Léda Forgó - Vom Ausbleiben der Schönheit

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  • 8/2/2019 Lda Forg - Vom Ausbleiben der Schnheit

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    Leseprobe aus:

    Lda Forg

    Vom Ausbleiben der Schnheit

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    Copyright 2010 by Rowohlt Berlin Verlag GmbH, Berlin

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    Sie wurde rot, als sie sich auden Stuhl schob. Sie knpte ihren Mantel au. Alle hier

    wussten, was sie vorhatte. Mit dem Ellbogen stie sie an dieNachbarin zu ihrer Rechten. Die hatte dasselbe vor. Nochhtte Lle gehen knnen. Niemand schaute zu ihr her. So tunknnen, als ob sie etwas vergessen htte. Einigen lagen gln-zende Boris Becker und Angelina Jolie au dem Scho. Anderestarrten einach in die Lut. Obwohl ihre Blicke denselbenRaum kreuzten wie Lles, wirkten sie weit weg. Lle bewun-derte diesen inneren Nachdruck, mit dem sie sich inmittendes Geschehens so weit ort hatten katapultieren knnen.

    Sie htte auch anruen und sagen knnen, dass sie krankgeworden war. Das wre gar keine Lge gewesen. Irgendwiewar sie ja auch krank. Sie htte den Termin verschieben kn-nen. Verschieben ging nicht. Dann absagen.

    Die sonnige Altbauwohnung war gellt mit Frauen, ob-wohl es erst acht Uhr in der Frh war. Die Tageszeit wurdevon den Lichtverhltnissen verlscht. Das Licht war gelb-lich warm und gemtlich, wie an einem rhen Nachmittag.Beinahe lie die Wohnungsatmosphre vergessen, dass manin einer Praxis sa und dass es dar einen Grund gab. Das

    Parkett knarrte, und Lle elen die Pantoeln ihrer Gro-mutter ein. Eine unwillkrliche innere Wrme lie ihr Mbelund Gesichter vertraut vorkommen. Alle schienen in sich zuruhen. Sie berkam die vage Sehnsucht, mit den hier Anwe-

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    senden innige Zeiten zu verbringen, eine Art Kommune, ineinmaliger und kollektiver Nhe.

    Als sie vor zehn Minuten aus der U-Bahn gestiegen war, hattesie versucht, schnell aus der nach Urin riechenden Unterh-rung ans Licht zu gelangen. Sie wich ein paar sich gegenseitiganpbelnden Obdachlosen aus, sprang ber Scherben undversuchte eine Drohung in Grafti-Form nicht zu ihrem Ver-

    stand durchzulassen. Sie hatte Angst.Oben angelangt, wurde sie beinahe von einer kinderwagen-schiebenden Frau berrollt. Nachdem sie einem nicht ab-brechen wollenden Autokonvoi zugesehen hatte, berquertesie die Strae. Zweimal versank sie ast bis zum Knchel inPtzen. Sie schimpte und wurde um ein Haar von einemschwarzen Rucksack getroen, den ein Jugendlicher wild berseinem Kop kreisen lie. Au ihren bsen Blick hin wieher-ten die Schler. Die Autos uhren mit knatternden Motoren.Ptzen spritzten, Bremsen quietschten, Fugnger sprangenau den Bordstein zurck. Sie lie an einem Baklava-Ladenvorbei und schluckte, nicht einmal Kaee durte sie trinken.Ein dnn gewordener Dnerspie drehte seine Runden.

    Knstliche Palmenbume einer Cocktailbar logen, nicht dortzu sein, wo sie waren. Darunter Bambustische und Bnke,eucht, leer. Aus breiten Einahrten bogen Lieerwagen, undpltzlich lag dort der Eingang, den sie suchte, mit dem Schilddes Kreuzberger Arztes. Am Ort westdeutscher Verherrlichungvon Verkommenheit, mit dem Berliner Eigengeschmack von

    Klte mit einer herben Winduntermalung.

