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23 Tiergeographie Werner Peters 23.1 Allgemeines Die Tiergeographie beschreibt die heutige und frü- here Verteilung der Tiergruppen auf der Erde. Sie versucht, die Evoluti on in Raum und Zeit sowie die Verbreitung der Tierarten und -gruppen zu erfassen und die komplexen Ursachen dieser Ver- breitung zu deuten . Um diese Aufgaben lösen zu können, benötigt sie Erkenntnisse aus vielen be- nachbarten Wissenschaftszweigen: Taxonom ie, Botanik, Genetik, insbes. Populati onsgenetik , Ökologie, Bodenkunde, Geographie, Geologie, Pa- läontologie und Klimakunde. Die vielseitigen Wechselbeziehungen dieser Wissenschaf- ten haben immer wieder dazu geführt, die Tiergeogra- phie entweder als Teilgebiet der Systematik, der Ökologie oder der Geographie aufzufassen. All diese Versuche sind aber stets im Sande verlaufen. Sie zeigen, dass die Tiergeographie offensichtlich ein eigenständiger Wissen- schaftszweig ist. Tier- und Pflanzengeographie werden als Biogeographie zusammengefasst. Sie haben vielerlei Übereinstimmungen und ergänzen sich in vielfaltiger Weise. Bisher wurde vielfach zwischen beschreibender oder deskriptiver und kausaler Tiergeographie unterschieden. Dies hat wohl in erster Linie historische Gründe; beide Richtungen ergänzen einander und sind heute kaum streng voneinander trennbar. In neuerer Zeit ist, ausgehend von zwei ganz ver- schiedenen Entdeckungen, in wesentlichen Berei- chen der Tiergeographie ein beachtlicher Wandel eingetreten: • Unter dem Einfluss der Ideen Hennigs zur phy- logenetischen Systematik entstand eine starke Tendenz zur Entwicklung einer phylogenetisch orientierten Tiergeographie, die im taxonomi- schen Bereich ausschließlich von monophyleti- schen Einheiten ausgeht, um deren Aufgliede- rung und Ausbreitung zu untersuchen. Von be- sonderer Bedeutung sind hierbei Gruppen, von denen umfangrei ches fossiles Material aus ver- schiedenen Erdperioden und aus unterschiedli- chen Gebieten bekannt ist. • Einen enormen Auftrieb erfuhr die historische Tiergeographie (s. 23.5) außerdem durch die heute als weitgehend gesichert geltende Theorie der Kontinentalverschiebung und Plattentekto- nik. Dennoch gibt es namhafte Autoren auf dem Gebiet der Tiergeographie, die diese Fakten noch nicht kannten oder sie nicht anerkennen oder sie skeptisch beurteilen . Ebenso gibt es Autoren, denen die Hennigsche Cladistik nicht als geeignetes Verfahren zur Aufklärung der Evolution und Verbreitung einer Tiergruppe er- scheint. Bei der Lektüre von Arbeiten sollte man daher die Grundauffassungen der betreffenden Autoren berücksich tigen. Die Biogeographie der Insekten befindet sich im Grunde noch immer in den Anfängen. Die Er- gebnisse älterer Arbeiten müssen vielfach unter Berücksichtigung der Methoden der phylogeneti- schen Systematik und neuerer Ergebnisse der Kon- tinenalverschiebung überpr üft werden. 23.2 Chorologie (Arealkunde) Das Verbreitungsgebiet einer Tierart wird als Areal bezeichnet. Diese einfach erscheinende Defi- nition erfordert in vielen Fällen Anmerkungen. Als Verbreitung sgebiet kann nicht einfach das Ge- biet aufgefasst werden, in dem jemals die be- treffende Art gefunden wurde. Verdriftungen , Wanderungen, Veränderungen bei den Nahrungs- quellen usw. können Ursachen für Schwierigkeiten bei der Feststellung des Verbreitungsgebietes sein. Grundlage der Chorologie ist die Faunenauf- nahme kleiner Areale. Diese Arbe iten haben in neuerer Zeit dadurch erheblichen Auftrieb erhal - ten, dass faunistische und ökologische Untersu- chungen in vordem ungekanntem Ausmaß klein- wie großräumig erfolgen. Durch die Verwendung automatischer Sammelverfahren wird bei derart i- gen Arbeiten ein riesiges Material aus zahlreichen Tiergruppen zusammengetragen. Die sog. Barber- Fallen dienen dem Fang laufaktiver Insekten, Ber- lese-Trichter dem Sammeln versteckt lebender Bo- denbewohner, Malaise-Fallen und Lichtfallen dem Fang fliegender Insekten sowie Emergenz-Fallen dem Einsammeln frisch geschlüpfter Insekten aus Abschnitten von Fließgewässern usw. In allen Erd- teilen kam auf diese Weise ein riesiges Material zusammen, dessen Sichtung verblüffende Ergeb- nisse brachte. Viele neue Arten wurden gefunden und scheinbar seltene Arten erwiesen sich häufig als weiter verbreitet als ursprünglich angenommen

Lehrbuch der Entomologie || Tiergeographie

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23 Tiergeographie

Werner Peters

23.1 Allgemeines

Die Tiergeographie beschreibt die heutige und frü­here Verteilung der Tiergruppen auf der Erde. Sieversucht, die Evolution in Raum und Zeit sowiedie Verbreitung der Tierarten und -gruppen zuerfassen und die komplexen Ursachen dieser Ver­breitung zu deuten . Um diese Aufgaben lösen zukönnen, benötigt sie Erkenntnisse aus vielen be­nachbarten Wissenschaftszweigen: Taxonomie,Botanik , Genetik, insbes. Populati onsgenetik ,Ökologie, Bodenkunde, Geographie, Geologie, Pa­läont ologie und Klimakunde.Die vielseitigen Wechselbeziehungen dieser Wissenschaf­ten haben immer wieder dazu geführt, die Tiergeogra­phie entweder als Teilgebiet der Systematik, der Ökologieoder der Geographie aufzufassen. All diese Versuchesind aber stets im Sande verlaufen. Sie zeigen, dass dieTiergeographie offensichtlich ein eigenständiger Wissen­schaftszweig ist. Tier- und Pflanzengeographie werdenals Biogeographie zusammengefasst. Sie haben vielerleiÜbereinstimmungen und ergänzen sich in vielfaltigerWeise.

