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Diabetes mellitus Typ 1 Lehrtext

Lehrtext Diabetes mellitus Typ 1 - Cura Campus · 4 2. Klassifikation und Diagnostik Diabetes mellitus Typ 1 ist eine autoimmunologisch vermittelte Erkrankung. Es werden zwei Subtypen

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Diabetes mellitus Typ 1

Lehrtext

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Hinweis:Wenn aus Gründen der Lesbarkeit die männliche Form eines Wortes genutzt wird („der Arzt“), ist selbstverständlich auch die weibliche Form („die Ärztin“) gemeint.

1. Einleitung 3

2. Klassifikation und Diagnostik 4

3. Therapieziele 4

4. Therapie des Typ-1-Diabetes 5

4.1 Ernährung ...............................................................................................................................54.2 Insulintherapie ........................................................................................................................5

4.2.1 Insuline ..........................................................................................................................74.2.2 Handhabung von Insulin ................................................................................................7

5. Folge-/Begleiterkrankungen und Behandlungskontrollen 9

6. Akutkomplikationen 10

6.1 Diabetische Ketoazidose .......................................................................................................106.2 Hypoglykämie .......................................................................................................................10

7. Besondere Behandlungsformen 11

8. Verschiedenes 11

9. Quellen (mit weiteren Details) 11

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In Deutschland beträgt die Prävalenz für einen Diabetes mellitus gegenwärtig etwa acht Prozent der Gesamtbevölkerung. Davon sind etwa fünf bis zehn Prozent von einem Typ-1-Diabetes be-troffen. Da es für die Erkrankung kein landesweites Register gibt (wie zum Beispiel früher in der DDR), sind genauere Angaben derzeit nicht möglich. Weltweit wurde im Jahr 2000 die Gesamt-zahl an Diabetes Typ-1-Erkrankungen auf etwa elf Millionen (ent-sprechend etwa 0,4 bis 0,8 Prozent der Bevölkerung) geschätzt. Bis 2014 wird eine Steigerung auf 25 bis 30 Millionen prognos- tiziert.

Dieser Anstieg beruht einerseits auf einer gesteigerten Inzidenz von Neumanifestationen, andererseits auf einer höheren Lebens- erwartung von Menschen mit Typ-1-Diabetes.

Die Inzidenz steigt jeweils im Herbst und Winter an. In Europa zeigt sich ein deutliches Nord-Süd-Gefälle mit höchsten Erkran-kungsraten in Finnland (Ausnahme: Sardinien in Südeuropa mit ähnlich hohen Zahlen).

Als Krankheitsursachen werden neben genetischen Faktoren zu-nehmend unterschiedliche Umwelteinflüsse (Ernährung, Virusin-fektionen, chemische Noxen und anderes) - jedoch schwächer als bei Typ-2-Diabetes - angenommen, die wahrscheinlich über-wiegend als immunologische Triggerfaktoren wirksam sind.

Der Typ-1-Diabetes tritt bevorzugt in jüngeren Lebensjahren auf (Gipfel der Erkrankung etwa elftes bis 13. Lebensjahr), kann sich jedoch auch noch jenseits des 40. Lebensjahres manifestieren.

In der Regel ist der Erkrankungsbeginn abrupt mit kurzfristig ein-setzenden Symptomen. Lediglich bei sehr später Erstmanifes-tation kann die Erkrankung zum Teil über Jahre hinweg schlei-chend progredient mit nur geringen Symptomen verlaufen.

Typ-1-Diabetes entwickelt sich durch eine meist rasche und pro-grediente, immunologisch vermittelte Zerstörung der insulinpro-duzierenden B-Zellen innerhalb der Langerhansschen-Inseln der Bauchspeicheldrüse. Die für die Produktion von Glukagon ver-antwortlichen A-Zellen bleiben von diesem Zerstörungsprozess zunächst meist verschont.

In Abhängigkeit vom Manifestationsalter kommt es mehr oder weniger rasch zu einem absoluten Insulinmangel mit in der Fol-ge ausgeprägter Hyperglykämie und dadurch bedingten Sympto-men wie Polydipsie, Polyurie, Gewichtsverlust, Leistungsschwä-che und den Zeichen der Ketoazidose.

Eine Sonderform stellt der LADA-Diabetes (Latent Autoimmune Diabetes of Adults) dar. Hier bleibt bei den meist deutlich älter als 20-jährigen Patienten über Jahre eine Restfunktion der B-Zel-len erhalten. Dies verhindert in der Regel das Auftreten einer klinisch relevanten Ketoazidose. Ein solch schleichender Beginn kann insbesondere bei gleichzeitigem Übergewicht und entspre-chender Familienanamnese einen Diabetes mellitus Typ 2 vor-täuschen. Definitionsgemäß sind bei dieser Diabetesform immer spezifische Autoantikörper nachweisbar und auch oft weitere Autoimmunerkrankungen (zum Beispiel Hashimoto-Thyreoiditis) anzutreffen.

1. Einleitung

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2. Klassifikation und Diagnostik

Diabetes mellitus Typ 1 ist eine autoimmunologisch vermittelte Erkrankung. Es werden zwei Subtypen unterschiedena) Die immunologisch vermittelte Form (Typ 1a), die zirka 90

Prozent und b) die idiopathische Form (Typ 1b), die zirka zehn Prozent

umfasst.

