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Licht und Luft ins Haus lassen Modernes Bauen: Wie Architekten in Bayern die Ideen und Formensprache des Bauhauses interpretierten Lichtlose Schlafkasernen“ nennt Walter Gropius, die Bauten, in denen Arbeiter und sozial schwach gestellte Bürger vor und nach dem Ersten Welt- krieg leben. Bauunternehmer planen Woh- nungen ohne Sonneneinstrahlung, selbst in rei- nen Arbeitervierteln entstehen Großwohnungen mit fünf oder mehr Zimmern. Diese Wohnungen werden dann – in Teilwohnungen zerstückelt – an mehrere Familien vermietet. Und weiter unterver- mietet an Zimmerbewohner und Schlafgänger. 1925 haben in München 15 000 Haushaltungen keine eigene Wohnung, insgesamt 70 000 Men- schen leben in überfüllten Wohnungen mit mehr als zwei Personen in einem Wohnraum. Sanitäre und soziale Missstände sind die Folge. Ein Münchner Gewerkschaftsbericht aus dem Jahr 1925 hält fest: „Eine achtbare Familie bewohnt mit 7 Kindern im Alter bis 17 Jahren, Buben und Mädel durcheinander, Küche und Zimmer. Die Folge: Das 15-jährige Mädchen wird Mutter, der 17-jährige Sohn kommt ins Gefängnis wegen Blutschande.“ Rückblickend erklärt Gropius: „Seit uns klarge- worden ist, welcher unendliche Schaden durch unzureichende Unterkunft und trostlose Umge- bung der Seele und dem Körper der Familie an- getan wird, ist das Wohnen der Bevölkerung zum wichtigsten sozialen Ziel einer verantwortungsbe- wussten Gruppe geworden.“ Zu den Anhängern dieser „verantwortungsbe- wussten Gruppe“ zählt der Augsburger Architekt Thomas Wechs (1893 bis 1970). Er bekennt sich als „Freund des Bauhauses“, ein Kreis, der 1924 ins Leben gerufen wird und dem unter anderen Albert Einstein, Oskar Kokoschka und Arnold Schönberg angehören. Schon 1919 nimmt Wechs als Student an einem Wettbewerb der TH Mün- chen teil, der unter dem Motto „Luft und Sonne“ steht. Die Preisaufgabe beinhaltet die Konzeption einer Kleinwohnungssiedlung mit Wohnungen bis zu drei Zimmern, Wohnküche, Balkon, Lau- ben, Nutzgärten und Spielwiesen. Thomas Wechs löst die Aufgabe offenbar bestens – er erhält einen ersten Preis. Der Architekturstudent wird gelobt für „reichlich Luft und Sonne“ und seine „einheitliche, einfache architektonische Gestal- tung“. VIEL UND BILLIG. Möglichst viele Woh- nungen zu geringer Miete: So lautet Thomas Wechs Aufgabe neun Jahre später. Im Auftrag der Stadt Augsburg schafft er den Schubert- und Lessing- hof mit Flachdächern, Fensterbändern (geometrisch strenge und durchlaufen- de Fenster), weißem Putz und farbigen Fensterprofilen. Der renommierte Archi- tekturhistoriker Winfried Nerdinger lobt diese Anlage heute als „erste moderne Viel Lichteinfall war für Fritz Landauer ent- scheidend. Hier das Wohnhaus Hirschmann in Fürth. FOTOS: ARCHITEKTURMUSEUM SCHWABEN, NACHLASS LANDAUER

Licht und Luft ins Haus lassen - Sep Ruf Gesellschaft€¦ · in eine Reihe mit Bauten von Hans Scharoun, dem späteren Schöpfer der Berliner Philharmonie, und Bruno Taut, dem Architekten

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Page 1: Licht und Luft ins Haus lassen - Sep Ruf Gesellschaft€¦ · in eine Reihe mit Bauten von Hans Scharoun, dem späteren Schöpfer der Berliner Philharmonie, und Bruno Taut, dem Architekten

Licht und Luft ins Haus lassen

Modernes Bauen: Wie Architekten in Bayern die Ideen und Formensprache des Bauhauses interpretierten

Lichtlose Schlafkasernen“ nennt Walter Gropius, die Bauten, in denen Arbeiter und sozial schwach gestellte Bürger vor und nach dem Ersten Welt- krieg leben. Bauunternehmer planen Woh- nungen ohne Sonneneinstrahlung, selbst in rei- nen Arbeitervierteln entstehen Großwohnungen mit fünf oder mehr Zimmern. Diese Wohnungen werden dann – in Teilwohnungen zerstückelt – an mehrere Familien vermietet. Und weiter unterver- mietet an Zimmerbewohner und Schlafgänger. 1925 haben in München 15 000 Haushaltungen keine eigene Wohnung, insgesamt 70 000 Men- schen leben in überfüllten Wohnungen mit mehr als zwei Personen in einem Wohnraum.