Bisher wurde vielfach zwischen beschreibender oderdeskriptiver und kausaler Tiergeographie unterschieden.Dies hat wohl in erster Linie historische Gründe; beideRichtungen ergänzen einander und sind heute kaumstreng voneinander trennbar.

In neuerer Zeit ist, ausgehend von zwei ganz ver­schiedenen Entdeckungen, in wesentlichen Berei­chen der Tiergeographie ein beachtlicher Wandeleingetreten:• Unter dem Einfluss der Ideen Hennig s zur phy­

logenetischen Systematik entstand eine sta rkeTendenz zur Entwicklung einer phylogenetischor ientierten Tiergeographie, die im taxonomi­schen Bereich ausschließlich von monophyleti­schen Einheiten ausgeht, um deren Aufgliede­rung und Ausbreitung zu untersuchen . Von be­sonderer Bedeutung sind hierbei Gruppen, vondenen umfangrei ches fossiles Material aus ver­schiedenen Erdperioden und aus unterschiedli­chen Gebieten bekannt ist.

• Einen enormen Auftrieb erfuhr die histori scheTiergeographie (s. 23.5) außerdem durch dieheute als weitgehend gesichert geltende Theorieder Kontinentalverschiebung und Plattentekto­nik. Dennoch gibt es namhafte Autoren auf demGebiet der Tiergeographie, die diese Fakten

noch nicht kannten oder sie nicht anerkennenoder sie skeptisch beurteilen . Ebenso gibt esAutoren, denen die Hennigsche Cladistik nichtals geeignetes Verfahren zur Aufklärung derEvolution und Verbreitung einer Tiergruppe er­scheint. Bei der Lektüre von Arbeiten sollte mandaher die Grundauffassungen der betreffendenAutoren berücksich tigen.

Die Biogeographie der Insekten befindet sich imGrunde noch immer in den Anfängen. Die Er­gebnisse älterer Arbeiten müssen vielfach unterBerücksichtigung der Methoden der phylogeneti­schen Systematik und neuerer Ergebnisse der Kon­tinenalverschiebung überpr üft werden.

23.2 Chorologie (Arealkunde)

Das Verbreitungsgebiet einer Tierart wird alsAreal bezeichnet. Diese einfach erscheinende Defi­nition erfordert in vielen Fällen Anmerkungen.Als Verbreitungsgebiet kann nicht einfach das Ge­biet aufgefasst werden, in dem jemals die be­treffende Art gefunden wurde. Verdriftungen ,Wanderungen , Veränderungen bei den Nahrungs­quellen usw. können Ursachen für Schwierigkeitenbei der Feststellung des Verbreitungsgebietes sein.

Grundlage der Chorologie ist die Faunenauf­nahme kleiner Areale. Diese Arbe iten haben inneuerer Zeit dadurch erheblichen Auftrieb erhal ­ten, dass fauni stische und ökologische Untersu­chungen in vordem ungekanntem Ausmaß klein­wie großr äumig erfolgen. Durch die Verwendungautomatischer Sammelverfahren wird bei derart i­gen Arbe iten ein riesiges Material aus zahlreichenTiergruppen zusammengetragen. Die sog. Barber­Fallen dienen dem Fang laufaktiver Insekten , Ber­lese-Trichter dem Sammeln versteckt lebender Bo­denbewohner, Malaise-Fallen und Lichtfallen demFang fliegender Insekten sowie Emergenz-Fallendem Einsammeln frisch geschlüpfter Insekten ausAbschnitten von Fließgewässern usw. In allen Erd­teilen kam auf diese Weise ein riesiges Materialzusammen, dessen Sichtung verblüffende Ergeb­nisse brachte. Viele neue Arten wurden gefundenund scheinbar seltene Arten erwiesen sich häufigals weiter verbreitet als ursprünglich angenommen

722 23 Tiergeographie

wurde. Die zunächst sporadischen Untersu­chungsergebnisse wurden in den vergangenen Jah­ren in zunehmendem Maße mithilfe immer leis­tungsfähiger werdender Computer und der fürdiese Aufgaben besonders entwickelten Softwareausgewertet . Die Ergebnisse wurden in nationalenwie internationalen Datenbanken gesammelt. 1969wurde in Europa ein internationales Programmunter der Bezeichnung European Invertebrate Sur­vey (EIS) gestartet, mit dessen Hilfe die Verbrei­tungsangaben gesammelt und kartiert werden. Diezunächst in nationalen Zentren gesammelten Da­ten werden seither an diese Zentrale weitergeleitet.Auf Wunsch werden von der Zentrale die erstelltenKarten ausgedruckt und verschickt, damit sie alsGrundlage für weitere Untersuchungen und Ein­tragungen dienen können .

Die Gittergröße der erstellten Rasterkarten va­riiert zwischen 10 km der regionalen Karten(Abb. 23-1), denen die Topografische Karte (Mess­tischblatt 1:25000) zugrunde liegt, und einem50 km-Gitter (UTM) für Europa. Bei den An­gaben der Fundorte wird vielfach die Glaubwür­digkeit älterer Angaben berücksichtigt, bei denennoch andere taxonomische Auffassungen vor­herrschten oder ein Bezug zu heute gültigen Art ­namen nicht möglich ist. In diesen Fällen könnenAngaben vor 1950 oder 1960 und danach getrenntaufgeführt sein.

Karten, aus denen die Fundorte und damit dieVerbreitung einer Art hervorgehen, können alsRasterkarte (Abb. 23-1), Umrisskarte (Abb.23-2)oder Punktkarte (Inset in Abb. 23-3) ausgeführtsein. In eine Punktkarte werden die einzelnenFundorte eingetragen ; ein Punkt entspricht dahermindestens einem Fund. Bei einer Rasterkarte istdas Gitternetz der verwendeten Karte hervorge­hoben; sie wird im Allgemeinen bei regionalenUntersuchungen verwendet . Eine Umrisskarteverallgemeinert diese Befunde und zeigt durchUmrandung oder zusätzliche Musterung der Flä­che das Verbreitungsgebiet eines Taxons.

