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Land in Sicht

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Die deutsche Sprache – VIII

Kapitel VIII

Die deutsche SpracheIn jeder Sprache spiegeln sich die historischen, politischen und kulturellen Verän-derungen wider, die eine Sprachgemeinschaft durchgemacht hat.Die deutsche Sprache hat seit 1945 starke, ja zum Teil gewaltsame Einflüsseerlebt: zwei ganz verschiedene Staatsgebilde (BRD und DDR), die sich insbeson-dere im Wortschatz unterschiedlich entwickelt haben. Dabei hat der westliche,speziell amerikanische Lebensstil sicher die nachhaltigsten Spuren im Deutschenhinterlassen. Anglizismen sowie Lehnübersetzungen in großer Zahl sind bis indie Umgangssprache eingedrungen. Das im technisch-wissenschaftlichenBereich neu gebildete englische Vokabular wurde oft direkt und unkritisch über-nommen und ist heute – mehr oder weniger assimiliert – fester Bestandteil in fastjedem fachsprachlichen Diskurs.Besonders in der Sprache der Wirtschaft und speziell in der Werbung fällt auf,dass ein immer regelloser „pidginisiertes“ Englisch verwendet wird, das vonbreiten Teilen der Bevölkerung kaum noch verstanden wird. Hier hat sich einealberne, um falsche „Internationalität“ bemühte Mode durchgesetzt, die bei Ausländern oft Erstaunen und Verwunderung auslöst und auch von Deutschspra-chigen nicht ohne Widerspruch hingenommen wird.Daneben hat sich auch die Sprache der Jugendlichen, verstärkt seit dem Auf-bruch der 68er Generation, viele neue, eigenwillige Begriffe und Ausdrucksfor-men ge-schaffen, die aus unserer Alltagssprache nicht mehr wegzudenken sind.Die deutsche Sprache als lebendiges Kommunikationsmittel ist daher ständig imFluss. Das gilt einerseits in Bezug auf eine wachsende internationale Durchdrin-gung. Andererseits entstehen spezifische „Sondersprachen“, die als Binde-gliedund Erkennungscode für bestimmte kulturelle, ideologische, soziale Gruppen dienen.

VIII. 1 Marie Marcks, Karikatur

VIII. 2 Graffiti – Spontisprüche

VIII. 3 Der Rat will keine Rätin sein

VIII. 4 Jochen Schmid, Sprachmüll, frisch entsorgt

VIII. 5 Schlicht deutsch (Leserbrief)

VIII. 6 Hans Joachim Störig, Überfremdung

VIII. 7 Aus den „Leitlinien“ des VDS

VIII. 8 Ulrich Stock, Die Umlautkrise

VIII. 9 Said, Das Deutsche ist differenzierter

VIII. 10 U. Ammon, Warum wird Deutsch gelernt?

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Karl-Heinz Drochner / Dieter Föhr: Land in Sicht!

ISBN 3-19-001588-0 © 2002 Max Hueber Verlag, D-85737 Ismaning

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VIII – Die deutsche Sprache

VIII, 1

Äußern Sie sich mündlich oder schriftlich:1. Welche Bedeutungen hat das Wort „Geist“?2. Was kann passieren, wenn ein Redner/Professor Metaphern

oder Bilder als Definition benutzt?3. Wie würden Sie „Sprache“ definieren?

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Die deutsche Sprache – VIII

VIII, 2 Graffiti* (Sponti-Sprüche)

* Graffiti (Sgraffito, ital. : Schraffierung), vorwiegend von Jugendlichen auf Wände,Mauern und Fassaden meist mit Farbspray aufgesprühte Parolen, Sprüche oder Bilder,die in den 70er Jahren in vielen Großstädten (Schwerpunkt: Berlin/West, Zürich) aufge-taucht sind.

(AKTUELL – Das Lexikon der Gegenwart, Chronik-Verlag 1984, Seite 275)

In Form der Graffiti entlädt sich viel Protest und Kritik der jungen Generationan den Werten und Konventionen der bürgerlichen Gesellschaft bzw. der„schweigenden Mehrheit“ der angepassten Leute im Land. Besondere Merk-male der meist ganz kurzen Sprüche und Parolen sind: unerwartete Effekte,schwarzer Humor, Spiel mit Sprache und Mehrdeutigkeit, groteske Logik, ent-stellte Sprichwörter oder Zitate, komischer Unsinn, Selbstironie usw.