Der 1a-Diabetes ist definitionsgemäß als autoimmunologisch vermittelte Erkrankung gekennzeichnet durch den Nachweis von verschiedenen Autoantikörpern in unterschiedlicher Häufigkeit, die zum Teil bereits Jahre vor der klinischen Krankheitsmanifes-tation nachweisbar sind. Leider existieren bisher keine wirksa-men und verträglichen Therapien, um den Diabetes in diesem präklinischen Stadium verhindern zu können.

Autoantikörper sind beim Typ 1a in unterschiedlicher Häufigkeit, meist mehrfach kombiniert, nachweisbar:

3. Therapieziele

Die Therapie des Typ-1-Diabetes hat zum Ziel, Stoffwechselent-gleisungen (Hyper- und Hypoglykämien) zu vermeiden und damit die diabetesbedingte Minderung der Lebensqualität zu verhin-dern. Das langfristige Ziel ist, Diabetes bedingte Folge- und Be-gleiterkrankungen zu vermeiden.

Da es zur Definition und Kontrolle der Lebensqualität noch keine einheitlichen Kriterien gibt, wird als Maß für die Güte der Stoff-wechseleinstellung die HbA1c-Bestimmung als Langzeitparame-ter ein Mal pro Quartal empfohlen.

Dabei ist der Zielwert des HbA1c individuell festzulegen. Hierbei sind zu beachten:

� Patientenalter und bisherige Erkrankungsdauer � Nutzen hinsichtlich Vermeidung von Folgekomplikationen � Risiko für schwere Hypoglykämien � Komorbiditäten

� Inselzellantikörper (ICA) � Insulinantikörper (IAA) � Antikörper gegen Glutamat – Decarboxylase der ß-Zelle (GADG5A)

� Autoantikörper gegen Tyrosinphosphatase (IA-2) � Antikörper gegen den Zink Transporter 8 der B-Zelle (Zn T8)

GAD-Antikörper sind besonders charakteristisch für die LADA-Form und in diesen Fällen bei Krankheitsbeginn nicht selten der einzige direkte Hinweis auf einen Autoimmundiabetes.

Bei Typ-1b-Diabetes lassen sich definitionsgemäß keine Antikör-per als Hinweis auf einen Autoimmunprozess nachweisen. Hier führt alleine das klinische Bild einer Hyperglykämie, meist ver-bunden mit einer Ketoazidose, zur Diagnose. Es zeigt sich eine massiv verminderte oder fehlende endogene Insulinsekretion (C-Peptidbestimmung ohne oder mit Glukagonstimulation).

� Erwartungen des Patienten � Therapiecompliance

Unter Umständen ist im Krankheitsverlauf das Therapieziel bei veränderten Bedingungen neu festzulegen.

Nach den letzten Leitlinienempfehlungen der Deutschen Diabe-tesgesellschaft wird allgemein ein Zielwert unter sieben Prozent (entsprechend 53 mmol/mol) empfohlen. Bei den Blutzucker-einzelmessungen betragen die entsprechenden Zielwerte nüch-tern/präprandial etwa 90 bis 120 mg/dl (5,0 bis 6,7 mmol/l), zwei Stunden postprandial etwa 130 bis 160 mg/dl (7,2 bis 8,9 mmol/l) und vor dem Zubettgehen 110 bis 140 mg/dl (6,1 bis 7,8 mmol/l). Diese Zielvorgaben müssen entsprechend der vor-genannten Kriterien angepasst werden.

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4. Therapie des Typ-1-Diabetes

Die Grundlagen der Behandlung des Typ-1-Diabetes umfassen patientenindividuelle Ernährungsberatung, Bewegung, Insulin-therapie und psychosoziale Betreuung. Die erforderlichen Schu-lungen (zum Beispiel auch nach Erstmanifestation) erfolgen in einer spezialisierten Diabeteseinrichtung (Diabetesschwerpunkt-praxis oder Diabetesfachklinik).

Für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen existiert eine eigene S-3-Leitlinie. Ersteinstellung auf Insulin und weitere fort-laufende Kontrollen dieser Patienten sollten soweit möglich nur in entsprechend qualifizierten pädiatrischen Einrichtungen und nur ausnahmsweise in Schwerpunktpraxen der Erwachsenendi-abetologie mit entsprechender Expertise erfolgen.

4.1 Ernährung

Die Patienten müssen lernen, innerhalb einer ausgewogenen gesunden Mischkost den Kohlehydratgehalt der Mahlzeiten ge-nau einschätzen zu können, damit die Insulindosierung entspre-chend der Mahlzeit angepasst werden kann.

Das komplexe Wissen für eine genaue Berechnung/Schätzung der Kohlenhydrate bei einer Mahlzeit wird bei der Erstmanifes-tation im Rahmen von Einzelschulungen vermittelt, sowie in späteren Gruppenschulungen vertieft und wiederholt. Bei der Berechnung des Kohlenhydratgehalts wird als Bezugsgröße die Broteinheit (1 BE = zwölf Gramm Kohlenhydrate) oder Kohlen-hydrateinheit (1 KE = zehn Gramm Kohlenhydrate) verwendet.

