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BZB Juli/August 16 Praxis 48 KZVB Ob Mensch oder Tier, bekommen sie Zahnschmer- zen, leidet der Zwei- genauso wie der Vierbeiner. Dr. Martina van Suntum ist Fachtierärztin für Zahnheilkunde der Kleintiere und designierte Prä- sidentin der Deutschen Gesellschaft für Tierzahn- heilkunde (DGT). Im Interview mit dem BZB er- klärt sie, worauf Tierhalter bei ihren kleinen Freun- den achten sollten und welche Aufgaben die DGT wahrnimmt. BZB: Woran erkenne ich, dass mein Haustier Probleme mit seinen Zähnen hat? van Suntum: Übler Geruch aus dem Maul ist häufig das erste Zeichen für die Tierbesitzer. Schmerzen bei der Futter- oder Wasseraufnahme, Berührungsempfindlichkeit am Kopf, Zurück- gezogenheit und Unlust sind weitere typische Symptome. BZB: Was sind die häufigsten Tierzahn- und Tiermund- höhlenerkrankungen? van Suntum: Allen voran die Parodontitis. Verschie- dene Studien zeigen, dass etwa 70 bis 80 Prozent der Hunde und Katzen über drei Jahre an behand- lungsbedürftigen Erkrankungen der Zähne bezie- hungsweise der Mundhöhle leiden. Leider bleibt das vom Besitzer oft unbemerkt. Das weitere Spek- trum reicht von Zahnfrakturen bis zu Mundhöhlen- tumoren. BZB: Welche Tiere sind besonders gefährdet? van Suntum: Hunde und Katzen leiden sehr häu- fig an Parodontitis. Zur Tierzahnheilkunde gehö- ren als Patienten jedoch auch die Kleinsäuger wie zum Beispiel Kaninchen. Diese haben aradi- kuläre elodonte Zähne, die ein Leben lang wach- sen und bei ungenügendem Abrieb durch nicht artgerechte Fütterung oder durch primäre Mal- okklusion stark elongieren können. Dadurch kann es bis zum Durchbruch der Wurzel in die Orbita oder durch die ventrale Mandibulakorti- kalis kommen. BZB: Wenn es auch ein seltener Anblick ist – es gibt Hunde mit Zahnspange. Wann benötigen sie diese? van Suntum: Dann, wenn durch eine Fehlstellung Schmerzen entstehen oder eine Beschädigung der Mundhöhlengewebe oder der Zähne besteht, al- so bei medizinischer Indikation. Kosmetische As- pekte spielen in der Tiermedizin kaum eine Rolle. Da jede Behandlung in Narkose durchgeführt wer- den muss, ist die Indikation individuell sorgfältig zu prüfen. BZB: Wie sieht die ideale Zahnpflege bei Tieren aus? van Suntum: Wenn möglich, Zähneputzen! Das geht bei den meisten Hunden gut, bei Katzen eher weniger. Kauartikel und spezielles Spielzeug kön- nen helfen, die natürliche Zahnreinigung zu un- terstützen. Last but not least: jährliche Zahnchecks und gegebenenfalls eine Professionelle Zahnreini- gung! Das ist aber nur unter Narkose möglich. BZB: Worauf sollte der Tierbesitzer beim Futter achten? van Suntum: Wenn möglich auch etwas zum Beißen, zum Beispiel Trockenfutter oder Kauarti- kel, als Leckerli anbieten. Knochen sind allerdings kontraproduktiv, da sie häufig Kronenfrakturen verursachen. Der Zahnschmelz ist bei Hunden mit ein bis zwei Millimetern sehr dünn. Eine Zahnspange für den Vierbeiner? Auch Hund, Katze und Hamster brauchen einen Zahnspezialisten Foto: fotolia.com/BillionPhotos.com Hunde und Katzen leiden sehr häufig an Parodontitis. Deswegen: Wenn möglich, Zähneputzen. Bei Hunden geht das meist leichter als bei Katzen.

