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A m 3. November eröff- nen die Bundeskunst- halle in Bonn und das Kunstmuseum in Bern die Ausstellungen „Be- standsaufnahme Gur- litt“. Es sollen Block- buster werden, die auch ein Publikum be- geistern, das sich weniger für Kunst, aber doch für Geschichte und Geschichten in- teressieren. Nach dem Willen des Bundes und der Aussteller sollen Werke gezeigt werden, die angeblich noch immer unter Raubkunstverdacht stehen. Doch jetzt zu den harten Fakten: Noch zu Lebzeiten von Cornelius Gurlitt habe ich als sein Anwalt gesagt, dass nur ganz wenige Werke verfolgungsbedingt entzo- gen wurden und so als Raubkunst gelten können. Dies hat die „Taskforce Schwa- binger Kunstfund“ bestätigt und gerade fünf Werke belastbar und nachweislich als Raubkunst identifiziert. Nur bei zwei weiteren Werken konnte danach noch ein Raubkunstverdacht bestätigt werden. Anstatt dieses unglückliche Kapitel ein für alle Mal zu schließen, diffamiert die Bundeskunsthalle die hervorragende Sammlung von Cornelius Gurlitt mit die- ser Ausstellung erneut als Raubkunst- sammlung. Man lege den Fokus auf den Kunstraub des Nationalsozialismus und die Folgen. Die Staatsministerin für Kul- tur und Medien, Monika Grütters (CDU), wollte mit dieser Ausstellung noch nach Anspruchstellern suchen. Doch es ist stark zu bezweifeln, dass sich nach drei Jahren jemand melden wird, um weitere Ansprüche zu stellen. Der Schwabinger Kunstfund ist seit vier Jahren weltweit bekannt und alle vermeintlich ungeklär- ten Werke sind seit Ende 2013 im Internet veröffentlicht. So mutet die Ausstellung in Bonn wie eine wenig wissenschaftliche Raubkunstpropaganda an, mit der Besu- cher geködert werden sollen. Doch was hat Deutschland aus dem Fall Gurlitt wirklich gelernt? Es wurden bundesweit mehr Gelder für die wichtige Provenienzforschung zur Verfügung ge- stellt, und die bestehenden Institutionen wurden zur Stiftung Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste zusammengefasst und aufpoliert. Dennoch beklagen sich namhafte Institutionen wie das Zentral- institut für Kunstgeschichte in München, dass wichtige Forschungsprojekte gerade nicht gefördert werden. Aber es kommt schlimmer: Eigentlich ist die Raubkunstproblematik der Politik seit 2002 bekannt. Damals hat der Bun- desrat den Gesetzgeber dazu aufgerufen, im Hinblick auf das große Problem der Verjährungsfristen für Herausgabean- sprüche aus Eigentum von nur 30 Jahren, die bereits mit dem Kunstraub beginnen, Sonderregeln für die Raubkunst zu fin- den. Eigentlich herrscht ein Konsens, dass es bei einem Kunstraub an einem im Holocaust ermordeten Juden keine Ver- jährung geben darf. Die Bestrafung eines Mordes selbst verjährt nie. Passiert ist bis heute aber nichts. Der Freistaat Bayern hat, auch aus taktischen und politischen Gründen zum Zeitpunkt als der Justiz- skandal aufkam, hastig einen Gesetzes- entwurf („Lex Gurlitt“) vorgelegt, der nicht weiterverfolgt wird. Ein interner Referentenentwurf des Bundes mit einer millionenschweren Entschädigungskon- struktion für gegenwärtige Besitzer wur- de in die Schubladen verbannt. Der Web- fehler dieses Entwurfes liegt schon darin, dass der Bund alle Rückgaben entschädi- gen soll. Mit der Ausrede einer mangeln- den Finanzierbarkeit versucht man so, sich des Problems zu entledigen. Dabei geht es wirklich doch darum, schweres Unrecht auch nach 70 Jahren noch wiedergutzumachen. Es ist uner- träglich, wenn Raubkunst des Nationalso- zialismus von Opfern des Holocausts noch immer nicht an die rechtmäßigen Erben zurückgegeben wird. Vor Gericht haben sie derzeit insbesondere wegen der Verjährung keine Chance. Dies musste auch jüngst der Erbe des jüdischen Textil- unternehmers Robert Graetz, der von den Nationalsozialisten umgebracht und dessen Sammlung versteigert wurde, vor dem Landgericht Frankfurt erfahren. Das Gericht nahm hier eine Verjährung an, obwohl die Familie des gegenwärtigen Besitzers ein schönes Blumenbild von Max Pechstein bereits 1942 