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10 Lernen und Gedächtnis
}ürgen Milde
Der Mensch muss laufen und sprechen lernen undlernt zeitlebens aus seinen Erfahrungen mit derUmwelt. Lernen ist für uns ein selbstverständlicher Vorgang, dessen Nützlichkeit außer Fragesteht . Dahinter verbirgt sich eine herausragendeFähigkeit des Nervensystems, die es uns erlaubt,zusätzlich zu der im genetischen Code verschlüsselten Information aufgrund von ErfahrungenVeränderungen unseres Verhaltens vorzunehmen .Lernen ist untrennbar verbunden mit dem Gedächtnis, wo das Gelernte gespeichert und stabilisiert wird, was dessen Anwendung zu einemspäteren Zeitpunkt ermöglicht. Es ist leicht einzusehen, dass Lernen auch für Insekten eine wesentliche Erweiterung der Überlebensfähigkeitbedeutet.
Ein Rückblick in die Geschichte der Lernforschung zeigt, dass es ein langer Weg war, bis derMensch den Tieren, und gar erst den Insekten, denGebrauch "verwandter geistiger Kräfte" zugestehen mochte. Noch zu Beginn des zwanzigstenJahrhunderts standen sich Vertreter extremer Positionen erbittert gegenüber. Die einen sahen Insekten als belebte Maschinen an, denen kein plastisches Betätigungsvermögen zuzugestehen war,während die anderen in den Insekten die wundersamsten Fähigkeiten und ein dem Menschen vergleichbares "Geistesleben" vermuteten. DeutlicheHinweise auf das Lernvermögen von Insekten waren schon in Berichten früher Naturforscher enthalten , wobei vor allem Beobachtungen an sozialen Hymenopteren dominierten. So wusste manz.B., dass Bienen zu einem Futterplatz, an dem sieeinmal Honig gefunden hatten, zurückkehrten,obwohl gar kein Honig mehr da war. War darüberhinaus ein derartiger Futterplatz beim ersten Besuch mit einem auffälligen Gegenstand markiertgewesen, so begannen die Bienen nach ihrer Rückkehr ähnlich aussehende Objekte an benachbartenPlätzen mit Ausdauer auf mögliches Futter zuuntersuchen. Dieses Verhalten bedurfte zumindesteines Gedächtnisses für Gegenstände und Örtlichkeiten. Als Fazit derartiger Studien schreibt August Forel im Jahr 1910: "Es kann unbedingt behauptet werden, dass Insekten imstande sind,Wahrnehmungen zu machen , zu lernen, sich zuerinnern , sowie ihre Erinnerungen zu assoziieren
und zur Erreichung bestimmter Zwecke ... davonGebrauch zu machen".
10.1 Futterdressuren beiHonigbienen
Der experimentelle Beweis für Forels Aussagewurde in den Jahren 1912 und 1913 vom späterenNobelpreisträger KarI von Frisch durch Versuchean der Honigbiene geliefert. Unbestritten war zudiesem Zeitpunkt, dass Bienen durch Futtergabeauf bestimmte Farben dressierbar waren. Unklarwar jedoch , ob diesem Vermögen ein Farbensinnzugrunde lag oder die Farben nur anhand ihresfarblosen Helligkeitswertes unterschieden wordenwaren.
