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Mundus in imagine Bildersprache und Lebenswelten im Mittelalter Festgabe für Klaus Schreiner Mit einem Geleitwort von Reinhart Kosel1eck Herausgegeben von Andrea Löther, Ulrich Meier, Norbert Schnitzler Gerd Schwerhoff und Gabriela Signori Wilhelm Fink Verlag

Lebenswelten im Mittelalter Festgabe für Klaus Schreiner · Gerd Schwerhoff und Gabriela Signori Wilhelm Fink Verlag . Ulrich Meier Vom Mythos der Republik Formen und Funktionen

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Mundus in imagine Bildersprache und

Lebenswelten im Mittelalter

Festgabe für Klaus Schreiner

Mit einem Geleitwort von Reinhart Kosel1eck

Herausgegeben von Andrea Löther, Ulrich Meier, Norbert Schnitzler

Gerd Schwerhoff und Gabriela Signori

Wilhelm Fink Verlag

Ulrich Meier

Vom Mythos der Republik

Formen und Funktionen spätmittelalterlicher Rathausikonographie in Deutschland und Italien

Die Frage, ob in den Städten des Alten Reiches eine der Wurzeln der modernen Demokratie zu finden ist, hat bis heute nichts an Attraktivität verloren. Denn

attraktiv ist die Möglichkeit einer Berufung auf längst vergangene, aber eigene parti­zipatorische Traditionen allemal: Erinnert wird so an eine Vergangenheit, mit der sich etwas anfangen läßt; eine Brücke vom Gestern zum Heute ist geschlagen, die man gern und mit Gewinn für das eigene Selbstverständnis begeht. Angefangen von der Besinnung auf die Geschichte der mittelalterlichen Stadt in den Verfassungskämpfen des 19. Jahrhunderts! über die von Hans Baron im Angesicht der Bedrohung durch die Barbarei des Dritten Reiches entfachte Debatte um den ,,Florentiner BÜfgerhuma­nismus" als historisch belegbarem Beispiel eines geglückten vivere civili bis hin zur gegenwärtigen Diskussion über die Ursprünge des modernen angloamerikanischen Republikanismus in den italienischen Stadtstaaten der Renaissance3

: immer standen Gegenwartsinteressen und Geschichtsbetrachtung in einem engen Zusammenhang. Die Standortgebundenheit historischen Wissens liegt auf der Hand, ist aber anders als sonst üblich bei diesem Thema schon früh Teil der wissenschaftlichen Kontroverse selbst geworden. Die deutsche Stadtgeschichtsforschung, seit jeher bestens vertraut mit Rezeptions- und Begriffsgeschichte, hat sich den Konzepten ,,Bürgerhumanismus"

Vgl. Klaus Schreiner, "Kommunebewegung" und ,,Zunftrevolution". Zur Gegenwart der mittelalterlichen Stadt im historisch-politischen Denken des 19. Jahrhunderts, in: Stadtverfas­sung - Verfassungsstaat - Pressepolitik. Festschrift für Eberhard Naujoks zum 65. Geburtstag, hrsg. von Franz Quarthai und Wilfried Setzier, Sigmaringen 1980, 139-168. Vgl. auch die Beiträge von Anne G. Kosjeld, Wolfgang Krogel und Ulrike Spree, in: Bürgerschaft. Rezeption und Innovation der Begrifflichkeit vom Hohen Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert, hrsg. von Reinhart Kosel/eck und Klaus Schreiner (Sprache und Geschichte 22), Stuttgart 1994, 309-502. Für die kritische Lektüre des Textes danke ich Andrea Löther und Gabriela Signori, für zahlrei­che Hinweise Klaus Graf. Mein herzlicher Dank auch an Kerstin Beier, die dafür sorgte, daß dieser Aufsatz, was die Kunstgeschichte Italiens betrifft, etwas mehr wurde als ein Dokument meiner Wissenslücken. 2 Hans Baron, The Crisis of the Early Italian Renaissance. Civic Humanism and Republi­can Liberty in an Age of Classicism and Tyranny. Princeton 21966 (1. Aufl. 1955). Die Ausein­andersetzung mit seinen Kritikern ist eingearbeitet in die Anmerkungen der z.T. stark überarbei­teten Aufsätze in: Ders., In Search of Florentine Civic Humanism. Essays on the Transition from Medieval to Modem Thought, 2 Bde., Princeton 1988. Literatur zu Würdigungen und kritischen Rückblicken nach dem Tode Barons im Jahre 1988 bei James Hankins, The "Baron Thesis" after Forty Years and some Recent Studies of Leonardo Bruni, in: Journal of the History of Ideas 56 (1995),309-338. 3 Standardwerke: lohn Greville Agard Pocock, The Machiavellian Moment. Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition, Princeton 1975. Quentin Skinner, The Foundations ofModern Political Thought, 2 Bde., Carnbridge 1978.

346 Ulrich Meier

und ,,Republikanismus" erst langsam geöffnet4, vermutlich, weil andere Diskurse -

etwa eine lang etablierte Genossenschaftstheorie, die Webersche Soziologie oder eine eigenständige Humanismustradition - imstande waren, zahlreiche der neu aufgewor­fenen Sachprob1eme auf ähnlich befriedigende Art zu lösen. Außerdem sind viele in der angloamerikanischen Debatte kontrovers diskutierte Fragen hier im Kontext der Kommunalismuskontroverse erörtert worden5

Nun ist leicht einzusehen, daß eine kritische Auseinandersetzung mit den ge­nannten Forschungsansätzen bei der Interpretation politischer Ikonographie in vor­modernen Städten kaum zu vermeiden ist. Gerade die Kontextualisierung von Bildern und Bildprograrnmen in und an Rathäusern hängt stark davon ab, was man in Mit­telalter und Neuzeit rur ,,republikanisch", "bürgerlich", "zivil" oder "städtisch" hält. Nur wer Rechenschaft darüber gibt, wie seiner Meinung nach Bürger mittelalterlicher Städte ,,Herrschaft" definiert, wie sie ihre eigene Lebensform verstanden haben, wird vorschnelle Schlüsse von Bildprograrnmen auf anscheinend zeitüberdauernde bürger­liche Werte, einmalige politische Ereignisse oder vermeintliche gesellsdlaftliche Ge­gebenheiten vermeiden können.

Politische Ikonographie soll das Phänomen "Herrschaft" visualisieren6, sie hat in

der Regel Legitimations- und Appellfunktion. Auf das Thema ,,Rathausikonographie" angewandt, läßt sich dieser Sachverhalt pragmatisch in folgendes Fragenbündel über­setzen: Was verstand man ·im Mittelalter unter Staat bzw. Gemeinwesen? Wurden kategoriale Unterschiede zwischen Stadt-, Fürsten- oder Königsherrschaft gesehen? Welche Bildprograrnme, Themen und Motive bilden das Repertoire der Rathausik0-nographie? In welchem Verhältnis standen in den Bildern und Zyklen Biid und Text, in welcher Beziehung Repäsentationsfunktion, Belehrung und Appell? Der Weg der Betrachtung wird im folgenden von der eher exemplarischen Analyse der seit dem 13. Jahrhundert verbreiteten Metaphern von Herrschaft aus der Optik der Republikanis­musdebatte ausgehen. Danach sollen das schier uferlose Material und die damit ver­bundenen Interpretationsangebote thematisch gegliedert und untersucht werden. Unter

4 Vgl. Republiken und Republikanismus im Europa der Frühen Neuzeit, hrsg, von Helmut Koenigsberger (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 11), München 1988; darin bes. die Aufsätze von Heinz Schilling, Gab es im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit in Deutschland einen städtischen "Republikanismus"? Zur politiSChen Kultur des alteuropäischen Stadtbürgertums, ebd., 101-143, und Wilfried Nippel, Bürgerideal und Oligarchie. "Klassischer Republikanismus" aus althistorischer Sicht, ebd., 1-18. Außerdem Paul Nolte, Gemeindebürger­tum und Liberalismus in Baden, 1800-1850. Tradition - Radikalismus - Republik (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 102), Göttingen 1994. 5 Vgl. Landgemeinde und Stadtgemeinde in Mitteleuropa. Ein struktureller Vergleich, hrsg. von Peter Blickle (Historische Zeitschrift, Beihefte NF 13), München 1991. 6 Der Begriff "Herrschaft" wird hier als moderner Forschungsbegriff benutzt. Im Mittelalter gab es keinen eindeutig bevorzugten Terminus technicus für diesen Oberbegriff, man gebrauchte in der lateinischen Sprache je nach Kontext dominium. potestas. potentia, auctoritas, regnum (Peter Moraw, Artikel 'Herrschaft' im Mittelalter, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Histori­sches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Kosel/eck, Bd. 3, Stuttgart 1982, 5-13, hier 6), aber auch imperium und iurisdictio, vgl. Ulrich Meier, Mensch und Bürger. Die Stadt im Denken spätmittelalterlicher Theologen, Philosophen und Juristen, München 1994, 137f.

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dem Gesichtspunkt 'Form und Funktion' lassen sich Bildprogramme in drei Gruppen einteilen: Zur ersten Gruppe zählen Weltgerichts- und Gerichtsdarstellungen. Die zweite Gruppe umfaßt Bilder und Bildfolgen, die Ratschläge zur Gestaltung der rech­ten Ordnung und Beispiele zur opferbereiten Verteidigung derselben bieten (Rat und

Tat betitelt). Die dritte Gruppe bildet ein mit Imperium Romanum überschriebener Bedeutungskreis, der Bilder und Skulpturen zur Heils-, Reichs- und Stadtgeschichte, kurz: zur Einordnung des Teils in das Ganze, enthält. Die behandelte Zeit ist das Spät­mittelalter unter Einschluß der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, untersuchter Raum das Alte :;(eich, genauer Deutschland und das Regnum Italiae. Am Ende werden die Fragen nach ,,Bürgerlichkeit" und ,,republikanischem" Gehalt der Rathausikonogra­phie vor dem Hintergrund der erarbeiteten Problemfelder noch einmal aufgegriffen und ins Zentrum der Betrachtung gestellt. Um keine falschen Erwartungen zu wek­ken: Aufgabe eines länder- und zeitenübergreifenden Zugriffs kann nicht die umsich­tige Bildinterpretation selbst sein - rur die brächte der Verfasser auch nicht das not­wendige Rüstzeug mit. Es geht vielmehr um die Frage nach Formen und Funktionen der Rathausikonographie mit dem Ziel, eingefahrene Diskurse aufzubrechen und die Bedingungen sinnvoller Kontextualisierung erneut zur Disposition zu stellen.

Metaphern von Herrschaft

Nicolai Rubinstein und Quentin Skinner - sie gehören zu den besten Kennern der vormodernen politischen Philcsophie - haben ihr ganzes Fachwissen aufgeboten, um das sicher faszinierendste Bildprograrnm eines mittelalterlichen Rathauses zu ent­schlüsseln: den 1338-1340 von Ambrogio Lorenzetti an die Wände der Sala dei Nove gemalten Zyklus vom guten und schlechten Regiment (Abb. 1) im Palazzo Pubblico von Siena7

• Scheinbar gute Voraussetzungen also, um bei der Frage nach dem Zu­sammenhang von politischer Theorie und Rathausikonographie festen Boden unter die Füße zu bekommen. Aber eben nur scheinbar. Unstrittig ist nach vier Jahrzehnten Diskussion lediglich, daß die Gegenüberstellung von guter und schlechter Regierung in den Kontext der Tyrannisdebatte gehört und das Selbstverständnis der Führungs­gruppen einer freien Kommune widerspiegelt. Darüber hinaus bleibt (fast) alles kon­trovers, und das bis heute. So ist Rubinsteins Betonung des aristotelisch-thomistischen

7 Nicolai Rubinstein, Political Ideas in Sienese Art: The Frescoes by Ambrogio Lorenzetti and Taddeo di Bartolo in the Palazzo Pubblico, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institu­tes 21 (1958), 179-207, hier 188f. Der Autor kündigte ebd., 184, Anm. 45, eine eigene Studie zu den chronikalischen, rhetorischen und politiktheoretischen Quellen, aus denen das Bildpro­grarum schöpft, an. Aus diesem Vorsatz entstanden schließlich eine Fülle von Arbeiten, er­schließbar über: Ders., Political Theories in the Renaissance, in: The Renaissance. Essays in Interpretation, LondonlNew York 1982, 153-200. Quentin Skinner, Ambrogio Lorenzetti. The Artist as Political Philosopher, in: Proceedings of the British Academy 72 (1986), 3-56. Bildbe­schreibung: Diana NO/'man, 'Love Justice, You Who Judge the Earth': The Paintings of the Sala dei Nove in the Palazzo Pubblico, Siena, in: Siena, Florence and Padua. Art, Society and Religi­on, 1280-1400, hrsg. vonders., Bd. 2: CaseStudies, NewHavenlLondon 1995, 145-167.

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Einflusses auf die Konzeption des Bildprogramms ebenso kritisiert worden8 wie Skin­ners enzyklopädisch angelegter Versuch, Konzept und Inhalt der Fresken auf die Tra­dition der Stadtspiegel und Ars-dictaminis Traktate zurückzufiihren9

.

Damit nicht genug. Die weithin akzeptierte These, die Aussagen des Bildpro­gramms entsprächen dem politischen Selbstverständnis der Sieneser Führungsgrup­pen, ist bisher allzu fraglos mit der Behauptung gleichgesetzt worden, das Programm entwerfe das Bild eines republikanisch verfaßten Gemeinwesens. Das eine muß nicht notwendigerweise das andere zur Folge haben. Vielmehr, und damit komme ich auf das anfangs Gesagte zurück, hängt alles davon ab, was als ,,republikanisch" bzw. "ci­vic" oder "bürgerlich" definiert, kurz, welche Meßlatte angelegt wird. Die Relevanz der TyrannisdebaUe in Italien um 1300, auf die besonders Rubinstein sein Augenmerk gerichtet hat, soll dabei als gesicherter Baustein des Sieneser Bildprogramms weitge­hend 'außerhalb der Betrachtung bleiben lO

. Unsere Frage nach dem Verständnis von Herrschaft, das dem Zyklus zugrunde gelegen haben mag, ist stets Gegenstand der umfangreichen Literatur zu diesen Fresken gewesen, Quentin Skinner war derjenige, der ihr auf dem Felde politischer Theorie bisher am intensivsten nachgegangen ist, der die Republikanismusthese am breitesten belegt hat. An seine Befunde und Argumente kann ich daher anknüpfen.

Dabei, das sei vorweg gesagt, soll ,,Republikanismus" hier in erster Linie unter dem Aspekt der Verfassungslehre kritisch beleuchtet werden. Als Tugendlehre ist er

8 Vgl. Chiara Frugoni, The Book ofWisdom and Lorenzetti's Fresco in the Palazzo Pubbli­co at Siena, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 43 (1980), 23941; dies, A Distant City. Images of Urban Experience in the Medieval World, Princeton 1991 (it. Orig. Ausg. Turin 1983), 121ff.; Frugoni weist in Anlehnung an zentrale Bildelemente daraufhin, daß das alttestamentarische "Buch der Weisheit" eine wichtige Quelle des Bildes gewesen sein muß. Vgl. außerdem Skinner (wie Anm. 7), 35ff., 40f. 9 Etwa Randolph Starn, The Republican Regime of the "Room of Peace" in Siena 133840, in: Representations 18 (1987), 1-32, hier 30. Frugoni, Distant City (wie Anm. 8), hat Skinners Aufsatz in der engl. Ausgabe ihres Werkes in einem eigenen Appendix (189-93) sehr kritisch besprochen. Ebenso Maria Monica Donato, Un cido pittorico ad Ascanio (Siena). Palazzo Pubblico e J'iconografia 'politica' alla fine del Medioevo, in: Annali della Scuola Nonnale Superiore di Pisa, Classe di Lettere e Filosofia, Ser.rn, 18.3 (1988), i 105-1272, hier 127lf. Pointierte deutsche Kurzfassung davon: Dies, Aristoteles in Siena. Fresken eines sienesischen Amtsgebäudes in Asciano, in: Malerei und Stadtkultur in der Dantezeit. Die Argumentation der Bilder, hrsg. von Hans Belting und Dieter Blume, München 1989, 105-114, hier I 12f. 10 Die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts aufkonunende Signorie - die Herrschaft ad arbitrium eines Einzelnen - war eine reale Gefahr für die popolaren Konununen. Zusammenfas­send dazu Ulrich Meier, Molte rivoluzioni. molte novita. Gesellschaftlicher Wandel im Spiegel der politischen Philosophie und im Urteil von städtischen Chronisten des späten Mittelalters, in: Sozialer Wandel im Mittelalter. Wahrnehmungsfonnen, Erklärungsmuster, Regelungsmecha­nismen, hrsg. von Jürgen Miethke und Klaus Schreiner, Sigmaringen 1994, 119-176, hier 12lf., 160ff. Zur Bedeutung dieses säkularen Prozesses für die Ikonographie am Beispiel des Bildto­pos der Comune rubato vgl. Maria Monica Donato, "Cose morali, e anche appartenenti secondo e'luoghi": per 10 studio della pittura politica nel tardo Medioevo toscano, in: Le fonne della propaganda politica nel Due e nel Trecento, hrsg. von Paolo Cammarosano (Collection de l'Ecole Frans:aise de Rome 201), Rom 1994, 491-516, hier 51Off. Tyrannisgefahr war kein Spezifikum italienischer Städte, vgl. Hartmut Boockmann, Spätmittelalterliche deutsche Stadt­Tyrannen, in: Blätter für Deutsche Landesgeschichte 119 (1983), 73-91.

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minder problematisch, aber auch weniger trennscharf. Verfassungstheoretisch gesehen meint der Begriff, daß die Kommune des Mittelalters eine ,,Republik" war, deren Amtsträger auf Zeit, gebunden an Ratsgremien und Gesetze, herrschten. Insbesondere geht es um die Frage, ob mittelalterliche Zeitgenossen selbst ihre Stadt in dieser signi­fikanten Weise - als eigene Herrschaftsform, unterschieden von anderen guten Herr­schaftsformen und vorgestellt als die beste von diesen - wahrnahmen und auf den Be­griff brachten. Dabei kann die Frontstellung gegen "Tyrannis" nicht als hinreichender Beleg fur Republikanismus, sondern lediglich als Dokument der Auseinandersetzung mit schlechter, illegitimer Herrschaft geltenll

. Vor diesem Hintergrund ist zu ermit­teln, welche Quellenbelege und Argumente Skinner heranzieht, um sein Ergebnis, Lo­renzetti schöpfe die visuelle Konzeptualisierung des guten Regimentes aus einer in der "pre-humanist ideology" verbreiteten "vision of self-governing republicanism"12, zu untermauern und zu plausibilisieren. Überzeugend nachgewiesen hat Skinner zu­nächst einmal die Abhängigkeit des Politikverständnisses der behandelten Texte aus dem 13. und 14. Jahrhundert - Podesta- und Stadtspiegel, Statuten, Traktate der dicta­tores - von römischen, nicht griechischen Vorbildern, von Cicero, Sallust, Seneca13

Und sicher ist ihm auch darin zuzustimmen: Die genannten Quellentexte gehen davon aus, daß in den städtischen Gemeinwesen der Herrscher - der podesta oder rector - ge­wählt werden muß. Aber ist das schon eine republikanische Vision von Selbstregie­rung? Gewählt wurde schließlich auch der deutsche Kaiser.

