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TREFFPUNKT FORSCHUNG | 254 | © 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2008, 42, 250 – 255 ENERGIEUMWANDLUNG | Lichtgetriebener Molekülmotor Egal ob Erdöl, Wind oder Solarzellen – der größte Teil unserer Energie kommt von der Sonne, allerdings meist auf Umwegen. Kann man die Sonnenergie direkt in mechanische Bewegung umwandeln, ohne verlustreiche Umleitungen über Strom oder Pflanzen? Man kann, wenn man die richtigen Moleküle einsetzt. Chemiker haben bereits mehrere mo- lekulare Motoren entwickelt, etwa die molekulare „Modelleisenbahn“ der Arbeitsgruppe von David Leigh [1]. Bisher lässt sich deren Bewegung allerdings nur mit speziellen, z.B. spektroskopischen Techniken beob- achten, und nicht ohne weiteres in makroskopische, für Anwendungen nutzbare Bewegung umsetzen. Die Arbeitsgruppe von Tomiki Ikeda am Tokyo Institute of Technolo- gy in Yokohama, Japan, hat jetzt aller- dings einen neuartigen Motor entwi- ckelt, in dem die lichtgetriebene, re- versible Umwandlung einzelner Mo- leküle zwei Räder von sichtbarer (und nützlicher) Größe antreibt. Bewegung durch Phasenwechsel Ikeda ging von der bereits bekannten Beobachtung aus, dass Moleküle aus der Familie der Azobenzol-Derivate in Flüssigkristallen als Schalter dienen können. Unter geeigneten Bedingun- gen kann die durch UV-Licht ausge- löste transcis-Umwandlung der –N=N-Gruppe die flüssigkristalline Phase in einen ungeordneten Zu- stand umwandeln. Das liegt daran, dass Moleküle mit der trans-Konfigu- ration sich ganz gerade ausstrecken können, während die cis-Kon- figuration zwangsläufig eine Knick- stelle im Molekül erzeugt. Bestrah- lung mit sichtbarem Licht hingegen macht die Isomerisierung und damit auch den Phasenwechsel rückgängig und stellt die Ordnung des Flüssig- kristalls wieder her. In ihrem ersten Bewegungsexpe- riment rollten Ikedas Mitarbeiter ein solches flüssigkristallines Material mit eingebautem Diazo-Schalter zu ei- nem Zylinder auf. Bestrahlung mit UV und sichtbarem Licht an verschiede- nen Stellen brachte den Zylinder ins Rollen, allerdings deformierte er sich schon bald unter der mechanischen Belastung und brach nach einer hal- ben Minute zusammen. Die Forscher stellten dann ein mit Kunststoff verstärktes Band aus ihrem lichtempfindlichen Werkstoff her und spannten dieses über zwei verschieden große Räder (Abbil- dung), deren Durchmesser 10 mm und 3 mm betrugen. Sie bestrahlten die Oberseite des kleineren Rads mit UV,und die des größeren mit sichtba- rem Licht, und siehe da, die Räder be- gannen sich zu drehen. Wie ist das zu erklären? Da der flüssigkristalline Zustand etwas mehr Platz beansprucht als der ungeordne- te, so glauben die Forscher, wirkt un- ter der UV-Lampe eine Kontraktions- kraft, welche das kleinere Rad ein wenig nach links dreht, und damit neue Moleküle der Strahlung aus- setzt. Unter dem sichtbaren Licht hin- gegen dehnt sich das Material wieder aus, wobei auch das größere Rad nach links gedreht wird. Licht statt Batterien und Drähte? Somit ist es Ikedas Gruppe gelungen, eine einfache, lichtinduzierte Mole- külumwandlung, die man sonst nur in einem Spektrometer nachweisen kann, in eine sichtbare Bewegung von Rädern umzuwandeln. Es ist gut vorstellbar, dass solche lichtgetriebe- nen Rädchen schon bald dort zur An- wendung kommen, wo mechanische Bewegung ohne Batterien oder Dräh- te wünschenswert ist. Peristaltische Pumpen in medizinischen Anwen- dungen oder auch in der Raumfahrt wären durchaus denkbar. Ikeda hat sogar noch größere Am- bitionen. Er träumt von Automobilen, die allein dadurch angetrieben wer- den, dass die entsprechend gefilter- ten Anteile des Sonnenlichts auf die Reifen fallen. Solche Wunder dürften allerdings noch etwas länger dauern. [1] J V Hernández et al, Science 2004, 306, 1532. [2] M Yamada et al., Angew. Chem. Int. Ed. DOI 10.1002/anie200800760 Michael Groß www.michaelgross.co.uk EIN WETTBEWERB | Wer baut das schönste Strukturmodell der DNA? Mehr zu unserem Wettbe- werb auf den Seiten 292–294. ABB. 1 | DER MOLEKÜLMOTOR weiße Markierung UV-Licht Achse Umlenkrollen Achse sichtbares Licht Kunststoffband Der lichtgetriebene Plastikmotor beruht auf der reversiblen Umwandlung einzelner Moleküle: Die trans-cis-Umwandlung von Azogruppen in Flüssigkristallen bewirkt eine Umwand- lung der flüssigkristallinen in eine ungeordnete Phase. [Bild: Angewandte Chemie]

Lichtgetriebener Molekülmotor

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T R E F F P U N K T FO R SC H U N G |

254 | © 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2008, 42, 250 – 255

E N E RG I EU M WA N D LU N G |Lichtgetriebener MolekülmotorEgal ob Erdöl, Wind oder Solarzellen – der größte Teil unserer Energiekommt von der Sonne, allerdings meist auf Umwegen. Kann man die Sonnenergie direkt in mechanische Bewegung umwandeln, ohneverlustreiche Umleitungen über Strom oder Pflanzen? Man kann, wennman die richtigen Moleküle einsetzt.