    Als sie die Rume betrat, hatte sie sich soort behaglich ge-hlt. Jetzt aber blitzte ihr die Ursache au, warum sie hier sa.

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    Sie hatte einen Termin, um ein Stck von sich loszuwerden.Musik, Herzschlge. Sie hatte einen Termin, aber noch keine

    Entscheidung.Eine Krankenschwester betrat das Zimmer von der anderen

    Seite, beugte sich zu einer ins Leere starrenden Frau, sprach siesant an, sie uhr dennoch zusammen. Hinter dem Schwes-ternrcken tat sich der noch nicht betretene Raum au, allesphten dorthin, als stnde da der verheimlichte Weihnachts-

    baum. Die Frau stand au und rate hastig den bodenks-senden Mantel und ihre Handtasche zusammen, deren Rie-men sich sogleich nacheinander wieder von ihren Schulternlsten. Im Gesicht der Schwester sa ein Lcheln, als ob sietiee Freude empnden wrde, diese Frau hier anzutreen. Alshtte sie schon lange gewartet. Au sie.

    Den anderen nickte die Schwester reundlich zu, dass siesich allesamt willkommen hlen mussten.

    Die Tr ging zu, Lle starrte au den leeren Platz der Abge-holten, riss den Kop hoch, als die Tr wieder auging. Diesmalstreckte eine etwas ltere Frau den Kop herein, schaute in dieRunde, als suchte sie eine Kandidatin r eine Quizshow. IhrBlick tra Lles, die erneut errtete. Aber die Hand der rztin,

    die herangetreten war, berhrte das Nachbarknie. Lle lie ih-ren Blick sinken und hrte das Rattern im eigenen Brustkorb.Kommen Sie mit?, ragte die rztin die Auserwhlte miteiner solchen Nachsicht in der Stimme, dass Lle gerne r je-den Buchstaben ein Vermgen bezahlt htte, glten die Worteihr. Wir mssen noch kurz miteinander reden. Sie mssen

    sich jetzt nicht so bereilt entscheiden. Die Frau stammelteetwas. Na, kommen Sie!Wieder ging die Tr zu. In Lle breiteten sich Dankbarkeit

    und Honung aus. Hier wird man umsorgt. Sie konnte kaum

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    erwarten, geragt zu werden. Sie wrde mit der vernntigenrztin ihre Zweiel einer Inventur unterziehen und zu dem

    Schluss gelangen, dass sie dieses Kind wollte. Pltzlich war siesich trotz aller Hindernisse sicher. Sie brannte darau, es mit-zuteilen, sie wollte die Stationen ihres Gangs nach Canossaaumalen, die Reaktion au diesem taktvollen Gesicht ver-olgen. Sie wollte Mitleid und Anteilnahme. Nur einmal. Nurganz kurz. Und dar, dachte sie, war sie am richtigen Ort. Sie

    war gespannt wie vor einem Autritt. Sie war voller Eier, astplatzte sie vor Ergebenheit, alles richtig zu machen, zu zeigen,dass sie kein Kind unntig tten lie. Dass sie anders war alsdie um sie herum Sitzenden.

    Lle hie nicht Lle. Sie hie Lbn Lenke. Lle ergab sich ausden ersten zwei Silben ihres Vor- und Zunamens. Alle, selbstihre Gromutter Tamama, nannten sie Lle. Nur ihre Mutterhatte sie stets Lbn Lenke geruen. Immer beim vollen Na-men. Verniedlichte und verzrtelte man Kinder, blieben sieau ewig die Idioten, die sie waren, meinte sie.

    Warum heie ich Lbn?, hatte Lle ihre Mutter geragt.Weil du au meinem Bein gesessen hast.

    Lbn heit au Ungarisch au dem Bein von jemandem.Bestimmt nicht au dem meiner Mutter, dachte Lle. Siekonnte sich nicht erinnern, je dort gesessen zu haben.