und offen- sichtlich nicht gutgläubig erworben hat. Will Deutschland also nicht nur Lippen- bekenntnisse abgeben, muss sich auch rechtlich endlich etwas ändern und es An- spruchstellern ermöglichen, ihre Ansprü- che unbeschadet einer Verjährung ge- richtlich geltend zu machen. Die Drama- tik und Tragik der Fälle gebieten eine un- abhängige staatliche und richterliche Kontrolle. Um unlauter an hohe Entschä- digungen zu kommen, wird nämlich zu oft versucht, mit falschen Behauptungen Raubkunstfälle zu konstruieren, wo keine sind. Dabei bedient man sich gern des Verlustregisters „Lost Art“ in Magdeburg, das in vielen Fällen trotz klarer Beweise gegen Raubkunst unberechtigte Ansprü- che registriert hält. Die Fälle sind komplex und alles ande- re als eindeutig. Deshalb muss man sich für ihre Aufarbeitung aller denkbaren tat- sächlichen und juristischen Mittel bedie- nen, sei es in der Provenienzforschung oder aber auch der Möglichkeit, Heraus- gabeansprüche gerichtlich unbeschadet der Verjährung geltend machen zu kön- nen. Die erhobenen verfassungsrechtli- chen Bedenken einer echten Rückwir- kung in eine bereits eingetretene Verjäh- rung greifen bei echten Raubkunstfällen, in welchen die Wegnahme eines Kunst- werks eng mit der Verfolgung oder Er- mordung seines Eigentümers in Verbin- dung stehen, nicht. Deutschland hat aus dem Fall Gurlitt also bisher nicht wirklich gelernt. In London trafen sich am 12. Septem- ber alle Staaten, die sich mit Raubkunst beschäftigen. Man war beeindruckt, wie viele Fälle in Holland, Österreich und Frankreich vor den staatlichen Schieds- kommissionen behandelt wurden. Im Schnitt waren es pro Staat über 270 Fälle. Die Limbach-Kommission in Deutsch- land hat seit 2003 gerade einmal 15 Fälle behandelt und für diese Empfehlungen ausgesprochen. Tatsächlich kann sie nicht vernünftig arbeiten, solange sie von der Zustimmung des Inanspruchgenom- menen abhängig ist. Es wäre wünschens- wert, wenn die Kommission künftig auch ohne diese Zustimmung den Fall untersu- chen und eine Empfehlung aussprechen könnte. Nur so kann sie wirklich wirken. Mit dem im August 2016 eingeführten, neuen Kulturgutschutzgesetz erlebt man darüber hinaus noch einen einzigartigen Übergriff deutscher Behörden auf priva- tes Kunsteigentum. Unter dem Deckman- tel national wertvollen Eigentums wurde hier eine engmaschige Kontrolle des pri- vaten Kunstbesitzes eingeführt. Versucht man einst abhandengekommene Kultur- güter wie etwa Raubkunst zu verkaufen, die nach deutschem Recht längst ihren Eigentümer gewechselt haben, gilt man nun wie ein Hehler oder Stehler. Die von den Ausstellungen postulierte Bestandsaufnahme für Raubkunst in Deutschland ist daher alles andere als po- sitiv. Ein faires und transparentes Raub- kunstgesetz mit klaren Kriterien zur Festlegung eines verfolgungsbedingten Entzuges würde es allen schwer machen, welche mit plakativen Behauptungen ver- suchen, vom gegenwärtigen Eigentümer Gelder unlauter und mit moralischen Vorhaltungen Entschädigungen zu erhal- ten. Im Gegenzug bekommen Anspruch- steller Recht und Gerechtigkeit, wenn sie legitime Erben von Raubkunst sind. Es ist noch nicht zu spät. Es ist höchste Zeit, das Problem bei der Wurzel zu pa- cken und nicht durch kosmetische Maß- nahmen die Symptomatik schön zu re- den. Wir sind es den Opfern und ihren Erben schuldig. T Hannes Hartung war Rechtsanwalt von Cornelius Gurlitt. Er ist Raubkunst- Experte und vertritt seit 2002 Restitu- tionsverfahren auf beiden Seiten Schließt das Kapitel Gurlitt! Deutschland hat aus dem Fall des Schwabinger Kunstfunds nichts gelernt. Wir brauchen endlich ein Raubkunstgesetz, das für Opfer und ihre Erben fair ist. Ein Plädoyer von Hannes Hartung Rodins „Kauernde“ hier als Möbelschmuck in Gurlitts Wohnung, bald zu sehen in der Bundeskunsthalle Bonn NACHLASS CORNELIUS GURLITT, © KUNST- UND AUSSTELLUNGSHALLE DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND GMBH/DAVID ERTL Teil des Schwabinger Kunstfunds: Otto Griebels „Verschleierte“ von 1926 