Auskunft über das dahinterstehende Herrschaftsverständnis geben meines Erach­tens nun weniger die verfahrenstechnisch oft sehr gen auen Ausführungen der mittelal­terlichen Autoren über Wahlmodi oder Zusarnrnenarbeit mit den Institutionen des Stadtstaates als die Metaphern, mit denen sie die Ausübung herrscherlieher Gewalt veranschaulichten. Im Zentrum der Texte steht dann in der Regel der Podesta, der von auswärts und auf Zeit berufene hohe Amtsträger der italienischen Kommunen des 13. Jahrhunderts, der lange Zeit als die Personifikation von Herrschaft überhaupt galt14

11 Grundlegend: Wolfgang Mager, Artikel 'Republik', in: Geschichtliche Grundbegriffe (wie Anm. 6), Bd. 5 (1984), 549-651. Maria Monica Donato. Testi, contesti, inunagini politiche nel tardo Medioevo: esempi toscani. In margine a una discussione sul ,,Buon governo", in: Annali dell'lstituto Storico Italiano di Trento 19 (1993), 305-355, hier 327, hat versucht, Rubinsteins These vom Einfluß der aristotelischen Philosophie auf die Darstellung des 'Buon Governo' in Siena zu erweitern und behauptet, im Bild würden erstmals zwei aristotelischen Verfassungen, Comune e Tirannide, visualisiert. Ausnahmsweise kann ich der brillanten Kunsthistorikerin an dieser Stelle einmal nicht beipflichten. Gesichert ist lediglich, daß es um gute und schlechte Herrschaft geht: eine Topologie, mit der die politische Theorie zudem das ganze Mittelalter über vertraut war. Vgl. unten Anm. 30, 141 und 145 sowie oben Anm. 10. 12 Skinner, Lorenzetti (wie Anm. 7), 6, 56. Die Behandlung des Bürgerideals, des anderen von Skinner genannten Kernpunktes einer prähumanistischen Ideologie, präsentiert Tugenden und Werte, die in allen guten Staatsfonnen gefordert sind. Für die Frage nach einem spezifisch stadtbürgerlichen oder republikanischen Verständnis ist dieser Teil daher wenig aussagekräftig. 13 Als eigenständiger Diskurs zu kurz konunen das 'Corpus ruris Civilis' und die legistische Literatur, nicht behandelt werden das für die Theorie der unabhängigen Stadt so bedeutende 'Corpus Iuris Canonici' und die Arbeiten der Kanonisten, Dekretisten und Dekretalisten. 14 Zum Amt des Podesta, der im 12. Jahrhundert einmal ein vom Kaiser eingesetzter Offizial gewesen ist, vgl. Daniel Waley, Die italienischen Stadtstaaten, München 1969, 66-74. Zur Quellengattung der Podesta-Spiegel und zur Forschungsliteratur vgl. Enrico Artifoni, I podesta

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Auch als er um 1250 nur mehr ausführendes Organ des aus Bürgern der Stadt beste­henden obersten Ratsgremiums war - und in dieser Zeit und später wurden die meisten Podestaspiegel geschrieben -, hat dieser Amtsträger seinen Ehrenvorrang bei Feier­lichkeiten und Prozessionen behaupten können l5. Das ist für unser Thema nicht ganz unwichtig, denn in Zusammenhang mit dem Podesta und nicht mit dem obersten Magistrat der Stadt wurde in den genannten Texten der Typus der gerechten Herr­schaft demonstriert. In Metaphern und Bildern der Macht werden Protagonisten ab­strakter Ideen eben gern in altehrwürdige, längst abgelegte Kleider gezwängt. Das soll am 'Liber de regimine civitatum' des Johannes von Viterbo, eines Kronzeugen Skin-ners, gezeigt werdenl6. .

Im vierten, mit 'De interpretatione potestatis' überschriebenen Kapitel des wohl 1253 in Florenz entstandenen Werkes arbeitet der Autor I:x?wußt mit der Mehrdeutig­keit des Wortes potestas und gebraucht es abwechselnd für" "Gewalt" und "Gewaltträ­ger". Zitiert wird das 'Buch der Weisheit' 4,4, demzufolge omnis potestas a domino

deo sei, und auch das von jeder Obrigkeit gern beschworene Pauluswort aus dem Römerbrief - qui potestati resistit ordinationi dei resistit (Rm 13,2) - vergißt der Autor nicht heranzuziehen17

. Gruppiert man einmal die in diesem Kapitel bemühten acht Zitate nach ihrer Herkunft, so ergibt sich, daß vier der Bibel und die anderen vier dem 'Corpus Iuris Civilis' entnommen sind. In späteren Kapiteln zählt Johannes dann auf, welche Laster der Podesta zu meiden hat. Als Einleitung dazu dient die erneute Erin­nerung an die Würde seines Amtes. Das geschieht mit Belegen aus dem Korinther­brief, mit Berufung auf Cato, Seneca und Augustinus, vor allem aber mit Hilfe eines längeren Zitats aus dem 'Codex' Justinians. War in den voranstehenden Abschnitten auch ausdrücklich von Wahl und Gesetzesbindung des Amtsträgers die Rede, so scheint all das an dieser Stelle, an der es um die Veranschaulichung der Würde von Herrschaft geht, schlicht vergessen zu sein.

professionali e la fondazione retorica della politica comunale, in:' Quademi Storici 63 (1986), 687-719. In den Traktaten über das Regiment der Kommune konnte die persona giuridica 0

astratta des Gemeinwesens (also Herrschaft) am ehesten an der persona fisica des Podesta dargestellt werden, argumentiert bereits Albano Sorbelli, I teorici deI Reggimento comunale, in: Bullettino dell'Istituto Storico Italiano per il Medio Evo e Archivio Muratoriano 59 (1944), 31-136, hier 34. 15 In Florenz, wo die Signoria seit Ende des 13. Jahrhunderts unbestritten der oberste Magi­strat der Stadt war und die von auswärts berufenen hohen Arntsträger (unter ihnen der Podesta) schnell zu ausführenden Organen herabgesunken sind, behalten letztere im Prozessionswesen und bei repräsentativen Anlässen bis ins 15. Jahrhundert hinein einen Ehrenvorrang. Erst 1420 beschloß die Signoria, diese Arntsträger nicht mehr als ebenbürtig zu behandeln: Man verfügte, daß sie bei Sitzungen der politischen Gremien oder bei Auftritten der Signoria in der Loggia vor dem Palast in uno gradu inferiori Platz zu nehmen hätten (zit. nach Gene A. Brucker, The Civic World ofEarly Renaissance Florence, Princeton 1977,308, Anm. 284). 16 Johannes von Viterbo, Liber de regimine civitatum, hrsg. von Gaetano Salvemini, in: Bibliotheca iuridica medii aevi, hrsg. von Augusto Gaudenzi, Bd. m, Bologna 1914 (Ndr. Turin 1962),217-280. Abfassungszeit wohl 1253, vgl. Artifoni (wie Anm. 14), 712f. Anm. 26. Zur retrospektiven Dimension politischer Repräsentation vgl. Klaus Graf, in diesem Band. 17 Johannes von Viterbo (wie Anm. 16),219.

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So heißt das zentrale Argument des Kapitels, der Podesta müsse sich ähnlich wie der Kaiser (ad similitudinem Imperatoris) an die Gesetze gebunden fühlen, obwohl er es natürlich eigentlich nicht seilS. In der mittelalterlichen politischen Theorie ist dieses mit Lex digna betitelte, aus der Zeit der Kaiser Theodosius und Valentinian stammen­de und unter Justinian in den 'Codex' unter 1.14.4 aufgenommene Gesetz häufig im Zusammenhang mit den Formeln Princeps legibus solutus (Digesten 1.3.31) und Quod principi placuit legis habet vigorem (Digesten 1.4.1 und Institutionen 1.2.6) be­handelt worden. Es war Kernargument eines Monarchiediskurses, der die anerkannte Stellung des Monarchen über dem Gesetz durch dessen moralische Selbstbeschrän­kung und freiwillige Anerkennung bestehender leges zu konterkarieren trachtete I 9.

Zuschnitt und Zitatenschatz auch dieses Kapitels lassen wenig von Republikanismus ahnen. Johannes von Viterbos Ausführungen zum Amt des Richters, einem zentralen Bildthema in Rathäusern, bekräftigen das.

Zum Stab des Podesta, der mit ihm von Stadt zu Stadt zog, gehörten - neben No­taren, Dienern und Bewaffneten - auch Richter. Ihnen ist eines der längsten Kapitel im 'Liber de regimine civitatum' gewidmet. Auffallend ist zweierlei: Einmal gleichen die von den Richtern geforderten Eigenschaften denen, die vom Podesta erwartet wur­den. In vielen Sätzen könnte man iudex durch potestas ersetzen, häufig wird Herr­schaft und Gerichtsbarkeit in einem Atemzug genannt: Magnwn ergo vere est nomen

iudicis, nichilominus et magna potestas et magna iurisdictio20• Zum anderen: Bei eini­

gen der gebrauchten Metaphern - wie dem Vergleich mit dem Christuswort von den Aposteln, die dereinst über die zwölf Stämme Israels zu Gericht sitzen werden (Matth 19,28), oder dem in Rathaussälen häufig begegnenden Spruch Diligite iustitiam qui iudicatis terram

21 - tritt eher der die gottgewollte Ordnung garantierende, richtende

Herrscher vor das geistige Auge des Lesers als der einfache Richter im Gefolge des hohen Amtsträgers. Dieser Eindruck wird unterstützt durch die römisch-rechtliche Argumentation des Autors. Die Berufung auf die justinianischen Gesetzbücher sollte dabei nicht nur die herausgehobene Stellung des Herrschers in der Welt, sondern auch die religiöse Dimension seines Amtes unterstreichen. Erstaunlich, daß Johannes von Viterbo auch diesen Aspekt der mittelalterlichen politischen Theologie aufgreift. Wie Juristen, die über Kaiser und Reich schreiben, sieht er den Richter durch die Präsenz

18 Et ad similitudinem Imperatoris preses provincie sive potestas debet esse et se existimare legibus alligatum, etiamsi non esset. Nam !icet Imperator non sit legibus astrictus, digna tanJen vox est se velle profiteri esse legibus alligatum (Johannes von Viterbo [wie Anm. 16], 235b). 19 V gl. dazu Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990 (der Originaltitel "The King's Two Bodies" erschien 1957 in Princeton), 122ff. u.ö. Dieter Wyduckel, Princeps Legibus Solutus. Eine Untersuchung zur frühmodernen Rechts- und Staatslehre (Schriften zur Verfassungs geschichte 30), Berlin 1979,52,59,83,94,131. 20 Johannes von Viterbo (wie Anm. 16), 257. Oder: Sint ergo iudices, ut dictum est supra in potestatibus, presidibus et rectoribus civitatum, amatores veritatis; Vorbild dabei ist wieder einmal Kaiser Justinian, denn" veracium enim amatores sumus", dicit Imperator (ebd., Bezug: Nov.58 pr). Interessant ist, daß es in diesem Schreiben des römischen Kaisers um die Wahrheit des Glaubens geht. 21 . Ebd. Das Zitat der Matthäus-Stelle machte die hier behandelten iudices zu Mitrichtem Christi beim Jüngsten Gericht, siehe unten Anm. 42.

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Gottes geheiligt (Codex 3.1.14.2), erklärt ihn hinsichtlich der Menschen für einen Gott und ordnet ihn der religiösen Sphäre zu, weil er ein sacramentum, den Eid, handhabt und die Bibel auf dem Richtertisch liegen hat (Codex 2.58[59].2.8)22. Daß diese Worte ausgerechnet im Richterkapitel des Podestaspiegels zitiert werden, zeigt, daß nicht der subalterne iudex, sondern Gerichtsbarkeit als höchste Ausprägung von Herrschaft das eigentliche Thema ist.

Die Austauschbarkeit der Vorstellungen von Richter- und Herrscheramt, ihre Zugehörigkeit zum Komplex "Herrschaft", läßt sich durch den Metapherngebrauch in anderen Kapiteln erhärten. So wird einmal Gerechtigkeit (iustitia) als vinculum socie­tatis humane23 gefaßt und an anderer Stelle heißt es unter Berufung auf Seneca auch vom Podesta: "ipse est vinculum, per quod res pubblica civitatis coheret ,,24. Kurz und gut: Potestas und iudex, potestas und iurisdictio sind eng bei~inander1iegende, oft aus­tauschbare Termini. Potestas und iurisdictio konnten ,,Herrschaft" im hier verwende­ten Sinne vielfältig versinnbildlichen, die Interpretation der Begriffe orientierte sich am Konzept der Kaiser- bzw. Papstherrschaft, sie war römisch-rechtlich geprägt und theologisch fundiert25.

Es fällt schwer, den von Johannes von Viterbo gezeichneten Podesta und die von ihm oder seinen Richtern ausgeübte Gerichtsbarkeit mit Skinners prähumanistischer "vision of self-governing republicanism" in Einklang zu bringen. Zu klären ist in diesem Zusammenhang deshalb noch, welche Stellung dieser Amtsträger, dessen Herrschaft der des Kaisers nachgebildet ist, zum obersten Magistrat der Stadt, also zu der Instanz, die ihn auf Zeit einsetzt, hatte. An dieser Stelle sieht Skinner denn auch mit Recht einen Angelpunkt seiner Beweisführung. Er sagt, die Podestaspiegel und Traktate betrachteten den Podesta lediglich als Vorsitzenden der "executive councils". Bei diesen läge dann die "supreme authority,,26. Kronzeuge ist wieder Johannes von Viterbo. Zwar schreibt dieser tatsächlich, der Podesta solle halten, was der Rat be­schließt (et quod consilium decrevit, potestas observare tene~ur). Die genauere Lektü­re des Textes stützt allerdings die Auffassung, daß eine herrschende Signoria hier ei­nem weisungsgebunden Podesta Aufträge erteilt, nicht. Denn im Satz unmittelbar davor ist keine Rede vom obersten Rat, einem stets kleinen Gremium, sondern von consilium potestatis und consilium communis, also den mitgliederstarken, großen Ratsgremien des Podesm und der Kommune. Deren Funktion faßt Johannes darüber hinaus in eine vielsagende Metapher: cum sit consilium pars corporis sui: quoniam

22 Vgl. dazu Kantorowicz (wieAnm. 19), 134ff., hier 139. 23 Johannes von Viterbo (wie Anm. 16), 253f. 24 Ebd., 274a Seneca bezieht das selbstverständlich auf den Adressaten seiner Schrift 'De dementia', auf Kaiser Nero. Im Mittelalter wird der Glaube (jides) häufig mit der Metapher vinculum societatis beschrieben. 25 Das entspricht exakt dem Wortgebrauch mittelalterlicher Rechtsquellen. Iurisdictio war (neben potestas und imperium) der zentrale Begriff juristisch inspirierter Auffassungen vom Staat, er stand in der Regel für Herrschaft, man verstand darunter Gerichtshoheit, Amtsgewalt und Gesetzgebungsbefugnis eines autonomen politischen Verbandes gleichermaßen, vgl. Meier, Mensch und Bürger (wie Anm. 6), 137f. (Lit.). 26 Skinner, Lorenzetti (wie Anm. 7), 21, (er zitiert Johannes von Viterbo [Anm. 16],218, 221 und 260).

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potestas caput, illi vero membra sunt eius. Der Organismusvergleich, nicht Unterord­nung unter Ratsbeschlüsse, ist demnach der Schlüssel zum Verständnis der infrageste­henden Stelle: Weil die Ratsgremien Glieder seines Körpers sind, der Podesta als Haupt bei jeder Ratssitzung den Vorsitz führt und über die rechte Urteilsfindung wacht, kann er das Ergebnis getrost mittragen. Bekräftigt wird diese Lesart durch die anschließende Bemerkung, es sei zwar nicht geboten, gegen das gemeinsam Beschlos­sene zu handeln, aber immer dann, wenn es das Gemeinwohl (ex causa, id est si ad publicam utilitatem) erfordere, dürfe der Podesta davon abweichen und selbst ent­scheiden. Der Podesta besitzt also durchaus beachtliche Freiräume politischen Han­delns. Am Ende dieses Kapitel:; wird das vollends klar. Das consilium civitatis, heißt es dort, solle nicht häufig und wegen jeder Sache einberufen werden, sed tune tantum cum expedit vel est necessi7

• Herrschaft bedarf der Beratung und das gemeinsam Be­schlossene ist in der Regel bindend, mehr wird hier nicht gesagt.

Um das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten: Skinners Verdienst im Aufspü­ren bisher vernachlässigter Texte bleibt von unserer Kritik ebenso unberührt wie seine These vom nicht genügend berücksichtigten Gewicht der Ars-dictaminis Literatur bei der Interpretation von Themen der politischen Ikonographie28

• Auch ist in den Po­destaspiegeln tatsächlich die Rede von der Wahl des Amtsträgers durch die Kommune und davon, daß er an die Gesetze der Stadt gebunden ist. Skinner weist deshalb mit Recht auf Wahl und Gesetzesbindung als Elemente des Podestitbildes in der von ihm untersuchten Literatur hin. Ja, noch mehr: Seine Interpretation der strengen Bindung des Podesta an den Rat entspricht darüber hinaus der zeitgenössischen Verfassungs­wirklichkeit. So heißt es in den Statuten von Viterbo aus dem Jahre 1251 ausdrück­lich: ,,Der Podesta darf nicht gegen den Willen der Ratsversammlung handeln,,29. Und als der 'Liber de regimine civitatum' um 1253 in Florenz verfaßt worden ist, herrschte dort ein kleiner Rat popolarer Anzianen (,.Ältester"), dem der Podesta wie der Capita­no deI Popolo eindeutig und streng weisungsgebunden waren. Der von dieser Realität handelnde Podestaspiegel stellt das alles in Rechnung, er kennt allerdings auch andere Wirklichkeiten und arbeitet mit Metaphern, die Herrschaft nur im Glanz ihrer höch­sten Erscheinungsform, dem Imperium, zu versinnbildlichen in der Lage sind.

Die exemplarische Beschäftigung mit Johannes von Viterbo sollte aufzeigen, daß sich die von Skinner genannten 'republikanischen' Elemente im analysierten Quellen­text nicht zur Vision einer genuin republikanischen Verfassungsform verdichten. Denn wo begriffsgeschichtlich verwertbar von Herrschaft und Gerichtsbarkeit die Re­de ist, werden Wahl und Kontrolle schlicht vergessen und Metaphern aus dem römi­schen Recht, der Kaisertheorie oder der Bibel bemüht. Mittelalterliche Autoren haben dem autonomen Stadtstaat eben nur ausnahmsweise einen der Monarchie ebenbürti­gen Platz eingeräumt, und seine Selbstbestimmungs-, Selbstrekrutierungs- und Ge­setzgebungsrechte sind überaus selten zu Merkmalen einer eigenständigen Verfas-

27 Johannes von Viterbo (wie Anm. 16), 26l. 28 Vgl. auch Quentin Skinner, Machiavelli's Discorsi and the Pre-Humanist Origins of Republican Ideas, in: Machiavelli and Republicanism, hrsg. von Gisela Bock, Quentin Skinner und Maurizio Viroli (Ideas in Context 18), Cambridge 1990, 123-141. 29 Zit. nach Waley (wie Anm. 14),71.

354 Ulrich Meier

sungsform gemacht worden 30. In den Traktaten selbst scheint das Bewußtsein dieses Widerspruchs zwischen zeitgenössischer Verfassungswirklichkeit und politischer Theologie bisweilen durch. Im 'Oculus pastoralis', einem anonymen Podestaspiegel aus der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts, können wir erstaunt in einer Musterrede nach­lesen, was der alte Podesta seinem Amtsnachfolger Ermunterndes auf den Weg zu ge­ben hat. Er lobt, daß der poppulus benedictus dieser Stadt sich selbst aller Freiheit be­geben und sich ihm unterworfen habe als sei er ein dominus principalis. Die Bürger, führt er den Gedanken weiter aus, hätten ihn geehrt ut verum et perpetuum dominum und nicht bloß ut temporalem rectorem31

• Auch als im 14. Jahrhundert der Glanz des Amtes schon lange verblaßt, seine politische Bedeutung gering war, war die Präsenz des Podesta bei legislativen Akten erforderlich, um neuen Gesetzen Rechtskraft zu verleihen32

• Für Fragen der Ikonographie, die in Sachen ,,Herrschaft" sicher kaum 'fortschrittlicher' gewesen ist als die zeitgenössische politische und juristische Theorie, kann das nicht ohne Belang sein. Haben sich doch bildliche Darstellungen von Herr­schaft vermutlich eher an den verbreiteten Metaphern von iurisdictio und potestas als an pragmatischen Ausführungen über Wahl- und Kontrollverfahren orientiert.

Ikonographie der Herrschaft

Die bisherigen Ausführungen sollten den Blick frei machen für die Sprache der Bil­der. Allzuoft hat die Fixierung auf das Republikanismusproblem und die Einengung der Debatte auf den Bildzyklus im Palazzo Pubblico in Siena, dem weder in Deutsch­land noch in Italien Vergleichbares zur Seite gestellt werden kann, in die Irre ge-

30 Die von Skinner und anderen gern zitierte Stelle aus den ~livres dou Tresor' des Brunetto Latini (hrsg. von Francis J. Carmody, Berkeley, Los Angeles 1948, 211), derzufolge die si­gnourie des communes la tres millour sei, ist die wohl bekannteste Ausnahme von der Regel. Allerdings beschreibt auch dieser Autor ,,Herrschaft" durchaus'mit den hier behandelten Meta­phern. Der conseil wird genauso Glied des sire genannt wie bei Johannes von Viterbo; auch für Latini ist der Podesta letztlich nur dem Allgemeinwohl verpfliChtet und soll den Rat selten und allein bei wichtigen Angelegenheiten versammeln (Brunetto Latini, 408f. [IlI.87]). Randolph Stam, The Republican Regime of the Sala dei Nove in Siena, 1338-1340, in: Ders. und Loren Patridge, Arts of Power. Three Halls of State in Italy, 1300-1600, Berkeley u.aO. 1992,9-80, hier 40, der an dieser Stelle Skinners Latiniinterpretation unterstützt, hat kein weiteres Argu­ment beigebracht. Seine ebd. vorgebrachte These, Latini zufolge sei im Verleich zur Kommune die Monarchie "greatly inferior" (Bezug: Brunetto Latini, 392 [IlI.73]), ist so nicht haltbar. Die als Beleg angeführte Stelle ist lediglich ein empirischer Vergleich der Amtsführungen von hohen Herrschaftsträgem in italienischen und französischen Städten, Monarchie als solche nicht

. Zielscheibe der Kritik. Zur seltenen Verwendung des Sechsverfassungsschemas im Mittelalter vgl. Meier, Mensch und Bürger (wie Anm. 6) 213f.; ders., Gesellschaftlicher Wandel (wie Anm. 10), 174f. (Thesen zu den Ursachen dieses Phänomens). Vgl. auch Antony Black, Guilds and Civil Society in European Political Thought from the Twelfth Century to the Present, London 1984,82. Weitere Überlegungen unten Anm. 145. 31 Oculus pastoralis, pascens officia et continens radium dulcibus pomis suis, hrsg. von Dora Franceschi (Memorie dell'Accademia dell Scienze di Torino Ser. 4a, 11), Turin 1966. 32 Vgl. Meier, Mensch und Bürger (wie Anm. 6), 143.

