Upload
others
View
8
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
Leistungsmotivation
Entstehung, Verlust und Einflussmöglichkeiten
Modellprojekt „Auf Umwegen zum Berufsabschluss“Servicestelle Nachqualifizierung Westbrandenburg
Förderinitiative Abschlussorientiertemodulare Nachqualifizierung
Impressum
Leitfaden „Leistungsmotivation – Entstehung, Verlust und Einflussmöglichkeiten“
August 2011
Herausgeber:BBJ Consult AG
August-Bebel-Str. 68
14482 Potsdam
www.bbj.info
Redaktion: BBJ Consult AG
E-Mail: [email protected]
www.nachqualifizierung.info
Autor:Andreas Schelk, BBJ
Wissenschaftliche ÜberarbeitungProf. Dr. Esther Winther, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Universität Paderborn
E-Mail: [email protected]
Layout & Satz:STUDIO PROKOPY Potsdam
Agentur für Grafik & Fotografie
www.prokopy.de
Diese Publikation ist ein Produkt des Modellprojektes „Auf Umwegen zum Berufsab-
schluss – Servicestelle Nachqualifizierung Westbrandenburg“. Das Modellprojekt ist ein
Vorhaben in der Förderinitiative 2 „Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung“
des Programms „Perspektive Berufsabschluss“ des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung.
Dieses Vorhaben wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
und des Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union gefördert.
Der Europäische Sozialfonds ist das zentrale arbeitsmarktpolitische Förderinstrument der
Europäischen Union. Er leistet einen Beitrag zur Entwicklung der Beschäftigung durch
Förderung der Beschäftigungsfähigkeit, des Unternehmergeistes, der Anpassungsfähig-
keit sowie der Chancengleichheit und der Investition in die Humanressourcen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
2 Begriffsklärung: Bedürfnis, Motiv, Motivation 6
2.1 Bedürfnisse und Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
2.2 Ein Bedürfnis kommt selten allein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
2.3 Zeitlich stabile Bedürfnisse - Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
2.4 Welche Motive gibt es?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
2.5 Zeitlich variabel auftretende Bedürfnisse - Anreize. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2.6 Literatur zur Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
3 Extrinsische vs. Intrinsische Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
3.1 Intrinsische Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
3.2 Extrinsische Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
3.3 Intrinsische Motivation – die „bessere“ Motivation? . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
3.4 Wie erkenne ich, wer intrinsisch motiviert ist? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
3.5 Tipps für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
3.6 Literatur zur Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
4 Motivation als Personen-Umwelt-Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
4.1 Der Einfluss der Aufgabenschwierigkeit auf die Motivation . . . . . . . . . . . 14
4.2 Wählen wir alle mittelschwere Aufgaben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
4.3 Tipps für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
4.4 Literatur zur Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
5 Erwartungs-mal-Wert Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
5.1 Erfolgsanreiz und Erfolgserwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
5.2 Wie wir Situationen wahrnehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
5.3 Literatur zur Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
6 Einfluss der eigenen Ursachenzuschreibung auf die
Motivation – Wie unser Denken unsere Motivation
positiv beeinflussen kann. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
6.1 Attributionsmuster erfolgsorientierter Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
6.2 Attributionsmuster misserfolgsorientierter Personen. . . . . . . . . . . . . . . . . 19
6.3 Die eigene Leistungsbewertung und ihr Einfluss auf die
Leistungsmotivation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
6.4 Bewertungsmuster misserfolgsorientierter Personen . . . . . . . . . . . . . . . . 20
6.5 Das Selbstbewertungsmodell der Leistungsmotivation . . . . . . . . . . . . . . . 20
6.6 Wie finde ich heraus, wer erfolgs- bzw. misserfolgsorientiert ist? . . . . . . 21
6.7 Lernorientierung vs. Leistungsorientierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
6.8 Tipps für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
6.9 Literatur zur Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
2
7 Erweitertes Kognitives Motivationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
7.1 Wie wir Situationen bewerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
7.2 Das Modell als Analyseinstrument für Pädagogen am Beispiel
„Prüfungsvorbereitung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
7.3 Kritik am erweiterten kognitiven Motivationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . 26
7.4 Literatur zur Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
8 Willentliche Handlungssteuerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
8.1 Vier Elemente einer vollständigen Handlungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . 27
8.2 Strategien willentlicher Handlungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
8.3 Tipps für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
8.4 Literatur zur Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
9 Das Rubikonmodell des Handelns – Vom Wünschen zum
Wollen zum Tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
9.1 Die Phasen vom Wünschen zum Tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
9.2 Literatur zur Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
10 Bewertung – Wie Rückmeldungen der eigenen Leistung
motivationsfördernd sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
10.1 Die soziale Bezugsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
10.2 Die individuelle Bezugsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
10.3 Die sachliche (kriteriumsorientierte) Bezugsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
10.4 Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
10.5 Tipps für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
10.6 Literatur zur Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
11 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
12 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
13 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
3
1 Einleitung
Das Thema „Motivation“ ist nach unseren Erfahrungen aus Gesprächen und Work-
shops mit Verantwortlichen und Mitarbeitenden aus Bildungseinrichtungen ein dring-
liches Thema. Viele unserer Gesprächspartner machen die Erfahrung, dass ungenügende
Leistungen meist nicht auf mangelnde Fähigkeiten und Kompetenzen zurückzuführen
sind, sondern – zumindest scheint es so – auf mangelnde Lern- und Leistungsmotiva-
tion. Zu erfahren, wie jemand, den man als Ausbilder, sozialpädagogischer Begleiter
oder Lehrer fast täglich sieht, seine Zukunft verbaut, nur weil er oder sie „keinen Bock“
auf Lernen und Leistung hat, macht betroffen und geht nicht spurlos an einem vorbei.
Man möchte die jungen Menschen gerne wachrütteln und sie motivieren, gerne den
berühmten Hebel finden, den man nur umlegen müsste, damit aus einem unmotivier-
ten Teilnehmer eine leistungsbereite Persönlichkeit wird.
Dabei sind Schwankungen in den Leistungen und im Engagement völlig normal. Gera-
de bei langfristigen Bildungsmaßnahmen sind Höhen und Tiefen unvermeidbar und die
erfolgreiche Bewältigung dieser Krisen für die weitere Entwicklung eines Menschen
von großer Bedeutung. Was aber, wenn die Motivationskrise sich zu einem Motiva-
tionsverlust auswächst? Die Symptome sind Ihnen sicherlich bekannt: Bildungsteilneh-
mer/-innen erscheinen nicht mehr zum Kurs, kommen ständig zu spät, fallen nach
anfänglich guten Leistungen plötzlich ab und wirken teilnahmslos und desinteressiert.
Manchmal hilft schon ein klärendes Gespräch; dennoch kommt es vor, dass Ausbilder,
Lehrende oder pädagogisches Begleitpersonal trotz aller Bemühungen den Teilneh-
menden nicht mehr erreichen können.
Was erfahren Sie, wenn Sie den Leitfaden lesen?
Der Leitfaden versucht zu erklären, was Motivation überhaupt ist, wie Motivation ent-
steht, welche Rolle dabei Bedürfnisse, Wünsche und Umweltanreize spielen. Es wird
die Frage gestellt, was erfolgsorientierte Menschen kennzeichnet, warum sie häufig
motiviert und leistungsbewusst sind, während bei misserfolgsorientierten Menschen
die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns steigt. Ziel des Leitfadens ist es, ein besseres
Verständnis davon aufzubauen, wie Motivation Bildungsprozesse beeinflusst und
warum es zu Motivations- und Leistungsmangel kommen kann.
Gründe für Motivationsmangel oder -verluste gibt es viele. Sie können in der jeweiligen
Person begründet sein, in der Lernumgebung oder Unterrichtsgestaltung. Allein des-
wegen kann der Leitfaden keine schnellen Lösungen und Patentrezepte auf komplexe
Problemlagen bieten. Wenn Sie dennoch einen Einblick über die bisherige psychologi-
sche Motivationsforschung gewinnen möchten, bietet der Leitfaden eine fundierte Ein-
führung in das Thema, mit der Sie wertvolle Anregungen für Ihre Arbeit finden können.
Die diesem Leitfaden zugrunde liegenden Veröffentlichungen nutzen meist die Begrif-
fe „Schülerin und Schüler". Sie werden deshalb auch hier verwendet. Selbstverständ-
lich können und sollen die Ausführungen des Leitfadens auf Lernende aller Altersgrup-
pen übertragen werden – von der Schule über die Ausbildung bis hin zu Fort- und
Weiterbildung für Erwachsene.
„Unser Problem wird nicht sein,
dass günstige Gelegenheiten für
wirklich motivierte Menschen
fehlen, sondern dass motivierte
Menschen fehlen, die bereit und
fähig sind, die Gelegenheiten zu
nutzen.“
Buck Rogers
4
An wen ist der Leitfaden gerichtet?
Dieser Leitfaden richtet sich an pädagogisches Personal im berufsbildenden Bereich,
Mitarbeiter/-innen der Arbeitsverwaltung und Grundsicherung, Berufswegeplaner/-
innen, Berufseinstiegsbegleiter/-innen und Sozialpädagogen/-innen sowie alle, die zu
diesem Thema mehr wissen möchten.
Wie ist der Leitfaden aufgebaut?
Zuerst werden kurze Einblicke in die Theorie gegeben. Da es unterschiedliche Theorien
darüber gibt, wie Motivation entsteht und gelenkt werden kann und was dazu führt,
dass aus dem „Wollen“ auch ein „Handeln“ erwächst, werden die wesentlichen The-
orien leicht verständlich beschrieben. Zur besseren Veranschaulichung der Theorien
sind im Text Fallbeispiele eingebettet, die zur Reflexion der beschriebenen Inhalte anre-
gen sollen. Abgerundet wird jedes Kapitel mit passenden Tipps für die pädagogische
Praxis. Was können wir anhand der Theorie tun, um Lernende wieder zu motivieren?
Literaturangaben zur weiteren Vertiefung runden das Bild ab.
Und zum Schluss: Bitte erliegen Sie nicht der Versuchung …
… Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Teilnehmende aus Ihrer Institution
auf die in diesem Leitfaden aufgeführten theoriespezifischen Begriffe und Prototypen
zu reduzieren! Psychologische Theorien und Modelle bedienen sich Prototypen und
Reinformen. Die Abstraktion vielfältiger und variantenreicher Alltagsphänomene ist für
die wissenschaftliche Theoriebildung notwendig und hilfreich, um Denk- und Verhal-
tensweisen möglichst vieler Menschen beschreiben, erklären und vorhersagen zu kön-
nen. Andererseits haben Theorien nie den Anspruch, einen Menschen in seiner Gänze
zu beschreiben, sondern nur in Teilaspekten. Sie beziehen sich auch nie auf eine ganz
konkrete Person, sondern nur auf den „Durchschnitt“ oder auf „Personentypen“, die
in der Wirklichkeit nur selten oder gar nicht existieren.
Daher ist eine unreflektierte Übertragung von Begriffen und Modellen wissenschaft-
licher Theorien auf Situationen des Alltags problematisch. Ein Schüler, selbst der Beste,
ist nie nur motiviert. Er hat auch seine Schwächen. Umgekehrt gilt: Es gibt nahezu nie-
manden, der in allen Lebensbereichen unmotiviert ist. Er mag zwar für die berufliche
Bildung nicht zu begeistern sein, kann aber durchaus ein ambitionierter Musiker in
einer Band sein, der seine musikalischen Fähigkeiten stetig zu erweitern versucht.
5
2 Begriffsklärung: Bedürfnis, Motiv, Motivation
Motivation (movere) kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie
„bewegen“. Motivation ist die innere Kraft, die uns, unser Handeln und die Menschen,
mit denen wir verbunden sind, antreibt. Wie aber entsteht Motivation? Motive entste-
hen aus Bedürfnissen. Bedürfnisse basieren auf Abweichung von einem erwünschten
oder körperlich festgelegten Soll-Zustand. Die Unterschreitung eines körperlichen Soll-
Zustandes empfinden wir bspw. als Hunger. Hunger löst das Bedürfnis „Essen“ aus
und erweckt gleichzeitig das Bestreben, den Soll-Zustand wieder herzustellen, indem
wir bspw. etwas kochen. Die Erfüllung dieses Bedürfnisses und die Herstellung des Soll-
Zustandes löst in der Regel ein positives Gefühl aus. Man ist satt und zufrieden. Die
Art und Weise, wie in diesem einfachen Beispiel das Bedürfnis nach Essen gestillt wur-
de, war expansiver Natur, d.h. wir gehen aktiv handelnd auf das Ziel zu, dass wir errei-
chen möchten.
Ein Bedürfnis kann aber im Gegensatz dazu auch daher rühren, dass wir ein bevorste-
hendes unangenehmes Ereignis oder Gefühl abwenden, bzw. vermeiden wollen. Ist
unsere Sicherheit bedroht, werden wir vermutlich die aufkommende Angst reduzieren
und versuchen, eine Situation herzustellen, in der wir uns sicher fühlen.
Ob ein Bedürfnis uns motiviert, aktiv auf etwas zuzugehen oder passiv etwas zu ver-
meiden, hängt unter anderem davon ab, ob ich das erwünschte Ziel mit den mir zur
Verfügung stehenden Mitteln erreichen kann. Fühle ich mich bspw. unter Menschen
unsicher, werde ich mich der Situation entziehen, wenn ich nicht weiß, wie ich aktiv
handelnd mehr Sicherheit erreichen kann, z.B. in dem ich ein Gespräch beginne, das
positiven Charakter hat und dazu beiträgt, mehr mit den Mitmenschen verbunden zu
sein.
2.1 Bedürfnisse und Emotionen
Der Zustand, in dem wir eine Abweichung von unseren inneren Sollzuständen verspü-
ren, ist oft mit Emotionen verbunden. Ein gutes Essen nach dem kleinen Hunger macht
uns satt und zufrieden. Wir haben Angst, wenn unser Bedürfnis nach Sicherheit
bedroht ist. Wir verspüren Freude, wenn wir ein für uns bedeutsames Ziel schon vor
Augen sehen und unser Bedürfnis nach Erfolg gestillt werden kann. Unsere Gefühle
zeigen uns also an, ob wir überhaupt ein Bedürfnis haben und um welches Bedürfnis
es sich eigentlich handelt.
2.2 Ein Bedürfnis kommt selten allein
Nun kommt es aber nicht selten vor, dass wir zwei oder mehrere Bedürfnisse gleichzei-
tig verspüren. Ein Schüler will den Nachmittag mit seinen Freunden verbringen
(Bedürfnis 1), andererseits kommt seine Lieblingsserie im Fernsehen, die er ungern ver-
passt (Bedürfnis 2). Gleichzeitig hat er angesichts der kommenden Klassenarbeit Angst
vor einer schlechten Note und sollte eigentlich lernen. Wie reguliert der Schüler seine
Ohne Emotionen kann man
Dunkelheit nicht in Licht und
Apathie nicht in Bewegung ver-
wandeln.
Carl Gustav JungSchweizer Psychologe und Psychiater
6
unterschiedlichen Bedürfnisse? Welches Bedürfnis motiviert ihn am meisten? Welches
Bedürfnis bestimmt sein weiteres Handeln?
Es ist wichtig, bei der pädagogischen Arbeit zu berücksichtigen, dass ohne ein konkre-
tes, aktiviertes Bedürfnis keine Motivation im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel entste-
hen kann. Nur wer ein Bedürfnis hat, dieses Bedürfnis verspürt, es aus subjektiver Sicht
eine Relevanz im Hier und Jetzt besitzt und eine Chance zur Bedürfnisbefriedigung bzw.