Sanitäre und soziale Missstände sind die Folge. Ein Münchner Gewerkschaftsbericht aus dem Jahr 1925 hält fest: „Eine achtbare Familie bewohnt mit 7 Kindern im Alter bis 17 Jahren, Buben und Mädel durcheinander, Küche und Zimmer. Die Folge: Das 15-jährige Mädchen wird Mutter, der 17-jährige Sohn kommt ins Gefängnis wegen Blutschande.“

Rückblickend erklärt Gropius: „Seit uns klarge- worden ist, welcher unendliche Schaden durch unzureichende Unterkunft und trostlose Umge- bung der Seele und dem Körper der Familie an- getan wird, ist das Wohnen der Bevölkerung zum wichtigsten sozialen Ziel einer verantwortungsbe- wussten Gruppe geworden.“

Zu den Anhängern dieser „verantwortungsbe- wussten Gruppe“ zählt der Augsburger Architekt

Thomas Wechs (1893 bis 1970). Er bekennt sich als „Freund des Bauhauses“, ein Kreis, der 1924 ins Leben gerufen wird und dem unter anderen Albert Einstein, Oskar Kokoschka und Arnold Schönberg angehören. Schon 1919 nimmt Wechs als Student an einem Wettbewerb der TH Mün- chen teil, der unter dem Motto „Luft und Sonne“ steht. Die Preisaufgabe beinhaltet die Konzeption einer Kleinwohnungssiedlung mit Wohnungen bis zu drei Zimmern, Wohnküche, Balkon, Lau- ben, Nutzgärten und Spielwiesen. Thomas Wechs löst die Aufgabe offenbar bestens – er erhält einen ersten Preis. Der Architekturstudent wird gelobt für „reichlich Luft und Sonne“ und seine „einheitliche, einfache architektonische Gestal- tung“.

VIEL UND BILLIG. Möglichst viele Woh- nungen zu geringer Miete: So lautet Thomas Wechs Aufgabe neun Jahre später. Im Auftrag der Stadt Augsburg schafft er den Schubert- und Lessing- hof mit Flachdächern, Fensterbändern (geometrisch strenge und durchlaufen- de Fenster), weißem Putz und farbigen Fensterprofilen. Der renommierte Archi- tekturhistoriker Winfried Nerdinger lobt diese Anlage heute als „erste moderne

Viel Lichteinfall war für Fritz Landauer ent- scheidend. Hier das Wohnhaus Hirschmann in Fürth. FOTOS: ARCHITEKTURMUSEUM

SCHWABEN, NACHLASS LANDAUER

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Unser Bayern / BSZ | Bayerische Staatszeitung Januar / Februar 2019 Jahrgang 68, Nr. 1/2, S. 11–16
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Mit dem Schuberthof (oben) und dem Lessinghof in Augsburg schuf Thomas Wechs die ersten mo- dernen Wohnsiedlungsbauten in Bayern. FOTOS: ARCHITEKTURMUSEUM

SCHWABEN, NACHLASS WECHS

Wohnsiedlung in Bayern“. Die Londoner Times würdigt Schubert- und Lessinghof 1932 als „Mo- dern German Buildings“ schlechthin und setzt sie in eine Reihe mit Bauten von Hans Scharoun, dem späteren Schöpfer der Berliner Philharmonie, und Bruno Taut, dem Architekten berühmter Sied- lungen in Berlin. In Folge der Weltwirtschaftskrise 1929 macht sich Wechs 1931/32 einen Namen als Architekt vieler Sakralbauten.

Sakralbauten, genauer gesagt Synagogen, zählen auch zu den Hauptwerken des jüdischen Archi- tekten Fritz Landauer, der 1883 in Augsburg zur Welt kommt und 1968 im Londoner Exil stirbt. Er macht 1930/31 von sich reden, als er in Augs- burg und Fürth die Einfamilienhäuser Strauß und Hirschmann schafft – zwei Bauten, die zu den in Bayern ganz seltenen Beispielen des Neuen Bau- ens der 1920er- und 1930er-Jahre zählen. Licht, Luft und Sonne sind maßgebend für diese Häu-

ser. Es sind flachgedeckte Kuben mit großen, breitgelagerten Stahlfenstern, glatt verputzten Mauern, ebenerdigen Schlaf- und Wohnzimmern und vorgelagerten Sonnenterrassen.