Wäre die Biene farbenblind , dürfte sie einegegebene Farbe von einem bestimmten Grautoneiner Helligkeitsskala von Weiß bis Schwarz nichtunterscheiden können . Zur Dressur (Abb. 10-1)verteilte Karl von Frisch ein farbiges (z.B. blaues)und diverse graue Papiere in beliebiger Anordnungauf einem Tisch. Auf jedes Blatt wurde ein Schälchen gestellt, jedoch nur auf der Farbe Blau war esmit Zuckerwasser gefüllt. ließen sich die Bienenhier nieder, so konnten sie zur Belohnung densüßen Trank saugen. Zur Vermeidung eines Ortseinflusses wurde die relative Lage der Papiere zueinander zwischen den Fütterungen ständig gewechselt. Die Bienen sollten ja allein die Farbe zurIdentifizierung des richtigen Futterschälchens heranziehen . Nach ausreichender Dressur erfolgteder Test (Abb. 10-1): Nun befand sich auch aufdem blauen Papier nur ein leeres Schälchen undalle Papiere waren zusätzlich mit einer Glasplatteabgedeckt, um etwa vorhandene Geruchsmarkierungen zu eliminieren. Die anfliegenden Bienenließen sich suchend an dem Schälchen auf demfarbigen Papier nieder und es traten keinerlei Verwechslungen mit irgendeinem Grauton auf. Siewaren also offenbar nicht farbenblind, sondernkonnten zumindest Blau als Farbe erkennen .Durch Versuche mit weiteren Farben konnte vonFrisch schließlich das Farbensehen der Honigbiene
274 10 Lernen und Gedächtnis
Dressur
oo
o Farblafel
o
~ Schälchen mit Zuckerwasser
Test
Abb. '0-': Dressurversuch zum Farbensehen der Honigbiene. Aufsicht aufden Versuchstisch, aufdem verschiedene Tafelnmit Grautönen sowie eine Farbtafel ausgelegt und mit Glasschälchen versehen sind. Nur während der Dressur enthält das aufderFarbtafel stehende Schälchen Zuckerwasser. Nach erfolgreicher Dressur suchen dieBienen imTest bevorzugt aufder Farbtafel nachFutter. Sie können somit die Farbe von allen Grautönen unterscheiden und haben zudem gelernt, sie als Signal für Futter zuassoziieren. (Nach v. Frisch 1914)
nicht nur nachweisen sondern auch dessen Beschaffenheit charakteris ieren. In die Literatur gingdiese Studie als erster Nachweis eines Farbensinnsbei Invertebraten ein, wobei die bemerkenswerteLernleistung der Biene nicht die gebührende Aufmerksamkeit fand und eher im Hintergrund blieb.Immerhin hatten sich die Tiere einer gelerntenFarbe sicher erinnert und diese als Signal fürFutter assoziiert. Erst in der Folgezeit wurdedurch weitere Arbeiten Karl von Frischs und seiner wissenschaftlichen Nachfahren unübersehbar,wie außerordentlich schnell und gut Bienen trainierbar waren. Diese Lernfähigkeit ermöglichte es,das erstaunliche Repertoire ihrer Sinnesleistungenin einzigartiger Weisezu erforschen. So weiß manheute z.B, dass sich Bienen anhand des Magnetfeldes der Erde und des Musters des polarisiertenHimmelslichtes orientieren können (s. 9.5), einenZeitsinn besitzen und mittels einer Tanzsprachesoziale Kommunikation betreiben.
Mit der Methode der Farbdressur wurde aberauch das Lernvermögenselbst detailliert erforscht.So ist der Zeitraum, in dem eine Biene die Farbemit dem Futter assoziieren kann , auf ein Fenstervon wenigen Sekunden unmittelbar vor der Landung am Futterplatz begrenzt. Nach der Landung, beim Saugen des Honigwassers sowie beimAbflug, wird das Farbsignal nicht mehr gelernt.Bienen lernen zwar sehr schnell, doch ist die Geschwindigkeit mit der gelernt wird durchaus nichtfür alle Farben gleich. Die Farbe Violett lernen diemeisten Bienen schon nach einmaligem Besuch
des Futterplatzes mit anschließender Belohnung,wohingegen für den gleichen Lernerfolg bei Blaugrün fünf Anflüge erforderlich sind. Bereits nachwenigen Belohnungen bleibt ein gelerntes Farbsignal wochenlang im Gedächtnis einer Biene gespeichert. Bienen lernen Farben somit nicht nurschnell sondern auch dauerhaft.Die weitere Untersuchung des Sehvermögens durchFarbdressuren ergab zudem erstaunliche Parallelen zwischen der Farbwahrnehmung der Honigbiene und derdes Menschen . Farbkontraste bewirken bei Honigbienenund Menschen ähnliche Illusionen , sodass vergleichbareProzesse der Signalverarbeitung in beiden Sehsystemenvermutet werden können .
