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Laura Doermer Trappentreu · 2016. 5. 8. · der Elias gegeben, Streit ums Erbe. Ein streng protestantischer Glaube und die Tatsache, dass alle in der Familie alttestamenta-rische

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  • Laura DoermerTrappentreu

    Roman einer Familie

  • Laura DoermerTrappentreu

    Roman einer Familie

    WALLSTEIN VERLAG

  • Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

    in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

    http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © Wallstein Verlag, Göttingen 2007 2. Auflage 2007

    www.wallstein-verlag.de

    Vom Verlag gesetzt aus der AdobeGaramond Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf

    Druck: Friedrich Pustet, Regensburg Lithographie: SchwabScantechnik, Göttingen

    Fotos: privat; mit Ausnahme der Abb. auf S. 198, mit freundlicher Genehmigung des München Verlags

    ISBN (Print) 978-3-8353-0206-8

    ISBN (E-Book, pdf ) 978-3-8353-0673-8

    ISBN (E-Book, epub) 978-3-8353-2375-9

  • Für Bichette, meine Mutter

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    ADAM 1875

    Der junge Mann blickt gehorsam nach links, an der Kameravorbei, so wie es ihm der Fotograf gesagt hat. Er ist sichtlichbeeindruckt von der Prozedur, auf die er sich eingelassen hat.Fotograf Carl Holzer aus der Münchner Schommerstraße 17ahat das oval ausgeschnittene Konterfei auf einen dafür vorge-sehenen rechteckigen Karton geklebt und auf der Rückseite ver-merkt, Nachbestellungen könnten billiger angefertigt werden.Eine fein gezeichnete, ehemals goldene Zierlinie umgibt dasOval und findet sich noch einmal zwei Millimeter innerhalb desäußeren Randes.

    Obwohl das Brustbild unter dem fünften Messingknopfendet, kann man ahnen, dass es sich um einen hoch aufgeschos-senen, schmächtigen jungen Mann handelt. Seine Schulternsind schmal, sein Gesichtsausdruck wirkt sehr kindlich, ein Ein-druck, der durch den spärlichen Flaum auf der Oberlippe nochunterstrichen wird. In seiner unteren Hälfte mutet dieses Ge-sicht fast aristokratisch an, auf jeden Fall aber hochmütig, we-gen des langen Abstandes zwischen dem feinen, wohlgeformtenKinn und der etwas zu kurz geratenen Nase. Der Eindruck wirdzunichte gemacht durch den einfältigen Blick aus kaum bewim-perten Augen, die man sich wacher und entschlossener ge-wünscht hätte, und die lächerliche Frisur, die das ohnehin langeGesicht optisch noch weiter in die Länge zieht.

    Der zweiundzwanzigjährige Adam Fassbender hat sich einenMittelscheitel gezogen und das blonde Haar unter Zuhilfenahmevon reichlich Brillantine seitlich aus dem Gesicht und nachoben gekämmt, wobei er nicht versäumt hat, mit Hilfe seinerHandkanten eine markante Welle zu formen. Das gibt ihm einstrizzihaftes Aussehen, das ihm zu gefallen scheint, und vermut-lich auch den Mädchen.

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    Die Uniform, in der er steckt, ist nichts weiter als eine ArtFastnachtskostüm, das die meiste Zeit im Schrank hängen wird.Denn Adam ist nie in den Krieg gezogen. Zu Beginn des ErstenWeltkrieges wird er bereits zu alt sein, Gott sei Dank, denn dieeinfachen Füsiliere waren nichts weiter als Kanonenfutter, undAdam mit seinen 1 Meter 90 und seinem verschlafenen Blickwäre vermutlich ein ideales Ziel gewesen.

    Vor einem Jahr war er in Oberlustadt, seinem Geburtsort,aufgebrochen, hatte sich bei Germersheim über den Rhein set-zen lassen und war die fast 400 Kilometer über Stuttgart, Ulmund Augsburg bis München zu Fuß gewandert. In seiner Hei-mat war kein Platz mehr für ihn. Das kleine Weingut, das seineVorfahren über Generationen bewirtschaftet hatten, ernährteimmer nur einen, den Ältesten. Die anderen mussten, wenn derTod sie nicht vorzeitig von der Liste strich, weggehen, heiraten,auswandern. Das war seit Jahrhunderten Gesetz.

    Es hatte Streit zwischen seinem Vater Daniel und dessen Bru-der Elias gegeben, Streit ums Erbe. Ein streng protestantischerGlaube und die Tatsache, dass alle in der Familie alttestamenta-rische Namen trugen, hatte sie nicht davor bewahrt, sich bis aufsBlut zu entzweien. Daniel und seine Frau Barbara wandertennach Amerika aus und ließen Adam auf dem alten Kontinentzurück, denn das Geld für die Überfahrt reichte nur für zwei.

    Adam zog es nach München. Er hatte gehört, dass in Mün-chen Arbeitskräfte gesucht würden, denn die Stadt wuchs rasch,und überall da, wo die Städte rasch wuchsen, fanden Handwer-ker ihr Auskommen. In seinem Ranzen befand sich neben einpaar Mark Zehrgeld ein Zeugnis über eine abgeschlossene Lehreals Schreiner. Da es Herbst war und er durch fruchtbare Gegen-den kam, konnte er sich von Obst und auf dem offenen Feuergebratenen Erdäpfeln ernähren. Er schlief in Heuschobern undbekam auch hin und wieder ein Stück Brot mit Speck ge-schenkt. Als er nach drei Wochen in München ankam, warenzwar seine Sohlen durchgelaufen, aber er war am Ziel seinerWünsche.

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    Sein Leben in München begann er im Winter 1874 als frie-render Zimmerherr in der Schleißheimer Straße Nummer 34,zufällig im gleichen Haus, in dem Adolf Hitler vier Jahrzehntespäter sein Münchner Abenteuer beginnen würde.

    Er fand rasch Arbeit als Schreinergeselle bei der KöniglichBayerischen Bahn. Nachdem 1840 die Strecke nach Augsburgfertiggestellt worden war, sollte nun auch der Osten durch eineeingleisige Bahnlinie erschlossen werden. Die Bauarbeitenwaren in vollem Gang, als Adam seine Arbeit antrat. Die neueLinie verließ die Stadt zunächst in Richtung Westen, zweigtedann von der Augsburger Linie ab und umfuhr die Stadt ineinem südlichen Bogen. In dem engen Winkel zwischen derwestlichen und der östlichen Bahnlinie lag das Westend.

    Um einen langen Arbeitsweg zu vermeiden, gab er das Zim-mer in der Schleißheimer Straße auf und mietete sich amMarsfeldweg ein, dort, wo fünfundsiebzig Jahre zuvor noch einGalgen gestanden hatte, an dem die Hingerichteten zur Ab-schreckung der Bevölkerung tagelang zu sehen gewesen waren.Es war ein übel beleumdeter Ort, so wie das ganze Westendnicht den allerbesten Ruf hatte. Niemand wohnte gerne amMarsfeld, deshalb waren die Zimmer billiger als anderswo. Erwohnte in der Nähe der Stelle, wo das aus Brettern erbauteBahnhofsprovisorium gestanden hatte, das 1847 ein Raub derFlammen wurde, sehr zur Erleichterung der Münchner, die sichüber den primitiven Bau lustig gemacht hatten. Jetzt wuchsendort Brennnesseln und Berge von Unrat. Doch es wurde auf demGelände der alten Königlichen Schießstätte schon an einemneuen Bahnhof gebaut, der sich bald zu einem der größtenBahnhöfe Deutschlands ausweiten sollte.

