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i . lerne'und arbeite! OECD-Report über ,,Ausbildung und Praxis im periodischen Wechsel" <- Was da so umständlich unter dcm dcut- schen Titel ,,Ausbildung und Praxis im periodischen Wechscl" (Recurrent Educa- tion) daherkommt, präscnticrt sich als Al- ternativc fur mehr oder wcnigcr das gc4:im- te Erziehungszystcm. Der Grundgcdankc klingt interessant: weder will man cs zu- kunftig dabei bewendet sein l a w n . privilc- gierte Schuler 13 oder gar 17 Jahre (odcr gar noch länger) hauptsächlich in Schulcn und Hochschulcn lerncn zu lassen Noch setzt man auf die ganz großc Umw2l7ung, in deren Folge dann inctitutionalisicrtcz Lernen schnell Uherfliissig wird. wcil Thco- rie und Praxis ineinander aufgchcn. Ange- peilt wird vielmchr cin Ichcnslanger ständi- ger Wechsel zwischen Lern- und Arbeits- phascn. Ahcr ist diese Idee wirklich so reali- stisch? Und so neu? Erfordert nicht auch der bescheidenere Vorschlag .,Recurrent Education" Veränderungen unscrer gesell- schaftlichen Erziehungcwirklichkcit, die Redaktion: Wolfgang Geisler Umschlag: Chlodwig Poth Fotos: Klaus Rose Dic OECD (Organisation Ciir wirtwhaft- Iich c Zusa m me n ;i rhc i t und En t w ic k I u n e). deren BRD-Landcrcxamen ..Bildiingswc- sen. mangelhaft"' vor gut cincm Jahr cinigcn Stauh nufuirhcltc. Icgt niin cincn ,,klärenden Rcport" (cngli\clicr Untcrti- tel) vor, aus dem \ich ablcscn IäRt. ob dcr Gedankc dcr .,Atishildiing und Praxis im pcriodischcn Wcchscl" mchr ist nls ein leider utopischer Vorschlag. h : c dohuincn- ticrt Ausschnitte aus dicscm ßcrichi und Icgt Kritik nahc. eben doch weit über das hinauzgchcn. was Kapital und Staat zu investicrcn bereit sind? Erfullt der OECD-Report viellcicht so- gar Feigenblattfunkiion? Man lieit ihn. lobi ihn und legt ihn als idealistischcs Gespinst bedauernd zur Seite - in jcnc Schublade, in der schon so viele Papicre mit ,,schönen Gedanken" gewandert sind. I Bildungswcsen: rnangclhiilt. BRD-Ri/- dungsppolitik irn OECD-Liiiidcrcxömen, Frankíurt.'M.: Dicstcrwcg 197.3 Zur Kritik: Holgcr H Liihrig (Hrsg.): Wirtschaítsricíe - Bildungtziicrg Der Diskusiionshintcrgrund zum Rildungs- gcsamtplan 1973: Analyscn dcí OEC'D- Rcports. Reinbck: rororo aktucll 1660 1973.

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lerne'und arbeite!

OECD-Report über ,,Ausbildung und Praxis im periodischen

Wechsel"

<- Was da so umständlich unter dcm dcut- schen Titel ,,Ausbildung und Praxis im periodischen Wechscl" (Recurrent Educa- tion) daherkommt, präscnticrt sich als Al- ternativc f u r mehr oder wcnigcr das gc4:im- te Erziehungszystcm. Der Grundgcdankc klingt interessant: weder will man cs zu- kunftig dabei bewendet sein l a w n . privilc- gierte Schuler 13 oder gar 17 Jahre (odcr gar noch länger) hauptsächlich in Schulcn und Hochschulcn lerncn zu lassen Noch setzt man auf die ganz großc Umw2l7ung, in deren Folge dann inctitutionalisicrtcz Lernen schnell Uherfliissig wird. wcil Thco- rie und Praxis ineinander aufgchcn. Ange- peilt wird vielmchr cin Ichcnslanger ständi- ger Wechsel zwischen Lern- und Arbeits- phascn.

Ahcr ist diese Idee wirklich so reali- stisch? Und so neu? Erfordert nicht auch der bescheidenere Vorschlag .,Recurrent Education" Veränderungen unscrer gesell- schaftlichen Erziehungcwirklichkcit, die

Redaktion: Wolfgang Geisler

Umschlag: Chlodwig Poth Fotos: Klaus Rose

Dic OECD (Organisation Ciir wirtwhaft- Iich c Zusa m m e n ;i rhc i t und En t w ic k I u n e ) . deren BRD-Landcrcxamen ..Bildiingswc- sen. mangelhaft"' vor gut cincm Jahr cinigcn Stauh nufuirhcltc. Icgt niin cincn ,,klärenden Rcport" (cngli\clicr Untcrti- tel) vor, aus dem \ich ablcscn IäRt. ob dcr Gedankc dcr .,Atishildiing und Praxis im pcriodischcn Wcchscl" mchr ist nls ein leider utopischer Vorschlag. h : c dohuincn- ticrt Ausschnitte aus dicscm ßcrichi und Icgt Kr i t i k nahc.

eben doch weit über das hinauzgchcn. was Kapital und Staat zu investicrcn bereit sind?

Erfullt der OECD-Report viellcicht so- gar Feigenblattfunkiion? Man lieit ihn. lobi ihn und legt ihn als idealistischcs Gespinst bedauernd zur Seite - i n jcnc Schublade, in der schon so viele Papicre mit ,,schönen Gedanken" gewandert sind.

I Bildungswcsen: rnangclhiilt. BRD-Ri/- dungsppolitik irn OECD-Liiiidcrcxömen, Frankíurt.'M.: Dicstcrwcg 197.3 Zur Kritik: Holgcr H Liihrig (Hrsg.): Wirtschaítsricíe - Bildungtziicrg Der Diskusiionshintcrgrund zum Rildungs- gcsamtplan 1973: Analyscn dcí OEC'D- Rcports. Reinbck: rororo aktucll 1660 1973.

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Dalin, Kallen und Bengtsson, die Autoren des vorliegenden Reports, stellen an ihre Arbeit den Anspruch, ,,eine echte, vollwertige Alternative zum gegenwärtigen Biidungssystem zu sein, die in der Gesellschaft der Zukunft wirksam sein und den Nachteilen des derzeitigen Schulsystems ein Ende be- reiten wird."

J. R. Grass, Direktor des Zentrums fü r Bildungsforschung und -innovation der O E C D ist daschon vorsichtiger: wie iiberzeugend ,,die Argumente für die periodische Ausbildung auch sein mö- gen - es wäre dennoch naiv, einen größeren Umschwung zu erwarten. Er- ziehung ist zu subtil, zu komplex, als daß

man sich von Gewaltkuren Erfolg ver- sprechen könnte: Ausbildung und Pra- xis im periodischen Wechsel will daher nicht sofortige, radikale Veränderung bringen, sondern eher als ein Rahmen verstanden werden, innerhalb dessen sich eine größere, schrittweise zu voll- ziehende bildungspolitische Neuorien- tierung verwirklichen Iäßt."

Wie alternativ ist die Alternative ,,Ausbildung und Praxis im periodi- schen Wechsel" wirklich? Oder stellt der Vorschlag das Ei des Kolumbus dar, das uns die Radikalität von Kritik und Veränderung unseres Bildungswesens erspart?

iusbilduncl und Praxis irn jeriodischen Wechsel iecurrent Education": Ein Beitrag des Zentrums für Bil- ingsforschung und -innovation (CERI) der OECD

;e Dalin, Denis Kallen, Jarl Bengtsson ' 3 . ,,Ausbildung und Praxis irn periodi-

Wechsel" ist eine umfasende Bil- igsstrategie f u r den gesamten Bereich

auf die Pflichtschul- bzw Grundhil- .~gsphase folgenden Aushilduiig und iterbildung. Ihr wesentliches Charakte- ]hum ist die Streuung der Au5hildung r die gesamte Lehensdauer des Indivi- inis, und zwar im periodischen Wechsel,

, I alternierend mit andercn Formen der iivitat - hauptsächlich mit Berufsarbeit. rauch mit Freizeit und Ruhestandg.

'4 . Diese Definition eines auf dem L.hsekon Ausbildung und Praxis beru- der :dungssystems enthalt zwei we- iliche Elemente: Sie zeigt eine Alternative zum her- hommlichen System, das die gesamte hchulische, sowie alle Vollzeit-Ausbil- dung auf die Jugend (das heißt: auf den I>ebensabschnitt zwischen dem vollen- Jeten funften, sechsten oder siebenten i.ebensjahriO und dem Eintritt in das Ikrufsleben) konzentriert, und sic h t L.ine Streuung der sich an die Pflicht- chulzeit anschließenden weiteren Aus- Iddung über das gesamte Leben des L-inzelnen vor. Damit akzeptiert sie das Prinzip lebenslangen Lernens.

1 lie deutsche ubersetzung des Reports iigte Joachim Rehork an. Sie wurde uns rndlichcrweise vom Sekretariat der iidigen Konferenz der Kultusminisfer

Lander in der Bundcsrepublik titschland zur Veríugung gestellt. Trotz /;ingrcicher Kurzungen, die durch Aus- , irngszeichen kenntlich gemacht wur- I . haben wir die durchgehende Numerie- .L: der Absätze aus der Originalfassung inommen und auch dic ursprunglichc

: I Jerk ungszähl weise beihe ha It en.

b) Sie bietet einen Rahmen an, innerhalb dessen die Organisation lebenslangen Lernenr durchfuhrbar ist: Ein Alternie- ren und eine ständige aktive Wechscl- beziehung zwischen Ausbildung als strukturierter Lernsituation und ande- ren sozialen Aktivitäten, bei denen beilaufige Lernprozesse stattfinden.

25. Wie immer ein solcher Wechsel im einzelnen stattfinden und beschaffen sein mag: sein wesentliches Charakteristikum ist die Kontinuitat des Lernens während des gesamten Lebens, wobei eine gegensei- tige Befruchtung und Bereicherung zwi- schen der in den Ausbildungsphasen ge- wonnenen strukturierten Lernerfahrung u qd der u nst r u k t ur ie r te n Lerner f a h rung aus anderen Bereichen sozialer Aktivität stattfindet.

26. Auf der gegenwärtigen Stufe lassen sich die Merkmale eines Systems periodi- scher Aus- und Weiterbildung im Wechsel mit der Praxis noch nicht in allen Einzelhei- ten umreißen. Hervorgehoben sei jedoch eins: Dem Vorschlag, ein solches System einzuführen, liegt keineswegs die Absicht zugrunde, den fur unser derzeitiges Bil- dungswesen so bezeichnenden Typ institu- tionalisierten Schulbetriebs auf Erwach- sene zu übertragen. Es wäre absurd, die Mangel, die das herkömmliche System aufweist, auf diese Weise in einem anderen Bereich (bzw. auf einer anderen Ebene) zu reproduzieren. Vielmehr geht es in der vorliegenden Grundsatzstudie hauptsach- lich darum, die heute jüngeren Menschen - teilweise nur bis zum Alter von 14-15 10 Oder auch vom vollendeten dritten

oder vierten Lebensjahr an, wenn Vor- schulerziehung zur allgemeinen Praxis wird und man dabei das Ifauptgewichf auf deren schulische Funktion legt.

Thema: Lerne und arbeke!

Jahren, im Fall einiger, privilegierter Ju- gendlicher bis zu 24-25 Jahren - zur Verfugung stehenden Bildungsmöglichkei- ten essentiell fur jeden während seiner gesamten Lebenszeit zugänglich zu ma- chen. Ganz zwangsläufig setzt dies ein gewisses Maß und gewisse Formen der ,,Entschulung" voraus und bedingt zu- gleich neue, auf dem Weg zum angestreh- ten Ziel geeignetere Lernsituationen als die institutionalisierte Schule

27. ,,Ausbildung und Praxis im periodi- schen Wechsel'' bedeutet daher: gesamtes Bildungsangebot an Erwachsene, und zwar im Sinne einer Ausbildung nach dem Ce- nügen der Schulpflicht. Es handelt sich um eine umfassende Alternativstrategie zu drei gegenwärtig völlig beziehungslos ne- beneinandcr herlaufenden Zweigen der Weiterbildung: a) zum herkömmlichen System schuli-

scher Bildung nach Ableistung der Schulpflicht (es umfaßt die Oberstufe der Sekundarschulen und das postse- kundare Bildungswesen);

b) zur berufsbegleitenden Aus- und Wei- terbildung jeder Art und auf allen Ebenen (zumeist von privater Hand organisiert); und schließlich

c) zur Erwachsenenbildung im engeren Sinn all jener zahllosen und vielfältigen Einrichtungen für Erwachsene, die hauptsächlich unter Begriffe wie ,,in- formation-culture"" oder ,,allgemein- bildend orientiert" fallen. Prototyp sind die ,,Volkshochschulen" im deutschen Sprachgebiet sowie die ,,folkeshbgsko- le" im skandinavischen Raum, insbe- sondere die ,,freiwilligen Studicnzir- kel"", die oft in enger Beziehung zur ,.folkeshQgskole" arbeiten Traditionel- les Hauptziel der betreffenden Einrich- tungen war es, weiten Bevölkcrungs- kreisen - insbesondere denen, die ver- hältnismäßig fruh die Schule verlassen mußten - Zugang zur Bildung zu ver- mitteln und ihnen damit großere Mög- lichkeiten der Persönlichkeitsentfal- tung sowie kultureller Bereicherung zu erschließen.

28. In zahlreichen OECD-Mitgliedsstaa- ten sind die beiden letztgenannten Bil- du ngszw eige s y s t e m a t i sc h u nd organisa t o- risch völlig vom konventionellen Pflicht- schulwesen und von der Aushildung nach der Pflichtschulzeit getrennt. Außerdem fehlt zwischen allen drei Zweigen jegliche Koordination, was Bildungspolitik, Her- kunft und Verteilung der Mittel, Gestal- tung der Unterrichtsprogramme und Beno- tung angeht. Jeder auf seine eigene Weise, ergänzen. ja ersetzen sie einander sehr weitgehend. 1 I Diescr Terminus wurde von H. Janne

gepragi, und zwar in: .,Permanent edu- cation, an agent of change" (in: ,,Pt-r- manent Education", Straßburg: Euro- parar 1970).

12 Vgl A. Dalin: .,Recurrent Education in Norway", in der Reihe: Recurrent Education: Policy and Developmcnt in OECD Counrries, CERI/OECD I Y72 (vervielfältigt es Dok umcnt).

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.I I I cruehungNr 3 I Min 1974 3174 I 7

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Thema: lerne und arbeite!

29. Hinzugefügt sei. daß zwar unahhan- gig von den oben erwahnten drei ßilduiigs- Zweigen, aher in cnger Verhindung mit ihncn. die Einrichtung eines ,.Zweiten Bil- dungsweges" für Erwachsene besteht. Auf i h m lassen sich im Prinzip die glcichcn Qualifikationen erwerben wie in dem auf der Pflichischulc aufhauendcn öffentlichcn Bildungswesen und-dies gilt hesonders f ü r schulisch weniger entwickelte Gehicte - auch im öffentlichen Pflichtschulwesen.