Spezielle Diabetikerprodukte als Nahrungsmittel sind nicht er-forderlich und werden inzwischen nicht mehr empfohlen.

Patienten mit Typ-1-Diabetes sollen bei gleichzeitigem Überge-wicht oder Adipositas auch auf die Kalorienmenge ihrer Ernäh-rung achten, da der Anteil an Typ-1-Diabetikern mit Übergewicht/Adipositas stetig zunimmt. Dies kann zu einer Verschlechterung der Insulinempfindlichkeit wie bei Typ-2-Diabetikern führen und die Insulintherapie erschweren. Bei Normalgewicht ist eine Ka-lorienrestriktion nicht erforderlich.

Zu beachten ist das erhöhte Risiko für Hypoglykämien nach Alkoholkonsum (vor allem nachts infolge einer durch Alkohol supprimierten hepatischen Gluconeogenese) und nach sport-

licher Aktivität in Verbindung mit der Wirkung des Verzögerungs- insulins.

4.2 Insulintherapie

Aufgrund der irreversiblen Destruktion der insulinproduzieren-den B-Zellen muss die Insulintherapie bei Erstdiagnose sofort begonnen werden und lebenslang fortgesetzt werden. Dabei wird der Insulinbedarf in einen prandialen (exogenen beziehungs-weise kohlenhydratinduzierten) und einen basalen Teil (endoge-nen beziehungsweise durch Gluconeogenese induzierten) Anteil differenziert. Bei einer ausgewogener Ernährung halten sich bei-de Anteile in etwa die Waage.

Der exogene Insulinbedarf variiert intra- und interindividuell ent-sprechend nach unterschiedlichen Faktoren wie Ausmaß des In-sulindefizits, Body-Mass-Index, Alter, Geschlecht, weiblichen Hormonzyklus, Vorliegen anderer Erkrankungen, Einnahme von Medikamenten, Nahrungszufuhr, körperliche Aktivität/Sport und der Wirkung der verschiedenen Insuline. Die Insulinapplikatio-nen erfolgen in der Regel durch Insulinpens streng in das sub-cutane Fettgewebe.

Die Insulindosen müssen individuell angepasst werden. In der Anfangsphase der Erkrankung kann der Insulinbedarf nach Über-windung der Akutphase im Rahmen einer sogenannten „Honey-moon-Phase“ mehr oder weniger stark zurückgehen (noch vor-handene funktionsfähige B-Zellen mit passagerer Erholung). Je nachdem, ob dann nur vermindert Insulin gespritzt wird oder ganz darauf verzichtet werden kann, spricht man von partieller oder kompletter Remissionsphase. Diese hält – soweit über-haupt auftretend – meist nur wenige Wochen oder Monate an. Allerdings empfiehlt es sich, zumindest eine geringe Menge an basaler, exogener Insulinzufuhr beizubehalten, um die Restfunk-tion nicht zu stark zu beanspruchen.

Als Therapieoptionen bestehen eine konventionelle Insulinthera-pie (CT), eine konventionelle intensivierte Insulintherapie (ICT) oder eine Insulinpumpenbehandlung (CSII).

� Bei der (früher standardmäßig) konventionellen Insulinthera-pie werden in der Regel zwei Mal täglich Injektionen eines Mischinsulins (meist 25/75 oder 30/70) verabreicht, wobei

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entweder keine Dosisanpassung erfolgt oder nach Blutzucker-kontrolle anhand eines Anpassungsschema die Insulindosis variiert wird. Dabei ist die Abfolge und Größe der Mahlzeiten vorgegeben (auch der Zwischenmahlzeiten). Diese Form der Insulintherapie kommt nur bei Patienten mit Typ-1-Diabetes in Frage, die mit den Anforderungen einer intensivierten In-sulintherapie nicht zurechtkommen (zum Beispiel krankheits- oder altersbedingt) oder einer Insulinmehrspritzentherapie nach ausführlicher Aufklärung bezüglich Nutzen und Risiken ablehnend gegenüberstehen. Die starken Blutzuckerschwan-kungen sind in der Regel mit einem starren Insulinschema nicht kontrollierbar; ferner sind die Flexibilität bezüglich Zahl, Inhalt und Zeitpunkt der Mahlzeiten sowie die körperliche/sportliche Aktivität stark eingeschränkt.

� Daher gilt heute – auch auf Grundlage der DCCT-Studiener-gebnisse – bei der Therapie des Typ-1-Diabetes als Goldstan-dard die intensivierte Insulintherapie. Dabei wird langwirksa-mes Verzögerungsinsulin („Basalinsulin“) und kurzwirksames Insulin zu den Mahlzeiten (Basis – Bolus – Prinzip) gespritzt. Die Insulininjektionen erfolgen in der Regel mit Insulinpens.

Bei der Insulinpumpentherapie wird zur Behandlung nur kurz- wirksames Insulin eingesetzt. Dabei gibt ein Pumpensystem nach fester Programmierung kontinuierlich Insulin über ein an-gekoppeltes Kathetersystem ins subcutane Fettgewebe ab.

