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Kulturvergleich und Grounded Theory? Gerechtigkeit am Arbeitsplatz in Deutschland und Ägypten Kea S. Brahms, Universität Koblenz-Landau Ausgangspunkt und Forschungskontext Psychologische Gerechtigkeitsforschung interessiert sich „primär für das ͵naiveʹ Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden der betroffenen Menschen“ (Schmitt 1993, S.1) Ergebnisse der kulturvergleichenden Gerechtigkeitsforschung sind „scattered, lopsided and unsystematic“ (Kazemi & Törnblom 2008, S.219); die Forschungsdesigns fast ausschließlich quantitativ Greenberg (2001) und andere Autoren bemängeln das Fehlen einer kohärenten Theorie (oder Theorien), die Aufschlüsse über den Einfluss von Kultur auf Gerechtigkeitsprozesse geben könnte und fordern ethnographische Analysen Theoriebildung in der kulturvergleichenden Gerechtigkeitsforschung wie auch der kulturvergleichenden Psychologie ist geprägt durch a posteriori-Erklärungen und „clever methodology and somewhat orphaned though sometimes creative hypotheses“ (Lonner & Adamopoulos 1997, S.62) Forschungsfragen Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen in Bezug auf Konzeption, Bedin- gungen und Folgen von Gerechtigkeits-erleben am Arbeitsplatz zwischen Deutsch-land und Ägypten? Und wie können mögliche Unterschiede erklärt werden? Methoden Grounded Theory Methode (Strauss & Corbin 1990) ABER: Widerspruch zwischen dem Grundgedanken der GTM (Emergenzprinzip, Offenheit) und der a priori-Festlegung einer relevanten Vergleichs- dimension; bisher keine überzeugenden Beispiele eines kulturübergreifenden Einsatzes der GTM Problemzentrierte Interviews (Witzel & Reiter 2011) Sample: NGO-MitarbeiterInnen aus Kairo und Berlin Argumente für GTM im Kulturvergleich GTM könnte eine Bereicherung für kulturvergleichende Forschung sein, weil sie .. 1. .. den Schwerpunkt auf Theoriebildung legt. So lenkt sie die Aufmerksamkeit weg von der in kulturvergleichenden Studien üblichen Praxis der reinen Dokumentation interkultureller Unterschiede hin zu einer Suche nach kontextadäquaten Erklärungen für die untersuchten Phänomene. 2. .. Forschende durch die Gebote der Offenheit, Reflexivität und Kreativität für unerwartete und überraschende Entdeckungen sensibilisiert. 3. .. eine flexible Anpassung des Forschungsprozesses an ungeplante, uner- wartete Herausforderungen im interkulturellen Forschungsfeld erlaubt (z.B. bei Sampling, Erhebungsmethoden etc.) 4. .. durch theoretisches Sampling informationsreiche, bedeutsame und gleichzeitig ökonomische Stichproben bedingt. 5. .. mit kontinuierlichen Vergleichen operiert und so komparative Sichtweisen unterstützt. 6. .. die Berücksichtigung kontextueller Komplexität ermöglicht. 7. .. multiple Datenquellen zulässt und sogar fördert. 8. .. kein methodisches Äquivalenzdiktat für verschiedene kulturelle Kontexte aufrecht erhält. Literatur Green, Denise O., Creswell, John W., Shope, Ronald J. & Clarke, Vicki L. P. (2007). Grounded theory and racial/ethnic diversity. In Antony Bryant & Kathy Charmaz (Hrsg.), The SAGE handbook of grounded theory (S.472- 492). London: Sage. Greenberg, Jerald (2001). Studying organizational justice cross-culturally: Fundamental challenges. The International Journal of Conflict Management , 12, 365-375. Kazemi, Ali & Törnblom, Kjell (2008). Social psychology of justice. Origins, central issues, recent developments, and future directions. Nordic Psychology, 60(3), 209-234. Lonner, Walter J. & Adamopoulos, John (1997). Culture as antecendent to behavior. In John W. Berry, Ype H. Poortinga & Janak Pandey (Hrsg.), Handbook of cross-cultural psychology. Volume 1: Theory and method (S.43- 84). Needham Heights, MA: Allyn & Bacon. Schmitt, Manfred (1993). Abriß der Gerechtigkeitspsychologie. Berichte aus der Arbeitsgruppe „Verantwortung, Gerechtigkeit, Moral“ , 70. Trier: Universität Trier. [http://www.gerechtigkeitsforschung.de/berichte/beri070.pdf; Zugriff: 01.07.2013] Strauss, Anselm L. & Corbin, Juliet (1990). Basics of qualitative research: Techniques and procedures for developing grounded theory . Thousand Oaks, CA: Sage. Witzel, Andreas & Reiter, Herwig (2012). The problem-centered interview. Principles and practice. London: Sage. Kontextinterne Daten- erhebung und Auswertung E m i s c he P e r s pe k t i v e E t i s c h e P e r s pe k t i v e Sampling/ Erhebung Sampling/ Erhebung Sampling/ Erhebung Analyse Analyse Analyse Ziel: kontextspezifische Kodes und Kategorien Kontextinterne Daten- erhebung und Auswertung Sampling/ Erhebung Sampling/ Erhebung Sampling/ Erhebung Analyse Analyse Analyse Kontextübergreifende Datenerhebung und Auswertung Kontextinterne Daten- erhebung und Auswertung Integration und Reanalyse von Daten und Zwischenergebnissen aus beiden Kontexten Ziel: ein auf Menschenrechtsorganisationen bezogenes Theorie-Modell von Gerechtigkeitsprozessen am Arbeitsplatz, das Konzepte und Zusammenhänge in Deutschland sowie Ägypten adäquat darstellt, Variationen berücksichtigt und ggf. einen klärenden Beitrag zur Rolle von Kultur in diesen Prozessen leistet Sampling/ Erhebung Sampling/ Erhebung Sampling/ Erhebung Analyse Analyse Analyse 2-Phasen-Modell eines kultur- übergreifenden Forschungsprozesses „Kulturelle Sensibilität“ in der GTM Mehrebenenansatz (in Anlehnung an Green, Creswell, Shope & Clarke 2007) Forschungsinteresse und -fragen: Zentralität von Kultur in der Studie Datenerhebung: kontextadäquate Erhebungsformen und -instrumente; Strategien für den Umgang mit Positionalität von Forschenden und Beforschten (z.B. in Interviews): a) Bewusstmachung der eigenen kulturellen Verortung, b) Familiarisierung mit der anderen Kultur/Wissensaggregation, c) Interviewer- trainings, d) Interviewer-Matching; Umgang mit Mehrsprachigkeit und Übersetzungen Sampling: ausgleichende Samplingstrategie, 2-Phasen-Modell (s. Grafik) Analyse und Ergebnisvalidierung: kulturinklusives paradigmatisches Modell, interkulturelle Auswertungsteams, (partizipatives) Member Checking, lokale Literaturrecherchen 9. Berliner Methodentreffen Qualitative Forschung, 12.-13. Juli 2013 (Wie) Kann die GTM im Kulturvergleich zum Einsatz kommen, ohne dass ihr grund- legender Charakter dabei verändert wird?

