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Jan von der Bank DIE MAGISCHE FLASCHENPOST Pikkofintes zweite Reise Mit Illustrationen von Lena Winkel K J M Buchverlag

Leseprobe Die Magische Flaschenpost

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Page 1: Leseprobe Die Magische Flaschenpost

Jan von der Bank

DIE MAGISCHE

FLASCHENPOST

Pikkofintes zweite Reise

Mit Illustrationen von Lena Winkel

K J M Buchverlag

Page 2: Leseprobe Die Magische Flaschenpost

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1. Auflage, März 2016Copyright © 2016 Klaas Jarchow Media Buchverlag GmbH & Co. KG

Simrockstr. 9a, 22587 Hamburgwww.jarchow-media.de

ISBN 978-3-945465-17-2

Herstellung und Gestaltung: Eberhard Delius, BerlinDruck: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza

Printed in GermanyAlle Rechte vorbehalten

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Schlafende Möwen auf Pagensand

Der Mond stand hell und rund über Blankenese, und seinLicht überzog den großen Fluss zu Füßen des kleinenOrtes mit einem geheimnisvollen silbrigen Glitzern. Eineleichte Brise strich sanft und kühl die Ufer entlang, undvom Süllberg her war das leise Rauschen in den alten Bäu-men zu hören. Ansonsten war es mucksmäuschenstill aufden steilen Treppen und in den Gängen des Fischer- undLotsendorfes in jener lauen Frühlingsnacht vor mehr alseinhundert Jahren.

Pikkofinte Sturmholz und der Großvater Klabauter-mann gaben keinen Laut von sich, als sie den Dachbodendes alten reetgedeckten Kapitänshauses verließen und sichauf nackten Füßen auf den Weg hinunter zur Elbe mach-ten. Diese Nacht war genau die richtige für das Klabauter-Abenteuer, das vor ihnen lag.

Die Köstlichkeit der Tropen, das gute alte Klabauterbootdes Großvaters, lag wie immer in einem dichten Gebüscham Strand verborgen und sah für jedes menschliche Augenach kaum mehr als einer wirren Ansammlung aus Treib-holz, Tauenden und einer alten Apfelsinenkiste aus. Auchder Löschwassereimer der Josephine von Oevelgönne warhier versteckt. Pikkofinte hatte ihn von seiner ersten kur-zen Reise auf dem schmucken Schoner mitgebracht. Daswar im letzten Herbst gewesen, und nun konnte es doch

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wirklich nicht mehr lange dauern, bis die Josephine wiedernach Hamburg zurückkehrte.

»Beim nächsten Auslaufen bin ich auf jeden Fall dabei«,flüsterte Pikko und klopfte freundlich gegen den Eimer.»Dann bring ich dich zurück.«

»Pack mal lieber mit an!«, sagte der Großvater schmun-zelnd. »Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«

Gemeinsam schoben sie die Köstlichkeit über den nassenSand ins Wasser. Wie immer nahm der Großvater an derRuderpinne Platz, und Pikko setzte das Segel. Die Brisegriff in das alte, löchrige Tuch, und mit dem ablaufendenEbbstrom nahm das Klabauterboot rasch Fahrt auf.

Ihr Ziel war die Insel Pagensand, die einige Meilen strom-abwärts mitten in der Elbe lag. Oder, genauer gesagt, dasalte Schiffswrack, das dort seit langer Zeit auf einer derzahlreichen vorgelagerten Sandbänke von Ebbe und Flutumspült wurde. Mithilfe der günstigen Tide und demNachtwind im Rücken hofften sie, rechtzeitig vor Sonnen-aufgang dort einzutreffen. Das war wichtig, denn dieMöwen, die das Wrack bewohnten, sollten noch schlafen.Sonst würde das Vorhaben von Klabautergroßvater undKlabauterenkel ungleich schwieriger werden, und am Endegingen sie vielleicht sogar leer aus.