Wählen Sie (zusammen mit Partnern) ein oder mehrere Beispieleund untersuchen Sie, was daran überraschend, witzig, widersprüch-lich, schockierend usw. ist.Achten Sie dabei auch auf sprachliche Effekte!

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Schwach anfangen und dann aber stark nachlassen

Die Lücke, die wir hinterlassen, ersetzt uns vollkommen.

Als Gott den Mann schuf, hat sie bloß geübt!

Die Elbe ist ein Jungbrunnen – ein Schluck und du wirst nicht alt.

Der Student geht so lange zur Mensa, bis er bricht.

Alle wollen zurück zur Natur, aber keiner zu Fuß.

Wer früher stirbt, ist länger tot.

Brot für die Dritte Welt – aber die Wurst bleibt hier!

Jedem das Seine, mir das meiste!

Man kann sich an alles gewöhnen – nur nicht am Dativ.

P. S. Die Abk. für Abk. ist Abk.

Zu dick bist du nicht, aber für dein Gewicht bist du zu klein.

Keiner ist unnütz. Er kann immer noch als schlechtes Beispiel dienen.

Oh, bitte rühr mich nicht an!Oh, bitte rühr mich nichtOh, bitte rühr michOh, bitte rührOh, bitteOh,

Ich geh kaputt. Gehst du mit?

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ISBN 3-19-001588-0 © 2002 Max Hueber Verlag, D-85737 Ismaning

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Die deutsche Sprache – VIII

VIII, 8 Die UmlautkriseUlrich Stock

Sie lernt Deutsch, seit drei Jahren schon, und sie macht ihre Sache nichtschlecht. „In Grunde“, sagt sie, „ist es gar nicht so schwierig.“„Im Grunde“, erwidere ich, „im, im!“Das macht sie immer falsch, und ich vermute, sie wird noch in zehn Jahren inGrunde sagen, obwohl sie im Grunde weiß, dass es im Grunde heißt.Wir haben so verschiedene Phasen durchlaufen. Zunächst das h: In ihrer Spra-che macht es weiche, zerfließende Konsonanten hart; wir Deutsche wissen dasunbewusst, denn niemand von uns spricht von Spadschetti, wie sie heißen müs-sten, wenn sie Spagetti geschrieben würden.In übrigen (im, im!) dient das h nur dazu, gleichlautende Worte optisch zuunterscheiden. So heißt das Wörtchen o „oder“, das Wörtchen ho (wie o gespro-chen) „ich habe“. In ihrer Sprache ist das h eine Flagge, die vor dem Wortgehisst wird, um lautlos eine andere Bedeutung anzuzeigen.Interessantes Verfahren, gibt es in Deutschen nicht (im, im!). Bei uns ist das hein aus den Tiefen des Brustkorbes aufsteigender Hauch, ein Zeichen geworde-ner Seufzer.Sie ignorierte das lange konsequent.Eizung, Aut, Asenbraten, Andtuch, Of, Uhn, Omosexualität … Ehre sei Gott in der Öhe.Ich seufzte im Gedanken (in, in!), wusste aber, wenn ich meinen Seufzer ihremWort addierte, stets, wovon sie sprach.Inzwischen kommt ihr h nicht immer, aber immer öfter, bald schon zu oft.Hofen, Heilzug, Higel, Hapfel, hoben und hunten. Linguisten wissen solchenÜberschuss gewiss zu erklären.Zu Anfang dachte ich manchmal, wie mühevoll es doch ist, mit jemandem zuleben, der die Sprache nicht kennt. Um verstanden zu werden, sagt man es ein-facher; und selbst einfach ist es oft noch zu schnell. Witze verhallen ungehört –und unterbleiben irgendwann.Heute sehe ich das ganz anders. Wenn die Worte erst mal fließen, und seien sieoft noch fehlerhaft, tragen sie ungemein zum Verständnis bei – dem Verständnisder eigenen Sprache. Und erzeugen einen Witz, wo früher nie welcher war.Mülleimat sagte sie lange Zeit, und als ich sie eines Tages korrigierte, es heißeMülleimer, da sah sie mich ganz erstaunt an und fragte: „Heißt es nicht Müll-Heimat?“ Die Heimat des Mülls – nun war sie in Eimer (im, im!).Neulich fuhren wir mit dem Rad über Land, und sie fragte, woher diese Aufenin Grunde kämen: „Diese Haufen im Grund“, erwiderte ich, „kommen von denMaulwürfen!“„Ah.“