KZVB Eine Zahnspange für den Vierbeiner? · Dr. Martina van Suntum ist Fachtierärztin für ... der Hunde und Katzen über drei Jahre an behand- ... die natürliche Zahnreinigung

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BZB Juli/August 16 Praxis48

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Ob Mensch oder Tier, bekommen sie Zahnschmer-zen, leidet der Zwei- genauso wie der Vierbeiner.Dr. Martina van Suntum ist Fachtierärztin fürZahnheilkunde der Kleintiere und designierte Prä-sidentin der Deutschen Gesellschaft für Tierzahn-heilkunde (DGT). Im Interview mit dem BZB er-klärt sie, worauf Tierhalter bei ihren kleinen Freun-den achten sollten und welche Aufgaben die DGTwahrnimmt.

BZB: Woran erkenne ich, dass mein Haustier Problememit seinen Zähnen hat?van Suntum: Übler Geruch aus dem Maul isthäufig das erste Zeichen für die Tierbesitzer.Schmerzen bei der Futter- oder Wasseraufnahme,Berührungsempfindlichkeit am Kopf, Zurück-gezogenheit und Unlust sind weitere typischeSymptome.

BZB: Was sind die häufigsten Tierzahn- und Tiermund-höhlenerkrankungen?van Suntum: Allen voran die Parodontitis. Verschie-dene Studien zeigen, dass etwa 70 bis 80 Prozentder Hunde und Katzen über drei Jahre an behand-lungsbedürftigen Erkrankungen der Zähne bezie-hungsweise der Mundhöhle leiden. Leider bleibtdas vom Besitzer oft unbemerkt. Das weitere Spek-trum reicht von Zahnfrakturen bis zu Mundhöhlen-tumoren.

BZB: Welche Tiere sind besonders gefährdet?van Suntum: Hunde und Katzen leiden sehr häu-fig an Parodontitis. Zur Tierzahnheilkunde gehö-ren als Patienten jedoch auch die Kleinsäugerwie zum Beispiel Kaninchen. Diese haben aradi-kuläre elodonte Zähne, die ein Leben lang wach-sen und bei ungenügendem Abrieb durch nichtartgerechte Fütterung oder durch primäre Mal-okklusion stark elongieren können. Dadurchkann es bis zum Durchbruch der Wurzel in dieOrbita oder durch die ventrale Mandibulakorti-kalis kommen.

BZB: Wenn es auch ein seltener Anblick ist – es gibtHunde mit Zahnspange. Wann benötigen sie diese?

van Suntum: Dann, wenn durch eine FehlstellungSchmerzen entstehen oder eine Beschädigung derMundhöhlengewebe oder der Zähne besteht, al-so bei medizinischer Indikation. Kosmetische As-pekte spielen in der Tiermedizin kaum eine Rolle.Da jede Behandlung in Narkose durchgeführt wer-den muss, ist die Indikation individuell sorgfältigzu prüfen.

BZB: Wie sieht die ideale Zahnpflege bei Tieren aus?van Suntum: Wenn möglich, Zähneputzen! Dasgeht bei den meisten Hunden gut, bei Katzen eherweniger. Kauartikel und spezielles Spielzeug kön-nen helfen, die natürliche Zahnreinigung zu un-terstützen. Last but not least: jährliche Zahnchecksund gegebenenfalls eine Professionelle Zahnreini-gung! Das ist aber nur unter Narkose möglich.

BZB: Worauf sollte der Tierbesitzer beim Futter achten?van Suntum: Wenn möglich auch etwas zumBeißen, zum Beispiel Trockenfutter oder Kauarti-kel, als Leckerli anbieten. Knochen sind allerdingskontraproduktiv, da sie häufig Kronenfrakturenverursachen. Der Zahnschmelz ist bei Hunden mitein bis zwei Millimetern sehr dünn.