Zielerreichung besteht, bei dem erwächst Motivation. Deshalb ist es wichtig, sich mit
menschlichen Bedürfnissen näher zu beschäftigen.
2.3 Zeitlich stabile Bedürfnisse - Motive
Es gibt Bedürfnisse einer Person, die diese in unterschiedlichen Situationen so oft ver-
spürt, das sie charakteristisch für diese Person sind. Bei diesen zeitlich stabilen Bedürf-
nissen spricht man von Motiven. Man kann sie auch als Persönlichkeitsmerkmal
beschreiben. Ordnungsliebende Menschen werden sehr häufig das Bedürfnis haben,
ihr Leben zu strukturieren. Sie werden ihren Alltag planen, ihre Zimmer sauber halten
und für Regelmäßigkeiten in ihren sozialen Beziehungen sorgen. Im Gegensatz dazu
werden sie Unbekanntes eher vermeiden und sich Situationen eher entziehen, die neu-
oder andersartige Anforderungen an sie stellen und alles durcheinander bringen könn-
ten. Es wäre äußerst schwierig, diese Personen für einen Bildungsgang zu motivieren,
der nicht mit ihren liebgewonnen Alltagsroutinen in Einklang zu bringen wäre. Es wäre
unsinnig, diese Person für einen Beruf zu motivieren, dessen typische Tätigkeiten das
professionelle Umgehen mit unvorhersehbaren Situationen bei unregelmäßigen
Arbeitszeiten wären. Die Motive eines Menschen sind, wenn überhaupt, nur sehr
schwer und unter erheblichem Zeit- und Energieaufwand änderbar.
2.4 Welche Motive gibt es?
Jedem Motiv liegt ein Bedürfnis zugrunde. Es gibt verschiedene Arten von Bedürfnis-
sen, aus denen sich das entsprechende Motiv ergibt:
a) sich mit anderen oder einer Herausforderung messen zu wollen; ein bestimmtes Ziel
aus eigenem Handeln erreichen zu wollen g Leistungsmotiv
b) möglichst viel Einfluss zu gewinnen bzw. den Einfluss zu erhalten; den eigenen Sta-
tus in einer Gruppe zu erhalten bzw. zu erhöhen g Machtmotiv
c) sich als gut und wertvoll zu bewerten und dieses Selbstbild immer wieder zu bestä-
tigen oder herzustellen g Motiv der Selbstwerterhaltung bzw. -erhöhung
d) sich in guter, harmonischer und angemessener Beziehung mit anderen zu befinden
bzw. diese Beziehungen herzustellen g Anschlussmotiv
Es gibt darüber hinaus noch weitere Bedürfnisse und Motive. Diese Aufzählung ist
exemplarisch und gibt die wichtigsten Bedürfnisse wieder.
Motive haben eine individuell spezifische Ausprägung. Es gibt Menschen mit schwach
oder stark ausgeprägtem Leistungsmotiv. Auf die vorgebahnten individuell unter-
schiedlichen Motivausprägungen haben Pädagogen kaum Einfluss, weil ihre Gründe in
Die Gebundenheit der Ansich-
ten, durch Gewöhnung zum
Instinkt geworden, führt zu
dem, was man Charakterstärke
nennt.
Friedrich Nietzsche, Werke I – Menschliches, Allzumenschliches
7
Ereignissen der Vergangenheit, der Lerngeschichte und im angeborenen Charakter lie-
gen. Wichtige Weichen werden im frühen Kindesalter gestellt.
2.5 Zeitlich variabel auftretende Bedürfnisse - Anreize
Es gibt Bedürfnisse, die im Gegensatz dazu eher flüchtig und abhängig von unseren
aktuellen psychischen und/oder körperlichen Zuständen sind. Sie werden durch exter-
ne Anreize hervorgerufen bzw. verstärkt. Werbung funktioniert mit dem gezielten
Erwecken zustandsgebundener Bedürfnisse. Ist eine Person überarbeitet (Zustand)
wird ihr Bedürfnis nach Ruhe und Erholung gesteigert sein. Sie ist vermutlich empfäng-
licher für Urlaubswerbung (externer Anreiz), was ihr gesteigertes Bedürfnis nach Erho-
lung zusätzlich verstärkt. Bei vorhandenen Handlungsmöglichkeiten z.B. durch den
Besitz von genügend Geld und Zeit wird sie wahrscheinlich eher den beworbenen
Urlaub buchen, als wenn der Zustand der Überarbeitung nicht gegeben wäre.
Nicht alle Bedürfnisse sind bewusst. Bedürfnisse, die von uns konkret verspürt werden,
wie beispielsweise das Verlangen nach Lob oder Nahrung, werden als bewusste oder
offene Bedürfnisse bezeichnet. Andere, die unterschwellig empfunden werden, sind
den latenten oder verdeckten Bedürfnissen zuzuordnen. Sie schlummern im Verborge-
nen und können zu offenen Bedürfnissen werden, wenn sie geweckt werden. Sie kön-
nen aber auch zu Handlungen führen, die wir eigentlich nicht wollen. Unsere Hand-
lungen werden für uns und andere widersprüchlich und unverständlich: So kann eine
Person zu einer Prüfung nicht erscheinen, obwohl sie uns gegenüber einen Tag zuvor
diese Absicht noch glaubhaft vertreten hat.
2.6 Literatur zur Vertiefung
Rheinberg, F. (2004): Motivation. Stuttgart: Kohlhammer.
Sprenger, R. K. (2010): Mythos Motivation: Wege aus einer Sackgasse. Frankfurt
a. M.: Campus Verlag.
8
3 Extrinsische vs. Intrinsische Motivation
3.1 Intrinsische Motivation
Stellen Sie sich eine Tätigkeit vor, die Ihnen ausnahmslos Freude bereitet. Das kann die
Arbeit im eigenen Garten sein oder das Ausüben einer Sportart, das Lösen von Kreuz-
worträtseln, das Kochen usw. Was wir gemeinhin als Hobbies bezeichnen, sind oftmals
Tätigkeiten, die wir aus Freude am Tun betreiben. Natürlich können Sie für uns nutz-
bringende Folgen haben wie Sport. Und diese nutzbringenden Folgen können uns
zusätzlich motivieren. Sie sind aber nicht der eigentliche Grund, warum wir diese Din-
ge tun. Alle Aktivitäten, die wir spontan ohne großen Nutzen und aus reiner Freude
am Tun ausüben, bezeichnet man als intrinsisch motiviert.
3.2 Extrinsische Motivation
Nun ist der Alltag nicht frei von Zwängen und Anforderungen, von denen wir selbst
und andere erwarten, dass entsprechend gehandelt wird. Wir füllen Einkommenssteu-
ererklärungen aus, wir gehen morgens zur Arbeit, obwohl wir gerne im Bett geblieben
wären, wir erledigen am Arbeitsplatz Aufgaben, die uns nicht begeistern oder wir zei-
gen gute Miene zum bösen Spiel trotz Wut und Zorn über einen Vorfall. Diesen Hand-
lungen ist gemein, dass der Grund der Handlungen nicht in der Tätigkeit selbst liegt,
sondern in der Herbeiführung gewünschter bzw. Vermeidung gefürchteter Folgen. Die
auf diese Weise motivierten Tätigkeiten bezeichnet man als extrinsisch motiviert.
3.3 Intrinsische Motivation – die „bessere“ Motivation?
Es scheint auf der Hand zu liegen, dass intrinsische Motivation leistungsfördernder,
prägender und angenehmer ist als eine extrinsische. Jedoch sind die meisten Tätigkei-
ten in der Arbeitswelt extrinsisch motiviert. Um in der Arbeitswelt trotzdem auf ange-
nehme und prägende Art motiviert zu sein, ist es hilfreich, „fremdbestimmte Tätigkei-
ten“ zu selbstbestimmten Aufgaben zu machen. Dies gelingt dann, wenn wir uns mit
den Zielen identifizieren, die in den jeweiligen Arbeitsaufgaben liegen. Das kann und
muss nicht bei jeder Aufgabe gelingen, denn extrinsisch motiviert bedeutet nicht
gleich, dass eine Aufgabe schlechter bewältigt wird. Gelingt es uns aber, in einer Auf-
gabe ein Mindestmaß an Übereinstimmung mit unseren persönlichen Interessen, Nei-
gungen und Bedürfnissen zu sehen, haben wir mehr Freude daran, diese Aufgabe zu
bearbeiten.
Entscheidend sind sinnhaftes und selbstbestimmtes Handeln!Übertragen auf den Kontext von Lernen und Lehren in Bildungsinstitutionen stellen
intrinsisch motivierte Lernende zunächst einmal das Idealbild wissenshungriger Schüler
dar. Das Lernen erfolgt in äußerem Maße selbstbestimmt, wobei die Handlungsverur-
sachung in der Person des Schülers selbst liegt. Die Forschung führt Beweise dafür an,
dass Wissen in Folge dessen tiefer verarbeitet und besser verstanden werden kann. Die
Qualität des motivationalen Handelns oder Lernens ist jedoch nicht in dem Gegensatz
von intrinsischer und extrinsischer Motivation zu sehen, sondern in der auf Fremdversus
Nichts Großes ist je ohne Begei-
sterung geschaffen geworden.
Ralph Waldo Emerson - Philosophund Schriftsteller
Man sollte den Menschen nie
sagen, wie sie es tun sollen,
sondern nur, was sie tun sollten.
Dann wird ihr Einfallsreichtum
einen verblüffen.
Henry Ford
In der freien Marktwirtschaft ist
es wie auf der Straße: Die
Schnelleren überholen die Lang-
samen. Auf die Überholspur
kommt aber nur, wer dafür
sorgt, dass sich seine Mitarbei-
ter sämtlich als Unternehmer
fühlen und auch entsprechend
handeln dürfen. Die beste Moti-
vation ist immer noch, den
Menschen Eigenverantwortung
zuzugestehen.
Erich Sixt, dt. Unternehmer,Vorstandsvors. Sixt AG (Autovermie-tung)
9
Selbstbestimmung fußenden Verhaltensregulation des Lernenden. Oder anders formu-
liert: Je stärker ein Lernender bei seinen Handlungen von außen geleitet wird, ohne
dass er die Sinnhaftigkeit des Handelns verinnerlicht hat, umso schwächer werden sei-
ne Leistungen sein und umso häufiger wird er Vermeidungsstrategien – etwa dem
Unterricht fern bleiben – einsetzen. Dreh- und Angelpunkt ist folglich, wie glaubhaft
einem Menschen die Sinnhaftigkeit seines Tuns vermittelt werden kann und in wel-
chem Umfang jeder Einzelne selbst davon überzeugt ist, sich in die richtige Richtung
zu bewegen.
Schauen Sie sich bitte folgendes Rätsel an:
Bei einem erfolgreichen Überfall erbeuten Halvar und seine Männer zehn Säcke voller
Goldmünzen. Gordon, der Schiffsjunge der gekaperten Fregatte, verrät Halvar, dass er
gehört hat, dass ein Sack mit gefälschten Münzen darunter sei. Er wisse jedoch nicht
welcher. Er wisse nur, dass jede echte Münze 10g und die falschen nur 9g wiegen. Hal-
var, ein Spieler und Pirat mit weichem Kern, macht dem Schiffsjungen einen Vorschlag:
„Du darfst aus jedem Sack so viele Münzen nehmen, wie Du möchtest und auf die
Waage auf dem Achterdeck legen. Dann darfst Du einmal auf die Anzeige schauen.
Kannst Du mir sagen, welcher Sack der falsche ist, darfst Du 10 Goldmünzen behal-
ten.“ Was muss Gordon machen?
Haben Sie die Lösung des Rätsels gefunden? (Die Lösung finden Sie unten.) Möchten Sie
an dem Rätsel weiterarbeiten? Sind Sie frustriert, weil Sie die Lösung nicht wissen? In
jedem dieser Fälle verhalten Sie sich entsprechend der Theorie zur intrinsischen und extrin-
sischen Motivation. Rätsel erzeugen ein Neugiermotiv – wir wollen wissen, wie etwas
geht, wie das Ergebnis lautet. Das Ziel ist es, das Rätsel zu erkunden und die Lösung zu
entdecken. In der Wissenschaft wird dieser Handlungsanreiz als Exploration beschrieben.
Die Folge ist, dass die meisten Menschen an dem Rätsel, das sie einmal angefangen
haben, weiter raten möchten. Sie sind praktisch wie von allein intrinsisch motiviert. Wie
kommt das? Nun, das Rätsel bietet Ihnen einen unvollständigen Anreiz. Solange das Rät-
sel nicht gelöst ist, drängt Ihr Gehirn danach, eine Lösung zu finden. Daher sind Sie moti-
viert, an diesem Rätsel weiter zu arbeiten oder Sie sind frustriert, wenn man Ihnen ein
Weiterarbeiten bzw. die Lösung verwehrt. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, man müsste den
ganzen Tag lang Rätsel lösen. Der Effekt des intrinsisch motivierten Verhaltens ginge ver-
loren! Rätselraten wäre nach einiger Zeit eine Aufgabe wie jede andere. Um intrinsisch zu
motivieren, ist von entscheidender Bedeutung, dass die Aufgaben spontan und zufällig
eingesetzt werden und andere Herausforderungsmuster bieten.
3.4 Wie erkenne ich, wer intrinsisch motiviert ist?
Es ist gar nicht so schwer, zu erkennen, ob Lernende in einer bestimmten Situation
intrinsisch oder extrinsisch motiviert sind. Wenn Sie beispielsweise in Ihrem Bildungs-
gang die Fragen stellen, warum ihre Schüler eigentlich da sind und was sie erwarten,
werden sie häufig Antworten wie die nachfolgende erhalten: „Ich muss ja. Ich wurde
10
Lösung:Aus dem ersten Sack nimmt man eine Münze, aus dem zweiten Sack zwei, aus dem
dritten drei, usw. Nun legt man die Münzen auf die Waage. Die Differenz zu 550g ergibt die
Nummer des Sackes mit den gefälschten Münzen.
geschickt“. Die Teilnahme an Bildungsprogrammen ist in der Regel extrinsisch moti-
viert. Beobachten Sie hingegen einmal das Verhalten ihrer Schüler in spezifischen Lern-
situationen, werden Sie folgendes feststellen: neugierige Fragen, Berichte basierend
auf eigenen Erfahrungen, die Suche nach inhaltlichen Verknüpfungen. Dies sind An-
zeichen dafür, dass Lernende in einer Situation intrinsisch motiviert sind.