MODERN BEDEUTET FLACH. Die Pläne zum Haus Hirschmann werden innerhalb eines Monats ge- nehmigt – ganz anders ist das bei Bauvorhaben vom Architekten Peter Feile (1899 bis 1972). 1927 entwirft er in Würzburg ein kleines Flach- dachhaus – es wäre das erste in Bayern gewe- sen. Nach Debatten im Würzburger Stadtrat und einem positiven Votum legt sich die Regie- rung von Unterfranken quer. Unverständnis äu- ßert der Fränkischen Volksfreund, er schreibt am 3. Oktober 1928: „Die Rolle des Historismus ist zu Ende. Nieder mit dem Provinzialismus.“ Drei Jahre später plant Feile neue Flachdachbauten in der Würzburger Lerchenhainsiedlung: Es sollen 31 weiße Häuser entstehen. Zur Vorbesichtigung

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kommen 10 000 Neugierige. Verwirklicht werden nur drei Musterhäuser, die in der Nazi-Zeit Steil- dächer erhalten.

Augsburg, Nürnberg, Fürth, Würzburg – all das sind in Bayern Beispiele, wie das vom Weima- rer/Dessauer Bauhaus inspirierte „Neue Bauen“ in den 1920er- und 1930er-Jahren zumindest partiell Fuß fassen kann. Ganz anders ist das in München – dort herrschen Provinzialität, Parti- kularismus und Rückständigkeit. Nur zögerlich wird zwischen 1928 und 1930 der „Münchner Weg“ verfolgt, ein Mittelweg zwischen Bau- haus und Historismus. Verantwortlich für das Festhalten an architektonischen Traditionen ist das politisch-kulturelle Klima in München in den 1920er-Jahren. In die Debatte um den viel dis- kutierten Niedergang Münchens als Kunststadt greift unter anderen Thomas Mann 1918 mit der Bemerkung ein, anstelle einer geistigen Qualität scheine in der Münchner Kunst der dekorative Reiz zu überwiegen. Die ästhetische Stilisierung zur Kunststadt erlaubt offenbar keine innovativen Experimente. Internationale Großstadtkultur ist Berlin vorbehalten – in München herrscht eine reaktionäre Grundhaltung, die zum Beispiel Licht- reklame auf den Dächern verbietet.

MÜNCHEN BLEIBT KONSERVATIV. Ein Lichtblick in diesem rückgewandten Historismus sind nur die Postbauten von Robert Vorhoelzer (1884 bis 1954), Vorzeigeobjekte für Bauhaus-Architektur in München und Bayern. Die Münchner Postab- teilung und Robert Vorhoelzer sind an keinerlei Vorgaben des Landes Bayern und der Stadt Mün- chen gebunden, die Genehmigungspflicht für alle Bauverfahren fällt weg. Die Postabteilung gilt als Reichsbehörde mit umfassender Entschei- dungsfreiheit, als exterritorial. Zu den wichtigsten

1958 fand in Brüssel die erste Weltaus- stellung nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Das Gesicht der Expo prägten die Architekten mit ihren Pavillonbauten – vor allem mit der „Schwebearchitek- tur“. Die deutsche Pavillongruppe ge- stalteten Sep Ruf und Egon Eiermann. FOTOS: ARCHITEKTURMUSEUM DER TU MÜNCHEN

Postgebäuden von Vorhoelzer zählen in München das in der Fraunhoferstraße, an der Tegernseer Landstraße, am Harras und das wohl bekannteste am Goetheplatz. Kennzeichen sind kubische Kör- per, geschwungene Bauformen, weiß verputzte Außenflächen und moderne Materialien wie Glas und Stahl.

Das Innere der Postbauten ist geprägt durch Licht und Luft. Dazu heißt es in der Bayerischen Staats- zeitung vom 7. August 1932: „Mancher Schalter- raum war früher eine Art Käfig … vor der Nase zugeklappte Schalter, schmutzig braune Ölfarbe, Angstkomplexe des Publikums in überfüllten Räu- men – das ist in Vorhoelzerischen Bauten nicht mehr möglich und man möchte der lichten und

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luftigen Bauten wegen allein Briefmarken kaufen gehen.“

Das Neue Bauen gewinnt an Akzeptanz – und zeitgleich nimmt die ideologische, chauvinistische und rassische Diffamierung zu. Der Sozialismus- Verdacht scheint durch den Sachverhalt bestätigt, dass das Neue Bauen vor allem im Wohnungsbau der SPD-geführten Städte gefördert wird. Schlag- worte wie „Jazz-Architektur“ und „Nomaden- baukunst“ machen die Runde. Die Nazis entzie- hen dem „Baubolschewisten“ Vorhoelzer 1933 den Lehrstuhl.

