1
„Die Lüge ist ein Winkelgang, von dem man durch eine Hintertreppe zur Wahrheit gelangen kann.“ Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799), deutscher Aphoristiker Weisheiten zur Lüge und was sie bedeuten Teil II Von Markus Brauer „Wenn man über jemanden die Wahrheit erfahren will, ist dieser Jemand meiner Erfahrung nach der Letzte, den ich fragen würde.“ Dr. Gregory House, von dem dieses Zitat stammt, ist der schmerzmittelsüchtige Wunderheiler aus der US-Fernsehserie „Dr. House“, ein Spezialist für Diagnostik und leidenschaftlicher Zyniker. Er lügt wie gedruckt, wenn es ihm in den Kram passt und er damit seine meist etwas ver- queren Ziele erreichen kann. Seine Pa- tienten hält er generell für notorische Lügner und setzt sie nicht zuletzt deshalb seinen erbarmungslosen Diagnosen aus. „Wer findig genug ist, eine Lüge glaubhaft darzustellen, mag lieber geradezu die Wahrheit sagen.“ Der irische Schriftsteller Oscar Wilde (1854–1900) legte mit seinem scharfsinni- gen Humor die Kehrseiten und Vorurteile, das Verhalten und die unbequemen Wahr- heiten der viktorianischen Gesellschaft offen. 1891 veröffentlichte der bekennen- de Homosexuelle einen satirischen Dialog mit dem Titel „Der Verfall der Lüge“, in dem er für eine schnörkellose Lüge mit bestem Gewissen plädiert. „Die Lüge ist ein Winkelgang, von dem man durch eine Hintertreppe zur Wahrheit gelangen kann.“ Michel de Montaigne (1533–1592) war ein französischer Politiker und Philosoph, der mit seinem Hauptwerk, den „Essais“, die literarische Form des Essay begründe- te. Als Skeptiker bezweifelte er, dass der Mensch Wahrheiten mit Gewissheit er- kennen könne. Weder die Sinneswahrneh- mung biete absolute Sicherheit, noch gebe es ein allgemein gültiges Kriterium für ra- tionale Urteile. Die Unwahrheit zu sagen und der Lüge erlegen zu sein liegt ihm zu- folge in der begrenzten Erkenntnisfähig- keit des Menschen begründet. „Es wird niemals so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd.“ Otto Eduard Leopold Fürst von Bis- marck (1815–1898), der Erste Kanzler des Deutschen Kaiserreiches, musste es wis- sen. Als preußischer Staatsmann und „Eiserner Kanzler“ kannte er sich wie kein Zweiter in den Fallstricken der Diplomatie und Politik aus. Die politische Lüge war für ihn Mittel zum Zweck, der bekanntlich die Mittel heiligt. „Die Strafe des Lügners ist nicht, dass ihm niemand mehr glaubt, sondern dass er selbst niemandem mehr glauben kann.“ George Bernhard Shaw (1856–1950) war ein irisch-britischer Dramatiker und Satiriker, der 1925 den Nobelpreis für Li- teratur und 1939 den Oscar für das beste adaptierte Drehbuch erhielt. Er griff häu- fig zum Stilmittel der satirischen Über- spitzung und Groteske, was auch in die- sem Zitat deutlich herauszulesen ist. „Wenn alle Menschen immer die Wahrheit sagten, wäre das die Hölle auf Erden.“ Jean Gabin (1904–1976) zählt zu den großen Charakterdarstellern des französi- schen Kinos. In seinem Spätwerk „Die Katze“ von 1971 glänzte er an der Seite von Simone Signoret. In dem Film spielen sie ein altes Ehepaar, das eine trostlose, von Lügen und Verbitterung erfüllte Ehe führt. Er empfindet nur noch etwas für seine Katze, seine Frau dagegen ist ihm nach über 20 Jahren Ehe so ziemlich egal. „Der Politik ist eine bestimmte Form der Lüge fast zwangsläufig zugeordnet: das Ausgeben des für eine Partei Nützlichen als das Gerechte.“ Carl Friedrich von Weizsäcker (1912–2007) war ein deutscher Physiker, Philosoph und Friedensforscher. Als jun- ger Wissenschaftler forschte er begeistert im Atomprogramm der Nationalsozialis- ten an der Uranbombe, bis er die ganze Lüge und Unmenschlichkeit des Terrorre- gimes durchschaute. „Männer, die behaupten, sie seien die un- eingeschränkten Herrscher im Haus, lügen auch bei anderer Gelegenheit.