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  • Kulturvergleich und Grounded Theory?Gerechtigkeit am Arbeitsplatz in Deutschland und gypten

    Kea S. Brahms, Universitt Koblenz-Landau

    Ausgangspunkt und Forschungskontext Psychologische Gerechtigkeitsforschung interessiert sich primr fr das naive Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden der

    betroffenen Menschen (Schmitt 1993, S.1) Ergebnisse der kulturvergleichenden Gerechtigkeitsforschung sind scattered, lopsided and unsystematic (Kazemi &

    Trnblom 2008, S.219); die Forschungsdesigns fast ausschlielich quantitativ Greenberg (2001) und andere Autoren bemngeln das Fehlen einer kohrenten Theorie (oder Theorien), die Aufschlsse

    ber den Einfluss von Kultur auf Gerechtigkeitsprozesse geben knnte und fordern ethnographische Analysen Theoriebildung in der kulturvergleichenden Gerechtigkeitsforschung wie auch der kulturvergleichenden Psychologie ist

    geprgt durch a posteriori-Erklrungen und clever methodology and somewhat orphaned though sometimes creative hypotheses (Lonner & Adamopoulos 1997, S.62)

    ForschungsfragenWelche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen in Bezug auf Konzeption, Bedin-gungen und Folgen von Gerechtigkeits-erleben am Arbeitsplatz zwischen Deutsch-land und gypten? Und wie knnen mgliche Unterschiede erklrt werden?

    Methoden Grounded Theory Methode (Strauss & Corbin 1990)

    ABER: Widerspruch zwischen dem Grundgedankender GTM (Emergenzprinzip, Offenheit) und der a priori-Festlegung einer relevanten Vergleichs-dimension; bisher keine berzeugenden Beispieleeines kulturbergreifenden Einsatzes der GTM

    Problemzentrierte Interviews (Witzel & Reiter 2011) Sample: NGO-MitarbeiterInnen aus Kairo und Berlin

    Argumente fr GTM im KulturvergleichGTM knnte eine Bereicherung fr kulturvergleichende Forschung sein, weil sie ..

    1. .. den Schwerpunkt auf Theoriebildung legt. So lenkt sie die Aufmerksamkeit weg von der in kulturvergleichenden Studien blichen Praxis der reinen Dokumentation interkultureller Unterschiede hin zu einer Suche nach kontextadquaten Erklrungen fr die untersuchten Phnomene.