    Während in vielen Großstädten das Westend wegen des dortfrisch vom Land kommenden Windes ein Viertel der Wohl-habenden war, wurde das Münchner Westend aufgrund desEisenbahnbaus innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem dicht-besiedelten Arbeiterviertel. Auch eine Reihe von Fabriken undKleinbetrieben, nicht zu vergessen die großen Brauereien, boten

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    reichlich Arbeitsplätze. Das sprach sich herum. Aus ganzDeutschland, vor allem aus ländlichen Gebieten, strömten dieMenschen herbei. Sie nahmen auch schwere, minderwertigeTätigkeiten an, für die sich die Münchner zu fein waren. Dieschlechte Luft, es dürfte die schlechteste in ganz München ge-wesen sein, nahmen sie wohl oder übel in Kauf. Es stank ab-wechselnd nach Schwefelsäure, Leim oder Teer.

    Die Landarbeiter blieben oft über lange Zeit Fremde in derStadt. Sie hatten den falschen Glauben oder sprachen den fal-schen Dialekt, wie auch Adam, der in München das großeGlück suchte und nicht fand.

    Er hobelte Eichenbalken für die Bahnschwellen und schälteRundstämme für die Signalpfosten. Sein Platz war neben denGleisen, auf denen sich die nahenden Züge ankündigten wie einDonnergrollen. Wenn die Lokomotiven ihr Tempo drosselten,um langsam in die Stadt einzufahren, schnaubten sie noch ein-mal wie erschöpfte Rösser. Eingehüllt von einer Wasserwolke,atmete er den fremden Geruch von Ferne, die zu dieser Zeitnoch Augsburg oder Holzkirchen hieß.

    In der kleinen Holzhütte, in der er zusammen mit den an-deren Arbeitern sein Pausenbrot verzehrte, herrschte babylo-nisches Dialektgewirr. Münchnerisch sprachen die wenigsten.Viele seiner Kollegen kamen aus Franken, manche aus Hessenoder gar aus Böhmen. Ob einer in der neuen Heimat schon eineFrau gefunden hatte, war daran zu erkennen, dass sein Brot mitWurst belegt und liebevoll in ein Schnupftuch verpackt war.Adam musste sich seine Brotzeit bei einem Metzger in der Ar-nulfstraße holen. Im Winter hatten die anderen warmen Teedabei, aber im Sommer tranken sie Bier. Auch Adam, der inseiner Heimat ab und zu ein Gläschen Wein getrunken hatte,trank jetzt Bier.

    »Hast noch immer kein Weibsbild gefunden, Adam?« neck-ten ihn die Kollegen.

    »Zum Unglücklichwerden hab i noch Zeit«, erwiderte er undhob abwehrend die Hände.

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    Er tat so, als ob ihn die Frauen nicht interessierten, in Wahr-heit aber saugte er begierig jedes Wort auf, das sich um Frauendrehte, und in der kleinen Hütte drehten sich die meisten Ge-spräche um Frauen. Er hörte, während die Gesichter seiner Kol-legen hinter Pfeifenqualm verschwanden, von den Kokotten amGärtnerplatz, die mit dem Schlüsselbund klirrten, sobald sichihnen ein Mann näherte, und dem berüchtigten Winkelbordellam Sebastiansplatz, wo die Mädchen es ›auf französisch‹ trieben.

    Mit der Liebe hatte er noch keine Erfahrung gemacht. SeinVerdienst reichte kaum aus, um Essen und Unterkunft zu zah-len, wie sollte er sich da eine Frau leisten können? Frauen warenteuer. Sie wollten ausgeführt werden – zum Tanzen, in den Bier-garten, ins Café. Außerdem waren sie auf Geschenke erpicht –Kopftücher, Seidenstrümpfe, Konfekt und weiß der Teufel wasnoch alles. Wenn er ehrlich war, und an manch einsamem Tagwar er ehrlich zu sich selbst, dann musste er sich eingestehen,dass er überdies zu schüchtern war, um eine Frau anzusprechen.Noch immer fühlte er sich als Fremder in der Stadt. Wenn erden Mund aufmachte und die Einheimischen seinen badensi-schen Dialekt hörten, fragten sie nicht selten: »Wos moanst?«

    Aber dann siegte eines Tages die Neugier über seinen Geld-beutel, seine Schüchternheit und alle moralischen Bedenken.Am Karsamstag wusch er sich von Kopf bis Fuß in der Wasch-schüssel, schmierte sich Brillantine ins Haar und bürstete seineAugenbrauen. Er steckte fünf Mark in die Rocktasche seinesSonntagsanzugs und machte sich auf zum Sebastiansplatz. AmKarsamstag liegt Jesus Christus im Grab, und Gott hat dieAugen verschleiert vor Tränen. Er wird seinen Blick nicht aufdie Sünder richten. Obwohl Adam es mit seinem Glauben nichtso genau nahm wie diese stockkatholischen Münchner, emp-fand er doch Skrupel, ein stadtbekanntes Bordell aufzusuchen,wo sie es ›auf französisch‹ machten.

    In Nummer 4 stieg er klopfenden Herzens eine abgetreteneTreppe zum ersten Stock hinauf. Auf sein zaghaftes Klopfen öff-nete eine Frau mit blonden Haaren, die sie mit einer rosaroten

  • 12

    Schleife zu einem Turm hochgebunden hatte. Rosarot warenauch ihre Wangen und die Spitzen ihres Morgenrocks. Sie standda wie in einem rosaroten Heiligenschein, und das kam von denrosaroten Vorhängen, durch die das nachmittägliche Sonnen-licht schien. Es roch nach Rosenöl und süßem Gebäck.

    »Da schau her, so ein feiner junger Herr«, sagte sie und batihn in die Wohnung.

    Hinter ihr wurden noch fünf Mädchen sichtbar, die um einenKaffeetisch versammelt waren. Auf dem Tisch stand ein ange-schnittener Napfkuchen. Anscheinend war am Tag vor der Auf-erstehung des Herrn kaum mit Besuch zu rechnen, weshalb dieMädchen aus lauter Langeweile einen Kuchen gebacken hatten.Er musste sich dazusetzen und bekam Kaffee eingeschenkt.

    »So ein schöner, schlanker Herr«, begann diejenige, die erfür die Chefin hielt, von neuem. »Bist wohl noch fremd in derStadt. Bist am End gar ein Student?«

    Er brachte vor Aufregung kein Wort hervor. Die Mädchen inihren bonbonfarbenen Kleidern schienen sich nicht um ihnkümmern zu wollen. Sie zupften sich gegenseitig die Augen-brauen aus, manikürten sich die Fingernägel oder stopftenStrümpfe. Er wusste nicht, wie er sein Anliegen vorbringen sollte.Am Ende hatten ihm die Kollegen einen Bären aufgebundenund es handelte sich hier um eine höchst ehrenwerte Gesell-schaft von Damen.