“ Der US-Schriftsteller Mark Twain (1835–1910) ist als Autor der Bücher über die Abenteuer von Tom Sawyer und Hu- ckleberry Finn weltberühmt geworden. Zugleich war er ein scharfzüngiger Kriti- ker der amerikanischen Gesellschaft, der auch die Rolle der selbst ernannten „Her- ren der Schöpfung“ satirisch aufs Korn nahm. Ernest Hemingway sagte einmal über ihn: „Die gesamte amerikanische Li- teratur stammt von einem Buch von Mark Twain namens ‚Huckleberry Finn‘ ab. Vor- her gab es nichts. Seitdem gab es nichts, was dem gleichkommt.“ Von Markus Brauer Kriminalisten bekämpfen Straftaten und das Verbrecherunwesen durch vorbeugende und strafverfolgende Maßnahmen. Eine zentrale Methode hierbei ist die Verneh- mung, bei der Beschuldigte, Betroffene, Ver- dächtige oder Zeugen durch Polizeibeamte oder Staatsanwälte befragt werden. In den Kursen des Psychologie-Professors Max Hermanutz an der Polizeihochschule in Vil- lingen-Schwenningen lernen angehende Kommissare, welche Merkmale auf die Wahrheit hinweisen. Hermanutz setzt dabei ausschließlich auf verbale Hinweise. In der modernen Verneh- mungspsychologie sei man von nonverbalen Merkmalen wie Mimik, Gestik oder Körper- haltung vielfach abgekommen, weil sie nur stören und zu Falschurteilen führen würden. „In der polizeilichen Praxis in Baden-Würt- temberg hat sich diese Erkenntnis aber noch nicht ganz durchgesetzt.“ In einem Leitfa- den hat Hermanutz 19 Glaubhaftigkeits- merkmale aufgelistet, die auch von Rechts- psychologen vor Gericht verwendet werden. Eine polizeiliche Vernehmung läuft laut Lehrbuch folgendermaßen ab: In gravieren- deren Fällen beschreibt die Aussageperson ausführlich, was ihr zu einem entsprechen- den Vorfall oder Vorwurf einfällt. Anhand dieses freien Berichts suchen die Beamten nach bestimmten Merkmalen, die die Glaubwürdigkeit des Schreibers untermau- ern oder infrage stellen. Enthält der Bericht beispielsweise überflüssige oder ungewöhn- liche Details? Gibt es Widersprüche, Quer- verbindungen zu ähnlichen Vorgängen oder Erinnerungslücken? Ist die Erzählweise ungeordnet oder frei von Widersprüchen und Selbstbelastungen? „Die Studenten lernen so zu vernehmen, dass sie diese verbalen Wahrheitsmerkmale sehen und finden. Nonverbale Hinweise wie Mimik, Gestik oder Körperhaltung sollten sie am besten komplett ignorieren“, betont der Psychologe. Neuere Studien hätten erge- ben, dass die Trefferquoten bei Lügen schlechter seien, wenn man verbale Inhalte und nonverbale Hinweise kombiniert, als wenn man nur liest oder zuhört. „Wenn je- mand zuckt oder nervös wird, achtet der Ver- nehmungsbeamte vielleicht auf diese non- verbalen Hinweise und wird abgelenkt und auf eine falsche Fährte geführt.“ Das ausgeklügelte Mimik-System des amerikanischen Psychologen Paul Ekman sei für die Polizei nicht anwendbar, weil es zu kompliziert sei. „Wenn ich jemanden ver- nehme und ihn im Verhör mit seinem Bericht konfrontiere, kann derjenige vielleicht Angst bekommen oder sich schämen. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass er lügt.“ In der Polizeiarbeit spielen Lügendetek- toren keine Rolle. Weil der Apparat ver- schiedene Reaktionen des Körpers, aber keine Lügen misst, nennen Experten ihn auch Polygraf – Vielschreiber. Der Bundes- gerichtshof lehnte ihn 1998 in einem Urteil als Beweismittelwegen mangelnder Verläss- lichkeit der Ergebnisse ab. Während einer Befragung misst und re- gistriert das Instrument Veränderungen bei Blutdruck und Puls sowie bei der Atmung und elektrischen Leitfähigkeit der Haut. Das Verfahren ist umstritten, weil gewiefte Probanden die Lügendetektoren überlisten sowie Emotionen wie Wut, Enttäuschung oder Überraschung das Ergebnis verfäl- schen können. Lügendetektoren sagen nichts über die Lüge Polizeipsychologe setzt auf verbale Warnsignale bei Vernehmungen – Polygraf als Beweismittel in Deutschland nicht zulässig Wer verbirgt sich hinter der