10.2 Kategorien vonLernvorgängen
Nach der heutigen Lernterminologie gehört die inKarl von Frischs klassischen Versuchen eingesetzte Dressurmethode zu den operanten Konditionierungen und die untersuchte Lernform zumassoziativen Lernen. Im Gegensatz zu den einfachsten, nicht assoziativen Lernformen wie Habituation und Sensitivierung, bei denen die Antwortauf einen wiederholten Reiz entweder vermindertoder gesteigert wird, lernt der Organismus bei denkomplexeren assoziativen Lernformen durch einenKonditionierung genannten Vorgang die Beziehung
10.2 Kategorien von Lernvorgängen 275
Zucker wasser
Ausgangssituation
. ....• ". t . ".. . ~ ... .. o· • •... t l o.
c.••• f' ..··9, ..Duft > ~[t~
Kondition ierung IVerstärkung I Test
UnkonditionierterReflex Kein Reflex Reizpaarung Belohnung
KonditionierterReflex
Abb. 10-2: Klassische Konditionierung des Rüsselreflexes auf einen Duftreiz. Kommt ein Tropfen Zuckerwasser mit derAntenne in Berührung, streckt die Biene den Saugrüssel heraus (Rüssel reflex). Ein Duftreiz bleibt ohne Wirkung. Bei derKonditionierung werden Zuckerwasser und Duft gepaart, und anschließend darfdas TIer zur Belohnung Zuckerwasser saugen. DieBiene zeigt daraufhin allein aufden Duft einen Rüsselreflex. Sie hatgelernt, den Duft- mit dem Zuckerwasserreiz zu assoziieren.
zwischen Ereignissen (Reizen, eigenen Aktivitäten)in der Umwelt. Zwei experimentelle Methodendominieren die Analyse des assoziativen Lernens:die "operante" und die "klassische Konditionierung" . Die operante Konditionierung führt zur Assoziation einer von vielen spontanen Verhaltensweisen mit seiner Konsequenz (Strafe, Belohnung), die durch eine spezifische Reizsituation signalisiert wird . Dabei muss das Tier nach demPrinzip "Versuch und Irrtum" herausfinden, welche Verhaltensreaktion erfolgreich ist. Die Methode der operanten Konditionierung wurde vonEdward Thorndyke (1898) eingeführt und ist besonders durch die von dem amerikanischen Psychologen B. F. Skinner entwickelte "Box" bekanntgeworden. In einem typischen Beispiel lernt eineRatte in der "Skinner-Box", bei Autleuchten einesLichts eine Taste zu drücken, woraufhin als Belohnung etwas Futter freigegeben wird.
Die klassische Konditionierung geht auf Experimente zurück, die der Physiologe Iwan Pawlow inder Mitte der zwanziger Jahre auf der Basis einesSpeicheltlussretlexes an Hunden durchführte.Während bei der operanten Konditionierung einebestimmte Verhaltensaktion mit einem Reiz assoziiert wird, erfolgt bei der klassischen Konditionierung eine Assoziation zwischen zwei Sinnesreizen,wobei . das Verhalten im Prinzip unverändertbleibt. Abb. 10-2 illustriert die Grundzüge des Ablaufs einer klassischen Konditionierung am Beispieleiner Honigbiene. Ausgangspunkt ist hier ein Rüsselreflex: Kommen Geschmacksrezeptoren derAntenne mit Zuckerwasser in Berührung, so wirdder Saugrüssel in Erwartung einer Futterquelle
herausgestreckt. In der Natur ist dieses Verhaltenz. 8. dann zu beobachten, wenn die Biene mitvorgestreckten Antennen auf der Suche nach Nektar in eine Blüte eindringt. Eine weitere Gelegenheit zur Beobachtung bieten durchnässte Bienen,wie man sie hin und wieder nach überraschendenRegenschauern finden kann. Sie lassen sich miteinem in Honig getauchten Zahnstocher wiederaufpäppeln, wobei man den Rüsselretlex und dasimposante Saugverhalten verfolgen kann. In derLernterminologie wird ein derartiger Reflex alsunkonditioniert (unbedingt) bezeichnet, das Zuckerwasser als unkonditionierter Reiz. Bietet derExperimentator der Biene einen Duft an, so erfolgt kein Rüsselretlex, man spricht von einemneutralen Reiz. Bei der Konditionierung wird nunwährend eines neutralen Duftreizes durch Gabevon Zuckerwasser der Retlex ausgelöst, d. h. beideReize werden miteinander gepaart. Wird das Tieranschließend durch eine kurzzeitige Fütterung belohnt, so lernt es schnell, das Duftsignal mit derBedeutung "Futter" zu assoziieren. Nach erfolgreicher Konditionierung bewirkt nun die alleinigePräsentation des Dufts ein retlexartiges Ausstrecken des Rüssels. Diese Verhaltensantwort wird alskonditionierter Reflex, der Duft als konditionierterReiz bezeichnet. Die Anzahl der Konditionierungen, die für einen Lernerfolg nötig sind, geben einMaß für die Lernfähigkeit des Versuchstieres.