    Während er noch seinen Gedanken nachhing, sagte die Frauim rosa Morgenrock: »Für einen so großen Herrn müssen wirein großes Fräulein aussuchen. Die großen Herren haben meis-tens einen langen Stammbaum.«

    »Wer lang hat, lässt lang hängen«, sagte eines der Mädchen,und alle fingen zu kichern an.

    Er wagte kaum, sie anzuschauen. Wenn er sich eine aus-suchen müsste, er wüsste nicht, welche er nehmen sollte. Deshalbwar er froh, dass ihm die Chefin die Entscheidung abnahm.

    »Eva, geh du mit dem Herrn. In Nummer 6 is’ frischauf ’bett.«

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    Eva zog kurz eine Schnute, bevor sie den Faden an ihremNähzeug abbiss und es weglegte. Sie erhob sich mit der Trägheiteiner eben erwachten Hauskatze, lockerte sich, indem sie ihreHände zum Plafond streckte, und bedeutete Adam mit einer ge-schäftsmäßigen Kopfbewegung, ihr zu folgen.

    Als er hinter ihr herging, bemerkte er, dass sie sehr groß war,wenn auch nicht so groß wie er, und dass ihr relativ schmalerOberkörper in einen breiten Hintern mündete.

    In Nummer 6 angekommen, fragte sie ihn nach seinem Na-men, und nachdem er ihn stotternd hervorgebracht hatte, be-kam sie einen Lachanfall.

    »Adam und Eva. Adam und Eva im Paradies. Was sagst denndazu?«

    Seine Kehle war wie zugeschnürt, er konnte nicht antworten,und als sie sagte »Z’erst das G’schäftliche. Was bin ich dir wert?«,fasste er in seine Rocktasche und reichte ihr die fünf Mark.

    Inzwischen hatte er auf dem durchgelegenen Bett Platz ge-nommen. Er konnte den Blick nicht von ihr abwenden. IhrHintern erinnerte ihn an die voluminösen Kürbisse, die imHerbst auf den Komposthaufen reiften. Die fünf Mark wärenfür die Zimmermiete gewesen. Aber was bedeutete schon einZimmer gegen ein Mädchen?

    Eva rückte ihrem strengen Körpergeruch zu Leibe, indem siemittels eines Parfumzerstäubers Maiglöckchenduft in ihre Ach-selhöhlen sprühte. Dabei summte sie unbekümmert vor sichhin. Sie schälte sich aus ihrem Mieder, ließ die lange Rüschen-unterhose über ihre Hüften gleiten und rollte die Strümpfe biszu den Fersen. Plötzlich verzog sie das Gesicht und ging miteinem Handspiegel zum Fenster. Sie schien Zahnschmerzen zuhaben, denn sie fischte eine Haarnadel aus ihrer Hochfrisur undstocherte damit in ihrem Mund herum.

    Als sie sich umdrehte und sich dem Bett näherte, wipptenihre kleinen Brüste auf und ab. Breitbeinig vor ihm stehend,fragte sie ihn nach seinen Vorlieben. Er murmelte etwas von»französisch«, ohne zu wissen, was das genau bedeutete.

  • 14

    »Da hab’ i mi ganz umasunst auszog’n. Französisch kost’ noamoi a Mark extra.«

    »Später, später«, stieß er hervor.Sie kniete vor ihm nieder und knöpfte seine Hose auf. Das

    Glied, aus seinem Gefängnis befreit, schoss hervor, ihren ge-schminkten Lippen entgegen und wurde sofort von ihren war-men, erfahrenen Händen umklammert. Vergleiche fielen ihmin diesem Moment ein. Wie eine Monstranz. Wie eine Posaune.Wie ein Glas warme Milch. Ihr intensiver Schweißgeruch unddas Maiglöckchenparfum, ihre makellosen Schultern, die imKontrast zu dem vor Sünde triefenden Bett standen, waren zuviel für seine aufgestaute Erwartung. Noch bevor der erste Aktbegann, schoss sein Samen hervor und traf ihr Kinn. Ein kurzerschleimiger Faden zog sich herunter und tropfte auf ihre Brust.

    »Ui jegerl. G’hörst wohl zu de Kavallerieschütz’n!«Sie schien nicht weiter verärgert zu sein, sondern wischte sich

    in aller Ruhe die Bescherung vom Kinn. Er hatte das Gefühl,dass sie wegen ihrer Zahnschmerzen über die schnelle Abwick-lung sogar erleichtert war. Er brauchte auch die Mark Aufschlagnicht zu zahlen.

    Als sie zu der kleinen Napfkuchen-Gesellschaft zurückkamen,zwinkerten sich die Mädchen vielsagend zu. Eva machte einZeichen, das die andern zu verstehen schienen. Für diese Hand-bewegung hätte er sie am liebsten geohrfeigt. Die Chefin zwit-scherte: »Sind der Herr zufrieden gewesen?«

    Er murmelte etwas Unverständliches und bemühte sich, denneugierigen Blicken auszuweichen. Mit einem Mal kam ihmalles sehr schäbig vor. Die Sonne hatte sich hinter den Wolkenversteckt. Was noch vor einer Viertelstunde rosa gewesen war,war jetzt in einem schmutzigen Nebel versunken, weil eine ver-mutlich von einem Kunden zurückgelassene Tabakspfeife dieRunde machte. Die Kleider wirkten schmuddelig. Aus dem rosaPantoffel der Chefin schaute durch ein Loch ein lackierter gro-ßer Zeh. Der Kaffeetisch wurde abgeräumt, die Tischdecke mitden Kuchenbröseln durch das geöffnete Fenster ausgeschüttelt.

  • 15

    Eines der Mädchen wippte ungeduldig mit dem Fuß auf undab, während es rasch eine Illustrierte durchblätterte. Eva faltetedas Tischtuch zusammen und wischte sich mit einem Zipfel ver-stohlen noch einmal übers Kinn. Durch den Flur kam ein wei-ßer Bauernspitz gelaufen, kläffte den Besucher an und sprangaufs Kanapee. Die Chefin klirrte mit einem Schlüsselbund, alskönnte sie es nicht erwarten, den Kunden loszuwerden.

    »Kommen S’ bald wieder«, flötete sie, während Eva ihm einein seinen Augen flüchtige, nichtssagende Kusshand zuwarf.

    Wieder auf der Straße, gab er einem im Rinnstein liegendenHolzscheit mit dem Fuß einen Tritt. Das Holz flog in scharfemTempo auf die andere Straßenseite, prallte am Bordstein ab undkullerte zur Straßenmitte. Mit fünf weiteren Stößen beförderteer es zum Oberanger. In seiner Hosentasche klimperten nochein paar Münzen. Er kehrte in eine Wirtschaft ein und trankeine halbe Maß Bier. Als er wieder auf die Straße trat, lag dasHolz noch vor der Eingangstür. Es erinnerte ihn an die erlitteneDemütigung. Es erinnerte ihn auch an die Prügel, die er alsKind vom Vater bezogen hatte, und daran, dass er es nur zumeinfachen Schreiner gebracht hatte. Er beschloss, sich auf demNachhauseweg nicht mehr von ihm zu trennen. Jeder Fußtritteine Heimzahlung. Der Prügel schoss, von seinem Fuß angetrie-ben, völlig unberechenbar übers Kopfsteinpflaster. Manchmalblieb er in einem Gully hängen oder schlug an eine Hauswand.Die Leute schimpften hinter ihm her. Allmählich gewöhnte ersich an die klebrigen Verhältnisse in seiner Unterhose. Er triebseinen Begleiter gnadenlos voran, über den Marienplatz unddurch die vornehme Theatinerstraße.