Maske? Mimik-Forscher versuchen aus minimalen Veränderungen von Gesichtsausdrücken herauszufinden, ob jemand lügt oder die Wahrheit sagt Foto: Fotolia Von Markus Brauer Bei Dr. Carl Lightman ist Lügen zwecklos. Lightman ist Ermittler und Held der US- Fernsehserie „Lie To Me“, der in den Mienen der Menschen abliest, ob sie lügen. Die Kri- miserie basiert auf den Forschungen des US- Emotionspsychologen Paul Ekman, der sich seit über 40 Jahren mit Lügnern beschäftigt. Ekman hat ein System erfunden, mit dem selbst kleinste Veränderungen im Gesichts- ausdruck gedeutet werden können. Sein „Facial Action Coding System“ (FACS) umfasst rund 10 000 Gesichtsausdrücke – darunter „Micro-Expressions“, winzige mi- mische Veränderungen, die in Sekunden- bruchteilen übers Gesicht huschen: eine hochgezogene Augenbraue, Unterbrechung der Atmung, ein aufgesetztes Lächeln oder Blinzeln. Mikro-Expressionen sind unwill- kürliche, nicht bewusst gesteuerte Bewe- gungen der Gesichtsmuskeln, die auf unter- drückte Emotionen hindeuten. Mit ihrer Hilfe können Experten herausfinden, ob jemand lügt oder die Wahrheit sagt. Doch wie erkennt man versteckte Signale? Gibt es Tricks, um Betrüger, Lügner und Täuscher zu entlarven? Gesichtsveränderung: Lügner und Trickser können sich durch plötz- liche Veränderungen der Mimik ver- raten. „Diese Mikro-Ausdrücke sind unbe- wusst und zeigen, was jemand wirklich fühlt“, sagt der Münchner Wirtschaftspsy- chologe Jack Nasher. „Die wenigsten kön- nen sie kontrollieren. Sie erstrecken sich auf das ganze Gesicht.“ Beim Lügen können drei zentrale Emotionen auftreten: Angst, Freu- de und Schuld. Angst etwa kann ein Gefühl sein, das auf eine Lüge hinweist, wenn der Gefühlsausdruck im Widerspruch zu dem steht, was jemand sagt. Ein Zucken im Mundwinkel oder eine hochgezogene Au- genbraue sind aber noch kein sicheres Indiz. „Im Gesicht sehen wir keine Lügen, sondern nur Emotionen. Wichtig dabei ist: Wir wissen nie, warum eine bestimmte Emotion auftritt“, erklärt der Mimik-Experte, Emo- tionscoach und Autor Dirk Eilert („Mimik- resonanz. Gefühle sehen. Menschen verste- hen“, Junfermann-Verlag). „Indem wir die Emotionen hinterfragen, sammeln wir Hin- weise, ob eine Aussage wahr oder falsch ist.“ Stress: Am Gesicht kann man sehen, ob jemand gestresst ist. Ein Beispiel: Normalerweise blinzelt der Mensch zehn- bis 15-mal pro Minute, bei Stress steigt die Frequenz auf bis zu 60-mal. Eilert: „Dies kann niemand kontrollieren. Die Atmung beschleunigt sich, die Berührungs- gesten nehmen zu: Man spielt mehr mit den Fingern, kratzt sich im Gesicht oder leckt sich über die Lippen.“ Auch die Gesichts- farbe könne sich schlagartig verändern. „Wir werden rot, wenn wir verlegen sind, und blass, wenn wir Angst haben. Das lässt sich nicht bewusst steuern.“ Der Grund: „Da das Emotionszentrum direkt mit der mimi- schen Muskulatur verbunden ist, zucken wir, bevor der Verstand reagieren kann.“ Gestik: Oft passt die Körpersprache nicht zum Inhalt des Gesagten, oder sie stimmt nicht mit der Mimik über- ein. Jack Nasher, der als Professor an der Munich Business School lehrt, nennt das Disharmonie: „Lügner sind eher steif und hölzern, sie versuchen kontrolliert zu sein und nicht aufzufallen“, erklärt der Buch- autor („Durchschaut! Das Geheimnis, klei- ne und große Lügen zu entlarven“, Heyne- Verlag). Allerdings gebe es keine bestimmte Bewegung, die untrüglich auf eine Lüge hinweise. „Es gibt keine typische Lügner- haltung.“ Das bestätigt auch der Würzbur- ger Medienpsychologe Frank Schwab, der Ekmans System bei einem seiner Schüler er- lernt hat. „Das sind nur Hinweise, der Sache noch mal genauer nachzugehen.