Inzwischen ist es auch bei diversen Mottengelungen, derartige Konditionierungen durchzuführen und somit tieferen Einblick in deren Erkennung und Unterscheidung von Düften zu gewinnen .
276 10 lernen und Gedächtnis
10.3 Duftlernen beiHonigbienen
Im Laufe ihres Lebens verrichten Arbeitsbienenaltersabhängig alle zur Erhaltung des Volkes nötigen Tätigkeiten. Als Stockbienen (Jungbienen) beginnen sie mit Innenarbeiten (Putzen, Brutpflege,Wabenbau), gefolgt von einer Phase als Wächterinnen am Flugloch, um schließlich bis zu ihremLebensende als Sammlerinnen tätig zu sein. Innerhalb dieser Lebensabschnitte scheint auch dasLernvermögen unterschiedlich ausgeprägt zu sein.Erst.wenn die Jungbienen ein Alter von 6-7 Tagenerreicht haben, gelingt die olfaktorische Konditionierung des Rüsselreflexes . Diese Zeitspanne~ässt sich experimentell auf drei Tage verkürzen,mdem man die frisch geschlüpften Bienen mitJuvenilhormon behandelt. In Abb. 10-4 wurde derRüsselreflex von Sammel- und Wächterbienen einunddesselben Volkes auf zwei Düfte konditioniert.Zunächst fällt auf, dass der mäßig attraktive DuftOrangenblüte im Vergleich zur Abb. 10-3 jetzt vonden Sammlerinnen viel besser gelernt wird .Gründe könnten im Zeitpunkt des Versuches liegen: Er erfolgte im Sommer während einer mehrtägigen, kühlen Regenperiode, die die Sammeltätigkeit der Bienen erheblich beeinträchtigt hatte.Die Motivation, profitable Nahrungsquellen zufinden , war somit außerordentlich hoch. Auch dieWächterbienen können auf den Orangenduft konditioniert werden. Sie erreichen ein den Sammlerinnen vergleichbares Lernniveau jedoch erstnach fünf Konditionierungen. Der zweite Testduftist Isoarnylacetat, eine wirksame Komponente eines Pheromons, das beim Abwehrverhalten derBiene freigesetzt wird und Stockgenossinnen alarmiert. Erstaunlicherweise vermögen Sammlerinnen selbst diese Substanz im Rüsselreflextest nochmit "Futter" zu assoziieren und lernen sie soschnell wie Wächterinnen den Orangenduft(Abb. 10-4). Hingegen war keine der Wächterin nen auf dieses Alarmpheromon zu konditionierenwodurch die Abwehrbereitschaft der Fluglochwa~chen gesichert bleibt. Die Bedeutung des Pheromons während der Duftdressur wurde offenbar jenach Prädisposition der Bienen unterschiedlichinterpretiert.
dieser Versuchsreihe erweisen sich die Futtersignale Anisund Bittermandel gegenüber einem Orangenblütenduftals attraktiver. Jegliche Blütendüfte werden in ihrer Attraktivität noch von einem .Königinnenduft" übertroffen (ortho -Acetoaminophenon, eine Substanz aus denAusscheidungen der Königin), der von nahezu allen Bienen gelernt wird und die hohe Bedeutung der Königin imBienenstaat unterstreicht.