    Kosenamen zu verwenden war wie Spielen. Ein winzigesAntippen weich und kurz, ausreichend, um das am anderenVertraute wachzuruen. Eine Silbe nur oder vielleicht zwei

    konnte man leicht vor sich hin skandieren, und es entstandein Gebet, das die vermisste Person beinahe heraubeschwor.Wie sie Tama ma ma ma ma gestammelt hatte, wenn sie krankwar. Der ganze Name dagegen klang nach Ermahnung oder

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    Hohn. Lles Mutter nannte alle Leute beim Kosenamen, nursie nicht. Und die, ber die sie sich lustig machte.

    Als Lle nach Deutschland zog, hatte sie berlegt, wie siesich nennen sollte. Damals htte es die Mglichkeit gege-ben, aus Lle Lenke werden zu lassen, wie das ihre Mutterursprnglich gewollt hatte. Aber au Deutsch Lenke zu seinwar wieder anders. Der Name klang ein bisschen wie Linke, was politischen Kpen sympathisch klingen mochte, aber

    es knnte auch bedeuten, dass sie eine linkische Person war,plump und taktlos. Dann gab es diesen neumodischen Inter-netausdruck: Ich schick dir einen Link! Oder hatte Lenkeetwas mit lenken zu tun? Beeinussen und manvrieren? Siesah Rennahrer mit dickem Schutzhelm nur die Augen le-bendig und rhetorisierende Politiker, die vor einem Stehpultgestikulierten. Sie verzog das Gesicht. Sie hlte sich nicht wieeine Lenke. Sie war Lle und ertig.

    Die Schwester holte Lle. Zwar lchelte sie auch diesmal, aberjetzt wirkte es wie ein schwacher Abdruck. Entweder war siedes Lchelns mde geworden, oder sie mochte Lle nicht.Pltzlich hatte Lle Zweiel, ob die Frau sie verstehen wrde.

    Sie setzte Lle au einen Stuhl und verschwand. Eine Liegewurde vor dem Zimmer vorbeigeschoben. Lle versuchte zuerkennen, ob sie die darau schlaende Frau aus dem Warte-raum kannte. Aber sie hatte nur wenige Sekunden, bevor dieLiege aus dem Bild rollte, und sah nur Haare und die zu-gedeckte Silhouette. Gleich wrde die rztin zu ihr kommen.

    Gleich wre Lle dran.Die Schwester kam zurck, setzte sich ihr gegenber anden Computer und stellte Fragen. Es wird alles protokol-liert, dachte Lle. Hier dar nichts au die leichte Schulter

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    genommen werden. Dann schwieg die Krankenschwester.Sie schien auch zu warten. Sie stand au, nete die Tr,

    schaute mehrmals hinaus, um die Zeit zu berbrcken,holte Dinge aus dem Schrank, bereitete ein kleines Tablettvor, sicher r die rztin. Sie stellte das Tablett neben Lleau einen Tisch. Dieser Frau wollte Lle nichts mehr sagen.Die llt hier keine Entscheidungen. Lle hote au dasschmale Gesicht der rztin in der Trnung. Die Schwester

    nahm ihren Arm. Nach ein paar Versuchen wrde sie sowie-so die rztin kommen lassen. Ihre Venen waren schwer zunden. Lle sah, dass die Schwester Flssigkeit in die Spritzezog. Die Tr ging au. Lle drehte sich strahlend um. Endlichkonnte sie etwas sagen. Die rztin stand dort.

    Sie hlte den Einstich in ihrer Armbeuge. Soort breitetesich ein grochiges tzendes Brennen au ihrer Haut aus, sohetig, dass sie berlegte, sich zu beschweren.

    Sie setzte sich au und begann die Kleidungsstcke ber ihreaugedunsenen Gliedmaen zu ziehen. Ihr Hirn hlte sichklebrig an. Wo sie genau war, wusste sie nicht. Sie bewegte sichumsichtig aus Furcht vor Schmerz. Denn was sie wusste, war,

    dass es ihr nicht gelungen war, der rztin die nderung ihrerAbsichten mitzuteilen. Um die Tragweite dessen zu begreien,schwamm das Trapanal noch zu hochprozentig in ihrem Blut.