3.5 Tipps für die Praxis
Für die Förderung intrinsischen bzw. selbstbestimmt motivierten Verhaltens lassen sich
drei Schlüsselreize identifizieren: Neugier, Exploration und Spontaneität. Diese Schlüs-
selreize können insbesondere durch die Förderung von Autonomie im Unterricht und
durch das Anregen von Neugier- und Kompetenzmotivation sowie durch individuelles
Flow-Erleben erzeugt werden. Für die Unterrichtsgestaltung lassen sich nachfolgende
Tipps ableiten (nach Grone & Petterson: Zum Lernen anregen. Motivation in Theorie
und Praxis, 2002):
AutonomieAllgemeine Mitbestimmung (z.B. Klassenregeln), Steigerung des Verantwortungs-
bewusstseins für aufgestellte Regeln, gewählte Themen
Wahlmöglichkeiten (z.B. Aufgaben aus Aufgabenkatalog, Schwierigkeitsgrad, Zeit-
einteilung, Lernpartner, Lernort)
Gestaltungsfreiräume bieten (z.B. Vokabelliste selbst erstellen, Schüler erstellen sich
gegenseitig Arbeitsbögen)
Eigene Fehlerkorrektur mit Hilfe eines Lösungsbogens, dadurch wird die Verant-
wortung für den eigenen Lernprozess gestärkt
Eigene Ziele setzen lassen (Lernstoff selbst einteilen, sich eigene, realistische Teil-
ziele/Ziele setzen und verfolgen)
Verantwortung übertragen für Aufgaben in der Schule (z.B. Gestaltung eines
Schwarzen Brettes mit aktuellen Neuigkeiten, Mithilfe in der Schulbibliothek, War-
tung der Computer im PC-Labor)
Neugier- und Kompetenzmotivation Transparenz über Lernziele und -inhalte herstellen (Dem Lernprozess sollte ein
Fahrplan der Lernziele und -inhalte sowie der praktischen Anwendungsmöglichkei-
ten vorangestellt werden).
„Skelett vor Detail“ (Zunächst Aufklärung über die großen Zusammenhänge,
danach Details zu diesem Wissen)
Gegenwartsbedeutung/Praxisbezug/Lebensweltbezug herstellen
An vorhandenes Wissen anknüpfen (Neue Lehrinhalte sollten nicht als isolierte Wis-
sensinseln vermittelt werden, sondern der Dozent sollte sich bemühen, einen Bezug
zu bereits bekanntem herzustellen)
Interferenzen vermeiden (Inhalte sollten möglichst gefestigt sein, bevor ein ande-
rer, ähnlicher Inhalt behandelt wird)
Die Nutzung von kognitiven Lernstrategien fördern (Der Lerninhalt sollte von den
Lernenden selbstverantwortet erschlossen werden können, indem den Lernenden
gezeigt wird, wie beispielsweise Texte richtig gelesen werden (Lesestrategien), wie
Gelerntes sich einprägen lässt (Wiederholungsstrategien) oder auch wie sich Lern-
phasen planen und gestalten lassen (Strategien des Zeitmanagements))
11
Muttersprache vor Wissenschaftssprache (neue Sachverhalte sollten zuerst in der
Muttersprache klar, einleuchtend und ohne Fremdwörter erklärt werden)
Ankerpunkte bieten (Assoziationen wecken, Beispiele bilden lassen, viele Eingangs-
kanäle ansprechen, viele Codierungsformen nutzen)
Lerninhalte ungewöhnlich darstellen (Durch eine Veränderung der Darstellungs-
form etwa durch Rätsel, Videoprojekte oder Streitgespräche wird insbesondere die
Neugier des Lernenden geweckt)
Wiederholungsmöglichkeiten bieten
Entdeckendes Lernen fördern (Trauen Sie den Lernenden zu, auch komplexe Ler-
ninhalte selbst zu erschließen. Hierzu bietet sich an, Materialien aus Alltagskontex-
ten zusammenzustellen, anhand derer die Lernenden Leitfragen beantworten, Pro-
dukte erzeugen oder Gruppendiskussionen führen können)
Problemlösen (Kniffelige Aufgaben reizen den Lernenden, sich mit ihnen zu befas-
sen – sofern sie weder zu einfach noch zu schwierig sind)
Abwechslung bieten
Flow-Erleben Unterrichtseinstieg
Deutlicher Unterrichtseinstieg durch klare Signale, um die Aufmerksamkeit auf
den Unterricht zu lenken, visuell oder akustisch
Dialog herstellen: Nach Vorkenntnissen fragen, Brainstorming
Klare Strukturen bieten
Schüler müssen stets wissen, was in welchem Zeitraum wie von ihnen gefordert
wird (Bsp.: einzelne Lernphasen können in unterschiedlichen Sitzordnungen und
Sozialformen gehalten werden)
Störfaktoren ausschalten
Unterrichtsraum vor Unterrichtsbeginn so herrichten, wie es für die Unterrichts-
einheit optimal ist
Nach Maria Montessori sollte eine Kind „von äußerer Ordnung zu innerer Ord-
nung“ gelangen
Tätigkeitsanreize bieten
Der Lehrer muss dem Schüler die Möglichkeit geben, aktiv zu werden z. B. eine
Thema selbstständig, zu zweit oder in kleinen Gruppen erarbeiten
Wochenplan/Tagesplan anfertigen
Den Schülern Angst vor schlechten Noten, Misserfolgen, Blamagen etc. nehmen
Optimale Herausforderungen bieten
Der Schüler muss das Gefühl haben, die ihm angetragenen Aufgaben unter
Kontrolle zu haben und sich dabei einerseits nicht langweilt, aber andererseits
nicht überfordert fühlt
3.6 Literatur zur Vertiefung
Csikszentmihalyi, M. & Schiefel, U. (1993): Die Qualität des Erlebens und der
Prozeß des Lernens. Zeitschrift für Pädagogik, 39, 207-221.
Deci, E. L. & Ryan, R. M. (1993): Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation
und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 39, 223-238.
Rheinberg, F. (2004): Motivation. Stuttgart: Kohlhammer.
12
4 Motivation als Personen-Umwelt-Bezug
Sie sind eine leistungsorientierte Person, der es ein Bedürfnis ist, die ihr anvertrauten Auf-
gaben zur vollen Zufriedenheit erfolgreich zum Abschluss zu bringen? Ja? Dann werden
Sie mir sicher zustimmen, dass Sie trotz Ihres ausgeprägten Leistungsmotivs dennoch
nicht immer und nicht für jede Aufgabe leistungsmotiviert sind. Eigentlich sollte man mei-
nen, dass ein zeitlich stabiles Bedürfnis – hier das Bedürfnis nach Leistung – immer und
überall das Handeln bestimmen sollte. Warum ist das nicht so?
Der Grund lautet: Motivation entsteht immer aus dem Wechselspiel zwischen Person
und Umwelt. Erst wenn mich etwas in einer konkreten Situation anregt (Erfolgsaussicht,
interessanter Aufgabentyp, in Aussicht gestellte Belohnung, soziale Anerkennung etc.)
entsteht aus dem bloßen Motiv eine Motivation, die mich veranlasst, etwas zu tun (sie-
he Abbildung 1). Motive sind demnach lediglich Dispositionen, eine innere Triebkraft, die
aber schlummert und erst durch passende Umweltbedingungen geweckt wird.
Situationen und ihre Anreize, etwas zu tun oder zu lassen, sowie ihre Bewertung und
Interpretation durch die handelnde Person sind aber prinzipiell veränderbar. Damit
können Pädagogen zwar nicht direkt auf das Motiv, aber über Veränderungen der
Situation und der Situationsinterpretation der Lernenden Einfluss auf deren Motivation
nehmen. Da Erfahrungen die eigenen Lebensmotive beeinflussen, sofern sie zeitlich
stabil in gleicher Weise von der handelnden Person wahrgenommen wurden, können
durch gezielte „korrektive Erfahrungen“ die Lebensmotive langfristig verändert wer-
den. Diese Veränderung vollzieht sich jedoch keinesfalls plötzlich, sondern eher in der
Zeitspanne, die ein Tropfen braucht, um einen Stein zu höhlen. Wer Wunder in kurzer
Zeit erwartet, wird wohl in den meisten Fällen enttäuscht werden.
Abbildung 1: Personen-Umwelt-Bezug
Jetzt wissen wir zwar, dass aus einem vorhandenen Motiv alleine noch lange keine
Motivation erwächst. Doch wie wird ein Mensch motiviert, etwas zu tun oder zu
unterlassen? Und wie können wir darauf Einfluss nehmen? Dazu gibt es eine Fülle von
Theorien. Den wichtigsten und nützlichsten Theorien werden wir uns nun zuwenden.
Alles, was die Menschen in
Bewegung setzt, muß durch
ihren Kopf hindurch; aber wel-
che Gestalt es in diesem Kopf
annimmt, hängt sehr von den
Umständen ab.
Friedrich Engels (1820-1895), deutscher Philosoph und Politiker
Wenn der, der etwas notwendig
braucht, dies ihm Notwendige
findet, so ist es nicht der Zufall,
der es ihm gibt, sondern er
selbst, sein eigenes Verlangen
und Müssen führt ihn hin.
Hermann Hesse
13
4.1 Der Einfluss der Aufgabenschwierigkeit auf die Motivation
Bevor ein Mensch sich an einer Aufgabe misst, sich einer Herausforderung stellt oder
ein Problem löst, hat er für sich festgelegt, welches Ergebnis er mindestens erreichen
will. Erreicht er das angestrebte Ergebnis, wertet er es als Erfolg. Verfehlt er sein Ziel,
stellt sich das Gefühl von Misserfolg ein. Dieser innere Standard hängt neben dem
eigenen Anspruch von der Aufgabenschwierigkeit ab. Je einfacher die Aufgabe er-
scheint, desto wahrscheinlicher wird der Erfolg sich einstellen und umgekehrt.
Ist die Aufgabe aber so leicht, dass er die Aufgabe „im Schlaf“ löst, wird er seinem
inneren Anspruchsniveau nicht gerecht. Die Aufgabe scheint zu einfach, es besteht
keinerlei Herausforderung in ihrer Lösung. Die Motivation für diese Aufgabe sinkt.
Ist die Aufgabe so schwer, dass sie den eigenen Anspruch weit übersteigt, ist die Auf-
gabe zwar reizvoll, aber die Person wird annehmen, dass sie die Aufgabe trotz größter
Anstrengungen nicht lösen, das Ziel nicht erreichen wird. Die Aufgabe ist zwar heraus-
fordernd, erscheint aber als viel zu schwer. Die Motivation für diese Aufgabe sinkt.
Um möglichst hoch motiviert zu sein, muss die Aufgabe (a) den eigenen Ansprüchen
genügen und (b) die eigene Leistungsfähigkeit leicht überschreiten. Diese mittlere Auf-
gabenschwierigkeit sorgt für die größte Motivation. Abbildung 2 verdeutlicht diesen
Zusammenhang schematisch.
Abbildung 2: Zusammenhang Aufgabenschwierigkeit und Motivation
Außergewöhnliches wurde
immer nur von Menschen
geleistet, die zu glauben wag-
ten, dass irgendetwas in ihrem
Innern den Umständen gewach-
sen sei.
Bruce Barton – Amerikanischer Kongressabgeordneter (1886-1967)
14
4.2 Wählen wir alle mittelschwere Aufgaben?
Nein! Menschen, die annehmen, dass sie eher scheitern als erfolgreich sind, verhalten
sich oftmals anders als solche, die eher den Erfolg als ein Scheitern erwarten. Die soge-
nannten „Misserfolgsmotivierten“ wählen im Gegensatz zu „Erfolgsmotivierten“ eher
sehr einfache oder sehr schwere Aufgaben. Sehr leichte Aufgaben werden von jenen
Misserfolgsmotivierten gewählt, die generell nur gering leistungsmotiviert sind. Wozu
sollte man sich, wenn man ohnehin keinen großen Wert auf die eigene Tüchtigkeit
legt, in einem Experiment ohne Belohnung abmühen, wenn man nur Misserfolg erwar-
tet?
Schwierigste Aufgaben werden im Gegensatz dazu von Misserfolgsmotivierten mit
stark ausgeprägtem Leistungsmotiv ausgewählt. Für sie ist die Leistungsthematik ein
dominantes Thema der Situationsinterpretation, gepaart mit der generalisierten
Befürchtung, unter Anforderungen immer wieder zu scheitern. Mit der Wahl der
extrem schwierigen Variante, kann man seinem Bedürfnis nach Leistungsausübung
nachgehen und gleichzeitig die negativen Folgen eines ohnehin befürchteten Schei-
terns für das eigene Selbstwertgefühl abschwächen: „Hier zu versagen ist keine Schan-
de – aber ich habe es wenigstens versucht und mein Bestes gegeben!“
4.3 Tipps für die Praxis
Die folgenden Tipps könnten für die Gestaltung des Unterrichts Hilfen bieten, die es
Lernenden erleichtern, angemessen schwierige Aufgaben zu wählen:
Möglichen negativen Folgen die Schärfe nehmen, Gruppenarbeiten durchführen
Bewertungsfreie Lernräume schaffen
Schüler zu dummen Fragen und Risikoverhalten ermuntern
Schüler zum positiven Umgang mit Misserfolgen anregen
Bloßstellungen vor der Gruppe vermeiden
Negative Bewertungen immer sachlich begründen; dem Schüler konkrete Wege
aufzeigen, wie die Fehler beim nächsten Mal vermieden werden können
Positiven Bezug zwischen Handlung und Ergebnis verdeutlichenIndividuelle Bezugsnormorientierung bei der Leistungsbewertung
Lern- und Arbeitstechniken vermitteln, damit der Lernende seinen eigenen Lern-
prozess besser in den Griff bekommt
Innerhalb des Lernstoffes Teilziele setzen, die Arbeit in „kleine Häppchen“ einteilen
Erfolg versprechende Aufgaben wählen
Aktivierende Unterrichtsmethoden wählen
4.4 Literatur zur Vertiefung
Heckhausen, H. (1989): Motivation und Handeln. Berlin: Springer.
Rheinberg, F. (2008): Motivation. Stuttgart: Kohlhammer.
15
5 Erwartungs-mal-Wert Theorie
Man kann den Zusammenhang zwischen wahrgenommener Erfolgswahrscheinlichkeit
und Erfolgsanreiz auch anders formulieren.
Der Erfolgsanreiz einer Aufgabe bestimmt wesentlich deren Attraktivität. Ein hoher
Erfolgsanreiz, z. B. eine knifflige Aufgabe, bei deren Lösung ich mich anstrengen muss,
die darüber hinaus auch eine gewisse Freude am Tun verspricht, hat wahrscheinlich
einen größeren Wert für mich, als eine langweilige Aufgabe ohne besonderen
Anspruch. Bei der erfolgreichen Bewältigung einer Aufgabe mit hohem Erfolgsanreiz
würde ich den Erfolg auch tatsächlich als solchen verspüren. Ein Erfolg bei einer Auf-
gabe mit geringem Erfolgsanreiz hingegen wäre bedeutungslos, weil die Aufgabe zu
leicht oder zu unattraktiv ist. Die Aufgabe reizt mich nicht. Der Erfolgsanreiz entspricht
daher dem Wert einer Aufgabe.
Die Erfolgswahrscheinlichkeit ist hingegen die Erwartung, mit der ich die Aussicht auf
Erfolg einschätze. Erwarte ich einen Erfolg, gehe ich die Aufgabe eher an als bei einem
geringen Glauben an eine erfolgreiche Lösung.
5.1 Erfolgsanreiz und Erfolgserwartung
Die Erwartungs-mal-Wert-Theorien besagen, dass die Leistungsmotivation das Pro-
dukt aus der Erfolgserwartung und dem subjektiven Wert einer Aufgabe ist.
Leistungsmotivation = Erfolgserwartung x subjektiver Wert einer Aufgabe
Für die Motivation ist die bloße Aussicht auf Erfolg demnach nicht alles entscheidend. In
gleichem Maße hat auch die Attraktivität der Aufgabe einen Wert, der Einfluss darauf
hat, ob und wie stark ich für eine Aufgabe oder einen Lerngegenstand motiviert bin.