Vom Mythos der Republik 355

führe3• Gerade in Deutschland fühlt man sich ständig verpflichtet, den mangelnden

Republikanismus an und in Rathäusern zu erklären34 oder ihn, was schwieriger ist, auf Umwegen doch noch zu entdecken. Das Plädoyer für einen vorsichtigen Umgang mit modernen Versuchen, politische Ikonographie aus der gelehrten Staatslehre der Zeit zu erklären, will natürlich nicht in Abrede stellen, daß beides aufeinander bezieh­bar ist. Nur sollte dabei die Interpretation von den Bildern und der inneren Logik der Programme ausgehen. Vorhandene Tituli, Sprüche oder Bildunterschriften, die in die­sem Genre häufig begegnen, können dabei die Vermittlung mit anderen Textsorten der Zeit erleichtern. Die Gefahr, in der Fülle der Beispiele, Themen und Interpretatio­nen, in der Masse der Bilder, Quellen- und Forschungstexte zu versinken, ist bei ei­nem solchen Unternehmen omnipräsent. Um der Fülle Herr zu werden, beginne ich mit der Rekonstruktion von drei wiederkehrenden Grundmustern bildlicher Darstel­lung von Herrschaft35

. Die Typenbildung wird jeweils an ausgewählten Beispielen plausibilisiert.

33 Grundlegend zur italienischen Rathausikonographie: Helene Wieruszowski, Art and the Commune in the Time of Dante, in: Speculum 19 (1944), 14-33. Wolfgang Braunfels, Mittelal­terliche Stadtbaukunst in der Toskana, Berlin 1988 (I. Aufl. 1953). Hans Belting, Das Bild als Text. Wandmalereien und literatur im Zeitalter Dantes, in: Belting/Blume (wie Anm. 9), 23-64. StarniPatridge (wie Anm. 30). TJwmas Szab6, Die Visualisierung städtischer Ordnung in den Kommunen Italiens, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1993, 55-68. Colin Cunningham, For the Honour and Beauty of the City: The Design of Town Halls, in: Society and Religion (wie Anm. 7), 29-53. Einführung in die Ikonographie deutscher Rathäuser bei Stephan Albrecht, Das Bremer Rathaus im Zeichen städtischer Selbstdarstellung vor dem 30-jährigen Krieg (Materialien zur Kunst- und Kulturgeschichte in Nord- und Westdeutschland 7), Marburg 1993, 33-51; Jürgen Paul, Rathaus und Markt. Das Rathaus, seine Bedeutung in der histori­schen Stadt, in: Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutschland 1150-1650, hrsg. von Cord Mecksepel), 4 Bde., StuttgartlBad Cannstatt 1985, hier Bd. 4, 89-118 (weitere Abbildungen ebd., Bd.J2, 922-948). Ein guter bebilderter Überblick bei Hartmut Boockmann, Die Stadt im ~päten Mittelalter, München 1986, 125-149. Zur frühen Neuzeit Bernd Roeck, Rathaus und Reichsstadt, in: Stadt und Repräsentation, hrsg. von Bernhard Kirch­gässner und Hans-Peter Becht (Stadt in der Geschichte 21), Sigmaringen 1995, 93-114; Thomas Fräschi, Rathäuser unqo Regierungspaläste, in: Zeichen der Freiheit. Das Bild der Republik in der Kunst des 16. bis 20. Jahrhunderts, hrsg. von Dario Gamhoni und Georg Germann unter Mitwirkung von Franrois de Capitani, Bem 1991, 11-28. 34 So weist Roeck (wie Anm. 33), l04f., mit Recht und mit anschaulichen Beispielen auf die Nähe von bürgerlicher und fürstlicher Architektur und Bildprogrammatik hin. Die "Ursache der meist ~o;;,unspezifisch-allegorischen Bilderwelt der Rathäuser" in Deutschland sieht er in der Nähe der städtischen Führungsgruppen zu den "adeligen Eliten des Reiches". In diesem Kontext ist nicht die Begründung, die sicher stimmt, von Interesse, sondern allein das Faktum, daß der Autor den Unterschied zur 'republikanischen' Bilderwelt italienischer Palazzi PubbJici eigens begründen zu müssen glaubt. 35 Die in der deutschen und italienischen Rathausikonographie immer wieder dargestellten Tugenden bleiben als eigenständiger Diskurs außer Betracht. Sie stehen quer zu der hier vorge­schlagenen Konzeptualisierung. "Gerechtigkeit" als Tugend gehört in den ersten Komplex, "Tapferkeit", "Mäßigung" und "Klugheit" sind eher dem nächsten zuzuordnen. lmrner geht es um Darstellungen der vier Kardinaltugenden, manchmal kombiniert mit den drei bzw. vier, the­ologischen Tugenden "Glaube", "Hoffnung", ,,Liebe" (',Demut"). In andern Fällen wird auch mit Untergruppen oder Manifestationen der Haupttugenden gearbeitet. So kann ,,Eintracht" im Bild Lorenzettis als Einzeltugend erscheinen, sie ist nach Macrobius eine Tochter der "Gerech-

356 Ulrich Meier

Welt- und Stadtgericht

Ein erster großer Komplex in Rathauslauben, in Ratsstuben und -sälen sind Weltge­richtsdarstellungen und Gerichtsszenen36. In ihnen wird sinnfällig, daß das Rathaus Ort des Gerichts war, daß richtige Ordnung der Stadt, Gerechtigkeit und Weltordnung eng zusammenhängen, Stadtgericht und Jüngstes Gericht zwei Erscheinungsformen derselben Sache sind. So zeigt das von Derick Baegert in den Jahre 1493/94 für das Weseier Rathaus gemalte Bild im Vordergrund Szenen vor einern Stadtgericht (Abb. 2). An der Wand hinter den Schöffen hängt deutlich erkennbar ein Bild, auf dem die Fürbitter Maria und Johannes vor dem Weltrichter Christus knien37. Die Mahnung, gerecht zu leben, die stets mit Weltgerichtsbildern verknüpft war, wird durch das Aufgreifen dieses Motivs in Rathäusern zuglei~h spezifisch geformt. Ermahnt werden sollen damit nicht nur der Delinquent, sondern- ebensosehr Richter und Schöffen. Das Jüngste Gericht droht ihnen sogar in besonderem Maße. Denn, so heißt es in der um die Mitte des 14. Jahrhunderts entstandenen Glosse zum Sächsischen Weichbildrecht, man solle in dem rathuse lazin malen daz ge,strenge gerichte unsers herren, damit Schöffen und Richter wüßten, daß Gott zur selben Stunde über sie zu Gericht sitzes. Ob Weltgerichtsbilder vor allem in Rathäusern deutschsprachiger Gebiete des mittelal­terlichen Europa verbreitet waren, wie behauptet worden ist39

, mag dahingestellt blei-

tigkeit". Anband ihre Attribute sind Tugenden leicht errnittelbar, die Analyse der Spruchbänder wäre ein eigenes Thema, vgl. Rosenwnd Tuve, Notes on the Virtues and Vices, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 26 (1963), 264-303, hier 267, 277ff., 290ff.; ebd. 27 (1964), 42-72. Grundlegend: Adolf Katzenellenhogen, Allegories of the Virtues and Vices in Mediaeval Art. From Early Christian Times to the Thirteenth Century, London 1939 (Ndr. Nendeln 1968). Der Tugenddiskurs ist zudem über die literatur zum'Buon Governo' in Siena gut erschließba;. 36 Übergreifend: Georg Troescher, Weltgerichtsbilder in Rathäusern und Gerichtsstätten, 10:

Wallraf-Richartz-Jahrbuch 11 (1939), 139-214. Wolfgang Schild, Gerechtigkeitsbilder, in: Recht und Gerechtigkeit im Spiegel der europäischen Kunst, hrsg. von Wolfgang Pleister und Wolf­gang Schild, Köln 1988,86-171. Samuel Y. Edgerton Jr., The Last Ju~gement as Pageant Set­ting for Communal Law and Order in Late Medieval Italy, m: Persons 10 Groups. SOClal Beha­vior as Identity Formation in Medieval and Renaissance Europe, hrsg. von Richard C. Trexler (Medieval and Renaissance Texts and Studies 36), Binghamton 1985, 79-100. Frugoni, Distar:t City (wie Anm. 8), 118-188. Peter Ferdinand Kopp, Schweizerische Ratsaltertümer. Beweglt­che Rathaus-Ausstattung von den AnHingen bis zum Untergang der alten Eidgenossenschaft, Teildruck der Diss. Zürich 1972, vgl. bes. 16ff. (leider ist der Abschnitt über die konkrete künst­lerische Ausgestaltung des Themas Gerechtigkeit noch ungedruckt und kann nur in der Zen­tralbibliothek eingesehen werden). Zum Zusammenhang von Rathausausstattung und Gerichts­barkeit vgl. auch die Beiträge von Ulrich Andermann, Uwe Heckert und Jörg Rogge in diesem Band. 37 Vgl. Rudolf His, Das WeseIer Gerichtsbild des Derick Baegert, in: Westfalen 22 (1937), 237-41. Weitere Rathausbilder, auf denen weltliches Gericht und Weltgericht zusammen auf­tauchen, bei Wolfgang Schild, Gott als Richter, in: Recht und Gerechtigkeit (wie Anm. 36), 45-85, hier 71ff. 38 Zit. nach Troescher (wie Anm. 36), 148. Noch Ulrich Tengler sagt ähnliches in seinem 1511 in Augsburg gedruckten 'Neü Layenspiegel', vgl. Kristin Eldyss Sorensen Zapalac, "In His hnage and likeness". Political Iconography and Religious Change in Regensburg, 1500-1600, lthacaJLondon 1990,29, 195. 39 So Troescher (wie Anm. 36), 154, 206ff.

Vom Mythos der Republik 357

ben. Sollte das der Fall sein, wären die Ursachen dafür zu diskutieren. Die Frage nach der Verbreitung dieses Motivs in einer bestimmten Stadt, beispielsweise in und an Kirchen oder in anderen, dem Rathaus vergleichbaren, 'öffentlichen' Gebäuden, muß dabei eine wichtige Rolle spielen. So findet sich in Florenz das Jüngste Gericht zwar nicht am Sitz der Stadtregierung, aber es war allgegenwärtig. Erinnert sei an das Kup­pelmosaik des Baptisteriums, der Taufkirche der Bürger, aus dem 13. Jahrhundert, an die Fresken des der Giotto-Schule zugeschriebenen, um 1340 entstandenen Bild- . programms der Kapelle des später so genannten Bargello - hier residierte zu der Zeit der Podesta und hier verbrachten die zum Tode Verurteilten ihre letzte Stunde - oder an die monumentalen Darstellungen in den Bettelordenskirchen Santa Croce und, sogar zweifach, Santa Maria Novella: Andrea Orcagnas Zyklus in der Capella Strozzi und der des Andrea di Firenze in der Spanischen Kapelle, beide um die Mitte dessel­ben Jahrhunderts gemalt4o. Noch eines muß in diesem Zusammenhang erwähnt ~er­den. Bilder, die Gerichtsbarkeit und Gerechtigkeit allgemein zum Thema haben, sind in italienischen Kommunepalästen natürlich genauso zu Hause wie in deutsclien Ratsstuben 41. .

Die Darstellung des Jüngsten Gerichtes unterlag zahlreichen Wandlungen und Akzentverschiebungen. Analog zur Entwicklung von Recht und Staatsbildung wurde Christus, der als Richter auf früheren Darstellungen und in Übereinstimmung mit der zeitgenössischen Rechtspraxis lediglich Leitungsfunktion im Prozeß innehatte, immer häufiger selbst "der aktive Herr des Gerichts, hinter den auch die nach Matth. 19,28 eingesetzten Apostel als (Mit-) Richter zurücktreten mußten,,42. Dieses Bild des Chri­stus als unbestechlichem, unbarmherzig urteilfällendem Weltrichter war es schließlich auch, das Luther so sehr in Angst und Schrecken versetzte. Sein religiöses Damaskus­erlebnis, daß Erlösung nicht von der gerechten Beurteilung der eigenen Taten am En­de der Zeiten abhing und Verdammung damit das Wahrscheinliche war, sondern Heil und Errettung bereits im festen Glauben und der vergebenden Gnade Gottes garantiert sei, blieb deshalb nicht ohne Folgen auf die Rathausikonographie. Das Weltgerichts­bild im Regensburger Rathaussaal, das noch 1536 auf einer Miniatur des städtischen Freiheitsbuches zu sehen ist, verschwand im Laufe des 16. Jahrhunderts. An exakt die selbe Stelle hängte der evangelisch gewordenen Rat im Jahre 1592 die allegorische Abbildung des 'Guten Regiments' von Isaac Schwendtner43. Ob das konfessionelle Argument in diesem Kontext verallgemeinerbar ist, gehört zu den spannenden Fragen der gegenwärtigen Diskussion44.

Damit ist das Thema "Weltgerichtsbilder und Rathausikonographie" aber noch keineswegs erschöpft. Erst kürzlich wurde mit Recht darauf hingewiesen, daß die Iko­nographie dieses Bildtyps die Sehweisen der Zeitgenossen so sehr geprägt hat, daß selbst der Sieneser Bildzyklus vom 'Buon Governo' noch dessen Logik folgt. So sitzt

40 Vgl. dazu das faszinierende Buch von Jtirome Baschet, Les justices de l'au-dela. Les representations de l'enfer en France et en Italie cxne-xve siede) (Bibliotbeque des froles Fran\=aises d' Athenes et de Rome 279). Rom 1993 (Register). 41 Vgl. Schild, Gerechtigkeitsbilder (wie Anm. 36),130-171. 42 Schild, Gott als Richter (wie Anm. 37),72. 43 Zapalac (wie Anm. 38), 26-91, hier bes. 29-31. 44 Vgl. dazu Roeck (wie Anm. 33), 112f., Abb. ebd., vor 97.

358 Ulrich Meier

die Herrschergestalt dort erhaben auf dem Thron wie die Majestas Domini im Jüng­sten Gericht, umringt anstelle der Apostel von den Tugenden. Und ähnlich der räum­lichen Verteilung der Seligen und der Verdammten beim Weltgericht, erscheinen, vom Herrscher aus gesehen, rechts die guten Bürger, verbunden durch das Band der Eintracht, und links die Übeltäter, gefesselt mit Stricken. Auch Giottos verloren ge­gangenes, von Vasari beschriebenes Fresko von der 'Comune rubato da molti' im großen Saal des Florentiner Podesta-Palastes (um 1325), in dem zu dieser Zeit noch der große Rat der Kommune tagte, soll diesem Bildaufbau gefolgt sein45

Ideen von Jurisdiktion und Gerechtigkeit waren in Rathäusern aber nicht nur in Gerichtsdarstellungen und Bildern vom Weltgericht präsent. Es gab zahlreiche Vari­anten einer Justitia-Ikonographie, die diese als allegorische Einze1figur mit Waage oder als Tugend unter Tugenden darstellte46

• Sonderfall in dieser Gruppe sind Bilder, auf denen Frieden und Gerechtigkeit g~meinsam zu sehen sind47

• Das geht auf den Psalmvers "Gerechtigkeit und Frieden haben sich geküßt" (Ps 84[85],11) zurück48

Relevant für die Gerichtsikonographie 'wurde der Topos durch eine Bernhard von Clairvaux zugeschriebene Predigt über diese Stelle. Darin wird ein Gerichtsprozeß ge­schildert, den vier Töchter Gottes um den in Sünde gefallenen Menschen führen. Veritas und Justitia plädieren für harte Strafen, Misericordia und Pax für Milde. Am Ende übernimmt Christus den Vorsitz, die Waage schlägt zugunsten der Barmherzig­keit aus und zum Zeichen der Versöhnung küssen sich die einstigen Kontrahenten Friede und Gerechtigkeit49

• Wenn, wie bei Paolo Veroneses Gemälde im Dogenpalast (1575-1578), beide Tugenden dann einer personifizierten Venetia ihre Attribute Waa­ge und Ölzweig zu Füßen legen, mag das für eine neue Staatsidee sprechen, die Frie­den und Recht zu garantieren auf ihre Fahnen geschrieben hat5o

45 So Edgerton (wie Anm. 36), 84, 86, 98. In seiner Monographie stellt ders., Pictures and Punishment. Art and Crimin~ Prosecution during the Florentine Renaissance, Ithaca und Lon­don, 1985, 21-58, den Sieneser Zyklus in einen größeren, vor allem auf Florenz konzentrierten Zusammenhang. Bereits Frugoni, Distant City (wie Anm. 8), hat bei der Besprechung der thronenden Herrschergestalt auf Parallelen zur Gestalt des senex in Daniels Traumgesicht (7.9) von den vier Weltreichen hingewiesen (ebd., 126f.) und darüber hinaus die Ähnlichkeit mit dem iustus iudex der Bibel und des Weltgerichts betont (ebd., 136f.). Vgl. auch Donato, Pittura politica (wie Anm. 10), 51Off. 46 Vgl. Schild, Gerechtigkeitsbilder (wie Anm. 36), 101-129. Die Darstellung der "Kommu­ne" knüpfte in der lkonographie italienischer Kommunen an Bilder der ,,Justitia" an, vgl. Do­nato, Pittura politica (wie Anm. 10),512. Zum Tugenddiskurs vgl. oben Anm. 35. 47 Abb. bei Schild, Gerechtigkeitsbilder (wie Anm. 36), 139ff. und 146f. (Venedig). 48 Zur Auslegungsgeschichte dieses Verses im Mittelalter vgl. Klaus Schreiner, "Gerechtig-keit und Frieden haben sich geküßt" (ps. 84, '11). Friedensstiftung durch symbolisches Handeln, in: Träger und Instrumentarien des Friedens im hohen und späten Mittelalter, hrsg. von Johan­nes Fried (Vorträge und Forschungen 53), Sigmaringen 1996. 49 Vgl. Schild, Gerechtigkeitsbilder (wie Anm. 36), 92-101. Zapalac (wie Anm. 38), 34f., 73. Das Motiv des Streites der vier Töchter Gottes um die Seele des Menschen wurde auch in spätmittelalterlichen Osterspielen und Mysteriendramen aufgegriffen, vgl. Konrad Burdach, Der Dichter des Ackermann aus Böhmen und seine Zeit (ders., Vom Mittelalter zur Reformati­on. Forschungen zur Geschichte der deutschen Bildung 3.2), Berlin 1926-1932, 238ff., 460ff. 50 Vgl. Wolfgang Wolters, Krieg und Frieden in den Bildern des Dogenpalastes, in: Krieg und Frieden im Horiwnt des Renaissancehumanismus, hrsg. von Franz losej Worstbrock (Mit-

Vom Mythos der Republik 359

Ein weiteres großes Feld sind gemalte Exempla des gerechten Richters. Der zunächst relativ begrenzte Beispielschatz - vor allen anderen das Urteil König Salomons51

-

weitete sich in Spätmittelalter und Renaissance explosionsartig aus. Hinzu kamen bei­spielsweise: Die Darstellung der Geschichte des Herkinbald, der seinen vor der Abur­teilung geflohenen Schwestersohn eigenhändig erstach, um der Gerechtigkeit genüge zu tun. Man findet oder fand es in den Rathäusern von Brüssel (1432-45), Köln (1507110), Basel (1514), Nürnberg (1521) und Bern (1536). Verbreitet war auch die Historie des Kaisers Trajan, der einer Witwe, deren Sohn unschuldig hingerichtet worden war, Recht verschaffte, indem er ihr - wie eine Variante will - den eigenen Sohn als den wirklichen Übeltäter übergab. In einer anderen Spielart wurde der ausge­lieferte Sohn am Ende zum Gatten der Witwe. Dieses Motiv ist oder war abgebildet in und an Rathäusern von Köln (um 1349/63 [?] und 1507110), Venedig (na~h 1423), Brüssel (1432-45), Bern (1485/90), Nürnberg (1521), Ulm (um 1540), Basel (1. Hälfte 16. Jahrhundert), Regensburg (um 1573) und Brescia (vor 1591)52. Trajan kann auch allein, als Typus des gerechten Kaisers, erscheinen53

. .

teilung XIlI der Kommission fiir Humanismusforschung), Weinheim 1986, 139-161, hier 153f. Vgl. auch Schild, Gerechtigkeitsbilder (wie Anm. 36), 148 (Abb. Nr. 230). Hans Hattenhauer, Pax et iustitia, Hamburg 1983, sieht unter Friedrich n. eine "Ietzte Blüte der Formel [pax et iu­stitia, U.M.] als Ausdruck des modemen Staatsverständnisses" (ebd., 47). Sie sei in den kaiser­lichen Constitutionen und der weltlichen Herrschaftstheorie dann von der pax et concordia For­mel abgelöst worden und nur noch als diffuser "Ausdruck der Reform- und Friedenssehnsucht" verwendet worden (ebd., 43). Für die lkonographie und in den geistlichen Spielen ist diese Pe­riodisierung allerdings unzutreffend, hier erlebt dieses Begriffspaar erst in Spätmittelalter und früher Neuzeit seinen Höhepunkt. 51 ,,Das Salomonische Urteil ist das in Rathäusern am häufigsten nachgewiesene Gerechtig­keitsbild überhaupt" (Matthias Mende, Das alte Nürnberger Rathaus. Baugeschichte und Aus­stattung des großen Saales und der Ratsstube, Bd. L Nümberg 1979,416, mit den entsprechen-den Belegen). . 52 Beide genannten und folgende Exempla werden ausführlich nacherzählt bei Schild, Ge­rechtigkeitsbilder (wie Anm. 36), 156ff. Der Christenverfolger Trajan wurde in die -Exempla­Welt des Mittelalters eingebunden durch die Legende von Papst Gregor dem Großen, der, als er über das Forum des Trajan ging, an die gerechte Behandlung der Witwe erinnert wurde und Gott inständig um Vergebung fiir den Irrglauben dieses gerechten Kaisers bat. Nachdem Gott das widerstrebend gewährt hatte, öffnete Gregor Trajans Grab und fand seine Zunge, die nie un­recht urteilte, unversehrt im zerfallenen Leib. Zu Herkinbald- und Trajansdarstellungen grund­legend: Anna Maria Cetto, Der Bemer Traian- und Herkinbald-Teppich, Bem 1966, zu Köln: 64-72, Nachweise zu einzelnen Städten: 173-193. Die Vermutung, in der "Goldenen Kammer", der Kammer der Kölner Schöffen also, hätten Trajansbilder gehangen, bekräftigt jetzt auch Johannes Helmrath, Sitz und Geschichte. Köln im Rangstreit mit Aachen auf den Reichstagen des 15. Jahrhunderts, in: Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Fest­schrift fiir Odilo Engels zum 65. Geburtstag, hrsg. von Hanna Vollrath und Stejan Weirifurter, Köln! Weimar/ Wien 1993,719-60, hier 741ff. Die "wohl frühste Monumentaldarstellung der TrajanJGregor Legende" befand sich ebenfalls im Körner Rathaus, und zwar in den um 1360nO entstandenen Fresken des Hansasaales (ebd., 739), von dem wir weiter unten noch des öfteren reden werden. 53 So ist mit der Kaiserfigur im Freskenzyklus des Palastes des Sieneser Statthalters von Ascanio, einer kleinen Stadt bei Siena, aus den Jahren 1350-1375 wohl auch Trajan gemeint, vgl. Donato, Aristoteles (wie Anm. 9), 110. Zur Einreihung Trajans unter die viri illustres vgl. unten, Anm. 66; zu Trajan in Köln unten, Anm. 115 und 116.