    Die Schwester schien ihre Vene getroen zu haben. Als sieins Hosenbein stieg, entdeckte sie eine dicke Binde in ihremHschen. Wer hatte so einen Job, in Hschen von Ohnmch-

    tigen zu kramen? Ob ihr der Mund oen gestanden hatte wieeiner Toten? Der Kop verrenkt und etwas zur Seite gerutscht,vielleicht waren sogar die Augen einen Spaltbreit genet,aber man sah nur das Weie wie bei einer vergiteten Ratte.

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    Daheim angelangt, schlie sie ein paar Stunden. Dann lagsie wach. Obwohl sie nur lag, stahl sich die Zeit schnell da-

    von. Als das Teleon klingelte, hob sie mechanisch ab. Diebarsche Sekretrin der katholischen Parrei meldete sich mitungewhnlicher Lebendigkeit in der Stimme. Frau Lbn,wunderbare Nachrichten, die Parrei ist bereit, r Ihr Kindmonatlich nhundert Euro zu zahlen.

    In Lles Brustkorb steckte etwas von der Gre einer alten,

    sperrigen Kommode.Frau Lbn?Es gibt kein Kind mehr. Ihr Hals war trocken, und ihre

    Stimme klang wie eine Tonbandaunahme.Oh. Das tut mir sehr leid , die Stimme der Sekretrin

    bte Farbe ein. Sie schwiegen beide, die Teleonanlage derkatholischen Kirche zhlte die Sekunden. Lle hatte r solcheSituationen keine Floskel bereit. Sie legte au.

    Au die katholische Kirche war sie verallen, als sie nachnanzieller Untersttzung r ihr Kind gesucht hatte. AuTamamas Frage nmlich: Mit welchem Geld willst du dasKind ernhren?, bekam sie Schweiausbrche. Studien-abbruch, Erwerbsunhigkeit, Zwangsrckumsiedlung nach

    Ungarn zu Tamama, die sie und ihre Brut von ihrer lachhatenRente zu verkstigen htte.

    War der Erzeuger kein Deutscher, stand einem Neugebore-nen vom Staat keine nanzielle Untersttzung zu. Htte einunbekannter Deutscher sie vergewaltigt, htte der deutscheStaat auch kein Erbarmen gehabt: nur Vaterschatstest oder

    Anerkennung zhlten. Aber ihr Kind wchse doch hier au,argumentierte Lle, es wrde Deutsch als Muttersprachesprechen, und sollte es einmal was au die Beine stellen, dasAnsehen Deutschlands vermehren umsonst.

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    Sie suchte nach Pseudovtern. Ein enternter Bekannterhatte sich sogar angeboten, den Ungeborenen als seinen Sohn

    anzuerkennen. Aber die bei einem Anwalt verbrachte Stundelie ihn erblassen und von seinen Absichten zurcktreten: AnErbrecht hatten sie nicht gedacht. Dann berlegte sie, ob siebei Weheneintritt nicht ber den Zaun der amerikanischenBotschat klettern sollte, um dort zu gebren und ihrem Kindzumindest die amerikanische Staatsangehrigkeit zu sichern.

    Schlielich rie sie bei der katholischen Kirche an, immerhinpredigte sie immer gegen Abtreibung, jetzt konnte sie wastun. Aber die Sekretrin klang eher skeptisch, und dass sieeinen eventuellen Rckru in Aussicht stellte mit dem Fehlenjeglicher Herzlichkeit in der Stimme, bewertete Lle als eineMethode des Abschttelns. Dass sie tatschlich zurckrie,schockierte sie. Es war zu spt.