“ Verhaltensänderung: Menschen, die die Unwahrheit sagen, neigen dazu, ihr Verhalten plötzlich zu ändern, um ihre Gefühle zu verbergen. Mitunter tritt das Gegenteil auf, wenn jemand seine Freude kaum unterdrücken kann, weil er seinem Gegenüber eine Bären aufgebunden hat. Auch das geschehe meist unbewusst, wo- durch sich viele Lügner verraten, so Nasher. Kontext: Es kommt immer auf den Zusammenhang an, in dem etwas ge- sagt wird oder sich eine Mimik zeigt. So ist es in einem Polizeiverhör für die meis- ten völlig normal, wenn sie nervös sind und schwitzen, selbst wenn sie nichts verbrochen haben. Deshalb sei es wichtig, Vergleiche zu haben, um Abweichungen vom Normal- verhalten festzustellen, sagt Eilert. „Man muss erst ein bisschen mit der Person plau- dern, um einen Eindruck von ihrem Normal- verhalten zu bekommen. Dann lassen sich Veränderungen in Gestik und Mimik leich- ter und vor allem zuverlässiger erkennen.“ Sprache: Es ist vor allem die Sprache , die einen Lügner verrät, wobei gera- de Politiker als Rhetorik-Profis dies- bezüglich oft schwer zu durchschauen sind. Spätestens wenn sie etwas inbrünstig beto- nen oder überzeugend klingen wollen, sollte man misstrauisch werden. Der Psychologe Max Hermanutz von der Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen listet 19 verbale Glaubhaftigkeitsmerkmale auf, die angehende Kommissare lernen müssen – wie überflüssige, ungewöhnliche Details, unver- standene Handlungsstränge oder spontane Verbesserungen der Rede. Einer Lüge fehle es an sprachlichen De- tails und Ausschmückungen, erklärt Nasher. „Lügner haben Angst, sich zu verraten, und geben deshalb so wenig Details wie möglich preis. Außerdem sind sie zögerlich und ver- suchen, Zeit zu schinden.“ Ein anderes Indiz können Sprachhülsen und Floskeln sein, die die Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit beto- nen und mit denen man sich von moralisch verwerflichen Praktiken distanzieren will. Starrer Blick: Die obere Gesichtshälf- te mit der Augenpartie ist Eilert zu- folge eher unbewusst gesteuert, wes- halb sie zuverlässiger ist als die Mundpartie, wenn es um die Deutung von Gefühlen geht. Lügner können ihrem Gegenüber nicht in die Augen schauen, lautet ein gängiges Kli- schee. Das sei grober Unfug, das Gegenteil sei der Fall, erklärt Eilert. Statt verlegen auf den zu Boden oder an die Decke zu blicken, starre der Täuscher einen eher an und fixiere ihn, um glaubhaft zu wirken und herauszu- finden, ob er schon enttarnt sei. Allerdings gibt es laut Nasher eine Ausnahme: Wenn Lügner große Schuldgefühle hätten, würden sie dem direkten Augenkontakt ausweichen. Nase: Gibt es die Pinocchio-Nase, die, wenn sie schon nicht wie bei der Holzpuppe in Carlo Collodis Kinder- buch beim Lügen wächst, sich doch zumin- dest verfärbt? Studien der beiden US-For- scher Alan Hirsch und Charles Wolf zeigen, dass beim Lügen Hormone freigesetzt wer- den, die den Blutfluss in der Nase verstär- ken. Deshalb würden sich Lügner häufig an die juckende Nase fassen – wie Bill Clinton. Der frühere US-Präsident hatte sich im Jahr 1988 vor der Grand Jury wegen seiner Affäre mit der Praktikantin im Weißen Haus, Moni- ka Lewinsky, zu verantworten. 26-mal fasste er sich an sein Riechorgan, als Staatsanwäl- te ihn fragten, ob er Sex mit Lewinsky hatte. Mimikexperten halten diesen „Pinocchio- Effekt“ für ein Ammenmärchen. Forscher der spanischen Universität von Granada haben allerdings mit Hilfe von Wärmebild- kameras nachgewiesen, dass sich bei Lüg- nern die Durchblutung und Temperatur eines Muskels an der Innenseite der Augen erhöht. Lügner haben zwar keine langen, aber zumindest warme Nasen. Lügner haben warme Nasen Mimik-Experten verraten acht Merkmale, an denen man Betrüger und Trickser mit etwas Übung erkennen kann Es gibt viele Signale, die einen Lügner entlarven: Mimik, Gestik, Körperspra- che. Die Kunst besteht darin, sie zu erkennen und zu einem stimmigen Charakterbild zusammenzufügen. Polygraf bei der Arbeit Foto: Archiv 1 3 2 4 5 6 7 8 V3 Nummer 130 • Samstag, 7. Juni 2014 Solo