61 2 3 4 5
Anzahl der Konditionierungen
----....- .---'
)1.//)V
//I _ Königinnenduft-O-Anis
)f _ Bittermandel-0- Orangenblüle
oo
20
100
~ 80
~CD 60
~c:: 40
~
Untersucht man mit klassischen Konditionierungen des Rüsselreflexes das Duftlernen der Honigbienen detaillierter, so lässt sich die Vielfalt desPhänomens " Lernen" charakterisieren. Bereitsnach nur einer einzigen Konditionierung hat dieMehrzahl der Bienen einen attraktiven Duft (z. B.einen Blütenduft) gelernt (vgl. Abb. 10-3). Allerdings gibt es, wie unter uns Menschen, auch beiden Bienen gute und schlechte Lerner. So weisenBienen verschiedener Rassen durchaus unterschiedliche Lerndispositionen auf, die genetischvorprogrammiert sind . Zusätzlich beeinflussenphysiologische Zustände sowie Umweltfaktorendie Lernleistung einer Biene. Bienen, deren Honigmagen bereits gefüllt ist, sind schwerer zu konditionieren. Ähnliches gilt für Bienen , die ausgeflogen sind, Wasser zur Kühlung der Waben zuholen , wenn man sie an der Wasserstelle abfangtund in ein Lernexperiment verbringt. Natürlich istauch die Qualität des Futters von Bedeutung undwird von den Bienen bewertet. In Zeiten, in denendie Natur ein reichhaltiges, hochwertiges Nahrungsangebot bereithält (z. B. während der Lindenbl üte), sind Dressurexperimente selbst mithoch konzentrierten Zuckerwasserbelohnungenschwierig , wohingegen in Mangelzeiten auch Futtergefäße mit relativ dünnen Zuckerlösungen gernangeflogen werden.
Wie Farben in den Freiflugdressuren werden auch verschiedene Düfte im Rüsselreflexversuch durchaus nichtgleich gut gelernt. In Abb. 10-3 wurden Sammlerinneneines Volkes im späten Frühjahr getestet, zu einer Zeit,wo die Natur reichhaltig Bienennahrung anbiete t. In
Abb. 10-3: Lernkurven von Sammelbienen für Düfte(Rüsselreflexkonditionierung). Die lernrate beschreibt die~ro~entzahl der B!enen einer Testgruppe, die erfolgreich kondi noruert worden sind. Bei allen Testdüften haben die meistenBienen, b.ereits nach einer Konditionierung gelernt; weitereKon?I,t'?nlerungen bewirken nur noch geringe Steigerungen undstabilisieren den lernerfolg auf hohem Niveau. Der "Königinnenduft" wird gegenüber allen Blütendüften besser gelernt.
10.4 Physiologie und zelluläre Grundlagen 277
-0 Pheromon W 0
100
<fl.75
C1l«i
50 I...cQ; 25....J
0
Abb. 10-4: Vergleich des Duftlernvermögens von Stockbienen undSammelbienen eines Volkes. Wächterinnen (W) lernen den Blütenduft(Orange) schlechter als 5ammlerinnen(5). Während die 5ammlerinnen sogareinen Bestandteil des Alarmpheromons(Isoamylacetat) noch mit Zuckerwasser(Futter) assoziieren können, gelingt esnicht, auch nur eine der Wächterinnenaufdiesen Duft zu konditionieren.
10.4 Physiologie undzelluläre Grundlagen
Das Rüsselreflexpräparat ist für die Lernforschung in zweierlei Hinsicht herausragend: Zumeinen haben die meisten Bienen bereits nach einerKonditionierung gelernt, sodass die Analyse derDynamik, des Zeitverlaufes von Lern- und Gedächtnisvorgängen ermöglicht wird. Zum anderenlernen die Tiere selbst dann noch, wenn sie inRöhrchen so festgehalten werden , dass neurophysiologische Methoden zur Untersuchung desLernverhaltens eingesetzt werden können. Dadurch ist es möglich geworden, wesentliche Teileder neuronalen Schaltkreise des Duftlernens imBienengehirn zu lokalisieren: Zunächst werdenbeim Auslösen des Rüsselreflexes Zuckerrezeptoren auf der Antenne erregt, deren Signale schließlich bis in das Unterschlundganglion gelangen, wodie Motoneuronen lokalisiert sind, die den Rüsselbewegen. Die Duftinformation läuft von den Rezeptoren der Antenne in die Antennalloben ein,und wird dann über Interneuronen der AntenneCerebral-Trakte in die Pilzkörper und das lateraleProtocerebrum geleitet (vgl. 8.5.2.1). Die nötigeVerbindung vom Zucker- zum Duftreiz stellen offenbar Neuronen im Unterschlundganglion her,die auf Zuckerwasserreize antworten und ebenfallsin den Antennalloben, dem lateralen Protocerebrum und den Kelchen der Pilzkörper verzweigen.Wird im Experiment ein Dressurduft mit einerelektrischen Erregung dieser Neuronen gepaart, solernen die Bienen diesen Duft, obwohl kein Zuckerreiz präsentiert wurde und auch kein Rüsselreflex erfolgte. Darüber hinaus wurde ein extrinsisches Pilzkörperneuron identifiziert, dessen Aktivität durch Duftkonditionierung des Rüsselreflexes spezifisch verändert wird . Diese zellulärenAnalysen weisen übereinstimmend daraufhin, dass
die Pilzkörper nicht nur ein Ort der Verarbeitungolfaktorischer Information, sondern auch amDuftlernen beteiligt sind. Dieser Befund wirddurch Versuche an Taufliegen gestützt, bei denendie Ausschaltung der Pilzkörper zum Verlust desassoziativen Duftlernens führt.