Die Größe der Areale kann sehr verschiedensein. Kosmopoliten oder Ubiquisten können in fastallen Erdteilen riesige Areale bewohnen . Zu denKosmopoliten gehören auch manche Kulturfolgersowie Arten, die durch den Menschen verbreitetwurden (s. 23.2).

Innerhalb eines Verbreitungsgebietes können die Lebens­bedingungen mehr oder weniger günstig sein. In diesenZusammenhang gehört auch die auffallende Tatsache,dass bei zahlreichen Arten im Süden des europäischenVerbreitungsgebietes geschlechtliche Fortpfl anzung , imNorden dagegen parthenogenetische Fortpflanzung vor­herrscht.

Andererseits können endemische Arten in sehrkleinen Arealen , beispielsweise Gebirgstälern,Bergrücken, Inseln, Höhlen, Seen, Bächen usw.

vorkommen. Entscheidend ist, wo diese Arten aus­reichende Lebensbedingungen finden . Thermo­phile Arten können beispielsweise auf Binnendü­nen beschränkt sein. Grundsätzlich ist Ortstreuedurch ausreichende Nahrung, Brutmöglichkeitenusw. bedingt . Reliktareale (relictum, lat. = Übrig­gebliebenes) sind Reste eines früher größeren Are­als. Die Einengung kann durch viele möglicheökologische Faktoren zustande gekommen sein.Als Refugium bezeichnet man ein Zufluchts- oderRückzugsgebiet. Dieses muss nicht für die be­treffende Art optimale Bedingungen bieten . Zu­sammenhängende Areale nennt man kontinuier­liche Areale. Ein diskontinuierliches Areal ist ge­kennzeichnet durch Lücken im Verbreitungsge­biet, die unter Umständen zeitweise überbrücktwerden, unter günstigen Umständen sogar für län­gere Zeit. Eine disjunkte Verbreitung liegt vor,wenn das Areal durch geographische Schrankenoder andere Hindernisse über längere Zeiträumein mehrere Teile gegliedert ist (Abb. 23-2).

Sind die Areale zweier nah e verwandter Artenvollständig voneinander getrennt, so spricht manvon allopatrischer Verbreitung, besiedeln sie dasgleiche Areal oder sind sie überwiegend nicht von­einander getrennt, so nennt man dies sympatrischeVerbreitung.

Ortstreue kann dadurch bedingt sein, dass aus­reichend Nahrung, Brutmöglichkeiten usw. vor­handen sind. Wanderungen haben verschiedeneUrsachen und unterschiedlichen Umfang. Bei re­gelmäßig wandernden Arten unterscheidet manzwischen Wohn- und Wanderraum. Man kannauch Wohn- oder Fortpflanzungsraum sowieWander- oder Verkehrsraum angeben. Die Be­grenzung des letzteren ist schwieriger festzulegenals die des Wohnraums. Die Grenzen zwischenWohn- und Wanderraum können ebenso schwan­ken wie die Ausdehnung des Wanderraums. ImWanderraum kann unter günstigen Bedingungeneine Fortpflanzung über 1-2 Generationen erfol­gen.

Die Ausbreitung ist ein fundamentaler undüberaus vielschichtiger Aspekt der Tiergeogra­phie. Innere Faktoren, die eine Ausbreitungsten­denz zur Folge haben, können auf klimatischeVeränderungen, Übervölkerung und damit ein­hergehend auf eine Einengung des Lebensraumes,ständige Störungen, Nahrungsmangel u.a. an­sprechen . Die Geschwindigkeit der Ausbreitungeiner Art hängt nicht allein von der Umwelt ab,sondern hat offensichtlich noch weitere Gründe.Auffallend ist, dass die einzelnen Arten eine unter­schiedliche Ausbreitungsgeschwindigkeit zeigen,sodass bei konkurrierenden Arten diejenigen mitrascher Ausbreitungstendenz im Vorteil sind. DieAusbreitung von Aren kann behindert werden,wenn die klimatischen Bedingungen nicht zuträg-

23.2 Chorologie (Arealkunde) 723

A

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Abb. 23-1: Rasterkarten zur Dar­stellung der regionalen Verbrei­tung von Köcherfliegen (Trichoptera)in Nordrhein-Westfalen. Als Rasterein­heit dienen die Quadranten der Mess­tischblätter (Topographische Karte1:25000), die einer Kantenlänge von10km entsprechen. Das Bergland ist indieser Dasteilung dunkel hinterlegt, umes vom Tiefland unterscheiden zu kön­nen.O leerer Kreis Nachweis vor 1950,o halb ausgefüllter Kreis Nachweisnach 1950 glaubhaft, _ ausgefüllterKreis Nachweis nach 1950 geprüft.A Drusus annulatus (Limnephilidae) be­wohnt als Larve Bergbäche. B Limne­philus marmoratus (Limnephilidae) ist inder Norddeutschen Tiefebene weit ver­breitet. (Nach Robert und Wichard1994)

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lieh sind, schwer überwindbare Hindernisse auf­treten, geeignete Nahrung und Brutmöglichkeitenfehlen usw.

Flugfähige Insekten können sich aktiv ausbrei­ten, doch hat sich gezeigt, dass sie dabei insbe­sondere Luftströmungen oder in geringerem MaßeWasserströmungen zusätzlich nutzen . Als Luft-

strömungen sind nicht nur die horizontalen, son­dern auch die vertikalen, durch Thermik beding­ten Luftströmungen von Bedeutung . In einer Luft­säule mit einem Querschnitt von einer Quadrat­meile wurden im Pazifik Millionen von Insektennachgewiesen. Aber nicht nur in tropischen odersubtropischen Gebieten erfolgen derartige Verdrif-

724 23 TIergeographie

Abb. 23-2: Disjunkte Verbreitung als Folge der Eiszeit am Beispiel von Zegris eupheme (Lepidoptera, Pieridae). ImWesten lebt die Unterart meridionalis, in Mitteleuropa ssp. eupheme (nicht eingezeichnet) und imOstarealdie ssp. sulphurea. (Nachde Lattin 1967)

tungen durch Th ermik. Auch in den Alpen kannman zahllose Insekten auf dem Gletscherschneeantreffen , die von den Almen dorthin verdriftetwurden; dies sind in ers ter Linie die gut fliegendenSyrphidae. Neuere Untersuchungen haben gezeigt,dass Insekten in ganz anderem Maße als Wirbel­tiere zu größeren Wanderungen über See befähigtsind. Fliegende Insekten müssen nicht die Gesamt­strecke in einem Zuge bewält igen , sondern könnenim Meer eine Zwischenstation einlegen, indem sieauf der Wasseroberfläch e landen, eine Weile au s­ruhen und dann wieder weiterfliegen. "Island hop­ping" im Bereich der Molukken sowie im Pazifi­schen Ozean dürfte mehr als früher angenommenbei der Verbreitung von Insekten eine Rolle ge­spielt haben. Dabei geht es nicht allein um flug­fähige Insekten, die mit günstigen Luftströmungenüber teilweise erstaunliche Entfernungen verdriftetwerden können, sondern teilweise auch um wenigoder gar nicht flugfähige Insekten, die von derThermik pas siv bis in große H öhen getragen undan schließend als "Luftplankton" verdriftet wer­den .