WELT AM SONNTAG NR. 42 15. OKTOBER 2017 60 KUNSTMARKT S eit dem 8. Jahrhundert wird in Aleppo Seife hergestellt, nach- dem das Prinzip schon vor 5000 Jahren von den Sumerern in Me- sopotamien erfunden wurde. Auch heute noch arbeiten syrische Seiden- sieder, obwohl ihre Stadt Aleppo im Bürgerkrieg weitgehend zerstört wur- de: In den Wintermonaten kochen sie in Kesseln über offenem Feuer Oliven- öl, Wasser und Soda, bis sich eine pas- tose Masse absetzt. Ein zusätzlicher Anteil von Lorbeeröl machte die tradi- tionelle Kernseife nicht nur zu einem unverändert authentisch-regionalen Naturprodukt, sondern im Mittelalter zu einer begehrten Beute. Kreuzfahrer brachten die Seife nach Südfrankreich, wo sie als „Savon de Marseille“ ein internationaler Verkaufsschlager wurde. Doch das Origi- nal ist die Aleppo- Seife. Schneidet man die hellbraun patinierten Qua- der in der Mitte durch, sehen sie aus wie ein gut gereifter Roh- milchkäse, würde es nicht aus der Mitte heraus oli- venölgrün leuch- ten. Dieses Grün erkennt man noch auf den Fotos der Ruinen, die Emma- nuel Tussore aus den Seifen schnitzt. Der geheimnisvolle Schatten ver- schwindet, wenn die ausgehöhlte Sei- fe weiter oxidiert. Der französisch-amerikanische Fil- memacher und Künstler benutzt Alep- po-Seife als Baustoff für sein Projekt „Study for a Soap“. Tausende Stücke hat er mit dem Messer bearbeitet und in detaillierte Architekturmodelle von Häusern verwandelt. Man fühlt sich an die Nachrichtenbilder von durch Granatsplitter perforierten und einge- stürzten Wohngebäuden in Aleppo er- innert. Bei bröckelnden Säulenfassa- den und zerbrochenen Arkaden denkt man an Palmyra. Die Miniaturen ma- chen beklommen – besonders wenn sie zu Hunderten zur Installation „Ci- ty“ zusammengestellt sind. Die Skulpturen sind keine Imitatio- nen der Realität, erklärt Tussore im Gespräch mit der WELT AM SONN- TAG. Er sei auch nie in Aleppo gewe- sen. Aber Mesopotamien gilt als Wie- ge der Zivilisation, die vom levantini- schen Hinterland um Aleppo entlang des Euphrats und Tigris’ bis zum Per- sischen Golf reichte. „Und was macht uns zu zivilisierten Menschen?“, fragt Emmanuel Tussore. „Die Benutzung von Seife, unter anderem.“ Er selbst seift sich mit „Pain d’A- lep“, wie man in Frankreich sagt, schon seit Kindertagen ein, aber mit dem Krieg in Syrien wurde das All- tagsprodukt auch zum Symbol für die unauslöschliche Kultur der Regi- on und das gegenwärtigen Leid der Menschen. „Ein eigentlich unschul- diges Material wird in der Bearbei- tung plötzlich politisch“, stellt Tus- sore fest, obwohl er sich nicht als Künstler mit einem politischen Auf- trag versteht. Emmanuel Tus- sore arbeitet mit symbolisch aufge- ladenen Bildern. Sein Film „Sirens“ wurde in diesem Jahr auf der Berli- nale vorgestellt. In einem Loop zeigt er Männer und Frauen, die in die Brandung des Meeres laufen, wo sich ihr Bild in den Wellen langsam auflöst. Jetzt stellt er sein Seifenpro- jekt in einer Berliner Galerie aus. Dort nutzt er die Seifenstücke als Bauklötze und schichtet brüchige Mauern auf, Trümmer und Seifen- staub liegen auf dem Boden wie zer- störtes Kulturgut. Eine Installation aus Überwachungskameras und Kon- trollmonitoren observiert eine rotie- rende Seifenruine, als ginge von ihr Terrorgefahr aus. Und aus den Säcken, in denen Tussore die Seife geliefert bekommt, hat er einen Baldachin nä- hen lassen, wie er in Aleppo über den Straßen hängt – als Sichtschutz vor Scharfschützen. Zu verkaufen sind die Fotografien einzelner Ruinen (1440 Euro, Auflage von fünf Exemplaren). Der Erlös wird der Non-Profit-Organi- sation „Zentrum Überleben“ gespen- det, die sich seit 25 Jahren um die Be- handlung und Integration von Flücht- lingen und Migranten kümmert. T Galerie Benhadj & Djilali, Berlin, bis zum 23. November VON MARCUS WOELLER Zivilisation, die sich gewaschen hat Trotz Bürgerkriegs wird aus Aleppo immer noch Seife exportiert. Emmanuel Tussore macht daraus Kunst Emmanuel Tussore, „Aleppo Soap, Home“, 2017 EMMANUEL TUSSORE