Aber daran wollte Pikkofinte gar nicht erst denken. Vielzu sehr hatte er sich schon tagelang auf dieses Abenteuergefreut. Seit er nämlich beim Herumblättern in H.C. Eisen-barts salzwasserfestem Handbuch der Klabauterei zufällig auf

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die Beschreibung eines Klabauterknotens mit dem seltsa-men Namen Doppelter Möwen-Stek gestoßen war undstaunend gelesen hatte, was dieser bewirkte. Danach hattePikko den Großvater so lange damit gelöchert, bis der ihmendlich versprochen hatte, den Möwenknoten gemeinsammit ihm auszuprobieren.

Das alte Wrack auf Pagensand war dafür der ideale Ort.Denn einerseits entfalteten Klabauterknoten ihre magi-sche Wirkung bekanntlich nur auf Schiffen – und auch einWrack war immer noch ein Schiff. Andererseits wohntenhier ausreichend viele Möwen, ohne die ein Möwenknotennatürlich nicht gelingen konnte.

Langsam wich das hohe, schwarz bewaldete Ufer anSteuerbord zurück und machte einer weiten, flachen Land-schaft Platz, durch die sich der große Strom wie ein breitessilbernes Band zog. An den Ufern wechselten sich helleSandbänke und Strände mit ausgedehnten dunklen Schilf-

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gürteln ab, in denen sacht der Nacht-wind raschelte. Dahinter erhoben sichdie Deiche, welche die Menschen zumSchutz vor den Sturmfluten errichtethatten. Hier und da konnte man die Dä-cher kleiner Dörfer oder vereinzelterGehöfte über die Deichkrone lugensehen.

Andere Schiffe schienen in dieserNacht nicht unterwegs zu sein, dochab und zu grüßte das freundliche rote, grüne oder weißeBlinken einer Fahrwassertonne oder eines am Ufer stehen-den Leuchtfeuers. Pikkofinte Sturmholz liebte es, hier ent-langzusegeln, vor allem nachts und bei Vollmond. Dochheute konnte ihm die Fahrt nicht schnell genug vorüber-gehen, so ungeduldig sehnte er das Abenteuer mit denMöwen herbei.

Um sich die Zeit bis zu ihrer Ankunft zu verkürzen, griffPikkofinte in die Tasche seiner rotweiß gestreiften Klabau-terhose und holte das winzig kleine, in abgegriffenes dunk-les Leder gebundene Handbuch der Klabauterei hervor, daser stets bei sich trug. Er suchte eine bestimmte Seite,musste aber gar nicht lange danach blättern. Denn das ma-gische Büchlein schlug sich meist ganz von selbst an derrichtigen Stelle auf.

Pikkos Herz begann vor Freude und Aufregung ganzheftig zu klopfen, als er den folgenden Eintrag las:

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Der Großvater Klabautermann hatte den DoppeltenMöwen-Stek in seiner Jugend oft und mit viel Vergnügenangewandt, und wenn er ehrlich war, auch danach immermal wieder. Daher wusste er auch, dass er sich am ein-fachsten um die Füße einer Möwe knoten ließ, wenn dieseschlief.

»Es geht zwar auch, wenn sie wach ist«, hatte er erklärt,»aber dann wird’s gleich viel, viel schwieriger. Dann mussman die Möwe ablenken. Mit Futter zum Beispiel. Oderman braucht einen Spiegel.«

Das mit dem Futter hatte Pikko sofort eingeleuchtet.Oft hatte er in Blankenese beobachtet, wie die Möwen sichunter lautem Gekreische und Gezeter um eine Fischgräteoder anderes Futter zankten. Und da Klabautermänner dieGabe haben, alle Tiere zu verstehen, wusste er, dass sienicht gerade höflich miteinander waren. Aber was solltedas mit dem Spiegel?

Da hatte der Großvater gegrinst und erklärt: »Doch,doch! Möwen sind ziemlich eitel. Du wirst es erleben.«

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Doppelter Möwen-Stek – mag i s c h e r Kno t en, d e r e s e i n em

K l a b au t e rmann e rmö g l i c h t zu f l i e g e n . E r b e s t e h t au s zw e i

S c h l i n g en – do p p e l t v e rzw i r b e l n , du r c h s t e c k e n , s pu c k e n , f e r t i g

–, we l c h e m i t b e i d e n End en e i n e s Tamp en s um d i e Füß e e i n e r

M öw e g e k nü p f t w e r d e n . W e nn d i e M öw e au f s c h r e c k t und l o s -

f l i e g t , s e tz t man s i c h e i n f a c h i n d i e S c h l au f e , d i e d e r Tamp en

zw i s c h e n d e n M öw en füß e n b i l d e t , und l ä s s t s i c h t r a g e n . D i e

M öwe w i r d d e r Mag i e d e s Kn o t e n s und dam i t d em K l a bau t e r -

mann g eh o r c h e n mü s s e n .