Eine Zahnspange für den Vierbeiner?Auch Hund, Katze und Hamster brauchen einen Zahnspezialisten

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Hunde und Katzen leiden sehr häufig an Parodontitis. Deswegen: Wenn möglich,Zähneputzen. Bei Hunden geht das meist leichter als bei Katzen.

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BZB: Welche Qualifikation benötigt ein Tierarzt, umsich auch Tierzahnarzt nennen zu können? van Suntum: Es gibt verschiedene von der Tier-ärztekammer anerkannte Zusatzqualifikationen,die nach dem Studium der Tiermedizin postgra-dual erworben werden: 1. Zusatzbezeichnung Tierzahnheilkunde: je nach

Kammer zwei- bis dreijährige Weiterbildung un-ter Anleitung eines weiterbildungsermächtigtenTierarztes an der Universität, in einer Tierklinikoder in einer spezialisierten Praxis sowie spezifi-sche Fortbildungsstunden/Kurse auf dem Gebietder Tierzahnheilkunde, Prüfung vor der Tierärzte-kammer,

2. Fachtierarzt für Tierzahnheilkunde: vierjährigepostgraduale Weiterbildung an zugelassenenWeiterbildungsstätten, Fortbildungsstunden aufdem Gebiet der Tierzahnheilkunde sowie einenachzuweisende Fall-Liste, Prüfung vor der Tier-ärztekammer,

3. Europäischer Fachtierarzt für Tierzahnheilkunde:fünfjährige postgraduale Weiterbildung, umfang-reiche Fall-Liste, zweitägige Prüfung mit dem Er-werb des Titels: Diplomate of the European Vete-rinary Dental College und

4. Doppelstudium der Tiermedizin und der Zahn-medizin.

BZB: Kann auch ein normaler Zahnarzt einen Hundbehandeln?van Suntum: Die Zahnbehandlung von Tieren er-fordert für jede Spezies besondere Fachkenntnisse.Selbst die Fleischfresser Hund, Katze und Frettchenunterscheiden sich erheblich in ihren Zahnformeln,ihrer Anatomie und ihren spezifischen Erkrankun-gen. Die Behandlungen sind immer in Narkosedurchzuführen, die von einem Tierarzt vorgenom-men werden muss.

BZB: Wie viele Praxen aus Bayern sind Mitglied derDGT?van Suntum: Nach letztem Stand gehören der DGTetwa 40 Tierärzte aus Bayern an. Etwa 25 bayerische

Ob Hund, Katze, Chamäleon oder Hamster – auch tierische Familienmitglieder brauchen eine gute Zahnpflege, um gesund und glücklichsein zu können.

Praxen sind auf der Spezialistenliste der DeutschenGesellschaft für Tierzahnheilkunde durch Nachweisder Weiterbildung auf dem Gebiet aufgeführt. Insge-samt haben wir knapp 200 Tierärzte als Mitglieder.

BZB: Welche Aufgaben nimmt die Deutsche Gesell-schaft für Tierzahnheilkunde wahr? van Suntum: Die DGT ist bestrebt, die Ausbildungund Kenntnisse in der Tierzahnheilkunde zumWohle der Tiere durch qualifizierte Fortbildungenzu fördern sowie durch Öffentlichkeitsarbeit dasBewusstsein für die Bedeutung der Zahngesund-heit für die Gesundheit des Gesamtorganismus zusteigern. Die DGT ist deshalb Partner der InitiativeZahngesundheit. Darüber hinaus unterstützt siewissenschaftliche Arbeiten auf dem Fachgebiet derTierzahnheilkunde und deren Verbreitung. Die re-gelmäßige Durchführung einer ganztägigen Jah-restagung sowie DGT-Intensivseminare für Tier-ärzte und Tiermedizinische Fachangestellte gehörenzu ihren Hauptaufgaben.

BZB: Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Ilka Helemann.

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Dieser Schäferhund kann sein Futter wieder genießen – er bekam eine Wurzelfüllungbei einem Eckzahn.