Bei der konventionellen intensivierten Insulintherapie richtet sich die Dosis des Basalinsulins nach den Nüchternglukosewerten beziehungsweise den präprandialen Blutzuckerverlauf. NPH- und Detemir-Insulin sind mehrfach zu spritzen (NPH-Insulin drei-mal am Tag mit etwa 25 Prozent morgens, etwa 25 Prozent mit-tags und etwa 50 Prozent abends, Detemir zweimal am Tag), Glargin wird in der Regel einmal täglich, Degludec immer einmal täglich injiziert (wegen längerer Wirkdauer im Vergleich zu den anderen Verzögerungsinsulinen). NPH-Insulin sollte dabei stets wie alle Insuline streng subcutan in den seitlichen Oberschenkel gespritzt werden, Detemir, Glargin und Degludec können sowohl abdominell als auch in den seitlichen Oberschenkel verabreicht werden.

Der basale Insulinbedarf beträgt im Mittel etwa 0,3 bis 0,4 IE/kg Körpergewicht. In vielen Fällen zeigt sich ein erhöhter basaler Insulinbedarf in den frühen Morgenstunden (Dawn-Phänomen), der oftmals nur durch eine Insulinpumpentherapie gut zu behan-deln ist. Die Dosen des kurzwirksamen Insulins werden durch die Blutzuckerverläufe nach den Mahlzeiten bestimmt. Sie betragen

in der Regel je nach Tageszeit und weiteren Faktoren etwa 0,5 bis 4 IE/BE (im Durchschnitt morgens etwa 1,5 bis 3 IE/BE, mittags etwa 0,8 bis 1,5 IE/BE und abends etwa 1 bis 2 IE/BE). Dabei muss der Patient mindestens viermal täglich Blutzucker-kontrollen durchführen (jeweils präprandial und vor dem Schla-fengehen). Die Injektion der kurzwirksamen Insuline zu den Mahlzeiten und als Korrektur sollte stets abdominell erfolgen.

Zu bedenken ist die unterschiedliche Wirkdauer von Normalinsu-lin (etwa vier bis sechs Stunden) und schnell wirkenden Analog-insulinen (etwa zwei bis drei Stunden). Bei Blutzuckererhöhung erfolgt eine Korrektur mit kurzwirksamen Insulin, wobei in der Regel pro 30 bis 50 mg/dl Blutzuckererhöhung zusätzlich 1 IE erforderlich ist (morgens Korrekturfaktor etwa 30 mg/dl, mit-tags etwa 50 mg/dl, abends etwa 40 mg/dl, nachts etwa 60 – 80 mg/dl.

Insulinresistenz im Rahmen von Übergewicht/Adipositas ver-mindert die mit 1 IE Kurzzeitinsulin erreichte Blutzuckersenkung langfristig, Blutzuckererhöhungen mit positivem Ketonkörper-Nachweis und fieberhafte Infekte kurzfristig bis auf die Hälfte. Umgekehrt verursacht eine erhöhte Insulinempfindlichkeit kurz-fristig (zum Beispiel Sport) und langfristig (Leber- und/oder Nie-reninsuffizienz; Nebenniereninsuffizienz etc.) eine höhere Ab-senkung durch 1 IE Kurzzeitinsulin (zum Beispiel 60 bis 80 mg/dl statt 30 bis 40 mg/dl).

Der Quotient basaler zu prandialem Insulinbedarf beträgt unter einer gewichtserhaltenen Ernährung über 24 Stunden etwa 1,0. Das heißt, die Summe aller Mahlzeiten und Korrekturinsulinga-ben ist genauso hoch wie die gesamte Tagesdosis von Verzöge-rungsinsulin. Bei körperlich sehr aktiven Menschen, die sehr große Mengen an Kohlenhydraten verzehren, kann sich dieses Verhältnis allerdings zugunsten des Bolusinsulins verschieben.

Die Insulinpumpentherapie stellt eine technische Verfeinerung der konventionellen intensivierten Therapie dar. Dabei wird ein Kurzzeitinsulin durch eine am Körper getragene programmierte Pumpe kontinuierlich durch einen Katheter mit einer fixierten In-jektionsnadel in das subkutane Fettgewebe verabreicht. Bei den neuen Patchpumpen erfolgt dies über eine flexible Kanüle aus dem direkt auf die Haut geklebten Pumpensystem. Der größte Vorteil der Insulinpumpentherapie besteht in einer deutlich ver-feinerten und den individuellen Bedürfnissen (zum Beispiel Dawn-Phänomen) des Patienten angepassten vorprogrammierbaren und in Sondersituationen (zum Beispiel Sport) auch kurzfristig

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veränderbaren Basalrate. Auch die Abgabe der Mahlzeiten-Boli kann durch unterschiedliche Zeitprofile im Hinblick auf die Blut-zuckerwirksamkeit verschiedener Mahlzeiten optimiert werden.

Mit einer intensivierten Insulinpumpentherapie lässt sich im Ver-gleich zur konventionellen Insulintherapie eine HbA1c -Verbesse-rung je nach Studiendatenlage von etwa 0,21 bis 0,60 Prozent erreichen. Häufigste Indikationen für eine Insulinpumpenthera-pie sind Wechselschichttätigkeit, anhaltend hoher HbA1c -Wert unter konventioneller Insulintherapie, Dawn-Phänomen, rezidi-vierende schwere Hypoglykämien und Schwangerschaft.