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Die Köstlichkeit der Tropen war ein schneller Segler. Sie er-reichten Pagensand eine ganze Stunde vor Sonnenaufgangund zogen das Klabauterboot über den Strand bis zumFlutsaum hinauf. Dort versteckten sie es im Schilf undmachten sich auf den Weg zur nördlichen Sandbank. Imallerersten Morgenlicht, das sich grau im Osten an denHimmel stahl, sah das alte Schiffswrack ziemlich traurigund ein kleines bisschen unheimlich aus, sogar für einenkleinen Klabautermann. Die beiden abgeknickten Mastenund der Klüver ragten wie drohende Finger einer schwar-zen Hand in die Luft. Und vom morschen Rumpf, der be-reits halb im Sand versunken lag, war wenig mehr als diemächtigen runden Holzspanten übrig geblieben. Das siehtja aus wie das Gerippe eines gestrandeten Walfisches,dachte Pikko unbehaglich und schauderte.

»Komm«, sagte der Großvater, der das Zaudern seinesEnkels bemerkt hatte. »Aber sei leise. Sonst wachen sie aufund sind im Handumdrehen weggeflogen.«

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Auf dem Bug des Wracks hausten die Möwen in einergroßen Kolonie. Mit eingezogenen Köpfen, geschlossenenAugen und ins Gefieder gesteckten Schnäbeln saßen dieVögel in kleinen Gruppen nebeneinander und schliefen.

Lautlos kletterten Großvater und Enkel am Bug hinauf.Nun waren sie auf dem Schiff, und damit konnte der Zau-ber des Möwenknotens wirken. Den Tampen dazu hattensie sich bereits vorsorglich um den Rücken gelegt. Das warein alter Trick des Großvaters.

»Damit man schneller in der Schlaufe sitzt, wenn’s nachoben geht«, hatte er erklärt.

Nun legte der alte Klabautermann den Finger an die Lip-pen – sei nur ja leise! – und deutete auf zwei Vögel, dieetwas abseits saßen. Der linke sollte für Pikko sein, denrechten wollte der Großvater für sich selber. Lautlos schli-chen sie vorwärts. Pikkofintes Herz pochte vor Aufregunglaut, und es hätte ihn wirklich nicht gewundert, wenn dieMöwen davon erwacht wären.

Pikko kniete sich hin und knotete die erste Schlinge umden rechten Fuß seiner Möwe. Dabei schielte er ein wenigzur Seite, um zu sehen, wie der Großvater es machte. Derwar sogar schon mit der zweiten Schlinge fertig. Auffor-dernd nickte er Pikko zu, sich zu beeilen. Tatsächlich ke-ckerte Pikkofintes Möwe bereits und öffnete schläfrig dieAugen. Sie spürte sofort, dass da etwas vor sich ging. Dochbevor sie einen schrillen Schrei ausstoßen konnte, griff derGroßvater beherzt nach ihrem Schnabel und hielt ihn zu.Völlig verdutzt vergaß der Vogel zu flüchten.

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»Beeil dich, Junge!«, sagte derGroßvater jetzt laut.

Rasch knüpfte Pikko diezweite Schlinge des Möwen-Steks. Dann ließ der Großvaterden Schnabel seiner Möwe los,und mit einem schrillen »He, wassoll das?« flatterte sie in die Luft.

Der kleine Klabautermann schaff- te es gerade noch, sich in die Schlaufedes Tampens zu setzen, und schon ging esin irrwitzigem’ Tempo steil nach oben. Unter sich konntePikko sehen, wie nun sämtliche Möwen in heller Aufre-gung hochschreckten und ebenfalls davonflogen. DasWrack, die Sandbank und sogar der große Strom unter sei-nen Füßen wurden immer kleiner und kleiner.