L Gurlitt! - THEMIS Hartung & Partner Rechtsanwälte mbB · 2017. 10. 16. · von Cornelius Gurlitt. Er ist Raubkunst-Experte und vertritt seit 2002 Restitu-tionsverfahren auf beiden

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Page 1: L Gurlitt! - THEMIS Hartung & Partner Rechtsanwälte mbB · 2017. 10. 16. · von Cornelius Gurlitt. Er ist Raubkunst-Experte und vertritt seit 2002 Restitu-tionsverfahren auf beiden

Am 3. November eröff-nen die Bundeskunst-halle in Bonn und dasKunstmuseum in Berndie Ausstellungen „Be-standsaufnahme Gur-litt“. Es sollen Block-

buster werden, die auch ein Publikum be-geistern, das sich weniger für Kunst, aberdoch für Geschichte und Geschichten in-teressieren. Nach dem Willen des Bundesund der Aussteller sollen Werke gezeigtwerden, die angeblich noch immer unterRaubkunstverdacht stehen.

Doch jetzt zu den harten Fakten: Nochzu Lebzeiten von Cornelius Gurlitt habeich als sein Anwalt gesagt, dass nur ganzwenige Werke verfolgungsbedingt entzo-gen wurden und so als Raubkunst geltenkönnen. Dies hat die „Taskforce Schwa-binger Kunstfund“ bestätigt und geradefünf Werke belastbar und nachweislichals Raubkunst identifiziert. Nur bei zweiweiteren Werken konnte danach noch einRaubkunstverdacht bestätigt werden.

Anstatt dieses unglückliche Kapitel einfür alle Mal zu schließen, diffamiert dieBundeskunsthalle die hervorragendeSammlung von Cornelius Gurlitt mit die-ser Ausstellung erneut als Raubkunst-

sammlung. Man lege den Fokus auf denKunstraub des Nationalsozialismus unddie Folgen. Die Staatsministerin für Kul-tur und Medien, Monika Grütters (CDU),wollte mit dieser Ausstellung noch nachAnspruchstellern suchen. Doch es iststark zu bezweifeln, dass sich nach dreiJahren jemand melden wird, um weitereAnsprüche zu stellen. Der SchwabingerKunstfund ist seit vier Jahren weltweitbekannt und alle vermeintlich ungeklär-ten Werke sind seit Ende 2013 im Internetveröffentlicht. So mutet die Ausstellungin Bonn wie eine wenig wissenschaftlicheRaubkunstpropaganda an, mit der Besu-cher geködert werden sollen.