Unbedingte Voraussetzung für eine Insulinpumpentherapie sind sehr gutes Beherrschen der konventionellen intensivierten In-sulintherapie, eine spezielle Pumpenschulung, langfristige Moti-vation und Zuverlässigkeit von Seiten des Patienten und Sicher-stellung einer Betreuung durch eine diabetologische Einrichtung mit entsprechender Pumpenerfahrung. In einigen Studien zeigte sich eine Verbesserung der Lebensqualität. Bei einem Defekt der Insulinpumpe muss der Patient jederzeit selbstständig auf eine konventionelle Insulintherapie umstellen können.

Kontraindikationen für die Anwendung der Insulinpumpenthera-pie sind mangelnde Motivation und Zuverlässigkeit, fehlende Dokumentation der Blutzuckerselbstkontrolle und schwere psy-chische oder suchtbedingte Erkrankungen. Aufgrund der im Ver-gleich zur konventionellen intensivierten Insulintherapie etwa zwei- bis dreifach höheren Kosten wird die Indikation zur Insulin-pumpentherapie von den Kostenträgern über den medizinischen Dienst der Krankenkassen genau geprüft.

4.2.1 InsulineAlle derzeit in Deutschland regulär eingesetzten Insuline werden gentechnologisch hergestellt. Dabei lassen sich mit den Human- und Analoginsulinen hinsichtlich Herstellung, Wirkcharakteristika und Anwendung zwei Gruppen unterscheiden.

Die in firmenunterschiedlichen Herstellungsverfahren produzier-ten Humaninsuline sind mit dem menschlichen (human) Insulin chemisch identisch. Dazu zählen die Normalinsuline und NPH-Verzögerungsinsuline. Klinisch relevante Unterschiede bestehen zwischen den Präparaten der verschiedenen Firmen nicht.

Zur Gruppe der kurzwirksamen Insulinanaloga gehören Lispro, Aspart und Glulisin; zu den langwirksamen zählen Glargin, Dete-mir und Degludec. Bei diesen Insulinen wird die Aminosäure-

sequenz gering verändert oder eine gezielte Kopplung an be-stimmte Moleküle durchgeführt. Dadurch bleibt der blutzucker-senkende Effekt erhalten, Wirkeintritt und Wirkdauer werden jedoch gezielt verändert. Die kurzwirksamen Analoginsuline zeichnen sich im Vergleich zu Normalinsulin durch einen schnel-leren Wirkeintritt und eine kürzere, von der Dosis weitgehend unabhängige Wirkdauer aus. Die langwirksamen Analoginsuline haben im Vergleich zu NPH-Insulin eine unterschiedlich längere Wirkdauer und geringere intraindividuelle Variabilität.

Erhöhte postprandiale Blutzuckerwerte, gehäufte Hypoglykämi-en sowohl tagsüber als auch nachts und das Nichterreichen be-friedigender Nüchternglucosewerte können medizinische Grün-de für ein Analoginsulin sein. Auch der Patientenwunsch nach Verzicht auf einen Abstand zwischen Spritzen und Essen und auf regelmäßige Zwischenmahlzeiten kann zur Bevorzugung ei-nes Kurzzeit-Analoginsulins gegenüber Normalinsulin führen.

Da inzwischen die Insulinhersteller mit den gesetzlichen Kran-kenkassen Rabattverträge für alle Analoginsuline abgeschlossen haben, erhöht deren Einsatz nicht mehr das Regressrisiko des verordnenden Arztes.

4.2.2 Handhabung von Insulin

Da im Vergleich zur physiologisch regulierten Blutzuckerhomöo-stase die exogene Korrektur des Insulindefizites beim Typ-1-Dia-betes durch eine Vielzahl teils nicht berechenbarer Einflussfakto-ren erschwert wird, ist es unbedingt erforderlich, beeinflussbare Therapiefaktoren genau zu beachten. Dazu gehört besonders der richtige Umgang mit Insulin und dessen Applikationssystemen.

Das aktuell verwendete Insulin kann bei Raumtemperatur aufbe-wahrt werden; nicht verwendetes Insulin sollte im Kühlschrank gelagert werden. Längere Exposition unter zwei und über 40 Grad Celsius ist zu vermeiden.

Die NPH- und Mischinsuline müssen vor der Verabreichung durch Kippen und Rollen zwischen den Handflächen (mindestens 20 Mal) gut gemischt werden. Schütteln (Schaumbildung) ist zu ver-meiden. Die anderen Insuline (klare Lösungen) müssen vor der Injektion nicht gemischt werden.

Die Verwendung von Insulin-Einmalpens und von Pens mit Insu-linpatronen vermindert gegenüber dem Einsatz von Einmalsprit-zen das Risiko von Dosierfehlern.

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In Penampullen können sich während der Gebrauchsdauer Luft-blasen bilden. Eine Funktionskontrolle ist vor jeder Injektion er-forderlich; gegebenenfalls muss die aufrecht gehaltene Ampulle durch Abspritzen weniger Einheiten in die Luft entgast werden. Die Entfernung der Pennadel nach jeder Injektion vermindert das Risiko der Luftblasenbildung. In Abhängigkeit von der injizier-ten Insulinmenge ist die Injektionsdauer auf bis zu zehn Sekun-den auszudehnen und die Nadel noch zwei bis drei Sekunden bei durchgedrücktem Penknopf im subcutanen Fettgewebe zu belassen.