Als Beispiel für die erstgenannte Gruppe sei eine Brem­senart erwähnt, Tabanus ceylonicus, die von Ceylon biszu den Philippinen, den Salomon-Inseln und im nörd­lichen Queensland in Australien verbreitet ist. Beispielefür die zweite Gruppe liefern die Collembola, unge­flügelte Blattläuse und manche Mückenarten aus derFamilie Chironomidae. Bis zu einem gewissen Gradekann eine Ausbreitung auch auf driftenden Baumstäm­men, anderen natürlichen "Flößen", Eisbergen und der­gleichen unter Ausnutzung von Meeresströmungen oderdurch Nutzung der Schwimmfähigkeit aufgrund der

nicht benetzbaren Cuticula erfolgen. Es hat sich abergezeigt, dass Luftströmungen von wesentlich größererBedeutung für die Ausbreitung von Insekten sind alsMeeresströmungen.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden die Mög­lichkeiten der Ausbreitung von Insekten durchaktiven Flug wie durch Verdriftung in vertika lenund horizontalen Luftströmungen weltweit sehrgründlich untersucht, sodass man heute nichtmehr nur Vermutungen an stellen kann, sondernfundi ert e Belege zur Verfügung hat.

Der Ausbreitung von Arten kann deren Ansied­lung folgen. Ein gelegentliches Einschleppen oderdas Erreichen eines vom ursprünglichen Sied­lung sgebiet entfernten Gebietes reicht dafür nochnicht au s. Entscheidend ist, da ss neben au srei­chender Ernähru ng auch Möglichkeiten zur Fort­pflanzung gegeben sind, sodass ein kontinuierli­cher Aufenthalt möglich wird. Das Vorhandenseinmöglich st zahlreicher ökologischer Nischen för ­dert die zunehmende Evolution neuer Arten ausden ursprünglich eingewanderten Arten. Das Ge­genteil, die Auslöschung , kann durch etliche Fak ­toren wie ökologische Bedingungen, überm ächtigeKonkurrenz oder übertriebene Spezialisierung be­dingt sein.

Manche Autoren halten die Möglichkeit einer Ausbrei­tung von einer Landrnasse zur anderen oder zwischenInseln über größere Meeresgebiete hinweg nur dann fürmöglich, wenn in früheren Zeiten Landbrücken existier­ten, wie beispielsweise die Landbrücken in der Bering­See sowie im Bereich der Molukken (s. aber 23.5 undAbb. 23-8).

23.2 Chorologie (Arealkunde) 725

600_-'-__-lI km

Abb. 23·3: Verbreitung der thermophilen Schmetterlingsart Ammoconia senex (Noctuidae). Das Verbreitungsgebietdieser impontisch-mediterranen Bereich weitverbreiteten Art ist durch Graurasterung angedeutet. ImGebiet des Mittelrheins sowiederunteren Mosel und Nahe istein durch einen Pfeil gekennzeichnetes Reliktvorkommen in warmen Gebieten vorhanden . ImInsetsind die Fundorte in Form einer Punktkarte dargestellt. Postglazial haben sich diese Populationen zu einer Unterart (ssp.mediorhenana) entwickelt. (Nach de Lattin 1967)

Das WanderverhaIten der Insekten scheint eineökologische Anpassungserscheinung zu sein, dennals Ursachen werden immer wieder knappe oderschlechter werdende Ernährungsbedingungen so­wie Übervölkerung gesehen. Im Einzelnen sind diegenetischen Hintergründe wie auch die auslösen­den Faktoren noch wenig bekannt und nur beiwenigen Arten nachgewiesen und näher analysiertworden.

Als "Wanderheuschrecken" bezeichnet man Feldheu­schreckenarten , die unter bestimmten Bedingungen dieTendenz haben, Schwärme zu bilden, die hüpfend oderfliegend teilweise sehr ausgedehnte Wanderzüge unter­nehmen. Innerhalb einer Gattung kann es wanderndeund nicht wandernde Arten geben. Die Bezeichnung

"Wanderheuschrecke" ist daher kein systematischer, son­dern ein biologischer Begriff. Wanderheuschrecken ha­ben Brutgebiete (Fortpflanzungsräume) (Abb. 23-4), indenen ein für die Entwicklung aller Stadien günstigesMikroklima herrscht und ausreichend Nahrung vorhan­den ist. Nach der Phasentheorie von Uvarov, die ur­sprünglich an Locusta migratoria entwickelt wurde, aberoffensichtlich auch für die übrigen Wanderheuschreckengilt, kann man eine solitäre und eine Schwarmphaseunterscheiden, die jeweils ineinander übergegehen kön­nen. Wenn in den Brutgebieten in günstigen Jahren eineMassenvermehrung stattgefunden hat, anschließend abereine zunehmende Trockenheit und Einengung des Le­bensraumes zur Übervölkerung im immer kleiner wer­denden Brutgebiet kommt , führt dies zur Induktion derSchwarmphase. Die Tiere sind in diesem Zustand durcheine starke Melanisierung der Cuticula, eine gegenüber

726 23 Tiergeographie

o Brutgebiete

~ Wanderungen

Abb. 23-4: Brutgebiete und größere Wanderungen von Schwärmen der Wüstenheuschrecke Schistocerca gregariaim Jahre 1968. Während der Wanderungen werden Pausen zur Fortpflanzung in geeigneten Gebieten eingelegt. Somit sind dieIndividuen eines Schwarmes während der gesamten, unter Umständen sich über Jahre ausdehnenden Wanderungen nicht mehrdiejenigen aus der Anfangszeit.