Doch was hat Deutschland aus demFall Gurlitt wirklich gelernt? Es wurdenbundesweit mehr Gelder für die wichtigeProvenienzforschung zur Verfügung ge-stellt, und die bestehenden Institutionenwurden zur Stiftung Deutsches Zentrumfür Kulturgutverluste zusammengefasstund aufpoliert. Dennoch beklagen sichnamhafte Institutionen wie das Zentral-institut für Kunstgeschichte in München,dass wichtige Forschungsprojekte geradenicht gefördert werden.

Aber es kommt schlimmer: Eigentlichist die Raubkunstproblematik der Politik

seit 2002 bekannt. Damals hat der Bun-desrat den Gesetzgeber dazu aufgerufen,im Hinblick auf das große Problem derVerjährungsfristen für Herausgabean-sprüche aus Eigentum von nur 30 Jahren,die bereits mit dem Kunstraub beginnen,Sonderregeln für die Raubkunst zu fin-den. Eigentlich herrscht ein Konsens,dass es bei einem Kunstraub an einem imHolocaust ermordeten Juden keine Ver-jährung geben darf. Die Bestrafung einesMordes selbst verjährt nie. Passiert ist bisheute aber nichts. Der Freistaat Bayernhat, auch aus taktischen und politischenGründen zum Zeitpunkt als der Justiz-skandal aufkam, hastig einen Gesetzes-entwurf („Lex Gurlitt“) vorgelegt, dernicht weiterverfolgt wird. Ein internerReferentenentwurf des Bundes mit einermillionenschweren Entschädigungskon-struktion für gegenwärtige Besitzer wur-de in die Schubladen verbannt. Der Web-fehler dieses Entwurfes liegt schon darin,dass der Bund alle Rückgaben entschädi-gen soll. Mit der Ausrede einer mangeln-den Finanzierbarkeit versucht man so,sich des Problems zu entledigen.

Dabei geht es wirklich doch darum,schweres Unrecht auch nach 70 Jahrennoch wiedergutzumachen. Es ist uner-träglich, wenn Raubkunst des Nationalso-zialismus von Opfern des Holocaustsnoch immer nicht an die rechtmäßigenErben zurückgegeben wird. Vor Gerichthaben sie derzeit insbesondere wegen derVerjährung keine Chance. Dies mussteauch jüngst der Erbe des jüdischen Textil-unternehmers Robert Graetz, der vonden Nationalsozialisten umgebracht unddessen Sammlung versteigert wurde, vordem Landgericht Frankfurt erfahren. DasGericht nahm hier eine Verjährung an,obwohl die Familie des gegenwärtigenBesitzers ein schönes Blumenbild vonMax Pechstein bereits 1942 und offen-sichtlich nicht gutgläubig erworben hat.Will Deutschland also nicht nur Lippen-bekenntnisse abgeben, muss sich auchrechtlich endlich etwas ändern und es An-spruchstellern ermöglichen, ihre Ansprü-che unbeschadet einer Verjährung ge-richtlich geltend zu machen. Die Drama-tik und Tragik der Fälle gebieten eine un-abhängige staatliche und richterlicheKontrolle. Um unlauter an hohe Entschä-digungen zu kommen, wird nämlich zuoft versucht, mit falschen BehauptungenRaubkunstfälle zu konstruieren, wo keine

sind. Dabei bedient man sich gern desVerlustregisters „Lost Art“ in Magdeburg,das in vielen Fällen trotz klarer Beweisegegen Raubkunst unberechtigte Ansprü-che registriert hält.

Die Fälle sind komplex und alles ande-re als eindeutig. Deshalb muss man sichfür ihre Aufarbeitung aller denkbaren tat-sächlichen und juristischen Mittel bedie-nen, sei es in der Provenienzforschungoder aber auch der Möglichkeit, Heraus-gabeansprüche gerichtlich unbeschadetder Verjährung geltend machen zu kön-nen. Die erhobenen verfassungsrechtli-chen Bedenken einer echten Rückwir-kung in eine bereits eingetretene Verjäh-rung greifen bei echten Raubkunstfällen,in welchen die Wegnahme eines Kunst-werks eng mit der Verfolgung oder Er-mordung seines Eigentümers in Verbin-dung stehen, nicht. Deutschland hat ausdem Fall Gurlitt also bisher nicht wirklichgelernt.