Chemiker haben bereits mehrere mo-lekulare Motoren entwickelt, etwadie molekulare „Modelleisenbahn“der Arbeitsgruppe von David Leigh[1]. Bisher lässt sich deren Bewegungallerdings nur mit speziellen, z.B.spektroskopischen Techniken beob-achten, und nicht ohne weiteres inmakroskopische, für Anwendungennutzbare Bewegung umsetzen.

Die Arbeitsgruppe von TomikiIkeda am Tokyo Institute of Technolo-gy in Yokohama, Japan, hat jetzt aller-dings einen neuartigen Motor entwi-ckelt, in dem die lichtgetriebene, re-

versible Umwandlung einzelner Mo-leküle zwei Räder von sichtbarer(und nützlicher) Größe antreibt.

Bewegung durch PhasenwechselIkeda ging von der bereits bekanntenBeobachtung aus, dass Moleküle ausder Familie der Azobenzol-Derivate inFlüssigkristallen als Schalter dienenkönnen. Unter geeigneten Bedingun-gen kann die durch UV-Licht ausge-löste trans→cis-Umwandlung der –N=N-Gruppe die flüssigkristallinePhase in einen ungeordneten Zu-stand umwandeln. Das liegt daran,dass Moleküle mit der trans-Konfigu-ration sich ganz gerade ausstreckenkönnen, während die cis-Kon-figuration zwangsläufig eine Knick-stelle im Molekül erzeugt. Bestrah-lung mit sichtbarem Licht hingegenmacht die Isomerisierung und damitauch den Phasenwechsel rückgängigund stellt die Ordnung des Flüssig-kristalls wieder her.

In ihrem ersten Bewegungsexpe-riment rollten Ikedas Mitarbeiter einsolches flüssigkristallines Materialmit eingebautem Diazo-Schalter zu ei-nem Zylinder auf. Bestrahlung mit UVund sichtbarem Licht an verschiede-nen Stellen brachte den Zylinder insRollen, allerdings deformierte er sichschon bald unter der mechanischenBelastung und brach nach einer hal-ben Minute zusammen.

Die Forscher stellten dann einmit Kunststoff verstärktes Band ausihrem lichtempfindlichen Werkstoffher und spannten dieses über zweiverschieden große Räder (Abbil-dung), deren Durchmesser 10 mmund 3 mm betrugen. Sie bestrahltendie Oberseite des kleineren Rads mitUV, und die des größeren mit sichtba-

rem Licht, und siehe da, die Räder be-gannen sich zu drehen.

Wie ist das zu erklären? Da derflüssigkristalline Zustand etwas mehrPlatz beansprucht als der ungeordne-te, so glauben die Forscher, wirkt un-ter der UV-Lampe eine Kontraktions-kraft, welche das kleinere Rad einwenig nach links dreht, und damitneue Moleküle der Strahlung aus-setzt. Unter dem sichtbaren Licht hin-gegen dehnt sich das Material wiederaus, wobei auch das größere Radnach links gedreht wird.

Licht statt Batterien und Drähte?Somit ist es Ikedas Gruppe gelungen,eine einfache, lichtinduzierte Mole-külumwandlung, die man sonst nurin einem Spektrometer nachweisenkann, in eine sichtbare Bewegungvon Rädern umzuwandeln. Es ist gutvorstellbar, dass solche lichtgetriebe-nen Rädchen schon bald dort zur An-wendung kommen, wo mechanischeBewegung ohne Batterien oder Dräh-te wünschenswert ist. PeristaltischePumpen in medizinischen Anwen-dungen oder auch in der Raumfahrtwären durchaus denkbar.

Ikeda hat sogar noch größere Am-bitionen. Er träumt von Automobilen,die allein dadurch angetrieben wer-den, dass die entsprechend gefilter-ten Anteile des Sonnenlichts auf dieReifen fallen. Solche Wunder dürftenallerdings noch etwas länger dauern.

[1] J V Hernández et al, Science 22000044, 306,1532.

[2] M Yamada et al., Angew. Chem. Int. Ed. DOI10.1002/anie200800760

Michael Großwww.michaelgross.co.uk

E I N W E T T B E W E R B |Wer baut das schönste Strukturmodellder DNA? Mehr zu unserem Wettbe-werb auf den Seiten 292–294.

A B B . 1 | D E R M O L E K Ü L M OTO R

weißeMarkierung

UV-Licht

Achse

UmlenkrollenAchse

sichtbaresLicht

Kunststoffband

Der lichtgetriebene Plastikmotor beruht auf der reversiblenUmwandlung einzelner Moleküle: Die trans-cis-Umwandlungvon Azogruppen in Flüssigkristallen bewirkt eine Umwand-lung der flüssigkristallinen in eine ungeordnete Phase. [Bild: Angewandte Chemie]

254_Forsch_Molekulmotor 29.07.2008 9:49 Uhr Seite 254