Die Nadeln müssen bei den Injektionen regelmäßig erneuert wer-den (spätestens nach der dritten Injektion), um Blutergüsse zu vermeiden und eine sichere Insulininjektion zu erreichen. Auf-grund einer vor kurzem veröffentlichten Studie sollten nur noch kurze Nadeln von etwa vier bis sechs Millimeter verwendet wer-den (bessere Blutzuckerwerte als bei der Verwendung von län-geren Nadeln). Außerdem müssen die Spritzregionen regelmä-ßig gewechselt werden, vor allem um Verdickungen des Fettge-webes (Lipohypertrophien) zu vermeiden. Deshalb sollten die

Spritzregionen bei den Kontrolluntersuchungen regelmäßig ins-piziert werden. Seit der Einführung hochgereinigter Human- und Analoginsuline werden Lipoatrophien nur noch extrem selten gesehen. Auch allergische Reaktionen treten insgesamt nur sehr selten auf und sind in der Regel auf Zusatzstoffe und nicht auf das Insulin selbst zurückzuführen. Gegebenenfalls ist eine de-taillierte allergologische Austestung zur Suche nach einer geeig-neten Insulin-Formulierung notwendig.

Bei der Behandlung müssen die Patienten die wesentlichen The-rapiemaßnahmen selbstverantwortlich umsetzen. Hierzu sind umfangreiche Schulungsmaßnahmen (mindestens zwölfmal 90 Minuten) notwendig, vor allem bezüglich Ernährungsbeachtung, Insulindosisanpassung und Spritzentechnik, gegebenenfalls auch unter Einbeziehung von Bezugspersonen. Weiterhin gibt es spezielle Schulungsprogramme für bestimmte Indikationen zum Beispiel bei gehäuftem Auftreten von Hypoglykämien (BGAT, HYPOS).

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5. Folge-/Begleiterkrankungen und Behandlungskontrollen

Die Angaben über die Häufigkeit von diabetesbedingten Folge-erkrankungen variieren von etwa 7,8 bis 46,2 Prozent (je nach Diabetesdauer). Nach DMP-Datenerhebungen aus Nordrhein-Westfalen zeigt sich am häufigsten eine diabetische Neuropathie, gefolgt von diabetischer Retinopathie und diabetischer Nephro- pathie.

Aufgrund der DCCT-Studie aus 1993 ist gesichert, dass eine langfristige Absenkung des HbA1c-Wertes auf durchschnittlich 7,2 Prozent im Vergleich zur Kontrollgruppe mit durchschnittli-chem HbA1c von 9,1Prozent zu einer signifikant geringeren Rate von neu aufgetretenen beziehungsweise zu einer Progressions-verlangsamung vorbestehender mikroangiopathischer Folge-komplikationen führt. Insgesamt ist das Risiko für solche Kom-plikationen bei HbA1c-Werten unterhalb von sieben Prozent auch bei jahrzehntelangem Krankheitsverlauf sehr gering. Fortgesetz-ter Nikotinkonsum erhöht als eigenständiger Risikofaktor das Ent-stehen und die Progredienz einer diabetischen Retino- und Ne-phropathie signifikant.

In Abhängigkeit von den klassischen Risikofaktoren wie familiäre Belastung, arterieller Blutdruck, erhöhtes LDL-Cholesterin und Nikotin erhöht ein Typ-1-Diabetes das Risiko für makrovaskuläre Komplikationen (zerebrale Ischämien, koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusserkrankung). Dementsprechend sind regelmäßig folgende Behandlungskontrollen und Screening- untersuchungen vorzunehmen und im Gesundheitspass Diabe-tes zu dokumentieren (sowie gegebenenfalls im Rahmen des DMP Typ-1-Diabetes an die Datenstelle weiterzuleiten):

� Blutzuckerselbstkontrolle des Patienten in schriftlicher oder elektronischer Form alle drei bis sechs Monate zur eventuel-len Fehleranalyse und gegebenenfalls Anpassung der Thera- pie-Algorithmen

� HbA1c alle drei Monate � Anamnese bezüglich Hypoglykämien (bei jedem Kontakt) und klinischer Symptome einer Makroangiopathie oder sensomo-torischen Polyneuropathie (patientenindividuell mindestens einmal jährlich)

� Klinische Untersuchung (patientenindividuell mindestens ein-mal jährlich) mit Blutdruckmessung (gegebenenfalls ergänzt durch 24-Stunden-Messung), neurologischer und angiologi-scher Fußuntersuchung: Fußinspektion bezüglich Schwielen, Druckstellen; Inspektion des Schuhwerks bei vorbestehender

Polyneuropathie; Pulsstatus gegebenenfalls inklusive Knöchel-Armindex-Bestimmung; Vibrationsempfinden im Stimmgabel-test; Überprüfung des Berührungs-(Mikrofilament) und des Temperaturempfindens (Tip-Term); Reflexstatus (Achilles- sehnenreflex und Patellarsehnenreflex)

� Lipidstatus, Nierenfunktion (MDRD-GFR), TSH einmal jähr-lich beziehungsweise nach Einleitung/Änderung einer ent-sprechenden Pharmakotherapie