30. Besonders in den skandinavicchen Ländern sind sowohl die ..Volkshochschu- len" als auch ein großer Teil dcr die Schule ergänzenden Erwachsenenforthildunp Be- standteil des regulären Bildungswesens oder hefinden sich zumindest im Einfluß- bereich der öffentlichen Bildungspolitik, zu deren Aufgaben man in Skandinavien eine

Abhilfe für die hlängel des regulären Schulsystems durch entsprechende Er- wachsenenbildung rcchnet.

3 1. Eine Strategie für eine Ausbildung in periodischem Wechsel mit der Praxis hätte daher in einem einheitlichen bil- dungspolitischen Gesamtrahmen sämtliche auf der Pflichtschule aufbauende Systeme zu erfasscn. Dabei versteht sich von s e h t , daß auch die Pflichtschulerziehung in dic- sen Rahmen einzubeziehen wäre. Aller- dings gälte das Prinzip periodischen Alicr- nierens noch nicht für sie, sondern erst vom Abschluß der Pflichtschulzeit an.

32. Irrelevant ist die Frage, o b der eine oder andere Typ der Erwachsenenbildung oder der berufsbegleitenden Ausbildung sich besonders eignet, in ein künftiges ,,System" integriert oder gar von ihm absorbiert zu werden. Wie bei jeder ande-

ren Politik werden auch im Fall einer Politik periodischer Aushildung manche Programme den Hauptzielcn, die man sich gesteckt hat, nähcr kommcn als andere. und i n diesem -bereits eingeengten - Sinne Iäßt sich sagen, daß die in Frage kommcn- den Programme stärkcr das Prinzip dcr ,,regelmäßigen Wicdcrkehr" vcrwirklichcn werden als andkre. Miiglich ist ahcr auch, daß ein bestimmtes Programm. je stärker es aiif die Hauptziele der ins Auge gefaßten Politik hin orientiert wird. desto stärkcr den Charakter der ,.Wiederkehr" im stren- gen Sinne annimmt -das hcißt den Charak- ter einer Bildungsperiode oder -stufe, die mit anderen sozialen Aktivitäten alterniert und hinsichtlich der Wahl von Ort und Zeit sowie der Prägung relativ unabhängig ist. (. . .) 35. Bei der Ausarbeitung der Hauptzü-

Werner Markert

Mehr Wunsch als Analyse Bietet OECD-Report eine realistische Perspektive?

Die Konzeption der .,Ausbildung und Praxis im periodischen Wechsel" (recur- rent education), die sich als ,,vollwertige. Alternative zum gegenwärtigen Bil- dungssystem" versteht, hätte als realisti- sche Perspektive konkret anzugehen. un- ter welchen gesellschaftlichen Bedingun- gen ,,recurrent education" zu einer .,dau- ernden Lebensform" werden kann. Daß Bildungsreform als isolierte Erscheinung keine gesellschaftsverändernde Kraft darstellt, wird erkannt: es bedarf der ,,Koordination der Bildungspolitik und Politik im sozio-ökonomischen Bereich".

Die zentrale Frage, die sich daraus ableitet - vermag der Bericht den An- spruch zu erfüllen, im Rahmen einer Strukturanalyse der sozio-ökonomischen Arbeits- und lebenshedingungen in OECD-Ländern die politischen Realisie- rungschancen adäquat einzuschätzen

Werner Markert (32). Wiss. Mitarbeiter im Fachbereich Gese~lschaltswissenschaften der Universität FranklurtIM.. arbeitet Über Theorie und Praxis der polytechnischen Bildung

oder stellt e r einer der vielen expertokra- tischen Zukunftsspekulationen dar, die allenfalls der Selbstbestätigung ihrer Pro- duzenten dienen? - verweist auf drei Hauptprobleme, die hier in Umrissen analysiert werden sollen:

1. Darstellung der prognostizierten gesellschaftlichen Entwicklungsten- denzen; 2. Verständnis des intendierten bil- dungs- und gesellschaftspolitishen Leit- Prinzips. ,Mitbestimmung';

3. Einschätziing bestehender gesell- schaftlicher Herrschafts- und Konflikt- verhältnisse in ihrer Relevanz für die Realisierung des Konzepts.

1. Gesellschaftliche Ent- wicklung

Die Interpretation gesellschaftlicher Entwicklungstendenzen bleibt weitge- hend einer technologischen Ideologie verhaftet. die technischen Fortschritt und gesellschaftlichen Wandel in einem linear fortschreitenden Verhältnis sieht: ,,Dem Konzept der periodischen Ausbildung liegt die überlegung zugrunde. daß in einer Gesellschaft, die rapiden Anderun- gen unterworfen ist. das ganze Leben hindurch ein Lernprozeß stattfinden muß, und zwar nicht nur bei einigen wenigen Auserlesenen, sondern bei je- dem einzelnen".

Dieses Motiv wiederholt sich im Be- richt mehrfach. So lautet die Kernthese zur Charakterisierung der ,,Arbeitswelt": ,,Zunehmend raschere technische Verän- derungen und die beständige Wandlung der Organisationsrnuster im Arbeitsbe- reich haben unmittelbaren Einfluß auf die Bedingungen, die der einzelne in seiner Arkitssituation antrifft und mitgestal- tet". D a sich ,,unsere Gesellscheft zu einer .Gesellschaft des Wissens' entwik- kelt, entstehen ,.sich stürmisch ändernde Bedürfnisse nach qualifizierten Arbeits- kraften".

Das in der B R D durch Schelsky in den ,,Deutschen Ausschuß für das Erzie- hungs- und Bildungswesen" eingegange- ne und den neueren Konzeptionen zur .,Arbeitslehre" (Blankertz/Groth. Klafki u. a.) zugrundeliegende lineare Technik- Verständnis beherrscht auch ungehro- chen die Prognosen zum gesellschaftli- chen Fortschritt des OECD-Berichts ,,re- current education".

Die seit der KerníSchumann-Studie empirisch mehrfach aufgezeigte (vgl. SO- FI-Vorstudie ,,Produktion und Qualifi- kation", Göttingen 1973) Entwickiungs- tendenz von Qualifikationsanforderun- gen im Bereich der industriellen Arbeit (Die ,,technische Entwicklung" führt zu einer Polarisierung der Belegschaften an den technisch fortgeschrittenen Aggrega- ten" (Kern/Schumann)] widerlegt die These einer generellen Höherqualifizie- rung. Die gegebene Qualifikationsstruk- tur der Arbeitskräfte stellt für das Einzel- kapital in der Regel keine Limitierungs- bedingung für Investitionsentscheidun- gen und technische Veränderungen des Produktionsprozesses dar. Die veränder- ten Qualifikationsanforderungen werden innerbetrieblich durch primär empirisch- praktisches Anlernen am neuen Arheiis- platz eingeübt. Für eine Ausbildung grundlegend neuer Qualifikationen be- steht keine Notwendigkeit. Von der Seite einzelkapitalistischer Interessen er- scheint ,recurrent education" ökono- misch dysfunktional.

2. Leitprinzip Mitbestim- mung

Das bildungs- und gesellschaftspoliti- sche Leitprinzip .Mitbestimmung' ver- weist indessen auf eine Parteinahme für die Interessen des einzelnen. ,.recurrent education" soll nicht als ,.berufsbeglei- tende Forîhildung" für die Industrie ver- standen werden, beansprucht als ,.Grundrecht des einzelnen . . .. seine

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Thema: Lerne und arbeite!

cc eines Systems periodisch mit der Praxis .ilternierender Ausbildung sollten - unbe- \chadet nationaler Sonderregclungen - die clcichen Grundprinzipien mal3gehend sein 1:s sind dies: A ) die letzten Jahre der Pflichtschulzeit

sollten vom Lehrplan her so gcstaltrt werden, diiß sic jedem Schulcr cine echte Entscheidung zwischcn wcitcrcrn Studium und BcrufsLirhcit criiiogli- chen;

I)) jederzeit nach dem Vcrliisscn dcr Pflichtschulc sollte der Zugang z u einer weiterfuhrenden Ausbildung garan- tiert sein;

c.) das Angebot der Möglichkeiten sollte 5 0 beschaffen sein, d:iß Bildung und A us h i I d u n g jede m e i n ie I ne n o f f e ns t e- hen, wo und wann immer er sic bcno- tigt;

d) bei den Zulassungsbestimmungen und der Lehrplangestaltung sollten Ar- beitswelt und andere soziale Erfahrun- gen als Grundelemente betrachtet werden;

e ) es sollte nicht nur möglich sein,sondern als ein wesentliches Element des ncucn Konzeptes angesehen werden, daß jede Laufhahn hunftig intermitticrend, d. h.: mit Unterbrechungen, die durch Wech\el zwischcn Studien und prakti- scher Arbeit bedingt sind, beschrittcii werden kaiin;

f ) Untcrrichtspläne, -inhalte und Lehr- rncthoden sollten in Zusarnmenarheit niit den beteiligten Interessengruppen (Studenten, Lehrer, Verwaltungsfach- leute usw.) entwickelt werden und die Interessen sowic die unterschiedliche Motivation der vcrschiedenen Alters-

Lukunft selbst zu bestimmen", in dem er ..an den Entscheidungen über sämtliche Aspekte des Systems . . . beteiligi ist". Mitbestimmung könne nur in einem ,,ent- \prechenden sozialen und politischen Kontext" verwirklicht werden.

Doch eine konkrete gesellschaftspoliti- \che Zielkonzeption fehlt: vernachlässigt \chon die ungebrochen optimistische Ein- \chätzung der gesellschaftlichen Entwick- iungstendenzen eine empirisch und ge- \ellschaftstheoretisch fundierte Analyse des Verhältnisses von technischem Fort- \chritt, ökonomischen Interessen und in- dividuellen sowie kollektiven Entfal- tungschancen, so versandet der Mit- und Selbsibesiimmungsappell des Berichts in der Sozialpartneriàeologie.

3. Herrschaft und Konflikt r" zweifellos gesellschaftspolitisch

lirisli,iren Intentionen der Konzeption ciner ,,recurrent education". der einzelne inusse eine ,,konstruktive, kreative Rolle bei Planung und Beschlußfassung" über Inhalte und Ziele des Systems spielen, dies bedeute Wechsel zwischen Berufsar- licit und ,,Freizeit" ,,freiwillige Arbeitslo- \¡ekeit" und fuhre zu einem ,,ständigen Hotationsprozeß', der letztlich ,,einen Wandel der gesellschaftlichen Priorita- ten" wie ,,eine Anderung der sozio-politi- \chen Zielsetzungen" bedinge, verweisen im Prinzip auf den sozialistischen Gedaii- ken der Selbstverwaltung. Wenn danach als ,,eines der Hauptprobleme . . . die weitgchende Einbeziehung der Sozial- partner in den Planungsprozeß" bezeich- iiet wird, um durch eine ,.moglichst weit- gehende übereinkunft zwischen den So- zialpartnern" ,,das Risiko" zu vermciden, tlaß ,,Ausbildung im Wechsel mit Praxis

. , als ein störendes, ja den Betrieb chädigendes Element. verschrieen" wird. enthüllt sich das Leitprinzip ,Mithe- \timmung' als praktisch folgenloses, ver- hales Postulat.

Gesellschaftliche Herrschaftsverhält- nisse werden ebenfalls nur als eines von mehreren Problemen der Realisierungs- bedingungen thematisiert: ,,Da Produk- tion und Anwendung von Wissen meist von einer Minderheit kontrolliert wer- den, . . . zieht der Komplex ,Wissen und Macht' als eines der Grundprobleme der modernen Industriegesellschaft immer mehr Aufmerksamkeit auf sich". Das Phänomen wird konstatiert, die Diskus- sion politisch-gesellschaftlicher Verände- rungsstrategien bleibt ein Tabu.

Resümee ,,Recurrent education" vermittelt zu-

mindest für die Erwachsenenbildung in- teressante Perspektiven als etwa die Kon- zeption des Bildungsrates für eine ,,stän- dige Weiterbildung", bleibt aber der praktisch folgenlosen Funktion der tradi- tionellen padagogischen Zielorientierung einer ,,Erziehung zur Mindigkeit" imma- nent. indem sie die Analyse realer ökono- mischer Herrschaftsverhältnisse systema- tisch ausblendet.

Die aktuellen Diskussionen in der Er- wachsenenbildung, gekennzeichnet durch die Konzeption einer ,,Synthese von beruflicher und politischer Bildung" wie die gewerkschaftlichen Vorstellungen zum ,.Bildungsurlaub" beanspruchen zwar nicht eine strukturelle Neuorientie- rung des gesamten ßiidungssystems, be- wegen sich aber in einem weniger gesell- schaftsblinden. futurologischen Rahmen.

Dies markiert auch die eigentliche Relevanz der Studie: ,,recurrent educa- tion" verweist auf eine generelle Reform des Bildungssystems nicht allein isolierter Bereiche. Doch stellt ,,Ausbildung und Praxis im periodischen Wechsel" nicht ,,etwas völlig Neues dar". Sollte den Autoren unbekannt sein, daß bereits Marx fur die Erziehung der Arbeiter eine ,,Verbindung von produktiver Arbeit und Unterrichi" postulierte?

stufen und Sozialgruppen berücksich- tigen;

g) Grade und Zeugnisse sollten nicht mehr als ,,Endresultate" eines Bildungswe- ges, sondern eher als Stufen und Weg- weiser zu einem Prozeß lebenslanger Weiterbildung, lebenslanger bcrufli- cher und lebenslanger perstinlicher Entwicklung gewertet werden;

h) schließlich sollte der Gesetzgebcr je- dem cinzeliicn nach Ahschliiß der Pflicht\chiilc &lb Recht einriumen. pc- ri»di\ch ßildung4iirlaub zu nehmen, ohne dabei den Verlust seiner Stellung und damit seiner pcrsönlichen Sicher- heit zu riskieren. 36 Dieses Verzcichnis ist keineswegs

erschopfend. Zu betonen ist: a/ /e angcfiihr- ten Prinzipien (und vielleicht noch andere, die es erst noch auszuarbeiten gilt) musscn in die Strategie eineh Wechsel4 zwischen Ausbildung und Berufspraxis integriert werden. Nur ganz wenige der obigen Punk- te treffen hereits auf die zahlreichen Er- wachsenenbildungsprogramme zu, dic es z. 2 . gibt. Ihre Schwache liegt darin, diiß \ie fur ein umfassendes Problem nur Teillo- sungen anbieten und nur einige Zwange lindern - obwohl die Problematik die gesamte Gesellschaftssituation ebenso wie die Situation deb einzelnen betrifft" (. . )

Ausbildung im periodischen

Wechsel mit Praxis und ihrverhättnis zu den angestrebten

Bildungszielen JI. (. . .) ihrem Wesen nach ist Bildung

ebenso Triebkraft fur Veränderungen, wie sie Triebkraft fur Konservatisniu\ und Tra- ditionsbindung ist. Einerseits entspricht cs ebenso ihrer Funktion, sich an gegebenen, gesellschaftlich relevanten Wertvorstcllun- gen und Strukturen zu orientieren, wie sie andererseits gleichfalls von ihrer Funktion her darauf angelegt ist, Überkommene Werte und Strukturen auf die Probe zu stellen und den Grund zugesellschaftlichcn Veranderungcn zu legen. Allcrding4 ist der Spiclraiim fur die erncucrnde Kraft der Bildung begrenzt durch die jeweils vor- herrschenden Wertvorstellungcn ciner Gc- sellschaft. durch die Aufnahmehcrcitschaft dieser Gesellschaft, begrenzt schließlich auch durch dic Bcdeutungdcr bestehenden Bildungseinrichtungcn und sozialen Mau- nahmen f u r die ßcdurfnisse des einzelnen.