360 Ulrich Meier

Hatten diese Beispiele die strikte Rechtsdurchsetzung auch und vor allem gegen die ei­genen Familieninteressen zum Thema, so gibt es eine weitere Gruppe von Motiven, die dem Richter noch mehr abverlangten. Im 'Urteil des Kambyses' mußte Otanes auf einem Stuhl zu Gericht sitzen, dessen Leder die Haut seines korrupten Vaters und Vorgängers Sisamnes war. Abbildungen waren in den Rathäusern von Brüssel (das bekannte Bild von Gerard David aus dem Jahre 1498), Hoorn (nach 1513) und an der Westfassade des Nürnberger Ratssaales (1521) zu sehen54

• Ein anderes Richterexem­pel handelt von Zaleukus, der·auf der Blendung seines beim Ehebruch ertappten Soh­nes bestand, aber auf massiven sozialen Druck hin den seiner Meinung nach viel zu milden Kompromiß akzeptieren mußte, daß Vater und Sohn je ein Auge ausgestochen wurde55

• Im Entwurf für den Saal des Großen Rates in Basel (um 1525) griff Hans Holbein der Jüngere die Geschichte des Charondas auf, der - weil er vergaß, das Schwert bei einer Volksversalnmlung abzulegen - gegen ein eigenes Gesetz verstieß und sich deshalb das Leben nahm56

. Die Adressaten dieser Herodot, Valerius Maxi­mus und anderen antiken Schriftstellern entnommenen Exempel57 waren deutlicher noch als bei den WeltgerichtSbildern die Ratsherren bzw. Richter. Der Appell an ihre Unparteilichkeit liegt auf der Hand. Ob die Wahl dieser drastischen Szenen für den Rathausschmuck allein mit dem Siegeszug des Humanismus oder ebenso mit Staats­bildungs-, Disziplinierungs- oder Verrechtlichungsprozessen zusammenhängt, wird gesondert zu diskutieren sein; aber eines ist klar: Ähnlich wie Bilder vom Jüngsten Gericht, Justitiadarstellungen oder Gerichtsszenen spiegeln sie auf keinen Fall spezi­fisch stadtbürgerliche oder ga: republikanische Ideale.

54 Vgl. Hugo van der Velden, Cambyses for Example. The Origins and Function of an ex­emplum iustitiae in Netherlandish Art of the Fifteenth, Sixteenth and Seventeenth Centuries, in: Simiolus 23 (1995), 5-39 (zur ikonographischen Verbreitung 18f.); ders., Cambyses Reconside­red: Gerard David's exemplum iustitiae for Bruges Town Hall, in: ebd., 40-63. Mende (wie Anm. 51), 417f. (Nümbergund weitere Verbreitung). 55 Vgl. Schild, Gerechtigkeitsbilder (wie Anm. 36), 162f. Van der Velden, Origins (wie Anm. 54),12. Mende (wie Anm. 51), 415f. (Nümberg, Basel, Venedig und Literatur zum weite­ren Vorkommen in Rathausausstattungen). 56 Vgl. Gert Kreytenberg, Hans Holbein d.J. - Die Wandgemälde im Basler Ratsaa!, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 24 (1970), 77-100, hier 86f. Hier befand sich außerdem Holbeins'Blendung des Zaleucus'. Vgl. den von Christian Müller zu­sammengestellten Katalogteil 'Holbein und der Basler Großratssaal' , in: Zeichen der Freiheit (wie Anm. 33),151-169. 57 Zur literarischen Überlieferung aller drei Geschichten im Mittelalter vgl. Van der Velden, Origins (wie Anm. 54), 11ff. (genannt werden das 'Speculum historiale' des Vincent von Beau­vais, die um 1275 in Frankreich entstandene 'Tabula exemplorum secundum ordinem alphabe­ti', der um 1325 in Italien von Jacobus de Cessolis verfaßte, bereits 1337 ins Deutsche übertra­genen 'Ludus scaccorum' und die von den genannten Werken abhängigen Schriften).

Vom Mythos der Republik

Rat und Tat

361

Der zweite große Komplex der Rathausikonographie, dem wir uns nun zuwenden, ist in weit höherem Maße als der erste Konstrukt, ein Konstrukt allerdings, das durchaus sein fundamentum in re hat. Das noch heute sprichwörtliche 'mit Rat und Tat helfen' taugt vielleicht wie kaum ein anderes geflügeltes Wort zur Charakterisierung des Verhältnisses von Individuum und Gemeinschaft in vormoderner Zeit. Im lehnswe­sen bezeichnet das entsprechende auxilium et consilium die Pflicht des Vasallen ge­genüber dem Herrn, und in der Stadtgesellschaft steht der Gewährung von Rechts­schutz die Pflicht des Bürgers gegenüber, der Korporation gehors~ und treu zu sein, und neben der Steuer- vor allem der Wehrpflicht zu genügen. Die Verteidigung der Stadt in eigener Verantwortung, das Bewußtsein ein "auf Selbst,tusrüstung gestellter Krieger" (Otto Brunner) und im Besitz mehr oder weniger repräSentativer Waffen zu sein, hat das Selbstverständnis mittelalterlicher Bürger vermutlich nachhaltiger ge­prägt, als das deren oft mangelnde Kriegspraxis oder eine häufig anzutreffende Wehrmüdigkeit glauben machen. Das "Raten", das andere Elemeht des Sprichwortes, hatte sich in der Kommune zu einer eigenen Institution entwickelt, aus einem Aus­schuß der verschworenen Bürger oder deren Vertretung gegenüber dem Stadtherrn war schon bald Obrigkeit geworden. Dennoch: Die anderen Bürger waren nicht allein zu finanzieller Hilfe und militärischer Tat verpflichtet, ihr Rat mußte, darin stimmten städtische Statuten und gelehrte Rechtstheorie überein, in bestimmten Fällen - bei Kriegserklärungen, neuen Steuern und Statutenänderungen - eigens eingeholt werden. Das, was alle angeht, sollte eben idealiter auch von allen beraten werden58

.

Herrschaft im Verständnis der Zeit war demnach auf den mehr oder weniger ausdrücklichen Konsens und die tätige Unterstützung bestimmter privilegierter Grup­pen - seien es Fürsten, Adlige oder Bürger - angewiesen. Theoretische Dignität erlang­te die duale Grundstruktur des Dienstes am Gemeinwesen mit der Anwendung von Theoremen der antiken Staatslehre auf diesen Sachverhalt. Komplexere Bildpro­gramme arbeiteten in Italien seit dem 14. Jahrhundert in Anlehnung vermutlich an Cicero mit der Unterscheidung von Tugenden und Personen nach folgendem Muster: Wie arma und toga zwei Kleider sind, in denen ein Bürger dem Vaterland auf unter­schiedliche Weise dient, gibt es Exempel, die den guten Rat, und solche, die die gute Tat zeigen59

• Eine Darstellungsweise, die, weitgehend unbemerkt von der Kunstge-

58 Vgl. Ulrich Meier/Klaus Schreiner, Regimen civitatis. Zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Ordnung in alteuropäischen Stadtgesel!schaften, in: Stadtregiment und Bürgerfrei­heit, hrsg. von dens. (Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte 7), Göttin­gen 1994, 11-34. Die beiden Formen des Ratens sind allerdings kein spezifisch städtisches Phänomen, sie entsprechen dem, was Gerd Altlwff, Verwandte, Freunde und Getreue. Zum politischen Stellenwert der Gruppenbindungen im früheren Mittelalter, Darmstadt 1990, 191f., als allgemeines "Charakteristikum mittelalterlicher Beratung" herausgearbeitet hat: Die vertrau­te Beratung im kleinen Kreis und, häufig im Anschluß daran, die "die offiziell-repräsentative Meinungsäußerung" vor Hoftag oder Stammesversammlung. In der Stadt nimmt diese Grund­struktur dann allerdings eine neue, 'konstitutionellere' Qualität an. 59 Vgl. Maria Monica Donato, Gli eroi romani tra storia ed "exemplum". I primi eicli uma­nistici di Uomini Famosi, in: Memoria dell'antico nell'arte italiana, hrsg. von Salvatore Settis,

362 Ulrich Meier

schichte, auch in anderen Teilen des Reiches zu finden ist. Dabei wird die Verbreitung mehr auf gemeinsamen Auffassungen von konsensgestützter Herrschaft als aufbewuß­ter Anlehnung an die Antike oder Italien beruhen.

Der geschilderte Dualismus findet sich in zahlreichen Bildprogrammen wieder. Fangen wir mit der Toga an. Die Gruppe der Ratgeber ist zunächst überwiegend durch biblische Gestalten vertreten. Sehr beliebt waren Propheten, mit oder ohne Spruch­band, gemalt, geschnitzt und in Stein gehauen. Außerhalb kirchlicher Architektur tauchten Prophetenfresken nördlich der Alpen zum ersten Mal um 1370 an der Nord­wand des Hansasaales im Kölner Rathauses auto. Die Rangerhöhung des profanen Gebäudes ist evident. 1406, zehn Jahre nach der Etablierung des Gaffelrates, wurde der Bau des repräsentativen Rathaustunnes und mit ihm eine neue Ratskammer be­gonnen. Für den Vorraum gab der Rat wiederum acht Prophetenfiguren, diesmal aus Eichenholz geschnitzte Statuen, in Auftrag. Daher der Name ,,Prophetenkammer". Die biblischen Gestalten im Kölner Rathaus dienten weniger als Zeugen des Alten und Künder des Neuen Bundes, sie waren vor allem Mahner der Gerechtigkeit und Rater zu rechter Ordnung. Eine kurz nach 1500 verfaßte Abschrift der Spruchbänder überliefert die Texte der Fresken und der Statuen in der Prophetenkammer. Zunächst zu letzterem.

Neben Ermahnungen zur Furcht der und Erinnerung an die Gerechtigkeit Gottes stehen Sprüche, die fordern, bedächtig Beratenes schnell in die Tat umzusetzen, die utilitas publica stets dem Eigennutz vorzuziehen und Verschwiegenheit in Amtssa­chen zu wahren. Ein weiterer Spruch verheißt, daß die, die für das Gemeinwesen (pro

re publica) fallen, ewig leben61 . Prophetenbilder hatten viele mittelalterliche Rathäu­ser aufzuweisen62, ihre Aufgabe als Lehrer von Recht und Ordnung teilten sie dabei häufig mit antiken Philosophen und Dichtern. Unter den verlorengegangenen Fresken

Bd. 2, Turin 1985, 97-152, ·hier 138ff.; dies, Famosi Cives: testi, frammenti e cieli perduti a Firenze fra Tre e Quattrocento, in: Richerca di Storia dell'arte 30 (1987), 2742, hier 29f., 33f. Susan Tipton, Tugendspiegel einer christlichen Obrigkeit: Die FassadendekoratiOll des Ulmer Rathauses, in: Ulm und Oberschwaben 47/48 (1991), 72-118, hier 91, spricht bei der Analyse der Nordfassade (1540) von ger Unterscheidung der Figuren nach den Tätigkeitsfeldern anna et leges. Würde sie, wie ihre umfangreichen Exkurse zum 'Deutsch Cicero' naheIegten, mit den Kategorien anna und toga arbeiten, könnte sie die Nordfassade mit der Stirnseite des Rathau­ses, gezeigt werden dort die "Tugenden der städtischen Amtsträger in Krieg und Frieden", in einern einzigen Schema unterbringen. 60 VgI. Eduard Trier, Die Propheten-Figuren des Kölner Rathauses, Teil I und II, in: Wall­raf-Richartz-lahrbuch 15 (1953), 79-102 (besonders die Statuen von 1407-1414), und 19 (1957),· 193-224 (vor allem die Fresken). Die Datierung ist umstritten, vgI. Fried Mühlberg, Der Han­sasaaI des Kö1ner Rathauses, in: ebd. 36 (1974), 65-98, hier 88ff., der eine Datierung vor der lahrhundertmitte erwägt. Abb. auch in: Der Name der Freiheit, 1288-1988. Aspekte Kölner Geschichte von Worringen bis heute, hrsg. von Werner Schäjke, Köln 1988, 411ff. 61 VgI. Trier II (wie Anm. 60), 203-208. Ob seine These von der 'Politisierung' der Prophe­tensprüche im Gefolge der im Verbundbrief von 1396 niedergelegten neuen Zunftverfassung zutrifft, bedürfte der Überprüfung (ebd., 210f.). 62 Ebd., 212ff., besprochen: Brügge, Brüssel, Bremen, Lübeck und Erfurt, Basel, Goslar, der "Schönen Brunnen" in Nümberg und der Altstadtbrunnen in Braunschweig. VgI. Albrecht (wie Anm. 33), 37-41, 45-50 (vgl. ebd. 49 die Sprüche der Prophetenbank des Bremer Ratsgestühls). V gI. auch die Aufsätze von Heckert und Rogge in diesem Band.

Vom Mythos der Republik 363

des Hansasaales müssen, folgt man der 'Koelhoffschen Chronik' von 1499, auch naturliehe meistere, also alte Philosophen und Dichter gewesen sein. So überliefern die Spruchaufzeichnungen denn auch einen Satz des Cato Uticensis, demzufolge er lieber sterben als die Ehre der Stadt schmälern wolle, und Spruchbänder, deren Er­kenntisse ausdrücklich die Namen ihrer Verfasser nennen: Vergil und Horaz, Aristote­les, Lucan und Seneca63

.

Die Zuweisung einzelner Leitsätze zu bestimmten Philosophen und Propheten schwankte insgesamt stark, ja, beide Gruppen waren bisweilen austauschbar. Die spät­mittelalterlichen Propheten am Bremer Rathaus wurden beispielsweise mit Hilfe von Spruchbändern in der frühen Neuzeit kurzerhand zu Philosophen umfunktioniert64

Aber nicht nur Philosophen verdrängten bisweilen die Propheten: Im Bildzyklus der Lüneburger Gerichtslaube aus dem Jahre 1529 fehlen beide Gt;uppen. Stattdessen sieht man "vier Paare kostbar gekleideter Bürger mit allgemeinen richterlichen Mahnsprü­chen,,65. Nicht nur die bei Prophetengruppen gängige Zahl Acht, auch deren Funktion wurde hier von Bürgern übernommen. Mit naheliegenden· Säkularisierungsthesen sollte man trotz dieses erstaunlichen Befundes allerdings vorsichtig sein.

Eine extensive Ausweitung des Kreises der Lehrer und Ratgeber fand im Italien des Trecento statt. Ausgangspunkt ist Petrarcas Werk, insbesondere sein 'De viris illustribus', das zum ersten Mal im fürstlichen Padua in Bildzyklen mit antiken Hel­den von Romulus bis zu Trajan umgesetzt worden ist66. In Florenz wurden diese Vor­gaben schließlich weiter ausgestaltet. Filippo Villani schrieb 1381/82 sein Werk 'De origine civitatis Florentiae et eiusdem famosis civibus' und Coluccio Salutati, Huma­nist und Kanzler der Stadt, entwarf zur selben Zeit die Epigramme zum Bildzyklus berühmter Männer für die Aula Minor des Kommunepalastes67

• Den hervorragenden Platz in diesem verlorengegangenen Bildprograrnm nimmt. vermutlich Brutus, der erste Konsul Roms nach der Vertreibung der Könige, ein68, die Gestalt des uns schon

63 Trier 1I (wie Anm. 60), 196 (Koelhoft) und 221-24. 64 VgI. Albrecht, (wie Anm. 33), 37f. 65 Wolfgang Pjeijfer, Zu den Wand- und Deckenbildern der Lüneburger Gerichtslaube, in: Lüneburger Blätter 11/12 (1961),13-29, hier 27. 66 VgI. Donata, Eroi romani (wie Anm. 59), 117f. Annegrit Schmitt, Zur Wiederbelebung der Antike im Trecento. Petrarcas Rom-Idee in ihrer Wirkung auf die Paduaner Malerei, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen fustitutes in Florenz 18 (1974), 167-218. 67 VgI. Nicolai Rubinstein, CIassical Themes in the Decoration of the Palazzo Vecchio in Florence, in: Journal of the Warburg and Courtauld fustitutes 50 (1987), 2943. Donata, Eroi romani (wie Anm. 59), 133ff. Dies, Farnosi Cives (wie Anm. 59), 32f. Die Epigramme sind ediert bei Teresa Hankey, Salutati's Epigrams for the Palazzo Vecchio at Florence, in: Journal of the Warburg and Courtauld fustitutes 22 (1951), 363ff. 68 So die Rekonstruktion von Donato, Eroi romani (wie Anm. 59), 135. Brutus kannten viele Florentiner schon als Richter im Fresko des Zunfthauses der Arte deIIa Lana aus der Mitte des Jahrhunderts, vgI. Germaid Ruck, Brutus als Modell des guten Richters. Bild und Rhetorik in einem Florentiner Zunftgebäude, in: BeltinglBlume (wie Anm. 9), 115-131. Brutus erscheint auch auf einem Glasgemälde des Emdener Rathauses aus dem 16. Jahrhundert mit dem Spruch, daß utilitas die Mutter von Gerechtigkeit und Billigkeit sei, vgl. Trier TI (wie Anm. 60), 204f.; ebd. zum Zusammenhang dieses Bildes mit dem überlieferten Spruch aus dem Kölner Han­sasaal utilitas publica private est semper preferenda und ähnlichen Sätzen in andern Rathäu­sern. Zu weiteren Brutus-Abbildungen vgl. Salamone Morpurga, Bruto, "il buon giudice",

364 Ulrich Meier

aus dem Kölner Hansasaal bekannten Cato Uticensis taucht ebenso auf Wie der Philo­soph Cicero.

Vor einer einseitig republikanischen Interpretation warnt allerdings die Nen­nung von Ninus, Alexander, Caesar, Augustus und von Karl dem Großen, der Florenz von den ,,lombardischen Tyrannen" - wohl auch eine Anspielung auf die aktuelle Bedrohung durch den Mailänder Visconti - befreit habe69

• Was das Bildprogramm dennoch in spezifischer Weise mit der städtischen Tradition verknüpft, ist die Auf­nahme der eigenen, der Florentiner Dichter Dante, Petrarca, Zanobi da Strada und Boccaccio in den Kreis der illustren Gestalten. Hier bekommt städtische Erinnerungs­kultur einen gedämpft 'bürgerlichen Klang'. Patriotischer Stolz war es dann auch, der einen Filippo Villani oder Salutati in der nicht ganz unbescheidenen Meinung stärkte, in Dante, Petraca und Boccaccio übertreffe Florenz selbst Rom70.