� Augenfunduskontrolle beim Ophthalmologen in Mydriasis einmal jährlich beziehungsweise nach Vorgabe des Augen-arztes (für einen standardisierten Befundbericht steht hier- zu der augenfachärztliche Untersuchungsbogen IFDA/AGDA zur Verfügung)

� Albuminkonzentration oder Albumin-Kreatinin-Ratio im Urin unter Beachtung möglicher Störfaktoren einmal jährlich bei unauffälligem Befund beziehungsweise alle drei bis sechs Monate bei kontrolliert pathologisch erhöhter Mikro-/Makro-albuminurie. Nephrologisches Konsil bei fortschreitender Proteinurie, nicht ausreichend kontrollierbarem Blutdruck und/oder fortschreitender Nierenfunktionseinschränkung

� Ruhe- und/oder Belastungs-EKG, je nach patientenindividu-ellem Risikoprofil. Im Verdachtsfall beziehungsweise bei sehr hohem Risikoprofil Vorstellung beim Kardiologen, unter ande-rem mit der Frage nach einer nichtinvasiven Ischämiediag-nostik (zum Beispiel Stressechokardiographie)

� Je nach eigener Expertise ist ein diabetisches Fußsyndrom frühzeitig in eine spezialisierte Fußambulanz oder eine Klinik einzuweisen.

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6. Akutkomplikationen

Akute Notfälle sind bei Typ-1-Diabetikern entweder eine hyper-glykämische Entgleisung mit Ketoazidose oder Hypoglykämien mit Bewusstseinsverlust.

6.1 Diabetische Ketoazidose

Bei der Ketoazidose besteht ein relativer oder absoluter Insulin-mangel. Dies kann bis zum diabetischen Koma führen. Es erfolgt bei Blutzuckerwerten >250 mg/dl ein vermehrter Abbau von Fett zur alternativen intrazellulären Energiegewinnung.

Ursachen einer diabetischen Ketoazidose können sein:Unterbrechung der Insulintherapie (auch bei Insulinpumpenbe-handlung), bei akuten Begleiterkrankungen (zum Beispiel Infek-te), Begleitmedikamente (zum Beispiel Kortikosteroide) und bei Neumanifestation der Erkrankung. Laborchemische Verände-rungen bei Ketoazidose sind Blutzuckererhöhung über 250 mg/dl, Ketonurie beziehungsweise Ketonämie, ph-Wert-Absenkung unter 7,3 beziehungsweise Bikarbonat unter 15 mmol/l.

Mögliche Symptome einer Ketoazidose sind Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen („Pseudoperitonitis diabetica“) neben den typischen Zeichen einer hyperglykämischen Entgleisung mit Poly-dipsie, Pollakisurie, Müdigkeit und Mundtrockenheit. Der Über-gang zur Bewusstseinseinschränkung (Somnolenz), Kussmaul-scher Atmung und Koma ist dabei fließend. Bei Verdacht auf ei-ne diabetische Ketoazidose sollten neben regelmäßigen Blutzu-ckerkontrollen die Bestimmung von Ketonkörper im Urin, eine Blutgasanalyse, Kaliummessung und Kreatininkontrolle er- folgen.

Jeder Typ-1-Diabetiker sollte intensiv zur diabetischen Ketoazi-dose geschult und mit Urinazeton-Teststreifen ausgestattet wer-den. Die Kenntnisse zur Ketoazidose sind Bestandteil der Typ-1- Schulung und sollten bei Bedarf regelmäßig aufgefrischt werden.

Leichtere Ketoazidosen können durch den Patienten selbst oder ambulant in der Praxis mit adäquater Insulinzufuhr (erhöhte Do-sis von Insulin, bei Ketoazidose meist etwa doppelte Menge zur Korrektur erforderlich), Flüssigkeitsausgleich und gegebenen-falls Kaliumeinnahmen unter engmaschiger Kontrolle von Blut-zucker und Urinketonen behandelt werden. Eine Abklärung mög-

licher Ursachen sollte zur Vermeidung weiterer Entgleisungen unbedingt erfolgen.

Bei einer mittleren (pH ≤ 7,2; Bicarbonat ≤ 10 mmol/l) oder schweren (≤ 7,1; ≤ 5 mmol/l) Ketoazidose muss eine stationäre Einweisung erfolgen.

6.2 Hypoglykämie

Genauso wie extreme hyperglykämische Entgleisungen sollten ausgeprägte Hypoglykämien bei der Therapie vermieden werden. Es wird unabhängig vom Blutzucker unterschieden zwischen einer selbstständig durch den Patienten behebbaren Unter- zuckerung und der sogenannten schweren Hypoglykämie mit erforderlicher Fremdhilfe. Während gelegentliche leichte Hypo-glykämien im Rahmen des Zieles einer optimalen Blutzucker- einstellung meist nicht komplett vermeidbar sind, sollten schwe-re Unterzuckerungen unbedingt verhindert werden, da sie poten- ziell lebensbedrohlich sind, bei gehäuften Auftreten zu bleiben-den neurologischen Veränderungen führen und das langfristige Demenzrisiko erhöhen können. Die Häufigkeit schwerer Hypo-glykämien beträgt in Deutschland etwa 0,1 bis 0,4 Episoden pro Jahr bei ungleicher Verteilung (viele Patienten ohne eine solche Episode, einige Patienten mit mehrfachen schweren hypoglykä-mischen Entgleisungen pro Jahr).