42 Akzeptiert man dieses Prinzip,diesc doppelte Bedeutung der Erziehung für dic Gesellschaft, so crgcben \ich diiraus wcit- reichrndc Folgerungcn fur die Diskussion eines periodischen Wechsels zwischen Ausbildung und Praxis (oder anderen Ak- tivititen):

heirilli erzichung Nr 3 I Mari I V 7 4 3 . 7 4 19

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lema: Lerne und arbeite!

I Periodisches Altcrnicrcn zwischen Aushildung, Praxis und andcrcn Tätig- keiten ist ein Konzept cincr bildungs- politicchen Altcrnativstratcgic. dcrcn Lcitprin~ip das Grundrecht des ein7,cl- ncn ist. seinc Zukunft seihst zii bcsrim- men. Daraus ergibt sich cinci dcr wc- scntlichstcn Merkmale der ncucn Str;i- tegie: sic bcinhaltct ein Loskommen von einem st a rrcii. i m t i t utionaliiie rt cn Systcm, das Schiiicrn und Stuciciiten seine Werivorstcllungcn und Ziclsct- zungcn aufcirärtgt, unci \ic hcdcutct wcitcrhin h t u k k l i i n g cincs Rahrncns, innerhalb dciceq der cinzclnc an den Entschcidungcn uher <amtliche A4pck- te des Sysicms - cin\clilicßlich der anzustrebendcn Ziele, aber auch dcr Mittel und Wcgc. sic zu crrcichcn - hctciligt i s t . Doch ohnc entsprcchcn- dcn sozialen und politwhen Kontrxt ist cinc Jerarligc Mithcstimmiing bei Entschlüsscn nichts als Ncbcl um dic Politik, die genau dai ficgrntcil von dem bewirkt. wits sie hchaitptsi. Dic Fähigkeit. eigene Zielwrstcllungcn zu entwickeln und politische Ent- srheidungcn 7u tällcn, ist ja gerade erst das Resultat einer Strategic dcr periodischen Ausbildung, deren Ziel cs ist. dcr ctnzclncn Pcrxinlichkcit vollen EntHiicklungrspiclraum zu gchcn und wirklichc Glcichheit der Bildungschan- cen zu schaffen. Es bcstcht folglich auch kein Widerspruch zwischcn dcm Vorrang dieser SirIr und dem Grund- satz der Selhsthcstimmung: dícsc kann w i t dann voll wirksam werden, wenn die heidcn obengenannten Ziele auch erreicht si l id Sic schafft daniit auch die Voraiiçsetzungcn f i i r die Frcihcit, xu- sätzlichc Zielc an7ustrchen und den Vorrang der geltenden Ziele in Fragc zu stellen.

b) Eine Darlegung der Ztelc, von dcncn man erwartet, daB pcriodisch mit Pra- xis alternierende Ausbildung sic Er- reicht, mu8 unter iolpcndem Aspekt betrachtet werdcii: Von alternierender Ausbildung erwartet man cinc wirksa- mere Strategic - wirksamer im Hin- blick auf das. Erreichen wesentlichcr Bildungszicle -I als sie dem traditioncl- \en Bitdungswcicn hcstátigt wcrdcn kann. Dic sthrkste Motivation fur den Vorschlag cines altcrnicrendcn Sy- stems erwächst aus der Unzufrieden- heit mit dem Leistunps\,erm¿?gcn des derzeitigen Erzichun s- und Rildungs- wcïens und aus der 8hcrzcugung dnß dcsscn weitere Expansion die Lagc nicht verbessern, sondern woniciglich noch verschlimmcrn würde. (. .)

c-

F

--

Individuelle Entwicklung

43 Es stcht ZU erwarten, daB periodisch mit Praxis abwechselndc Ausbildung f u r

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die volle Entwicklung der Fähigketten dc i einzelnen (und gleichzeitig damit seiner Motivationen und Intercssen) bessere Chancen bietet als das gcgcnwartígc Sy- stem Diese Fcststcllung grúndct sich auf zwei Hauptargumente: a ) Die Interaktion zwischen Erb- und

Milieufaktoren bei der Eniwickliing menschlichcr Fähigkeitrn, inshcsonde- re dcr Intelligenz. wie groß auch immer der Anteil des Angeborenen scin mag- in jedem sozial relevantcn Sinn ist Entwicklung dcr Iniclligcnz «der i r - gcndwclc hcr Fähigkci t cn cinc Fun k - tion des Intrrcssesan, bzw. der Motiva- i ion zu gcwissen Leistungen, cine Moti- vation, die ihrerscits in hnhcm Maf ic vom natürlichcn odcr sozialen Milicii abhangt. in dem der einzelne lebt. Solange ein Mensch lebt, befindet sich scin Können in einer ständigen Ent- wicklung. und diese Entwicklung wie- derum steht in engem Zusammenhang mit dcr Stimulation durch Milieu und Umgebung. Um aber sinnvoll cinietz- bar zu sein, bedarf das ,,Rohmaicrial" bloßer Fähigkeit einer Formung durch Erziehung und Bildung. dtc allerdings nicht notwendigerweise in der Schulc stattfinden muB. Lxrnmotivation variiert je nach dem individuellen Entw¡cklungsmustcr. Zahlreiche Kinder und Jugendliche al- ler sozialen Schichten kranken am Phä- nomen der ,,Schulmudigkeif". Doch auch hier spielt dcr soziale Hintergrund cinc entscheidende Rolle: je höhcr dic gesellschaftiiche Plattform dieses Hin- tergrunds fúr einen Schüler ist, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, daß Druck von außen (durch Eltcrn. Glcichaltrigengruppc oder Lchrcr) dcn Mangcl an eigener Motivation aus- gleicht.

b) Einc zweite sehr wichtige Oiiellc der Lcrnmotivation ist ,,praktische Lehcm- errahrung". Im hrutigcn Cystcm eincr keine Unterbrechung duldcndcn, hnch- gradig strukturierten und sequcnz- haften Jugenderziehung wird diescr Faktor erst dann wirksam, wenn ein Schuler den unwiderruflichcn Schritt aus der Schule hinaus auf den Arbeits- markt getan hat. Weitgehend hcriiht dic Teilnahme an Erwachsenenbildung+ programmcn auf einem zu spatcn Innc- wcrden der Bedeutung, die Bildung fur die volle Entwicklung der Pcrsönlich- kcit und für die Wahrnehmung aller Chancen hat, die das Lebcn hickt

44. Unter dem Gesichtspunkt Iebenslan- gcr Entwicklung des einzclncn ist ein in Eigcnvcrantwortung aktivierter und vom einzelnen selbst kontrollicrtcr Lern- und Entfaltungsprozeß das Leitprinzip d c i Sy- atcrns periodisch mit andcrcn Akrivitaten ahwechsclnder Ausbildung. Wcscntlichc Vorbedingung dafür ist freilich, daß d ic 1.ernsituatian als relevant fur die intere:- sen des Lernenden und als poicnticller Beitrag zu dessen persönlichcr Entwick- lung erkannt wird und daß der Lernwillige auch befähigt wird, seinen untcrschicdli-

chcn Rollen in der Familic. am Arhciis- platz sowie in sozialer, kuitiircllcr und politischcr Hinsicht pcrcch! zu wcrdcn.

45. Zum Tcil liegen die Mittel und Wcgc der pcriodiqchcn Ausbildung. zur Vcrbesccrung der Moglichhcitcn lcbcns- lsngcr Entwicklung und Entfaltung dcc. eín7.clncn bcizuíragcn, hereit% im W c c h d zwischcn Auchilclung und Príixis, enthalt ein wtchcr Wechsel doch stärkcre Lcrnan- rcizc als das Erlebniseiner kcinc Untcrhrc- chiing duldcndcn Schulbildung Ilni aller- diiigs dicsc Anrebe voll zur Wirhuiig hom- men zu lassen, indxwmdcrc nlwr um hem- mcnden Eiiiflüsscn entgcgcnzuwirkcn, dic von ármlichcn Vcrha1tnil;wn. kargen L.uL trtrcflcn Miiicuc odcr von einer cher ah- s t um p f e ndc n 015 st i mu I ic rc nd e n Ar hci t i q i - tuation ausgehen mhgcn, bedarf cs der Inform3tion und der Anleirung. die na- mcntlich Menschen mit gcringcr Writcrhil- dungsmorivation zuganglicti zu machen sir1 ti I

Bleibt dies unhcachtct, so hcstcht die Gciahr. daB Ausbildung im Wechsel mit Praxis nur die Kluft vergroBcrt, die zwi- schen Ciehildetcn und Ifngchililetcn s o u i c zwischen den Crupprn hestcht. dir - auf der einen Seite - hochqualifizierte, große Anforderungen stellende Arhcit leisten und - auf der anderen Scite - solchen, dic man niedriger cinstiifi und mit dcrcn Tätig- kcit kaum ein Anreiz verbunden ixi.

-_ _ _

Gleichheit der Bíldungschancen 46 Die derzeií gefuhrte Diskussion um

da< Problem der ,,Chanccnglcichhelt" wird von gegensátzlichcn Auffassungen úhcr die grirndsiitzlichen Ehschrankungcn bc- herrscht. dcncn der EinTluR von Erziehung und Bildung auf die Gesellschaft unterliegt. Man hat die Ciriindfragc aulgcïorfen, oh in einer Gesellschaft ohne Glcichhcit Bil- dungsgicichheit möglich sci und cibdaruhcr hinaus Bildung die Aufgahc habe u n ù uber dic Mi>glichkcitcn wrfugc, ciii hcihcrc: Ma8 an gesellschaftlicher Gieichhcit ZI verïiirklichcn.

Eincr dsr wesentlichen Rewcggrundc fi die Einfuhrung der periodisch mit PraS und MuBc aiternierenden Wcitcrhildu ist, daß man sie im Vtrglcich zum hcutif Bildungswescn fur cinc bessere Stratr hält, urn Ühcr Glcichhcii dcr Bildungick ccn zu sozinlcr Glciclibcrechtigi~ng ?u lange ii . Pcriodiw h a I tc rnicrr iidc We hildung bictrt sich nicht ii i ir :li< Stra dar, urti dicrcs Zicf zu crrcichcn, soi bcruhn auch das Vcrstandni\ c l i c ~ s dcr Gleichbercchtigilng. und zwar F

in hildunpmäßiger Hinzicht, als ai Hinhlick auf die wcitrrgefriBtc. schafiliche Redeurung des Begriff\

37. Ständigcs Thema cinschlap kussionen und Unicrsuchungrn dcr Ictzterr Jahrc war das Llnvcrrni Erziehung und Bildung, allen Kin)

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Thema: Lerne und ameite! I &-&citen zu croffnen. Neuerdings y H u r a iIic wichtigsten Forschungscr- gtbiw kritisch gewürdigt, die sich auf die Inicrakiion zupischcn Bildungshanccn iind i cisiungen auf der einen Seite so\ \ IC \ O Z U - lern Hintergrund auf dcr m d s r t n bi.zi:h:n

Nach Husen honzentriertt \i:h ..die Fiir- rchung. . . fast ausschließlich auf die Frage, N ieviel von einer Begabung auf Vererbung iind wicvicl demgcgcnubcr auf Milicuciii- I IUW zuruckzufuhren \ci.' . Bildiing\politik \olIte sich i i i i f die niilicuhcdiiigicii varia- Men Großen honzcniricrcn und iiisbcson- dere vcrsuchen. sogenannte .,Prozcß-Va- riiiblcn" (,.procehs variiibles") zu bccin- Ilusum. Im Zentrum der Bildungspolitik lidbe das Bemuhcn zu stehen. durch gceig- iicte Mahiahmen einen Ausgleich f u r i i i i-

tunstige sozio-ohononiischc Bedingungen hi gewahrleistcn. Die beidcn schuli\chcn Fui ik ioncn Unterricht und Lcistungsbe- we ig scirn vonciii;iiidcr zu trennen XutpCihc der Schule sci c\. 111 unterrichten, iiicht ;in der Pforte bcriiili~~litr Liiufhahncn

Toihuicr zu spielen Die iiistitutionali- w r t e Schule wird als ,,reich an Informatio- iicn, aber arm a n Ahtion" bezeichnet; sir \ollte in ihren Schulcrn die Fähigkeit ent- wickeln, das aufgenommene Wissen prak- tisch anzuwenden. den Schwerpunht somit vom gclchrigcn, abstrakt-vcrbiilcn, auf ein .i k t i v e s, a m K on k re t en o r ie n t ie rt L' s Ver h a I - ten verlagern, dieses ais n e w s Lehr- und Lernziel betrachten und aiif dicsc Weise hcssere MOglichheiten schiiffen, kulturell verarmten Schulern zum Anschluß a n den ..Haupt\troni" des Kulturflu\sts zu vcr - Iiclfcn

38. Daher hat eine Neubestimmung des Potentials der Schule, grOUerc Chancen- gleichheit herhcizufbhren, zugleich Aus- wirkungen auf die Kriterien, durch die Lcistung definiert und an denen Leistung i iuc4cmcsscn wird. Die Schule zeigt dic Te .nz, Leistung nur anhand einer eindi- mensionalen Skala zu bewerten, auf der die Kinder in gradliniger Rangordnuiig pla- ciert werden - ein Verfahrcn. das treffend die Aussortier-Anstalt kennzeichnet, z u der die Schule bisweilen herabgesunken i s t .