der solitären Form um 5-8 °C höhere Körpertemperatur,größere Flügel, größere Bewegungsaktivität und ein auf­fallendes gegenseitiges Nachahmungsve rhalten gekenn­zeichnet. Erreicht die Bevölkerungsdichte der Schwarm­tiere ein bestimmtes Maß, so bilden sich Wander­schwärme, die nach und nach riesige Gebiete durch­wandern können und in den Befallsgebieten ungeheureNahrun gsmengen vertilgen. Die Wanderzüge könnenviele Jahre andauern (Abb. 23-4). Sie werden zeitweiseunterbrochen , wenn in günstigen Gebieten eine Fort­pflanzung möglich ist. Gerat en die Schwärme in Wüstenoder fliegen sie aufs offene Meer hinaus, so gehen sie imallgemeinen zugrunde. Heuschreckenschwärme werdenin schriftlichen Überlieferungen seit dem Altertum alsfurchtbare Plagen beschrieben, denen man einst hilflosausgeliefert war (Abb, 23-5). Die riesigen, kilometerlan­gen, bis zu mehrere Milliarden Tiere enthaltendenSchwärme verdunkelten die Sonne. Wanderheuschreckensind als Plage vor allem in Afrika (u.a. Locusta mi­gratoria, Dociostaurusmaroccanus, Schistocerca gregaria;Locustana parda/ina in Südafrika) und Vorderasien (u. a.S. gregaria sowie L. migratoria) bekannt, kommen aberauch in Nordamerika (u.a. Melanoplus mexicanus) undSüdamerika (u.a. Schistocerca paranensis), Australien(u.a. Chortoicetes terminifera, Gastrimargus musicus, L.migratoria) und Ostasien (L. migratoria) vor. In Mittel­europa fielen im 14.-18 .Jh. immer wieder Schwärme vonWanderheuschrecken ein, deren Brutgebiete am Unter­lauf der Donau oder in Südrussland lagen (Abb. 23-5).

In Europa und Nord amerika werden alle Jahre wie­der im Frühjahr eine Reihe von Schmetterlingsarten mit

den warmen, nordwärts gerichteten Winden verdriftet ,pflanzen sich mit 1-2 Generationen während des Som­mers fort. Sie sind aber, von einzelnen Ausnahmen abge­sehen, nicht in der Lage, in den nördlichen Gebieten,d. h. in Europa nördlich der Alpen, zu überwintern . Einbekanntes Beispiel ist der Admiral Vanessa ata/anta, derim Frühjahr von Italien her Mittel- und Nordeuropasowie England besiedelt. Ein Teil der 2. Sommergenera­tion fliegt wieder nach Italien zurück, ein weiterer Teilgeht im Winter zugrunde. Das Wanderverhalten vonSchmetterlingen der Gattung Danaus in Nordamerikawird in Abschnitt 9.5.2.3 geschildert (Abb. 9-35).

Die Cicadellide Circulifer tenellus kommt im Mittel­meeraum und in den semiariden westlichen Gebieten derUSA an zahlreichen Kulturpflanzen und wilden Cheno­podiaceen vor. Aus den Brutgebieten im Südwesten derUSA wandern im Frühling und vielfach auch im Som­mer, wenn die Nährpflan zen vertrocknen und Über­völkerung einsetzt, Teile dieser Populationen mehrerehundert Kilometer nord- bis ostwärt s. Im Oktober bisDezember erfolgt in den USA die Rückwanderung der 3.und 4. Generation zur Überwinterung in den Ausgangs­gebieten.

Eine andere wirtschaftlich wichtige Zikadenart, Em­poascafabae, wandert regelmäßig im Frühling aus ihrenÜberwinterungsgebieten in den Staaten am Golf vonMexico nach Norden bis nach New York. Die Tierefliegen in großen Schwärmen unter Ausnutzung der vor­herrschenden Windrichtung bis zu 150 km pro Tag undkönnen dabei bis in Höhen von 5000 m getragen wer­den.

23.3 Faunistik 727

Eine in Ostasien vorkommende Zikade, Nilaparvatalugens, die als Reisschädling gefürchtet ist, gelangt imFrühjahr mithilfe der stetigen Südwestwinde aus denBrut- und Überwinterungsgebieten im Süden Chinasweit nach Nordchina und kehrt im Herbst mithilfe derdann vorherrschenden Nordost-Winde wieder in dieAusgangsgebietezurück.

Die anholozyklische an Mais lebende Blattlaus Rho­palosiphum maidis lebt in tropischen und subtropischenGebieten und dringt im Sommer weit nach Norden vor,in Amerika bis nach Kanada, in Europa bis nach Skan­dinavien. Eine Rückwanderung findet in diesem Fallenicht statt und eine Überwinterung ist nicht möglich. Diein den Norden gelangten Populationen sterben imHerbst aus.

Inseln im Meer, Höhlen, aus einer Ebene aufra­gende Gebirgsstöcke oder Oasen in der Wüste sindIsolationsräume und haben gemeinsame Merk­male. In manchen dieser Räume wird die Evolu­tion neuer Arten erheblich gefördert. Ein bekann­tes Beispiel ist Neu-Guinea, dessen Artenfülle be­dingt ist durch die zahllosen Möglichkeiten zurEinnischung in Bergregionen von mehr als 5000 mHöhe, deren Hänge wegen des feucht-tropischenKlimas bis in die höchsten Regionen besiedeltwerden können.

23.3 Faunistik

Die Faunistik stellt die einzelnen Tierformen alsFaunenelemente bestimmter Gebiete zusammen,untersucht sie taxonomisch und versucht, ihr Ver­hältnis zu den anderen Tierformen innerhalb derBiozönosen zu ermitteln. Sie charakterisiert Kern­Areale, in denen diese Arten leben. Beispielsweisebreiten sich wärmeliebende Arten, deren Kern­Areal im nördlichen Mittelmeerraum liegt , überFlußtäler bis weit in nördliche Gegenden aus. Aufdiese Weise gelangen mediterrane Faunenelementebeispielsweise über das Rheintal bis in das Mosel­und Ahrtal oder über Gebirgstäler aus dem Mit­telmeerraum bis tief in die Schweiz . PannonischeFaunenelemente erreichen über das Flusssystemder Donau bestimmte Gebiete in Deutschlandoder über die Po-Ebene Gebirgstäler in derSchweiz .