    Am Karolinenplatz spazierte eine schlanke, gut gewachseneFrauensperson in einem weinroten Kostüm vor ihm her. Siehatte eine rosa Federboa um den Hals geschlungen und führteeinen Foxterrier an der Leine. Die rosa Farbe entfachte seineWut aufs Neue. Das Holzscheit flog, von einem kräftigen Schussangetrieben, haarscharf am Hund vorbei, prallte an einem Hy-dranten ab und änderte seine Richtung. Der vom Jagdfieber

  • 16

    ergriffene Terrier sprang ihm kläffend nach und wickelte beiseinen Versuchen, der Beute habhaft zu werden, seine Leine umdie Röcke der Dame. Er zog sie praktisch hinter sich her. Sieruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten undeinen Sturz zu vermeiden. Plötzlich lag sie auf dem Boden,während der Hund den Prügel apportierte und neben ihr fallenließ, wobei er sichtlich auf ein Lob wartete.

    Adam hatte die Szene beklommen beobachtet, ohne dass erGelegenheit gehabt hätte, den Unfall zu verhindern. Als er sichbemühte, der Dame auf die Beine zu helfen, fühlte er eine kühle,schmale Hand in der seinen. Aus einem blassen Gesicht feuer-ten zwei graue Augen vorwurfsvolle Pfeile auf ihn ab.

    »Pass doch auf, du Dodl«, hörte er in unverwechselbaremFränkisch.

    Sie strich sich die Röcke glatt, ohne ihn noch eines Blickes zuwürdigen, und marschierte davon. Da sich der Weg, den sie ein-schlug, mit seinem Nachhauseweg deckte, konnte er sie unauf-fällig verfolgen. Aus einigem Abstand beobachtete er, wie sie inder Nymphenburger Straße ein Gartentor aufsperrte und ineiner ansehnlichen Villa verschwand. Auf einem kleinen, sorg-fältig geputzten Messingschild las er den Namen »von Lanzin-ger«. Mit dem geschulten Auge des Handwerkers entdeckte erein reich verziertes Spalierholz, an dem sich Rosen emporrank-ten, einen Marmorspringbrunnen und einen sich drehenden,vergoldeten Wetterhahn auf dem Dach.

    Er konnte das Fräulein nicht vergessen. Diesen Blick ausgrauer Iris, von dem er nicht hätte sagen können, ob er verzwei-felt oder belustigt gewesen war – auf keinen Fall aber völlig ab-weisend. Ein Funken Bereitschaft, bildete er sich ein, sei da zuerkennen gewesen.

    »Du Dodl«, hatte sie gesagt. Er fragte einen Hausbewohneraus Franken, was das Wort bedeute. »Depp«, antwortete dieser.

    Adam überlegte, wie er es anstellen sollte, sie noch einmal zusehen. Schließlich lieh er sich von einem Kollegen eine Markund kaufte einen Blumenstrauß. Eine Entschuldigung war ein

  • 17

    guter Grund, sich ihr noch einmal zu nähern. Die Miete mussteer ohnehin schuldig bleiben, da spielte eine Mark wahrlich kei-ne Rolle mehr.

    Am nächsten Sonntag stellte er sich vor der Villa auf, die eineWoche lang Inhalt seiner Träume gewesen war. Punkt zwei öff-nete sich die Tür. Dreimal in der Woche führte Marie Heim, sohieß die junge Frau, den Foxterrier von zwei bis fünf spazieren.Marie mit der Betonung auf der zweiten Silbe, so wie das inHerrschaftshäusern üblich war. Nicht so, wie die Münchner denNamen aussprachen, der dann, wenn man den ordinären Tonaußer Acht ließ, wie das italienische »mare« klang.

    Marie trug eine himmelblaue Robe mit weißen Taftblendenund schützte ihr Gesicht mit einem En-tout-cas vor der Früh-lingssonne. Sie schien Adam auf den ersten Blick wiederzuer-kennen und nahm den Blumenstrauß mit einem huldvollenNicken ihres Kopfes entgegen. Während sie ins Haus zurück-ging, um ihn mit frischem Wasser zu versorgen, musste er Son-nenschirm und Hundeleine halten. Das erschien ihm wie einvielversprechender Beginn, als ein untrügliches Zeichen vonVertrautheit. Sie hatte auch nichts dagegen, dass er sie auf ihremSpaziergang in den Hirschgarten begleitete.

    Unterwegs erfuhr er, dass sie im Lanzingerschen Haushalt alseine Art Kammerzofe arbeitete. Eigentlich sei sie an Lichtmessvor drei Jahren als Stubenmädchen eingestellt worden und habesich eine Art Vertrauensstelle bei der gnädigen Frau erarbeitet.Damit fand sich auch eine Erklärung für ihre elegante Garderobe,die ausnahmslos aus abgelegten Stücken ihrer Dienstherrin be-stand. Auf diese angesprochen, legte sich ein Zug von Nach-denklichkeit über das Gesicht seiner Begleiterin, so wie über-haupt die ganze junge Person ständig zwischen Schalk undTraurigkeit zu schwanken schien. So fragte sie ihn zum Beispiel,ob er seinen Prügel dieses Mal nicht dabeihabe. Ihr linkes Kniewolle sich ebenfalls einen blauen Flecken holen. Mit diesenWorten zog sie ihre Röcke hoch und zeigte ihm völlig ungeniertihr lädiertes rechtes Knie, wobei Tränen in ihre Augen traten.

  • 18

    Adam war hingerissen von ihr. Er konnte es nicht verstehen,dass sie einem Kerl wie ihm erlaubte, sie zu begleiten. Dass erneben einer Frau auf der Straße spazieren ging, erschien ihm wieein Wunder. Sie tranken zusammen eine Waldmeisterbowle, undals er in seiner Hosentasche nach den letzten Münzen suchte,griff sie blitzschnell in ihr Handtäschchen und bestand darauf,dass er ihr Gast sei. Das nächste Mal dürfe er bezahlen.

    »Das nächste Mal?« fragte er, und sein Herz begann wild zuschlagen. Mit ihren grauen Augen schaute sie ihn kurz an.»Oder wollen’s mi nimma sehn?«

    Die ganze Woche über dachte er an sie. Keine Sekunde langging sie ihm aus dem Sinn. Er war in die Modellschreinerei derZentralwerkstätte versetzt worden und arbeitete nun im erstenStock des Mittelbaus der riesigen Werksanlage. Es war ein moder-ner, lichter Raum mit Gaslampen an den Wänden, direkt nebendem neuen Eisenbahnmuseum. Tag für Tag sägte, hobelte undschmirgelte er das Material, mit dem er von Kind auf durch dieTätigkeit des Vaters vertraut war: Holz. Unter seinen Händenentstanden die Modelle, nach denen die Schlosser ihre Rad-naben, Speichen und Achsen gossen. Er wünschte, sie könnteihn sehen, wie er so tüchtig seinen Mann stand. Sein Gehaltwurde um 1 Mark 35 aufgebessert, ein Zeichen dafür, dass es mitihm bergauf ging. Das Zimmer, in dem er schlief, war hingegenein einziges Chaos, und er wusste nicht, wovon er die Miete be-zahlen sollte. Er lieh sich noch einmal Geld von einem Kollegenund kaufte einen geblümten Überwurf für sein Bett. Es könnteja sein, dass sie einmal zu Besuch käme.