Weitgehend ist anerkannt, daß die Vor- \tcllungcn, was Bildung anstreben solltc lind crrcichcn konnte und welche Kriterien fur dic Leistungsnieswng al5 lxistungskri- terien in Frage kommi.n. der R c v i w n hedurfen, und zwar aus folgciidcn zwei Grundcn: a) Die landlaufigen Leistungskriterien

cnt halte n gegmu be r den vcrschic de - nen Sozialgruppen echtc Elemente der Unglcichhcit. Die Schulen befinden sich in einem Dilcmnia. Es besteht darin, daB innerhalh eines Schulsy- stems, d;is Wissen mittels verbaler und numcrischcr Symholc uhcrmitteli, und in einer Gesellschaft, di?, solches Wis- sen uberbewertet, cine Andcrung der Leistungskriterien nicht ohne Andc- rung des gciarnten Schulsystems durch- fuhrbar ist, ja daß sie sogar eine Andc- rung im Werthystem dicser Gcscil- schaft vora~ssetzt .

k i r i f l i crzichung Nr 3 1 M i n IY73

b) Schulische Leistungen stehen in hciner- I c i Brziehong zu den Aufgaben, vor die sich der Mensch in seinen unterschied- lichen Funktionen innerhalb der mo- dernen Gesell~chafi gestellt sichi: Die \rbc.ir.r\elI. sein Zuhduyt.. dic. S J c h - h.tr-chJtr. die hulturcllc und 5azi.ilc Szene usw. Abermals erweist sich hier da5 Dilemma als ein Problem der Wer- te und politischen Prioritäten, die sich niit Schulbildung allein nicht erfasscn lassen. Jede Anùerung in dieser Hin- sicht muß niit Anderungen innerhalb der Gesellschaft in Zusammenhang

dung@al/c zuiwhcn dcii ~ ~ ~ i i c r ~ r ~ o f k ~ i i Aufmcrhsanihcit zu schenken. Dieses BiI- dungsgefillc (es ist gewiwrniaßcn cin ,.Cìcíitllc i i u h iush \ \a r t~" . bei dcni d i die i I IT r L' ci r' II c r ;it ioii 3 LI I i 1 c r T .i I \o tilt bc î i i l - d:tì rL* \ i i l t i ì r t .Ili* dcr r . ipJ: i i t - \ p i i i \ i L l i i

gangenheit und ihrcr Nutzung I n s;iiiitli- chcn OECD-Mitgliedslandern laßt sich das Phinomen einer wcitvcrbreitcten Un- gleichheit zwihchcn jungcrer und iltcrcr Generation bcohiichtcn Es laßi sich klar nach Schulbesuchs-Durchschnittsjahrcn quantifizieren und druckt sich in unter-

~ ~ h i i I i * < I ì ~ ~ i \ \ \ ~ ~ l ì ì h k c ì t ì i ì I I \ ~ \ I i i ~ \ t ~ ~ i \ L'I ~

stehen, dies gilt insbesondere fur die Bedeutung, die man all diesen untcr- schiedlichen Wertungen beimißt - vor allem fur die Wertung von Funktionen unabhangig von der Arbeit selbst.

49. Eine Abänderung der schulischen Leistungskriterien in Richtung auf etwas geringere Einschiitzung der Fähigkeit, mit Symbolen umzugehen - sei sie durch den Wunsch geleitet, mehr Chancen zu gewähr- leisten, oder durch die Bestürzung über die Bcdeutungslosigkeit verbal-abstrakten Konnens im Hinblick auf die unterschicdli- chen Funktioncii der heutigen Gesellschaft -, hat man vor diesem sozio-kulturellen und politischen Hintergrund zu sehen, und diibei gilt es. jenc Zwänge zu berücksichti- gen, denen vor einem solchen Hintergrund eine derartige Umschichtung der Werte und Prioritäten unt,erliegi.

Entsprechende Anderungen der schuli- schen Curricula sind daher nur langfristig möglich und auch dann nur in jenem g r o h e n Zusammenhang, von dem ohcii die Rede war.

50. Weiterhin spielt zwar Chancen-Un- gleichhcit innerhalb ein und derselben Ge- neration eine zentrale Rolle bei allen Dis- kussionen, bei denen es urn die Gleichheit der Bildungschancen ging, doch erst in allerjungster Zeit hat man im Zusammen- hang mit der Erörterung einer neuen Bil- duiigsstrategie begonnen, auch dem Bii-

schiedlichem, nach der Gegenwart hin an- gehobenem Bildungsniveau aus. Diese Lucke zwischen den Generationen wird so lange bestehen, wie die Durchschnitis- Schulzeit immer weiter ausgedehnt wird, und ihre Auswirkungen wird m a n auch dann noch lange spüren, nachdem dieser Expansionsprozeß abgeschlossen ist.

Insbcsondcre stellt sich das hier ange- sprochene Problem für die Altersgruppcn uber 40 Jahre. So hatten 1965 i n Norwegen 75 7c der Bevölkerung dieser Altersgrup- pen lediglich sieben oder weniger Jahre die Grundschule besucht. Noch 1980 wcrdcn in Schweden fi351 75% der Bevölkerung Über 40 nur Grundschulbildung haben, wcnn sich dic gegcnwartigc Vcricilung der Mittel zwischen Jugend- und Erwitchsc- nenhildung nicht andcrt.

Die andere Form der Ungleichheit, von der oben bereits die Rede war, ist die bildungsmäßige Unglrichhcii innerhalb c i -

ncr einzigen Generation. Ihr augcnfallig- stes Msrhmal ist die Ungleichheit der Teilnahme an Bildungsvcranstaliungen bzw. der Leistungen zwischen untcrschicd- lichen Gesellschaftsschichten I n der einen wie der anderen Hinsicht sind die Unter- schiede zwischen den verschiedenen So- zialgriippen beträchtlich, und auch dic massive Bildungsexpansion der jungstcn Ver Ian rnheit hat daran nicht viel geán- der?'. A u f dcr Sckundarschulcbcnc nch- men die Unterschiede hinsichtlich der Par-

5 1

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Thema: Lerne und arbeite!

tizipation ab und dies ist das Ergchnis dcr Tatsache, daB sich auf diescr Stufe der iur allc Jugendlichen vcrpflichtcnde Unicr- richt durchzusetzen bcginnt (allcrdings wcisen dic OECD-Mit~liedsstaaien noch sehr erhebliche Untcrwhiede hinsichtlich der Frage auí, welche Strecke noch biszuni vollen Erreichen dicscs Ziels zuruckzulc- gen ¡si). In den Mitglicdsstaatcn allerdings. die an parallelen Sekundarschultypen fcst- halten. Iäßt sich einc suhtilcrc Art soziölcr Auslcse feststellen. Sie auBert sich hier in einer ungleichcn Verteilung ubcr dic ver- schiedenen parallelen Sckundarzweige bzw. -ziigc undlodcr -propr;rmme sot+re in ausgesprochener Bevorzugung gerade der Curricula, die Zugang zu postsekundarcn

18 Nahere Angaben und Anölyccn in: ..Group Disparifie$ in Educafional Par- ticipation arid Achievcmcnf" von Charles Nam (Teil I . über Pnrtiziparron /ani Bildungswesenl ir Asa Sohlrnon (Teil II. Über isisrungen) (= Vol. IV. Conícrence on Policies kir Educatronal Crou,rh. Paris. 3 - S Junc 1970. IOECD-Paris 19711).

Programmen gewährleisten. durch die obe- ren und mittleren Sozialschichten. In den wcnigcn Ländern. wo dic Sekundarcrzic- hung in Gesarntschulcn stattfindct, wurde die soziale Selektion reduziert, doch Rest- spuren von ihr bestehen auch hier noch immer - sie zeigen sich in der Fachcrwahl und in der Verteilung der Schüler über unrversitätsvorbereitende und andere Cur- ricula.

Auf postsekundarer Ebene ist die untcr- schiedliche Partizipation der verschiedc- nen Sozialgruppen nicht mehr so erheblich, doch bestehen noch immcr augenfälligc Differenzen, und darüber hinaus war der Zuwachs auf seilen dcr benachteiligten Schichten erheblich geringer, was, in abso- luien GroCen ausgedrückt, wgar zu einer Vermehrung der Unterschiede führte.

5 2 . Hinter diesem Abwägen der Chan- cen dafür, daß früher oder später d a i Ziel der Oberstufenbildung, ja sogar p x t w - kundarer Bildung und Ausbildung für die breite Masse der Bevölkerung erreich1 sein wird, steht als heutige Realitát das Los zahlreicher Kinder, die am ßcginn ihrcr Jugend oder sogar noch im Kindesalter die

Schule verlassen müssen. ihrer kurzen Schulzeit verdanken sie kaum eine - allcn- falls einc zuticfst iinzulanglichc - Vorberci- tung auf Leben und Bcruf. diifür aber (und dies ist im Hinblick a u í ihre spätcrc Moti- vation zu irgcndciner Art \on Weiterbil- dung erhehlich ernstcr zu nehmcn) einc Ir us t r ie r e nde Schule r f a hru n g Nach t'o r - au\hercchnungcn der Tcilnchrncrzahlcri von Eildungiveranstaltungc~ wcrdcn \agar 1980 noch in einigen Miíglic<lilandcrn erhebliche Prozentsatze der Jugcndlichen die Schule vor dem I7 odcr sogar vor dcm 1 h Lebensjahr verlassen h a h ~ n ' ~ . Aller- dings vermitteln dic Aiigiihen ühcr das Schulabgangsalter nur ein sehr verzerrtes Bild des von den Schulabgangern tahach- lich erreichten Bildungsniveaus In vielen

1 Y Eintchrcrhungcprr,Enoccn dcr OECD- Lándcr fiir dic 1970 ahgchnltcnc Kon- ícrcnz uhcr Wachttumcpoiiiik auf derri R i k h n p e k l o r hei, il k';illcn. ..L'&I- life dczch;rnccstinns le prcniicrcycIcdc I'cnscigncnient secondnirc", in: Rc-r ut' fr;tncnÍw d c fcdapogic i 9 (April-Miti- Juni 1 Y 72).

Freerk Huisken

Mit Flausen

Was im OECD-Report nicht bedacht wird

Es ist zunächst eine höchst alltägliche Erscheinung, da8 die Verausgabung von Arbeitsvermögen im Beruf seine Wieder- herstellung nötig macht. Tagtaglich be- darf es nach der Arbeit der Ersetzung von physischen und psychischen Energien. ,Freizeit' nennt die bürgerliche Sozialwis- senschaft jenc Zeh. in der die notwendige Reprodiihtion in Gestalt von Essen. Trin- ken. Schl:ifr.n CIC. p x h i c h t . Sc~ii mdig ¡SI sic f u r Jic hichrzahl aìlcr abhlingig Bcschäftigien weniger f u r die Entfaltung von Individualität. sondern nomendig ist sie für die Reproduktion des Arbeitsver-

Freerli Huislien. Professor für Erzichungs- Wissenschaften mit dem Schwerpunkt poli- fische akonomie des A usbildungsseklors, Universität Bremen

mögens ais einer verkäuflichen Ware. Reproduktion des Lohnarbeiters ist da- mit eingebannt in die Grenzen, welche auf der Basis der kapitalistischen Produk- tion denjenigen gesetzt sind, welche ihr Einkommen nur durch Verkauf ihrer Arbeitskraft als Ware erzielen konnen: sie reproduzieren sich nicht allein phy- sisch und psychisch. d. h. in ihren ,leibli- chen und seelischen Funkiioncn'. Sie reproduzieren sich damit zupleich auch ökonomisch, und dies bedeutet, sie repro- duzieren sich in ihrem Status als Lohnar- beiter. Mag sich das durchschnittlich not- wendige Quantum Lebensmittel i. w. S . auch historisch ändern, mag heute das Auto, der Fernseher und die Waschma- schine bedeuten, was früher das Fahrrad oder ein Radio war; es ändert dies nur etwas am Durchschnitt, nichts am ökono- mischen Status. Besitzen zwar alle Kapitaleigenturner Autos und Waschma- schinen, so macht doch umgekehrt der Besitz eines Auios dasselbe nicht ZU Kapital und ihren Eigentümer nicht zum Kapitalisten.

All dies, von der kritischen Sozialwis- senschaft längst in seinen Erscheinungen akzeptiert, gilt fü r die Verfasser der Grundsatzstudie über .Recurrent Educa- tion' (i. f. = RE) mitnichten. Was ihnen irn Hinblick auf die periodische. psy- chische und physische Reproduktion si- chcrlich auch celäuíig ist. gcrit ihnen im Hinhlick auf die periodische qualifikaro- rische Reproduktion zu einem derartigen Obskurum, daß sie in ihrem Versuch einer ,grundsätzlichen' Bewältigung die- ses Phänomens einen Berg produzieren. der - so steht zu erwarten, wenn man sich die Differenz zwischen bildunpsparla- mentarischer bzw. bildungspnlitischer Programmatik und Realität im Bildungs-

wesen erinnert - ein Mäuslein gebären wird.

Nüchtern betrachtct handelt es sich bei der RE. dem periodischen Wechscl von Ausbildung und Berufspraxis. um cinc Konzeption, mit welcher man einigen handfesten Problemen zuleibe rücken will: 1. Obergeordnet is1 das Problcm der qua lita tiven und quantitativen U nglc ir h - gewichte zwischen Angebot und Nachfra- ge an qualifizierten Arbeitskräften. wel- che durch Flexibilität des Ausbilducgs- seklors und Periodisierung der Ausbil- dung gebändigt werden sollen.

2. Falls es doch zu Disproportionen auf dem Arbeitsmarkt kommt. sprich: zu Arbeitslosigkeit. gilt es durch Rcgulic- rungsinsfrumente einer ,,.konservativen‘ Arbeitslosenpolitik" geschmeidigere Lö- sungsformen gegenüberzustellen, welche einmal drohende Unzufriedenheit aufzu-', fangen in der Lage sind und zum anderen qualifikatorische Defizite beheben k o n - nen. Die RE hätte hier Absorptionsfunk- tion.

3. Schließlich quält die O E C D seit langem die - nichi ganz unrealistische Vision - eines aufgeblähten Tertiären Eildungssektors, der zu ,sozialen Folge- problemen' in Gestalt eines Akademi- schen Proletariatsoder-wenn man durch den Numerus clausus regulierend einzu- grcilen \ersucht - ähnliche Vnzufrieden- heit infolge von LeFitimatinnrproblemen mit sich bringen würde. Eine durch RE beabsichtigte Kanalisierung könnte einen Teil der Absolventen der Pflichtschulzeit sofort ins Berufsleben schleusen - für eine Periode versteht sich -. und dem anderen Teil den Tertiären Sekioröflnen.

(Der OECD geht es hier wie allcn bürgerlichen Bildungsökonomen und

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Thema: Lerne und arbeite!

.indern werden erhebliche Prozentsatze )ti Schulern aus dcr Schule entlassen. iiie auch nur die Grundschule erfolgreich ,irchlaufen zu haben. weitere zahlenmii- : bedeutende Schulergruppcn verfugen :ht uher die gcring.itc Oudlifikation f u r xiideincn Beruf Die Verteilung der ireffendcn Prozentsatze über die vcr- i i i ede ne n ve r LI c u I I ich I iic erschreckende ßcnachtciligung der i w e n Schichten i 3 Sowohl absolut gcschcn, als auch im

iiihlick auf d a b Handikap f u r den Eintritt die Gesellschaft (inshesondcrc fur das

:ireten des Arbeitsmarktes) ibt die ange- .iochene Ungleichheit innerhalb ein und riclben Generation unterhalb der post- kiindaren Ebene, ganz hcsondcrs aher /I der Ehenc der Grundschule und des Luiidarhercichs I ein vici dringenderes, ,sicich schwicrigeres Prohlcni als die

U,. hierzu: .,Recurrent Education. Policy and Dcvclopmcnt in OECD Countries: The Sw~.clrdt View of Kc- current Education" (CERI O E C D Pa- ris I Y 72).

Sozi i~ 1 gr u p pc n

- -

Ungleichheit im.postsekundare-n Bereich". Wenn es künftig einnial darum geht, fur eine Politik periodisch mit Praxis und Freizeit abwechselnder Aus- und Weiter- bildung Prioritaten zu setzen, wird diese üherlegung schwer in die Waagschale fal- len. Konkret bedeutet dics aber: Kurse im Bereich der Sekundarhildung haben Vor- rang vor postwkundaren Rildungsveran- htaltungen, um das Problem dcr Ungleich- heit zwi5chcn den Generationen zu Iöscn.

