezeichnete Sütterlin-Schreibschrift. Eshatte noch Jahre gebraucht, bis ich Groß-mutters Briefe einigermaßen flüssig lesenkonnte.

Für diejenigen Leser, denen die Fraktur-schrift nicht vertraut ist, möchte ich zumSchluß noch ein paar Anmerkungen anfü-gen, zu den besonderen Buchstaben undBuchstabenverbindungen, die wir in derlateinischen Schrift nicht kennen und die

interessante und durchaus nützliche Be-sonderheiten der Fraktur aufweisen:

Zur Erleichterung des Lesevorgangs blie-ben in der Frakturschrift anstelle des ei-nen Lateinischen „s“ zwei unterschiedli-che Formen erhalten. Die Dudenregelndazu lassen sich in zwei einfachen Grund-sätzen zusammenfassen:

1.: für lateinisches s steht in der Fraktur-schrift (‚deutsche Schrift’) in der Regel daslang-s:

sein, stehen, spitz, Häuser, Hast,Kiste, Erbse, Knospe, er sauste, Is-lam, grausig, unsre, Wasser, rissig,Abwecslung, sehen, ansagen, Wespe,Wunsc, Zeugnisse, du gräbst,Wac#ube.

2.: nur wenn eine Art Wortschluß vorliegt,steht statt Lang-s ein Schluß-s. Im Einzel-nen erkennt man am Schluß-s:

2.1.: den Schluß eines Wortes: Hau+, de+,Vater+, Rei+, lie+!;

2.2.: die „Wortfuge“ (das heißt: den Schlußeines sonst selbständigen Teilwortes; nachdem Schluß eines beginnt ein neues sonstselbständiges Teilwort):

Hau+erker, Amt+cef,Arbeit+amt, Geburt+tag;Au+sict, wei+sagen,Hau+segen, da+selbe,Wei+heit, bo+haft;,Wac+tube.

2.3.: die „Nachsilbenfuge“(das heißt: nach dem Schluß-s kommt eine mit einem Mit-laut beginnende Nachsilbe):Mäu+cen, Wac+tum,le+bar, grau+lic,Reali+mu+.

Im Schluß-s besitzt die Frakturschrift einebedeutende Erfassungshilfe, die auch fürDeutschlernende von Nutzen sein kann.Das Schluß-s kann nie am Anfang einesWortes oder einer Silbe stehen.Namen entziehen sich manchmal denRechtschreibregeln: O+kar, O+wald,Zielin+ki, Dre+dner Bank, Dre+den.Wörter mit ss und sss gibt es in der Frak-turschrift nicht.

s oder Lang-s

Verbünde (Ligaturen)Verbünde sind besonders gestalteteBuchstabenzusammenrückungen; sieverleihen dem Wortbild einen geschlosse-nen Gesamteindruck und sind auch in derlateinischen Schrift bekannt gewesen.

Durch die Umstellung auf elektronischeSatzverfahren ist ihr Gebrauch sehr ver-nachlässigt worden.Folgende Verbünde müssen verwendetwerden: c, <, %, ~.Diese werden auch im Sperrsatz nicht auf-gehoben:K ü c e, r a < e l n, B ä % e r,M ü ~ e.Für einen guten Fraktursatz werden außer-dem folgende Wahlverbünde benutzt: {, [,], }, \, <, @, ^, #, µ.Wörter mit Verbünden:E%e, Buce, Sci{, Ste\e, Muscel,Ka^el, Mu#er, Veµer, Ka~e.

Der bereits erwähnte 1918 gegründete„Bund für deutsche Schrift“ wurde in denNachkriegsjahren neugegründet und trägtseit 1989 den Namen „Bund für deutscheSchrift und Sprache e.V.“. Neben der Pfle-ge und Verbreitung der deutschen Druck-und Schreibschriften setzt sich der BfdSfür die Pflege und den Schutz der deut-schen Sprache ein.Für Freunde der Frakturschriften müßte esschon ein Glücksfall sein, noch eine ent-sprechende Schreibmaschine in einemAntiquitätengeschäft zu finden. Doch stehtPC-Nutzern inzwischen eine Reihe vonSchriften-CDs zur Verfügung, auf deneneinige Varianten der gebrochenen Schrif-ten enthalten sind. Allerdings habe ich dieoben angesprochenen Ligaturen auf derTastatur erst nach geduldigem Probierenherausgefunden.

Literaturangaben:Hans Jensen: Die Schrift in Vergangenheit undGegenwart; Berlin 1969Gustav Barthel: Konnte Adam schreiben?;Köln 1972Hildegard Korger: Schriften und Schreiben;Leipzig 1975Albert Kapr: Fraktur; Mainz 1993Silvia Hartmann: Fraktur oder Antiqua;Frankfurt a. M. 1998Gerda Delbanco: Kleiner Fraktur-Knigge;Ahlhorn 1998

Strubb (Wolfgang Moeller)

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KULTUR

Labyrinth von I.C. Hiltensperger, Beginn des 18. Jh., Holzschnitt

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KULTUR

Seite aus dem Gebetbuch für Kaiser Maximilian I.Mit Randzeichnungen von Albrecht Dürer,gedruckt von Johann Schönsperger d. Ä., Augsburg 1514,in einer frühen Fraktur