    Es spielte sich so ein, dass er nun jeden Sonntag um zwei Uhrvor ihrer Tür stand und sie nichts dagegen hatte, wenn er sie aufihrem Spaziergang begleitete. Zu zweit sei es nicht so langweilig,sagte sie. Sie betonte aber, dass sie sich nicht binden wolle under sich folglich, was ein Verhältnis mit ihr beträfe, keine Hoff-nungen machen dürfe.

    Der Frühling schritt voran. Wenn sie im Hirschgarten unterden Kastanien saßen, leuchteten ihnen weiße Blütenkerzen und

  • 19

    fielen ihnen schwerfällige Maikäfer in den Schoß. Sie erzählte,dass sie im Juni neunzehn Jahre alt werde und sich allmählichnach einem Mann umsehen müsse. Ihre Schwester Vroni habeihren ehemaligen Dienstherrn geehelicht, nachdem er Witwergeworden war. Und statt weiterhin Kindermädchen für dessendrei Kinder zu sein, verfüge sie nun selber über Dienstpersonalund sei die gnädige Frau Bankdirektor Fürholzer. Ihrer Schwes-ter Vroni wolle sie, Marie, um keinen Deut nachstehen.

    Ihm schnitten solche Reden ins Herz. Er ahnte, nein, er warsich sicher, dass er nie genug Geld besitzen würde, um es miteinem Bankdirektor Fürholzer aufzunehmen. Voller Verzagtheitlegte er seine Hand auf die ihre. Sie zog sie rasch weg und stießhervor: »Allmächt, die Leut könnten reden.«

    Das Jahr ging dahin mit diesen harmlosen Spaziergängen, beidenen er unentwegt überlegte, wie er sie zu einem Besuch inseinem Zimmer überreden könnte. Er hatte sich in der Frank-schen Buchhandlung in Würzburg für sechzig Pfennige inBriefmarken das Buch »Vollständige Beseitigung männlicherSchwäche« von Dr. Xavier besorgt und dessen Ratschläge be-folgt. Diese bestanden im Wesentlichen aus Wechsel-Sitzbädern,für die er seine armselige Waschschüssel benutzte, und dem täg-lichen Verspeisen eines hartgekochten, mit Pfeffer bestreutenHühnereis. Außerdem riet Dr. Xavier zu einer Teemischung ausWiesenbocksbart und Frauenmantel.

    Schließlich fühlte Adam sich in jeder Hinsicht gerüstet.Allein, das Fräulein alberte mit ihm herum, ließ sich auch abund zu einen flüchtigen Kuss rauben, war aber im Übrigen aufseine Jungfräulichkeit bedacht. Es meinte, Verehrer seien nochlange keine Begehrer. Sie würde sich erst dann einem Mannhingeben, wenn sie einen Trauring am Finger trüge, das habe sieihren Eltern versprochen. Es gebe genug ledige Mütter in derStadt, die ihre Bankerte alleine aufziehen müssten.

    Er wusste nicht, was er von ihr halten sollte. Einerseits kamer mit ihr keinen Schritt weiter, andererseits glaubte er in ihrenReden Signale erkennen zu können, die ihn ermutigten. So zum

  • 20

    Beispiel, wenn sie von ihrem Heimatort Allersberg erzählte undihn fragte, ob er nicht einmal ihre Eltern kennenlernen wolle.

    Mittlerweile war es wieder April geworden, und es wäre wohlnoch eine Weile so weitergegangen, hätte ihm nicht eines Tagesder Foxterrier bei einer übermütigen Balgerei im NymphenburgerSchlosspark einen Triangel in die Hose gerissen. Marie schlugdie Hände über dem Kopf zusammen und meinte, so könne ernicht herumlaufen und ob er zu Hause Nähzeug habe, sie würdeihm die Hose flicken.

    Nein, wo denke sie hin, Nähzeug habe er natürlich nicht.Aber er könne seine Vermieterin fragen.

    Sein unaufgeräumtes Zimmer versetzte sie in helle Aufregung.Er hatte sich allerhand erwartet von ihrem Besuch, hatte ihnmonatelang herbeigesehnt, und nun lag er mit einem Triangelin der Hose auf seinem Bett und schaute zu, wie sie erst einmalOrdnung machte. Schwaden von Staub stiegen auf, als sie denTeppich aus dem Fenster schüttelte. Sie trug seine Waschschüs-sel zum Ausguss im Flur und leerte sie aus. Dann bückte sie sich,wobei sie das Volant ihres Rockes raffte, und kehrte mit einemHandbesen die Asche vor seinem Öfchen auf eine Schaufel. Da-bei sagte sie ein ums andere Mal: »Wie kann man nur in einemsolchen Saustall hausen, Adam? I tät mi schämen.«

    Schließlich griff sie zu Nadel und Zwirn und beugte sichüber ihn. Aus Scham behielt er seine Hose an. Er spürte ihreHantierungen auf dem derben Stoff wie Liebkosungen, die ihmdie Augen zufallen ließen. Sie tat sehr geschäftig, aber er merkte,dass sie verlegen war. Als ihr Blick auf die Ausbuchtung in sei-nem Schritt fiel, wurde sie knallrot. Wie im Traum umfasste erihren Kopf, zog sie zu sich herunter und knöpfte ihr Kleid auf.Sie leistete kaum Widerstand, oder nur so viel Widerstand, wiees die Sitte gebot. Sie weiter langsam entkleidend, wurde ihmplötzlich bewusst, dass auch sie auf diesen Augenblick gewartethaben musste. Warum gerade er es war, den sie an sich heran-ließ, war ihm immer noch ein Rätsel. Aber er wollte nicht weiterdarüber nachdenken, nicht in diesem Moment. Aus ihrer Wä-

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    sche stieg ein leichter Duft nach Kernseife. Es war eine feine,wenn auch aus zweiter Hand stammende Unterwäsche aus wei-ßem Linnen. Ein jungfräulicher Busen fiel ihm entgegen, als ermit ungeschickten Händen ihr Mieder aufschnürte. Endlich be-kam er seine Geliebte zu fassen. An seinem Ohr vernahm er eingehauchtes »Lass mi doch erst dei Hos’n fertig nähen«. Aber esklang halbherzig.