Wir kommen vom Leitmotiv ,,Rat" nun zu "Tat", von der Toga zu den Waffen. Und ging es im letzten Abschnitt auch darum, die Aufnahme der in der eigenen Stadt geborenen Dichter in die Gruppe der Propheten und Kirchenväter, der antiken Dichter und Philosophen zu zeigen; so sind unversehens bereits jene Exempla aufgetaucht, um die es im folgenden geht: Die Helden und HeIdinnen, die Kaiser, Könige, Feldherren und Bürger, die ihr Leben im Kampf für das Gemeinwesen eingesetzt haben. Auch hier können wir mit dem Kölner Hansasaal beginnen. Propheten und Philosophen, die pro patria mori von den Bürgern forderten, waren dort ja bereits begegnet. Für die Tat selbst allerdings, so meine These, standen im Kölner Zyklus weder Bürger noch Pro­pheten, weder Philosophen noch klassische Dichter, sondern Personen hochadligen Geblüts: die Neun Guten Helden an der Südwand des Saales (Abb. 3). Bildlich werden sie wie üblich in Triaden gegliedert: Die Heiden Hektor, Alexander und Caesar, die Juden Josua, König David und Judas Makkabaeus, sowie die Christen Karl der Große Artus und Gottfried von Bouillon. Eine Dreiteilung der Geschichte liefern die Triade~ gleich mit71

• •

Mit diesen ,,Neun Guten Helden aus Tuffstein, von denen jeder mit Wehr und Waffen seinen Platz in einem Tabernakel behauptet"n, hatte die kunstgeschichtliche

Forschung stets ihre liebe Not. Das Motiv stammt aus der 1312/13 in Frankreich

nell'Udienza deli' Arte della Lana in Firenze, in: Miscellanea di storia dell'arte in onore di 19ino Benvenuto Supino, Florenz 1933, 141-163, hier 150ff., 159. 69 Donato, Eroi romani (wie Anm. 59), 136, hat denn auch mit Recht geltend gemacht, daß hier nicht nur Einflüsse der transalpinen Triaden der neuf preux vermutet werden können, sondem daß das heilsgeschichtliche Schema der vier Weltreiche fast vollständig präsent ist. 70 Donato, Eroi romani (wie Anm. 59), 146f. 71 Mühlberg (wie Anm. 60), 84ff., bezweifelt die von Hans Vogts mehrfach begründete Datierung der Figuren um 1360 und plaziert sie selbst auf etwa 1330. Vogts' Argument, daß den Gestalten bewußt ein altertümlicher Charakter beigegeben worden ist, um ihre Würde zu steigern, akzeptiert er aus kunsthistorischen Erwägungen nicht, er schwächt es zudem noch mit der Bemerkung, Vogts selbst sei "romantischem Denken verfallen" (ebd. 84f., Zitat: 97, Anm. 98). Der Beitrag von Klaus Graf in diesem Band könnte dazu anregen, dem Argument des gescholtenen Vogt mehr Gewicht zu verleihen. Abbildung in: Name der Freiheit (wie Anm. 60), 338f. (mit einer etwas kühnen Frühdatierung um 1320 und ohne Kommentar in den Texten dieses Abschnitts 'Freiheit nur für Bürger', in den es offensichtlich nicht so recht paßte). 72 Mühlberg (wie Anm. 60), 72.

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entstandenen höfischen Alexanderromanze des Jacques de Lo~guyon73. Was hatten diese Könige und Helden in Rathäusern, also unter Stadtbürgern, zu suchen? Ihr Auf­treten in Köln, in den Glasfenstern der Lüneburger Gerichtslaube (1420f4

, im Figu­renschmuck des "Schönen Brunnens" von Nürnberg (1385-1396)75 oder am Altstadt­brunnen in Braunschweig (1408) veranlaßte Kunsthistoriker und Literaturgeschichtler zu rigoroser Kontextualisierung. Sie wurden zum "Vorbild des Bürgers, der nach Gesetz und Recht in einer grossen Stadt sein Leben zu gestalten hat", oder zu ,,Assi­stenzfiguren des Gerichts" umstilisiert und damit gleichsam entwaff'nee6

• Auf solche Begriffsakrobatik kann getrost verzichtet werden. Die Helden standen fiir ihre Waffen­taten, Waffen trugen auch Bürger. Warum sollten diese nicht auf die besten der ver­fiigbaren Vorbilder zurückgreifen, auf Romanfiguren wie König Artus und Kaiser Karl, von denen sie nachweislich gern lasen? Die Präsenz der genannten Gestalten im Bewußtsein der Städter erhellt schlaglichtartig folgende Episode aus der Reichsstadt Metz. Beim zentralen Fest der Kommune, das die Legende der Ursprünge der Stadt feierte, nahmen die Notabien im Jahre 1511 an prominenter Stelle am Umzug teil, verkleidet als ,David, Hektor, Julius Caesar, Alexander der Große, Karl der Große und Gottfried von Bouillon,,77.

.., 73 Vgl. Robert L Wyss, Die neun Helden. Eine ikonographische Studie, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 17 (1957), 73-106. Horst Schroeder Der Topos der Nine Worthies in Literatur und bildender Kunst, Göttingen 1971, 41ff. ' 74 Ebd.,107f. 75 Ebd., 162ff. Vgl. auch Wyss (wie Anm. 73), 87f. Vgl. die ausgezeichnete Studie von Hubert Herko~r, Heilsgeschichtliches Programm und Tugendlehre. Ein Beitrag zur Kultur­und Gelste.sgeschlchte der Stadt Nümberg am Beispiel des Schönen Brunnens und des Tugend­b~'lmnens, m: Mitteilungen des Verems für Geschichte der Stadt Nürnberg 63 (1976), 192-216, hler202f. • 76 Wyss (wie Anm. 73), 87. Das Argument für die Lüneburger Glasfenster läuft so: Die lateinischen Distichen zu Füßen der Figuren berichten von ihren Heldentaten. ,,Da uns die Texte nichts Neues bieten", lenkt der Aut~r den Blick auf die Schriftbänder von vier kleinen Halbfigu­ren uber den Helden. Deren Texte nchteten Sich, das ist unbestreitbar, direkt an die Richter. Der Weg ist nun frei, die Helden sind Bürger geworden: "hn weiteren Sinne ·wären diese Texte etwa noch so zu verstehen, dass die Helden selbst an der Gerichtsverhandlung teilnehmen, sei es nun als Beisitzer, als überwachende Instanz der Richter oder womöglich noch als Richter selbst. Was m Köln nur mit Hilfe der Propheten richtig zu verstehen war, nämlich das Heranziehen der neun Helden als vorbildliche Gestalten der Gerechtigkeit, findet 50 Jahre später in Lüneburg eine eindeutige Bestätigung". Diese Einschätzung ist seitdem durchweg für bare Münze genommen worden, deshalb das ausführliche Zitat. Auch Schroeder (wie Anm. 73), 113ff. mit weiteren Beispielen, versucht eine "Verbürgerlichung" zu belegen. . . 77 Roger Chartier, Phantasie und Disziplin. Das Fest in Frankreich vom 15. bis 18. Jahrhun­dert, in: Vo~skultur. Zur Wiederentdeckung des vergessenen Alltags (16. - 20. Jahrhundert), hrsg. von R!chard van Dülmen und Norbert Schindier, Frankfurt am Main 1984, 153-176, hier 162. K!aus ?raf, .Fei~dbild und yorbild. Bemerkungen zur städtischen Wahrnehmung des Adels, m: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 141 (1993), 121-154, hat überzeugend herausgearbeitet, daß das in 'Städten begegnende Feindbild "Adel" Produkt eines antagonisti­schen Zuschreibungsprozesses in konkreten Konfliktlagen war und nicht Adel als Grundwert betraf. Es bereitete Stadtbürgern darüber hinaus überhaupt keine Probleme, das Adelskonzept auch auf die eigene Stadt und ihre Einwohner anzuwenden (ebd., 146f., 153).

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Die 'Degradierung' zu bloßen Assistenzfiguren städtischen Rechts wird vollends frag­würdig, wenn man in Rechnung stellt, daß auch die Zyklen der Uomini Famosi in Siena, Florenz oder Venedig ihren Ausgang von Fürstenhöfen nahmen und selbst nicht unbeeinflußt waren vorn Motiv der Neun Guten Helden. Immer deutlicher wird, daß Exempla nicht einfach ,,monarchisch", "bürgerlich" oder ,,republikanisch", son­dern in verschiedenen Kontexten unterschiedlich einsetzbar gewesen sind78

. Der ein­hellig den 'Republikanern' zugezählte Franeo Sacchetti hatte um 1400 jedenfalls keine Probleme, Motive aus dem Zyklus der Neun Helden aufzugreifen und in seinem Entwurf des Bildprogramms für die Gewölbemalereien in Orsanmichele, der Kirche unter dem öffentlichen Florentiner Kornspeicher, ausgiebig zu verwenden79

• Es be­steht kein Grund, aus sieggewohnten Helden friedfertige, gesetzestreue Bürger oder aus Kölnern bessere Republikaner zu machen.

Das Bildthema 'Kampf und Opfer für das Gemeinwesen' gehört zu den span­nendsten Kapiteln der Rathaus-Ikonographie. Hier vermischt sich der säkulare Frei­heitskampf der Kommunen mit spezifischem Geschichtsbewußtsein, lokale Besonder­heiten treten deutlicher ans Licht, und eine Gruppe, die bei den Ratgebern nicht vor­kommt, steht mit kämpferischen Gestalten bisweilen in vorderster Front: Frauen. Neben Kaiser, Könige und antike Helden, neben Herkules und den Goliathbezwinger David treten Lukretia, Jahel, aber vor allem Judith8o. Und eher noch als die Florenti­ner Dichter, die in den Kreis der Ratgeber aufgenommen wurden, hatten Zeitgenossen in der Gruppe der Krieger und Verteidiger des Vaterlandes die Chance, in öffentlichen Räumen abgebildet zu werden8l . Erwähnt seien nur das berühmte Fresko im Palazzo Pubblico in Siena, auf dem Simone Martini um 1330 den Kriegshauptrnann Guido Riccio da Fogliano hoch zu Roß festgehalten hat (Abb. 4)82, oder Bildnisse vom· Kampf des Kölner Bürgermeisters Grin mit einem Löwen, den zwei Pfaffen - sie stehen für den Konflikt mit dem erzbischöflichen Stadtherrn im 13. Jahrhundert - auf ihn losgelassen hatten: Die bildliehe Darstellung der Episode findet sich auf einer

78 Vgl. Donato, Eroi romani (wie Anm. 59), 116f. Dies, Famosi Cives (wie Anm. 59), 35. 79 V gl. Werner Cohn, 'Franco Saechetti und das ikonographische Programm der Gewölbema­lereien von Orsanmichele, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 8 (1957/59),65-77, hier 72f. Lucia Battaglia Rieci, Palazzo Vecchio e dintomi. Studio su Franco Sacchetti e le fabbriche di Firenze (Studi e Saggi 12), Rom 1990, 18-31 U.ö. Auch Donato, Eroi romani (wie Anm. 59), 108ff., geht von einem starken Einfluß des Motivs der neun Helden im italienischen Trecento aus. . ~-80 Frauen als Stadt-, Freiheits- und Tugendallegorie sind ein eigenes Thema, vgl! 90ooto, Pittura politica (wie Anm. 10), 511f., und Helga Möbius, Frauenbilcter für die RepUblik, in: Zeichen der Freiheit (wie Anm. 33), 53-73. Sibyllen als Künderinnen der Heilsgeschichte wer­den im Zusammenhang mit dem Stichwort Imperiwn Romanwn behandelt. 81 Die religiöse Aufladung des patria-Begriffs im Mittelalter durch seine Beziehung auf das Himmlische Jerusalern und die Rückübertragung auf die "Staaten der Erde" im 13. Jahrhundert analysiert Kantorowiez (wie Anm. 19),241-278, hier 244f., 253ff., im Zusammenhang mit der Wiedergeburt des pro patria mori. 82 Die Datierung dieses Bildes steht seit 1977 zur Disposition, vgl. etwa Chiara Frugoni und Odile Redon, Accuse Guido Riccio de Fogliano, defendez-vous!, in: Mectievales 49 (1985), 119-131. Zusammenfassend jetzt: Diana Norman, 'The Glorious Deeds of the Commune': Ci vic Patronage of Art, in: Society and Religion (wie Anm. 7), Bd. 1: Interpretative Essays, 133-153, hier 136ff. Norman spricht sich für die herkömmliche Datierung aus.

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Konsole des Ratshausturmes (übrigens stammt sie wie di~ Figuren der Propheten­kammer aus den Jahren nach 1407) und in einern Relief am Rathaus aus dem 16. Jahrhundert83

.

Unter Kölner Bürgern erfreute sich auch eine andere Gestalt, die für die Freiheit des Gemeinwesens ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatte, größter Beliebtheit. Die Rede ist von Judith, der schönen, jungen Witwe aus Bethulia, die ihre Heimatstadt rettete und Israel vor der Vernichtung durch den Assyrerkönig Nebukadnezar bewahrte. Zu die­sem Zwecke begab sie sich, nur begleitet von ihrer Magd, ins Zelt des assyrischen Feldherrn Holofernes, der mit seinem Heer die Stadt belagerte, erwarb seine Zunei­gung, trank mit und schlief bei ihm und hieb dem trunkenen Mann am Ende das Haupt ab. Dieses verbarg sie in einem Korb und kehrte in die Stadt zurück. Die er­schütterten Belagerer flohen am nächsten Morgen, Judith wurde als Befreierin gefeiert und geehrt

84. In Köln taucht das Judithmotiv im 16. Jahrh'undert im häuslichen Be­

reich auf5, die bekannteste künstlerische Umsetzung, die Judith des Donatello, steht

dagegen im Zusammenhang mit politischen Strategien. Der Kampf um ihren Stand­ort, ob am Florentiner Palazzo Pubblico oder in der Medici-Villa, wirft ein Schlaglicht auf die Rolle politischer Ikonographie in der Stadtgesellschaft86.

Donatello hatte bereits im Jahre 1416 einen Mamorstatue des David für den Flo­rentiner Kommunepalast gefertigt, vermutlich zum Zeichen der erfolgreichen Abwehr äußerer Feinde

87, Die Medici .beauftragten Donatello nach .der Konsolidierung ihrer

Vormachtstellung im Jahr 1440 dann mit der Anfertigung des Bronze-David für ihre Villa, dem um 1460, nach einern abermaligen Sieg über eine innenpolitische Opposi-

83 V gl. Reiner Dieekhoff, Grins Kampf mit dem Löwen und seine Bedeutung in der profanen Ikonographie der Stadt Köln, in: Name der Freiheit (wie Anrn. 60),416-421. Beispiele solcher Art werden in Deutschland vermutlich nicht sehr verbreitet gewesen sein. 84 Der Nebukadnezar des Buches Judith hat nichts zu tun mit dem historischen Nebukadne­zar ll., unter dem 605 v.Chr. die ,,Babylonische Gefangenschaft" begann. 85 V gl. Reiner Dieekhoff, Zur republikanischen Thematik im häuslichen Bereich des 16. und 17. Jahrhunderts in Köln, in: Name der Freiheit (wie Anrn. 60), 422ff.; ebd. auch Darstellungen von David, Herku1es und Lukretia. 86 Ich folge hier vor allem Volker Herzner, Die ,,Judith" der Medici, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 43 (1980), 139-180 (dort zahlreiche Abbildungen und weitere Lit.). Ausge­blendet werden die anderen Zusammenhänge, in denen Judithdarstellungen vorkamen: Als Sinnbild des Sieges der Keuschheit über Stolz und Wollust in Zyklen, die sich an die 'Psycho­rnachia' des Prudentius (um 400) anlehnen (ebd. 145ff.); in Bildprogrammen, die den Neun Helden Neun Heldinnen gegenüberstellen; in Malereien zum Thema "Weibermacht und Wei­berlist"; in Abbildungen, in denen sie in einer thematisch zusammengefaßten Gruppe (mit David oder mit Esther, Lukretia oder Jahel) auftaucht (alles ebd. 164f., vgl. auch Ade/heid Stra­ten, Das Judith-Therna in Deutschland im 16. Jahrhundert. Studien zur Ikonographie - Materia­lien und Beiträge, München 1983, 41-50); im mariologischen Kontext (vgl. Hans Martin von Erffa, J udith - Virtus Virtutum - Maria, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 14 (1969nO), 460-465). 87 Hier ist weniger der König David als der Hirte und Goliathbezwinger gemeint, vgl. Maria Monica Donato, Hercules and David in the Early Decoration of the Palazzo Vecchio: Manu­skript Evidence, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 54 (1991), 83-98, hier 9Off.; Volker Herzner, David florentinus I, in: Jahrbuch der Berliner Museen NF 20 (1978), 43-115, hier 107f., 112ff.

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tion, schließlich die Judith-Holofernes Gruppe desselben Künstlers folgte. Dargestellt ist Judith, die gerade das Schwert gegen den zu ihren Füßen liegenden, trunkenen Holofernes erhebt. Die Sockelinschriften belegen die Strategie des Stifters Piero dei Medici, die informelle Herrschaft seiner Familie mit dem Flair 'republikanischer', besser popolarer Traditionen zu umgeben. Das Distichon lautet: REGNA CADUNT LUXU SURGUNT VIRTUTIBUS URBES/ CAESA VIDES HUMlLl COLLA SU­PERBA MANU, und die Widmung hat den Wortlaut: SALVS PUBLICAI PETRVS MEDICES COS(Ml) Fl(LIVS) LJBERTATI SIMUL ET FORTITUDINII BANC MULIERlS STATVAM QUO CIVES INVlCTO/ CONSTANTIQUE A(N)I(M)O AD REM PVB(LICAM) REDDERENT DEDICAv:rr8

• Daß die Reklamien:mg po­polarer Traditionen und Tugenden mit dem Aufstellen dieser Statue verbunden war, zeigt nichts deutlicher als die nach der Vertreibung (1494) und der Rückkehr der Me­dici (1513) jeweils neu aufgeworfene Standortfrage. Im Jahre 1495 wurde die Judith, zusammen mit der Davidstatue Verocchios, aus dem Medicipalast geholt und vor dem Kommunepalast plaziert89

, im Oktober 1513 sollten beide der Familie zurückgegeben werden. Auch wenn der letztgenannte Beschluß der medicihörigen Signoria nie in die Tat umgesetzt worden ist: Für die Brisanz der Judithfigur spricht er allemaeo.

Judith findet man auch in deutschen Städten. Von Kölner Privathäusern war schon die Rede, am hannoverschen Rathaus gab es vermutlich Reliefs von Judith und Lukretia91

, aber die faszinierendste Ausgestaltung dieses Bildthemas befindet sich in der ,,Bundesstube" des Nördlinger Rathauses (Abb. 5). Im Jahre 1515 erhielt der Neu­bürger Hans Schäufelein den Auftrag, dieses mehr als zehn Quadratmeter große Bild zu malen92

• Man·sieht die von einem großen Heer belagerte Stadt Bethulia, im Mittel­grund vorn das Erscheinen der anmutigen und kostbar gekleideten Judith vor Holofer­nes und im linken Vordergrund die Szene, bei der die HeIdin das abgeschlagene Haupt des Feldherrn in einen von ihrer Magd dargereichten Sack steckt93

. Das Bild

88 Zit. nach He~zner, Judith (wie Anm. 86), 170. Zur Kontroverse um die Datierung der bei den Inschriften ebd., 170ff. 89 Ebd., 180. . 90 Vgl. Luca Gatti, Displacing Images and Devotion in Renaissance Florence: The Return of the Medici and an Order of 1513 for the Davit and the ludit, in: Annali della Scuola Nonnale Superiore di Pisa, Classe diLettere e Filosofia Ser.III, 23.1 (1993), 349-373, hier 355f., 369f. 91 Nachweise bei Herzner, Judith (wie Anm. 86), 164f. Der Selbstmord der Lukretia war auch an der südlichen Außenwand des Nürnberger Rathauses (1521) dargestellt, vgl. Mende (wie Anm. 51), 423, und in der Lüneburger Gerichtslaube: Hier stand Lukretia als Sinnbild der ehelichen Keuschheit in Bezug zu König David, beide vielleicht ein Zitat der Gruppen der Neun Helden und Neun Heidinnen, so Pfeiffer (wie Anm. 65), 15f. Vgl. zum Bildtyp jetzt auch Chri­stine Jäger, Lucretia - der Tod einer Tugendheidin? Zu den Selbstmorddarstellungen in der Sächsischen Weltchronik, in: Trauer, Verzweiflung und Anfechtung. Selbstmord und Selbst­mordversuche in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaften, hrsg. von Gabriela SigIWri (Forum Psychohistorie 3), Tübingen 1994,91-111, hier 92ff. (Motiv auf italienischen Brauttruhen). 92 Vgl. zu Auftrag und stadtgeschichtlichem Hintergrund: Hans-Christaph Rub/ack, Eine bürgerliche Refonnation: Nördlingen (Quellen und Forschungen zur Refonnationsgeschichte 51), Gütersloh 1982, 11-25, hier 12f. 93 Zum Bild, seinen Vorläufern (Kupferstiche und Holzschnitte in Bibeldrucken) und zur ikonographischen Tradition Judiths allgemein vgl. Karl Heim Schreyl, Schäufeleins Judith-

Vom Mythos der Republik 369

kann zwanglos eingeordnet werden in eine kommunale Kultur, die in Festen und Prozessionen die Erinnerung an die stete Bedrohung durch äußere Feinde in jährli­chen Schlachtengedenken wachhielt und zum wiederkehrenden Ritual machte94•

Allgemeiner betrachtet steht es für die Tat der Vaterlandsliebe und die Tugend der Tapferkeit.