    Beim Duschen schaute sie zum ersten Mal an ihrem Krperhinunter. Schwarz verrbt rann das Wasser ihre Beine hinab.Der Unterbauch war stark geschwollen. Sie dachte an das o-ensichtliche Geheimnis, das hinter einer solchen Wlbungsteckte. Doch dann durchschoss es sie: Nur noch der Schor

    war da. Trotz beel sie. Vielleicht war ihre Intuition genauerals chirurgische Instrumente. Oder vielleicht war das Unge-borene strker als alle, die mit Gerten oder Kleinmut nachseinem Leben trachteten.

    Pvel rie an. Er sprach sant. Sie heulte, er seuzte. Sie heulte

    noch mehr. Er sterte alte Zrtlichkeiten. Sie sagte, ihr Le-ben wre wie in der Mitte eines Vakuums. Pvel sagte: Oh,Llelein, oh, Llelein!

    Seine letzten Autritte waren von anderer Art gewesen. Im-

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    merhin war er gekommen, hatte sich zu Hause davongestoh-len. Aber er hatte mit drohender Stimme gezischt, die immer

    wieder in Abscheu und Hme umschlug, hatte sie dazu be-wegen wollen, das Kind abzutreiben. Ihr erschien es unwahr, je von ihm liebkost worden zu sein. Selbst ihre Sehnsucht,von ihm schwanger zu werden, kam ihr vor wie von jemandanderem erzhlt. Aber sie war schwanger geworden. Dass erausgerechnet jetzt wieder zrtlich war und sie trstete wegen

    dem, was er von ihr verlangt hatte, schmerzte.Einige Tage nach der Abtreibung kaute sie einen Schwan-gerschatstest. Sie schaute au den Urineck, der es nichtmehr in sich hatte, das Lackmuspapier zu verrben. JeglicherTrost, Wunder, Kunstehler wurde ihr versagt, man riss ihrWrmeschichten vom Leib und schaute zu, wie sie im eisigenSturm mit bloer Haut zurechtkam.

    Im einundzwanzigsten Jahrhundert, wusste Lle, sucht manLinderung ern von sich, aber ohne sich aus den eigenen vierWnden hinausbewegen zu mssen. Sie wrde die Liebe vonnun an selbst in die Hand nehmen. Sie wollte vergessen. Und wenn vergessen nicht ging, sich rchen. Sie wollte sich mit

    anderen amsieren und es Pvel wissen lassen, auch wenn siewusste, dass Pvel dadurch nicht untergehen wrde.

    Sie meldete sich bei einer kostenlosen Online-Partner-vermittlung an und vereinbarte Blind Dates mit drei Per-sonen.

    Der Erste war Chemiker. Er hatte ein vernarbtes Gesicht.

    Sicher ist er gehnselt worden, und das hat sein Einhlungs-vermgen geschrt. Dass sein Haarschnitt von keinem Friseurstammte, bezeugte, dass er zu Vertrauen hig war. Zumindestder Person gegenber, die ihn verunstaltete. Er hatte die Beine

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    lssig bereinandergeschlagen, was ast schon intellektuellwirkte. Blo sa in seinem Mundwinkel ein spttisches L-

    cheln, das nie auhrte, egal was sie sagte. Sein Pullover warbraun-schwarz mit maschinegestrickten Mustern. Eine wei-tere beremdliche Tatsache war, dass er sich mit ihr in derUni-Mensa verabredet hatte. Und jetzt holte er sich, ohnesie zu ragen, ob sie etwas wollte, au einem betagten TablettBohneneintop, der nach Splmittel roch, und n dicke

    Scheiben Brot. Mit gesundem Appetit begann er zu essen.Was r eine traurige Gestalt im Vergleich zu dieser wun-derbaren Auslese an menschlicher Kstlichkeit namens Pvel.Als sie wieder zu Hause war, lschte sie sein Prol von derListe ihrer Bekannten.