    Als er in sie drang, auf die Kraft von Wiesenbocksbart undFrauenmantel vertrauend, gab sie einen leisen Wehlaut von sich.Der Akt war kurz und endete mit einem Seufzer aus seinemMund, einem erleichterten Seufzer, so als hätte sich eine un-bezwingbare Aufgabe endlich von selbst erledigt. Er wundertesich, dass sie so still geblieben war. Ihm schien, als hätte sie seineEkstase nicht geteilt. Was macht man mit einer Frau, die wieleblos unter einem liegt? Er wusste es nicht. In seiner Hilflosig-keit fragte er: »Bin ich dir zu schwer gewesen?« Er war verlegenund ratlos, und als sie sich unter ihm hervorwand und nebendem Ofen betend auf die Knie fiel, da glaubte er, etwas falschgemacht zu haben. »Heilige Maria, Mutter Gottes, bitt für micharme Sünderin, jetzt und in der Stunde meines Todes. Amen«,betete seine Geliebte. Sie tat gut daran, ihre Schutzherrin anzu-flehen, denn sie war, was sie nicht ahnen konnte, von diesemersten Sündenfall schwanger geworden.

    Sie trafen sich nun jeden Sonntagnachmittag in Adams un-aufgeräumtem Zimmer. Den Fox banden sie im Treppenhausan. Die Besucherin sagte, sie fühle sich von ihm beobachtet. Siebeklagte sich jedes Mal über die Unordnung und räumte auf.Sie sagte, sie könne es nicht mit ihm treiben in solch einerSchlamperei. Adam wartete voller Ungeduld, bis er sie aus denRöcken schälen konnte. Es war ihm einfach unbegreiflich, dasssie gerade ihn als Geliebten ausgesucht hatte. Es gab ansehn-lichere Burschen in der Stadt. Sein halbblinder Spiegel über derWaschschüssel hielt ihm ein längliches Gesicht entgegen, überdessen Bedeutsamkeit er sich keine Illusionen machte. Außer-dem hatte Marie den in seinen Augen größten Charakterfehler

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    noch nie zu spüren bekommen: seinen Jähzorn. Ja, seine Fried-fertigkeit, die auf dem Boden einer simplen Bequemlichkeitgewachsen war, konnte unversehens maßlosem Zorn Platzmachen. Er brauchte nur an die Angelegenheit mit dem vomSebastiansplatz zum Karolinenplatz gejagten Holzscheit zu den-ken. Dass er Marie am Ende dieser Zornesstrecke kennengelernthatte, erschien ihm Glücksfall und böses Omen zugleich.

    Als sie ihm nach drei Monaten eröffnete, dass sie guter Hoff-nung sei, überkam ihn neben dem Stolz, ein Kind gezeugt zuhaben, der Schock der Verantwortung. Wie sollte er, dem dasGeld unter den Händen zerrann, Frau und Kind ernähren? Ertrieb ständig einen kleinen Schuldenberg vor sich her. Da er beiseinen Kollegen wegen seiner Großzügigkeit und jugendlichenUnbekümmertheit wohlgelitten war, fand er immer wiederLeute, die ihm kleinere Beträge liehen, mit denen er die altenLöcher stopfte. Es hatte sich herumgesprochen, dass er seitneuestem ein Weibsbild ausführen musste. Ihn quälte diedüstere Vision, dass er nie in der Lage sein würde, die Schuldenzu tilgen, dass er nie aus seiner verfluchten Behausung heraus-kommen, dass er es nie im Leben zu etwas bringen würde. Des-halb nahm er die Nachricht nicht mit der Begeisterung auf, dieMarie von ihm erwartet hatte. Ihre grauen Augen füllten sichmit Tränen, als sie hervorstieß, es bliebe ihr wohl nichts anderesmehr übrig als ins Wasser zu gehen, jetzt, da sie entehrt sei undeinen Bankert am Hals habe. Sie habe von ihm erwartet, dass ersie in solch einer Situation nicht im Stich lasse.

    Er fühlte sich in die Enge getrieben. Wenn sie sonntags zuihm kam und er hilflos zusehen musste, wie sie erst einmal dasMittagessen in seine Waschschüssel erbrach, wurde er von Mit-gefühl übermannt. Aber wenn sie dann weinend am Fenster saßund ihm vorwarf, er sei ein Schuft, er sei um keinen Deut besserals andere Männer, dann packte ihn oft der Zorn, und er sagteDinge, die er lieber nicht gesagt hätte. Er hatte nicht aufgehört,sie auf seine ungeschickte Art zu lieben, aber er hasste solcheSzenen. Wo war sie geblieben, die unbeschwerte Zeit? Der

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    Schalk in den Augen seiner Geliebten? Ihr Liebreiz? Das Kind,so unsichtbar es auch war, hatte sie verändert. Manchmal er-innerte sie ihn an einen weiblichen Drachen, der mit Feuer undSchwefel seine Brut verteidigt. Sie wollte ein Nest, wollte Sicher-heit. Er hingegen liebte diese sonntäglichen Nachmittage. Erbegehrte die Frau, aber nicht das Kind. Das Kind war in ihremLeib eingenistet, nicht in seinem. Das hatte die Natur so ge-wollt. Er fühlte sich zu jung zum Heiraten. Aber er war keinSchurke und wollte sich nicht aus der Verantwortung stehlen.Bei ihm daheim, sagte er, würde erst geheiratet, wenn der Mannder Frau ein Zuhause bieten könne. In diesem Zimmer könntensie unmöglich zu dritt leben. Sie solle ihm bitte Zeit lassen.

    Einige Monate später fuhr Marie nach Allersberg zu ihrenEltern und brachte dort nach zwei Wochen einen Sohn, Georg,zur Welt. Sie ließ ihn gegen ein Kostgeld von zehn Mark monat-lich bei den Großeltern und kehrte blass und schlank zu ihrerHerrschaft zurück. Sie bildete sich ein, dass ihre Schwanger-schaft beim Hausherrn und dem Personal unentdeckt gebliebenwar. Sie dachte darüber nach, wie sie den Druck auf den Kinds-vater verstärken könne. Sie wollte eine Heirat. Eine katholischeHochzeit in Weiß. Ordentliche Verhältnisse.

    Die Heirat ließ vier Jahre auf sich warten. Der Bräutigam warachtundzwanzig und die Braut fünfundzwanzig Jahre alt, als sievon einem evangelischen Pfarrer in der Matthäuskirche getrautwurden. Adam trug einen geliehenen schwarzen Anzug, dessenÄrmel und Hosenbeine zu kurz für ihn waren. Sein Gesichtzeigte einen Anflug entschlossener Männlichkeit, was nicht zu-letzt einem sorgfältig gebürsteten und an den Enden nach obengezwirbelten Schnurrbart zu verdanken war. In der linken Handhielt er einen Zylinder, den er keine Sekunde lang aufsetzte.

    Marie war in das letzte Geschenk ihrer Dienstherrin geklei-det, ein schwarzes Taftkleid mit Puffärmeln, das sie drei Wochenspäter ins Pfandhaus bringen würde. Ein weißer Tüllschleier,mit Hilfe eines künstlichen Maiglöckchenstraußes im Haar be-festigt, reichte bis zum Boden. Ihren Dienst in der Nymphen-

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    burger Straße hatte sie quittiert. Ein großer Teil ihrer Erspar-nisse war bei einer dubiosen amerikanischen Anleihe verloren-gegangen, zu der sie eine Zufallsbekanntschaft überredet hatte.