Bis hierher hatte der kleine Klabautermann vor Überra-schung und Aufregung keinen Ton herausbekommen.Doch nun jauchzte er aus vollem Herzen: »Ich kann fliegen!Ich kann fliegen!«

»Tsää khää! Erzähl keinen Quatsch!«, antwortete einekrächzende Stimme über ihm. »Du hältst dich doch nurfest.«

Es dauerte einen Moment, bis Pikkofinte begriff, dasses seine Möwe war, die da sprach.

»Die ganze Arbeit mit dem Flügelschlagen und allemhab schließlich ich. Tsäh, auch noch vor dem Frühstück.Unverschämtheit, tssääh! Und nun lass los!«

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»Wie bitte?«, fragte Pikko verdutzt.Er dachte, er hätte sich verhört.»Dann fall ich doch runter!«

»Jetzt hör sich das einer an! Under behauptet, er kann fliegen! Kä-hähähääh!«

Es klang wie ein schrilles Lachen.»Schon gut«, sagte der kleine Kla-

bautermann. »Vielleicht sollte ich micherst mal vorstellen? Ich heiße Pikko-finte und bin ein Klabautermann.«

»Mir doch egal!«, krähte es von oben. Pikko überhörte den schnippischen Tonfall und ver-

suchte es weiter mit Freundlichkeit: »Und du? Hast duauch einen Namen?«

»Tsäh! Natürlich habe ich das! Du hast die völlig unver-diente Ehre, mit der nobelsten und schönsten aller Möwenzu fliegen, mit Otto von Plüsterich dem VII.«

»Dem was?«, fragte Pikko erstaunt. »Dem VII. Tsäh! Und jetzt lass endlich los! Du bringst

mir noch mein ganzes Federkleid in Unordnung.«»Ich denke ja gar nicht daran!«, rief der kleine Klabau-

termann, nun ebenfalls empört. »Und wenn du Otto derNeunundneunzigste wärst !«

Dass Möwen zänkisch waren, wusste Pikkofinte. Aberdiese hier schien ein besonders streitlustiges Exemplar zusein.

In diesem Moment kam eine zweite Möwe herange-

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saust. Es war diejenige,die den Großvater un -ter sich trug.

»Wenn sie frech wird,sag ihr einfach, sie soll

den Schnabel halten«, riefer herüber. »Der Knoten

sorgt dafür, dass sie tut, wasdu willst.«

»Hää tsääh! Jetzt hör sich daseiner an!«, krähte Pikkos Möwe laut. »Mir, einem von Plüs-terich, überhaupt irgendwas verbieten zu wollen! Un-ver-schämt-heit!«

»Ach, halt einfach den Schnabel, Otto!«, rief Pikkofinte.»Und dann ... mach eine Schraube!«

Die Möwe keckerte beleidigt. Aber sie gehorchte, indemsie nichts mehr sagte und die Schraube in der Luft drehte.

»Juchuu!«, schrie Pikko ausge-lassen.

»So is’ richtig, Junge!«, lachteder Großvater herüber. »Passauf: Sturzflug!«

Auch Großvaters Möwe ge-horchte und ging in einen steilenSturzflug.

»Hinterher, Ötte!«, rief Pikko aus-gelassen. »Lass dich ja nicht abschüt-teln!«

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Das Geheimnis des alten Wracks

Den ganzen Morgen und den größten Teil des Vormittagsverbrachten sie in der Luft, ließen ihre Möwen Fangenspielen, drehten wilde Schrauben, machten Loopings, Saltiund sonstige Kunststückchen. Doch irgendwann hatte derGroßvater genug, weil sein Hinterteil in der rauen Seil -schlaufe doch ein wenig zu schmerzen begann. Er winktePikko zu, landete und gab seine Möwe frei, indem er denDoppelten Möwen-Stek löste. Hastig und sehr erleichtertflatterte der Seevogel davon.

Aber für Pikko war das Fliegen einfach zu schön, umjetzt aufzuhören. Die Aussicht über die weite Landschaftwar einfach fantastisch, und unten auf dem großen Fluss,der hell in der Sonne glitzerte, konnte Pikko nun viele klei-nere und größere Schiffe sehen.