    Der Zweite war sechs Jahre jnger als sie. Sein Gesicht wirkte unertig. Seine Gliedmaen schlenkerten um ihnherum. Am Garderobenstnder schlug er sich den Kop an,sein Rucksack blieb an der Tischkante hngen und riss dennicht geleerten Aschenbecher der vorherigen Gste mit. SeineTurnschuhe schtzte sie au mindestens Gre nundvier-zig. Er hatte schmale Fe und zog die Schnrsenkel est zu-sammen. Er wollte Raumahrt und Planktologie studieren,

    eine Partnervermittlung au die Beine stellen und nebenbeials Discjockey arbeiten. Als er zahlte, holte er die letzten Centsaus dem Portemonnaie. Den Rest musste sie ergnzen, ob-wohl er unbedingt r sie zahlen wollte. Sein Gesicht lie rotan, er entschuldigte sich tausendmal und erklrte, in ein paarTagen Geld zu bekommen. Sie lieen ein paar Straen ge-

    meinsam. Der Junge htte Pvels Sohn sein knnen. Sie maltesich den Spott in seinem Gesicht aus, sollte sie mit diesemtollpatschigen Geschp autauchen, das die Ich-Phase derKindheit noch nicht hinter sich gelassen zu haben schien, er

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    badete im eigenen Licht, ohne um die eigenen Lcherlich-keiten zu wissen. Mit so einem augeblasenen Jngling sollte

    sie erscheinen, nein. Au der Fahrt zu ihrer dritten Verabredung bermannte

    eine hetige Unlust Lle, und sie stieg nicht aus. Dann ent-schied sie, doch zurckzulauen. Diese Minuten widerwil-ligen Gehens wrden sie in den kommenden Jahren nichtmehr loslassen. Wieder und wieder wrde sie sie in Sekunden

    und Zehntelsekunden zerlegen, um ihre Entscheidung, dochhinzugehen, nachvollziehen zu knnen.Am vereinbarten U-Bahn-Ausgang wimmelte es von War-

    tenden. Einige konnte sie wegen Alter oder abweichendemGeschlecht ausschlieen. Eine Gestalt in Baseballmtze ta-xierte sie. Die Gestalt schmunzelte mit einer verzeihendenberlegenheit, als ob er alles ber jeden wsste, am bestenaber das, was man von sich selbst keineswegs erahnen konnte.Als ob er auch hinter allem Dreckigen das Gute und Wahreerkennen konnte. Ein Menschenreund. Sie wandte den Blickab. Es musste jemand sein, der sie nach der Gesetzmigkeitvon Blind Dates keineswegs ansprechen wrde. Sie hrte ihrenNamen. Sie errtete und sagte den seinen, noch bevor sie sich

    umdrehte. Kurz waren sich ihre Blicke nah, nur der Schirmwar dazwischen, wie ein Tunnel zwischen zwei Augenpaaren.

    Sie stiegen Treppen. Von jeder Seite strmten Menschenans Licht. In ihren Ohren drhnten Gedanken. Sie setztensich in die Fischbar Moor. Es roch nach Dosenmais. Sie trankTee, er trank Bier. Als sein Wortschwall nicht abbrach, lste

    sich ihre Angst. Sie verolgte die elsigen Gebrden, mit denener die Jeansjacke auhngte. Als er die Kappe abnahm, rutsch-ten seine Augen zur Gesichtsmitte und wirkten belanglos. Dieangehende Glatze verschob die Proportionen. Obwohl der

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    Mann unablssig redete, konnte Lle zwischen seinen Wortenkeine Brcken schlagen.

    Seit drei Jahren war sie in Deutschland. Nach n Wochenhatte sie begonnen, ihr erstes Buch zu lesen, hatte jedes Wortnachgeschlagen. Auch spter noch bltterte sie ter im Wr-terbuch, um zu pren, ob es Wrter gab, von denen sie nochnie gehrt hatte. Je weniger sie and, desto ungestmer suchtesie. Sie sprach mit einem unverkennbar ungarischen Akzent

    und benutzte Wendungen wie ein archaischer Reisebericht.Dem Orthopden blieb die Spucke weg, als sie ihm, whrender au ihrer Kniescheibe herumdrckte, ausgeeilt ihre Be-schwerden beschrieb. Das war ein Jahr nach ihrer Ankuntgewesen.