Eine Judithdarstellung anderer Art befand sich im Zyklus von Sebastian Brants 'Freiheitstafel' , die im Dreizehner-Saal des Straßburger Rathauses hing und deren Reime mit Kinderallegorien bebildert waren. Wie die anderen biblischen oder histori­schen Gestalten, zum Beispiel der uns schon bekannte Brutus, wurde Judith hier ver­sinnbildlicht durch ein nackendt Kindlin. Das stößt in diesem Falle eines menschen

KopjJ in ein Sackh. Der Reim selbst nennt die jüdische Heldin beim Namen und stellt ihre Tat als vorbildlich hin: denn Holofernes wollte die Juden um ihr gsatzt unnd ihr

freyheit bringen95• Das Judithmotiv in der bildenden Künst ist nicht allein im kommu­

nalen Raum beheimatet96, aber hier erhielt es zweifellos seine fortgeschrittendste Aus­

gestaltung und einen angemessenen Platz97• Und so war der Ort der Umsetzung des

Vorbildes in die Tat wohl auch nicht zufällig eine Stadt. Am 16. Juni 1534 zog Bille Feicken kostbar geschmückt als Judith aus der Stadt Münster, dem neuen Jerusalem der Täufer, um, wie sie im Verhör vor ihrer Hinrichtung aussagte, der Belagerung des bischöflichen Heeres ein Ende und den Bischop tho Munster tom teken Holofemus

tomaken98• Verführung und Ermordung des zweiten Holofernes schlugen fehl, Bille

Feicken hat auch unter der Folter ihre Tatabsicht nicht bereut, sondern sich, wie die biblische Judith, als Werkzeug Gottes im Dienste ihrer Stadt gesehen.

Wandbild im Nördlinger Rathaus, in: Hans Schäufelein. Vorträge, gehalten anläßlich des Nörd­linger Symposiums im Rahmen der 7. Rieser Kulturtage in der Zeit vom 14. Mai bis 15. Mai 1988, hrsg. von der Stadt Nördlingen u.a., Nördlingen 1990, 183-239. 94 Rublack (wie Anm. 92),14. Vgl. allgemein Klaus Graf, Schlachtengedenken in der Stadt, in: Stadt und Krieg, hrsg. von Bernhard Kirchgässner und~ Günter Schah (Stadt in der Ge­schichte 15), Sigmaringen 1989,83-104, hier 89ff. 95 Joachim Knape, Dichtung, Recht und Freiheit. Studien zu Leben und Werk Sebastian Brants 1457-1521 (Saecvla Spiritalia 23), Baden-Baden 1992,290; Brutus schwehr Raach der Libertetl...!; als Tarquinius Lucretiaml SchmeheJUit ihr Keuschheit bracht in Scham (ebd., 311). Es sind nur die 52 Reime, nicht die Bilder überliefert (vgl. ebo., 225ff., Edition 487ff.). Letztere kann man aber anband der jedem Reim voranstehenden Bildanweisung Brants gut rekonstruie­ren. Zur Einordnung der Bilder und Metaphern in den allgemeinen stadtgeschichtlichen Kontext vgl. das spannende und materialreiche vierte Kapitel dieses Buches. 96 So wurde sie zur "Symbolgestalt" des Schmalkaldischen Bundes (Straten [Anm. 86], 27), man fand ihre Geschichte auf Gemälden, ihr Bild auf Kupferstichen und Holzschnitten, in Bibeldrucken, auf Glasscheiben, Kacheln, Ofenplatten, Steinzeug, Fayencen und Tellern, in und an Kirchen, im häuslichen und fürstlichen Bereich: vgl. ebd., 52-149 (Katalogteil). 97 Nicht besprochen werden können hier die frühen Judith-Dramen, die ihre Metaphern eindeutig dem städtische Raum entnahmen, vgl. ludith-Dramen des 16./17. Jahrhunderts, nebst Luthers Vorrede zum Buch ludith, hrsg. von Martin Sammeifeld (literarhistorische Bibliothek 8), Berlin 1933, bes. 3-69. Edna Purdie, The Story of Judith in Gennan and English literature (Bibliotheque de la Revue de litterature Comparee 29), Paris 1927, bes. 41-55. 98 Zit. nach Marian Kabelt-Grach, Als ludith auszog, den Fürstbischof zu töten. Hille Feik­ken und die Frauen im Täuferreich zu Münster, in: Dies, Aufsässige Töchter Gottes. Frauen im Bauernkrieg und in den Täuferbewegungen (Geschichte und Geschlechter 4), FrankfurtlNew York 1993,64-132, hier 78.

370 Ulrich Meier

Imperium Romanum

Der letzte der hier zu behandelnden Komplexe bildlicher Darstellung von Herrschaft ist wiederum ein Aggregat verschiedener, aber verwandter Themen. Gemeint sind Kaiser und Kurfürstengruppen sowie Bilder aus der eigenen Geschichte, häufig ein­gebettet in übergreifende Konzepte von Reichs- und Heilsgeschichte. Ziel zahlreicher Motivvarianten ist die Verortung der eigenen Stadt im Spannungsfeld von Autonomie, ReichszugehÖfigkeit und historia sacra99

• Den größten Verbreitungsgrad in Deutsch­land erreichte ein aus Kurfürsten und KöniglKaiser zusammengesetztes Figurenpro­grarnrnlOO, die Stelle des Kaisers vertrat dabei häufig Karl der GroBelOl

• Ein Vorläufer

der Typologie findet sich arn alten Rathaus in Aachen, wo in den Nischen der Blend­arkaden des zweiten Obergeschosses sieben monumentale Standbilder plaziert waren. Es handelte sich bei den Figuren aus den Jahren 1267 oder 1273 vermutlich um den König, umgeben von drei geistlichen und drei weltlichen Königswählern102

Im 14. und 15. Jahrhundert, besonders nach dem Erlaß der 'Goldenen Bulle' im Jahre 1356, verbreitet sich das Motiv über ganz DeutschlandlO3

; wichtiger als die Aufzählung der Beispiele ist in unserem Kontext die Interpretation des Sachverhalts.

99 Nicht behandelt werden können in diesem Zusanunenhang die auf Marktplätzen und an Rathäusern aufgestellten Rolande des nord- und mitteldeutschen Raumes - vgl. dazu den For­schungsüberblick bei Wilfried Ehbrecht, Die Stadt und ihre Heiligen. Aspekte und Probleme nach Beispielen west- und norddeutscher Städte, in: Vestigia Monasteriensia. Westfalen­Rheinland-Nieäerlande, hrsg. von Ellen Widder, Mark Mersiowsky und Peter Johanek (Studien zur Regionalgeschichte 5), Bielefeld 1995, 197-261, hier 250ff. - und Darstellungen der Qua­ternionenlehre, vgl. Rainer A. Müller, "Quaternionenlehre" und Reichsstädte, in: Reichsstädte in Franken, Aufsätze 1, hrsg. von dems. (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 15/1), München 1987, 78-97 (Abbildungen im Katalogband, 238ff.); zur Theorie vgl. Ernst Schuber!, Die Quaternionen. Entstehung, Sinngehalt und Folgen einer spätrnittelalterli­chen Deutung der Reichsverfassung, in: Zeitschrift für Historische Forschung 20 (1993), 1-63. 100 Vgl. Paul Hoffmann, Die bildlichen Darstellungen des Kurfürstenkollegiums von den AnHingen bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches (13.-18. Jahrhundert) (Bonner Histo­rische Forschungen 47), Bonn 1982. Kritisch dazu: Armin Wolf, Die bildlichen Darstellungen des Kurfürstenkollegiums. Kritische Bemerkungen und Ergänzungen zum gleichnamigen Buch von Paul Hoffmann, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 50 (1986), 316-26; Tipton (wie Anm. 59), 88ff.; Knape (wie Anm. 95), 437ff.; Albrecht (wie Anm. 33), 43ff., 44ff. Vgl. auch Karl-Adolf Knappe, ,,Nostra et sacri Romani imperii civitas". Zur reichsstädtischen Ikonologie im Spätmit­telalter, in: Kunstspiegel2 (1980),155-172, hier 158ff. 101 Vgl. ebd. und: Karl der Große als vielberufener Vorfahr. Sein Bild in der Kunst der Für­sten, Kirchen und Städte, hrsg. von Liselotte E. Saurma-Jeltsch (Schriften des historischen Museums 19),. Sigmaringen 1994 (Aufsätze zu Frankfurt und Bremen). Daß das Figurenpro­gramrn am Rathaus in Münster ebenfalls an die Karlstradition anknüpfte, bezweifelt Ehbrecht (wie Anm. 99),215, Anm. 40. 102 Der Begriff chuifuersten ist erst seit 1298 nachweisbar, aus diesen und anderen Gründen lehnt Wolf (wie Anm. 100), 318, mit Recht den Terminus technicus "Kurfürstengruppe" in diesem Falle ab. 1 03 V gl. die in den vorangehenden Anm. genannte Literatur. In Italien befindet sich das einzi­ge bekannte Beispiel einer Kurfiirstendarstellung im Mamorrelief in S. Giovanni Battista zu Monza aus dem 14. Jahrhundert; Monza verstand sich als caput Lomhardie et sedes regni, der deutsche Kaiser wurde dort mit der eisernen Krone gekrönt, vgl. Wolf (wie Anm. 100),321.

Vom Mythos der Republik 371

Im Kaiser und in den sieben Kurfürsten manifestiert sich die ,Jkonologische Zweige­sichtigkeit" reichsstädtischer Bildprograrnrne104

. Die Städte gehörten zu Kaiser und Reich, das imperium konnte dabei nicht nur in der Figur des Kaisers, sondern auch durch die Kurfürsten verkörpert werden. Das Verhältnis zum Kaiser als Stadtherrn ist Thema in Huldigungsbildern, etwa dem Bild Kaiser Friedrichs III. und seiner Ge­mahlin arn Marktgiebel des alten Rathauses zu Dortrnund aus dem Jahre 1481 105

• Das Reich als corpus politicum allerdings war besser mit Hilfe des Topos "Kur­fürstenkolleg" in ein konkretes Bild umsetzbar. Deren Vielheit konnte exemplarisch auf den rechtsfiktionalen Charakter des Ganzen hinweisen, darüber hinaus wurde es für die Städte zunehmend attraktiver, sich als Teil der Gesamtheit ,,Reich" und nicht allein als Untertanen des Kaisers darzustellen106

• Aber ob Huldigungsbild, Kaisersta­tue oder Kurfürstengruppe: in jedem Fall findet der Stolz der Bürger, Glieder des Reiches zu sein, hier seinen adäquaten AusdruckIi

)7.

Karl der Große und das Reich spielten auch im politischen Selbstverständnis und in der Ikonographie italienischer Stadtrepubliken' eine nicht unbeträchtliche Rolle. In Siena erzählte man die Legende, derzufolge die -Stadt von den Zwillingssöhnen des Remus, Ascius und Sienus, gegründet worden sei, verbreitet war aber auch eine ande­re Gründungslegende. Darin ist Karl der Große die Hauptfigur, er soll den Sienesen Privilegien verliehen, den Rat des Volkes etabliert und diesem das Banner mit dem Wort Libertas übergeben haben lO8

• In der Nachbarstadt Florenz galt Karl seit langem als zweiter Gründer. Giovanni ViIIani (t1348) berichtet in seiner 'Nuova Cronica', Karl der GroBe habe, nachdem die Stadt Jahrhunderte vorher durch die Hunnen Toti­las verwüstet worden wäre, den tyrannischen' Stolz der seinerzeit herrschenden Langobarden (la tirannica superbia de'Longobardi) gebrochen und Florenz erneut

104 Knappe (wie Anm. 100), 160. 105 Ebd., 164, Vgl. auch ebd., 162f., das Beispiel des Skulpturenprogramms an der Quer­schiff-Fassade von St. Marien in MühlhausenlThüringen (um 1370/80). Vor diese Skulpturen von Karl N. (oder Wenzel), seiner Gemahlin, einem Kavalier und einer Hofdame zogen jährlich die neugewählten Ratsleute der Stadt, um dem Kaiser zu huldigen. -106 Eine Weiterentwicklung dieser "Reichsreprasentanz der Kurfürsten" und eine "Konkretisierung des Reichsgedankens" sieht Schubert (wie Anm. 99), 59, dann im 15. Jahr­hundert in der Quaternionenlehre und ihren bildlichen Darstellungen. 107 Knappe (wie Anm. 100), 156, 166f., hat in Anknüpfung an ältere Forschungen noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es in Spätmittelalter und früher Neuzeit ,,keinen eigenen reichsstädtischen Stil" gegeben hat, sondern auch mächtige landesherrliche Städte wie Braunschweig mit demselben Forrnenschatz arbeiteten. Zum Reichsbewußtsein vgl. Heinrich Schmidt, Die deutschen Städtechroniken als Spiegel des bürgerlichen Selbstverständnisses im Spätrnittelalter (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 3), Göttingen 1958, 64ff., 79ff. 108 V gl. lack M. Greenstein, The Vision of Peace: Meaning and Representation in Ambrogio Lorenzetti's Sala della Pace Cityscape, in: Art History 11 (1988),492-510, hier 495; ebd, Ge­danken darüber, wie diese beiden Gründungslegenden im Bild von den Folgen der Guten Regie­rung in der Stadt und im Bild von der Schlechten Regierung gegeneinander ausgespielt worden sind. Im übrigen war es der deutsche Kaiser Karl N., der nach dem Sturz der Nove im Jahre 1355 die neue popolare Regierung legitimierte, vgl. Meier, Mensch und Bürger (wie Anm. 6), 164ff. Zu Verona bzw. Mailand und Karl vgl. Frugoni, DistantCity (wie Anm. 8), 64, 71.

372 Ulrich Meier

gegründet109. Die oben geschilderte Aufnahme des Bildes Karls des Großen in die

Galerie der 'Illustres' für den kleinen Audienzsaal des Horentiner Kommunepalastes um 1400 und die antilombardische Spitze des von Coluccio Salutati verfaßten Epi­gramms entsprach demnach einer etablierten historiographischen Traditionllo. Und noch etwas war traditionell am Zyklus des Humanistenkanzlers: Bis auf den Perser Cyrus sind alle vier Weltrnonarchien in den dargestellten Personen - in Ninus und Alexander, in Caesar, Augustus, Konstantin und Karl dem Großen - präsentJJ1

. Im Unterschied zu Deutschland stand Karl in Italien allerdings weniger für den deutschen Kaiser, er war vielmehr Leitfigur eines Romanitaskonzeptes, dessen Spannweite vom Interesse, die eigene Geschichte auf römische Ursprünge zurückzuführen, bis hin zu Versuchen reichte, der Gegenwart heilsgeschichtliches Gewicht zu verleihenl12

.

In Deutschland konnte Karl alle drei Dinge - Deutsches Reich, Imperium Ra­mimum und Heilsgeschichte - zugleich verkörpern I I3. Die Darstellung anderer Kaiser hatte prinzipiell die gleiche Funktion. Im Kölner Rathaus ist der Kaiser gleich mehr­faeh präsent. Hankiert von zwei anderen Skulpturen - sie symbolisieren Stapelrecht und Wehrhoheit - steht eine Kaiserstatue unter einem Baldachin, und zwar oberhalb der schon genannten Neun Helden an der Südwand des Hansasaals. Im selben Raum befand sich ein Fresko Karls IV.114

. Für das Geschichtsbewußtsein der Kölner Füh­rungsgruppen aber scheint eine andere Kaiserfigur im 15. Jahrhundert von noch grö­ßerer Bedeutung gewesen zu sein. Schon unter den Fresken des Hansasaals befand sich bekanntermaßen ein Bild Kaiser Trajans1l5

. Noch eines könnte in der "Goldenen Kammer" gewesen sein. Vermutlich war dies ein Fresko, das ursprünglich Kaiser Karl IV. zeigte, wie er den Kölner Geschlechtern Privilegien verlieh; im Laufe des 15. Jahrhunderts, so eine bedenkenswerte These, wäre die Darstellung dann umgedeutet

109 Giovanni Villani, Nuova Cronica, hrsg. von Giuseppe Porta, 3 Bde., Parma 1990/91, hier Bd. 1, 143 (IV,I). 110 V gl. dazu Nicolai Rubinstein, The Beginnings of Political Thought in Florence. A Study in: Medieval Historiography, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 5 (1942), 198-227, hier 214ff. 111 Donato, Eroi romani (wie Anm. 59), 136. 112 Vgl. ebd., 141ff. Zu den Transformationen des Konzeptes "auserwählte Stadt" in Florenz von Dante bis zu Bruni vgl. Herzner, David I (wie Anm. 87), 99ff., 114; grundlegend: Donald Weinstein, The Myth of Florence, in: Florentine Studies. Politics and Society in Renaissance Florence, hrsg. von Nicolai Rubinstein, London 1968, 15-44. 113 Zu den Bemühungen nordalpiner Städte, ihre Gründung auf römische Kaiser zurückzu­führen, und dem spezisch deutschen Romanitasmodell, vgl. Rudoif Hiestand, "Civis Romanus sum". Zum Selbstverständnis bürgerlicher Führungsschichten in den spätmittelalterlichen Städ­ten, in: Herkunft und Ursprung: Historische und mythische Formen der Legitimation, hrsg. von Pefer Wunderli, Sigmaringen 1994,91-109. Klaus Schreiner, Iura et Libertates. Wahrnehmungs­formen und Ausprägungen "bürgerlicher Freyheiten" in Städten des Hohen und Späten Mittelal­ters, in: Bürger in der Gesellschaft der Neuzeit. Wirtschaft-Politik-Kultur, hrsg. von Hans­Jürgen Puhle (Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte I), Göttingen 1991,59-106, hier 65ff. 114 Vgl. Mühlberg (wie Anm. 60),72-78. 115 So der Bericht der Koelhoffschen Chronik, zit. bei Helmrath (wie Anm. 52), 739. Zu Trajan siehe Cetto (wie Anm. 52), hier 64ff.

Vom Mythos der Republik 373

worden zur Figur des Trajan, auf dessen Ansiedlung die fünfzehn Kölner Geschlech­ter ihren Ursprung zurücKführten 116.