Abbildung 3
Es wird folglich davon ausgegangen, dass die Zielsetzungen in Leistungssituationen
sowohl von der Erfolgswahrscheinlichkeit als auch vom Erfolgsanreiz abhängen. Schü-
ler suchen Leistungssituationen zunächst einmal grundsätzlich auf, um darin mit ihrem
Handeln erfolgreich zu sein. Erfolgreiches Handeln wird in den Erwartungs-mal-Wert-
Der Volksmund lobt die Vor-
freude mit Recht: In der Erwar-
tung liegt die größte Lust. Die
Belohnung selbst, die uns durch
die Erwartung angekündigt war,
nehmen wir dagegen ohne
sonderliche Erregung hin.
Stefan Klein, Wissenschaftsautor - Die Glücksformel
16
Geringer Erfolgsanreiz Hoher Erfolgsanreiz
Geringe Erfolgserwartung
Die Aufgabe überfordertmich und ist darüber hin-aus unattraktiv
Keine Motivation
Die Aufgabe überfordertmich, ist aber attraktiv
Geringe/Mittelstarke Moti-vation
Hohe Erfolgserwartung
Die Aufgabe kann ichschaffen, aber sie ist unat-traktiv
Geringe Motivation
Die Aufgabe versprichtErfolg und Spaß
Hohe/Mittelstarke Motiva-tion
Modellen als realistische Zielsetzung definiert, die die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs
und den Erfolgsanreiz optimierend zum Ausgleich bringt.
5.2 Wie wir Situationen wahrnehmen
Die Schwierigkeit dabei ist, dass die Handlungsabsichten nicht nur aus der Selbstbe-
wertung der Schüler entstehen (was der Schüler über seine eigene Leistungsfähigkeit
denkt, wie er seine Kompetenzen einschätzt etc.), sondern dass dabei eine Vielzahl von
individuellen Situationswahrnehmungen zu berücksichtigen ist. Wie wurde eine ähnli-
che Aufgabe in der Vergangenheit gelöst? Welche Rückmeldungen hat ein Schüler auf
eine erfolgreiche Aufgabenbewältigung erhalten? Wird ein Schüler häufiger gelobt
oder eher getadelt? Die aktuelle Erfolgserwartung stellt den Abgleich zwischen Aufga-
benanforderung und der eigenen wahrgenommenen Kompetenz in einer gegebenen
Situation dar und ist damit nichts anderes als das Resultat des Vergleichs der Umwelt
(Aufgabenschwierigkeit) mit der eigenen Person (eigene wahrgenommene Kompe-
tenz) (siehe Kapitel 4).
Das Ergebnis dieses automatisierten Vergleichsprozesses ist der Grad an Zuversicht, mit
der der Lernende die zu lösende Aufgabe in Angriff nimmt. Die Bereitschaft im Sinne
der Motivation, sich intensiv und zielstrebend mit einer Aufgabenstellung auseinander
zu setzen, ist folglich abhängig von der wahrgenommen Erfolgserwartung, die der Ler-
nende der gestellten Aufgabe zuschreibt. Die aktuelle Erfolgserwartung ist damit eine
Funktion der Aufgabenschwierigkeit sowie der Erfolgs- bzw. Misserfolgserfahrungen
des Lernenden in vergleichbaren Lernsituationen. Wird dieser Theorie gefolgt, ist die
Motivation dann am größten, wenn dem Lernenden mittelschwere Aufgaben zur Bear-
beitung gegeben werden.
5.3 Literatur zur Vertiefung
Atkinson, J. W. (1957): Motivational Determinants of Risk taking Behavior.
Psychological Review, 64, 359-372.
Heckhausen, H. (1989): Motivation und Handeln. Berlin: Springer.
Wigfield, A. & Eccles, J. S. (2000): Expectancy-Value Theory of Achievement
Motivation. Contemporary Educational Psychology, 25, 68-81.
17
6 Einfluss der eigenen Ursachenzuschrei-bung auf die Motivation – Wie unser Denken unsere Motivationpositiv beeinflussen kann
Wenn Sie eine Aufgabe zu Ihrer Zufriedenheit meistern, so werden Sie – bewusst oder
unbewusst – eine Erklärung für Ihren Erfolg „konstruieren“. Es ist eine Konstruktion,
da Sie Ihre Eindrücke lediglich interpretieren und diese Interpretation ist subjektiv. Eine
andere Person würde dieselben Eindrücke vielleicht ganz anders deuten. Sie werden
entweder Ihre Fähigkeiten oder Ihr besonderes Talent als Grund ausmachen oder Sie
kommen zu dem Schluss, dass es lediglich an der leicht zu lösenden Aufgabe lag, die
kein besonderes Talent erforderte.
Beide Begründungen sind zeitlich stabil. D.h. Sie werden auch in Zukunft zu demselben
Schluss kommen, da Talent oder Fähigkeiten Sie nicht einfach über Nacht verlassen und
die Schwierigkeit ein und derselben Aufgabe sich auch morgen nicht verändert haben
wird. Beide unterscheiden sich aber im Ort, in dem Sie den Grund Ihres Erfolges veran-
kern. Er liegt entweder in Ihrer Person (Talent) oder in der Umwelt (Aufgabe).
Sie könnten den Erfolg auch anders bewerten. Selbst ohne besonderes Talent können
Sie den Grund Ihres Erfolges bei sich finden. Es lag zwar nicht an Ihren Fähigkeiten,
aber dafür haben Sie sich angestrengt. Oder Sie finden den Grund außerhalb Ihrer Per-
son. Dann war es eben einfach Glück oder purer Zufall, dass Sie erfolgreich waren.
Hier ist die Begründung zeitlich variabel. D.h. Ihre Anstrengung kann morgen schon
niedriger sein und Glück oder Pech hat man nicht jeden Tag.
Die folgende Tabelle veranschaulicht die hier beschriebenen Schemata, mit denen Sie
Ihre Leistungen erklären können.
Abbildung 4
6.1 Attributionsmuster erfolgsorientierter Personen
Diese auf den ersten Blick eher trivial anmutende Ursachenzuschreibung hat für die
Motivation erhebliche Auswirkungen. In Experimenten hat man herausgefunden, dass
erfolgsorientierte Menschen, sofern die Situation einen gewissen Interpretationsspiel-
raum offen lässt, den Erfolg sich selbst zuschreiben – und hier insbesondere den eige-
nen Fähigkeiten (zeitlich stabile, personenbezogene Attribution). Bei Misserfolg ist
dagegen die Stabilitätsdimension entscheidend (zeitlich variable, personen-/umwelt-
bezogene Attribution); sie schreiben ihr Verfehlen ihrer mangelnden Anstrengung zu
18
StabilitätVerankerung der Ursache (Lokalisation)
in der Person in der Umwelt
zeitlich stabil Fähigkeit, TalentAufgabenschwierigkeit, Rah-menbedingen
zeitlich variabel Anstrengung Glück/Pech
oder behaupten, sie hätten Pech gehabt. Dieses Muster hat für die Motivation der
Erfolgsorientierten überaus positive Konsequenzen. Der Erfolg wird der eigenen Person
zugesprochen. Das ist für die affektive Selbstbelohnung besonders günstig, da hier das
Gefühl „Stolz auf die eigene Leistung zu sein“ besonders intensiv empfunden werden
kann. Bei Misserfolg bleibt zwar ein ärgerliches Gefühl zurück, aufgrund der Zuschrei-
bung auf zeitlich variable Faktoren bleibt aber die Zuversicht, es beim nächsten Mal
schaffen zu können. Erfolgsorientierte Menschen werden so im Lauf ihres Lebens eine
positive Einstellung zu ihren Fähigkeiten und Leistungspotentialen entwickeln, offen
für neue Aufgaben sein und eine höhere Leistungsbereitschaft zeigen.
6.2 Attributionsmuster misserfolgsorientierter Personen
Ganz anders sieht es bei Misserfolgsorientierten aus. Wenn sie erfolgreich sind, schrei-
ben Sie es externen Faktoren zu – die Aufgabe war eben sehr leicht oder man hatte
einfach Glück – beides Attributionen, die weder Stolz noch Glück hervorrufen können.
Man hatte ja selbst keinen Anteil daran. Misserfolge beziehen diese Menschen auf ihre
mangelnden Fähigkeiten, ein zeitlich stabiler Faktor, der auch in Zukunft unveränder-
lich bleibt. Damit haben Leistungssituationen im Erfolgsfall geringen Belohnungswert.
Bei Misserfolg führt dieses Attributionsmuster zu starker Betroffenheit und nimmt
zugleich die Hoffnung auf künftig besseres Abschneiden.
6.3 Die eigene Leistungsbewertung und ihr Einfluss aufdie Leistungsmotivation
Wir haben bisher erfahren, dass jeder, der eine Aufgabe lösen möchte oder muss,
zuvor – bewusst oder unbewusst – festlegt, welches Ergebnis er oder sie mindestens
erreichen möchte. Wir wissen, dass, sofern eine Wahlmöglichkeit besteht, eine dem
eigenen Anspruchsniveau angemessene Aufgabe bestimmt wird. Was hinzukam, ist
die menschliche Eigenheit, den eigenen Erfolg oder Misserfolg einer Ursache zuzu-
schreiben.
Da diese einzelnen Schritte zeitlich aufeinander folgen, lassen sich die Schritte zu einem
Prozess verknüpfen. Der Ausgang dieses Prozesses hat maßgeblichen Einfluss auf
unsere aktuelle und zukünftige Leistungsmotivation.
1. Zuerst legen Menschen ihr eigenes Anspruchsniveau fest. Es ist die Antwort auf die
Frage: Wie gut bin ich? Was kann ich leisten? Als Konsequenz wählen sich Men-
schen die Aufgaben aus, die sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln
meistern können. Wenn die Aufgabe von außen definiert wird und keine Möglich-
keit besteht, eine Aufgabe auszuwählen, dann bestimmt man, wie gut man sein
möchte (bei Klassenarbeiten wäre das die Note, die man erreichen möchte).
2. Danach werden Erfolg bzw. Misserfolg einer der oben erwähnten Ursachen zuge-
schrieben.
3. Die Summe aller Aufgaben fließt in eine Erfolgs/Misserfolgsbilanz ein, die jeder
Mensch unbewusst fortschreibt. Die Bilanz kann am Ende positiv oder negativ aus-
fallen, d.h. entweder überwiegen die Erfolge oder die Misserfolge.
19
6.4 Bewertungsmuster misserfolgsorientierter Personen
Für Misserfolgsorientierte sieht das typische Bewertungsmuster folgendermaßen aus:
1. Typisch für Misserfolgsorientierte ist die Auswahl von unrealistischen Aufgaben-
schwierigkeiten. Sie wählen eher zu schwere oder zu leichte Aufgaben aus, da ein
Scheitern an einer angemessen schweren Aufgabe die eigene Untüchtigkeit
besonders erkennbar macht. Wenn man realistische Anforderungen meidet, sieht
man jedoch kaum den Zusammenhang zwischen der eigenen Anstrengung und
dem Handlungsresultat noch das Wachstum der eigenen Tüchtigkeit – sofern es
stattfindet.
2. Logischerweise können Erfolge dadurch nur schwer der eigenen Person zugeschrie-
ben werden – sie werden daher auf das Glück oder die geringe Aufgabenschwie-
rigkeit zurückgeführt. Befürchtet man, in Leistungssituationen von vornherein
unfähig zu sein, so bestätigt jeder Misserfolg dagegen das schlechte Selbstbild eige-
ner Tüchtigkeit. Entsprechend werden Misserfolge der eigenen Unfähigkeit zuge-
schrieben.
3. Selbst bei einer Gleichverteilung von Erfolg und Misserfolg wiegen in der Bilanz die
Misserfolge viel schwerer, da ein Erfolg wenig bedeutet, ein Misserfolg dagegen
schwer belastet. Von daher erscheinen Leistungssituationen als unerfreulich und
bedrohlich und man wird diese Situationen wahrscheinlich vermeiden oder sich gar
verweigern. Dies führt dazu, dass realistische Aufgabenschwierigkeiten noch stär-
ker gemieden werden und das Selbstbewertungssystem in seinem ungünstigen
Funktionszustand weiter stabilisiert wird. Die eigene Selbstwirksamkeit kann nicht
mehr erlebt werden.
6.5 Das Selbstbewertungsmodell der Leistungsmotivation
Die folgende Tabelle zeigt die typischen Ausprägungen der drei Teilprozesse der Selbst-
bewertung einer Leistung in Abhängigkeit der Motivausprägung (erfolgsorientiert vs.
misserfolgsorientiert)
Abbildung 5
20
Motivausprägung
Drei Komponenten Erfolgszuversichtlich Misserfolgsmeidend
1. Zielsetzung/An-spruchsniveau
Realistisch, mittelschwe-re Aufgaben
Unrealistisch, Aufgabenzu schwer oder zu leicht
2. Ursachenzu-schreibung
ErfolgAnstrengung, gute eige-ne Tüchtigkeit
Glück, leichte Aufgabe
Miss-erfolg
Mangelnde Anstren-gung/Pech
Mangelnde eigeneFähigkeiten/„Begabung“
3. SelbstbewertungErfolgs-/Misserfolgs-bilanz positiv
Erfolgs-/Misserfolgs-bilanz negativ
6.6 Wie finde ich heraus, wer erfolgs- bzw. misserfolgsorientiert ist?
Übertragen wir diese Ideen einmal auf eine konkrete Situation: Nehmen wir an, Sie
unterrichten zwei Schüler, nennen wir sie Klaus und Tim, die in der Vergangenheit ver-
gleichbare Leistungen erzielt haben. Beide Schüler unterscheiden sich jedoch hinsicht-
lich ihres Lernantriebs: Klaus lernt, weil er in den Klausuren, in der Mitarbeit am Unter-
richt oder auch beim Erledigen von Hausaufgaben eine Möglichkeit sieht, sein Wissen
zu zeigen und voranzukommen. Tim hingegen lernt, da er Angst vor dem Tag der
Klausur und vor deren Inhalt hat oder weil er sich fürchtet, in einer Unterrichtsstunde
auf eine Frage keine Antwort zu haben. Klaus wird als erfolgsorientierter und Tim als
misserfolgsorientierter Schüler bezeichnet. Erfolgs- bzw. Misserfolgsorientierung lässt
sich nicht über die Leistungsfähigkeiten der Schüler beschreiben, sondern wiederum in
den Emotionen, die an das Lernen und Leisten geknüpft sind. Misserfolgsorientierte
Schüler fühlen sich in institutionellen Lernsituationen häufiger unwohl als erfolgsorien-
tierte. Um einmal zu prüfen, welche Schüler ihrer Klasse eher erfolgsorientiert oder
eher misserfolgsorientiert sind, können sie folgendes Experiment einsetzen:
Suchen Sie sich drei Schüler pro Woche aus und beobachten Sie diese in dieser Zeit
besonders genau. Beantworten Sie nach dieser Zeit für jeden Schüler die nachfolgen-
den Fragen. Werden mehrere der folgenden Fragen mit NEIN beantwortet, besteht der
Verdacht, dass bei dem Schüler eine Misserfolgserwartung vorliegt (nach Grone &
Petersen, 2002, S. 35):
Widmet der Schüler dem Lehrer Aufmerksamkeit?
Fängt der Schüler mit der Aufgabenbearbeitung sofort an?
Hält sich der Schüler an die Aufgabenstellung?
Bleibt der Schüler während der Aufgabenstellung konzentriert bei der Sache?
Führt der Schüler die Aufgabe bis zum Ende durch?
Beendet der Schüler die Aufgabe innerhalb der vorgesehenen Frist?
Bleibt der Schüler bei der Aufgabe, auch wenn Probleme auftauchen?
Arbeitet der Schüler selbstständig?