Bevor die Nationalsozialisten die Flachdachhäuser verbieten, entsteht in München 1933 noch das Wohnhaus in der Delpstraße: ein kubischer Block mit flachem Kupferdach, putzbündigen verti- kalen und horizontalen Fensterbändern und viel Glas im Erdgeschoss. Es ist ein radikal modernes Gebäude und Paradebeispiel für das Neue Bauen. Architekt ist der gerade mal 25-jährige Münchner Sep Ruf (1908 bis 1982), es ist sein erstes und für lange Zeit letztes modernes Haus. Seltsamerweise war der Bau noch nach der Machtergreifung der

Noch bevor die Nationalsozialisten Bauten mit Flach- dächern verboten, wurde das Haus von Karl Schwend in der Münchner Delpstraße errichtet. Architekt war der damals 25-jährige Sep Ruf. Drei Jahrzehnte später entstand nach seinen Plänen der Kanzlerbungalow in Bonn: Dem neuen Kanzler Ludwig Erhard gefiel er – sein Amtsvorgänger Konrad Adenauer wünschte dem Architekten zehn Jahre Gefängnis dafür.

FOTOS: ARCHITEKTURMUSEUM DER TU MÜNCHEN, DPA

Nazis genehmigt worden. 1937 erregte das Haus von Sep Ruf dann doch Anstoß bei den Behör- den: Ein Jahr zuvor war Hitlers Geliebte Eva Braun in das schräg gegenüber liegende Gebäude ge- zogen. Nach 1945 wird Sep Ruf einer der bedeutendsten Architekten, wenn nicht der bedeutendste deut- sche Architekt der unmittelbaren Nachkriegszeit. Dabei zählt Ruf zu denen, die die Ideen von Wal- ter Gropius oder Mies van der Rohe am stärksten und überzeugendsten umgesetzt haben, ohne jemals mit dem Bauhaus direkt in Berührung ge- kommen zu sein. Schon Anfang der 1930er-Jahre hat Ruf Wohnungen mit Stahlrohrmöbeln einge- richtet. Drei Jahre nach dem Krieg etabliert sich in München der Gesprächskreis „Freunde des Neu- en Bauens“, dem unter anderen Sep Ruf ange- hört. Ruf lernt Mies van der Rohe erst 1966 bei einer Reise in die USA persönlich kennen. AUSDRUCK VON DEMOKRATIE. Architektur der Nachkriegszeit à la Sep Ruf will sich vom National- sozialismus abgrenzen und Ausdruck einer neu- en, demokratischen Gesinnung sein. In diesem Zusammenhang sind all die Bauwerke zu sehen, die Ruf in den 1950er- und 1960er-Jahren schafft. Als Beispiele seien die Akademie der Schönen Künste in Nürnberg genannt (1950/1954), die Wohnhäuser von Ruf und von Wirtschaftsminis- ter Ludwig Erhard am Tegernsee (1953/1957), die Maxburg in München (1952/1954), der Pavillon zur Weltausstellung in Brüssel (1958) und der Kanzlerbungalow in Bonn (1963/64). Die Nürn- berger Akademie, der erste Neubau einer Kunst- hochschule in Deutschland nach der Errichtung des Dessauer Bauhauses 1925/26, zeigt schon die Charakteristika auf, die auch Rufs spätere Werke prägen sollten: leichte Pavillonarchitektur, am In- dividuum orientiert, zart gegliederte Stahlfenster- wände, raumhohe Fenster- und Türelemente, der Natur zugewandt. Die Wohnhäuser am Tegernsee gelten als beste deutsche Nachkriegsarchitektur, wobei sich die modernen Bauformen viel unaufdringlicher als herkömmliche Heimatstilarchitektur in die Land- schaft einpassen. Mit dem Pavillon zur Brüsseler Weltausstellung dokumentieren die Architekten Sep Ruf und Egon Eiermann die endgültige Ab-

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Vorzeigeobjekte für modernes Bauen in München waren die Postbauten von Robert Vorhoelzer. Mitte rechts das Modell des Postamts in der Tegernseer Landstraße, oben der Blick in die Schalterhalle, Mitte links das Automatenhäuschen davor. Unten links das Postamt an der Goethestraße. Unten rechts das Mo- dell des Postamts Am Harras.