LgnerhabenwarmeNasen - Dirk Eilert · 2020. 4. 24. · Jack Nasher, der als Professor an der Munich Business School lehrt, nennt das Disharmonie: ¹Lg ner sind eher steif und hl zern,

  • Upload
    others

  • View
    3

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: LgnerhabenwarmeNasen - Dirk Eilert · 2020. 4. 24. · Jack Nasher, der als Professor an der Munich Business School lehrt, nennt das Disharmonie: ¹Lg ner sind eher steif und hl zern,

„Die Lüge ist ein Winkelgang, von dem man durch eine Hintertreppe zur Wahrheit gelangen kann.“ Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799), deutscher Aphoristiker

Weisheiten zurLüge und was siebedeuten Teil IIVon Markus Brauer

„Wenn man über jemanden die Wahrheiterfahren will, ist dieser Jemand meinerErfahrung nach der Letzte, den ich fragenwürde.“

Dr. Gregory House, von dem dieses Zitatstammt, ist der schmerzmittelsüchtigeWunderheiler aus der US­Fernsehserie„Dr. House“, ein Spezialist für Diagnostikund leidenschaftlicher Zyniker. Er lügtwie gedruckt, wenn es ihm in den Krampasst und er damit seine meist etwas ver­queren Ziele erreichen kann. Seine Pa­tienten hält er generell für notorischeLügner und setzt sie nicht zuletzt deshalbseinen erbarmungslosen Diagnosen aus.

„Wer findig genug ist, eine Lüge glaubhaftdarzustellen, mag lieber geradezu dieWahrheit sagen.“

Der irische Schriftsteller Oscar Wilde(1854–1900) legte mit seinem scharfsinni­gen Humor die Kehrseiten und Vorurteile,das Verhalten und die unbequemen Wahr­heiten der viktorianischen Gesellschaftoffen. 1891 veröffentlichte der bekennen­de Homosexuelle einen satirischen Dialogmit dem Titel „Der Verfall der Lüge“, indem er für eine schnörkellose Lüge mitbestem Gewissen plädiert.

„Die Lüge ist ein Winkelgang, von demmandurcheineHintertreppezurWahrheitgelangenkann.“

Michel de Montaigne (1533–1592) warein französischer Politiker und Philosoph,der mit seinem Hauptwerk, den „Essais“,die literarische Form des Essay begründe­te. Als Skeptiker bezweifelte er, dass derMensch Wahrheiten mit Gewissheit er­kennen könne. Weder die Sinneswahrneh­mung biete absolute Sicherheit, noch gebees ein allgemein gültiges Kriterium für ra­tionale Urteile. Die Unwahrheit zu sagenund der Lüge erlegen zu sein liegt ihm zu­folge in der begrenzten Erkenntnisfähig­keit des Menschen begründet.

„Es wird niemals so viel gelogen wie vorder Wahl, während des Krieges und nachder Jagd.“

Otto Eduard Leopold Fürst von Bis­marck (1815–1898), der Erste Kanzler desDeutschen Kaiserreiches, musste es wis­sen. Als preußischer Staatsmann und„Eiserner Kanzler“ kannte er sich wiekein Zweiter in den Fallstricken derDiplomatie und Politik aus. Die politischeLüge war für ihn Mittel zum Zweck, derbekanntlich die Mittel heiligt.

„Die Strafe des Lügners ist nicht, dass ihmniemand mehr glaubt, sondern dass erselbst niemandemmehrglaubenkann.“

George Bernhard Shaw (1856–1950)war ein irisch­britischer Dramatiker undSatiriker, der 1925 den Nobelpreis für Li­teratur und 1939 den Oscar für das besteadaptierte Drehbuch erhielt. Er griff häu­fig zum Stilmittel der satirischen Über­spitzung und Groteske, was auch in die­sem Zitat deutlich herauszulesen ist.

„WennalleMenschen immerdieWahrheitsagten,wäredasdieHölle auf Erden.“

Jean Gabin (1904–1976) zählt zu dengroßen Charakterdarstellern des französi­schen Kinos. In seinem Spätwerk „DieKatze“ von 1971 glänzte er an der Seitevon Simone Signoret. In dem Film spielensie ein altes Ehepaar, das eine trostlose,von Lügen und Verbitterung erfüllte Eheführt. Er empfindet nur noch etwas fürseine Katze, seine Frau dagegen ist ihmnach über 20 Jahren Ehe so ziemlich egal.

„Der Politik ist eine bestimmte Form derLüge fast zwangsläufig zugeordnet: dasAusgeben des für eine Partei Nützlichenals dasGerechte.“

Carl Friedrich von Weizsäcker(1912–2007) war ein deutscher Physiker,Philosoph und Friedensforscher. Als jun­ger Wissenschaftler forschte er begeistertim Atomprogramm der Nationalsozialis­ten an der Uranbombe, bis er die ganzeLüge und Unmenschlichkeit des Terrorre­gimes durchschaute.