Ursachen von Unterzuckerungen können sein:Zu hohe Insulindosen, Insulininjektion zum falschen Zeitpunkt, falsche Insulinsorte (zum Beispiel Verwechslung Kurzzeit- und Verzögerungsinsulin), verminderte Kohlenhydratzufuhr, erhöhter Glukoseverbrauch (bei Sport/Arbeit), verminderte endogene Glukoseproduktion (Alkohol, Niereninsuffizienz), erhöhte Insulin-empfindlichkeit (zum Beispiel im Rahmen der zirkardianen Rhythmik während der Nacht, speziell zwischen 2.00 und 4.00 Uhr) und verminderter Insulinabbau (zum Beispiel bei Nieren- insuffizienz).

Typische Symptome einer Hypoglykämie sind autonome Symp-tome (Schweißausbruch, Herzklopfen, Zittern und Heißhunger) und neuroglykopenische Anzeichen (Reizbarkeit, Kopfschmer-zen, Schläfrigkeit, Doppelbilder, Ängstlichkeit, Bewusstlosigkeit, Krämpfe).

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Eine verminderte Hypoglykämiewahrnehmung (primär oder se-kundär) erhöht deutlich das Risiko für schwere Unterzuckerun-gen. Häufigere leichte Unterzuckerungen und ein sehr tiefer HbA1c-Wert sind Risikofaktoren für die Entwicklung einer Wahr-nehmungsstörung für Unterzuckerungen. Durch die konsequente Vermeidung von Unterzuckerungen mit Anhebung des HbA1c-Zielwertes kann die Wahrnehmung für eine Hypoglykämie ver-bessert werden.

7. Besondere Behandlungsformen

Bei Patienten mit gleichzeitiger terminaler, oder bereits dialyse-pflichtiger Niereninsuffizienz ist nach Ausschluss bestimmter Kontraindikationen heute prinzipiell eine kombinierte Pankreas- und Nierentransplantation möglich. Es mehren sich dabei die Hinweise, dass durch ein solches Vorgehen nicht nur die Morbi-dität, sondern auch die Gesamtmortalität dieser Patienten ge-senkt werden kann. Allerdings sind bei diesem Verfahren nicht unerhebliche chirurgische Komplikationen, ein Verlust bezie-hungsweise Abstoßung des Transplantats und die Gefahren ei-ner dauerhaften Immunsuppression zu bedenken. Eine Inselzell-transplantation, die nur in sehr wenigen spezialisierten Zentren

durchgeführt wird, zeigt nach einem Jahr bei etwa 80 Prozent eine Insulinunabhängigkeit, jedoch begrenzte Langzeitergebnis-se mit nur etwa zehn bis 20 Prozent ohne Insulintherapie nach drei bis fünf Jahren.

Über den Einsatz einer Immuntherapie bei noch erhaltener Rest-funktion der Betazellen in der Anfangsphase der Erkrankung gibt es trotz zahlreicher Ansätze bisher keine positiven Studien-daten, sodass ein derartiger Behandlungsansatz außerhalb kon-trollierter klinischer Studien nicht empfohlen werden kann.

8. Verschiedenes

Patienten mit Typ-1-Diabetes sollten über Vor- und Nachteile der Beantragung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) infor-miert werden.

Bei Bedarf und Verfügbarkeit kann ein Psychologe DDG in die Behandlung miteinbezogen werden.

Bei Reisen sollten Patienten mit Diabetes mellitus neben einem ärztlichen Attest ausreichend Insulin, Ersatzpen beziehungswei-

se Einmalspritzen (bei Pendefekt oder -verlust) sowie ausrei-chend schnell verfügbare Kohlenhydrate (Traubenzucker, Gluko-sesirup) mit sich führen. Der Patient sollte über die sachgerech-te Lagerung der verschiedenen Diabetesutensilien, eventuelle Besonderheiten in der Essensversorgung am Urlaubsort Bescheid wissen und – falls notwendig – mit einem detaillierten Spritz-schema zur Berücksichtigung der Zeitzonen ausgestattet werden.

Typ-1-Diabetikerinnen sind zeitgerecht über den Themenkreis Schwangerschaft und Empfängnisverhütung zu informieren.

9. Quellen (mit weiteren Details)

� Praxisleitlinie der DDG: Therapie des Typ 1-Diabetes � Böhm BO et al; Diabetologie 2012; 7: 33-83

Angehörige oder Bekannte des Patienten sollten in das Risiko, vor allem der Symptomatik und eventuell Erstmaßnahmen ein-gewiesen sein. Nach einer schweren Hypoglykämie sollte der Ziel-HbA1c und die Verkehrstauglichkeit individuell überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.

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Impressum

Herausgeber:Kassenärztliche Vereinigung BayernsElsenheimerstraße 3980687 München

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Autor:Dr. Michael Dietlein

Redaktion:Qualitätssicherung/DMP

Grafik und Layout:Stabsstelle Kommunikaton

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Stand:September 2015