Meldet sich der Schüler freiwillig für Antworten?
Schneidet der Schüler in Klausuren ab, wie man es aufgrund sonstiger Leistung ver-
muten würde?
Fragt der Schüler nach Hilfe, wenn notwendig?
Regt sich der Schüler bei Fehlern oder Schwierigkeiten nicht auf?
Hat der Schüler Freude an Herausforderungen?
6.7 Lernorientierung vs. Leistungsorientierung
Lernende lassen sich jedoch nicht nur danach unterscheiden, ob sie erfolgs- oder miss-
erfolgsorientierte Tendenzen aufweisen. Sie unterscheiden sich zudem systematisch
darin, wie sehr ihnen daran gelegen ist, ihre eigenen Kompetenzen zu erweitern (Lern-
orientierung) oder aber wie sehr sie sich bemühen, eigenes Wissen und Können zu
zeigen bzw. bei mangelndem Wissen und Können dieses zu verbergen (Leistungsorien-
tierung). Lernorientierung und Leistungsorientierung sind ähnlich der Erfolgs- und Mis-
serfolgsorientierung zeitlich überdauernde und über Situationen konsistent wirksame
21
Eigenschaften, die im Zusammenhang mit vorauslaufenden Bedingungen des Lernens,
mit dem Lernverhalten und der resultierenden Leistung stehen. Generell wird von einer
positiven Wirkung in Lern- und Leistungskontexten berichtet, wenn Lernorientierun-
gen vorherrschen. Lernorientierte Schüler zeigen vorteilhafte Attributionsmuster
(Erfolgsorientierung), vermehrte intrinsische Motivation und Interesse für den aktuel-
len Lernbereich. Lernende, die Lernen als Erweiterung eigener Kompetenz wahrneh-
men, können positive Selbstwirksamkeitsurteile und Kompetenzeinschätzungen auch
bei erhöhten Lernanforderungen beibehalten und entsprechend adaptieren, so dass
eine höhere Lernleistung resultiert. Leistungsorientierung führt hingegen zu negativen
Effekten auf das Lernen und die Leistung, besonders dann, wenn die Selbstwirksam-
keitsurteile schwach ausgeprägt sind, wenn also misserfolgsorientierte Tendenzen vor-
liegen.
6.8 Tipps für die Praxis
Um eine erfolgsorientierte Ursachenzuschreibung der Leistungen der Schüler zu unter-
stützen, könnten folgende Tipps hilfreich sein (nach Grone & Petersen, 2002, S.44-46):
Transparenz von Leistungsanforderungen und Rückmeldungen, denn auch gute
Noten können einen befremdlichen bzw. willkürlichen Beigeschmack enthalten,
wenn die Kriterien für das Zustandekommen der Note vorenthalten werden
Unmittelbarkeit von Rückmeldungen (häufiges Feedback über den Leistungs-
stand, am besten nach jeder vollbrachten Leistung, anstatt am Ende eines Halbjahres)
Ehrlichkeit von Feedback (ohne die Person des Schülers anzugreifen oder sie per-
manent auf einen Sockel zu stellen)
Vermittlung von konkreten Lern- und Arbeitstechniken, weil ungenügen-
de Leistungen oft weniger aus mangelnder Anstrengung resultieren, sondern eher
an der ineffizienten Nutzung von Arbeitstechniken. Dem Schüler den Zusammen-
hang zwischen eigener Handlung und Wirkung vermitteln.
Ein Trainingsprogramm zur Veränderung motivationshemmender Attributionsmuster
hat Krug (1976) entwickelt. Misserfolgsängstliche Grundschüler lernten hiermit im
geleiteten Selbsterleben den Zusammenhang zwischen Zielsetzung, Ursachenerklä-
rung und Selbstwertung. Das Training ist auf eine Dauer von vier Monaten ausgelegt
und bestand aus folgenden Elementen:
Schulfremder Kontext, der es ermöglicht, neue Erfahrungen außerhalb des
negativ gefärbten und angstbesetzten Schulalltages zu machen. Krug wählte dafür
Aufgaben, wie aus frei gewählter Entfernung Ringe über einen Pflock zu werfen,
wobei man sich im Vorhinein festlegt, wie viele Treffer man erzielen wird
Lernen am Modell: Die Aufgabe machte zuerst der Lehrer vor. Dabei verbalisier-
te er laut seine eigenen Zielsetzungen (wie viele Treffer er erzielen möchte), die eige-
ne Kausalattribution („Mist, daneben, da habe ich mich nicht genug konzentriert“)
und zeigt deutlich die eigenen Selbstbewertungsaffekte (z. B: Freude bei erfolgrei-
cher Aufgabenbewältigung).
Korrektives Eingreifen: Anschließend machen die Schüler die Übung selbst und
verbalisieren ebenfalls laut ihre Überlegungen. Der Lehrer hat nun die Aufgabe ggf.
einzugreifen, wenn sichtbar wird, dass Schüler sich misserfolgstypisch selbst bewerten.
22
Er kann darüber hinaus auf wichtige Punkte aufmerksam machen und Zusammen-
hänge zwischen Anstrengung/Konzentration und Erfolg verdeutlichen.
Übertragung auf schulischen Kontext: Nachdem so die erfolgszuversicht-
lichen Strategien, Denk- und Handlungsweisen bedrohungsfrei spielerisch eingeübt
wurden, werden die Aufgaben zunehmend schulnäher (z.B. schwierigkeitsgestaf-
felte Rechen- oder Rechtschreibaufgaben), bis sich die Aufgaben direkt auf die im
laufenden Unterricht behandelten Lerngegenstände beziehen.
Nach dem viermonatigen Training fielen nicht nur die drei beeinflussenden Teilprozes-
se der Selbstwertung (Zielsetzung/Anspruchsniveau; Ursachenzuschreibung/Attribu-
tion; Selbstwertung) günstiger aus, es zeigte sich außerdem, dass sich auch das Leis-
tungsmotiv der Schüler in erfolgszuversichtlicher Richtung verändert hatte.
6.9 Literatur zur Vertiefung
Dweck, C. (1986): Motivational Process Affecting Learning. American Psychologist,
41, 1040-1048.
Heckhausen, H. & Rheinberg, F. (1980): Lernmotivation im Unterricht. Erneut
betrachtet. Unterrichtswissenschaft, 8, 7-47.
Weiner, B. (1975): Die Wirkung von Erfolg und Mißerfolg auf die Leistung. Bern:
Klett.
Weiner, B (1994): Motivationspsychologie. Weinheim: Beltz.
23
7 Erweitertes Kognitives Motivationsmodell
Die bisherigen Erkenntnisse stützen sich fast ausnahmslos auf Ergebnisse, die in
psychologischen Experimenten gewonnen wurden. Der Vorteil experimenteller For-
schung liegt darin, dass der Forschungsgegenstand (z. B. Leistungsmotivation) in
künstlich isolierten Umwelten untersucht werden kann. Der Forscher kontrolliert alle
Einflüsse, die innerhalb der Experimentsituation auftreten können. Um Zusammenhän-
ge überprüfen zu können, werden dem Probanden in der Regel nur wenige situative
(An-)Reize dargeboten, damit sichergestellt ist, dass die Ergebnisse der Untersuchung
nicht durch andere Ursachen zustande kommen konnten.
Nun sind Alltagssituationen jedoch alles andere als künstliche Arrangements eines For-
scherteams. Viele Anreize wirken in beliebigen Situationen auf die Handelnden ein.
Jeder Mensch sondiert die Situationen und die in ihr liegenden Anreize nach Relevanz
und Wertigkeit, genau wie im Straßenverkehr, wo es wichtig ist, unwichtige Reize (Far-
be der Häuser am Straßenrand) auszublenden und sich auf wichtige Reize (Verkehrs-
schilder, Fahrweise der vor einem fahrenden Autos etc.) zu konzentrieren. So ist es
äußerst schwierig, das Verhalten von Personen in Alltagssituationen vorauszusagen, da
sich Menschen stark darin unterscheiden, was für sie wichtig ist und was nicht, welche
Ergebnisse sie nach einer Handlung erwarten und wie sie die Folgen einschätzen, die
das Ergebnis nach sich ziehen könnte.
Die Art und Weise, wie Menschen diesen Bewertungsprozess durchlaufen, ist dagegen
bei allen Menschen sehr ähnlich und lässt sich als prozesshafte Auswahl- und Entschei-
dungsschleife im erweiterten Kognitiven Motivationsmodell beschreiben.
7.1 Wie wir Situationen bewerten
Nach diesem Modell gehen wir die aktuelle oder vorgestellte Situation vor unserem
inneren Auge Punkt für Punkt durch. Wir überprüfen unsere Erwartungen, die an die
Situation, an deren möglichen Ausgang/Ergebnis und mittelbare Folgen gebunden
sind. Zuerst überprüfen wir die Handlungsspielräume der Situation, danach unsere
Handlungsmöglichkeiten, mit denen wir das Ergebnis beeinflussen können, anschlie-
ßend die subjektiv empfundene Wichtigkeit möglicher Folgen des erzielten Ergebnis-
ses und abschließend die Einschätzung der Wahrscheinlichkeiten, mit denen zukünfti-
ge Folgen eintreten können oder nicht (siehe Abbildung 6, Seite 25).
7.2 Das Modell als Analyseinstrument für Pädagogen amBeispiel „Prüfungsvorbereitung“
Als Analyseschema ist dieses Modell in unterschiedlichen Kontexten anwendbar. Das
gilt vor allem für komplexere Handlungskontexte, wie der „Prüfungsvorbereitung“.
Bricht ein Lernender im Laufe der Vorbereitung seine Lernbemühungen ab, können wir
herausfinden, an welcher Stelle der Ausstieg aus der Vorbereitungsphase erfolgte und
welche pädagogischen Interventionen ggf. zu einer Wiederaufnahme führen könnten.
24
Abbildung 6: Erweitertes Kognitives Motivationsmodell
Erfolgte der Ausstieg schon beim ersten Schritt, muss der Lernende zu dem Schluss
gekommen sein, dass der Ausgang der Situation (Prüfung bestehen oder nicht) bereits
feststeht. Mit anderen Worten: Ich werde nicht lernen, weil ich weiß, dass ich die Prü-
fung schon zum jetzigen Zeitpunkt bestehen würde. Dies kann entweder eine richtige
Einschätzung oder eine Überschätzung der eigenen Fähigkeiten sein. Ein Vortest kann
helfen, den eigenen Leistungsstand richtig einzuschätzen.
Steigt der Lernende beim zweiten Schritt aus, kam er zu dem Schluss, dass seine Hand-
lungsmöglichkeiten nicht ausreichen, um die Prüfung zu bestehen. Gründe hierfür
könnten sein:
Zu wenig Zeit (uneinholbar große Wissenslücken unter den gegebenen zeitlichen
Möglichkeiten)
Mangelnde Intelligenz/Fähigkeiten („Ich bin einfach zu dumm dazu“)
Dauerhafte Missgunst eines Prüfers („Der Lehrer kann mich nicht leiden und wird
mich so oder so durch die Prüfung fallen lassen“)
Chronische, starke Prüfungsangst
25
Eigenes Dazutun scheint für den Lernenden nichts am Ausgang der Prüfung zu ändern. Der
Lernende wird den Prüfungsausgang vermutlich von externen Faktoren wie Glück, Pech
oder Schwierigkeit der Prüfung abhängig machen. Erinnern wir uns noch einmal an den Ein-
fluss der Attribution auf die Leistungsmotivation. Welches Attributionsmuster lässt sich hier
erkennen? Richtig, der Lernende in diesem Beispiel attribuiert umweltbezogen. Äußere Ein-
flüsse entscheiden aus dessen Sicht über Erfolg oder Misserfolg. Umweltbezogene Attribu-
ierung ist für die Förderung und Aufrechterhaltung der Leistungsmotivation aber äußerst
hinderlich, da ich selbst nie die Ursache des Erfolges bin, sondern lediglich die Umstände
günstig waren. Pädagogen sollen in diesem Fall das Attributionsmuster dieser Personen in
Richtung einer personenbezogenen Ursachenzuschreibung verändern (vgl. hierzu auch die
Abschnitte 6.2 sowie 6.4). Von besonderer Relevanz sind das individuelle Gespräch und die
Form, in der die Leistungen eines Lernenden zurückgemeldet werden. Es ist dem Lernen-
den zu vermitteln, dass Ursachen und Folgen durch ihn selbst bestimmt werden.
Erfolgt die Aufgabe beim dritten Schritt, ist dem Lernenden keine der möglichen Fol-
gen (bessere Karrierechance, Integration in den Ersten Arbeitsmarkt, dauerhafte
Erwerbstätigkeit, höheres Einkommen, bessere Chancen auf einen Ausbildungsplatz
etc.) des Ergebnisses (bestandene Prüfung) wichtig genug. Hier fehlt für die Prüfungs-
vorbereitung ein Anreiz, der wesentlich von den möglichen Folgen bestimmt wird. Der
dadurch entstehende Motivationsverlust kann sich noch verschärfen, wenn weder
interne Anreize durch Spaß an der Tätigkeit noch externe Anreize durch soziale
Erwünschtheit/Sanktion eine motivationale Wirkung zeigen.
7.3 Kritik am erweiterten kognitiven Motivationsmodell
Die Zweckrationalität der Motivationsstruktur im Rahmen des erweiterten kognitiven
Motivationsmodells unterstellt, dass Individuen handeln, weil ein Ergebnis, das wegen
seiner wahrscheinlichen Folgen erstrebenswert erscheint, möglich ist. Andernfalls wird
eine Handlung abgebrochen oder erst gar nicht aufgenommen. Anreiz besitzen dem-
nach – übertragen auf Lernprozesse in Bildungsinstitutionen – nur die Folgen von Lern-
aktivitäten. Diese einzig auf Folgen abstellende Rationalität menschlichen Handelns
und Verhaltens wurde und wird durch empirische Befunde widerlegt. Der Lernaktivität
selbst werden Anreize zugestanden (vgl. Abschnitt zur extrinsischen und intrinsischen
Motivation). So nehmen die Attributionsstile misserfolgs- und erfolgsorientierter Schü-
ler erheblichen Einfluss auf Erwartungen und Selbstbewertungen in Lernprozessen. Ins-
besondere die Selbstbewertungen sind dabei entwicklungsabhängig. Aus erzielten
Lernresultaten zieht der Lernende Schlussfolgerungen über seine eigenen Fähigkeiten
und stabilisiert oder korrigiert seine Selbsteinschätzung. Das erweiterte kognitive Moti-
vationsmodell und seine Nachfolger beschreiben letztlich ausschließlich Bedingungen
für das Auftreten einer aktuell wirksamen Lernmotivation.
7.4 Literatur zur Vertiefung
Heckhausen, H. (1989): Motivation und Handeln. Berlin: Springer.
Rheinberg, F. (2008): Motivation. Stuttgart: Kohlhammer.
Rheinberg, F. & Fries, S. (1998): Förderung der Lernmotivation: Ansatzpunkte,
Strategien und Effekte. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 44, 168-184.