Mit dem Ende eines Lernakts sind die Vorgänge im Nervensystem keineswegs abgeschlossen.Jetzt erfolgt die Einspeicherung des Gelernten, dieAusbildung des Gedächtnisses, das bei allen Lebewesen mindestens eine kurzlebige, instabile (Kurzzeitgedächtnis) und eine langlebige, stabile Form(Langzeitgedächtnis) aufweist. Dabei ist das Kurzzeitgedächtnis durch Eingriffe wie Elektroschocks,Kühlung oder Betäubung löschbar, wie man esauch bei der retrograden Amnesie menschlicherUnfallopfer beobachten kann. Auch bei mithilfedes Rüsselreflexes duftkonditionierten Bienen lässtsich das Gedächtnis durch gezielte Kühlung imBereich der Antennalloben und Pilzkörper unterdrücken, allerdings nur innerhalb von wenigenMinuten nach dem Lernakt. Danach ist das Gedächtnis stabilisiert und nicht mehr zu manipulieren.
Die elementaren zellulären Grundlagen von Lernen und Gedächtnis liegen in der Veränderung derEffektivität synaptischer Verbindungen innerhalbder neuronalen Schaltkreise. In den meisten Fällenwird die Aktivität molekularer Kaskaden, die dieausgeschüttete Transmittermenge kontrollieren,durch kurzfristige Modifikation beteiligter Proteine verändert. Bei Langzeiteffekten kann esdurch spezifische Genaktivierung nicht nur zurSynthese neuer, effektiverer Proteine, sondernauch zur Veränderung der Gesamtzahl synaptischer Kontakte kommen.
278 10 Lernen und Gedächtnis
10.5 Neurogenetik
Abb. 10-5: Abnahme des Duft-Gedächtnisses normaler(Wildtyp) und mutierter Taufliegen (Drosophila) , die klassisch konditioniert wurden. Die Raten beider Lernmutantenbeginnen auf erheblich vermindertem Niveau und fallen anfänglich steiler ab. Bereits nach 7 Stunden hat die dunce-Mutanteden Lerninhalt komplett vergessen. (Nach Tully 1987)
Auch Taufliegen bewältigen eine Reihe von Aufgaben, die assoziatives Lernen voraussetzen.Durch den Einsatz molekularbiologischer und genetischer Methoden bieten sich bei Drosophila einzigartige Einblicke in basale Mechanismen desLernens. Eine Standardmethode bedient sich einesFluchtreßexes, mit dem Farbsignale oder auchDüfte klassisch konditioniert werden können. Eintypisches Beispiel für Duftlernen: Eine Gruppevon hundert Individuen befindet sich in einer Versuchskammer, deren Boden elektrifiziert werdenkann . Kurze Elektroschocks lösen reflexartig dasFluchtverhalten aus (unkonditionierter Reflex).Während einer Trainingsphase wird abwechselndein Duftreiz zusammen mit einem Elektroschockoder ein zweiter Duft ohne Strafe präsentiert.Nachdem die Tiere in ein T-förmiges Rohr verbracht wurden, erfolgt der Test, in dem die Tierezwischen beiden Düften wählen können. Nacherfolgreicher Konditionierung haben die meistenFliegen gelernt, den mit der Strafe gepaarten Duftzu meiden. Durch Variation des Zeitfensters zwischen Training und Test, lässt sich feststellen, wielange der Lernerfolg anhält bzw. wie schnell dasGedächtnis abnimmt.