Die vielfältigen ökologischen Aspekte der Faunistik sol­len hier nicht erörtert werden.

728 23 Tiergeographie

Tab. 23·1: Die tiergeographischen Regionen der landfauna. (Nach de Lattin, 1967)

Region

1. Holarktische Region

2. Orientalische (= Indische) Region3. Äthiopische Region

4. Neotropische Region5. Australische Region

23.4 TiergeographischeRegionen

Im Jahre 1858 erschienen in den .Proceedings ofthe Linnean Society of London" nicht nur dieberühmten Abhandlungen von Darwin und Wal­lace über die Evolution der Lebewesen durch na ­türliche Selektion, sondern auch die erste Defini­tion tiergeographischer Regionen du rch Slater.Wallace erweiterte diese Ergebnisse. Slater (1858)und Wallace (1876) erkannten, dass die Land­fauna der Erde in großen Gebieten Übereinstim­mungen aufwe ist. Daher konzipierten sie ein Sy-

Subregion

Paläarktische SubregionNearktische Subregion

Afrikanische SubregionMadegassische Subregion

Kontinental-australische SubregionNeuseeländische SubregionPolynesische Subregion

stem von 5 Regionen, das im Laufe der Zeit inmancherlei Hinsicht Veränderungen erforderte,aber im Prinzip erh alten blieb (Abb. 23-6). DieCharakteris ierung tiergeographischer Regionenerfolgt anhand der nur in diesen Gebieten vor­kommenden endemischen Arten . Zunächst dientenzur Charakterisierung dieser Regionen und ihrerAusdehnung vorwiegend das Vorhandensein oderFehlen bestimmter Wirbeltierarten und -gruppen,in erster Linie Säugetiere und Vögel. Je mehrTiergruppen im Laufe der Zeit für diese Charak­terisierung herangezogen wurden, desto mehrMeinungsverschiedenheiten gab es im einzelnen.Dennoch blieb die regionale Gliederung der Land-

Abb. 23·6: Die tiergeographischen Regionen der Erde. Nur bei der Holarktis sind die Subregionen (Paläarktis und Nearktis),genannt. Die Ausdehnung der übrigen (s. Text) istlediglich durch gestrichelte Linien angedeutet. Misch- oder Übergangsgebiete sinddurch Punktierung hervorgehoben. Sie können beträchtliche Größe erreichen. Das im Bereich der Sundainseln und Molukkenliegende, als Wallacea bezeichnete Übergangsgebiet zwischen Orientalis und Australis ist um der Übersicht willen nicht punktiert.Die Antarktis ist nicht eingezeichnet. (Nach Ziswiler 1981 , verändert)

fauna in allen wesentlichen Aspekten erhalten.Bemerkenswert ist die Übereinstimmung von Fau­nen- und Florenregionen.

Problematisch bleibt die Grenzziehung zwi­schen zwei Regionen, wenn in umfangreichen Ge­bieten eine Durchmischung der für die benach­barten Kerngebiete charakteristischen Fauna er­folgt. Beispiele hierfür sind die sehr weiträumigeMischzone zwischen holarktischer und orientali­scher Region in Ostasien, die fast ganz Chinabetrifft (Abb. 23-6) sowie die sehr ausgedehntenordafrikanische Mischzone zwischen Paläarktisund Äthiopis und die mittelamerikanische Misch­zone zwischen Nearktis und Neotropis.

Die Antarktis wird wegen der geringen Zahl der Artennicht als 6. Region gezählt. Sie ist neuerdings von be­sonderem Interesse im Zu sammenhang mit der Besiede­lung der Südkontinente während des Mesozoikums (s.23.5).

Problematisch sind auch die Faunen küstenferner,kleiner Inseln, deren Endemiten dort auf unter­schiedliche Weise eintreffen und einander auchdezimieren können. Nachträglich durch denSchiffsverkehr eingeschleppte Tiere, vor allemRatten und Katzen, können zumindest Teile derursprünglich angesiedelten Fauna vernichten. Da­her werden Faunen küstenferner Inseln weder beider Abgrenzung der großen Faunenregionen nochals gesonderte Bereiche berücksichtigt.

Wegen der beachtlichen Fähigkeit der Insektenzu Wanderungen über See (s. 23.2) wurde neu­erdings vorgeschlagen, Papua, Melanesien, Mic­ronesien und Polynesien der Orientalischen Re­gion zuzuordnen und anstelle der umstrittenenSubregion Wallacea eine Mischzone zwischen Ori­entalischer und Australischer Region im Bereichdes südlichen Neuguinea und des nordöstlichenAustralien anzunehmen.

23.5 Historische Tiergeographie

Dieses Teilgebiet der Tiergeographie der Insektenerhielt starken Auftrieb durch die Entdeckung undSicherung der Vorstellungen von der Kontinental­verschiebung und der Plattentektonik (Abb. 23-7)sowie durch die Entdeckung fossilen Materials,das zeigte, dass viele Insektengruppen älter alserwartet sind. Von ganz besonderer Bedeutungsind in dieser Hinsicht die Neuentdeckungen vonFossilien im Bereich der Südkontinente, ein­schließlich Antarctica. Die Insekten dürften min­destens im Devon , wahrscheinlich aber schon frü­her im damals tropischen Laurentia (s.u.) ent­standen sein. Die ersten geflügelten Insekten fand

23.5 HistorischeTiergeographie 729

man im Devon von Angara (Sibirien) (s. u.) sowieim mittleren Karbon von Laurentia, Nordamerikaund Grönland. Im Allgemeinen reichen die Fossil­funde aber noch keineswegs aus, um gesicherteVorstellungen über den Ort und Zeitraum derEntstehung einzelner Gruppen zu gewinnen . InTab. 23-2 sind die Erdperioden und ihre jeweiligeDauer aufgeführt.