26
8 Willentliche Handlungssteuerung
Die bisher behandelten Theorien über Leistungsmotivation beschreiben das Entstehen
und Vollenden menschlicher Handlungsvollzüge, die allesamt nicht willentlich herbei-
geführt, sondern ohne jede willentliche Anstrengung automatisch vorbereitet und aus-
geführt werden. Die kognitive Bewertung der Umwelt, ihre motivationalen Anreize
und unsere aktuelle, innere Motivlage lösen Handlungen aus oder verhindern diese,
ohne nur einmal etwas zu wollen! Zweifellos greifen diese Vorstellungen zu kurz, wis-
sen wir doch aus eigener Erfahrung, dass man sich manchmal zu etwas „zwingen“
muss, selbst dann, wenn wir für eine Aufgabe hoch motiviert sind. Unsere Sprache
kennt dafür Begriffe wie den inneren Schweinehund, den es zu überwinden gilt. Man
muss sich halt manchmal „zusammenreißen“ und darf sich nicht so einfach „gehen-
lassen“. Wir selbst haben es in der Hand, ob wir etwas tun, auch wenn wir gerade
„keinen Bock“ haben. Manchmal müssen Ängste (Zahnarztbesuch) oder gar Ekel
(Spinne aus dem Haus entfernen) überwunden werden.
Der Ansatz der rein anreizmotivierten Handlungskontrolle kann auch nicht erklären,
warum wir nach einer Entscheidung für eine bestimmte Handlung auch dann bei die-
ser Handlung bleiben, wenn zwischenzeitlich die Anreize aus der Umwelt sich verän-
dert haben und uns eigentlich zu einer anderen Handlung zwingen müssten. Was wür-
de passieren, wenn zwei gleich attraktive Anreize gleichzeitig uns zu unterschiedlichen
Handlungen motivieren würden? Wir würden wie ein Pendel von einer Handlung zur
anderen schwingen, einen Schritt vor und gleich wieder einen Schritt zurück machen
und letztlich nicht von der Stelle kommen.
Dennoch sind die oben behandelten Theorien keineswegs falsch. Es wird lediglich
offenbar, dass es zwei psychische Systeme gibt, die unsere Handlungen regulieren –
das motivationale System und das volitionale System (lat. Volition = Wille). Schon
Anfang des 19. Jahrhunderts forschte Narziß Ach über willentlich herbeigeführte
Handlungen, mit denen Menschen in Experimenten entgegen angelernten Routinen
und Mustern handelten. Dieses Entgegen-Handeln empfinden wir als wesentlich
anstrengender und es fordert unsere ganze Aufmerksamkeit. Wir verlassen die breit aus-
getretenen Trampelpfade gewohnter Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster
und müssen gegen große Widerstände und Hindernisse nun neue Wege einschlagen.
Es ist wichtig zu verstehen, wie willentliche Handlungen herbeigeführt werden – gerade
im Hinblick auf vermeintlich unmotivierte Schüler, Auszubildende oder Erwachsene. Es
könnte durchaus sein, dass wir manche Lernenden voreilig als „unmotiviert“ abstempeln,
obwohl diese durchaus motiviert sind! Was ihnen fehlt ist eine gut ausgebildete willentlich
gesteuerte Handlungskontrolle! Oder anders gesagt: Sie können nicht ihren Schweine-
hund überwinden, es fällt ihnen schwer, Wichtiges von Unwichti-gem zu unterscheiden
oder sich von Wunschvorstellungen zu lösen und den Blick auf Tatsächliches zu richten.
8.1 Vier Elemente einer vollständigen Handlungsabsicht
Was aber kennzeichnet einen Menschen, der „[…] nicht Gefangener seiner wechseln-
den Motivationsprozesse ist“ (Heckhausen 1989, S.12)? Er muss in der Lage sein,
In den klassischen Motivations-
theorien kommt der „Wille“
nicht vor. Alle Handlungen wer-
den durch innere Motive und
äußere Anreize gesteuert!
27
anhand übergeordneter Prozesse eigene Motivationstendenzen im Hinblick auf ein
erstrebenswertes Ziel selbst zu stärken bzw. hinderliche Tendenzen auszublenden. In
der Literatur zu Motivationstheorien wird dieser Gedanke aufgegriffen, indem zwi-
schen Selektions- und Realisationsmotivation unterschieden wird. Selektionsmotivation
bestimmt, für was wir uns entscheiden, ist zeitlich der Handlung vorgelagert und fußt
im Wesentlichen auf den bisher beschriebenen theoretischen Ansätzen. Die Realisa-
tionsmotivation bestimmt nun, wie wir die Handlung durchführen und gegen Wider-
stände, Unterbrechungen und Fehlschläge aufrechterhalten werden. Dies kann nur
demjenigen gelingen, der alle vier Elemente einer vollständigen und adäquaten Hand-
lungsabsicht in etwa gleicher Klarheit vor Augen hat:
1. den angestrebten künftigen Zustand (Prüfung bestehen)
2. den zu verändernden gegenwärtigen Zustand (Wissenslücken)
3. die zu überwindende Diskrepanz zwischen Ist- und Soll-Zustand (Lerngegenstand)
4. die beabsichtigte Handlung, mit der die Diskrepanz reduziert werden soll (Lernen)
Handlungsorientierte Personen haben meist die vollständige Hand-lung vor AugenIst eines der vier Elemente nicht entsprechend gegeben, sinkt die Realisationsmotiva-
tion und die Handlung kann nicht erfolgreich ausgeführt werden, wenngleich das
Handlungsziel (Selektionsmotivation) und die Handlungsabsicht weiter bestehen blei-
ben. Personen, deren Absichten häufig in dieser vollständigen Form ausgebildet sind,
werden als handlungsorientiert bezeichnet. Sie sind oft und mit Erfolg damit befasst,
ihre Absichten in die Tat umzusetzen.
Lageorientierte Personen kreisen oft um das Problem, statt es zulösenSelbst wenn eines der vier Elemente einer vollständigen Handlung nicht gegeben ist
und die Handlung (Lernen) dementsprechend nicht erfolgreich ausgeführt werden
kann, geben einige Personen ihre Handlungsabsicht nicht gleich auf. Sie hängen ent-
weder in wiederkehrenden Gedanken dem erwünschten Zustand (Element 1 der voll-
ständigen Handlung) nach und/oder bedauern die aktuelle Situation (Element 2 der
vollständigen Handlung) ohne zu überlegen, was denn noch fehlt, um den angestreb-
ten Zustand zu erzielen (Element 3 der vollständigen Handlung) und wie der
erwünschte Zustand letztlich erreicht werden könnte (Element 4 der vollständigen
Handlung). Allein die Elemente 1 und 2 werden keine Handlungskonsequenzen
haben. Personen, deren Absichten in dieser degenerierten Form vorliegen, werden als
lageorientiert bezeichnet. Statt um Dinge, die man tun könnte, kreisen ihre Gedan-
ken um die jetzigen, mitunter auch um vergangene oder zukünftige Zustände bzw.
Lagen.
Es wird vermutet, dass die Entstehung der Realisationsmotivation von den Determi-
nanten der Selektionsmotivation (Erfolgserwartung und -anreiz) abhängt. Insbesonde-
re die Attributionsstile (vgl. misserfolgs- vs. erfolgsorientierte Schüler) sowie die Über-
zeugungen von der eigenen Selbstwirksamkeit und Kompetenz sind für diesen
Zusammenhang gültige Mediatoren: Eine geringe Ausprägung der Selbstwirksamkeit
sowie misserfolgsorientierte Tendenzen schwächen die Akzeptanz von Leistungszielen
sowie die Intensität der Auseinandersetzung in einer spezifischen Lernsituation. Bei
Ein Problem ist halb gelöst,
wenn es klar formuliert ist.
John Dewey, amerikanischer Philosoph und Pädagoge (1859-1952)
Nur wer sein Ziel kennt,
findet den Weg.
Lao-Tse
28
geringer Selektionsmotivation sinkt der Realisierungsgrad der Handlung ab, da eine
schwach ausgeprägte Selektionsmotivation ein erheblich stärkeres Maß an Handlungs-
kontrolle erfordert, wenn die Lernenden erfolgreich ein Ziel erreichen wollen. Die Aus-
prägung der Handlungskontrolle ist jedoch als stabile Personeneigenschaft in Form der
Handlungs- vs. Lageorientierung gegeben.
8.2 Strategien willentlicher Handlungskontrolle
Untersuchungen der Lage- vs. Handlungsorientierung haben gezeigt, dass handlungs-
orientierte Personen ihre Handlungsabsichten nicht nur vollständiger ausbilden (Ergeb-
nis der Selektionsmotivation) und tatsächlich häufiger realisieren als lageorientierte
Personen; handlungsorientierte Personen verfügen darüber hinaus häufiger über
erfolgreiche Strategien, wie eingeschlagene Handlungen auch gegen Widerstände auf-
rechterhalten und kontrolliert werden können. Diese Strategien willentlicher Hand-
lungskontrolle kennzeichnet eine adäquate und effiziente
Aufmerksamkeitskontrolle: Das bewusst gesteuerte oder durch automatische
Aufmerksamkeitsfilter vermittelte Ausblenden solcher Informationen, die absichts-
widrige Motivationstendenzen stützen würden;
Motivationskontrolle: Die gezielte Steigerung der eigenen Motivation, die
aktuelle Absicht auszuführen;
Emotionskontrolle: Die Beeinflussung eigener Gefühlslagen, die die Handlungs-
kontrolleffizienz steigern (z.B. Herbeiführung eines entspannten, zufriedenen
Zustandes oder Meidung trauriger Gefühlslagen);
Handlungsorientierte Misserfolgsbewältigung: Ausschöpfen des eigenen Hand-
lungsrepertoires nach Misserfolg oder Abstandnehmen von unerreichbaren Zielen;
Umweltkontrolle: Veränderung der eigenen Umwelt in einer Weise, die das
Durchhalten der aktuellen Absicht fördert (z.B. Entfernen von Süßigkeiten aus der
Wohnung bei Diätabsicht);
Sparsamkeit der Informationsverarbeitung: Vermeiden übermäßig langen
Abwägens von Handlungsalternativen.
Diese Strategien können auch als Ansatzpunkte pädagogischer Interventionen dienen.
Lernende, die durch die Aufnahme von Bildungsgängen gezeigt haben, dass sie moti-
viert sind, im Laufe der Qualifizierung aber resignieren, haben vielleicht Defizite in ihrer
Handlungskontrolle oder verfügen über unzureichende Handlungsabsichten. Manch-
mal reicht es aus, gemeinsam mit der Person Regeln zu erarbeiten, die dabei helfen,
störende Einflüsse auf den Lernerfolg zu vermeiden (Aufmerksamkeitskontrolle und
Umweltkontrolle) oder nach Misserfolgen weiterhin sein Handlungspotential auszu-
schöpfen.
8.3 Tipps für die Praxis
Zur Förderung von Handlungskompetenzen lassen sich für den Unterricht nachfol-
gende Anregungen ableiten. Erfolgreiche Handlungen setzen voraus, dass die Lernen-
den über ausreichende Informationen zu den Inhalten und Zielen des Lernens verfü-
gen und dass sie diese Inhalte und Ziele angemessen verarbeiten können – hierzu
29
dienen die Strategien willentlicher Handlungskontrolle. Diese Strategien sind stets an
Situationen bzw. konkrete Aufgaben des Lernprozesses gebunden. Als hilfreich für die
Unterrichtspraxis wird ein aufgabenorientierter Unterricht angesehen, in dem Leis-
tungsziele über die Aufgabenmerkmale definiert sind und weitere Zieldimensionen
vorgegeben werden, die zentral zur Steigerung eines Mastery-Klimas in der Klasse
(„Jeder einzelne Schüler kann die Aufgabe lösen”) beitragen (in Anlehnung an
Fischer, 2006, S. 47):
Zieldimension: Aufgabenmerkmale
Fokus auf bedeutsame Aspekte von Lernaktivitäten
Vielfältige, unterschiedliche Inhalte und Formen
Angemessene Herausforderung
Unterstützung der Entwicklung und Anwendung von effektiven Lern- und Selbst-
managementstrategien
Zieldimension: Verantwortungsverteilung
Schüler an Entscheidungen beteiligen
Wahlmöglichkeiten bieten
Schüler eigene Ziele setzen lassen
Lernende sollen selbst Verantwortung für Lernprozesse übernehmen
Zieldimension: Belohnungsstrukturen
Bewertung der individuellen Leistung und Entwicklung
Belohnungen für Anstrengung und individuellen Fortschritt
Alle Lernenden sollten die Möglichkeit haben, Belohnungen zu erhalten
Zieldimension: Gruppierungspraktiken
Flexible Gruppierung (Gruppenbildung sowohl nach Schülerpräferenzen als auch
solche nach den Vorstellungen der Lehrkraft)
Bildung von heterogenen Gruppen
Wechsel von Kleingruppen- und Einzelarbeit
Zieldimension: Bewertung und Feedback
Belohnungen variieren
Bewertungen „individuell“ geben, nicht vor der ganzen Klasse
Anstrengung anerkennen
Möglichkeiten zur Verbesserung für alle Schüler schaffen
Fehler als Teil des Lernprozesses akzeptieren
Zieldimension: Zeitplanung
Zeit für Übung einplanen
Genug Zeit für den Lernprozess einplanen
Lernende selbst Zeitplan erstellen lassen (Bsp.: Wochenplan)
30
Jede einzelne Zieldimension trägt dazu bei, die Strategien willentlicher Handlungskon-
trolle zu fördern und vollständige (Lern-)Handlungen aufzubauen. Zentral dabei ist,
dass der Lernende einzeln oder als Teil einer Gruppe eine Lernaufgabe komplett bear-
beitet – von der Zielstruktur der Aufgabe bis zur Lösung.
8.4 Literatur zur Vertiefung
Holodynski, M. &Oerter, R. (2002): Motivation, Emotion und Handlungsregula-
tion. In R. Oerter& L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie (S. 469-494). Wein-
heim: Beltz.
Kuhl, J. (1987): Motivation und Handlungskontrolle: Ohne guten Willen geht es
nicht. In H. Heckhausen, P. M. Gollwitzer & F. E. Weinert (Hrsg.), Jenseits des Rubi-
kon: Der Wille in den Humanwissenschaften (S. 101-120). Berlin: Springer.
Kuhl, J. (1996): Wille und Freiheitserleben. Formen der Selbststeuerung. In J. Kuhl
& H. Heckhausen (Hrsg.), Motivation, Volition und Handlung. Enzyklopädie der
Psychologie (C/IV/4, S. 665-765). Göttingen: Hogrefe.
Kuhl, J. (1998): Wille und Persönlichkeit: Funktionsanalyse der Selbststeuerung.
Psychologische Rundschau, 49 (2), 61-77.
Sokolowski, K. (1997): Sequentielle und imperative Konzepte des Willens. Psycho-
logische Beiträge, 39, 346-369.
31
9 Das Rubikonmodell des Handelns – VomWünschen zum Wollen zum Tun
Stellen Sie sich vor, Sie haben sich entschlossen, einen Computer zu kaufen und warten
nun auf ein besonders günstiges Schnäppchen. Als Sie sich fast durchgerungen haben,
bei einem Top-Angebot zuzuschlagen, erfahren Sie aus einem Werbeprospekt, dass es
mittlerweile einen deutlich besseren Computer gibt, als den, den Sie kaufen wollten. Also
stellen Sie Ihre Kaufabsichten zurück und warten bis dieser neue, bessere Computer gün-
stiger ist. Jetzt ein Jahr später ist es so weit, doch plötzlich, Sie ahnen es, ist ein Nachfol-
gemodell auf dem Markt, das wiederum neue Maßstäbe in Geschwindigkeit, Grafik,
Speicherplatz etc. setzt. Und wieder beschließen Sie zu warten …
Ein Beobachter von außen würde Sie vielleicht als nicht genügend motiviert einschät-
zen. Tatsächlich haben Sie Ihr Ziel, einen Computer zu kaufen, nicht realisiert und jetzt
ein Jahr später sind Sie keinen Schritt weiter gekommen. Sie waren von außen wahr-
genommen untätig, ein Indiz, das durchaus auf mangelnde Motivation schließen lässt.