54 Gering sind clic Chancen, d a ß es dem derzeitigen institutionalisierten Bil- dungssystrm gelingt. in absehbarer Zu- k u n f t Bildungsungleichheiten zwischen den einzelnen Sozialgruppen zu beseitigen oder auch n u r nennenswert abzubauen.

Auf hreiter Ebene wird eine Gleichheits- Politik gefordert. die weit systematischer, als dies heute der Fall ist, auf Ausgleich abzielenden Strategien hohen Vorrang ge- wahrt. Doch un i zu dauerhaften Ergcbnis- sen zu gelangen, ist wahrscheinlich eine t ie fe rgrei fende Ern e uerung des Bildungs- wescns erforderlich -eine Erneuerung, die sowohl die Art und Weise der Bildungser- fahrung erfassen muli als auch die Bezie-

hungen zwischen Schule und Gesellschaft, die eine gründliche Revision der Curricula innerhalb des Pflichtschulhereiclis ebenso mit sich bringen muß wie eine Neubcwrr- tung der Rolle, dic eigene Beobachtungen. pcrsonlichc Erfahrungen und eine pragma- tische, auf die Losuiig von Problemen bedachte Einstellung \pielen. Daruher hin- aus beduríie e s eincr Koordination zwi- schen Bildungspolitik und der Politik im sozio-¿)honomi~chcn Bereich, was wicdcr- um die Schaffung administrativer Voraus- setzungen fiir eine solchr Koordination bedingt. Ließe sich all dics erreichen. dann allerdings konnten besondere Programme fur kompensatorische Erziehung - wie sie heute noch erforderlich sind - fur die Mehrzahl der Kinder (ahgesehen von eincr kleinen Gruppe besonders behinderter) entfallen.

Freilich besteht Anlaß zu einem gewis- sen Pes>imisnius, was die Wahrscheinlich- keit angehi, daí3 man eine derartige Aus- gleichs- und Erneuerungspolitik beschlic- ßen wird. Um erfolgreich zu sein, hedurlcn Ausglcichsprogramme anderer Mittel. a h man sie ihnen bislang zugeteilt ha t . und sie

, imern: haben sie zu Beginn der sechzi- i Jahre den forcierten Ausbau de5

Ildungswesens und insbesondere des .)chschulsektors empfohlen, so mussen ' nun Gegenstrategien ausknobeln, weil k. Entwicklung die Absorptionskraft der J i f iz ier te Arbeitskräfte nachfragen- II Bereiche erheblich zu iiberstcigen .)ht. Vgl. a. Hartung/Nuthmann, Sta- .- und Rekrutierungsprobleme als Fol- I I der Expansion des Bildung~systems, rlin 1973; unveröfftl. Diss. Manu-

Die Ungleichgewichte auf dem Ar- itsmarkt sind Ausdruck von ,,zuneh- L,nd ,duscheren technischen Verände- iige id einer beständigen Wandlung i Organisationsmuster im Arbeitsbe- ich'', heißt es in der Studie erschöpfend. .'r Wandel selbst und insbesondere die

I uelle Beschleunigung des Wandels 11 Qualifikationsanforderungen schei- I I naturgegebenes Schicksal oder vom Iiiimel gefallen zu sein. Zumindest aber iicint es der besonderen Form der tiduktion als kapitalistischer nicht ge- iiuldet zu sein: Denn dort wo das inzip optimaler Verwertung von vorge- iiossenem Kapital sich Üher die Kon- .rrenz durchsetzt, sind der periodischen Produktion der Qualifikation von Ar- itskräften jene engen Grenzen gezo- I I , welche für ihre physische und psy- ibche Reproduktion angedeuiet wor- 11 sind. In gängig philanthropischem ilherständnis der kapitalistischen Pro- btion versammeln jedochdie Verfasser IIcr dem Konzept von R E sämtliche blien bildungspolitischen Vorstellun- 1 1 , welche in den letzten 150 Jahren in pitalistischen Ländern immer nur pro- feiert wurden, nie aber durchgesetzt Irden sind: Entfaltung der Individuali-

IlPt.)

tat (vgl. These 43ff.), Gleichheit der Bildungschancen (vgl. These 46ff.), so- ziale Gleichheit (vgl. These 46ff.), etc.

Bei derart emphatischer Dimensionie- rung des Konzepts der R E gerat fast unter die Räder, was handfester Ausgangs- punkt war: periodische Neuqualifikation nach Verschleiß der Arbeitskraft, und zwar unter den durch das Kapital gesetz- ten Bedingungen der Reproduktion. D. h: die periodische Neu- oder Weiterqua- lifizierung reproduziert das Arbeitsver- mögen nur in dem Maße, daß es erneut gegen Lohn ausgetauscht werden kann.

Sind die Grenzen im Bereich der phy- sisch-psychischen Reproduktion prinzi- piell ähnlich gesteckt wie bei der qualifi- katorischen, so ist doch die Form, in welcher die Reproduktion der Qualifika- tion des Arbeitsvermögens vonstatten geht, anderen Bedingungen unterworfen: Ernährung, Kleidung, Wohnung wird im Kapitalismus privai geregelt; Ausbildung ist über weite Teile hin notwendig Sache des Staates, welcher für die allgemeinen Bedingungen der Produktion, die nicht kapitalistisch produziert werden können, zuständig wird.

Dies hat Konsequenzen für die Reali- sierbarkeit von RE: Hinreichende Flexi- bilität ist in einem Ausbildungssystem offensichtlich dann nicht zu erreichen, wenn es unter den genannten Bedingun- gen in einem einmaligen Akt für das gesamte Berufsleben qualifizieren soll. Der mögliche Ausweg, nämlich eine Aus- bildung mit einem Grad von Allgemein- heit und Vielseitigkeit, welche den Wech- selfällen des Arbeitsmarktes gegenüber in jedem Fall gewappnet wäre, würde eine Uberqualifikafion darstellen, die an die Grenze der im Kapitalismus offen- sichtlich ,naturgegebenen' Knappheit f i -

nanzieller Ressourcen stoßen miißte. So- mit bezieht R E seine Rationalität - impli- zit - aus der Vorstellung, unrentable Allgemeinheit und Vielseitigkeit in dem einmaligen Ausbildungsprozeß in rents- blr Perioden beruísorientirrter Ausbil- dung zu verwandeln. Doch gerade hier liegt der Pferdefuß: Ist Ausbildung im Kapitalismus u. a. dadurch ausgezeichnet, daß sie notwendig allgemeine Ausbildung sein muß, ehe sie berufsspezifische Be- sonderung erfahren kann, und ist sie in ihrer Allgemeinheit gerade auf eine jen- seits der Sphäre der besonderen Interes- sen der Privaten angesiedelte Jnstitu- . tion", den Staat, verwiesen, so ist dieser Prozeß nur um den Preis qualifikatori- scher Depravierung wieder zuriickzudre- hen. Allgemeinheit und Vielseitigkeit ist ein (durch die genannten Phänomene illustrierter) Anspruch kapitalistischer Produktion an die Qualifikation des Ar- beitsvermögens, der als solcher nicht rea- lisiert werden kann, da die Verwendung der Qualifikation den Interessen privater Produktion genügen muß; e r kann aber auch nicht total negiert, d. h. in die jedesmalige unmittelbare Anpassung an konkrete nachgefragte Qualifikationen aufgelöst werden, da das Arbeitsvermö- gen als nur borniert qualifizierte Schran- ke der Verwertung von Kapital darstellt.

Diesen - hier nur pauschal dargestell- ten - Widerspruch bringt das Konzept von RE leibhaftig zum Ausdruck. Es wird ihn nicht lösen können, da cr aus der Form der kapitalistischen Produktion re- sultiert. Bleiben wird. entkleidet man bereits jetzt das Modell aller idealisti- scher Flausen, ein permanenier Versuch, welcher die Form der Weiterführung der gegenwärtigen Flickschusterei im Bil- dungswesen annehmen muß.

dlr enichung Nr 3 I Miri 1974

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Thema: Lerne und arbelte!

miisscn mit Maßnahmen auf sozio-kultu- rellcm und wirtschaftlichcm Gebiet Hand in Hand gehen2'.

5 5 . Fur eine Ausbildung in pcriorli- schcm Wechsel mit Praxis ergibt sich hier- aus eine doppcltc Aufgahc: a ) Die Aufgahe des ..Bildungrausgleich~",

d. h.: einer Kompcnsation dcr Un- glcichhcit im Erziehungs- uni l Bil- dungswcscn, die z 2. hcitchí und auch in naher ( ja rogar in etwas ferncrcr, ,,mittclfrisiiger") Zukunft noch bestc- hen wird; und

b) ihrc .,eigentliche*'. zeitlich unbegrenzte Auígahe, íur jedcn cinzclnen Ühcr eine lange Spanne seiner Lebenireit hinucg Bildungsmnglichkcitcn hcrcitzustclicn.

56. Im Hinblick auf die .,kompcni;itori- whe" Rollc, die der pcriodisch mit Praxis ahwcchsrlndcn Ausbildung hcim Ahtrnu dcr Unglcichhcii zwiwhcn den Gcncratio- nen zugedacht is!, hiit man auch dic Bc- Zeichnung ..¡herbruckende Ausbildung" vorgeschlagen.

In folgt. der rapiden Bi Id u ngsexpa ns io n in jungster Vergangenheit sieht sich dic ältere Gencration, die weitgehcnd f u r die jüngere den Unterhalt aufbringt, nicht ohne einiges Ressentiment der Erkcnntnk gegcnubcr, wie rapide sich die Kluft zwi- schen ihr und dcr 3ugcnd vcrgroßcrt. In dem Maße, wie man sich der Ungcrechtig- kcit immer stárkcr bewußt wird, dic in dieser Entwickluiig liegt, wie man die besseren Chancen erkennt. die das Leben dcn Jugendlichen bictct, wie man die Last bemerkt, drr dic sleigenden Kosten der Jugendaushildung f u r Stantshaushaltc - aber auch ganz konkret für den eigenen Geldbeutel - bedeuten, wozu in vielen Fällen noch cinc inimcr großer werdcndc Diskrepanz zwischcn Ansichten und Wert- Vorstellungen der älteren und dcr jungercn Generation hinzukommt. durftc sich der hffentliche Druck, dcr Jugendhildung ZU- gel anzulegen und Ctatf dessen dic vorgc- sehenen Mittel zugunikn der älteren Gc- neration dem Zweiten Rildungsaeg oder der ,,uberbruckenden" Ausbildung zugute kommcn zu lassen. vielleicht zu einem polifischen Faktor entwickcln, dem Politi- ker Rechnung tragen muisen.

5 7 . Die zweite Funktion der periodisch mit Praxis alternierenden Ausbildung - dic Verteilung von Bildungsmöglichkeiten uher eine Iangere Phasc der menschlichen Lehenszeit - ist von Dauer und stellt die eigentliche Aufgabe dicses Biidungziy- stcms dar. Für Schulcr kann cine Vertei- lung von Gelegenheiten zur Bildung und Weiterbildung über cine ganze Lebens- spannc ein starker Anreiz sein, in das Berufsleben cinzutrctcn, sobald sic uber die hinreichendc bildungsmäCige und he- rufliche Qualifikation (oder wenigl;icns uber ein Minimum davon) verfügen. Dics steht im Gegensatz zur gegenwiirtigen Si-

2ì Dies ist eine der Hauptfotgcrungcn aus der Analyse der Auyleichsprogramrne in den USA; %gL: A . Little und C. Srnith. ,.Strategie7 of Compensation'' (UECDìCERl i 972).

tuation, die dadurch daß sic cine lange Sch u I zc i t durch bcssc re A rhe i t sm a r k tc ha ri - cen und höhere Positioncn auf dcr Stufen- leiter des sozialen Status honoriert. Schiilcr und Studenten dazu verleitet, io langc, wie nur mc5plich. an offcntlichen Biidungwin- richtungen auszuharren. Ein zweitcr star- ker Beweggrund f ü r ein mi>glichsi lang's Vcrweilcn innerhalb der öffcntiichcn ßil- dungs- und Ausbildungswesens ist die Un- uliderruflichkeii der durch die Jugendbil- dung crworbenen Chanccn.

Ohne Zweifcl hcginstigr der zur Zeit ubliche EntscheidungsprozcR Studcntcn mit ausgesprochen Iérnmotiviertcni haiisli- chen Hintergrund. Der Bildungsgrad dcr Ehcrn scheint die wichtigste . , P J » z c B - V ~ - riahle" zu win, die die schulische Laufbahn dcr Kinder prägt. Somit schafft der ProzeR, s o wie er heute abzulaufen pflegt. pan7 zwangsläufig Chancrnungleichhcit

Zweitens fällt die Lernmritivalion cines Schülers nicht stets in dic heute für wine schulische Betreuungvorgcsehenc Lehens- spanne. Móglicherweisc stellt sich dcr An- reiz zum Studium bei ihm erst schr viel später ein -dies insbesondere dann, wcnii die Anstoße von der hauslichen Umgebung oder vom aiìgerneinen Lcbensmilicu feh- len. Arbeitserfahrung mit ihren Anforde- rungen, das Innewcrden, welch ein Handi- kap für den Aufbau einer Karriere eine dürftige Jugendhildung darstellen kann, der Wunsch, hisher hrachliegendc, neu entdeckte Fähigkeiten und Interessen ni entwickeln, zu pflegen, schließlich e i n l x h Wissensdurst. Neugier, oder das Bcdurfnis nach einer Z e i t der Besinnung und der inneren persönlichen Bereicherung - dic.; alles kann (neben rchr vieleni andcrcn mehr) einem Erwachsenen Anlaß gchcn, sich auch noch im fortgeschrittencren" Alicr weiterzubilden

58. Billigerweise darf man wohl erw:ir- ten, dal3 ein System periodisch mit Praxt% oder Muße alternierendcr Ausbildiing. da% als dauernde Lebensform und zugleich Gestaliungsform des pcrsirnlichen Lchcns- plans gedacht ist, seinen Beitrag zu einer bes5eren Verteilung der Bifdungcmoglich- kciten leistet und damit - insofern Erzic- hungs-, Lebens- und Berukchancen eng miteinander gekoppelt sind - auch zur Verbesserung der ,,Lehens"-Chancen bci- trägt,

Die Bezeichnung ,,Politik" verdient cin solches System allerdings erst dann, wenn es all die, die sich mit der erforderlichcn Planung ihrer Bildungund Lauíbahn befas- sen. mit den nötigen iníorrnationen und Motivationen versieht. Ist dics nicht dcr Fall. dann hesteht sehr stark dic Gefahr, daß etwa der Entschluß, wcitcr die Schule zu besuchen, oder die Enicchcidung. Eich auf den Arbeitsmarkt zii hcgchcn. schliefi- îich aber auch der Schritt zum Unterricht innerhalb eines periodischen Systems wei- terhin vom sozialen Hintergrund, vom Rit- dungsgrad der Eltern und vom Anreiz durch Lebens- und Arbeilsmilieu hcsiimnit wird, mit anderen Worten: von Faktoren, he¡ denen gesellschaftlichc Vorcingenom- menheit eine erbebliche Rolle -spielt. Ein

pcriodisch alternierendes Aushildungs- und Bildungisystcm wurde 90 zii noch grrißercr Ungleichheit fuhren, der noch schwerer cntgcgcnzutrctcn wärc als dcr Unglcichheit, die das heutige Bildungswe- sen schaffl". (. . .)