In London trafen sich am 12. Septem-ber alle Staaten, die sich mit Raubkunstbeschäftigen. Man war beeindruckt, wieviele Fälle in Holland, Österreich undFrankreich vor den staatlichen Schieds-kommissionen behandelt wurden. ImSchnitt waren es pro Staat über 270 Fälle.Die Limbach-Kommission in Deutsch-land hat seit 2003 gerade einmal 15 Fällebehandelt und für diese Empfehlungenausgesprochen. Tatsächlich kann sienicht vernünftig arbeiten, solange sie vonder Zustimmung des Inanspruchgenom-menen abhängig ist. Es wäre wünschens-wert, wenn die Kommission künftig auchohne diese Zustimmung den Fall untersu-chen und eine Empfehlung aussprechenkönnte. Nur so kann sie wirklich wirken.

Mit dem im August 2016 eingeführten,neuen Kulturgutschutzgesetz erlebt mandarüber hinaus noch einen einzigartigenÜbergriff deutscher Behörden auf priva-tes Kunsteigentum. Unter dem Deckman-tel national wertvollen Eigentums wurdehier eine engmaschige Kontrolle des pri-vaten Kunstbesitzes eingeführt. Versuchtman einst abhandengekommene Kultur-güter wie etwa Raubkunst zu verkaufen,die nach deutschem Recht längst ihrenEigentümer gewechselt haben, gilt mannun wie ein Hehler oder Stehler.

Die von den Ausstellungen postulierteBestandsaufnahme für Raubkunst inDeutschland ist daher alles andere als po-sitiv. Ein faires und transparentes Raub-kunstgesetz mit klaren Kriterien zurFestlegung eines verfolgungsbedingtenEntzuges würde es allen schwer machen,welche mit plakativen Behauptungen ver-suchen, vom gegenwärtigen EigentümerGelder unlauter und mit moralischenVorhaltungen Entschädigungen zu erhal-ten. Im Gegenzug bekommen Anspruch-steller Recht und Gerechtigkeit, wenn sielegitime Erben von Raubkunst sind.

Es ist noch nicht zu spät. Es ist höchsteZeit, das Problem bei der Wurzel zu pa-cken und nicht durch kosmetische Maß-nahmen die Symptomatik schön zu re-den. Wir sind es den Opfern und ihrenErben schuldig.

T Hannes Hartung war Rechtsanwaltvon Cornelius Gurlitt. Er ist Raubkunst-Experte und vertritt seit 2002 Restitu-tionsverfahren auf beiden Seiten

SchließtdasKapitelGurlitt!Deutschland hat aus demFall des SchwabingerKunstfunds nichts gelernt.Wir brauchen endlich einRaubkunstgesetz, das fürOpfer und ihre Erben fair ist.Ein Plädoyer vonHannes Hartung

Rodins „Kauernde“ hier als Möbelschmuck in Gurlitts Wohnung, bald zu sehen in der Bundeskunsthalle Bonn

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6015.10.17 15. OKTOBER 2017 WSBE-VP1BELICHTERFREIGABE: --ZEIT:::BELICHTER: FARBE:

WELT AM SONNTAG NR. 42 15. OKTOBER 201760 KUNSTMARKT

S eit dem 8. Jahrhundert wird inAleppo Seife hergestellt, nach-dem das Prinzip schon vor

5000 Jahren von den Sumerern in Me-sopotamien erfunden wurde. Auchheute noch arbeiten syrische Seiden-sieder, obwohl ihre Stadt Aleppo imBürgerkrieg weitgehend zerstört wur-

de: In den Wintermonaten kochen siein Kesseln über offenem Feuer Oliven-öl, Wasser und Soda, bis sich eine pas-tose Masse absetzt. Ein zusätzlicherAnteil von Lorbeeröl machte die tradi-tionelle Kernseife nicht nur zu einemunverändert authentisch-regionalenNaturprodukt, sondern im Mittelalterzu einer begehrten Beute. Kreuzfahrerbrachten die Seife nach Südfrankreich,wo sie als „Savonde Marseille“ eininternationalerVerkaufsschlagerwurde.