    Jetzt, whrend sie au die krummen Finger starrte, die dasBierglas von beiden Seiten umklammerten, ragte sie sich, ober die gleiche Sprache sprach. Ickes und Wattens brckel-ten durch seinen Lautebrei, und Lle malte sich dicke Watte-wolken am Horizont aus, die sich bald au die Fischbar Moorsenken und alle Insassen ersticken wrden.

    Nach weniger als einer Stunde entkam sie und rie von derU-Bahn aus eine alte Klassenkameradin an, die von ihrem

    Budapester Schreibtisch aus italienische Anzge neuestenSchnittes kaute und verkaute. Schrecklich, schrecklich,klagte Lle in den Hrer, niemals!

    Nie wieder sollte sie erleben, dass die Fischbar Moor ge-net hatte. Immer wrden die Scheiben von nun an nstersein. Das rote Schild mit den weien Buchstaben unbeleuch-

    tet und verschmutzt, der einltig gezeichnete Fisch blind undtot, obwohl er im Sprung abgebildet war. Es war seltsam un-wirklich, je dort gesessen zu haben.

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    Was dagegen wirklich und nah erschien, war die Brcke, auder Pvel und sie unterwegs immer haltgemacht hatten. Pvel

    wollte die Strecke zwischen zwei Orten schnell hinter sichbringen, Lle alles esthalten. Whrend sie minutenlang auder Brcke stehen und ins Wasser schauen konnte, sterte erLle bettelnd ins Ohr, dass er gehen wolle. Lle lchelte, mehrnicht. Das zweiache Gewlbe des Bietigheimer Viadukts ver-doppelte sich im Wasser. Er nahm sie beim Arm, aber die

    Muskeln leisteten Widerstand. Ich gehe, sagte er. Von ihrkeine Reaktion. Ciao!, rie er und enternte sich zwei Schrit-te. Dann lie er hastig los. Wenn er ber die Schulter sah, dasssie immer noch da stand, bremste er rgerlich seinen Schritt,und Lle holte ihn irgendwann ein. Im Treppenhaus stiegensie gemeinsam bis zum Dachgeschoss. Lles Wangen glhten.Pvel schimpte, seine Finger wren Eiszapen.

    In der kleinen, sprlich eingerichteten Wohnung, die injeder Ecke das Bildnis von Pvels weier Haut trug, erlittensie Mdigkeitsanlle. Ihr Zusammensein begann dort, woes normalerweise auhrt. Das Ende des eigentlichen Ge-schlechtsakts war der Autakt. Als die Triebe schon beriedigt waren, begann das hochprozentige Erahren. Berhren und

    immer wieder neu eststellen, dass die Wucht nicht wich,wenn die Hand die remde Haut betastete. Noch nie war sievon jemandes Haut so besessen gewesen. Egal an welchemEnde des Krpers sie die Reise begann. Und wenn sie au-tauchte und zum Gesicht zurckkehrte, stie sie au seinenBlick. Ein Kinderblick, dachte Lle, wild und zart und doch

    lstern.In jeder Phase des Tages konnten sie schlaen. Die Morgenund Nachmittage ossen zu einer Mischung zusammen.