    Bis zuletzt hatte sie sich gegen eine protestantische Trauunggewehrt. In ihrer Familie sei man von jeher katholisch, nichtumsonst trage sie den Namen der Jungfrau Maria. Auch wennsie dem Namen mit ihrer verlorenen Jungfernschaft keine Ehregemacht habe, fühle sie sich doch ihrem Glauben verpflichtet,überdies seien ihr die Matthäuskirche und erst recht der Pastorin seinem schwarzen Talar auf deprimierende Weise fremd.

    Adam entgegnete, er könne mit diesem Jungfrauenschwindelnichts anfangen. Ginge es nach ihm, so würden sie nur standes-amtlich heiraten. Wenn sie aber auf einer kirchlichen Trauungbestehe, dann komme für ihn nur eine protestantische in Frage.Die Reformation vor dreihundert Jahren sei schließlich ausgutem Grund erfolgt.

    Sie rächte sich für solche Reden, indem sie oft stundenlangkein Wort mit ihm sprach. In den Jahren, in denen sie auf seinJawort gewartet hatte, hatten sich ihre Positionen gewandelt.Ihre anfänglich starke Rolle als Hüterin des großen, unbe-kannten Arsenals weiblicher Geheimnisse, in das einzudringensein Ziel gewesen war, war durch die Gewohnheit geschwächt,war durch die Mutterschaft abgebröckelt. Er hingegen war inder Verweigerung gewachsen. Sie kam kaum mehr gegen ihn an.Am Ende erwies er sich immer als der Stärkere. Nicht nur, dasssie in der Matthäuskirche landeten, er setzte auch durch, dassder kleine Georg eine protestantische Taufe erhielt.

    Ihre erste gemeinsame Wohnung befand sich im drittenStock der Maillingerstraße Nummer 5. Adam wollte im West-end bleiben, um sich einen langen Arbeitsweg zu ersparen.Wenn sie die Fenster geöffnet hatten, konnten sie die Züge inden Hauptbahnhof einfahren hören. Obwohl das Haus vonaußen einen ansehnlichen Eindruck machte, waren die Wohn-verhältnisse entwürdigend. Das junge Paar, das den Sohn zu sichgeholt hatte, teilte sich mit zwei anderen Parteien eine Woh-

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    nung. Die Familie verfügte über eine Wohnküche und eineSchlafkammer und teilte sich die Wasserstelle und das Klo imZwischenstock mit den Leuten aus dem gleichen Stockwerk.

    Georg holte sich in dem noch feuchten Neubau einen hart-näckigen Husten. Der Arzt meinte, er sei überhaupt schwachauf der Lunge. Georg weinte seinen Großeltern in Allersbergnach, die er für seine wahren Eltern hielt. Marie war ihm langeZeit fremd, und erst recht dieser große Vater, dessen Kopf obenam Plafond zu hängen schien und aus dessen Mund manchmalzornige Worte drangen. Georgs Welt war der Küchenbodenaus hölzernen Dielen, die die Mutter einmal in der Woche mitBohnerwachs einrieb. Unter dem hölzernen Firmament desKüchentischs liegend, reihte er die von seinem Vater aus derSchreinerei mitgebrachten Klötzchen zu einer Eisenbahn an-einander. Oder er ließ sie in der Waschschüssel schwimmen. Siewaren dann Schiffe, die im Sturm kenterten, wobei die ausReißnägeln bestehende Mannschaft, deren Kapitän sein VaterAdam war, gnadenlos unterging.

    Wenn die Eltern am Tisch saßen und leise über irgendetwasredeten, das er nicht verstehen sollte, nahm Georg diese fremdeErwachsenenwelt einzig über die raschelnden Röcke seinerMutter und die mit feinem Sägemehl bestäubten Schuhe seinesVaters wahr. Er fürchtete den Moment, da ihn der Vater amSchlafittchen hochziehen und fragen würde, was er denn denganzen Tag getrieben habe.

    Die Zeit der Kindheit verging nur langsam. Die Spuren, diesie auf ihrem Weg zurückließ, waren für Georg kaum wahr-nehmbar. Erst allmählich summierten sich die Zeichen. Ein zu-erst kaum erkennbarer Kratzer im weißen Lack des Tischbeinsfüllte sich mit Küchenruß. Farbe blätterte ab, Holz dunkeltenach. Die Fugen im Küchenboden wurden breiter und fülltensich mit dem Dreck, der dem Besen entwischt war. Die Röckeder Mutter fransten aus. Die durchgelaufenen Schuhe des Vaterswurden durch neue ersetzt. Die abendlichen Reden der Elternüber dem Tisch wurden heftiger. Meistens ging es ums Geld, das

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    irgendwo auf rätselhafte Weise verschwunden war. Der Vatersagte, die Mutter könne nicht haushalten. Die Mutter erwidertevoller Bitterkeit, er würde es zum Fenster rauswerfen.

    Eines Tages fischte sich Marie ihren Sohn unter dem Tischhervor und sagte, er sei nun sechs Jahre alt und müsse zur Schule.Bei Tanzmaier kaufte sie ihm eine kurze graue Wollhose, ge-strickte Wollstrümpfe und eine beige Jacke mit weißem Bubi-kragen zum Zuknöpfen. Dazu schwarze Winterstiefelchen miteiner Reihe glänzender Knöpfe. Sie schnitt seine Nägel undwusch das Haar. Ihr Kind sollte sich nicht schämen müssen.

    Ein paar Wochen später hielt Adam ein Foto in Händen, aufdem fünfzig offenbar für diesen Anlass besonders herausgeputztemännliche Erstklässler mit ihrem Lehrer Donaubauer zu sehensind. Dieser hat eine geballte Faust auf den Oberschenkel seinesangewinkelten rechten Beines gelegt. Das Bild wird von eisernerDisziplin beherrscht. Erschrockene, ernste Vorstadtkinderaugensind auf den Fotografen gerichtet, der unter einer schwarzenDecke hinter seinem Apparat verschwunden ist.

    Einige der Knaben, die man gewöhnlich barfuß und inschadhafter, ärmlicher Kleidung auf den Straßen herumtollensieht, haben ein Tüchlein um den Hals gebunden oder tragenwie Georg über dem Kragen ihrer Wolljacke einen weißen Bubi-kragen. Ein harmonisches Bild, das das denkwürdige Ereignisfesthalten sollte, wenn die Erinnerungen längst verblasst, wenndie Kinder ihrer kleinen Anzüge entwachsen und Herr Donau-bauer zu Grabe getragen sein würden.

    Georg steht an prominenter Stelle in der Mitte der oberstenReihe und blickt mit einem auf Gehorsam programmierten Au-genpaar ins Objektiv. Er fällt unter den fünfzig Knaben dadurchauf, dass sein weißer Kragen wegen eines fehlenden Knopfeszwischen Schultern und Kinn auf eine hilflose Art in der Luft zuschweben scheint. Es ist, so wirkt es, dem kleinen Georg buch-stäblich der Kragen geplatzt.

    Als Adam das Foto in die Hand bekam, legte er seinen Sohnübers Knie, zog die Hose straff und verabreichte ihm eine Tracht

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    Prügel. Zwanzig Pfennige hat diese Fotografiererei gekostet, fastzehn Mark die neue Schulkleidung, und was ist zu sehen? Eingeplatzter Kragen. Die Strafe musste sein. Seine eigene Schwäche,die Unfähigkeit, in seiner Umgebung Ordnung zu halten, wollteer nicht in seinem Sohn fortgesetzt sehen. Hinterher tat es ihmleid, den Kleinen geschlagen zu haben. Er ging ins Wirtshaus, umdie Erinnerung an den kleinen Hintern, der sich so zerbrechlichangefühlt hatte, mit einer Maß Bier wegzuschwemmen.