FOTOS: ARCHITEKTURMUSEUM DER TU MÜNCHEN/EDUARD

WA-SOW/JÖRG VOGTER

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bayerische-staatszeitung.de/abo

Das markante Dach über dem Eingang zur Porzellanfabrik Rosenthal am Rothbühl in Selb. Die Industrieanlage ist ein Alterswerk von Walter Gropius. FOTO: ROSENTHAL GMBH

kehr vom Nationalsozialismus und den Anschluss an die westliche Demokratie und Moderne. Glä- serne schwebende Elemente, transparent und leicht, die Räume geöffnet vom Boden bis zur De- cke: So repräsentiert sich die junge Bundesrepu- blik der Welt. Verzicht auf jegliches Pathos – das charakterisiert auch den Kanzlerbungalow, der von dem kunstsinnigen Ludwig Erhard in Auftrag gegeben wird. Der Bungalow, bei dem Ruf die wohl perfekteste Auseinandersetzung mit dem Werk von Mies van der Rohe und seinen „flie- ßenden“ Räumen gelingt, sorgt für Hohn und Spott bei den Kanzlern Adenauer und Kiesinger. Adenauer lästert: „Der Architekt verdient zehn Jahre Gefängnis.“

Sep Ruf schreibt in den 1950er- und 1960er-Jah- ren Architekturgeschichte – ein weiteres Kapitel gelingt ausgerechnet in der bayerischen Provinz: 1963 macht sich Philip Rosenthal Gedanken, für seine Porzellanfabrik neue Bauten in Selb zu schaffen. Dabei kommt der Name des legendä- ren Walter Gropius ins Spiel. Rosenthal winkt ab und sagt voll Skepsis: „Da kann ich auch den Papst zur Taufe meiner Tochter bitten.“ Doch Gropius sagt zu. Zwischen 1965 und 1969 ent- wirft er die Porzellanfabrik am Rothbühl (Selb) und das Glaswerk in Amberg. Die Industriebauten verbinden modernste Technologie und humane

Arbeitsplatzgestaltung und stehen heute unter Denkmalschutz. Die neue Porzellanfabrik von Rosenthal schmiegt sich flach in die Landschaft, hohe Fensterelemente schaffen eine Verbindung nach draußen, zurückhaltende Farbflächen, wie sie Gropius schon beim Dessauer Bauhausgebäu- de eingesetzt hat, lockern die Hallenbauten auf.

EIN BLUMENTOPF FÜR ALLE. Im Zentrum der Pro- duktionsanlage liegt ein gläsernes Grünhaus – eine ruhende Naturinsel mit Flamingos. Zuvor hatte Gropius beobachtet, dass Mitarbeiterinnen die Fensterbänke mit Topfpflanzen geschmückt hatten. Dazu erklärt er: „Wenn schon aus tech- nischen und räumlichen Gründen Blumentöpfe nicht aufgestellt werden können, dann bauen wir einen großen Blumentopf für alle.“ Die Beleg- schaft dankt es ihm. Nicht ganz so einhellig ist der Dank zum Thema Arbeitsproduktion: So heißt es in der Süddeutschen Zeitung vom 12. Juli 1969: „Die Einrichtung des Produktionsablaufs scheint optimal gelungen, dass an einigen Stellen die Ar- beiter nur noch wenig zu tun haben. So wenig, dass sie über geringeren Lohn klagen und sich zurücksehnen in die schmutzigen, alten Staublun- gen erzeugenden Hallen von früher, in denen der übermenschliche körperliche Einsatz an den Öfen mit hohen Zuschlägen bezahlt wurde.“

Ein Jahr nach dem Werk in Selb entwirft Gropius im benachbarten Amberg noch eine „Glaskathe- drale“ für die Thomas-Glaswerke. Auch dort ent- steht ein Gebäude, das optimale Bedingungen für die schweißtreibende Arbeit der Glasbläser schafft. Die Dachkonstruktion und weit sich öff- nende Tore sorgen für optimale Belüftung. Mitt- lerweile sind beide Produktionsstätten geschlos- sen, die Industriedenkmale sind geblieben … und ein Teeservice. Gropius entwirft für Rosenthal 1969, kurz vor seinem Tod, das Service TAC 01, benannt nach Gropius‘ Bostoner Büro The Archi- tects‘ Collaborative. Das halbkugelförmige Tee- service mit klaren Linien und dominanten Kanten ist bis heute ein Designklassiker. Ina Kuegler

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