Eine kollektive Rückbesinnung eigener Art waren Schlachtengedenkenll7, die

Erinnerung an vergangene Katastrophen oder territoriale Erwerbungen. In Horenz, Siena oder Venedig war es üblich, militärische Siege der Stadt an die Wände der Kommunepaläste zu malen1l8

. Der Rechtsanspruch auf unterworfene Gemeinden oder Kastelle wurde häufig durch eine Abbildung dokumentiert. So konnte man im Saal des Großen Rates in Siena nicht nur 'das Fresko des Lippo Vanni vom Sieg in der Schlacht bei Val di Ciana (1363)119 bewundern, sondern auch die Abbildungen er­oberter oder neu unterworfener Ortschaften und Burgen betrachten. Als sich Giuncari­co im Jahr 1314 freiwillig der Stadt Siena unterwarf, beschlossen die Nove, der oberste Sieneser Magistrat, den Ort in ihr Territorium einzugliedern. Festgehalten werden sollte der Akt in einer Urkunde, aber auch im Bild: "Das besagte Kastell soll im Palast der Kommune der Sienesen gemalt werden, dort, wo die Räte tagen und die anderen durch Siena erworbenen Kastelle gemalt sind,,12o. Das kürzlich freigelegte Wandbild

116 Referiert nach Helmrath (wie Anm. 52), 73942, der sich hierbei auf Ergebnisse von Cetto (wie Anm. 52) stützt. Danach soll ein Holzschnitt in der Koelhoffschen Chronik die genannten Fresken des 14. Jahrhunderts wiedergeben, die Rogier van Weyden in den Jahren 1432-1445 dann als Vorlage für seine nicht erhaltene,.aber in einem Berner Teppich bewahrte Ausmalung des Brüsseler Rathauses mit den Geschichten Trajans und Herkinbalds genutzt haben könnte. Das große Feld der Gründungslegenden und legendären Ahnherren kann hier nicht einmal berührt werden, obwohl auch sie manchml!l in Bildern an Rathäusern festgehalten worden sind: So etwa die Abbildungen fiktiver Ahnen an den Rathäusern von Luzern und Schwyz, vgl. Christian Klemm, Artikel 'Fassadenmalerei', in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte 7, München 1981,690-742, hier 737. 117 Grundlegend Graf, Schlachtengedenken (wie Anm. 94). Genannt werden, 92f., das Relief an der Kölner Ulrepforte (vor 1378), das l)Il einen nächtlichen Überfall auf die Stadt im Jahre 1269 erinnerte, und andere Gedenkmale wie die drei Kanonenkugeln am Rathaus in Amöne­burg, die die memoria an eine Belagerung wachhalten sollten. 118 Vgl. Wieruszowsky (wie Anm. 33), 21: ein Bild der siegreichen Schlacht von Campaldino (1289) hing demnach im Podestapalast von Florenz. Zu der Zeit gab es den 'Palazzo Vecchio' noch nicht; dessen Schlachtszenen im Saal der Fünfhundert stammen aus dem späteren 16. Jahrhundert. Spuren von Leonardo da Vincis Schlachtengemälde aus den Jahren nach 1504 im selben Raum, also zur Zeit der popolaren Verfassung, sind vor einiger Zeit wiederentdeckt worden. Zu Venedig vgl. Wolters (wie Anm. 50). 119 Vgl. FrugonilRedon (wie Anm. 82), 127f. Abbildung: Norman, Deeds of the Commune (wie Anm. 82), 140. 120 .. . quod dictum castrum pingatur in palatio Comunis Senarum ubi fiunt Consilia, ubi sunt picta alia castra acquisata per Comune Senarum, et nWlUJuam possit taUs pictura tolli, abradi, vel vituperari (zit. nach Max Seidel, 'Castrum pingatur in palatio'. Ricerche storiche e iconogra­fiche sui castelli dipinti nel Palazzo Pubblico di Siena, in: Prospettiva 28 (1982), 1741, hier 30; das vollständige Dokument im Anhang, 35). Zur Vermutung, daß dieser Brauch aus Florenz übernommen worden ist, ebd., 33. Zur Abb. dieses Vorgangs vgl. auch Norman, Deeds of the Commune (wie Anm. 82), 137. An diese Stelle gehörten systematisch auch die Schandbilder, die, an den Außenwänden der Rathäuser oder Podestapaläste angebracht, bestimmte Personen diffamieren sollten, vgl. Edgerton, Pietures (wie Anm. 45); Gherardo Ortalli, " ... pingatur in Palatio". La pittura infamante nei secoli XIII-XVI, Rom 1979. Auch rebellierende Städte oder Kastelle des Kontado konnten auf diese Weise diffamiert werden, vgl. Donato, Pittura politica (wie Anm. 10), 504f. An deutschen Rathäusern gab es keine Wand, die Schandbildern vorbehal-

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im Saal des großen Rates könnte den Akt der Übergabe darstellen (Abb. 4, untere Hälfte).

Pingatur in palatio, Gesetze dieser Art sind aus deutschen Städten nicht be­kannt. Doch auch hier kam es vermutlich gar nicht so selten, wie es die Überliefe­rungssituation nahelegt, vor, daß militärische Siege der Kommune oder wichtige Ereignisse der eigenen Vergangenheit in bildlichen Darstellungen festgehalten wur­den12J

• Die um 1440 entstandenen Wandgemälde in der Hörkammer des Lübecker Rathauses - dort fanden gerichtliche Verhöre, Verhandlungen des Rats mit Vertretern der Bürgerschaft und Empfange auswärtiger hoher Gäste statt - sind im Jahr 1796 leider übermalt worden. Die erläuternden Unterschriften aber wurden überliefert. Themen der fünfzehn Bilder waren etwa die legendäre Gründung der Stadt 1040, der Neubeginn 1140, die Verleihung der Reichsfreiheit 1180 (Hir wert Lübeck Keiseifry) oder der Besuch Kaiser Karls IV. im Jahre 1377. Geschildert wurden auch Katastro­phen wie die Zerstörung durch die Wendischen Forsten 1130 und eine Feuersbrunst, bei der Lübeck fast völlig abbrannte: bet vp vyff hüse. Dem für das Schicksal der Stadt und der Hanse so wichtigen Sieg über den Dänenkönig in der Schlacht von Bornhä­ved widmete man sogar zwei Bilder. Das eine ist untertitelt: Hir oferwinnen de Lü­beckschen den Konink van Dennemarck, int Jar MCCIIl. up sunte Marya Magdalene Dag, by Bomhoft disse Feltschlacht geschach. Das andere beschäftigt sich eigens mit der Schlachtenhilfe der Tagesheiligen: Hir benedyet Marya Magdalene dat Lübeck­sche Heer, MCCIII122

• Neben der Erinnerung an wichtige Ereignisse der Vergangen­heit wird auch die öffentliche Dokumentation von Rechtstiteln der Stadt Beweggrund für die Anfertigung der Gemälde gewesen sein. Die Darstellungen der Kaiserfreiheit und des Besuches Karls IV. deuten in diese Richtung.

Reichs- und Stadtgeschichte waren unter vielfaItigen Interessen aufeinander beziehbar. Abschließend seien noch die eindeutig heilsgeschichtlich argumentieren­den Bildprogramme erwähnt. Im Goslarer Rathaus beispielsweise malte ein unbe­kannter Künstler um 1510 Kaiserfiguren und ordnete diesen Sibyllen und Propheten

ten war. Die auch hier bekannten Schandgemälde hatten allein die Schmähung von Juden zum Ziel, sie hingen an Stadttoren, Brücken oder Kirchen, vgl. Günter Schmidt, Libelli Famosi. Zur Bedeutung der Schmähschriften, Scheltbriefe, Schandgemälde und Pasquille in der deutschen Rechtsgeschichte, Diss. Köln 1985, 120-130, hier 126. 121 So auch Klemm (wie Anm. 116), 737; er nennt die Darstellung der Nibelungensage in Worrns 1498 und die Darstellung der Schlacht von 1386 in Sempach als Beispiele eines einst­mals verbreiteteren ikonographischen Typs 'Historien an Rathäusern'. Zur Außenbemalung der Worrnser Münze, des Rathauses, mit Kaiser Friedrich III., Kriemhild, Siegfried und zwei Riesen vgl. Klaus Graf, Heroisches Herkommen. Überlegungen zum Begriff der ,,historischen Überlie­ferung" am Beispiel heroischer Traditionen, in: Das Bild der Welt in der Volkserzählung, hrsg. von Leander Petzoldt u.a., Frankfurt a. M. u.a.O. 1993,45-64, hier 57. Auch im Kölner Rathaus könnte ein Bild von der Belagerung der Stadt durch den keiser van Rome gehangen haben, vgl. Helmrath (wie Anm. 52), 742. 122 Zit. nach: Die Bau- und Kunstdenkmäler der Hansestadt Lübeck, Band L Teil 2: Rathaus und öffentliche Gebäude der Stadt, bearbeitet von Friedrich Bruns, Hugo Rahtgens und Lutz Wilde, Lübeck 1974, 179. Alle genannten und hier wiedergegebenen Daten stimmen nicht mit den tatsächlichen überein, vgl. ebd. 178f. - Zur Rolle der Heiligen in der Schlacht, vgl. oben Anm. 94, und Ehbrecht (wie Anm. 99), 219, 242ff. mit weiterer Literatur.

Vom Mythos der Republik 375

zu; die beiden letztgenannten Gruppen wiesen in Spruchbändern auf das Kommen Christi hin, von der Bildlogik her sind sie auf Maria ausgerichtet. Kaiser und Prophe­ten übernehmen hier andere Funktionen als in den bisher geschilderten Kontexten. Sie waren nicht mehr die klugen Ratgeber oder Stadtgründer und Privilegienspender, sondern standen für heilsgeschichtliche Zusammenhänge. Daß es sich um die Stube des Goslarer Rates handelt, bringt allein eine 'Justitia' in Erinnerung. Ihr Spruchband enthält den verbreiteten Gerichtstopos: Enes manes rede en halbe rede man sal sy hore bede

123• Als Pendant zum weltlichen Gericht findet man in der Gewölbekalotte

der angrenzenden Ratskapelle schließlich die Abbildung Christi als Weltenrichter124.

Gerechtigkeitsbilder und Weltgericht waren die Themen unseres ersten großen Kom­plexes der Rathausikonographie, der Kreis kann geschlossen, am Ende sollen die dünn gesponnen Fäden wenigstens noch zu einem groben Muster verknüpft werden.

Herrschaftsmetaphem und Rathausikonographie

Auf der Suche nach ,,Republikanismus" oder ,,Bürgerlichkeit" in der spätrnitte1alterli­chen Rathausikonographie sind wir einen langen und verschlungenen Weg gegangen. Vieles konnte nur angedeutet, manches gar nicht behandelt werden. Bevor ich zur Beantwortung der Leitfrage komme, ist es nötig, die Problematik der hier gewählten Darstellungsweise und die damit verbundenen Folgekosten für eine sachgemäße Inter­pretation einmal genauer ins Auge zu fassen. Gerade weil die hier durchgeführte Dekontextualisierung neue Deutungsmöglichkeiten erschließen helfen sollte, müssen vernachlässigte methodische Ftagen aufgegriffen und vor dem Hintergrund des ausge­breiteten Materials kurz diskutiert werden. Das sind insbesondere Probleme der zeitli­chen und räumlichen Differenzierung, Fragen des Zusammenhangs von Bildunter­schriften, Schrifttafeln und Bildern sowie Überlegungen zu den Adressaten der Bild­programme.

Die hier nach drei großen Komplexen geordneten Themenbereiche - Weltge­richts- und Gerichtsdarstellungen, Rat und Tat sowie Imperium Romanum - waren im gesamten Untersuchungszeitraum, in Deutschland wie in Italien, nachweisbar. Zur richtigen Gewichtung des Vergleiches müssen mehrere Variablen in Rechnung ge­stellt werden. Zunächst die Zeit: Als die hier besprochenen Bildprogramme in und an

123 Vgl. Hans Georg Gmelin, Spätgotische Tafelmalerei in Niedersachsen und Bremen, München 1974, 662-676 (Zitat 666, in der lateinischen Variante: Audiatur et altera pars). Ebd., 671ff., eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Dissertation von Gisela Goldberg, Der Hul­digungssaaJ im Rathaus zu Goslar; München 1960, zu diesem Bildprogramm und seinen Vor­läufern (z.B in den Sibyllenfiguren im Überlinger Rathaus von 1491). Die Sprüche (die der Sibyllen zusammengestellt mit denen der vermuteten Vorlage, den 'Opuscula' des Philippus Siculus de Barberiis) ebenfalls abgedruckt in: Die Kunstdenkmale der Stadt Goslar, bearbeitet von Carl Wolfu.a. (Kunstdenkmälerinventare Niedersachsens 23), Hannover 1901 (Ndr. Osna­brück 1979), 272ff. 124 Ebd., 282. Vgl. auch Uwe Heckert, Die Ratskapelle als religiöses, politisches und Verwal­tungszentrum der Ratsherrschaft in deutschen Städten des späten Mittelalters, Diss. Bielefeld 1994,45-59 (',Das ikonographisch-politische Programm der Ratskapellen"), mit weiteren Bei­spielen (Goslar: 51ff.).

376 Ulrich Meier

Rathäusern erscheinen, haben die Kommunen selbst oft schon eine Geschichte von einigen Jahrhunderten hinter sich125

• Rathausikonographie erscheint erst spät auf der städtischen Bühne. So sind die Bildprogramme in der Regel eher Produkt von politi­schen Struktur- und Legitimationskrisen oder Ergebnis von Integrations- und Kon­sensstrategien städtischer Führungsgruppen als Ausdruck des Bewußtseins neuer "bürgerlicher Klassen" in der Feudalgesellschaft. Weiterhin ist zu beachten, daß die Motiwielfalt - man denke etwa an Kambyses oder Zaleukos als gute Richter und andere der antiken oder biblischen Geschichte entnommene, weniger bekannten figu­ren - seit der zweiten Hälfte des 14., besonders aber gegen Ende des 15. Jahrhunderts enorm zunahm. Wandten sich schon die frühesten Bildprogramme nicht an den schriftunkundigen Bürger, sondern an "eine neue Schicht gebildeter Laien,,126, so wurde diese Kluft im Laufe der Jahrhunderte eindeutig größer. Mit dem Weltgericht und dem Urteil Salomos konnte vermutlich jeder Bürger etwas anfangen. Aber wer kannte schon Herkinbald oder Charondas127?

Ebenso wie die Zeit bedarf der Raum genauerer Beachtung bei der Bildinterpre­tation. Und das in zweifacher Weise. Einmal wäre bei den hier vorgestellten Bildpro­grarnmen präziser zu gewichten, welche Elemente eher in Deutschland und welche mehr in Italien gebräuchlich gewesen sind. Bei manchen, wie den Kurfürsten, liegt es auf der Hand. Bei anderen, etwa den Darstellungen gerechter Richter oder der bildli­chen Umsetzung des Romanitaskonzeptes, steht ein länderübergreifender Vergleich noch aus128

. Um diesen methodisch abgesichert zu führen, ist differenzierter - das ist der zweite Punkt - nach der genauen Aufstellung oder Anbringung der Objekte zu fragen 129, aber auch nach Bildprogrammen im Umfeld des Rathauses. Politische Funktionen, die in anderen "öffentlichen" Räumen der Stadt ihren Ort hatten, sollten dabei leitender Gesichtspunkt sein. In Aorenz sind uns beiläufig schon der Palast des Podesta mit einem Weltgerichtsbild sowie der Palast der Kommune mit seinen viri

illustres und Schlachtenbildern begegnet. Hinzuzufügen wären noch der ebenfalls genannte öffentlichen Kornspeicher, Orsanmichele, und die Loggia della Signoria, die spätere Loggia dei Lanzi130

• Die vergleichende Behandlung der Rathausikonographie

125 Darauf verweist zurecht Dieter Blume, Die Argumentation der Bilder - Zur Entstehung einer städtischen Malerei, in: Belting/ Blume (wie Anm. 9), 13-21, hier 14. Vgl. auch Donato, Pittura politica (wie Anm. 10), 493ff., die in Anlehnung an Rubinstein der Bedrohung der Kommune durch die Signorie um 1300 eine hohe Bedeutung beimißt. 126 Blume (wie Anm. 125), 14. Daß mit den eher naturalistischen Szenen auch andere Bevöl­kerungsgruppen etwas anfangen konnten und der Kreis der möglichen Rezipienten vom Ort der Anbringung oder der Aufstellung der Bilder abhing, steht außer Frage. Das muß jeweils im Einzelfall diskutiert werden. 127 In bezug auf die Person des Marcus Curtius fragt sich das auch Roeck (wie Anm. 33), 101. 128 Die Vorreiter- oder Sonderstellung Italiens muß nicht eigens betont werden, sondern ist mittlerweilen Gemeinplatz. Mir geht es mehr um Gemeinsamkeiten, vielleicht auch um die Anregung, Gemeinplätzen nicht vorbehaltlos zu folgen. 129 Insbesondere ist zu beachten, ob es sich um Innenräume, Treppen oder Außenfassaden beziehungsweise Plätze handelt. 130 VgJ. zu den unterschiedlichen "civic buildings" in italienischen Städten Cunningham (wie Anm. 33), 29ff.; dort wird darüber hinaus noch auf die Funktion der unterschiedlichen Teile und Etagen dieser Gebäude eingegangen. Ein eigenes Thema sind die hier nur am Rande erwähnten

Vom Mythos der Republik 377

muß mindestens ergänzend diese anderen Gebäude, aber auch Tore, Mauern und Plätze in die Betrachtung einbeziehen. Da Stadtmagistraten in Deutschland in der Regel kaum so differenzierte Gebäudekomplexe zur Verfügung standen, wird ein abgesicherter Vergleich mit Italien die Ratskirchen nicht unberücksichtigt lassen dürfen. So hatte die Marienkirche in Dortmund mit ihrem Chorgestühl für Ratsherren sowie dem Kaiserfenster mit Karl IV. und den sieben Kurfürsten ein "typisches Rat­hausprogramm, während Kaiser und Kurfürsten am Rathaus erst 1481 auftauchen ,,131.

Schwieriger als die Herausarbeitung räumlicher und zeitlicher Differenzen sind schlüssige Antworten auf Fragen nach dem Zusammenhang von Text und Bild. Bei einigen Motiven - beispielsweise manchen Kaiserdarstellungen, bei Kurfürsten oder dem Löwenkampf Grins - spielen Inschriften keine Rolle, bei anderen - etwa bei Pro­pheten, Philosophen, Sibyl.len und den Zyklen berühmter Männer - sind die Figuren in erster Linie Texthalter oder Textillustration132

• Den Texten kommt hier die führende Rolle zu und nicht zufa.llig wurden von den Fresken des Hansasaals in Köln, der Straßburger 'FreiheitstafeF Sebastian Brants oder dem Bildkreis der Viri illustres des Coluccio Salutati ausschließlich die Sprüche und Verse überliefert. Mittelalterliche und früh neuzeitliche Zeitgenossen waren offensichtlich nicht daran interessiert, die Erinnerung an die Bilder wachzuhalten. Das gilt im übrigen auch für manche Histori­enmalerei, wie die Überlieferungssituation im Falle der übermalten Gemälde in der Lübecker Hörkarnmer gezeigt hat.

Ins Zentrum der Frage nach der "Bürgerlichkeit" der Rathausikonographie führt das Problem des Text-Bild Zusammenhangs bei einer anderen Gattung: Bei der im 14. Jahrhundert in Italien aufkommenden monumentalen Allegorie, "die damals als eine neue Funktion der Wandmalerei hervortritt,,133. Berühmtestes Beispiel auf dem Felde der politischen Ikonographie ist der Zyklus des Ambrogio Lorenzetti in Siena, mit dem wir begonnen haben. Am Bild des 'Buon Governo' soll deshalb am Ende der Versuch unternomen werden, die anfangs aufgeworfenen Fragen zu bündeln. In Rech­nung zu stellen ist dabei die selten thematisierte Einzigartigkeit dieses Bildpro­gramms, das für Verfechter der Republikanismusthese bis heute das bevorzugte Exer-

Brunnen, literatur bei Ulrich Schulze, Brunnen im Mittelalter. Politische Ikonographie der Kommunen in Italien (Europäische Hochschulschriften, Kunstgeschichte 209), Frankfurt u.a.O. 1994; Herkommer (wie Anm. 75); Albrecht (wie Anm. 33), 47f. 131 Ehbrecht, (wie Anm. 99), 250. VgJ. auch die oben, Anm. 105, erwähnten Skulpturen an der Querschiff-Fassade der Marienkirche in Mühlhausen. Gerade in der Frühzeit haben auch in Italien die Kirchen eine große Rolle in der politischen Ikonographie gespielt, vgJ. Donato, Pittu­ra politica (wie Anm. 1O),495f. 132 Lohnenswert wäre ein genauer Vergleich der in Deutschland und Italien gebräuchlichen Sprüche, die sich auf Rechtsprechung und die gerechte Ordnung des Gemeinwesens beziehen. Der hier vermittelte Eindruck, daß bestimmte Topoi - wie das Diligite iustitiam, das Audiatur et altera pars, die Erinnerung an den Gemeinnutz oder die Aufforderung, für das Vaterland zu sterben - in beiden Ländern gleichermaßen vorkommen und ähnlichen Stellenwert besaßen, wäre zu überprüfen und eine umfangreiche Dokumentation wert. Dann würde vermutlich deutli­cher, daß Deutschland nicht in jedem Falle der Entwicklung in Italien hinterherhinkt: man denke nur an den Hansasaal in Köln. Zu Spruchbändern in Italien vgl. Donato, Pittura politica (wie Anm. 1O),498ff. 133 Belting, Bild als Text (wie Anm. 33),24.

378 Ulrich Meier

zierfeld abgibt. Methodisch kann die zweifache Hervorgehobenheit durchaus von

Nutzen sein: Wer hier keinen Republikanismus findet, findet ihn kaum anderswo. Randolph Starn hat eindringlich auf die Bedeutung der Schrift im Sieneser Bild­

programm hingewiesen und in diesem Zusammenhang an Schriftlichkeit als Herr­schaftsinstrument einer Führungselite erinnert134

. Diese sei auch der eigentliche

Adressat des Zyklus. Starn unterscheidet die lateinischen Inschriften - den Spruch

Diligite iustitiam qui iudicatis termm oder die lateinischen Namen der Tugenden -

von den Inschriften und der Tafel unterhalb des Bildes, die in Volgare verfaßt sind.

Ihr Text illustriert seiner Meinung nach die Bilder und erläutert den Gesamtplan135,

dessen Gerüst durch die lateinischen Wörter im Bild gekennzeichnet ist. Zum Ver­

ständnis der im Bildprograrnm entwickelten "theory of republican politics" benötigen wir Starn zufolge keine weiteren Texte als diese, ·ergänzt um einige Bildelemente136

Die von Skinner herausgearbeiteten Ergebnisse läßt er weitgehend gelten und konze­

diert, daß die Texte des Bildprograrmns "Gemeinplätze" aus den Regimentsspiegeln und der Ars-dictaminis Literatur gewesen sein können.