Das Versuchstier Drosophila, dessen kompletteDNA-Sequenz bekannt ist, bietet unter Anwendung derartiger Versuche die Chance, die Neurogenetik des Lernens zu untersuchen. Die beizellulären Analysen des Lernens bisher identifizierten Proteine sind genetisch codiert. Besäßen sieeine lernspezifische Funktion, sollte sich Lernendurch Mutation entsprechender Gene beeinflussenlassen. Tatsächlich ist es gelungen, aus der Vielzahl erzeugter Drosophila-Mutanten Stämme zuisolieren, die Lerndefizite aufweisen (Abb. 10-5).Diese Tiere mit reduziertem Duftlernvermögen
10.6 Orientierungsverhaltenim Flug
Ein besonders raffiniertes, assoziatives Lernpräparat basiert auf operanter Konditionierung undbedient sich des Orientierungsverhalten von Drosophila im Flug. Eine dorsal an einem dünnenDraht befestigte Fliege wird in eine zylindrischeArena verbracht, die die visuelle Umwelt darstellt .Versucht das fliegende Tier eine Drehung zu vollführen, so werden die auf den Draht ausgeübtenDrehmomente gemessen und daraus die Bildverschiebung berechnet, die im Freiflug aus dem gleichen Manöver resultieren würde. Durch einenMotor wird das visuelle Panorama dann um denentsprechenden Winkel gedreht, sodass die Fliegeden Eindruck gewinnt, sie könnte ihre Orientierung wie im Freiflug kontrollieren. Zusätzlichkann die Fliege durch einen Hitzereiz auf dasAbdomen bestraft werden, wenn sie Flugrichtungen relativ zu einem bestimmten Muster der Arenaeinschlägt und wird so schnell dazu gebracht, einegewünschte Richtung einzuhalten (Abb. 10-6).Man kann das Tier aber auch genauso gut daraufkonditionieren, ein bestimmtes Drehmoment zuproduzieren, um eine Strafe zu vermeiden.
Auch ohne Anwendung des Strafreizes liefertdieser Flugsimulator bereits erstaunliche Erkenntnisse über Lernvermögen und visuelles Verhaltenvon Taufliegen: Weist die Arena als Muster alleineinen vertikalen, schwarzen Streifen auf, so versucht das Tier diesen Streifen anzufliegen, bzw. imfrontalen Sehfeld zu halten. Dreht der Experimentator die Trommel mit dem Streifen z. B. nachrechts, erzeugt das Tier ein Drehmoment in diegleiche Richtung, um den Streifen wieder zurückin die Ausgangsposition zu bringen. In einem Folgeexperiment wurde dann das Vorzeichen derRichtungskopplung zwischen Drehmoment und
haben Defekte, die den Metabolismus biochemischer Signalketten (second messenger-Kaskaden)im Bereich neuronaler KontaktsteIlen (Synapsen)beeinträchtigen . Interessanterweise wird sowohldas dunce als auch das rutabaga-Gen bevorzugt inNeuronen der Pilzkörper exprimiert - ein weitererHinweis auf die Verbindung zwischen diesemHirnbereich und dem Duftlernen. Andere Lernmutanten weisen strukturelle Defekte in Hirnbereichen wie den Pilzkörpern auf. Durch Isolationdieser "Lerngene" bei Fliegen, bietet sich dieMöglichkeit, für das Lernen wichtige biochemische Substanzen und Mechanismen zu identifizieren, die auch in anderen Tierstämmen für Lernund Gedächtnisprozesse zuständig sein könnten .
82 4 6Zeit nach dem Training [h)
~ I-WildtyP ~~rutabaga
<,<, I-dunce
<,r-,"\ ..n. ----... -- ................... I-- ~ '-'
oo
20
80
'*Ql 60roC 40
~
100
10.6 Orientierungsverhalten im Flug 279
__~~!9!:Jsteuerung
Abb. 10-6: Operante Konditionierung von Drosophila im Flugsimulator (Drehmomentkompensator). Dasvon der gehalterten Fliege erzeugteDrehmoment wird gemessen und diedaraus im Freiflug resultierende Bildverschiebung im Rechner kalkuliert. Durcheinen Motor wird dieArena dann in dieerrechnete Position gedreht. Das Tiergewinnt dadurch den Eindruck, wie imFreiflug mit seinen Steuermanövern diePosition im Raum kontrollieren zu können. Im dargestellten Konditionierungsexperiment öffnet sich der Verschluss einer Hitzereizapparatur, sobald sich einesder vier Muster im frontalen Quadranten des Sehfeldes der Fliege befindet.Durch diesen Strafreiz lernt das Tier einDrehmoment zu produzieren und damiteinen Kurs einzuschlagen, der diese Situation vermeidet. Die Kriterien der vonder Fliege zu erfüllenden Bedingungenunterliegen der Willkür der Experimentatoren. (Nach Wolf und Heisenberg1991)
ElektrischerVerschluss -
Arena mit4 Mustern
Versch luss-/ -- -steüe;Ung--
,/// Dreh-, moment-
messung
oRechner
Musterbewegung umgekehrt . Versuchte die Fliegenun, wie üblich, durch ein gleichgerichtetes Drehmoment das Muster zu stabilisieren, so entschwand es noch weiter aus dem Sehfeld. DurchAusprobieren lernten die Tiere innerhalb wenigerMinuten ein Drehmoment in die Gegenrichtungzu produzieren, womit es ihnen wieder gelang, denStreifen im frontalen Sehfeld zu fixieren.