hh. tm cngcrcn Ktintcxr clcr \ich sliir- misch Pntlcrndcn Rcdiirfniiic nach qiiiilifi- zicrten Arhciishräftcii kbnntc cin S p t c i i i pcriridisch mit der Praxii altcriiicrcn(1cr AudAdung die crforricrlichc FlcxihilitA g;iranticrcn. D;ic ist nicht ii;isielhc wic dic Eiiifi~hriirlg von Progrnmnirn, ilic nciic bcruflichc Fahigkciten vcrmittcln oder id- chc F;ihigkciten a i i f ncue tcrhiiischr Eiii- wickliingrn :inziiwcridcii Ichrcn. Dic He- Zeichnung .,bcrdlichc Fähigkcitrii" i \ l hc- clciitungsmiißig 711 cnp und wird insofcrn nicht dcm Wcscn und der Orirnticrunp cìncr Politik pcriodisch mit Pr;ixir abwcch- sefndcr Auihildung gcrccht: clic bertifliclic Flcxibilirlt, clic ni;in in eincr tcchniwh orientierten Ocwllrchitft uiihrcntl zcincr gcsamtcn herdlichen Laufh;ihn bcnotigt, erfordcrt chcnio viclc l~rnstcllungcn. ehcnsovicl Etnschaiziin~~vcrrní~gcn der ci- gcncn Fähigkeiten. chcnwvicl Fähigkcit der Laufbahnplanung und nicht zulct7t ehensovicl F .n tFche i r l i i n~~Lcrm(~~cn wie hcruflichcs Wissen und Kónncn im engeren Sinne 67. Eine wcitcrc Frinkrion, die cinc

Poliiih pcriodiwh mit Pr;\xi\ ahwcchwln- dcr Aiisbildtrng inric-rhalh dcr Arhcit%- rnarhtpniiîik zu crlullcn h:itic, wiire die cines R ~ ~ ~ i i l n t i o n s i n s t r i i ~ c n t ~ in Zcitcn dcr Arhcitsl<xighcit, h7w. in Hcrciclirn, in dc- ncn der Arhcitwiarkt gesättigt i s t oder in dcricn Arhcitslocigkeit droht Pcriodiich aìtcrnicrcndc Aui- und Weitcrtiidung kiiriiitc hicr als Altcrnativc ni eincr .,koii- servativen" Arbcitsloscnpolitik cingcsctzt werden Alle dic. dcrcn hcriiflichc Kcnnt- niwe mit dcn iechnischcn Verandcriingcn nicht Schritt gchnltcn habcn ndcr die auc andcrcn wirtschaftlichcn Gruiidcn auf dcni Arhcitcmarkt rchlccht im Kur\ \tchen hattc man zu ermutigcn ( u n d durch cnt sprechcndc Sulasiung4heztintmunpcn 2' bcfahigcn), cich zur Teiln;ihinc an pcr odisch altcrnicrcnticn Lchrgingcn cil schrcihen zu h s c n Auf d i c w Wciw wii dcii sich nrchc nur íUr Jic hctrelfciid Arbciisloscn pcrsonlich h c w r c Arbe¡

23 Die Ahnahrnc ctcr Zugingc zu t /Inivcrsiinicn in Schu 4cc.n i r r r d , Herbst íY72. a i c h in Frarikrcich l i te man ;ils pcwndcn Sclhxircpi rungrproicß hctrnchtcn. w n n 3~ A rgumcnrc dicscr Sclrrunlpfirng grundlagcn ids diic bloßc Furchf. Absrhluß der Hochschul¿- A c h scháftìgung zu linden. EI .;ich[ i íiirchren. dnß in der ~ C ~ C R W ~

Siltration ein solcher Trcrd zun zirhf auf ein Hochschuktutlru Prozeß sozialer Sclektion niir fi

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Thema: Lerne und arbeite!

:ktchancen ergcben, sondern es ent- ide auch cine ArhcitsArdfire\crvc, ai i f tl i c ve rsc h i e d e ne r i 121 ndc r 7 11 r Uc kgrc i- kiinnrcn. Derartige P r o p m m c pcri-

i\chcr Weiterbildung hiittcn ahcr ihren icck verfehlt. wenn ihrc Planung a u \ - iiicaiich an unniittclharcn RcdUrfnissen \ Arhcit\mrirltcs orientiert wire und :lit in erhtcr l-inic voti ûcii 13ctrc\fIcncn I I n i riitrchicdcn wurde. Aiilkrdeni w i r d ,111 d;ih~*i clic tnii jedcr Hil1sni;iDii;ihnic rhiinilcncii btiirkcn s o ~ i l c i i i3cLisiiiiigci~

I h t r a c h t ziclicn müswn, dic clic N<ichfr+ I. vcrzerren und es \o unmtiglich machen, I L ' gesircktcii Ziele zu errcichcn. Die \iireize zur Trilndhme an dcriiriigcn pcri- \ l i sch Fori hi l dung5 pr o- i,immen stehen vielleicht i n vollkomnie-

in Gegensatz zu dcn tatsachlichen Erfor- ;riiisscn des einzelnen hinsichtlich seiner .'ciicrhilùung Dahcr \ei ahcrni'ils hcrvor- L,hii'""-\. daß mit einer wlchcn Wciierbil- ,ling_, .,liti#. eine Politik der Teilnehmer- crhung sowie der Anleitung zum sinnvol- 11 Gebrauch dcs Aus- und Weiterbil- ~i i ig~sngcbots Hand in Hand gchcn mu8

a I t e r II ¡e re nd e n

1

- --

Bildung und Wissen h8. Mehr und mehr entwickelt sich un-

. rc Geicllschaft zu einer .,Gestll~chafi des \ issens". Drucker" hat gezeigt. h l 3 dic \Vi~sL.nsindu\trien", die Idccii und Infor- ,.iti«nen statt Guter und Dicn\tlcistungcn

rvorhrrngen und verbreiten, irn Jahrc '155 ein Viertel des Brutroicizialprodu~ts :I USA ausmachten. Die5 w i r hcrcits >icimnl soviel wieder Anteildt.\,,Wisscns-

htors" ;im Sozialproduki des Jnhrcb ' N i 0 Doch 1965, genau zehn Jahre spater. ..ihm der Wissenbsektor cin Drittci cines

c.][ +ßeren Sozialprodukts ein. Ende dcr IL.hi ; Jahrc wird e r auf die Halfte des ,.,'ramten Sotialprodiikts angewachsen .in. Jeder zweite Dallar, der im Bereich

I i' r anic r i k an isc h e n Wir t sc ha I t ve rd ¡i: nt ,id wieder awgegehen wird, wird dann mit ,.r Produktion unú Verbreitung von Ge-

..inken iinù Inlorinatinncn vcrdicnt oder wgcgehen, weil man sich ideen und Infor- (.itionen aneignen möchte. Da\ klassische 'crhälinis ,,Kapital-Arheit" ist im Bcgriîf, lurch eine neue Formel mit den drei lriißen ,,Kapital-Wissen-Arbeit~' ersetzt I I werden, wobei ,,Wissen" eine immer 8L,deutendere Rolle spielt.

Allerdings hezeichnet ,.Wissen" in die- in Zusammenhang writ mehr als bloBes

i'akienwissen". Vielmehr bezeichnet der cgriff auch die Fahigkeit, Wissen zu :brauchen, um Unterschiede machen und irieilc fällen zu können - und dies erfor- , . r t eher ein gewisses Reperioire zwcck- icnlichcr Konzepte als hloßc Kenninis i i w r Reihe von Fakten. Nicht die Tatsa- IL, daß Faktenwissen mit dcr Entwicklung ii.ht Schriir hilt und infolgedessen veral-

i P. F. Drucker: ..The Knowledge Sock- ry", in: NCW Society (24. April IYh9).

tet, sondern di? Untähigkeit. einmal erwor- hcnr Vorstellungen zu rcvidiercn und bei ihrer Anwendung sinnvoll den veränderten UinstanJrn anzupassen, ha t die ernstesten Folgcn fur die Fahigkcit eines Menschen, in den sehr verschiedcncn Lebenssituationrii, in dic er sich gestellt sicht, den a n ihn gerichteten Anfordcrungcn zu genügen. Im Bercich der Arhcitswclt liegt hicrin diis gro13tc Hindernis f u r cinc Beteiligung v o n Arhcitcrri ;in der Selhstvcrwaltung.

Ein zwciter wlchiigcr Gesichtspunkt k i dic W i s ~ e n ~ c r t c i l u n g innerhalb der Ge- sellschaíi. D a Priiduktion und Anwendung von Wissen meist von einer Minderhcit kontrollicrt werden, vermindern sich dir Chancen, eine Gcselhchaft der Partncr- schaft und Mitbestimmung zu verwirkli- chcn, während das Risiko der Entfremdung des h lcnchcn in seinem Arbeits- und Lebensniilicu zunimmt. Daher zieht der Komplcx ,,Wissen und Macht" alseines der Grundprohlcmc der modernen Industrie- gcsellxchafi immer mehr Aufmerksamkeit auf

69. Die Fahigkeit des Prinzips der peri- odisch mit beruflicher Praxis abwechseln- den Ausbildung, einen Beitrag zur LQsung dieses Bündcls von Pruhlemen zu leisten, hangt davon ah, o b dirscs neue Prinzip in der Lagc ist. dem einzelnen wirklich Zu- pang zum Wissen zu vermitteln, und zwar sowohl zu dessen Erwerh als auch zuseiner Anwendung. Aus dem oben Angeführten folgt: E.s geht nicht um die Kenntnis von Tatsachen oder darum, daß solches Fah- tenwisscn veraltet, sondern um eine Neu- strukturicrung der Interaktion zwischen dcm Erwerb von Wissen, dem Zugang zum Wissen, der Anwendung von Wissen und der Macht Ubcr das Wissen irn Rahmender individuellen Beziehung jedes einzelncn zu dcn beireffendcn Aspekten.

Zusammenhang 71. (. . .) Der Zwiespalt zwischen den

Wertsystemen beginnt nicht erst mit dem Abgang von der Schule. Vielmehr besteht schon wahrend der Schulzeit eine Kluft zwischen den Zielen, den Lebensauffas- sungen und den Haltungen, f ü r die die Schule steht, und denen, die das Kind zu Hause antrifft, in seinem Freundeskreis, in seiner Nachbarschaft, und diesr Kluft ist eines der Hauptprobleme der heutigen Bi ldungsdisk~ss ion~~. Einer der dabei vor- gebrachten Hauptbeweggriinde für den Bruch mit der gegenwärtigen Praxis des ununterbrochenen Vollzeitunterrichts ist, daß dieser das Risiko in sich tragt, den Zwiespalt zu vergrößern. Die heutige Ju-

26 Vgi. vor allem: M. Young (Herausgc- ber): .,Knowledge and Control", Lnn- don: Routledge and Kegan Paul 1971.

27 Eine A n a l y e dicscs Problems, wie es sich in Franhreich stcl l í , enrhält der 5ericht der loxc- Kommission.

gendbildung reicht Über die Jugend bis in das Erwachsenmalter hincin. Dic meisten jungen Menschen hahen, wenn sie der Schule den Rùckcn kehren, ihrc Persön- lichkeit längst voll entwichelt und bereits wcsentliche Elemente ihrer Ansichten und Haltungen ausgehildet. Reim Eintritt in da5 ,,;ihtivc i.ehen" werden sic daiin o i t mit viillig aiidttrcn Wcrtsystcmcn konfrontiert Die Gefahr cincr K»Ilisiiin zwischcndicscn untcrschicdlichcn Wcrtwdnungcri i\i iiicht s o gri)I3 H i c die cincrzunchnicndcn Ficllcu- tuiigslwgkcit der Schulhililuiig f u r die wirklichen Interessen sowohl der Schuler wic dcr Erwachsenen. (. . .)

73. I n welchcrn Maße eine weitere Ex- pan sion des t rad ¡ t i on c I I e n Bi Idu II g w e \e n s erstrììbenswert i ~ t , das sich ausschlieülich um die jungcre Generation kümmert. rnuß in diewm Zusammenhang betrachtet wcr- den. Die Argunientc gegen eine derartige weitere Expansion werden auch von der Oberzeugung getragcn, daß es Zcii 151, dem Zweit e n ß ildiingsw cg fur Erwachse ne Vor - rang zu gehen.

Die Frage der Mittel, die es aufzuwen- den gilt. hat zahtreiche Lander - darunter solche, wo traditionsgemhß hisher der Zu- gang zu pustsehundarer Bildung jedcm offenstand, der das entsprcchende Ah- schlußzeugriis einer Sckundarxhuìe vor- weisen konnte - dazu veranlaBi, die Zahl der Hochschulstudenren einzuschránhen. In anderen Fallen hat die Ungcwißhcii, nach Ahschluü des Studiums einen hcrulli- chen Einstieg zu finden, qualifizicrtc Be- werber davor zuruckschrecken l a w n , sich fur dic postsekundare Ausbildung zu im- rnatrikulicrcn.

Eine solche erzwungene oder freiwillige Beschränkung der Bewerbung Jugendli- cher um Studienplátze innerhalb des post- sekundaren Rildungswewn~ konnte von Nutzen sein, wenn sie im Rahmen einer Politik periodisch mit Praxis alternierender Ausbildung zweckdienlich angewendet wa- re ist dies nichi der Fall, konnen sich, h i e bereits angedeutet, höchst unerwünschte Auswirkungen auf die Dernokratisicrung irn postsekundaren Bildungsbcrcich ein- stellen. Ist sie dagegen Teil einer Politk mbt Praxis altcrniercndet Weiicrhildung, könnte sie ihren Beitrag zu einem besseren Gleichgewicht zwischen der Teilnahme Ju- gendlicher und Erwachsener a n den angr- hotenen Bildungsveranstaltungen leisten, denn dann könnie man die freien Platze an den postsckundaren Bilclunpsinstiiuiionen mit erneut ,,auf die Schulbank zuruckkrh- rendcn", auf das ihncn unterbreitete Bil- dungsangebot zurückgreifenden Erwach- senen besetzen. Um jedoch eine solche ,,Rückkehr" Erwachsener möglich zu ma- chen, wäre es erforderlich, sowohl die postsekundaren Programme und Aushil- dungsmethoden auf die spezifischen Bc- dürfnisse der Erwachsenen zutuschneiden. als auch denen, die ihre Ausbildung ahhrc- chen, einc echtc Chance zu gehen, ihr Siudium später erneut aufzunehmen. Wie die Dinge liegen, könnten Universitäten sehr wohl ihrc Tore für Erwachscne df i icn, um ihrc frcien Plätzc zu hcsctzcn, ihrcrn

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Thema: Lerne und arbeite!