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Die Tierklinik Blaichach hatte im April einen besonderen

Gast in ihrem CT. Ein Alpaka plagten Zahnschmerzen.

Praxismitinhaber Dr. Kurt Buchelt erzählt über die Be-

handlung des Patienten der besonderen Art.

BZB: Welche Beschwerden hatte das Alpaka im Vorfeld?

Buchelt: Das Tier hatte eine Fistelöffnung unter dem lin-

ken Auge, die mit ständigem eitrigen Ausfluss einher-

ging.

BZB: Weist das Gebiss eines Alpakas anatomische Besonder-

heiten auf oder mit welchem Tier ist das Gebiss am ehesten

zu vergleichen?

Buchelt: Am ehesten kann man es mit einer Ziege, einem

Schaf oder einem Reh vergleichen. Sie sind den heimi-

schen Wiederkäuern ähnlich.

BZB: Wie müssen wir uns eine Zahnuntersuchung bei einem

Alpaka vorstellen?

Buchelt: Der vordere Teil der Zähne ist gut einsehbar. Die

Herausforderung sind jedoch die Backenzähne. Sie sind

schwer zu betrachten, da die Maulspalte sich nicht weit

genug öffnen lässt. Daher ist oft eine Narkose notwendig.

Wir nehmen auch optische Einrichtungen wie ein starres

Endoskop zu Hilfe.

BZB: Letztlich kam das Alpaka in den CT: Warum war dieses

bildgebende Verfahren nötig?

Buchelt: Die Ursache für die Fistel war zum einen nicht

anders abzuklären und wurde zum anderen im Bereich

der Zahnwurzeln vermutet.

BZB: Wie hat das Tier den „Ausflug“ in den CT überstanden?

Buchelt: Es war eine Vollnarkose notwendig, die durch

intravenöse Narkotikagaben aufrechterhalten wurde. So

konnten wir die Tiefe des Schlafes für die Dauer der CT-Un-

tersuchung optimal steuern. Das Alpaka hat die Narkose

und die CT-Untersuchung ohne Probleme überstanden.

BZB: Wie haben Sie dem Tier geholfen?

Buchelt: Unser Therapievorschlag war die Eröffnung der

Fistel-/Abszesshöhle im Oberkiefer mit Darstellung der be-

troffenen Zahnwurzeln und anschließender Resektion. Auf-

grund der möglichen Komplikationen und der notwendigen

intensiven Nachbehandlung wollte sich der Besitzer diesen

Eingriff noch überlegen. Bisher ist nichts weiter erfolgt.

BZB: War dieser Fall Ihr bislang spektakulärster? Falls nicht:

Erzählen Sie!

Buchelt: Es ist absolut normal, dass unterschiedliche Tier-

arten – Hund, Katze, Kalb, Alpaka, Meerschweinchen, Vö-

gel, andere Klein- sowie verschiedene Wildtiere – bei uns

gewissenhaft und umfassend untersucht und behandelt

werden, und daher auch falls notwendig im CT landen.

So sammeln sich in fast 30 Jahren Berufsleben immer wie-

der spektakuläre Fälle an. Wir hatten zum Beispiel eine

Plattenosteosynthese bei einem Gansflügel, eine Panzer-

und Bauchhöhleneröffnung wegen Legenot bei einer Schild-

kröte, eine Schnabelrekonstruktion und -schienung bei

einem Steinadler, einen Oberschenkelbruch mit Platten-

versorgung bei einem Steinbockkitz und diverse Behand-

lungen von Elefanten, Tigern und Dromedaren von durch-

ziehenden Wanderzirkussen.

Ein Alpaka im CT

Für ein von Zahnschmerzen geplagtes Alpaka ist eine Untersu-chung beim Tierarzt eine aufregende Sache. Deswegen gab eseine Vollnarkose …

… bevor es ins CT ging. Der Befund: eine Fistel im Oberkiefer.

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