    2. .. Forschende durch die Gebote der Offenheit, Reflexivitt und Kreativitt fr unerwartete und berraschende Entdeckungen sensibilisiert.

    3. .. eine flexible Anpassung des Forschungsprozesses an ungeplante, uner-wartete Herausforderungen im interkulturellen Forschungsfeld erlaubt (z.B. bei Sampling, Erhebungsmethoden etc.)

    4. .. durch theoretisches Sampling informationsreiche, bedeutsame und gleichzeitig konomische Stichproben bedingt.

    5. .. mit kontinuierlichen Vergleichen operiert und so komparative Sichtweisen untersttzt.

    6. .. die Bercksichtigung kontextueller Komplexitt ermglicht. 7. .. multiple Datenquellen zulsst und sogar frdert.8. .. kein methodisches quivalenzdiktat fr verschiedene kulturelle Kontexte

    aufrecht erhlt.

    LiteraturGreen, Denise O., Creswell, John W., Shope, Ronald J. & Clarke, Vicki L. P. (2007). Grounded theory and racial/ethnic diversity. In Antony Bryant & Kathy Charmaz (Hrsg.), The SAGE handbook of grounded theory (S.472-492). London: Sage.Greenberg, Jerald (2001). Studying organizational justice cross-culturally: Fundamental challenges. The International Journal of Conflict Management, 12, 365-375.Kazemi, Ali & Trnblom, Kjell (2008). Social psychology of justice. Origins, central issues, recent developments, and future directions. Nordic Psychology, 60(3), 209-234.Lonner, Walter J. & Adamopoulos, John (1997). Culture as antecendent to behavior. In John W. Berry, Ype H. Poortinga & Janak Pandey (Hrsg.), Handbook of cross-cultural psychology. Volume 1: Theory and method (S.43-84). Needham Heights, MA: Allyn & Bacon.Schmitt, Manfred (1993). Abri der Gerechtigkeitspsychologie. Berichte aus der Arbeitsgruppe Verantwortung, Gerechtigkeit, Moral, 70. Trier: Universitt Trier. [http://www.gerechtigkeitsforschung.de/berichte/beri070.pdf; Zugriff: 01.07.2013]Strauss, Anselm L. & Corbin, Juliet (1990). Basics of qualitative research: Techniques and procedures for developing grounded theory. Thousand Oaks, CA: Sage.Witzel, Andreas & Reiter, Herwig (2012). The problem-centered interview. Principles and practice. London: Sage.

    Kontextinterne Daten-erhebung und Auswertung

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    Ziel: kontextspezifische Kodes und Kategorien

    Kontextinterne Daten-erhebung und Auswertung

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    Kontextbergreifende Datenerhebung und Auswertung

    Kontextinterne Daten-erhebung und Auswertung

    Integration und Reanalyse von Daten und Zwischenergebnissen aus

    beiden Kontexten

    Ziel: ein auf Menschenrechtsorganisationen bezogenes Theorie-Modell von Gerechtigkeitsprozessen am Arbeitsplatz, das Konzepte und Zusammenhnge in

    Deutschland sowie gypten adquat darstellt, Variationen bercksichtigt und ggf. einen klrenden Beitrag zur Rolle von Kultur in diesen Prozessen leistet

    Sampling/Erhebung Sampling/

    Erhebung Sampling/Erhebung

    AnalyseAnalyse

    Analyse

    2-Phasen-Modell eines kultur-bergreifenden Forschungsprozesses

    Kulturelle Sensibilitt in der GTMMehrebenenansatz (in Anlehnung an Green, Creswell, Shope & Clarke 2007)

    Forschungsinteresse und -fragen: Zentralitt von Kultur in der Studie Datenerhebung: kontextadquate Erhebungsformen und -instrumente;

    Strategien fr den Umgang mit Positionalitt von Forschenden und Beforschten (z.B. in Interviews): a) Bewusstmachung der eigenen kulturellen Verortung, b) Familiarisierung mit der anderen Kultur/Wissensaggregation, c) Interviewer-trainings, d) Interviewer-Matching; Umgang mit Mehrsprachigkeit und bersetzungen

    Sampling: ausgleichende Samplingstrategie, 2-Phasen-Modell (s. Grafik) Analyse und Ergebnisvalidierung: kulturinklusives paradigmatisches Modell,

    interkulturelle Auswertungsteams, (partizipatives) Member Checking, lokale Literaturrecherchen

    9. Berliner Methodentreffen Qualitative Forschung, 12.-13. Juli 2013

    (Wie) Kann die GTM im Kulturvergleich

    zum Einsatz kommen, ohne dass ihr grund-legender Charakter

    dabei verndert wird?

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