Hans-Joachim Petzotd

Gleiche Chancen

Der OECD-Report greift zu kurz

Ist b : e wieder einmal auf das nur scheinbar Aktuelle hereingefallen?

Recurrent Education ist zwcifelsohnc en vogue und demnächst als Schlagwort vielleicht in aller Munde. So dient e i zum Beispiel der 9. Europäischen Erziehungs- konferenz 1975 in Stockholm als Haupt- thema.

Nach den Einschätzungen der Autoren des vorliegenden OECD-Reports bietet Recurrent Education eine übereinstim- mende Lösungfür die Probleme im Erzie- hungswesen ganz unterschiedlicher Län- der. Aber findet sich für so sozial-struktu- rell unterschiedlich organisierte Länder wie etwa USA, Spanien und Jugoslawien, Schweden, Japan und irland wirklich eine gemeinsame allen gerecht werdende Al- ternative zum bisherigen System von Un- gerechtigkeit und Ungleichheit?

Die Frage deutet schon an, wie ab- strakt-idealistisch der Vorschlag des OECD-Reports sein muß.

Ausgangspunkt der Studie sind die Kernfragen, o b a) ein kontinuierlicher Beschulungspro-

zeß von der Vorschule bis zur Hoch- schule die beste Methode ist. jeden einzelnen auf seine künftige Rolle in der Gesellschaft vorzubereiten. und ob

b) die in den OECD-Landern in den letzten zwanzig Jahren kontinuierli- che Verlängerung der Schul- und Stu- dienzeit (Expansion des herkiimrnli- chen Bildungswesens) der Rolle ge- recht wird, die Wissen und Fähigkei- ten in der ,,modernen Gesellschaft spielen".

Auch wenn die Autoren trotz fehlen- der Sturkturanalyse vorhandene Fehlent- Wicklungen und Ungerechtigkeiten eines tendenziell anarchisch planenden Bil- dungssystems beim Namen nennen, ist doch die ,,grundsätzliche Alternative al- ler bisherigen Bildungsvorstellungen" - lebenslange Bildung und Erziehung jedes einzelnen irn periodischen Wechsel zwi- schen Ausbildung und Praxis -prinzipiell nur aus der gesellschaftlichen Analyse konkreter Herrschafts- und Konfliktver- hältnisse her nachvollziehbar.

Genau dies leistet das Recurrend Edu- cation-Modell nicht. Ausgehend von der Oberlegung, ,,daß in einer Gesellschaft,

~~ ~~

Hans-Joachim Petzold (25), Lehrerstu- dium (PH Freiburg undlörrach), I. Staats- examen, b:e-Redakteur

die rapiden Änderungen unterworfen ist, das ganze Leben hindurch ein Lernpro- zeß bei jedem einzelnen stattfinden soll'', wird von den Autoren ein lebenslanger Prozeß der Aneignung von Wissen und neuen Erfahrungen intendiert, der konsc- quent das eingeengte Verständnis von traditionellem Bildungserwerb in Frage stellt.

,,Lernen". eine menschliche Verhal- tensweise in jeder Lebenslage, von kon- kret Allgemeingültigem zu abstrahieren, Symbole zu schaffen und sie auf andere Situationen zu Übertragen und anzuwen- den, soll mit ,,Unterricht", organisiertem strukturiertem Lernen in einer absichtlich herbeigeführten formalen Lernsituation, zu einem Jebenslangen Wechselprozeß irn Dienste einer zunehmenden Fahigkeit der Menschen, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen" integriert werden.

Chancengleichheit, wie sie in diesen und anderen Zitaten der Recurrend-Edu- cation-Studie postuliert wird, muß jedoch genau sagen, um wessen Chancen und um welche Chancen es vorrangig gehen soll. Ableitbar ist dies nur aus der differenzier- ten Analyse der Klassen und Schichten einer Gesellschaft.

Denn betonen doch gerade auch libe- rale Bildungspolitiker die gesellschaftli- che Verflochtenheit und Komplexitat bil- dungspolitischer Unterprivilegierung von Individuum, Klasse und Schicht, Klassen- schicksal und sozialer Herkunft.

Nun stellt allerdings das Konzept Je- benslangen Lernens" als Alternative zur schrankenlosen Expansion des derzeiti- gen Bildungswesens auch nichts unbe- dingt neues dar.

Die Entschulungsideen Ivan Illichs und Everett Reimers haben ebenfalls Mängel des bürokratischen Expansionsbetriebs Schule dargestellt. Freilich bieten die Entschulungstheorien wegen der man- gelnden Konkretation gesellschaftlicher Zielprojektionen keine realistische Al- ternative, den ,,unerfüllten Traum" Chancengleichheit zu verwirklichen.

Genausowenig ist Schulreform, vor- rangig organisatorische Vervollkomm- nung der Institution Schule, bisher geeig- net gewesen, die Bildungschancen von Schülern unterschiedlicher gesellschaftli- cher Herkunft wesentlich zu verbessern. Immer wieder hat sich gezeigt, daß Ver- besserungen des Bildungssystems eben doch nicht ohne Veränderung des Ver- hältnisses von Klassen einer Geselischaft zueinander erreicht werden können. Da- von ist aber im OECD-Bericht - trotzdes verbalen Hinweises, daß Bildungsreform und Gesellschaftsreform nur als Einheit denkbar sind - nicht die Rede.

Chancengleichheit durch Bildung ist eine Illusion. Talent und lntelligenzquo- tient sind keine Garantie für beruflichen Erfolg und hohes Einkommen. Auch für die Einschätzung der OECD-Studie gill es sich erneut klartumachen. daß das Bildungssystem vom Beschäftigungssy- stem abhängt und nicht umgekehrt.

Mitarbeiicrstab vollc Auilnstung zu si- chern und das Niveau der ihnen zuflicßcn- den Einnahmcn zu haltcn. Doch da es an eincrn entsprechenden politischen Konzept fehlt, haben derartige Notmaßnahrncn er- hebliche Nachteile und tragen aahrichcin- lich kaum dazu bei, das Wcchsclspicl zwi- schen Bildung auf der eincn und den Bcdurfnisscn der Gesellschaft sowie dcn Erwartungen und Hoffnungen des einzel- nen auí der anderen Seite zu verbcssern. (. . .)

75. Jedcs der angestrebten Ziclc ist von Natur a u i doppclt orientiert, und zwar sowohl auf Anpassung als auch auf Eman- zipation hin. Es ist ebenso erfordcrlich. sich in den Dienst der Weitergabc von N ' k e n . Fähigkeiten und Haltungen zu stellen. wie ncue Wissensinhalte zu schafícn. n e w Fa- higkeiten zu entwickeln und n c u e Haltun- gen zu fordern. Dem einzelnen soll gehol- fen werden. sich den Anforderungen anzu- passen, die in der Gesellschaft an ihn herangetragen werden. andererseits soll cr die Fähigkeiten und das In~triimcntariurn erhalten, dic Gesellschaft zu vcrändcrn Dicwr fundamentale Zwiespalt gilt ehenso für das Glcichheitczicl. Deutlich zcigt sich das Dilemma weiterhin in der sozio-okono- mischen Dimension: Von eincr Ausbildung in periodischem Wechsel mit Praxis eruar- tet man eine größcre Konformität zwischcn den Bildungsinhaltcn und dcn Bcdürfnis- sen des Arheitsmarkici. andcrerseitc aber ebenso die Emanzipation d e i Individuums von sozio-ökonomischen Zwängen

76. Hat man erst einmal eingesehen. daCi da.; oben skizzierte Dilemma ein gr u ndl cge ndes hl e r k rn a I a 1 le r hi Id un gzpol i - tischcn Zielc ist (und eben dcshalb auch Charakteristikum der Aushildung irn Wechsel mit Praxis), so dürfte die Frage angebracht sein. o b eine periodisch mit Praxis alternierendc Ausbildung in dieser Hinsicht überhaupí etwas Neues zu bieten hat.

Charakteristisch fur das uberkommenc Bildungssystem ist seine wachsende Unfä- higkeit. die Erwartungen von Schülern und Studenten zu erfullen. Es versagt bei dcr Vorbereitung der Lernenden auf die krea- tive Rolle, die sie in der Gesellschaft zu spielen verlangen. I n einer zunehmend technisierten und bürokratkierten Welt wäre eine Verlagerung der bildungspoliti- schcn Grundlinie in Richtung ciner cman- zipatorischen Strategie wic etwa der cincr Ausbildung in periodischcm Wechsel mit Praxis von Vorteil sowohl für dcn einzelnen als auch für die Gesellschaft sclbct.

77. Der Grundgcdankc. auf dcm dic vorliegende Studie f i i R t . ist, dnR dic hicr unter dcr Bczcichnung ..Ausbildung in periodischem Wechsel mit Praxis" vorgc- schlagcne Strategie die Kraft in sich hat. i n jede der oben erörterten Ziclrichtungcn hin einen solchen Umschwung zu hcwirken - d. h.: bessere Chancen f u r die Entwick- lung des Individuums zu schaffen. mchr Bildungsgleichhcit und damit auch soziale Gleichheit herbeizufuhren sowie ein hcssc- res Wechselspiel zwischen dem Bildungs- Sektor und anderen sozialen Bereichen zu

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mewit Lerne unci arbelte!

odischcn ALI<- unCi Wcitcrhiltliing ist clic ,,vcrtikalc" iind .,hori7.ontalc" Intepration:

gilt - nach der Vcroffcntlichungdcs Janics- Rcportsi6 - ganz besonders für Großhri-

wird, die Einfuhrung des ncucn, auf dcn- Wechsel zwischen Arbcit und Aushildunr

,.Vertikal" muß die qtreng h6rnrchi- schc Folgc hcrmctisch gcschlosccner Lehr- l ind Lcrnhlcickc. dic man zu hcwältigcn hat, einem flcxihlcn Kiirs- system mit der Möglichkeit vcrscliic- dcnster Komhinationen Pial7 machen. dcrcn innerer Zusammcnhiing allcin aiif ihrcr Beziehung zu tien Prohlemcn bcruht. mit dcnen dcr Studiercndc zich auscinandcrsctzt oder die einfach in- ncrhalh seiner 1 ntcrcsscnspharc liegen. Das kann durchaus hcdcutcn. diiß ,,cinfuhrendc" Themen nehcn solchcn fur .,Fortgcschrittenc" Bestandteil ein und dccselhcn Programms sind. ..Horizontal" gcschcn. i s t der Bildungs- sektor wcitgchend immcr noch i n -,All- gcmeinhildung" und ,.Bcrufshildung" unterteilt. Tatsächlich entspricht dicscr Aufgliederung auf Sckundarschiilchc- ne im großcn und ganzen dic Trennung zwischcn angcschcncn u n d wcnigcr n n - gcwhcncn Bildungsangchotcn. Hicrin liegt cincs der Haupthindcrnissc auf dcni Wcge zu echtcr Glcichhcit dcr Bildungschanccn und heswrcr Entfal- tung der persónlichen Mbglichkeitcn jedes cinzcinen". ( . .)

1 1 1 . ÄuRerst komplex ist das Prohlcm dcr Lehrerschaft. Einerseits fuhrt man an, daB im Rahmen einer pcriodizch rnit Praxis alternierenden Aushildung die Monopol- stcllung eines diplomierten hzw. staatlich geprtiftcn Lchrcrstandes ahgeschafft und durch eine üffnung des Ixhrhcrufs ersetzt werdcii sollte. Dies wurdc hcdcutcn, daß - Bcrufstätigc aus allcn Arheitshcreichcn

und im Bcsitzder verschiedensten Quali- fikationcn und Erfahrungcn zum Lehren hcrangczogen würden und daß

- der Lehrberuf nicht notwendigerweise als Vollzeithcschäftigung oder als Dau- erhcruf anzusehen wäre.

Andcrerseits aher durfte dic Lehrcrrolle kunflig noch weit komplcxcr und an- spruchwollcr werden als heute, da auf den kiinftigcn Lehrer ncuc Aufgaben zukom- men: als Bcratcr in sozialen Fragen und solchen dcr sozialen Sicherheit. als Experte auf dem Gehiet der Untcrrichtstcchnolo- gie. als Laufbahnbcrater usw. Es f a l l t cchwcr, sich vorzustellen, wir ein Lehrer dies alles bcwältigcn soll. wenn dcr lxhrbc- ruf nicht wcitcr ..professionalisiert" wird. In vielen Mitgliedstaaten sind Icbli;iftc Diskussionen ubcr dic Rollc der Lehrcr- schaft und deren eigene ,,periodische Wci- terbildung" (Fortbildung) im Gange; dies

14 lm postsekmdaren Bercich zeigt sich dicser Unterschied wcniger dcutlich. Vicllcichr wäre es zurrcffcn<ier, die mcicren Ciirricula dicscr Bildurigss/u- fe, dic j a auf eincn heruflichcn Ah- schluB hzw. auf ein hcruf~qualifiztcrcn- d m Diplom vorbcreitcn, zur ..Beruh- hildung" zu zählen, $0 d a ß gc-genuber der Berufsausbildung auf Sckundar- scholebene lediglich ein Nivcauunter- schied bestünde.

tannien. (. . . )

Periodische Aüsbildüng und Arb-mârkt

~

131. Es leuchtet ein, daß ein Systcm periodisch mit Praxis abwechselnder Aus- bildung erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und insbesondere auf dcn beruflichen Aufstieg der Arheitnehmcr hii- hcn muß. Was den einzelnen angcht. so dürftc es die Gestaltung seiner beruflichcn Laufbahn erleichtern, indem es ihm ermog- licht, auf einem be\timrnten Gebiet Stufe um Stufe die gesamte Laufbahn-Lcitcr z u crklimmcn. statt sich rnit dcm Errcichcn einer bestimmten Ebene zu hcgniigcri. Ehenso konnte es dic Mobilität zwischcn den einzelnen Berufssparten crlcichtcrn, da es den Menschen die Möglichkeit giht. sich fur einen anderen Beruf als den ur- sprünglich gewählten auszubilden.

Schließlich bietet mit Praxis alterniercn- de Ausbildung die Chance. Berufe aufzu- gehen, die rn i t ungewöhnlich hartcn Ar- heitibedingungen verhundcn sind. dic das Familienleben nachhaltig hceinträchtigcn, außergewöhnlich gute körperliche Verfas- sung voraussetzen (die mit zunehmendem Alter nachzulassen pflegt) oder aher Ge- fahren fur die Gesundheit in sich bergenI4. Das neue Ausbildungssystem sollte die Voraussetzungen fur Umschulung und Be- rufswechsel bieten, wenn der einzelnc aus gesu nd he¡ t lic hen, fam il ¡aren oder sonst i - gen Gründen dazu gezwungen ist - und zwar vor dem Einsetzen der schädlichen Auswirkungen.