    Sie gingen zum Gymnasium, wo Pvel mit seinen Schlern

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    einen Zeichentricklm produzierte. Lle, die an der Kunstaka-demie Animation studierte, assistierte ihm. Fr einen Zeichen-

    tricklm ber einen Mistker, eigentlich ein Nebenprodukt,ein Scherz, hatte Pvel einen internationalen Preis bekommen,und er zuckte mit den Schultern, wenn man ihn danach ragte.Lle und Pvel tauchten bei den Schlern mit geschwollenenNachmittagsschla-Gesichtern au, als kmen sie selbst aus ei-ner sagenumwobenen Welt wie ihre Helden. Im Studio waren

    die Fensterscheiben verdunkelt. Lle atmete die Nhe vielerKrper, kollidierte mit Gliedmaen, manchmal mit remden,manchmal mit Pvels. Seine erkannte sie blind. Sie sa imwohligen Kollektiv. Au der Leinwand tanzten Figuren, dieberzeichnete Zge von Pvel trugen. Nach dem Film knipsteer das Licht an und erklrte, alle hrten ihm gebannt zu, LlesBlick sprang von Auge zu Auge, um bei Pvel zu landen. Jedermusste die Nhe zwischen ihnen wahrnehmen, dachte Lle,aber niemand war indiskret genug, um eine Frage zu stellen.Manchmal erhaschte sie einen wissenden Blick, aber vielleichtinterpretierte sie ihn nur alsch, schlielich war sie verblendetvon einer Hormonberschwemmung schlimmster Sorte, evo-lutionsbedingt und altersgerecht.

    Nach Studioschluss saen sie jeden Abend im ChapeauClaque. Ihre Hnde suchten einander au dem schwarzenTisch. Der Schaum au den Glsern, die Bluse der Kellnerinwaren die einzigen weien Tupen im vollkommen schwarzeingerichteten Raum. Sie bestellten heie Schokolade und ba-ten um das Schachbrett, ber dem Lle sa wie rher als Kind.

    Sie hatte eine der Polgr-Tchter werden wollen. Alle dreihatten von klein au mit ihrem Vater Schach gespielt, alle dreiwaren Champions geworden und standen weit oben au derWeltrangliste. Lle hatte ihre Mundwinkel und ihr Nagelbett

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    wund gekaut, ebernd neue Wege r die Figuren suchend,war aber immer enttuscht worden. Tamamas Spiel hatte sie

    nie durchbrechen knnen. Jetzt spielte sie leichtsinnig, sie be-tastete die Figuren gern, die Pvel gerade absetzte. Er rgertesich. Sie bedrngte ihn. ber dem Schachbrett berhrten sichihre Kpe.

    Sie waren zwar miteinander beschtigt, aber sie prsentier-ten auch ihre Liebe vor Dritten, der entlichkeit, vor Unbe-

    kannten. Sie suchten nach der Integration als Liebespaar, diewegen Pvels Eheversprechen gegenber einer anderen nichtbewilligt sein sollte, und auch wegen ihres Arbeitsverhltnissesnicht. Im Chapeau Claque holten sie sich tglich die Billigungihrer Verbindung.

    Sie redeten, um die Zeit hinauszuzgern. Um die Vor-reude in die Lnge zu ziehen. Um die Berhrungen, die imDachgeschoss olgen wrden, an Se und Tiee zu steigern.Die Gedanken des anderen konnte man genauso verzehrenwie dessen Haut. Im Kop begann der Krper.

    Sie mochte, wie er sich bewegte, seine hellen Farben, die winzigen Falten au dem sonst ungewhnlich glatten Ge-sicht. Die milden Speckstreien, seinen Nabel und vielleicht

    am meisten den Mund, sant und eischig. Ihr geelen dieFratzen, die er schnitt, seine Geheimratsecken, die schmaleNase, die lcherlichen Hrchen au der Brust, die Hnde mitpeinlich sauberen Ngeln, wie er teleonierte, laut, den Hrereinige Zentimeter vom Ohr ernhaltend, und wie er gierigkaute. Sie konnte seine schlechten Witze gut leiden, seine Un-

    geduld, seinen Akzent, und es strte sie nicht, wenn er sichnach anderen Frauen umdrehte oder mit der Kellnerin irtete.Selbst das, was ihm an ihr geel, an wen sie ihn erinnerte,was r Phantasien sie in ihm weckte, wollte sie erschlieen.