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VIII – Die deutsche Sprache

Einige Kilometer weiter zeigte sie auf eine fast schwarze Wiese: „Guck, wieviele Wurfeltiere!“Wurfeltiere – ist das nicht ein schönes Wort?„Der Maulwurf, die Maulwürfe“, erklärte ich ihr. Und weiß: Nächstes Malheißen sie womöglich Würfeltiere.Mit den Umlauten hat sie es nämlich besonders. Da geht es neuerdings drunterund druber; die verqueren Doppelpünkte springen auf die falschen Vokale, undwo sie hingehoren, fehlen sie.Der Grund, die Grunden.Der Arm, die Ärme.Ihr Meisterwerk ist ürsprunglich. Täglich rechne ich mit den Öhrenstopseln.Vielleicht sind sie bereits gefallen, und ich habe es nur nicht gehort, weil siemir schon in den Öhren steckten?„Ich habe eine Umlautkrise“, erklärt jedenfalls die Urheberin.Tatsächlich: Über Monate kamen die Äs, Ös und Üs sauber daher, und warumsie nun auf einmal verruckt spielen, ist ihr ganz unklar. Vielleicht werden in denKopfen der Lernenden von Zeit zu Zeit neue Drahten gezogen?Sprachwissenschaftler wissen solches Dürcheinander gewiss zu deuten. Mir feh-len die Wörten, woruber ich mich aber nicht beklage, ist die Sache doch allesim allen heher eiter.

Die Zeit, 21. 5. 1993

I. Das Deutsche hat bestimmte Laute bzw. Lautverbindungen(Umlaute, Reibelaute …), die als typisch deutsch und schwierig gelten.Überlegen Sie, wo Ihnen selbst die deutsche Aussprache Problemebereitet. Sammeln Sie Beispiele.

II. Die Erlernung von Fremdsprachen geht oft ungleichmäßig vor sich.Manchmal machen wir schnelle Fortschritte, dann gibt es Phasen derStagnation, und gelegentlich erleben wir sogar Rückschritte. Je mehr wiruns dabei auf bestimmte Eigenheiten bzw. Schwierigkeiten fixieren,desto häufiger machen wir gerade die „Fehler“ (= Fehlleistungen), diewir unbedingt vermeiden wollen.Kennen Sie andere Situationen, wo dieser paradoxe psychologischeMechanismus eintritt? (z. B. bei Prüfungen, Stress, Streit usw.)

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Die deutsche Sprache – VIII

Zum Textverständnis

III. Lesen Sie den ganzen Text aufmerksam durch und notieren Sie dieFehler bzw. lautlichen Probleme, die der Ausländerin im TextSchwierigkeiten bereiten.

IV. Beantworten Sie aus dem Text die folgenden Fragen:1. Aus welcher Sprache kommen die Aussprachegewohnheiten der Frau?2. Wenn unser Partner die Sprache nur ungenügend beherrscht, was

macht man, um verstanden zu werden?3. Welche positiven Aspekte können solche sprachlichen Verständnispro-

bleme auch haben?4. Wie äußerte sich die „Umlautkrise“ der Frau?

V. Lesen Sie den Text jetzt noch einmal von Anfang bis Ende durchund korrigieren Sie sämtliche fehlerhaften Wörter bzw. Formen.

VI. Unterhalten Sie sich mit einem Partner aus Ihrer Gruppe ganzzwanglos und achten Sie dabei gegenseitig auf dieMänge/Fehler/Schwierigkeiten der Aussprache.Welche Punkte erschweren das Verständnis?

VII. Suchen Sie sich irgendeinen kurzen Text, z. B. aus der Zeitung, undmarkieren Sie, wo jeweils der Wortakzent ist (eventuell auch Haupt-und Nebenakzent, Satzakzent!)

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