„Männer, die behaupten, sie seien die un-eingeschränktenHerrscher imHaus, lügenauchbei andererGelegenheit.“

Der US­Schriftsteller Mark Twain(1835–1910) ist als Autor der Bücher überdie Abenteuer von Tom Sawyer und Hu­ckleberry Finn weltberühmt geworden.Zugleich war er ein scharfzüngiger Kriti­ker der amerikanischen Gesellschaft, derauch die Rolle der selbst ernannten „Her­ren der Schöpfung“ satirisch aufs Kornnahm. Ernest Hemingway sagte einmalüber ihn: „Die gesamte amerikanische Li­teratur stammt von einem Buch von MarkTwain namens ‚Huckleberry Finn‘ ab. Vor­her gab es nichts. Seitdem gab es nichts,was dem gleichkommt.“

Von Markus Brauer

Kriminalisten bekämpfen Straftaten unddas Verbrecherunwesen durch vorbeugendeund strafverfolgende Maßnahmen. Einezentrale Methode hierbei ist die Verneh­mung, bei der Beschuldigte, Betroffene, Ver­dächtige oder Zeugen durch Polizeibeamteoder Staatsanwälte befragt werden. In denKursen des Psychologie­Professors MaxHermanutz an der Polizeihochschule in Vil­lingen­Schwenningen lernen angehendeKommissare, welche Merkmale auf dieWahrheit hinweisen.

Hermanutz setzt dabei ausschließlich aufverbale Hinweise. In der modernen Verneh­mungspsychologie sei man von nonverbalenMerkmalen wie Mimik, Gestik oder Körper­haltung vielfach abgekommen, weil sie nurstören und zu Falschurteilen führen würden.„In der polizeilichen Praxis in Baden­Würt­temberg hat sich diese Erkenntnis aber nochnicht ganz durchgesetzt.“ In einem Leitfa­den hat Hermanutz 19 Glaubhaftigkeits­

merkmale aufgelistet, die auch von Rechts­psychologen vor Gericht verwendet werden.

Eine polizeiliche Vernehmung läuft lautLehrbuch folgendermaßen ab: In gravieren­deren Fällen beschreibt die Aussagepersonausführlich, was ihr zu einem entsprechen­den Vorfall oder Vorwurf einfällt. Anhanddieses freien Berichts suchen die Beamten

nach bestimmten Merkmalen, die dieGlaubwürdigkeit des Schreibers untermau­ern oder infrage stellen. Enthält der Berichtbeispielsweise überflüssige oder ungewöhn­liche Details? Gibt es Widersprüche, Quer­verbindungen zu ähnlichen Vorgängen oderErinnerungslücken? Ist die Erzählweiseungeordnet oder frei von Widersprüchenund Selbstbelastungen?

„Die Studenten lernen so zu vernehmen,dass sie diese verbalen Wahrheitsmerkmalesehen und finden. Nonverbale Hinweise wieMimik, Gestik oder Körperhaltung solltensie am besten komplett ignorieren“, betontder Psychologe. Neuere Studien hätten erge­ben, dass die Trefferquoten bei Lügenschlechter seien, wenn man verbale Inhalteund nonverbale Hinweise kombiniert, alswenn man nur liest oder zuhört. „Wenn je­mandzucktodernervöswird,achtetderVer­nehmungsbeamte vielleicht auf diese non­verbalen Hinweise und wird abgelenkt undauf eine falsche Fährte geführt.“

Das ausgeklügelte Mimik­System des

amerikanischen Psychologen Paul Ekmansei fürdiePolizeinichtanwendbar,weil eszukompliziert sei. „Wenn ich jemanden ver­nehme und ihn im Verhör mit seinem Berichtkonfrontiere, kann derjenige vielleichtAngst bekommen oder sich schämen. Aberdas bedeutet noch lange nicht, dass er lügt.“

In der Polizeiarbeit spielen Lügendetek­toren keine Rolle. Weil der Apparat ver­schiedene Reaktionen des Körpers, aberkeine Lügen misst, nennen Experten ihnauch Polygraf – Vielschreiber. Der Bundes­gerichtshof lehnte ihn 1998 in einem UrteilalsBeweismittelwegenmangelnderVerläss­lichkeit der Ergebnisse ab.

Während einer Befragung misst und re­gistriert das Instrument Veränderungen beiBlutdruck und Puls sowie bei der Atmungund elektrischen Leitfähigkeit der Haut.Das Verfahren ist umstritten, weil gewiefteProbanden die Lügendetektoren überlistensowie Emotionen wie Wut, Enttäuschungoder Überraschung das Ergebnis verfäl­schen können.