132. Ein wesentlicher Beitrag eincr Po- l i t ik dcs periodischen Wechscls zwischcn Ausbildung und Praxis ware die Schaffung hcsserer Voraussetzungcn fur einc Mitbc- stimmung im Betrieb sowie dariiher hinaus au f berufsständischer. regionaler und staat- licher Ebene. Auf Unternehmensehcnc ist die Schaffung von Bedingungcn, die Arbci- tern die Teilnahme an Programmen der periodischen Ausbildung ermöglichen, ci- nc notwendige Vorauscctzung für den Er- folg einer auf eine solche Aushildung ah- zielenden Politik. Gleichzeitig wcrdcn die Gewerkschaften eine entscheidende Rolle zu spielen haben, wenn es darum gehen

16 ,.Teacher education and training". Rc- pori by a committee of inquiry appoin- ted by the SecretaryoíStats for Educa- rinn and Science under thc chairman.+ hip of Lord James of Rusholme. Lon- don: HMSO 1972.

24 Es versteht sich von selbst. daß - parallel hierzu -Ansrrcngungcn unter- nonimen werden miisscn, un1 die Bc- dingungen zu verbessern, unter dericn dermaßen anstrengende und/oder ge- fährliche Arbeiten verrichtet wcrdcn.

hcruhcndcn Systcms zu crmöglichcn unil A rhci t srna r k t hcdingiingcn. Laufbahn- struhtiircn unti dic Vcrhaltni\sc a m A r - beitsplatz im oben geschilderten Sinn zii ve rand ern

133. Man wird vicllcicht Berufe entwik- kclii müssen; die neue Fertigkeiten und Fahigkciten voraussctzcn Auf Gruiid der Kontrolle Uber eincn hohen Anteil der Invest i t ion e n w ä re n modc r n c Zc n t r a I vc r - waltungcn in dcr Lagc. his zii einem gcwi4- scn Grad die Nachfragc (Icm Angchot anzupiisscn, d h. dic Schaffung von Ar- heitsstellen in jenen ßcreichcn anziircgcn. i n denen das Angchot an qiialifi7icrtcn Kraften danb tlcr mit Berufspraxiraltcrnie- renden Ausbildung am gr8Rtcn ist Zunch- mend c T w i r t scha f t 1 ichc r W o h I \ t a nd und eine allinahlichc Verlagerung dcr sozici- ökonomischcn Priorititen Iiisscn dann wohl cinc dcrartigc Politik iinnchmharcr und Icichtcr durchfuhrhiir crschcincn. al\ c\ heute auf dcn ersten Blick hin crschcincn mag. (. . .)

sozioijkonomische Dimension

163 Eines der Argumentc. die ziigun- stcn der periodisch mit anderen Aktivita- ten alternierenden Aurhildung vorgc- hracht werden. ist das berscrc Angchot an Arbeitskraften. das dieses Ausbildungscy- stem ermoglicht. In der Tat wäre cinc rsschcrc Anpassung des Aushildungswc- sens a n die Bedurfnicse des Arhcitsmarktes nach qualifiziertem Personal u n d gróßcrcr heruflichcr Mohilitat sehr zu hcgriiBcn Die Erwartungen. die man in dicscr Hinsicht in einc pcriodisch mit Pr;ixi\ altcrnicrcnde Aushildung ~ 1 7 1 . beruhcn auf dcr Annah- me. daB das nciie Aus- und Wcitcrhil- dungssystern hcsser geeignet sci. dic cnt- sprechenden Anforderungen zu erfullen. als dai gegenwärtigc Bildiingswscn und dic crgsnzcnde inncrhctriehlichc Aushil- dung. Allcrding5 ist noch ciii wcitcr Wcp zurückzulegcn. his diese Annahme Zuni gesicherten Forkchungscrgchnis und 7iir jcdcrzcit crhiirtharcn Erfahriiny wird. An- haltspunkte aus dem Bercich der Erwach- senenbildung tragen viellcieht dazu hci, einige der offcncn Fragen zu klären. Au+ schlaggehend können jedoch crst Erfah- rungen größercn Umfanges iind tinter Um- ständen gczicltc Vcrsuchc sein.

164. Einer der bcdcutcntistcn wirt- schaftlichen Vorteile. dcr mit Fug und Rccht von tlcr Politik cincr mit Praxis ahwcchsclndcn Aus- und Wcitcrhiidiing crwartct wcrdcn kann. ist cinc hcträchtli- che Vermehrung dcr Auswcichmiiglichkci- ten auf Hilfskräfte und Ersntzkraftc ;iller Art. auf die der Arhcitsmarkt wcitgchend angewiesen ist. Dies durfte sehr hohl hóhc- rc lnvcstition4kosten ausglcichen Eine

_-__ ~ , ". .. ... . . - ._ . . .. .

Page 14: lerne'und arbeite! - edudoc.educa.ch · lobi ihn und legt ihn als idealistischcs Gespinst bedauernd zur Seite - in jcnc Schublade, in der schon so viele Papicre mit ,,schönen Gedanken"

Thema: Lerne und ameke!

i.irung dieser Frage i s t von grbßter Bc- titling bei der Untersuchung J c b Wcch- iiwzugc\ zwischen pcriidiwhcr Aushil- ,iig und Arbcitsninrkt. Ahcrinal5 bedarf

hic r de r A niil y se s . h i i i best e he nd c r ,lllungs- und Au\bildungswcgc inncrhiilb r Industrie und des Dicn\tlci~iuiip!,wh-

14 im Hinhlick auf ihre Aukwirkung auf I I crsatzwciwn Austausch rwi\chcii Bc- t y p p p e n 165 Doch auch au:, einem anderen

iiL+.winkcl ist das umfassende Arbeit\- .irktprohlcm zu betrachten Einch dcr Llarten Ziele einer Au\hildung ini Wcch- t init Praxis ist die Schaffung cincs iieucn cchselhezuges zwkchen Bildungund Gc- Ilschaít und zwkchcn den vcrw.hicdcncn , hcnsah\chnittcn des Individuums. Dies itragi sich nicht mit einer einseitigen wrichiung der Au\hildung auf dic Bc-

, t r fn issc . und Erforrfernisc de5 Arbeits- ( . i rk '- Der Anqwuch periodisch mit an-

rcn nhtivitatcn dtcriiicrriidcr Ausbil- ing, dcm cinzelnen freie Entxhcidung

oc'r seinen Lebensweg zu crrnOglichen, ¡dihi ein Iccres Wort, wenn der Anglci- :iungsprozcß zwischen Arhcitsmarlii und iisbildung nicht zwciwitig wird. (. , ) 167 Die Problcmc, vor dic. sich der

,rizclnc gcstclli sieht, der, uni 3ich weiter- .ihildcn, voruhergchcnd 5einc.n Arhciis- i.itz iiufgibi, sind in crstcr Linie bcrulii- iicr Art hlan wiirdc auf Anhicbcrwartcn,

dicsc Prohlcnic sich vcrgrcißcrn, je ,ii~ilifizìcrter dcr Bcwcrhcr ist: erstens wird \ dann schwieriger win, Ersitz fur ihn zu ,iiclcn. so daß dcr Arbeitgeber chcrzbgcrn id, ihm Bildungwrlauh zu gcwhhren,

w i t e n s nimmt g m z einfach Jie Zahl J c r .rbeitsplcitze ah. j e hcihcr &I\ bcruflichr ivea au ist, Hingegen ninimt die berufiiclie lohilitat erfahrungsgemaß entsprechend

,L ' r erreichten Qualifikationwufc zu und lc.r potentielle Gewinn aus pcrit)disch m i t ' i axiMbwcchwlndcr Au\- und Wcitcrbil- I link ;iuf hohen Qu~\lifi~irtions~tiifcn ,iaUcr als auf weniger aiiqmxhsvolìcn >\iifcn. Außerdem weiß man. daU die tiance, Bildungsurlaub zu erlangen, die iihigkeit, einen solchen Urlaub auvuhan-

i c ln und durchzusetzen, bei hbhcrer beruf- ichcr Qualifikation nur um \o großer ist.

. .) 168. Die Einführung der periodisch mit

'raxib alternierenden Aus- und Wciterhil- iing muß von sorgfältig aukgewogcncn la lh ihmcn auf den Gchictcn der Arbeit\- Litrhcschaffung, der Arhcit\bcdinyungcn i d der sozidlcn Sichcrheii begleitet sein. rundlagc dicwt MJ3nahmcn wcrdcn cin- hlagige Untersuchungen uhcr die Folgen id die Bedeutungdcr Neuerungen fur den nzelnen ebenso wie für Unternehmen id Behordcn sein. Weiterhin müssen k i e

f einer möglichst weitgehenden ühercin- oft zwischen den Swialpattnern beru- n. In diesem Zusimmenhang sollte man :h den gegenwärtigen Bemuhungen der beitnrhmer nachgehen, einen grbßeren rfluß auf ihre eigene Arhcitssituation zu vinnen und prbferi, in welchcm Verhalt- dieser EinlluB zur Lernbcrcitschaft der roffenen steht. Experirncntc auf dwwm

If cniehung Nr 3 1 Mon 1974

Gebiet3' scheinen die These zu hestàtigen, diiß die 1-crnmótivation sehr weitgehend &von abhangi, welche unniitteibirrc Be- ziehung der 1,crnsioff zur Arbeiissiiuation tics einzelnen h3t unci in wclchcm Umfang die Arbeiiiichmcr sclbst die Gestaltung und den Inhalt der Kurse bestimmen kon- ncn ( . .)

SchluBbemerkung 175. (. . .) Eine der entscheidenden

übcrlegungen bei der Festlegung dieser Prioritarm wird der Gedanke an das Risiko sein. ilaß Vorkchrungcn fur eine mit Praxis alternierende Ausbildung, wenn sic schlccht terminiert und schlechi geplant sind, Ungleichheiten und Ungleichgewich- t c vielleicht nur vergroßern, anstatt sie abzubauen Einige allgemein anwendbare Prinzipien sol lkn daher grundsätzlich be- rücksichtigt wcrdcn: - Prioritit gebuhrt vielleicht jenen Er-

wac hic nen ohnc a bgc schlosse ne Se k un- dar- hzw. Primar\chulbildung, fur die eine periodisch mit Praxi!, al\crnierende Ausbildung eine echte Chance irn Sinne eines ,.Zweiten Bildungsweges" bedeu- I C I . Akzeptiert man dieses Prinzip, so wird ein grnßcr Teil dcr Mittel fur eine periodiwhe Ausbildung innerhalb der crstcn Entwichlungukkadc auf Grund- aushildungshursc gchcn miissen. Doch der Umfang. in dem nach und nach Lehrgange postsekundarer Prägung die Oberhand gewinnen werden, wird von Land zu Land erheblich schwanken.

- Ganz allgcmein wird nian - unter Wah- rung der Prioritit des Gleichheitsziels - in allen Landern dem älteren. schlecht ausgebildeten und arbeitslosen Bewer- hcr Vorrang geben müssen. Allerding\ wird es von der wirtschaftlichen Situation und politischen Konstellation jedes Lan- des abhangen, in welchem Umfang diese Priorit21 Erwägungen in den Schatten stellt, die vom Arbeitskräfteangebo~ und den vorhandenen Mitteln ausgehen.

- Eines der Hauptanlicgen der Politik mit Praxis alternierender periodischer Aus- bildung wird in allen Ländern das Pro- blcrn der Verfügbarkrit des Aushil- dungsangeboti sein. Wie jedochdas Netz cnt\prechcner Einrichtung auszusehen hat und o b die Entwicklung neuer Ver- fahren Iiir die Verbrciiungvon Bildungs- inhaltcn Vorrang erhalt, wird sehr weit- gehend von geographischen und demo- graphishen Gegebenheiten abhangen.

- In zunehmendem MaBe werden Bil- dungs- und Berufschancen für Frauen eines der vorrangigen Ziele jeder Politik mit Praxis oder Muße abwechselnder Aus- und Weiterbildung darstellen. Al- lerdings wird die Priorität, die man die-

30 Vgl.: Social Science Information 9 (5). Strategy for research and social change in inùustry: Report on the Industrid Drmocrircy Projecf in .Vnrway.

sem Ziel einräumt, gegen andere, inshc- sondcrc sozio-okonornische Ziclsctzun- gcn und Sachzwange abzuwägen win

- Die Rolle, zu der bcstchcndc po5tscliun- dar t Bildungsinstiiutionen im Rahnien eines Systems bon Ausbildung und Pr;ixi\ im periodischen Wcchwl aufgcrufcn sind, wird von Land zu Land differieren. Gewiß gilt f u r alle Ja\ Imgíri5tigc Zicl cinc5 vcrcinhcitlichtcn, wriigchcnd koordinierten Apparatcs von Bildung\- cinrichtungen, die auf der Pflichtichule aufhmcn Doch die Fd?igkcii der bereit\ vorhandenen Instiiutioncn, gccignetc Programme für Erwachsenem bieicn, i,t v a n Fall zu Fall sehr verschieden In Norclamcrika beispicl\wsisc hribcn ent- sprcchcndr Angcbotc herciis eine lange Tradiiioii, so da5 eine allmahliche Inte- gration von Jugend- und Erwachscncn- bildung nach Ahleistung der Schulpflicht im Bcreich des Mnglichen zu liegen scheint. In den meisten Landern Europa3 sind demgegenubsr starkere Widerstan- de zu erwarten und vielleicht bcdcutct cs hier cinc zusiitzliche Er\chwerni\, daB der Chance des ,,Zwcircn Bildung\wc- geh" fur schlecht ausgebildete Erwach- sene aller Voraussicht nach Vorrang gebühren wird

176. Nicht zu Unrecht hat man die mit Berufspraxis unù andercn Aktjvjtatcn al- ternicrende periodische Aus- und M'citer- bilduiig a h ,,politische Metapher" bezcich- net" Sie weist den Weg in cine rnoglichc ßildungszukunft ohnc einer bestimmten Bildungspolitik das Wort zu reden. Die Entwicklung auf diehc Zukunft hin erfor- def t die 1)efiniiion und Verwirklichung neuer politischer Zick und MaBiiahmen - unter breiteren als ausschliefilich bildungs- politischen Aspekten -, und es steht zu erwarten, dal3 diese poiitkchen Bestrebun- gen sich auf dem Wege zu ihrrm Fernziel ihrerseits noch entwickeln und verandrrn

Der gröBic Vorzug der periodisch mit anderen Aktivitäten altcrnierendcn Au\- bildung ist . daß sie den zahlreichen Ideen über die Zukunft des Bildungswesens und seine Relevanz íür die Bcdurfnisse und Erwartungen des Menschen cine Art Brennpunkt sein kann. ferner daß sic einen weitgespannten Rahmen absteckt. inner- halb desscn sich politische Mittel und Wege zur Erreichung dieses langfristigen Zieles entwickeln laswn. Auf dem Wege zu ihrer Vcrwirklichung ist die Ceíahr groí3, von der ursprünglichen Zielsetzung iihzuwci- chen Es \ich[ zu hoffen, da8 dìc vorliegrn- de Grunùsatzstudie dazu heitrhgi, das lang- fristig angestrcbtc Ziel zu definieren und Hilfestellung zu leisten, wenn cs daruni geht. die notwendigen Maßnahmen zu cnt- wickeln.

31 Vgl. Warren L. Ziegler: .,Recurrent Education: A Moùcì for ihe Future of Arioli Education and Learning in the United States", angefertigt fu r Jir Pla- nunpgruppe der Nationalen Stiftung íur Postsekundarr Erziehung unter USOE- Kontra kt-Nr. I - 7-070996 - 4253.