Innerhalb der einzelnen Gruppen der Insekten kann manin einigen Untergruppen Phasen starker Aufgliederung(Radiation) zu verschiedenen Zeiten feststellen. Unterden Diptera entwickelten sich beispiel sweise die Nemato­cera und die primitiven Brachycera bereits während desmittleren Mesozoikums, während die CyclorrhaphaSchizophora erst im Terti är eine starke Aufgliederungzeigten. So kommt es, dass eng verwandte Arten derNematocera sowohl in Süd amerika wie in Australienvorkommen. Bei manchen dieser Arten konnte wahr­scheinlich gemacht werden , dass sie auf dem Wege überAntarctica entweder in der einen oder in de r anderenRichtung diese Verbreitung erreichten. Für Cyclorrha­pha ist dergleichen nichts nachgewiesen.

Nach einer übertriebenen Vorstellung hätten die In­sekten nach ihrer Entstehung im Devon wegen ihrerBeweglichkeit hinreichend Zeit gehabt, sich weltweit aus ­zubreiten, sodass ein Einfluss der erdgeschichtlichen Ver­änderungen und der Kontinentalverschiebung bedeu­tungslos sei. Alle bisher gewonnenen, einigermaßen ge­sichert erscheinenden Ergebnisse spre chen gegen einederart radikale und zugleich na ive Auffa ssung.

Abb. 23-7 zeigt eine Darstellung der Veränderun­gen auf der Erde in 4 Erdperioden, die für diePhylogen ie der Lebewesen von besonderer Bedeu­tung sind. In diesen Zeiten erfolgte eine zuneh­mende Aufgliederung der ursprünglichen, bis zumEnde des Perm vorhandenen riesigen, Pangaeagenannten Landrnasse durch sog. "seafloor sprea­ding" und einer dadurch zustande kommendenKontinentalverschiebung. In der Trias war auf derNordhalbkugel eine riesige Landrnasse, Laurasia,bereits abgegliedert. Auf der Südhalbkugel wurdeeine ähnlich große Landrnasse, Gondwana-Land,abgetrennt und zunehmend zergliedert. Dabei lö­sten sich von Antarctica sowohl Südamerika alsauch Afrika und das damit noch verbundene Ma­dagascar. Außerdem trennten sich von Antarcticanacheinander auch Indien und Australien. Allediese Teile drifteten nordwärts. Während des Me­sozoikums begann die Aufgliederung von Laurasiain Laurentia und Angara (Abb. 23-7). Letztereswar seit dem Kambrium nicht von Wasser be­deckt. Auf der Südhalbkugel trennten sich Süd­amerika und Afrika sowie Afrika und Madagas­kar. Indien driftete während des Tertiär gegen dieasiatische .Landmasse, wodurch es zur Auffaltungdes Himalaja und der benachbarten Gebirge kam.Vermutlich verlor Neuseeland erst in der UnterenKreide die Verbindung zu Antarctica, und zwarspäter als die Trennung Australiens von Antarc-

730 23 Tiergeographie

A B

C D

Abb. 23-7: Hypothetische Darstellung der Kontinentalverschiebungen während verschiedener Erdperioden aufgrund vonMessungen der Ausweitung des Meeresbodens (sea floar spreading), des Paläomagnetismus und der darauf basierendenPlattentektonik. A Die Autoren nehmen an, dass im Perm eine einzige große Landmasse Pangaea existierte, die im Laufe derweiteren Erdgeschichte zunehmend aufgegliedert wurde. B In der Trias waren bereits ein Nordkontinent Laurasia und einSüdkontinent Gondwana entstanden. Südamerika, Afrika und Indien hatten sich bereits von Antarctica gelöst. C Am Ende derKreidezeit hatten sich Afrika und Südamerika voneinander getrennt, Indien näherte sich Asien, während Australien sich allmählichvon Antarctica trennte. D Während des Känozoikums kam die heutige Anordnung der Kontinente, der mittelozeanischen Rücken(gepunktete Lin ien) und der Subduktionszonen (als Banden dargestellt) zustande. (Nach Dietz und Holden 1970)

tica erfolgte. Neuseeland hat auch hinsichtlich derInsekten vorwiegend eine sehr eigenständige, vonder australischen abweichende Fauna . Währenddes Känozoikums trennten sich Nordamerika undEuropa, und Mittelamerika übernahm die Verbin­dung zwischen Nord- und Südamerika. Im we­sentlichen können diese Auffassungen vom Ver­lauf der Kontinentalverschiebung als gesichertgelten. In etlichen Bereichen sind jedoch nochUnklarheiten vorhanden, u.a. in den durch ge­punktete Linien gekennzeichneten Partien derAbb. 23-7.

Von besonderer Bedeutung für die Tiergeo­graphie ist das während des Känozoikums etwa600000 Jahre dauernde Pleistozän oder Diluvium,denn in dieser Zeit erfolgten weltweitbeträchtlicheKlimaänderungen und im Gefolge der mehrfachenWechselvon Eiszeiten und Warmzeiten erheblicheSchwankungen des Meeresspiegels. Als Folge der

Senkung des Meeresspiegels entstanden Landbrü­cken: auf der Nordhalbkugel ist die Beringstraßevon besonderer Bedeutung, auf der Südhalbkugeldie Landverbindungen im Bereich der Sundainselnund Molukken (Abb. 23-8), zwischen Tasmanienund Ausstralien sowie zwischen den Falkland-In­sein und Südamerika. Während der kälteren undwärmeren sowie feuchteren und trockeneren Pe­rioden unterschiedlicher Dauer fanden nichtnur bemerkenswerte Wanderungen von Faunen­elementen statt, sondern es wurde durch Isolationund andere Evolutionsfaktoren die Entstehungneuer Arten in besonderem Maße gefördert . Überdie Beringstraße erfolgten anscheinend zu ver­schiedenen Zeiten Wanderungen , die zu der auf­fallenden Einheit der arktischen und subarkti­schen Fauna führten . Disteln (Cardueen) alsWirtspflanzen von Insekten konnten erst seit demmittleren Tertiär von der Ostpaläarktis über die

23.5 HistorischeTiergeographie 731

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Abb. 23-8: Die Übergangszone zwischen Orientalis und Australis. DerVersuch einer Abgrenzung diesesüberauskomplexen,vielfach und gründlich untersuchten Übergangsbereichs durch dieWallace-LinieimWesten, dieWeber-Linie inder MittesowiederimOsten verlaufenden Lydekker-Linie und die Benennung dieses Gebietes als Wallacea erwies sich im Laufe der Zeit als nichtbefriedigend. (Nach de Lattin 1967)