Lügendetektoren sagen nichts über die LügePolizeipsychologe setzt auf verbaleWarnsignale bei Vernehmungen – Polygraf als Beweismittel in Deutschland nicht zulässig

Wer verbirgt sich hinter derMaske?Mimik-Forscher versuchen ausminimalen Veränderungen vonGesichtsausdrückenherauszufinden, ob jemand lügt oder dieWahrheit sagt Foto: Fotolia

Von Markus Brauer

Bei Dr. Carl Lightman ist Lügen zwecklos.Lightman ist Ermittler und Held der US­Fernsehserie „Lie To Me“, der in den Mienender Menschen abliest, ob sie lügen. Die Kri­miserie basiert auf den Forschungen des US­Emotionspsychologen Paul Ekman, der sichseit über 40 Jahren mit Lügnern beschäftigt.

Ekman hat ein System erfunden, mit demselbst kleinste Veränderungen im Gesichts­ausdruck gedeutet werden können. Sein„Facial Action Coding System“ (FACS)umfasst rund 10 000 Gesichtsausdrücke –darunter „Micro­Expressions“, winzige mi­mische Veränderungen, die in Sekunden­bruchteilen übers Gesicht huschen: einehochgezogene Augenbraue, Unterbrechungder Atmung, ein aufgesetztes Lächeln oderBlinzeln. Mikro­Expressionen sind unwill­kürliche, nicht bewusst gesteuerte Bewe­gungen der Gesichtsmuskeln, die auf unter­drückte Emotionen hindeuten. Mit ihrerHilfe können Experten herausfinden, objemand lügt oder die Wahrheit sagt.

Doch wie erkennt man versteckte Signale?Gibt es Tricks, um Betrüger, Lügner undTäuscher zu entlarven?

Gesichtsveränderung: Lügner undTrickser können sich durch plötz­liche Veränderungen der Mimik ver­

raten. „Diese Mikro­Ausdrücke sind unbe­wusst und zeigen, was jemand wirklichfühlt“, sagt der Münchner Wirtschaftspsy­chologe Jack Nasher. „Die wenigsten kön­nen sie kontrollieren. Sie erstrecken sich aufdasganzeGesicht.“BeimLügen könnendreizentrale Emotionen auftreten: Angst, Freu­de und Schuld. Angst etwa kann ein Gefühl

sein, das auf eine Lüge hinweist, wenn derGefühlsausdruck im Widerspruch zu demsteht, was jemand sagt. Ein Zucken imMundwinkel oder eine hochgezogene Au­genbraue sind aber noch kein sicheres Indiz.„Im Gesicht sehen wir keine Lügen, sondernnur Emotionen. Wichtig dabei ist: Wirwissen nie, warum eine bestimmte Emotionauftritt“, erklärt der Mimik­Experte, Emo­tionscoach und Autor Dirk Eilert („Mimik­resonanz. Gefühle sehen. Menschen verste­hen“, Junfermann­Verlag). „Indem wir dieEmotionen hinterfragen, sammeln wir Hin­weise, ob eine Aussage wahr oder falsch ist.“

Stress: Am Gesicht kann man sehen,ob jemand gestresst ist. Ein Beispiel:Normalerweise blinzelt der Mensch

zehn­ bis 15­mal pro Minute, bei Stresssteigt die Frequenz auf bis zu 60­mal. Eilert:„Dies kann niemand kontrollieren. DieAtmung beschleunigt sich, die Berührungs­gesten nehmen zu: Man spielt mehr mit denFingern, kratzt sich im Gesicht oder lecktsich über die Lippen.“ Auch die Gesichts­farbe könne sich schlagartig verändern.„Wir werden rot, wenn wir verlegen sind,und blass, wenn wir Angst haben. Das lässtsich nicht bewusst steuern.“ Der Grund: „Dadas Emotionszentrum direkt mit der mimi­schen Muskulatur verbunden ist, zuckenwir, bevor der Verstand reagieren kann.“

Gestik: Oft passt die Körpersprachenicht zum Inhalt des Gesagten, odersie stimmt nicht mit der Mimik über­

ein. Jack Nasher, der als Professor an derMunich Business School lehrt, nennt dasDisharmonie: „Lügner sind eher steif undhölzern, sie versuchen kontrolliert zu seinund nicht aufzufallen“, erklärt der Buch­autor („Durchschaut! Das Geheimnis, klei­ne und große Lügen zu entlarven“, Heyne­Verlag). Allerdings gebe es keine bestimmteBewegung, die untrüglich auf eine Lügehinweise. „Es gibt keine typische Lügner­haltung.“ Das bestätigt auch der Würzbur­ger Medienpsychologe Frank Schwab, der

Ekmans System bei einem seiner Schüler er­lernt hat. „Das sind nur Hinweise, der Sachenoch mal genauer nachzugehen.“

Verhaltensänderung: Menschen, diedie Unwahrheit sagen, neigen dazu,ihr Verhalten plötzlich zu ändern, um

ihre Gefühle zu verbergen. Mitunter tritt dasGegenteil auf, wenn jemand seine Freudekaum unterdrücken kann, weil er seinemGegenüber eine Bären aufgebunden hat.Auch das geschehe meist unbewusst, wo­durch sich viele Lügner verraten, so Nasher.