»Die will ich mir anschauen!«, rief er. »Geh mal tiefer.«»Darf ich vielleicht doch noch mal was sagen?«, fragte

Otto der VII., und es klang etwas zerknirscht.»Wenn du nicht wieder frech wirst ...«, antwortete Pik-

kofinte. »Ich werde langsam müde. Kri. Und fressen muss ich

auch etwas. Tsää khää. Sonst kriege ich noch einen Krampfin den Flügeln, und wir stürzen beide ab.«

Es klang tatsächlich sehr erschöpft und lange nichtmehr so frech.

»Na schön«, sagte Pikko. »Landen wir.«

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Und als er kurz darauf den Möwenknoten löste, machteauch Otto von Plüsterich der VII. sich sofort davon.

»Un-ver-schäääämt-heit!«, hörte Pikko ihn noch schreien. Schade, dachte Pikkofinte. Er hätte sich gern noch für

den großen Spaß bedankt, den er gehabt hatte.Den Rest des helllichten Tages vor der Heimfahrt ver-

schliefen die beiden Klabautermänner an Bord der Köst-lichkeit der Tropen in ihrem Versteck im Schilf. Erst als esbereits wieder Nacht geworden war und die Tide mit dernächsten Flut günstig für ihre Rückreise nach Blankenesestand, machten sie sich auf den Heimweg. Neben all denwunderbaren Eindrücken ihres Luftabenteuers gab es den-noch etwas, das auf Pikkofintes Gemüt drückte. Es hattemit dem alten, traurigen Schiffswrack zu tun. Er beschloss,den Großvater danach zu fragen.

»Meinst du, es ist in einem Sturm dort gestrandet?«»Nein«, brummte der Großvater und kratzte sich nach-

denklich unter seinem langen Bart. »Ich glaube, die See-leute haben es aufgegeben und absichtlich dort auflaufenlassen.«

»Absichtlich? Wieso sollten sie so was Dummes tun?«,fragte Pikko und lehnte sich bequem an den Bauch desGroßvaters. Insgeheim rechnete er damit, nun eine aufre-gende Geschichte zu hören über Piraterie oder Schmuggeloder dergleichen. Aber es kam etwas anderes.

»Tja, das Schiff war wohl nicht mehr seetüchtig, weil es... nun ja ... weil es zu krank war.«

»Krank?« Dass Schiffe krank sein konnten, hatte Pikko-

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finte noch nie gehört. Es klang ein wenig beunruhigend.»Was für eine Krankheit hatte es denn?«

»Würmer«, antwortete der Großvater und spuckte in dieElbe. »Schiffsbohrwürmer, genauer gesagt. Teredo navalis.Unangenehme kleine Biester, fressen sich in die Plankenund Spanten und lassen nichts übrig als einen wertlosenHaufen Treibholz.«

»Ja, aber ... hatte das Schiff denn keinen Klabauter-mann, der darauf Acht gegeben hat?«

Der Großvater zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht.Aber selbst wenn einer an Bord war, hätte er auch nichtviel gegen die Schiffsbohrwürmer tun können. Der magi-sche Knoten, der ein Schiff vor ihnen schützt, ist leidernoch nicht erfunden.«

In Pikkos Vorstellung tauchte das unerfreuliche Bild von

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ekligen Würmern auf, die sich genüsslich schmatzend amHolz seiner heiß geliebten Josephine von Oevelgönne zuschaffen machten.

»Wie schrecklich!«, murmelte er und schmiegte sich un-willkürlich enger an den Großvater.

»Ja«, nickte dieser und legte beschützend den Arm umseinen Enkel. »Vor allem, wenn man bedenkt, dass wir Kla-bauterleute nicht ganz unschuldig an der Existenz dieserWürmer sind.«

»Wieso das?«, fragte Pikko erschrocken.»Tja, das ist eine lange Geschichte ...«, antwortete der

Großvater, machte aber keinerlei Anstalten, sie zu erzäh-len. Stattdessen sagte er nur: »Auf jeden Fall brauchst dudir keine Sorgen zu machen. Schiffsbohrwürmer sind inunseren Breiten so gut wie ausgestorben. Und das ganzohne die Hilfe von magischen Knoten.«

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