Bering-Landbrücke nach Nordamerika einwan­dern. So bildete beispielsweise die Gattung Cir­sium dort 50 endemische Arten, die inzwischenvorwiegend im Westen Nordamerikas verbreitetsind . Von den Phytophagen dieser Disteln erreich­ten Bohrfliegen des Tribus Terellini die Ostpa­läarktis erst , als die Beringstraße nicht mehr pas ­sierbar war. Sie konnten aber mit ihren Wirts­pflanzen nach Nordamerika einwandern, als imPliozän eine weitere Hebung erneut eine Bering­Landbrücke ergab. Im Pleistozän dürfte über dieseLandbrücke auch die Bohrfliegen-Gattung Chaes­tome/la mit Distel-Arten der Gattung Cirsiumnach Nordamerika gelangt sein.

Ein intensiver Austau sch der Faunen und Flo­ren dürfte auch über die breite, bis zum Ende derKre idezeit existierende Verbindung zwischenNordeuropa und dem heutigen Kan ad a erfolgtsein. Die Beringstraße war außerdem auch für dieBesiedelung Mittel- und Süd amerikas von Bedeu­tung, denn die Insektenfauna der Nearktis und derNeotropis weisen viele Übereinstimmungen auf.Andererseits lässt die Fauna des südlichen Süd ­amerika deutlich erkennen, da ss sie in erheblichemMaße durch einen Austausch von Faunenanteilenauf dem Wege über Antarctica entstanden seindürfte.

Während der Eiszeiten in Europa drangen, aus­gehend von den skandinavischen Hochgebirgeneinerseits und den Alpen andererseits, gewaltigeEismassen vor. In Norddeutschland unterscheidetman 3 Eiszeiten (Elster-, Saale-, Weichseleiszeit) ,im Gebiet der Alpen 4 Eiszeiten (Günz-, Mindel-,Riss- und Würmeiszeit). Diese Eismassen zogensich in Norddeutschland in 4, in den Alpen in 5Stufen wieder zurück. Zahlreiche Faunenelemente

Tab. 23-2: Die Erdzeitalter. (Nach Hohl, 1981)

Periodein

ambnum 70OrdovlZIum 70Silur 35Devon 55Karbon 65Perm 60

esozoi um Trias 30Jura 55Kreide 75

Kano-, eozoikum Iertiär 65Quartär 1,5

Plelstozan (Diluvium)Holoz än (Alluvium)

732 23 TIergeographie

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Saale-Vereisungnicht vereiste Gebiete

Abb. 23·9: Die Ausdehnung der nordeuropäischen und alpinen Eismassen im Pleistozän, dieAbwanderung von Arten inwärmere Gebiete Südwest- und Südosteuropas und die Rückwanderung nach dem Ende der Eiszeiten. DieWanderungsrich tungensind durch die Pfeil spitzen angedeutet. (Nach versch . Autoren, verändert)

wichen vor dem vordringenden Eis und dem damiteinsetzenden kälteren Klima einerseits nach Süd­westen und andererseits nach Südosten aus(Abb. 23-9). Anscheinend fanden viele Arten keineAusweichmöglichkeit in wärm ere Gebiete und gin­gen zugrunde.

In der Nacheiszeit, dem Holozän oder Allu­vium, das etwa 12000 Jahre andauerte, zogen dieausgewanderten Faunenanteile wieder in die zu­nehmend wärmer werdenden Gebiete ein. Je nachWanderungsgeschwindigkeit und anderen Fakto­ren sind die heutigen Bcsiedelungsgrenzen der ein­zelnen Arten in unte rschiedlichen Bereichen zufinden . Vielfach haben sich bereits Subspezies ge-

bildet (Abb. 23-2). Ein Refugium während der Eis­zeit wurde zum Ausbreitungsareal nach der Eis­zeit.

Vielfach ist der Mensch für die Ausbreitung von Artenverantwortlich. Bekannte Beispiele sind die StubenfliegeMusca domestica, die Stechmücke Cu/ex fat igans, dieKleiderlaus Pedicu/us humanus, die Filzlaus Pth irus pubis,zahlreiche Pflanzenschädlinge u. a. (s. Kap. 21). Europaund Nordamerika haben mindestens 5000 Tierart en ge­meinsam. Die Hälfte davon dürfte durch den Menschenverschleppt worden sein, wobei etwa zehnmal so vielArten von Europa nach Nordameri ka gelangten wie inumgekehrter Richtung. 63 nach Nordamerika einge­schleppten Schmetterlingsarten, darunter 16 Pyralidae

Abb. 23-10: Die rasche Ausbreitungdes Kartoffelkäfers Leptinotarsadecemlineata in Europa. (Aus Sedlag1995)

Literatur 733

und 10 Tortricidae, stehen nur 3 nach Europa verfrach­tete Arten gegenüber. Besonders beachtet und vielfachkartiert wurde die Ausbreitung von Schädlingen nachihrer erfolgreichen Einschleppung. Ein gutes Beispiel lie­fert ein gefürchteter Forstschädling, der Schwammspin­ner Lymantria dispar, der aus Europa in die USA im­portiert wurde. Besonders bekannt wurden die aus denUSA nach Europa eingeschleppten Schädlinge ReblausViteus vitifolii und der Kartoffelkäfer Leptinotarsa de­cemlineata (Abb. 23-10). Vielfach mussten nach der Ein­schleppung von Schädlingen geeignete Parasiten zur bio­logischen Bekämpfung importiert werden . Das gilt nichtnur für tierische Schädlinge, sondern auch für die Un ­krautbekämpfung (s. 21.1) . Nach der Einschleppung vonOpuntien wurde in Australien zur Bekämpfung derKlein schmetterling Cactoblastis cactorum eingeführt.Die Rinderzucht erforderte in Australien die Einfuhr vonMistkäfern, um den Rindermist auf den Weiden ab­zubauen (s. 21.2 .1.2). Einheimische Insekten waren nurzum Abbau von trockenem Rindermist fähig. Zahlreicheweitere Beispiele für die absichtliche und unabsichtlicheFaunenveränderung durch den Menschen könnten noc hangeführt werden .

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