Kontext: Es kommt immer auf denZusammenhang an, in dem etwas ge­sagt wird oder sich eine Mimik zeigt.

So ist es in einem Polizeiverhör für die meis­ten völlig normal, wenn sie nervös sind undschwitzen, selbst wenn sie nichts verbrochenhaben. Deshalb sei es wichtig, Vergleiche zuhaben, um Abweichungen vom Normal­verhalten festzustellen, sagt Eilert. „Manmuss erst ein bisschen mit der Person plau­dern, um einen Eindruck von ihrem Normal­verhalten zu bekommen. Dann lassen sichVeränderungen in Gestik und Mimik leich­ter und vor allem zuverlässiger erkennen.“

Sprache:Es ist vor allem die Sprache ,die einen Lügner verrät, wobei gera­de Politiker als Rhetorik­Profis dies­

bezüglich oft schwer zu durchschauen sind.Spätestens wenn sie etwas inbrünstig beto­nen oder überzeugend klingen wollen, sollteman misstrauisch werden. Der PsychologeMax Hermanutz von der Hochschule fürPolizei in Villingen­Schwenningen listet 19verbale Glaubhaftigkeitsmerkmale auf, dieangehende Kommissare lernen müssen – wieüberflüssige, ungewöhnliche Details, unver­standene Handlungsstränge oder spontaneVerbesserungen der Rede.

Einer Lüge fehle es an sprachlichen De­tails und Ausschmückungen, erklärt Nasher.„Lügner haben Angst, sich zu verraten, undgeben deshalb so wenig Details wie möglichpreis. Außerdem sind sie zögerlich und ver­

suchen, Zeit zu schinden.“ Ein anderes Indizkönnen Sprachhülsen und Floskeln sein, diedie Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit beto­nen und mit denen man sich von moralischverwerflichen Praktiken distanzieren will.

Starrer Blick:Die obere Gesichtshälf­te mit der Augenpartie ist Eilert zu­folge eher unbewusst gesteuert, wes­

halb sie zuverlässiger ist als die Mundpartie,wenn es um die Deutung von Gefühlen geht.Lügner können ihrem Gegenüber nicht indie Augen schauen, lautet ein gängiges Kli­schee. Das sei grober Unfug, das Gegenteilsei der Fall, erklärt Eilert. Statt verlegen aufden zu Boden oder an die Decke zu blicken,starre der Täuscher einen eher an und fixiereihn, um glaubhaft zu wirken und herauszu­finden, ob er schon enttarnt sei. Allerdingsgibt es laut Nasher eine Ausnahme: WennLügner große Schuldgefühle hätten, würdensie dem direkten Augenkontakt ausweichen.

Nase: Gibt es die Pinocchio­Nase,die, wenn sie schon nicht wie bei derHolzpuppe in Carlo Collodis Kinder­

buch beim Lügen wächst, sich doch zumin­dest verfärbt? Studien der beiden US­For­scher Alan Hirsch und Charles Wolf zeigen,dass beim Lügen Hormone freigesetzt wer­den, die den Blutfluss in der Nase verstär­ken. Deshalb würden sich Lügner häufig andie juckende Nase fassen – wie Bill Clinton.Der frühere US­Präsident hatte sich im Jahr1988 vor der Grand Jury wegen seiner Affäremit der Praktikantin im Weißen Haus, Moni­ka Lewinsky, zu verantworten. 26­mal fassteer sich an sein Riechorgan, als Staatsanwäl­te ihn fragten, ob er Sex mit Lewinsky hatte.

Mimikexperten halten diesen „Pinocchio­Effekt“ für ein Ammenmärchen. Forscherder spanischen Universität von Granadahaben allerdings mit Hilfe von Wärmebild­kameras nachgewiesen, dass sich bei Lüg­nern die Durchblutung und Temperatureines Muskels an der Innenseite der Augenerhöht. Lügner haben zwar keine langen,aber zumindest warme Nasen.

Lügner haben warme NasenMimik-Experten verraten achtMerkmale, an denenman Betrüger und Tricksermit etwas Übung erkennen kann

Es gibt viele Signale, die einen Lügnerentlarven: Mimik, Gestik, Körperspra-che. Die Kunst besteht darin, sie zuerkennen und zu einem stimmigenCharakterbild zusammenzufügen.

Polygraf bei der Arbeit Foto: Archiv

13

2

4

5

6

7

8

V3Nummer 130 • Samstag, 7. Juni 2014Solo