    Er ging jetzt manchmal ins Wirtshaus, weil Marie die kleineKüche in eine Bügelstube verwandelt hatte. Einmal in der Wo-che wusch sie, um das Haushaltsgeld aufzubessern, im Wasch-haus die Wäsche der Hausbesitzerin und bügelte sie auf demKüchentisch. Beim Anblick ihrer rissigen, früher so feinen Händewurde er jedes Mal von schlechtem Gewissen übermannt. DasBügeleisen, gefüllt mit glühenden Kohlen, fuhr wie eine fau-chende Lokomotive über das mit Wasser besprengte Leinen.Auf den Stühlen türmten sich Tischtücher, Bettlaken und ge-stärkte Herrenhemden, die ganze Küche roch nach dem Dampffremder Wäsche. Er konnte den Anblick seiner für fremde Men-schen arbeitenden Frau nicht ertragen. Nie wurde er das Gefühllos, dass sie eigentlich für ein besseres Leben bestimmt war undallein er die Schuld daran trug, dass dieses bessere Leben in im-mer weitere Ferne rückte.

    Die Unzufriedenheit mit sich selbst ließ ihn ungerecht gegenMarie werden, die sich in seinen Augen immer mehr in eineduldsame Tyrannin verwandelte. An den Tagen, an denen dieKüche von ihrem demonstrativen Leiden erfüllt war, machte ernicht selten kehrt und ging ins Wirtshaus, wobei er zwischenden Zähnen hervorstieß: »Kohlen fürs Bügeleisen statt für einewarme Suppe!« Spät in der Nacht kehrte er reumütig undschwankenden Schritts zurück, in der Hand ein blumiges Zei-chen der Versöhnung: einen aus einem Vorgarten geklautenJasmin- oder Fliederzweig.

    Sie kamen, so sehr sie sich auch abstrampelten, auf keinengrünen Zweig. Adams Lohn – er wusste nicht, wo er blieb.

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    Georgs schwache Lunge verschlang viel Geld. Einmal musstensie den Buben für ein Vierteljahr in die Berge schicken, aber erkam um keinen Deut gesünder zurück.

    Manchmal sah Adam seine Frau am Fenster stehen und inRichtung Nymphenburger Straße blicken. Er wusste dann, dasssie an das Haus mit dem vergoldeten Wetterhahn dachte, und erahnte, dass diese Ehe eine Enttäuschung für sie war. Warumnur? Es gab Arbeiterfrauen im selben Haus, die mit ihrem Lebennicht unzufrieden waren. Einzig Marie ging mit diesem stum-men Vorwurf herum, der sich aus ihren grauen Augen wie einBannstrahl auf ihn richtete. Stumm? Ja, sie sprachen kaummehr miteinander, die unausgesprochenen Worte hingen wieBleigewichte vom Plafond und berührten von Zeit zu Zeit ihreKöpfe: Dong Dong Dong.

    Längst waren die Träume verflogen, das Westend zu verlassenund in ein besseres Viertel zu ziehen. Aus der Wohnung in derMaillingerstraße, die als ein Provisorium nur zum ›Trockenwoh-nen‹ gedacht war, konnten sie nicht einmal dann in eine größereziehen, als Marie erneut schwanger wurde und eine Tochter zurWelt brachte, die sie Therese nannten. Im Schlafzimmer wurdees eng. Das Bettchen stand neben den schwarzen Ehebetten, derVater konnte wegen des Geschreis seiner Tochter nachts nichtschlafen und torkelte am Morgen todmüde zur Arbeit. Er fand,dass der Nachwuchs nicht nötig gewesen wäre. Marie blieb vomWäschespülen im kalten Wasser die Milch weg. Man schriebden Dezember 1887. Therese wurde von einem Gemisch aus ver-dünnter Milch und Haferschleim ernährt. Das erste Bild, das sievon der Außenwelt wahrnahm, waren Eisblumen am Fenster.Dreimal zog die Familie in den nächsten Jahren innerhalb derMaillingerstraße um, von einer gedrittelten Wohnung in dienächste. Das letzte Mal, als die kleine Emma geboren wurde, dienur achtundzwanzig Tage auf der Welt blieb.

    1894, im selben Jahr, in dem Therese eingeschult wurde,zeichnete Prinzregent Luitpold von Bayern den alten Josef Wein-berger von der Modellschreinerei mit einer Bronzemedaille des

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    Michael-Ordens aus, für lange, treue Betriebszugehörigkeit. ImEisenbahnmuseum der Zentralwerkstätte half Adam beim An-bringen einer metallenen Gedenktafel, die an den hohen Besucherinnern sollte. Die Tafel fiel mit ihrem ganzen Gewicht auf sei-ne linke Hand und schnitt Ringfinger und kleinen Finger haar-scharf von der Mittelhand ab.

    Obwohl er seine Arbeit nach einigem Umlernen auch mitdrei Fingern ausführen und seine Stelle behalten konnte, fühlteer sich von diesem Tag an minderwertig, als Krüppel. Er hattedas Gefühl, dass alle nur auf seine linke Hand schauten, auchMarie, auch die Kinder. Er wurde unleidlich, hielt es zu Hausenicht mehr aus. Die einzigen, in deren Gegenwart er sich wohl-fühlte, waren seine Saufkumpane und die Prostituierten vomSebastiansplatz. Es waren längst nicht mehr dieselben wie da-mals, als er sich so blamiert hatte. Die Mädchen trugen jetzt tür-kische Pluderhosen und rauchten Zigaretten, deren Asche siemit eleganter Gebärde in eine Blumenvase schnipsten. Manch-mal kam ihm Eva in den Sinn und er fragte sich, wo sie wohlgelandet sein mochte. Er besuchte das Bordell weniger ausGründen der Lust, sondern weil er an alte Zeiten anknüpfenund sich mit den Mädchen unterhalten wollte.

    1902 zog die kleine Familie in ein neu erbautes Haus in derTrappentreustraße. Die Wohnung bestand zwar auch nur auseinem Zimmer und einer Wohnküche, aber sie hatte ein eigenesKlo und einen Ausguss im Flur. Auch diese Wohnung mussteerst ›trockengewohnt‹ werden, bevor sich ein Gefühl von Er-leichterung, ein Gefühl von Luxus einstellen konnte.

    Die Trappentreustraße war benannt nach Johann BaptistTrappentreu, dem Braumeister vom Sternecker Bräu im Tal, derim Jahr 1878 für das Westend 9000 Gulden, 100 000 Ziegel-steine, drei Glocken sowie Kupfer fürs Dach der Schrenkkirchegestiftet hatte. Als Adam und Marie dort wohnten, gab es aufder kurzen Strecke zwischen Heimeranplatz und Westendstraßeelf Wirtshäuser, angefangen beim »Gasthaus zur neuen Unter-fahrt« bis zum »Burenstübl«. Die Wirtshäuser waren noch vor