Gegen diese Bevorzugung der Textelemente im Gesamtkunstwerke hat sich

Hans Belting ausgesprochen. Er dechiffriert den komplexen Zusammenhang von Bild

und Text, indem er in Parallele zur Rhetorik die Argumentation der Bilder an die allegorischen Figuren bindet und die Unterschrift gleichsam als öffentliche Rede an

den Zuschauer auffaßt. Im Gegensatz zu dieser nur rational dekodierbaren Ge­samtstruktur rekurriere das naturalistisch abgebildete Detail auf die empirische Erfah­

rung des Betrachters und erfiille die Funktion eines Exempels in der Literatur. ,,Damit", so seine These, "appellieren die empirischen Motive an die persönliche Wahrnehmung, während die Komposition das kollektive Wissen symbolisiert,,137.

Starns und Beltings Auffassungen zum Text-Bild Verhältnis lassen sich kaum harmo­

nisieren. Als Anregungen sind sie allemal fruchtbar und gemeinsam legen sie eine

Schlußfolgerung nahe, die unsere Fragestellung betrifft. Adressat des Bildprogramms

134 Stam, Room ofPeace (wie Anm. 9), 9ff.; ders., Saladei Nove (wie Anm. 30), 30. 135 Ebd., 37ff. Der Text der Tafel, ebd. 264f.: Questa santa virtu, la dove regge, induee ad unita gli animi nwlti, e questi, a cib rieolti, un ben eomun per 10 signor si fanno. Lo qual, per governar suo stato, elegge di non tener giamma' gli oeehi rivolti dallo splendor de' vblti delle virtu ehe torno a lui si stanno. Per questo eon triunfo a lui si dimno eensi, tributi e signorie di terre; per questo senza guerre seguita poi ogni civile effetto - utile, neeessario e di diletto. Übersetzungsvorschlag: ,,Diese heilige Tugend (Gerechtigkeit) bewegt, dort wo sie herrscht, viele Seelen zur Einheit, und die, zu diesem Zweck versammelt, machen sich ein allgemeines Wohl zum Herm. Und der beschließt, um das Gemeinwesen zu regieren, die Augen nie vom Glanz der Angesichter der Tugenden, die ihn umgeben, abzuwenden. Darum bringen sie ihm Abgaben, Tribute und Herrschaften des Umlands im Triumphe dar; daraus folgt schließlich, ohne Krieg, jeder zivilisierende Effekt: nützlich, notwendig und erfreulich". 136 Ebd., 37. Zur Einordnung dieses Zyklus' vgl. jetzt auch Klaus Arnold, Bilder des Krieges - Bilder des Friedens, in: Fried (wie Anm. 48). 137 Belting, Bild als Text (wie Anm. 33), 31. Auf seine bedenkenswerte Interpretation des 'Buon Governo' ebd., 36ff., kann ebensowenig eingegangen werden wie auf den ebd., 54ff., unternommenen Versuch, Komposition, Bildargument und natürliche Details in Parallele zu setzen mit mittelalterlicher Mnemotechnik, die Erinnerung an Einzeldaten durch rational ein­sichtige Reihung oder Ordnung zu erleichtern trachtete. Auch muß die von ihm konstatierte Ähnlichkeit mit Strukturen in der zeitgenössischen literatur außer Betracht bleiben.

Vom Mythos der Republik 379

war weniger der einfache Bürger als der litterate Laie aus dem Kreis der Führungs­gruppen der eigenen Stadt oder entsprechende Personen aus dem Um- oder Ausland. Cum grano saUs läßt sich dieser Befund auf alle hier diskutierten Kontexte ausweiten.

Bleibt noch, unser Hauptanliegen zu klären: Was hat eigentlich das Fresko des 'Buon Governo' in Siena mit Starns "theory of republican politics" oder Skinners

anfangs referierter "vision of self-governing republicanism" zu tun? Wenn, was sug­geriert wird, mit Republikanismus tatsächlich die Favorisierung einer bestimmten

Staatsform, unterschieden von anderen, gemeint ist, spricht meiner Ansicht nach

nichts dagegen, einfach "nichts" zu antworten. Weder die Darstellung der Gerechtig­

keit im linken Bilddritte1, noch die am Strang der Eintracht ziehenden Personen,

weder die Tugenden, noch die Herrscherfigur können das Gegenteil belegen. Daß gute

Herrscher Tugenden b~itzen müssen, ist seit der Antike Gemeinplatz. und Gerechtig­keitsdarstellungen, so konnten wir feststellen, haben wenig mit spezifisch städtischen Phänomenen zu tun!38.

Die Herrschergestalt - auch wenn sie Siena zugleich mit dem bonum commune verkörpern mag - könnte man schlicht als Herrschaftsikone lesenJ39

• Iurisdictio, pote­stas und imperium waren, wie wir wissen, austauschbare Begriffe und gebräuchliche Metaphern für Herrschaft140

• Warum sollten Bilder nicht ähnlich ehrwürdige, der

138 Die Diskussion um' die rechte Interpretation der beiden Szenen der Waagschalen der Justitia, die mit dem aristotelischen Begriffspaar distributiva und eommutativa überschrieben sind, wird seit Rubinstein, Political Ideas (wie Anm. 7), 182f., in jedem Beitrag zu diesem Bild kontrovers geführt und kaim hier nicht aufgerollt werden, vgl. Siam, Sala dei Nove (wie Anm. 30), 43ff.; Skinner, Lorenzetti (wie Anm. 7), 38; Frugoni, Distant City (wie Anm. 8), 12lff. (sie plädiert für eine Vertauschung der Prädikate); Schild, Gerechtigkeitsbilder (wie Anm. 36), 134ff. Donato, Immagini politiche (wie Anm. 11), 335ff., bestimmt (wie Schild) die iustitia distributiva (linke Waagschale in Abb. 1) in Anknüpfung an den Dominikaner Calvalca als iustitia punitiva; sie beleit darüber hinaus, daß die Gegenstände, welche der Engel der iustitia eommutativa in der linken Waagschale vergibt, vermutlich Scheffel maß und Längenmaß sind: damit werde auf die Bedeutung von rechtem Maß und Gewicht im Handel hingewiesen. 139 Skinner, Lorenzetti (wie Anm. 7), 4lf., meldet mit Recht Bedenken an gegen eine allzu glatte Ineinanderblendung von bonum eommune und Herrschergestalt, schießt aber über das Ziel, wenn er in ihr den gewählten und an Gesetze gebundenen Signore sieht. Frugoni, Distant City (wie Anm. 8), 136f., zum biblischen Ursprung von senex, Greis, als der der Herrscher dargestellt ist. Vgl. auch Stam, Sala dei Nove (wie Anm. 30), 50f. Mario Aseheri, Statuten, Gesetzgebung und Souveränität: Der Fall Siena, in: Statuten, Städte und Territorien zwischen Mittelalter und Neuzeit in Italien und Deutschland, hrsg. von Giorgio Chittolini und Dietmar Willoweit (Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient 30), Berlin 1992, 113-155, hier 129, weist zurecht auf die Ähnlichkeit mit Kaiserdarstellungen hin, seine Interpre­tation, hier sei "die Respubliea als eigenständiges Wesen, unterschieden von der Regierung" Bild geworden, muß allerdings mit einem Fragezeichen versehen werden. Vgl. auch Kantoro­wiez (wie Anm. 19), 130f., der die Herrschergestalt Lorenzettis als "Kaiserfigur" deutet und den Gegensatz von Kaisertum und Tyrannis als Bildtopos nachweist. Zur Herrschergestalt als visuel­ler Personifikation der Kommune vgl. Donato, Pittura politica (wie Anm. 10),494, 51Off. 140 Noch im Jahre 1426 wird in einer für den Sieneser Kommunepalast bestimmten Intarsi­enarbeit des Mathia Senensis Johannis die geistliche Gewalt durch die Stadtpatronin Maria und die weltliche durch die Figur des Podesta dargestellt, der Herrschaftsmetapher seit dem Hochmittelalter, vgl. Chiara Frugoni, Inunagini politiche e religiose: trama e ordito di una stessa societa, in: Storia d'Italia, Annali 9: La Chiesa eil potere politico dal Medioevo all'eta

380 Ulrich Meier

politischen Aktualität wenig angemessene, aber vielleicht gerade deshalb besonders wirkungsvolle Darstellungsformen wählen wie die besprochenen Podestaspiegel? Und die vierundzwanzig Personen, die am Band der Eintracht ziehen - neben der Hervor­hebung der concordia mit dem alles gleichmachenden Hobel wohl die deutlichste Anspielung auf die urbane Lebenswelt -, sind sie wirklich Mitgieder des bürgerlichen Magistrats l41 ? Bürger werden es wohl sein, obwohl der Terminus nicht auftaucht, aber wenig spricht dagegen, hier eher an eine Darstellung der Gesamtheit, der universitas, zu denken. Es gibt schließlich Darstellungen, bei denen das Band der Eintracht die ganze Stadt umgürtetl42

, darüber hinaus bezeichnet die Zahl "Vierundzwanzig" wie keine andere "eine universitas von Personen" und ist seit Cassiodor der bevorzugte numems plenitudinis l43

• Kurz und gut: Auch wenn einzelne Elemente wie die Beto­nung der Eintracht und die Abbildung einer herrschaftsbefohlenen Vielheit auf die spezifisch städtische Welt hindeuten, ist damit keine besondere Herrschaftsform iden­tifizierbar. Am bonum commune hatte schließlich jede gute Herrschaft, auch König­tum oder Aristokratie, orientiert zu sein, für Gerechtigkeit und Eintracht gilt das glei­che.

Am Ende soll nicht in Abrede gestellt werden, daß mit dem Bild des 'Buon Governo' Herrschaft in Siena gemeint war und der Bildzyklus Position gegen die als Tyrannis begriffene Signorie bezog. Der entscheidende Punkt ist meines Erachtens allerdings, daß hier nicht etwa die Visualisierung eines republikanischen Regimes vorliegt: Die Leistung dieses Bildprogramms besteht vielmehr in der künstlerisch und kompositorisch einmaligen Anstrengung, Herrschaft in der Stadt als legitime Herr­schaft in einem komplexen Bild zur Darstellung gebracht zu haben. Damit ist das regimen civitatis mitnichten abgegrenzt worden von Monarchie oder Aristokratie. Es wurde schlicht zur einer legitimen Variante der Verfaßheit eines corpus politicum, die Juristen mit Termini wie iurisdictio, potestas oder imperium auf den Begriff zu brin­gen gewohnt waren, und von der Philosophen sagten, daß politisches Handeln in einem solchen Gebilde immer das Gemeinwohl im Auge behalten müsse. Die im gegenüberliegenden Bild vom 'Mal Governo' dargestellte "Tyrannis" soll dement­sprechend eine am bonum proprium ausgerichte Herrschaft und deren Folgen für das Gemeinwesen visualisieren.

contemporanea, hrsg. von Giorgio Chittolini und Giovanni Miccoli, Turin 1986,347-353, hier 352 und Abbildung 18. 141 Auch in der neuesten literatur liest man die umstrittene These, die "Vierundzwanzig" erinnerten an den Vierundzwanziger Rat des 13. Jahrhunderts, die Vorläuferinstitution der Nove, so bei Norman, Saladei Nove (wie Anm. 7),157. Zu einer noch weitergehenden Interpre­tation vgl. Donato, Immagini politiche (wie Anm. 11), 328; ihr Argument, mit den vierund­zwanzig Personen sei der Magistrat und darüber hinaus, frei nach Ptolomäus von Lucca, ein principatus plurium und damit eine aristotelische Verfassungsfonn gemeint, überzeugt mich nicht ganz. Eine solche visuelle Umsetzung aristotelischer Verfasungstheorie bliebe zudem völlig singulär, vgl. oben Anm. 11 und unten Anm. 145. 142 Vgl. Frugoni, Immagini politiche (wie Anm. 140),352 und Abb. 17 (Neroccio di Barto­lomeo di Benedetto de'Landi: La vergine raccomarula Siena a Gesu, 1480). 143 Lexikon der mittelalterlichen Zahlenbedeutungen, hrsg. von Heinz Meyer und Rudoif Suntrup, München 1987,679- 684, hier 68lf.

Vom Mythos der Republik 381

Eingliederung der Stadt in die mittelalterliche Theologie und Theorie guter Herr­schaft, nicht Republikanismus, ist die Pointe des Sieneser Bildzyklus und sicher keine geringe Leistung. Auch die anderen in diesem Aufsatz genannten Bildmotive an und in Rathäusern hatten vornehmlich dieses Ziel: Die Gerichts- und Weltgerichtsdarstel­lungen, die Kaiser und Kurfürsten, die Propheten, Philosophen, Sibyllen, die Neun Helden oder antike Exempla tapferer Taten. In der Auswahl der konkreten Abbildun­gen, etwa in der Bevorzugung von Personen aus dem republikanischen Rom oder der Judithfigur, mag'der urbane Hintergrund eine Rolle gespielt haben. Die eigene Stadt, das Flair der historischen Individualität, tauchte allerdings eher an den Rändern der thematisierten Komplexe auf. Bei der Darstellung des Löwenkampfes des Kölner Bür­germeisters Grin, in der Abbildung von Dichtern der eigenen Stadt oder in Historien­gemälden der Rathäuser von Siena, Venedig oder Lübeck wird die Identifikation mit der Geschichte der Kommune besonders spürbar gewesen sein. Immer aber blieb dieser Lokalpatriotismus eingebunden in übergeordnete reichs- oder heilsgeschichtli­ehe Strukturen, er war gewissermaßen stets universell verortet.

Weiterhin soll und darf im Zusammenhang mit der Rathausikonographie sicher von "bürgerlich", "urban" oder "städtisch" geredet werden. Das Paradigma ,,Republi­kanismus" aber kann auf dem Felde der mittelalterlichen Ikonographie ohne erkennt­nismindernde Folgekosten ersatzlos gestrichen werden144

. In theoretischen Texten wird man seit dem 15. Jahrhundert begrenzt von ,,republikanisch" sprechen dürfen, bei Bildern erst im Späthumanismus145

• Darstellungen einzelner Verfassungsformen begegnen in unserem Untersuchungszeitraum in und an Rathäusern meines Wissens nicht146

. Herrschaft wurde in dieser Zeit, und hier unterschieden sich Städte und Kö­nigreiche nur graduell, eben immer mit dem Hauch der Erhabenheit und der Aura der Majestät dargestellt und gedacht. Denn, so rät der Görlitzer Stadtschreiber Johannes

144 Der kaum re:tipierten und eher abstrakten Beurteilung der Sachlage durch Greenstein (wie Anm. 108), 494, Lorenzetti habe in seinem Zyklus nicht beabsichtigt, ein Abbild Sienas und seiner Verfassung zu geben, sondern "a general argument on the nature of civil rule" entworfen, kann ich vorbehaltlos zustimmen. 145 Wenig relevant für die Geschichte der Rathausikonographie ist eine Theorietradition, derzufolge die mittelalterliche Stadt eine Mischverfassung (Thomas von Aquin), ein principatus politicus (Ptolomaeus von Lucca), ein regimen ad populum bzw. regimen per paucos (Bartolus von Saxoferrato) oder gar die unalegitima reip. gubernarulae jorma (Leonardo Bruni) sei, vgl. Meier, Mensch und Bürger (wie Anm. 6), 118f., 198f., 214. Selbst der "Sonderfall Venedig" führt hier nicht weiter. Die Vorbildfunktion dieses Stadtstaates mit seiner vermeintlich gemisch­ten, temperierten und daher zeitüberdauernden Verfassung ist seit dem 15. Jahrhundert in Schriften zur politischen Theorie vielerorts präsent (vor allem in Florenz). Allerdings hat dieser Topos keinen Niederschlag in bildlichen Darstellungen gefunden, er war darüber hinaus stets verquickt mit der Vorstellung vom göttlichen Ursprung der Adriastadt und ihrer Institutionen. Wie die Ikonographie des Dogenpalastes blieb Venedigs Staatsdoktrin auch im 16. Jahrhundert "basically medieval" (Staale Sinding-Larsen, Christ in the Council Hall. Studies in the Reli­gious Iconography of the Venetian Republic [Acta ad Archaeologiam et Artium Historiam Perti­nentia 5], Rom 1974, 134-155, hier 155). 146 Zu einer anderslautenden Position vgl. oben Anm. 11 und 141. Eine Darstellungder Demokratie (als schlechter Verfassungsform) findet sich beispielsweise im Augsburger Rathaus erst 1623, vgl. Martin Warnke, Die Demokratie zwischen Vorbildern und Zerrbildern in: Zei­chen der Freiheit (wie Anm. 33),75-97, hier 87.

382 Ulrich Meier

Frauenburg 1476 seinem Bürgermeister, er sal den leuten nicht zu gemeine noch gesellig sein, wenn doruss komen vercleinung und vorachtung, und seine gebot wer­den diste leichtfertiger uffgenommen147

• Metaphern von Herrschaft und Grundmuster politischer Ikonographie hatten, so könnte das Fazit lauten, sehr lange Halbwertzeiten, ihre Transformation hielt selten Schritt mit der kontinuierlichen Veränderung der Verfassungswirklichkeit, kurz: es waren Strukturen von langer Dauer.

147 Zit: nach der Edition der 'Anweisung' bei Richard Jecht, Die Pflichten eines mittelalterli­chen Bürgermeisters, in: Deutsche Geschichtsblätter 10 (1909), 89-102, hier 92. Auch in Flo­renz war man überzeugt, daß eine Signoria, die sich zuviel in der Offentlichkeit sehen läßt, ihre Reputation verliert, vgL Umberto Dorini, n culto delle memorie patrie nella Repubblica di Firenze, in: Rassegna Nazionale 179 (1911), 3-25, hier20f.

Vom Mythos der Republik 383

Abb. 1: ~legorie des 'Buon Govemo', Fresko von Ambrogio Lorenzetti (133840) an der Nordwand der 'Sala dei Priori', des Sitzes des Kleinen Rates, im Palazzo Pubblico von Siena. linke obere Gruppe: Sapientia, darunter justitia, überwölbt vom Spruch diligite iustitiam q{ui] iudicatis terram, mit zwei Waagschalen; die linke Schale ist mit {iustitia] distributiva, die rechte mit comutativa überschrieben. Rechte obere Gruppe: Umschwebt von den theologischen Tugendenjides, caritas und spes thront eine Herrschergestalt, gekleidet in den Sieneser Farben Schwarz und Weiß. Sie wird flankiert von weltlichen Tugendallegorien: pax, fortitudo, pruden­tia, magnanimitas, temperantia, justitia (von links). Am linken Arm trägt der Herrscher einen Schild mit einem Bild Marias, der Stadtpatronin, und dem Jesuskind. Zu seinen Füßen werden Ascius und Sienus, die Zwillingssöhne des Remus und legendären Gründer Sienas, von einer Wölfin gestillt. Im unteren Bilddrittel sieht man links eine concordia mit einem Hobel auf dem Schoß. Sie fugt Schnüre, die von den beiden Waagschalen der Gerechtigkeit ausgehen, zum Band der Eintracht zusammen, das vierundzwanzig Bürger ergreifen und zur Herrschergestalt weiterleiten. Im rechten unteren Drittel übertragen zwei Herren dem Herrscher ihre Burg und Krieger bewachen gefesselte Gefangene. [An der Ostwand, der Blick der pax ist dorthin gerich­tet, befinden sich Fresken, die die segensreichen Auswirkungen der guten Regierung in Stadt und Land ins Bild setzen, und an der Westwand erblickt man die düstere Allegorie des 'Mal Govemo'].

384 Ulrich Meier

Abb. 2: Gerichtsbild (121 : 144 cm) aus der Ratskammer des Rathauses zu Wesel, in Öltempera auf Eiche gemalt von Derick Baegert (1494/94). Spruch über dem Richter: Siet hier besynt wael wat gy duit suert! nyet valselick vm tytlick guet! want got die heer die weit dat wael [nt! leste gericht he it ordellen sael. Der Teufel zum Zeugen: Hald up die hant! wilt v nyet scamen/ swert in alre duuelJ name[ n J. Der Engel hält dagegen: Swer niet valJselick wat ghil duet gi verliest! got dat ewighR/ guet.

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Abb. 3: Die Neun Guten Helden im Hansasaal des Kölner Rathauses (vermutlich um 1360nO, Frühdatierung: um 1330). Die drei kleinen Figuren oben an der Wand, unterhalb der Spitztonne, sind: Ein König mit Urkunde, eine Person mit Flußsymbol (Stapelrecht) und eine mit Turm (Befestigungsrecht).

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Abb. 4: Der Kriegskapitan Guido Riccio da Fogliano bei der Belagerung von Montemassi, wohl um 1330 gemalt von Simone Martini.; darunter die Übergabe eines Kastells, vielleicht des Ortes Giuncarico im Jahre 1314: Fresken in der 'Sala deI Consiglio', dem Versammlungsraum des Großen Rates, im Palazzo Pubblico von Siena.

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