Nur, waren Sie wirklich nicht motiviert?
Nein, ganz im Gegenteil! Der Beobachter würde Ihnen völlig Unrecht tun. Sie waren
weder untätig noch mangelte es Ihnen an Motivation. Sie waren allerdings nicht in der
Lage, Ihre Informationssuche und Planungsphase abzuschließen und endlich Nägel mit
Köpfen zu machen. Sie hatten zwar die Absicht, haben aber den „Rubikon“ nicht
überschritten! Das kann in diesem Fall äußerst vorteilhaft für Sie sein, gerade bei tech-
nischen Konsumartikeln ist es ratsam, die unterschiedlichen Produkte untereinander zu
vergleichen und sorgfältig zu prüfen, ob und wann ein Kauf sich lohnt. Es gerät dann
zum Nachteil, wenn Sie generell nicht in der Lage sind, nach gründlichem Abwägen
und Planen eine mehr oder weniger riskante Entscheidung zu fällen, deren Folgen sie
zwar abschätzen können, ohne jedoch absolute Gewissheit über die tatsächlich eintre-
tenden Konsequenzen erlangen zu können.
Den „Rubikon“ nicht überschritten zu haben, heißt am Beispiel des Computerkaufs,
dass Sie den Deal nicht gemacht haben. Bezogen auf die Motivationstheorie bedeutet
es, dass Sie Ihre Bedürfnisse nicht in ein konkretes Ergebnis umgesetzt haben. Das
Rubikonmodell des Handelns erklärt, wie aus dem Abwägen unterschiedlicher Wün-
sche und Bedürfnisse eine Handlungsintention erwächst und wann dieser Intention
eine Handlung folgt. Der Name lehnt sich an eine historische Begebenheit an. Der
Rubikon ist ein Fluss in Italien, den Julius Cäsar im Jahre 49 v. Chr. mit den Worten
„Die Würfel sind gefallen“ überquerte und damit einen Bürgerkrieg zwischen Italien
und der Provinz Gallia Cisalpina auslöste mit unumkehrbaren Folgen.
Gleich Cäsars Rubikon Überquerung überschreiten wir den Rubikon, wenn aus vagen
Wünschen und Bedürfnissen ein fester Entschluss erwächst, etwas Bestimmtes zu tun.
Aus Wünschen wird ein Wille, eine Absicht, eine Handlungsintention. Beim oben
beschriebenen Beispiel hatten wir den Rubikon schon einmal überquert, indem wir uns
vorgenommen hatten, einen Computer zu kaufen. Doch unser Alltag ist sehr komplex
und unterliegt vielen Einflüssen. Daher kann es durchaus sein, dass nach einem einmal
gefällten Entschluss erneut abgewogen wird, z.B. wann der richtige Zeitpunkt und die
beste Gelegenheit ist, die geplante Handlung umzusetzen – wie bei unserem Beispiel.
Es ist nicht genug, zu wissen -
man muss es auch anwenden.
Es ist nicht genug, zu wollen -
man muss es auch tun!
Johann Wolfgang von Goethe
32
Abbildung 7: Das Rubikonmodell des Handelns
Innerhalb des Rubikonmodells wird eine Handlung als Sequenz von Motivations- und
Volitionsphasen beschrieben, wobei der Rubikon i. S. einer getroffenen Entscheidung
Prozesse motivationaler und volitionaler Art trennt. Die Phase des Abwägens – also der
Prozess vor der Entscheidung, der sich über die Phasen des Planens und Handelns
beschreiben lässt – ist motivationaler Natur ebenso wie die Phase des Bewertens.
9.1 Die Phasen vom Wünschen zum Tun
In der ersten Phase des Abwägens halten wir unter dem ständigen Strom auftauchen-
der Wünsche und Bedürfnisse in der aktuellen Situation einige wenige Wünsche fest.
Diese Auswahl erfolgt nach dem erweiterten kognitiven Motivationsmodell. Man
schätzt ab, ob ein erwünschter Zielzustand sich ohne eigenes Zutun vielleicht von alleine
einstellt, prüft die Möglichkeiten eigenen Eingreifens, bedenkt unterschiedliche Folgen
und wägt ihre Bedeutsamkeit ab. In dieser Phase sind wir offen für alle entscheidungs-
relevanten Informationen, schätzen Risiken und Chancen auf ihre Wahrscheinlichkeit,
prüfen, ob andere Personen uns helfen können etc. Dabei gehen wir kritisch vor, so als
ob wir uns die Wünsche selbst ausreden wollen. Erst wenn klar ist, dass die Folgen
einer Nicht-Realisation unannehmbar wären, wird aus einem Wunsch eine Absicht,
eine Intention. Wir überschreiten den Rubikon! All dies geschieht in einer motivationa-
len Bewusstseinslage ohne jegliche Beteiligung unseres Willens.
In der zweiten Phase planen wir, wie wir am besten den Entschluss in die Tat umset-
zen. Unsere Wahrnehmung und unser Denken sortiert jetzt alles aus, was unseren ein-
mal gefällten Entschluss gefährdet (es sei denn, die Umstände haben eine Realisierung
mittlerweile sehr erschwert oder gar unmöglich gemacht). In dieser Phase sind wir
stark handlungsorientiert, unser Vorgehen entspricht im weitesten Sinne den Strate-
gien der Handlungskontrolle. Hier spielen motivationale Prozesse keine Rolle mehr –
schließlich sind wir ja bereits motiviert – unsere Planung wird nun im Wesentlichen
vom Willen her bestimmt. Nach Abschluss der Planungsphase kann durchaus Zeit ver-
gehen, bis wir den Plan in die Tat umsetzen. Eine Ausbildung kann nicht immer jeder-
zeit begonnen werden, sondern richtet sich i.d.R. nach von außen gesetzten Terminen.
Oder der aktuelle Zeitpunkt ist ungünstig, bspw. aufgrund mangelnder Ressourcen wie
Viele Male schaut der Wille
durchs Fenster, ehe die Tat
durch das Tor schreitet.
Erasmus von Rotterdam
33
Zeit oder Geld, geringem sozialen Einfluss etc. Wir müssen, bevor wir handeln, eine
passende Gelegenheit abwarten oder herstellen. Zwischen dem „Wollen“ und dem
„Tun“ kann die Motivation wieder sinken oder sich verändern, weil erneut Umweltan-
reize einen großen Einfluss haben – wie bei unserem Computerkaufbeispiel.
Passen die Umstände und die geplante Aktivität zusammen, führen wir in der dritten
Phase die Handlungen aus. Wir tun, was wir beabsichtigt und geplant hatten. Es geht
nun darum, das eigene Handeln ausdauernd auf das Ziel auszurichten und sich nicht
ablenken zu lassen. Das Handeln muss bei Schwierigkeiten flexibel an die Umstände
und den Handlungsverlauf angepasst werden. Zum Beispiel neigen Menschen in
bestimmten Fällen dazu, bei Misserfolg die Anstrengung zu erhöhen (dies tun aber nur
erfolgsorientierte Personen). Entscheidend im Hinblick auf die Realisierungswahr-
scheinlichkeit und -geschwindigkeit ist die Stärke unseres Willens – die Voli-
tionsstärke.
Die abschließende vierte Phase ist die Bewertung unserer Handlung. Konnten wir das
Ziel erreichen? Wenn nein, was muss noch getan werden? Warum lief es schief? Was
hat zum Erfolg/Misserfolg geführt. Welche Schlüsse ziehen wir daraus? Was ist jetzt zu
tun? Was ist jetzt möglich? Die Bewertung entspricht der bereits erwähnten Attribu-
tion von Handlungsergebnissen. Die Bewertung nach Ende der geplanten Aktivität
kann neue Wünsche und Bedürfnisse auslösen und der Prozess beginnt von vorn.
Die wichtige Erkenntnis aus diesem Modell ist, dass von außen betrachtet eine Person
unmotiviert erscheint, tatsächlich aber motiviert ist, es kam nur nicht vom „Wün-
schen“ zum „Wollen“ und oder vom „Wollen“ zum „Tun“.
9.2 Literatur zur Vertiefung
Gollwitzer, P. M. (1996): The Volitional Benefits of Planning. In P. M. Gollwitzer&
J. A. Bargh (Eds), The Psychology of Action. Linking Cognition and Motivation to
Behavior (pp. 287-312). New York: Guilford Press.
Heckhausen, H. (1989): Motivation und Handeln. Berlin: Springer.
Heckhausen, H., Gollwitzer, P. M. & Weinert, F. E. (Hrsg.) (1987): Jenseits
des Rubikon: Der Wille in den Humanwissenschaften. Berlin: Springer.
34
10 Bewertung – Wie Rückmeldungen dereigenen Leistung motivationsfördernd sind
Informationen über unsere Leistungen sind für unsere Entwicklung auf ein bestimmtes
Ziel hin unentbehrlich. Wir brauchen regelmäßig Standortbestimmungen, wo wir uns
befinden. Sonst drohen wir auf dem Weg zum Erfolg irgendwo verloren zu gehen.
Dennoch wird auch und gerade in Schulen bei der Leistungsbewertung der Schüler
und Schülerinnen viel falsch gemacht. Der Quell des Fehlers liegt in der Art und Weise,
wie Lehrer oder Lehrerinnen eine bestimmte Leistung qualitativ und quantitativ einordnen.
10.1 Die soziale Bezugsnorm
Nach den Schulgesetzen ist es eigentlich nicht erlaubt, den durchschnittlichen Leis-
tungsstand einer Schulklasse als Grundlage für die Bewertung der individuellen Leis-
tung heranzuziehen. Benotet werden darf in allen deutschen Bundesländern nur, in
welchem Maße ein Schüler die ,,Anforderungen" erfüllt. Dennoch wird überwiegend
unter Bezug auf einen sozialen Vergleich bzw. nach Setzung einer sozialen Norm
bewertet (soziale Bezugsnorm) – Schon alleine um die Schüler in die weiterführenden
Bildungsgänge zu selektieren und alle Bildungswegen mit genügend Schülern zu ver-
sorgen, ist das Setzen sozialer Bezugsnormen zwingend notwendig. Was aber würde
passieren wenn ein und derselbe Schüler in unterschiedlich starken Klassen eine Klas-
senarbeit schreiben würde? Er würde bei einer leistungsschwachen Klasse mit einer
„zwei“ und in einer leistungsstarken Klasse eventuell nur mit einer „vier“ benotet wer-
den. Das fatale ist, dass die Schulnoten eine Objektivität suggerieren, die sie in Wahrheit
gar nicht haben: Bei Anwendung einer sozialen Bezugsnorm wird die individuelle Lern-
leistung über die Leistungen anderer bewertet. Der Lernende sieht seine Fähigkeiten und
Kompetenzen ausschließlich im intersubjektiven Vergleich. Im Ergebnis folgt, dass die
Vergleichbarkeit der Leistungen im Hinblick auf ein klasseninternes Bezugssystem äußerst
zweifelhaft ist; zudem macht die soziale Bezugsnorm den Lernzuwachs aller Schüler
unsichtbar und kann individuelle Schwankungen im Lernzuwachs nicht aufgreifen.
In diesem System ist es augenscheinlich, dass lernschwächere Schüler Benachteiligun-
gen erfahren. Die Folge ist, dass insbesondere Kinder und Jugendliche aus sozial
schwächeren und eher bildungsfernen Milieus, aber auch Kinder und Jugendliche mit
langsamerem Lerntempo innerhalb des Systems Schule scheitern müssen. Dies gilt
gleichfalls für Kinder mit unterdurchschnittlichen (Schrift-) Sprachkenntnissen, was
häufig bei Kindern mit Migrationshintergrund der Fall ist. Immer dann, wenn der
Durchschnitt der Klasse besser ist als der einzelne Schüler, wird seine Leistung mit einer
schlechten Note beurteilt, unabhängig von seiner Leistung bezogen auf die sachlich
aufgabenbezogenen Anforderungen.
Auf Basis der Motivationstheorien können wir nun gut nachvollziehen, wie diese nega-
tiven Erfahrungen zu generalisierten Erwartungen und Erfolgswahrscheinlichkeiten
ausreifen, da wir wissen, dass verschiedene Attributionsmuster sowie Selbstwirksam-
keitsüberzeugungen die eigene Ursachenzuschreibung von Erfolg oder Misserfolg prä-
gen. Werden in der Leistungsbewertung soziale Bezugsnormen angewendet, führt dies
bei Schülern mit einer Leistungsfähigkeit, die unterhalb der mittleren Leistungsfähig-
Die Menschen müssen leiden,
um stark zu werden, dachte ich.
Jetzt denke ich, sie müssen
Freude haben, um gut zu werden.
Wilhelm von Humboldt
Bei der sozialen Bezugsnorm
erfolgt ein Leistungsvergleich
mit anderen Personen anhand
eines Durchschnitts, wobei das
Prinzip der Aufgabengleichheit
gilt.
35
keit der Klasse liegt, dazu, das Misserfolge der eigenen Unfähigkeit zugeschrieben
werden, da dieser Schüler innerhalb formaler Lernkontexte im Vergleich mit anderen
schon immer schlechter abgeschnitten hat. Ein gelegentlicher Erfolg in der Schule wür-
de da nur Zufall sein können. Dieses Attributionsmuster führt Misserfolge geradezu
herbei. Wenn dieser Zwang zur sozialen Selektion in Schulen ständig Verlierer produ-
ziert und dieser Status durch den permanenten Selektionszwang sich Jahr um Jahr ver-
festigt, dann muss es uns nicht wundern, wenn sich motivationale Defizite einstellen
und der Übergang von der Schule in den Beruf ebenfalls misslingt, ungeachtet der Tat-
sache, dass das Startkapital, das diese jungen Menschen für den Beruf mitbringen,
ebenfalls dürftig ist (Noten, Selbstvertrauen etc.).
Leistungsbewertungen nach dem Klassendurchschnitt benachteiligen leistungsschwä-
chere Schüler und Schülerinnen, während es die leistungsstärkeren unter ihnen begün-
stigt, was die Lern- und Leistungsmotivation zwangsläufig schwächt. Wie kann dieser
Effekt vermieden werden? Und welche Lehren können für eine leistungs- und motiva-
tionsfördernde Leistungsbewertung gewonnen werden? Die wichtigste Erkenntnis soll-
te sein, dass wir nicht den Durchschnitt als Referenzkriterium heranziehen, sondern die
individuelle Leistung jedes einzelnen Lernenden (individuelle Bezugsnorm).
10.2 Die individuelle Bezugsnorm
Die individuelle Bezugsnorm bezieht sich auf die Bewertung einer Einzelleistung vor
dem Hintergrund vorausgegangener Leistungen des Lernenden. Damit geht der indi-
viduelle Lernzuwachs direkt in die Leistungsbeurteilung ein und wird besonders deut-
lich gemacht. Für den Lernenden bedeutet dies, dass der Zusammenhang zwischen
eigenen Lernbemühungen und dem Lernerfolg überhaupt wahrgenommen werden
kann. Aus Sicht der Fremdbewertung und der Unterrichtsgestaltung zeigt sich in einer
Vielzahl von Unterrichtsexperimenten und Interventionsstudien, dass eine Ausrichtung
des Unterrichts an individuellen Bezugsnormen Lernende mittelfristig erfolgszuver-
sichtlicher machen kann. Wie lässt sich das erklären?