Insekten können somit selbst basale, reflexartige Verhaltensweisen durch Lernen verändernund darüberhinaus bewältigt ihr Lernvermögensogar Aufgaben, die unter natürlichen Bedingungen gar nicht auftreten. In Übereinstimmung mitVersuchen an Wanderheuschrecken zeigt sich, dassdie Aktivität des genetisch vorprogrammierten,neuronalen Netzwerkes zur Flugsteuerung nichtnur durch Sinnesinformation an die aktuellen Erfordernisse angepasst wird, sondern in hohemMaße auch durch gelernte Erfahrungen. Dadurchwird es den Tieren möglich, auf unvorhersehbareEreignisse, wie die Beschädigung eines Flügels,flexibel zu reagieren und ein optimales Flugverhalten für die neue Situation zu entwickeln.
Für Insekten wie für uns Menschen gilt, dassLernen unverzichtbar für das Überleben in derUmwelt ist. Wie die Lernforschung zeigt, ist dasLernvermögen der Insekten gut entwickelt undvielfältig. Die Ergebnisse weisen sogar daraufhin,dass Lernen und Gedächtnis von Invertebraten bishin zu den Säugetieren mit ähnlichen, basalen
Mechanismen arbeitet. Da Insekten neurobiologischen Analysen leichter zugänglich sind, besitzensie vor allem für die Erforschung der Physiologiedieser Lernvorgänge einen gesteigerten Stellenwert. Trotz der Unterschiedlichkeit des Nervensystems von Mensch und Insekt laufen auf zellulärer Ebene offenbar vergleichbare Prozesse ab.Die spezifischen Lernfähigkeiten des Menschenscheinen somit nicht an besonderen Mechanismenseiner Nervenzellen zu liegen, sondern sind eherAusdruck unterschiedlich komplexer neuronalerNetzwerke.
Literatur
Dudai, Y. (1989): The neurobiology of memory. OxfordUniversity Press
Forel, A. (1910): Das Sinnesleben der Insekten . ErnstReinhardt, München
v. Frisch, K. (1914/15): Der Farbensinn und Formensinnder Bienen. Zoo\. Jb. (Physio\.) 35: 1-188
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Heisenberg, M. (1989) : Genetic approach to learning andmemory (mnemogenetics) in Drosophila melanogaster. In: Rahmann, B. (ed.): Fundamentals ofmemoryformation: Neuronal plasticity and brain function.Gustav Fischer, Stuttgar: 3-45
Menzel, R. (2001): Searching for the Memory Trace in aMini-Brain , the Honeybcc. Learning and Memory 8:53-62
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Menzel, R. (1995) : Lernen und Gedächtnis. In: Gewecke,M. (ed.): Physiologie der Insekten . Gustav Fischer,Stuttgart: 387--412
Menzel, R. , Erber, 1. (1978) : Lernvermögen und Gedächtnis der Bienen. Spektrum der Wissenschaft :20-29
Möhl, B. (1990) : Die Flugsteuerung der Wanderheuschrecken. Spektrum der Wissenschaft 7: 66-75
Roman, G., Davis, R. L. (2001): Molecular biology andanatomy of Drosophila olfactory associative learning.Bioessays 23(7): 571-581
Wolf, R. , Heisenberg , M. (1991): Basic organization ofoperant behavior as revealed in Drosophila !light orientation. 1. Comp. Physiol. A 169: 699-705