Doch das Origi-nal ist die Aleppo-Seife. Schneidetman die hellbraunpatinierten Qua-der in der Mittedurch, sehen sieaus wie ein gutgereifter Roh-milchkäse, würdees nicht aus derMitte heraus oli-venölgrün leuch-ten. Dieses Grün erkennt man nochauf den Fotos der Ruinen, die Emma-nuel Tussore aus den Seifen schnitzt.Der geheimnisvolle Schatten ver-schwindet, wenn die ausgehöhlte Sei-fe weiter oxidiert.

Der französisch-amerikanische Fil-memacher und Künstler benutzt Alep-po-Seife als Baustoff für sein Projekt„Study for a Soap“. Tausende Stückehat er mit dem Messer bearbeitet undin detaillierte Architekturmodelle vonHäusern verwandelt. Man fühlt sichan die Nachrichtenbilder von durchGranatsplitter perforierten und einge-stürzten Wohngebäuden in Aleppo er-innert. Bei bröckelnden Säulenfassa-den und zerbrochenen Arkaden denktman an Palmyra. Die Miniaturen ma-chen beklommen – besonders wennsie zu Hunderten zur Installation „Ci-ty“ zusammengestellt sind.

Die Skulpturen sind keine Imitatio-nen der Realität, erklärt Tussore imGespräch mit der WELT AM SONN-

TAG. Er sei auch nie in Aleppo gewe-sen. Aber Mesopotamien gilt als Wie-ge der Zivilisation, die vom levantini-schen Hinterland um Aleppo entlangdes Euphrats und Tigris’ bis zum Per-sischen Golf reichte. „Und was machtuns zu zivilisierten Menschen?“, fragtEmmanuel Tussore. „Die Benutzungvon Seife, unter anderem.“

Er selbst seift sich mit „Pain d’A-lep“, wie man in Frankreich sagt,schon seit Kindertagen ein, aber mitdem Krieg in Syrien wurde das All-tagsprodukt auch zum Symbol fürdie unauslöschliche Kultur der Regi-on und das gegenwärtigen Leid derMenschen. „Ein eigentlich unschul-diges Material wird in der Bearbei-tung plötzlich politisch“, stellt Tus-sore fest, obwohl er sich nicht alsKünstler mit einem politischen Auf-

trag versteht.Emmanuel Tus-

sore arbeitet mitsymbolisch aufge-ladenen Bildern.Sein Film „Sirens“wurde in diesemJahr auf der Berli-nale vorgestellt.In einem Loopzeigt er Männerund Frauen, die indie Brandung desMeeres laufen, wosich ihr Bild in denWellen langsamauflöst. Jetzt stellter sein Seifenpro-

jekt in einer Berliner Galerie aus.Dort nutzt er die Seifenstücke als

Bauklötze und schichtet brüchigeMauern auf, Trümmer und Seifen-staub liegen auf dem Boden wie zer-störtes Kulturgut. Eine Installationaus Überwachungskameras und Kon-trollmonitoren observiert eine rotie-rende Seifenruine, als ginge von ihrTerrorgefahr aus. Und aus den Säcken,in denen Tussore die Seife geliefertbekommt, hat er einen Baldachin nä-hen lassen, wie er in Aleppo über denStraßen hängt – als Sichtschutz vorScharfschützen. Zu verkaufen sind dieFotografien einzelner Ruinen (1440Euro, Auflage von fünf Exemplaren).Der Erlös wird der Non-Profit-Organi-sation „Zentrum Überleben“ gespen-det, die sich seit 25 Jahren um die Be-handlung und Integration von Flücht-lingen und Migranten kümmert.

T Galerie Benhadj & Djilali, Berlin, bis zum 23. November

VON MARCUS WOELLER

Zivilisation, die sich gewaschen hatTrotz Bürgerkriegs wird aus Aleppo immer noch Seifeexportiert. Emmanuel Tussore macht daraus Kunst

Emmanuel Tussore, „AleppoSoap, Home“, 2017

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