Gemäß dem Grundsatz, dass man Lernen kaum vermeiden kann, stellen sich Leis-
tungsfortschritte bei jedem Teilnehmer zwangsläufig über die Zeit hinweg ein. Da das
Lerntempo der anderen beim Ausschluss sozialer Bezugsnormen keine Rolle mehr
spielt, kann die Lehrkraft nun das individuelle Lerntempo jedes Einzelnen berücksichti-
gen und die Aufgaben dahingehend auswählen und anpassen, so dass jeder Lernende
auch wirklich eine Chance auf Erfolg hat. Es sind die individuellen Lernzuwächse, die
nun die Grundlage für Lob und Kritik darstellen und durch die Attributionen begün-
stigt werden, die in der eigenen Person liegen. „Wenn ich mich anstrenge, schaffe ich
das auch” – Attributionen wie diese stärken die Selbstwirksamkeitsüberzeugung und
motivieren im Lernprozess.
10.3 Die sachliche (kriteriumsorientierte) Bezugsnorm
Als dritte Bezugsgröße der Leistungsbewertung kann die Aufgabe selbst herangezogen
werden (sachliche Bezugsnorm). Die sachliche Bezugsnorm ist insbesondere für das
institutionelle Lernen und Arbeiten oder für das Erstellen praktischer Arbeitsprodukte
36
besonders relevant und motivationswirksam. Die Leistungsergebnisse werden dabei
auf Basis von Kriterien bewertet, die sich aus sachlichen Notwendigkeiten ergeben. Die
sachliche Bewertung orientiert sich an übergeordneten curricularen, an längerfristigen
lernsituations- oder an kurzfristigen aufgabenbeschreibenden Normen. Notwendig ist
hierfür, dass mit jeder Aufgabe Leistungsinhalte und -anforderungen transparent
beschrieben sein müssen, anhand derer man unabhängig von der Leistung anderer
bewerten kann, wie eine Person diese Anforderungen erfüllt hat. Aus den Motivations-
theorien wissen wir, dass Aufgaben mit mittlerem Schwierigkeitsgrad das höchste
Motivierungspotential haben. Dieser Fakt umfasst aber zugleich auch die Kritik an der
sachlichen Bezugsnormorientierung: Es sind meistens die durchschnittlichen Anforder-
ungen, die als inhaltliche Anker die Bewertung bestimmen.
In der Literatur wird übereinstimmend die Meinung vertreten, dass Lernende unter ver-
schiedenen Bezugsnormen bewertet werden sollten, wobei die individuelle Bezugsnorm
die Leitfunktion zu übernehmen hätte, ohne Informationen zu anderen Bezugsnormen zu
ignorieren. Diese Auffassung ist insbesondere durch den offensichtlichen Zusammenhang
zwischen Bezugsnormorientierung und den verschiedenen Ausprägungen der Motivation
geprägt. In den vorangegangenen Kapiteln wurden drei verschiedene Ausprägungen der
Leistungsmotivation besprochen: (1) Erfolgs- vs. Misserfolgsorientierung, (2) Lern- vs.
Leistungsorientierung sowie (3) Handlungs- vs. Lageorientierung. Die Wahl der Bezugs-
norm hat für Personen, die sich in ihren Motivationsausprägungen unterscheiden, auch
unterschiedliche Auswirkungen. Es kann vermutet werden, dass Lernende mit einer Lern-
orientierung sich selbst unter einer individuellen Bezugsnorm bewerten und diese bevor-
zugen, da diese ihren Lernzuwachs abbildet; Lernende mit Leistungsorientierung werden
hingegen auf soziale Bezugsnormen zurückgreifen, da diese den Vergleich mit anderen
zulassen. Misserfolgsorientierte Lernende profitieren von einer individuellen und sach-
lichen Bezugsnorm stärker als erfolgsorientierte, da hierdurch die Zuschreibungen von
Erfolg stärker an die Person gebunden werden und bei Misserfolg stärker an die Situation
bzw. Aufgabe. Lageorientierte Lernende werden hingegen durch soziale Bezugsnormen
motiviert, sich schneller aus nicht realisierbaren Handlungsabsichten zu lösen.
10.4 Schlussfolgerungen
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass bei konsequenter Anwendung der indi-
viduellen und der sachlichen Leistungsbewertung das Konkurrenzdenken zwischen
den Lernenden abgeschwächt und der Zusammenhalt zwischen den Lernenden geför-
dert werden kann. Beide Bezugsnomen sind geeignet, Lernenden regelmäßig ihren
Kompetenzzuwachs aufzuzeigen. Dazu sollten turnusmäßige Auswertungsgespräche
geführt werden. Hier müssen die Pädagogen und Pädagoginnen sensibel darauf ach-
ten, wie die Lernenden die eigene Leistung bewerten und welche Ursache sie Erfolgen
und Misserfolgen zuschreiben. Gemäß der Attributionstheorie muss das Ziel sein, dass
die Lernenden ihre Erfolge zunehmend auf die eigene Anstrengung zurückführen.
Wichtig ist, dass die Ursachen immer veränderbar sein sollten. Es ist schwierig, etwas
zu verbessern, wenn man glaubt, steter Misserfolg wäre Teil des eigenen unveränder-
lichen Schicksals.
Eine empirische Skizze der Hans-Böckler-Stiftung kommt sogar zu dem Schluss: „Nicht
der Weiterbildungsabstinenzler ist defizitär, sondern die institutionellen Weiterbildungs-
Die sachliche Bezugsnorm zielt
auf den Erwerb eines bestimm-
ten Kenntnis- bzw. Fähigkeits-
stands ab. Bei vorhandenen
Kompetenzstandards ist sie ein-
fach in der Anwendung. Die
Ausarbeitung von Kompetenz-
standards ist dabei sehr aufwen-
dig. Das Verfahren ist unsensi-
bel gegenüber Lernfortschritten.
37
strukturen und Anreizsysteme bedürfen der Veränderung. Und zwar dergestalt, dass
ein Handlungsakteur mit einer Weiterbildungsteilnahme auch einen wirklichen subjek-
tiven Nutzen verbinden kann“ (Block 2001, S. 20). Man muss diese Einschätzung in
ihrer Radikalität nicht teilen, aber sie macht deutlich, dass bei den Anbietern von
Weiterbildung Veränderungsbedarfe bestehen, wenn Geringqualifizierte erreicht wer-
den wollen und es nicht angemessen ist, die Verantwortung für Weiterbildung aus-
schließlich beim Individuum anzulagern.
10.5 Tipps für die Praxis
Um Leistungsbewertungen möglichst motivationsfördernd einsetzen zu können, lassen
sich für die Gestaltung des Unterrichts folgende Anregungen geben (nach Fischer,
2006, S.37-50; Weßling-Lünnemann & Gerburgis, S. 25 ff):
Bezugsnormorientierung der LehrkraftDie Lehrkraft zeigt Balance zwischen Erfolgserwartung einerseits und Wertschät-
zung der erbrachten Leistung andererseits – Prinzip Fördern statt Fordern
Einbezug individueller Bezugsnormen als Ergänzung zu sozialen Bezugsnormen
Wichtig ist, dass Beurteilungen individuell und nicht öffentlich erfolgen und auf
wechselnden Bezugsnormen basieren. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Schüle-
rinnen und Schüler eine Leistungszielorientierung und/oder eine soziale Bezugs-
normorientierung ausbilden, die Weiterentwicklungen verhindern und mangelndes
Interesse und mangelnde Ausdauer erzeugen können. Der Lernende schießt sich
praktisch auf eine Bezugsnorm ein und findet dort seinen aus seiner Perspektive
angemessenen Platz (“Das Leistungsziel schaffe ich leicht oder gar nicht”; “Im Ver-
gleich mit meinen Mitschülern bin ich eh immer im Mittelfeld”).
Umgang mit FehlernTrennung von Lernprozessen und Leistungsbeurteilung
Fehlerakzeptierendes Verhalten im Unterricht zeigen
Deutlich machen, dass Fehler Lernchancen sind
Attributionsauslösendes Feedbackselbstwertdienliche und motivationsförderliche Attributionen
Realitätsangemessenheit, ohne die Person des Schülers anzugreifen oder sie perma-
nent auf einen Sockel zu stellen. Hierbei gilt, dass dem Lernenden nicht nur seine
Stärken sondern auch seine Schwächen aufgezeigt werden sollen.
Bewertungs- und Belohnungsstrukturenfür das Erreichen kurzfristiger Ziele sowie für besondere Anstrengungen
autonomieunterstützend, kein kontrollierendes Feedback
Einen Teil der Verantwortung für die Bewertung an die Schüler selbst abtreten; das
mindert den Druck für Schüler, mit den anderen vergleichbare Ergebnisse zu erzielen
Betonung individueller LeistungsfortschritteLeistungsgespräche
Leistungskarten und Beurteilungsbögen für Schüler zur Selbstkontrolle
Aufgabenstellungen, die individuellen Leistungsfortschritt deutlich machen
38
Aufgabenstellungen, die nicht direkt einen sozialen Vergleich nahelegen
Individuelle Korrekturen
Bewertungskriterien, die mit Schülern erarbeitet werden
Beteiligung der Schüler an der Zensurengebung
10.6 Literatur zur Vertiefung
Hannover, B. (1988): Determinanten und Effekte der Selbstbewertung. Frankfurt a. M.:
Peter Lang.
Rheinberg, F. (1980): Leistungsbewertung und Lernmotivation. Göttingen: Hogrefe.
Rheinberg, F. (2002): Bezugsnormen und schulische Leistungsbeurteilung. In F. E.
Weinert (Hrsg.), Leistungsmessung in Schulen (S. 59-72). Weinheim: Beltz.
39
11 Weiterführende Literatur
BLOCK, R. (2001): Nutzenerwartung und Weiterbildung. Essen
BOSSONG, Bernd: Motivationsförderung in der Schule. Weinheim, Basel: Beltz Verlag
1978.
BUTHIG, Wolfgang: Lernmotivation und Unterrichtserfolg. 1. Auflage, Ansbach: Prö-
gel Verlag 1979.
DRESEL, Markus: Motivationsförderung im schulischen Kontext. 1. Auflage, München:
Hogrefe-Verlag 2003.
FISCHER, Natalie: Motivationsförderung in der Schule. 1. Auflage: Kovac 2006.
HARTEN-FLITNER, Elisabeth: Leistungsmotivation und soziales Verhalten. Eine päda-
gogische Kritik der Leistungsmotivforschung. Beltz 1978.
HARTINGER, Andreas; FÖLLING-ALBERS, Maria: Schüler motivieren und interessieren.
Rieden: Klinkhardt 2002.
HECKHAUSEN, Heinz: Motivation und Handeln, 2. Auflage, Berlin: Springer 1989.
HERBER, Hans-Jörg: Motivationstheorie und pädagogische Praxis, Stuttgart: Kohlham-
mer 1979
HUBRIG, Christa: Gehirn, Motivation, Beziehung - Ressourcen in der Schule. Systemi-
sches Handeln in Unterricht und Beratung. 1. Auflage: Carl-Auer-Systeme 2010.
KELLER, Gustav: Ich will nicht lernen! Motivationsförderung in Elternhaus und Schule.
2. Auflage: Huber 2003.
KRAMER, Martin: Schüler motivieren und reaktivieren. AOL-Verlag 2005.
MENDLER, Allen N.: Uninteressierte Schüler motivieren. Verl. An der Ruhr 2003.
NIERMEYER, Rainer; SEYFFERT, Manuel: Motivation. Instrumente zur Führung und
Verführung. 2. Auflage, München: Haufe Verlag 2007.
RHEINBERG, Falko; KRUG, Siegbert: Motivationsförderung im Schulalltag. 3. Auflage,
Göttingen: Hogrefe 2005.
SCHIEFELE, Ulrich; WILD, Klaus-Peter: Interesse und Lernmotivation. Waxmann 2000
SCHMIDT-WULFFEN, Wulf: Motivation und Unterrichtserfolg durch Mitplanung von
Schülern. Schneider Verlag GmbH 2008.
SMOLKA, Dieter: Schülermotivation. Konzepte und Anregungen für die Praxis. 2. Auf-
lage: Luchterhand 2004.
WEINS, Alain: Schule und Motivation. 1. Auflage: Books on Demand 2009.
WERNER, Wilfried: Motivation bei Schülern. 1. Auflage, Norderstedt: Grin Verlag 2004.
WEßLING-LÜNNEMANN, Gerburgis: Motivationsförderung im Unterricht. Göttingen:
Verlag für Psychologie 1985.
40
12 Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1, Seite 13: Personen-Umwelt-Bezug aus: Rheinberg, F.: Motivation.
Grundriss der Psychologie, Band 6. 7. aktualisierte Auflage. Seite 70. Stuttgart: Kohl-
hammer 2008:„Das Grundmodell der „klassischen“ Motivationspsychologie“
Abbildung 2, Seite 14: Zusammenhang Aufgabenschwierigkeit und Moti-
vation aus: Rheinberg, F.: Motivation. Grundriss der Psychologie, Band 6. 7. aktuali-
sierte Auflage. Seite 72. Stuttgart: Kohlhammer 2008:„Die Kurve aufsuchender Leis-
tungsmotivation im Risikowahl-Modell, modifiziert nach Atkinson (1957)“
Abbildung 3, Seite 16: Eigene Darstellung
Abbildung 4, Seite 18: aus: Rheinberg, F.: Motivation. Grundriss der Psychologie,
Band 6. 7. aktualisierte Auflage. Seite 82. Stuttgart: Kohlhammer 2008:„Ein Schema
zur Klassifikation von Ursachen, mit denen häufig Leistungen erklärt werden (modifi-
ziert nach Weiner et al. 1971)“
Abbildung 5, Seite 20: aus: Rheinberg, F.: Motivation. Grundriss der Psychologie,
Band 6. 7. aktualisierte Auflage. Seite 86. Stuttgart: Kohlhammer 2008:„Das Selbstbe-
wertungsmodell der Leistungsmotivation (Heckhausen 1972)“
Abbildung 6, Seite 25: Erweitertes Kognitives Motivationsmodell aus: Rhein-
berg, F.: Motivation. Grundriss der Psychologie, Band 6. 7. aktualisierte Auflage. Seite
134. Stuttgart: Kohlhammer 2008:„Die aussagenlogische Fassung des Erweiterten
kognitiven Motivationsmodells (nach Heckhausen & Rheinberg 1980)“
Abbildung 7, Seite 33: Das Rubikonmodell des Handelns aus: Rheinberg, F.:
Motivation. Grundriss der Psychologie, Band 6. 7. aktualisierte Auflage. Seite 189.
Stuttgart: Kohlhammer 2008:„Das Rubikonmodell des Handelns (modifiziert nach
Heckhausen 1989)
41
13 Quellen
GRAWE, K.: Psychologische Therapie. Göttingen: Hogrefe Verlag 2000.
HECKHAUSEN, H.: Motivation und Handeln. Berlin: Springer 1989.
KUHL, J.: Motivation und Persönlichkeit. Interaktionen psychischer Systeme. Göttin-
gen: Hogrefe-Verlag 2001.
RHEINBERG, F.: Motivation. Stuttgart: Kohlhammer 2008.
WEINERT, F.E. (Hrsg.): Leistungsmessung in Schulen. Weinheim: Beltz 2001.
42
Servicestelle Nachqualifizierung Westbrandenburg
BBJ Consult AGE-Mail: [email protected]
www.nachqualifizierung.info